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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass





MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 25. März 2021 #164

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Studie: Die richtige Lagerung von Schnelltests – Vorsichtig bei niedrigen Temperaturen (14.03.) Impaired performance of SARS-CoV-2 antigen- detecting rapid tests at elevated and low tem- peratures - ScienceDirect

Keynote G. Vanden Bossche, Ohio 2021

Why should current Covid-19 vaccines not be used for mass vaccination during a pandemic? (mcusercontent.com)

Donnerstag, 25. März 2021

 Wiederüber20.000Neuinfektionen,der deutschlandweite Inzidenzwert bei 113. Wie ist die aktuelle Lage zu bewerten?

 Dann:DieweltweiteImpfkampagnesofort stoppen. Der Virologe Geert Vanden Bos- sche sorgt mit seinen Äußerungen für Auf- sehen. Was ist davon zu halten?

Dann: Warum die Umgebungstemperatur bei der Durchführung von Schnelltests enorm wichtig ist.

Und: Welches Medikament sollte man vor einer Impfung einnehmen? Paracetamol, Ibuprofen oder am besten gar nichts?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Mo- derator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenra- dio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Ent- wicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Ale- xander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Ja, also die erweiterte Osterruhe gibt es nun also nicht. Die Kanzlerin hat gestern den Plan gestoppt und sich auch dafür entschuldigt. Und sie hat die Verwirrung, die dadurch entstanden ist, auch auf ihre Kappe genommen. Nicht, weil sie die Idee dieses zusätzlichen Ruhetags am Gründonnerstag schlecht fand – ganz im Ge- genteil. Es waren eher organisatorische Grün- de. Das Ganze, ja, konnte man so schnell nicht umsetzen. Am Ende stünden Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis. Herr Kekulé, ob jetzt einen Tag mehr oder weniger frei an Os- tern: Hätte das wirklich einen epidemiologi- schen Unterschied gemacht in dieser Situati- on?

01:37

Alexander Kekulé

Ich glaube nicht. Ich bin jetzt nicht so unglück- lich, dass das nicht dazu gekommen ist. Es ist, glaube ich, bei der Bekämpfung der Pandemie kein großer Verlust. Es ging meines Erachtens um das Symbol, um das deutliche Ansagen der Politik: Schaut mal her. Wir machen hier an Ostern sogar zu, damit die Bevölkerung ver- steht, dass sie sich vernünftig verhalten muss. Ich hatte sowieso die Befürchtung, dass jetzt die Schließung der Geschäfte an Gründonners- tag dann dazu führt, dass man sich also noch mehr drängelt am Ostersamstag. Das wäre ja eigentlich der einzige Effekt gewesen von der antiepidemischen Maßnahme. Und wir haben ja in anderen Situationen – wenn ich jetzt mal an den öffentlichen Verkehr denke – da wird ja richtigerweise, klugerweise das so gemacht, dass man doppelt so viele Verkehrsmittel ein- setzt, damit die wirklich leer sind. Da fahren die Straßenbahnen eben häufiger. Und die gleiche Überlegung könnte man ja auch bei Geschäften haben. Also, dass man die einfach länger aufmacht, gestreckt möglichst lange offen hält und dass möglichst wenig Leute reinkommen auf einmal. Und man sozusagen das Gedränge verhindert auf die Weise. Also deshalb, epidemiologisch bin ich nicht unglück- lich darüber. Ja, also politisch ist glaube ich klar, dass ich also schon – ohne dass es ir- gendwas mit Parteipolitik zu tun hat – schon ein Anhänger der Kanzlerin bin bei der ganzen

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Krise. Ich finde, sie war und ist eine Stimme der Vernunft in diesem ganzen Durcheinander – ist ja schon geradezu ein babylonisches Sprachen- gewirr, was wir haben. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir nicht in so eine Situation kommen, wo wir dann sagen müssten: Erst hatten wir kein Konzept und jetzt geht uns auch noch das Führungspersonal verloren.

3:20

Camillo Schumann

Über Wünsche reden wir gleich nochmal. Kurz nochmal auf Ostern geschaut. Das Kalkül der Politik war, fünf zusammenhängende Tage zu haben – oder einigermaßen fünf zusammen- hängende Tage zu haben – wo mal alles run- tergefahren wird. Analog der Situation an Weihnachten, als man positive Erfahrungen gemacht hat – so wurde es zumindest kolpor- tiert. Ist das oder wäre es überhaupt ver- gleichbar gewesen?

Alexander Kekulé

Am Ende des Tages kommt es wirklich darauf an, wie sich die Menschen in ihrem Mikrokos- mos verhalten. Und Weihnachten war nicht deshalb erfolgreich bezüglich der Pandemiebe- kämpfung, weil irgendwelche Maßnahmen da verkündet wurden, sondern weil die Menschen verstanden haben, dass sie vernünftig sein müssen. Familienfest, mehrere Generationen. Da haben die Deutschen sich viel besser ver- halten als zum Beispiel die Portugiesen, bei denen nach Weihnachten ja die Fallzahlen durch die Decke gegangen sind. Und auch die Iren. Und deshalb glaube ich, es kommt jetzt wieder auf das Gleiche an. Und wie man das erzeugen kann, dass die Menschen sozusagen immer dann, wenn die Staatsgewalt nicht kon- trolliert, sich vernünftig (...) verhalten, das ist eben ein schwieriges Thema. Ich glaube aber, die Message ist angekommen. So oder so. Und auch jetzt mit der Entschuldigung der Kanzle- rin, dass man das technisch eben nicht umset- zen konnte, ist glaube ich jedem klar. Es liegt nicht daran, dass man glaubt, dass die dritte Welle nicht so schlimm wird, sondern es hat halt formale Gründe gehabt und wahrschein- lich auch der Widerspruch der Wirtschaft, die natürlich so einen zusätzlichen Feiertag nicht gerne einstecken.

4:49

Camillo Schumann

Sozusagen „Appell an die Vernunft“. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hat jetzt – nach dieser Entschuldigung und der Rücknahme dieses Ruhetages an Gründonnerstag – an die Menschen appelliert und auch gesagt, Pande- mie könne man nicht bei Politikern abladen. Es handele sich um eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Also hat er damit Recht?

Alexander Kekulé

Ich definiere das ja, ich bezeichne das ja immer als Resilienz oder in dem Fall sozusagen Schwarmresilienz. Also, dass jeder Einzelne quasi in seinem individuellen Verhalten ja mit dem Virus konfrontiert ist. Das ist ja nichts, was draußen vor der Staatsgrenze ist – wie der Feind im Krieg oder das Hochwasser an der Nordsee – sondern das ist etwas, was bei je- dem Einzelnen nicht nur an der Tür klopft, sondern in der Wohnung, sozusagen im Privat- bereich, auftritt. Und deshalb müssen wir die Resilienz hier auf der individuellen Ebene ha- ben. Und ich glaube, dass das auch so gemeint war. Das Zitat, das Sie gerade gesagt haben.

5:46

Camillo Schumann

Kommen wir nochmal ganz kurz auf die Wün- sche zurück. Nach der Entschuldigung der Kanzlerin kommen jetzt immer mehr Minister- präsidenten und -präsidentinnen aus der De- ckung und wollen, dass sich die Ministerpräsi- dentenkonferenz grundsätzlich ändert, damit sowas eben nicht nochmal passiert. Die Minis- terpräsidentenkonferenz soll transparenter werden, kürzer, besser vorbereitet. Ich weiß, Sie sind Virologe, Epidemiologe. Trotzdem mal die Frage an Sie: Was würden Sie sich denn von so einer Ministerpräsidentenkonferenz 2.0 jetzt im Pandemiegeschehen wünschen?

Alexander Kekulé

Ja, also ich hab ja auch über zehn Jahre die Bundesregierung genau zu solchen Themen beraten. Und da kann ich nur einfach das sa- gen, was die Schutzkommission, der ich ja an- gehört habe, damals zu solchen Themen ge- sagt hat. Das ganz Entscheidende ist, dass man unterhalb der politischen Ebene eine administ- rative Ebene hat. Also man braucht einen ad- ministrativen Apparat. Stellen Sie sich vor, der Minister müsste ohne sein Ministerium regie-

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ren. Die haben ja da zum Teil einige tausend Mitarbeiter. Und ganz ehrlich gesagt, kluge Minister sagen immer: Ich habe eigentlich von dem, was ich da mache, viel weniger Ahnung als die Leitungsebene in meinem Haus, weil Minister sind ja politisch berufen. Und hier hat man so eine klassische Situation, ja. Da sitzen – wenn das stimmt, was kolportiert wurde – einige Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin zusammen, so eine kleine Runde aus vier, fünf Leuten. Und die beschließen dann, sie machen an Ostern einen Tag frei. Das war ja wohl so eine Idee dann, keine Ahnung, mitten in der Nacht oder irgendwann ist die geboren wor- den. Natürlich haben die nicht den Apparat von Rechtsberatern dabei, von Politik, von Wirtschaftsberatern und so weiter. Und des- halb glaube ich – das ist von Anfang an die Forderung, die ich nach wie vor habe – wir brauchen eine Exekutivebene unterhalb der politischen Ebene. Da gab es ja mal diesen Krisenstab im Innenministerium, der wurde ja, glaube ich, zweimal einberufen. Beim ersten Mal habe ich mich ziemlich über ihn geärgert, weil ich ja damals die sogenannten Corona- Ferien gefordert habe. Das war quasi der Pro- totyp eines Lockdowns mit Schließung von Großveranstaltungen und so weiter. Das hat man in dieser Runde abgelehnt. Aber das heißt ja nicht, dass so ein Konzept langfristig schlecht sein muss, dass man einfach Leute aus ver- schiedenen Bereichen – einschließlich natür- lich Wissenschaftlern, aber nicht nur Wissen- schaftlern – eine Ebene darunter hat, die sozu- sagen den Transmissionsriemen dann zur Pra- xis darstellen. Das würde ich mir jetzt noch mehr wünschen als vorher. Also nicht nur bes- sere Vorbereitung, dass die – ich meine, jetzt schon das Wort bessere Vorbereitung ist ja so ein bisschen komisch. Das klingt ja so, als wä- ren bisher die Chefs der Staatskanzleien nicht in der Lage gewesen, die Runden vorzuberei- ten. Ich glaube, die haben sich da schon viel Mühe gegeben. Sondern es geht darum, dass wirklich unmittelbar bei den Entscheidungen – wo ja ad hoc vieles gemacht werden muss, es geht ja nicht anders – wirklich die Profis für die jeweiligen Fachdisziplinen dabeisitzen. Und zwar auch dort ein breiteres Spektrum, nicht nur so ein Virologe, den man dann dazu nimmt und einer vom Robert Koch-Institut oder so. Sondern da braucht man eine breitere Runde,

damit auch am Schluss das dann auch einen breiteren gesellschaftlichen Rückhalt hat. Also diesen Zwischenapparat, den würde ich mir dringend wünschen, dass man den jetzt – in Klammern – endlich einzieht.

8:57

Camillo Schumann

Dieser Zwischenapparat bestand ja bisher aus den Chefs der Staatskanzlei und dem Chef des Bundeskanzleramtes. Die haben das ja vorher ausbaldowert – sag ich jetzt mal in Anfüh- rungszeichen – und haben das dann als Be- schlussvorlage dann nach Berlin gegeben und das wurde dann dort diskutiert. Am Ende sind es ja dann auch politische Entscheidungen. Sozusagen die Staatskanzleien entmachten und dort ein Gremium bilden?

Alexander Kekulé

Nein, nein. Das ist kein Zwischenapparat, also die Staatskanzleien, das sind ja, die arbeiten ja den MPs [Ministerpräsidenten] (Anm. der Red.) zu, das ist ganz klar. Und die machen das auch sehr gut, also ich weiß, dass die wirklich intensiv Recherche vorher machen. Natürlich auch aus eigener Anschauung. Die versuchen sich da schon ein Bild zu machen. Das Problem ist nur, man hat dann jetzt quasi für jedes Bun- desland eine Staatskanzlei plus noch das Kanz- leramt und damit liegen sozusagen, wenn Sie so wollen, 16 plus 1 Entwürfe auf dem Tisch hinterher. Und die versuchen sich natürlich – die haben immer vorher Schalten, um sich abzusprechen, das ist ganz klar. Aber da kommt dann der Faktor dazu, dass eben die Chefs der Staatskanzleien 1.) die Sachkunde nicht direkt haben, das ist ja klar und 2.) natür- lich auch die politische Macht nicht haben. Weil am Ende entscheidet immer der Chef, der mit der grünen Farbe, der grünen Tinte im Füller. Das ist immer der, der entscheidet am Schluss. Und wenn dann am Schluss die Ent- scheidungsträger zusammensitzen, dann ist es natürlich so, dann müssen die ja vieles ad hoc machen. Dann sagt dann ein Ministerpräsi- dent: Ja, bei dem und dem gehe ich nicht mit. Dann braucht man eine Ersatzlösung, vielleicht etwas, was man sich vorher so ausgemalt hat, wo vielleicht die Kanzleichefs dachten, dass wäre eine gute Idee – auch mit ihrem wissen- schaftlichen Beraterstab in dem jeweiligen Bundesland, das kommt ja dann noch dazu.

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Jedes Land hat dann seine eigenen Berater. Da muss dann ad hoc in der Situation – meinet- wegen nachts um zwei – muss dann irgendwie eine Ersatzlösung her, weil man sich auf irgen- detwas nicht einigen konnte. Und in der Lage bräuchten sie die Fachleute nochmal, also da müssen die Fachleute mit dabei sitzen. Und weil eben diese Idee – dass man quasi Vorla- gen hat, die dann nur abgesegnet werden – das funktioniert in diesem sehr, sehr dynami- schen Geschehen der Pandemie nicht. Das ist dynamisch bezüglich der Fallzahlen, aber es ist eben auch dynamisch bezüglich der Bedürfnis- se der Ministerpräsidenten.

11:17

Camillo Schumann

Wir sind gespannt, wie dann die Ministerpräsi- dentenkonferenz 2.0 aussehen wird und weil Sie gerade Fallzahlen angesprochen haben, wie dynamisch das Ganze ist. Wir werfen einen Blick auf die aktuelle Situation. Und da spielt dann auch der Begriff Fachkompetenz wieder eine Rolle. In den vergangenen 24 Stunden wurden dem Robert Koch-Institut 5000 Neuin- fektionen mehr als im Vergleich zur Vorwoche gemeldet. Insgesamt waren es 22.657 – wieder über 20.000. Das letzte Mal hatten wir das im Januar. Die deutschlandweite Sieben-Tage- Inzidenz liegt bei 113. Die Zahl der Menschen, die mit einer Covid-19-Erkrankung auf der In- tensivstation behandelt werden müssen, nimmt weiter stetig zu. Stand heute (zum Zeit- punkt der Aufzeichnung): 3239. NRW- Ministerpräsident Armin Laschet fand zu dieser Entwicklung folgende Worte:

„Und wir alle hatten die Hoffnung aus der Er- fahrung des letzten Jahres, dass – wenn der Frühling kommt, es wärmer wird – die Virus- Ansteckungen zurückgehen und die Zahlen sinken. Und wir erleben im Moment genau das Gegenteil. Das ist nervig.“

Das ist nervig. Der Frühling hat noch gar nicht begonnen. Herr Laschet scheint von der aktu- ellen Entwicklung ja ziemlich überrascht zu sein. Aber ich persönlich kann die Stimmen gar nicht zählen, die vor dieser Situation, wie wir sie gerade erleben, gewarnt haben.

Alexander Kekulé

Das ist ein gutes Beispiel für das, was ich vor- her gesagt habe. Wissen Sie, wenn jetzt Herr

Laschet das in seiner Runde gesagt hätte, wo Fachleute dabei sind – und ich gehe davon aus, das glaube ich schon. Also ich war noch nie dabei natürlich, bei so einer MP-Runde [Minis- terpräsidentenrunde] (Anm. der Red.). Aber hinterher kriegt man auch Erzählungen von Leuten, die drinnen waren und die reden da schon offen miteinander, so ist das nicht. Und wenn Laschet so was in einer Runde sagen würde, wo die Fachleute da drin sitzen, die würden ihn dermaßen rupfen, dass das Argu- ment tot ist. Und es kann dann schon sein, dass die anderen Politiker fachlich bei sowas nicht durchblicken. Ja, das ist ja auch völlig in Ordnung. Also ich möchte ja auch kein Politiker werden. Aber es ist so, dass, wenn so ein Poli- tiker sieht, okay, da sitzen drei Epidemiologen, drei Virologen und noch ein paar andere, die sich mit so etwas auskennen, zusammen. Und die sagen alle: Lieber Herr Laschet, an der Stel- le irrst du dich, das ist viel zu früh für diese Sommer-Entlastung. Und wir sehen ja weltweit um diese Jahreszeit jetzt das wieder Ansteigen der dritten Wellen. Und dann hätte er so einen Unsinn nicht gesagt, wie das, was Sie gerade vorgespielt haben. Und das heißt, es würde auch die Politiker dann glaubwürdiger machen, weil sie einfach nachprüfbare, belegbare Daten sozusagen liefern, der Faktencheck würde dann häufiger zu ihren Gunsten laufen. Und es wäre, glaube ich, für die Qualität der Ergebnis- se besser. Also ja, das ist völlig klar, das muss man, glaube ich, in diesem Podcast nicht noch einmal erklären. Das wird so sein – ich will mal was Positives sagen: Es wird so weitergehen, dass wir nicht diese Inzidenz bekommen, die in der ZEIT kolportiert wurde, angeblich Basis der Entscheidung in der Ministerpräsidentenrunde war. Die ZEIT hat ja geschrieben, ZEIT ONLINE hat ja geschrieben, dass dort Zahlen auf den Tisch gelegt wurden, dass es bis Mai zu einer Inzidenz von bis zu 2200 pro Woche, also [es bis zu einer] (Anm. d. Red.) 2200er Wochenin- zidenz gehen kann. Also jetzt reden wir ja noch von hundert oder 200er-Notbremsen, also 2200. Und ich habe dann darum gebeten, dass ich die Folien bekomme. Da ist mir gesagt worden, das ist vertraulich gewesen. Also hat das Robert Koch-Institut der ZEIT-Redaktion offensichtlich vertraulich mitgeteilt. Aber ich gehe einfach davon aus, dass das stimmt. Und es ist so, dass ich nicht, das kann ich überhaupt

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nicht teilen. Ich verstehe nicht, warum das Robert Koch-Institut mit solchen Zahlen arbei- tet. Ich will da viel optimistischer sein. Ich glaube, wir können die dritte Welle nicht ver- meiden. Es wird so sein, dass wir jetzt in die dritte Welle reinlaufen. Es wird auch so sein, dass – egal, was wir jetzt machen – das nicht verhindert, dass die Fallzahlen weiter anstei- gen. Und ich habe, wenn Sie so wollen, drei Hoffnungen. Also Nummer 1, dass die Inzidenz nicht einmal annäherungsweise in diesen Be- reich über 2000 gehen wird, womit das RKI [Robert Koch-Institut] (Anm. d. Red.) quasi kalkuliert offensichtlich. Zweitens ist meine große Hoffnung, dass es diesmal weniger Tote geben wird. Die Intensivstationen werden wie- der belastet werden, auch deshalb, weil man natürlich, wenn man viele Kapazitäten hat – auch wenn wir früher nie von Triage in Deutschland gesprochen haben – wenn man viele Kapazitäten hat – wie wir im Moment – dann nimmt man jemanden eher mal auf die Intensivstation, als wenn man eher knapp ist. Also ich glaube, dass man da durchaus großzü- giger sein darf, wenn man nicht komplett voll gelaufen ist. Und das machen die meisten Krankenhäuser natürlich so. Das heißt also, wir werden einen deutlichen Anstieg bei den In- tensivfällen haben. Und meine Hoffnung ist dadurch, dass eben großzügiger da verlegt wird und auch natürlich die Menschen jünger sind. Das heißt, früher oder später dann wieder wegkommen von der ITS [Intensivstation] (Anm. d. Red.) und zwar nicht mit den Füßen nach vorne, sondern quasi lebendig. Das hätte zur Folge, dass wir eine kleine Entkopplung eben haben, von der Sterblichkeit, von der Fallzahl. Alles andere kann ich mir nicht vor- stellen, nachdem ja jetzt auch angeblich in den Heimen quasi nahezu vollständig geimpft wur- de. Und meine dritte optimistische Osterbot- schaft, hätte ich schon fast gesagt, ist die: (...) Ich glaube wirklich fest daran. Das Wort „glau- ben“ ist hier aber auch das Richtige. Ich glaube fest daran, dass es für Deutschland die letzte Welle war. Danach werden wir das mit diesen Schnelltests auf die Reihe kriegen. Danach werden wir diese traurige Zahl von immer noch unter 300.000 Impfungen pro Tag hinbekom- men. Vielleicht wird auch AstraZeneca halb- wegs exkulpiert. Ja, das steht jetzt noch mit einem Fragezeichen im Raum. Und dann

kommt dann wirklich der Sommer und bis es dann im Herbst wieder die theoretische vierte Welle geben würde – bin ich jetzt aber wirklich mal optimistisch – haben wir das Ganze im Griff.

Camillo Schumann

Da kann dann auch Armin Laschet ganz beru- higt sein. Es gibt ja so ein paar Parameter, die zumindest, die man mit in diese Interpretation reinnehmen könnte. Wir schauen uns mal so ein paar Zahlen an. Hospitalisierungsquote, Anteil der Verstorbenen – da gibt es ja so ein dynamisches Dokument des Robert Koch- Instituts. Und da sind folgende Zahlen für die Kalenderwoche 11: Die Hospitalisierungsquote bei fünf Prozent und der Anteil der Verstorbe- nen bei 0,15 – so niedrig wie noch nie. Jetzt sind das natürlich – gerade Hospitalisierungs- quote und Anteil der Verstorbenen – ein Blick, ja, ich sage mal drei bis fünf Wochen zurück. Da hatten wir Infektionszahlen von zwischen 50.000 und 60.000 pro Woche. Wie würden Sie dieses Verhältnis bewerten?

18:03

Alexander Kekulé

Ich glaube, das kann man bis jetzt noch nicht wirklich auswerten, weil es tatsächlich immer noch zu kurz ist. Und zwar, also, ich möchte es mal so rum sagen. Also die Zahlen schließen nicht aus, dass es genau so kommt, wie ich es gerade gehofft habe. Nämlich, dass die Sterb- lichkeit nicht so hoch wird wie in der ersten und zweiten Welle. Dass es sozusagen – bezüg- lich der Sterblichkeit – eine schwache Welle wird. Bezüglich der Inzidenz wird es nochmal eine starke Welle geben. Das ist eine begrün- dete Hoffnung, auch auf Basis dieser Zahlen. Allerdings muss man warnen: Wenn Menschen auf die Intensivstation kommen – im Durch- schnitt – die etwas jünger sind, dann bleiben die eben einfach länger da liegen. Sodass bis zu dem Moment, wo man sieht, jawohl, wir ha- ben den jetzt gerettet, es einfach länger dau- ert. Und daher gibt es eine Verzögerung bei den Sterblichkeiten. Also, wenn die Leute da fünf Wochen auf der Intensivstation liegen, dann dauert es natürlich länger, bis man wirk- lich weiß, ob man da einen Effekt hatte.

19:01

Camillo Schumann

Weil Sie gesagt haben, wir müssen, wir brau-

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chen den Lockdown definitiv – nicht wie Herr Wieler sagt – um die Pandemie komplett zu stoppen, sondern um zu brechen. Jetzt natür- lich die große Frage: Wie geht es nach Ostern weiter? Die Bundesländer planen Öffnungs- schritte nach Ostern trotz steigender Inziden- zen. Und zwar planen sie Öffnungen verbun- den mit Schnelltests, Sachsen zum Beispiel. Da sollen Besuche in Tierparks mit negativem Test möglich werden, auch körpernahe Dienstleis- tungen. In Bayern soll es acht Teststädte ge- ben, die bei höheren Inzidenzen – deutlich über hundert – ab dem 12. April zwei Wochen lang mit Testpflicht mehr öffnen können. Also nach Ostern geht es so langsam los.

Alexander Kekulé

Also das finde ich eigentlich eine sehr vernünf- tige Variante, das so zu machen. Ich hoffe auch immer, dass – bezüglich der Schulen ist da ja gemeint: nach den Osterferien. Also da ist ja nicht direkt das Osterwochenende, sondern dann üblicherweise sind danach nochmal eine Woche lang Ferien. Und ich glaube, es ist sehr vernünftig, das an einzelnen Orten auszupro- bieren. So, wie ich mich ja schon oft dafür aus- gesprochen habe, nicht überall die Schulen zugleich aufzumachen, sondern erstmal zu gucken, was passiert. Dann hätte man jetzt zum Beispiel diesen aktuellen Anstieg im Früh- jahr sicher nicht in dieser Weise gehabt. Ja, das ist ja quasi synchron zur Öffnung der Schulen gewesen. Und da weiß ich nicht, ob ich der Einzige war, aber da haben ja wahrscheinlich einige andere auch gesagt, dass es nicht sinn- voll ist, das alles auf einmal aufzumachen, son- dern vielleicht irgendwo probeweise. Und hier sagt man jetzt: Wir machen das probeweise. Mir gefallen diese Konzepte sehr gut. Also, da gibt es ja Tübingen zum Beispiel, das ist be- kannt. Wo der Oberbürgermeister ja schon lange so eine Linie fährt, die man fast quasi mit Smart-Strategie unterschreiben könnte. Dann gab es früher, wenn wir uns erinnern, die Bei- spiele, wo die Bürgermeister von Jena zum Beispiel Anordnungen getroffen haben. Ich muss natürlich auch betonen, dass auch Halle unter den allerersten war, die damals die Schu- le geschlossen haben. Die Stadt Halle hat die Schule, die Schulen geschlossen, bevor Bayern damals das beschlossen hat. Und ich glaube, Rostock hat auch so ein Pilotprojekt im Mo- ment. Also, das sind alles ganz sehr, sehr ver-

nünftige Maßnahmen. Und das ist ganz inte- ressant, finde ich, weil wir haben ja über „Command and Control“ gesprochen, Concept „Command and Control“. Es ist so, dass man eigentlich auf dieser regionalen Ebene, auf dieser kommunalen Ebene, da können die Bürgermeister und Landräte sowas noch. Fast hätte ich gesagt, die sind dann so ähnlich wie der Staatschef in China für sein ganzes Land, obwohl man das natürlich jetzt politisch nicht vergleichen darf. Aber dieser Luxus, dass da jemand sagt: Ich mache eine sogenannte All- gemeinverfügung – das sind ja dann die In- strumente, die da zur Verfügung stehen, im Verwaltungsverfahren, im Verwaltungsrecht – der macht eine Allgemeinverfügung und Peng, dann gilt das Ding. Solange die Gerichte es nicht irgendwo kassieren. Und das ist eigent- lich eine gewisse Parallele, dass Staaten, die also für einen ganzen Staat einfach durchregie- ren können – die waren ja extrem erfolgreich zur Menge, sofern es dann oben an der Spitze natürlich ein wissenschaftlich gut beratener und kluger Staatschef war. Aber solche Beispie- le gibt es ja viele. Und das Gleiche sehen wir auf der kommunalen Ebene, wo eben dann der Bürgermeister und der Landrat so was einfach mal ausprobieren kann. Darum bin ich also sehr für diese Projekte und als Wissenschaftler freut man sich natürlich, wenn etwas erstmal im Kleinen ausprobiert wird, bevor man es dann für ganz Deutschland anwendet.

22:29

Camillo Schumann

Was ich mich frage: Dann wird es auch, ja, mit den kommenden Wochen dann immer wärmer und man hat das dann ausprobiert. Und hat man das nicht möglicherweise dann auch ein bisschen zu spät ausprobiert? Dass es dann so Richtung Sommer geht und wir dann quasi analog das haben, oder bekommen werden – was wir letztes Jahr hatten. Und dann spricht dann überhaupt keiner mehr über diese Mo- dellprojekte, weil es uns dann sowieso nicht mehr interessiert?

Alexander Kekulé

Das kann sein, dass es so läuft, wie Sie jetzt sich ausmalen. Dass man vielleicht gar nicht mehr in diese Auswertungsphase kommt, weil wir insgesamt einen Rückgang haben der Fälle und das ist ja immer das Problem. Wenn die

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Fallzahlen ansteigen, dann wird diskutiert: Woran lag es jetzt? Ja, lag es daran, dass ich die Schulen geöffnet habe und die Pubs geöff- net habe? Oder lag es an der Mutante? Wenn jetzt die Fallzahlen runter gehen, dann sagen ganz viele Politiker: Schaut mal, wie toll mein Konzept war. Und so ein Faktor wie die wär- mere Jahreszeit ist dann schwierig mit rein zu rechnen. Und ehrlich gesagt – weil man ja hier letztlich immer auf Beobachtungsstudien an- gewiesen ist – man kann da kein kontrolliertes Experiment machen. Bei solchen Dingen wird es wahrscheinlich genau, wie Sie sagen, dann in der nächsten Pandemie wieder diskutiert werden. Ich liebe ja immer den Vergleich zu der Situation in New York 1918 bei der Spani- schen Grippe. Da gab es eine Riesendiskussion des damaligen New Yorker Bürgermeisters, der gesagt hatte: Ich will die Schulen und Theater offen lassen. Und er hat es zum Teil auch ge- macht. Und dann sind die Fallzahlen hochge- gangen. Und dann haben alle anderen gesagt: Mensch, du bist ja wahnsinnig, du bringst dei- ne Leute um. Und paar Wochen später sind sie wieder runter gegangen – wie das halt so ist bei einer Welle. Und daraufhin hat er gesagt: Ja, schaut mal her. Es war nicht so schlimm, dass ich alles offen gelassen habe. Und diese Diskussion ist so eins zu eins das Gleiche, was wir heute machen. Also ich schätze, das wird bei der nächsten Pandemie wieder so ähnlich sein.

24:19

Camillo Schumann

Es gibt wieder Neuigkeiten zum Impfstoff von AstraZeneca. Erst gab es ja Berichte über Blut- gerinnsel nach Impfung, dann wurden Daten einer Studie zwischenveröffentlicht. Darin gab es auch starke Zweifel der US-Behörden. Wir haben im Podcast am Dienstag ja schon dar- über berichtet. Und jetzt gibt es wieder Neuig- keiten, denn AstraZeneca hat nachgelegt und muss nun auch noch seine Wirksamkeit nach unten korrigieren. Aber der Reihe nach. Es gab ja sozusagen einen schon handfesten Zwist.

Alexander Kekulé

Ja, also der Streit, den wir am Dienstag kurz angerissen haben, kleines Update dazu. Kurz danach war es dann so, dass AstraZeneca – also Vorgeschichte war ja: Am Montag hat AstraZeneca gesagt: Wir haben 79 Prozent

Wirksamkeit bei unserem Impfstoff bezüglich der Erkrankung, fast 80 Prozent. Und das klang ja super. Und das war der lang ersehnte Be- freiungsschlag sozusagen, um aus der zweiten Klasse der Impfstoffe in die erste Klasse zu kommen. Und dann kam sofort danach leider dieses Data Safety Monitoring Board und hat gesagt: Das stimmt alles gar nicht und legt erstmal die richtigen Zahlen auf den Tisch. Was ein extrem ungewöhnlicher Schritt war, muss man einfach sagen. Höchst ungewöhnlich, kann ich gleich noch etwas dazu sagen. Und dann (...) kam die Washington Post und hat am Dienstag dann eben gesagt: Wir kennen den Brief, den das Data Safety Monitoring Board an AstraZeneca geschrieben hat. Und das war dann eigentlich noch schlimmer für AstraZene- ca. Und zwar, ich geh einfach davon aus, dass die Washington Post da das richtig recher- chiert hat. Zur Erinnerung, das waren auch die, die den Watergate-Skandal damals aufgedeckt hat mit Präsident Nixon, also diese Zeitung, die wirklich in der Recherche extrem gut ist, die hat dann gesagt, es ist folgendermaßen gelau- fen: Das Data Safety Monitoring Board hat AstraZeneca vorher im Vertrauen in mehreren Sitzungen und auch schriftlich eben gesagt: Diese Daten könnt ihr so nicht veröffentlichen. Die sind zu hoch. Nach dem, was wir hier se- hen, habt ihr höchstens eine Wirksamkeit von 69 bis 74 Prozent. Also ich sage mal so grob in der gleichen Größenordnung, wie es schon immer war bei AstraZeneca – auch in der ers- ten Studie. Und wir wollen nicht, dass ihr da sozusagen anders rechnet, weil die Diskussion war vorher schon entbrannt quasi zwischen diesem Board und AstraZeneca. Man muss vielleicht erklären: Dieses Data Safety Monito- ring Board in Amerika, das ist eine Besonder- heit. Und zwar, die gucken in die Zahlen rein, während eine Studie läuft. Solche Studien sind ja Doppelblindstudien, diese Zulassungsstu- dien. Das heißt, weder der Arzt oder auch der Hersteller noch die Patienten wissen, ob sie das richtige Medikament bekommen haben. Und zu vorher definierten Zeitpunkten werden diese Studien, wie man sagt, geöffnet oder entblindet – und zwar meistens teilweise in einzelnen Schritten. Das will man vorher auf keinen Fall machen. Hauptsächlich, um zu ver- hindern, dass jetzt die Leute, die in der Kon- trollgruppe sind, plötzlich wissen, dass sie da

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drin sind oder das – aus verschiedenen Grün- den funktioniert die Studie dann nicht mehr. Und jetzt könnte ja sein, dass in diesem Zeit- raum plötzlich schwere Nebenwirkungen auf- treten oder irgendein Problem auftritt, wo man sagt: Das ist ganz fürchterlich, dass wir das nicht gewusst haben, hinterher. Und des- halb gibt es in den USA – das ist eine Einrich- tung, die es bei uns in Europa nicht so in der Art gibt, dieses Data Safety Monitoring Board. Das sind die Leute, die wirklich quasi unter den Teppich gucken können. Die ganze Zeit. Die sehen die Daten in Real Time, was der Herstel- ler nicht weiß und natürlich die Leute, die die Studien machen, auch nicht, um zu überwa- chen, dass nicht irgendwas passiert. Es könnte zum Beispiel im positiven Sinn auch sein, dass man während der Studie feststellt: Die Wirk- samkeit ist 100 Prozent. Und es ist deshalb total unethisch, die Kontrollgruppe weiterhin mit Kochsalzlösung zu impfen. Und solche Din- ge, die überprüfen die. Also das sind wirklich die Leute, die wissen, was los ist. Und die ha- ben AstraZeneca gesagt: Wir rechnen aber anders als ihr, ihr könnt es so nicht publizieren. Das heißt, die Leute, die es wirklich besser wissen als der Hersteller. Und daraufhin ist quasi als Reaktion daraufhin – anders kann man das nicht erklären – AstraZeneca an die Presse gegangen und hat seine Daten, die also im Widerspruch zu dem stehen, was das Safety Monitoring Board erklärt hat, öffentlich ge- macht (...). Lange Rede, kurzer Sinn. Unterm Strich ist es so: Jetzt beruhen die neuen Daten auf angeblich 190 Fällen, die AstraZeneca aus- gewertet hat. Beim letzten Mal waren es nur 141 und die Studie – nochmal zur Erinnerung – hat 32.449 Teilnehmer, also gut 32.000 Teil- nehmer, davon zwei Drittel geimpft mit dem Impfstoff. Und auf dieser Basis sieht es jetzt so aus, sagt zumindest AstraZeneca jetzt wiede- rum – ohne die Daten im Detail vorzulegen – dass sie eben nur noch 76 statt 79 Prozent hätten. Aber trotzdem wäre das natürlich su- per.

29:17

Camillo Schumann

Für den Normalanwender, wenn der hört: Wirksamkeit von 79 auf 76 Prozent. Das sind drei Prozentpunkte. Ja, mein Gott, ist doch gar nicht so viel. Wo ist jetzt das Problem?

Alexander Kekulé

Es ist genau, was Sie sagen. Also erstens, das Problem ist Folgendes: Bei den, auch bei den neuen Zahlen ist es wieder so, dass jetzt kur- siert, dass da es zwölf Fälle gegeben hätte. Ich glaube, zwölf waren es in der Größenordnung, jedenfalls unter 20 Fälle. Das heißt Personen, die sich infiziert haben, die jetzt auch in diesen neuen Zahlen noch nicht eingerechnet wur- den. Und man hat jetzt immerhin 190, das finde ich, ist schon eine ganz stramme Zahl – bei 32.000 Probanden insgesamt 190 Fälle. Keiner weiß aber, wie viele davon jetzt geimpft waren und wie viele davon ungeimpft waren, sodass man nicht – so wie bei den Studien von Moderna, wo wir das ja besprochen haben – sozusagen den Quotienten bilden kann und dann selber nachrechnen kann, ob das stimmt, weil AstraZeneca diese Zahlen nicht rausrückt. Und das Wichtigste dabei ist eigentlich Folgen- des: Also ich kann ja einfach mal sagen, was ich jetzt persönlich [denke] (Anm. d. Red.) – das ist natürlich ein bisschen mit Vorsicht zu ge- nießen. Aber meine Bewertung ist letztlich die: Es wird da bleiben wie bisher. AstraZeneca ist irgendwo im Bereich von 70 Prozent wirksam, schlechter als die RNA Impfstoffe. Vielleicht sind es auch 75 Prozent. Aber es wird deutlich unter den 95 Prozent von Moderna oder BioN- Tech/Pfizer bleiben. Es ist trotzdem natürlich ein hervorragender Impfstoff, weil: Es kommt ja nicht nur auf die Wirksamkeit bezüglich der Erkrankungen an, sondern es kommt auf die Frage an: Kann ich Todesfälle verhindern? Das ist ja das Entscheidende. Und da sind alle diese Impfstoffe extrem gut. Das heißt also, das ist eigentlich – und das zweite Wichtige ist: Mit den neuen Daten ist eigentlich völlig klar, dass auch die Alten gut geschützt sind. Also das es wirklich keinen großen Unterschied oder kei- nen messbaren Unterschied zwischen Jungen und Alten gibt bei diesen Impfstoffen – bei AstraZeneca genauso wie bei den anderen Impfstoffen. Das heißt, man kann diesen Impf- stoff auf jeden Fall bezüglich der Alten einset- zen. Das ist die gute Nachricht und die schlech- te Nachricht oder das Fragezeichen ist letztlich: Wir müssen ja bezüglich der beobachteten Nebenwirkungen, da gab es ja diese seltenen Nebenwirkungen. Wenn man die Daten aus Norwegen sich anschaut, da sind inzwischen fünf Fälle aufgetreten bei 120.000 Geimpften.

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Von den fünf sind drei gestorben. Alles, glaube ich, junge Frauen. Und das gibt aber dann ein Risiko von eins zu 25.000 ungefähr. Das heißt also, Kollege von mir hat ja immer gesagt, das Risiko ist höchstens eins zu 100.000. Jetzt ha- ben wir in Norwegen, wenn wir das runter- rechnen, schon eins zu 25.000. Das heißt, wir kommen langsam in so einen Bereich, wo man schon darüber nachdenken muss: Wie wichtig ist diese Nebenwirkung? Schließt man viel- leicht bestimmte Gruppen aus, wenn man es irgendwie kann? Da sind wir extrem darauf angewiesen, dass AstraZeneca – wenn ich es mal so sagen darf – die Hosen runterlässt und dass man wirklich die Zahlen sieht und dass man denen wirklich auch glaubt. Und die ame- rikanische Zulassungsbehörde, die FDA, die macht es so, dass sie sich die Zahlen selber anschaut. Also die gucken selber in die Origi- naldaten rein und machen sich selber ein Bild davon. Anders als die EMA, die europäische Behörde. Die trifft ihre Entscheidung auf Basis der Daten, die der Hersteller vorgelegt hat. Und aus diesem Grund – weil einfach aus Din- gen, die ich jetzt nicht nochmal rekapitulieren will, weil es inzwischen so eine lange Liste ist – weil AstraZeneca einfach sehr, sehr viele Feh- ler gemacht hat, zumindest in der Kommunika- tion. Vielleicht kann man auch sagen, sie haben die Zahlen bisschen hingebogen. Es ist einfach extrem wichtig für alle Fachleute, die sich da auskennen – auch international – dass die amerikanische Zulassungsbehörde, die jetzt unabhängig in die Zahlenreihen schaut, dass die Grünlicht gibt, und zwar möglichst bald. Aber das wird aufgrund dieser Versäumnisse jetzt länger dauern. Und in über 100 Ländern ist der Impfstoff zugelassen. AstraZeneca hat sich ja immer positioniert – und das auch zu Recht – als Impfstoff für die Welt, weil er eben bei niedrigen Temperaturen gelagert werden kann, billig ist. Die wollten ja auch einige hun- dert Millionen Dosen an COVAX verschenken. Also an diese Organisation, die den Entwick- lungsländern hilft. Das wäre also weltweit ext- rem wichtig, dass dieser Impfstoff quasi seine Reputation wieder gewinnt. Und das kann er nur, wenn die amerikanische Gesundheitsbe- hörde noch einmal unabhängig bei ihrer Prü- fung – also die FDA – zu dem Ergebnis kommt: Jawohl, der Impfstoff ist sicher wirksam und vertretbar. Und da habe ich jetzt die Befürch-

tung, dass das einfach viel länger dauern wird. Die ganze Studie ist ja gemacht worden, weil die FDA gesagt hat: Wir glauben euch das nicht, wir wollen weitere Daten. Und jetzt hat man die Daten und hat es an der Stelle so wie- der in die falsche Richtung gesteuert. „Oops, I did it again“, sagt man auf Englisch dazu. Das heißt, die Frage ist jetzt wirklich, wie die FDA reagiert. Und ich würde sehr, sehr hoffen, dass wir zumindest im Laufe des Monats Mai – das ist optimistisch gesagt – von der FDA die Zulas- sung bekommen in den USA. Das wäre dann das Zeichen, dass AstraZeneca – wenn ich es mal so sagen darf – von der zweiten Klasse in die erste Klasse aufgestiegen ist.

34:17

Camillo Schumann

Tja, und damit dann auch in Deutschland das Vertrauen wieder steigt – weil es gibt ja Mel- dungen, dass zig Tausende Dosen AstraZeneca, zum Beispiel auch in Berlin, auf Halde liegen. Da sind Hunderttausende Einladungen ver- schickt worden, aber die Menschen lassen sich nicht impfen. In dem Fall waren das eben jün- gere Menschen, Krankenhauspersonal, Polizis- ten etc. Also die lassen sich mit AstraZeneca nicht impfen, weil sie eben kein Vertrauen in diesen Impfstoff mehr haben. Und deswegen wäre sozusagen das Signal aus Amerika dann wichtig. Und dann müssten wir dann auch hier im Podcast dann auch nochmal ausführlich darüber sprechen und das dann auch nochmal einordnen.

Alexander Kekulé

Ich habe ja hier auch nicht die Zahlen alle auf dem Tisch liegen, weil die sind vertraulich. Auch das Paul-Ehrlich-Institut hat da nicht alle Details, die EMA eben auch nicht. Und wenn Leute aus den USA, die echte Profis sind – man kann sagen, in der Welt die besten, die sowas machen – wenn die da drüber gehen und sa- gen: Okay, wir haben es uns nochmal ange- schaut. Die Kommunikation war Mist, das wird ganz klar so bleiben, ja, aber die Zahlen sind vertrauenswürdig. Wir lassen das Ding jetzt zu für die USA. Das wäre dann für mich wirklich etwas, wo ich sagen muss – da bin ich dann auch bei meiner Beurteilung – auf jeden Fall kann ich jetzt schon sagen, würde ich da um- stimmen.

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35:29

Camillo Schumann

Oder am besten gar nicht impfen und die an- geborene Immunität, der das Ganze überlas- sen. Damit sind wir bei einem Mann, über den gerade gesprochen wird: Geert Vanden Bos- sche. Er hat, ja, sehr zugespitzte Aussagen getätigt, die im Netz sehr geteilt werden. Man kann sagen, er geht viral. Seine Aussagen wer- den hunderttausendfach geteilt und auch sehr viele Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts schreiben uns und wollen wissen, wie seine Aussagen einzuordnen sind. Denn er sagt näm- lich, man müsse die weltweite Impfkampagne sofort stoppen. Erst einmal grundsätzlich: Wer ist Geert Vanden Bossche? Er ist Virologe, hat sich jahrzehntelang mit der Produktion von Impfstoffen beschäftigt, tut es immer noch, hat auch für die Bill und Melinda Gates Ge- sundheitsstiftung gearbeitet. Also ein Mann, der jetzt nicht unbedingt im Verdacht steht, Impfstoffen kritisch gegenüberzustehen. Ken- nen Sie ihn? Was wissen Sie über ihn? Wie wird er in der Wissenschaft diskutiert und wahrgenommen?

Alexander Kekulé

Also, ich kannte ihn überhaupt nicht vorher und es gibt jetzt natürlich Leute, die – weil er so Richtung Impfgegner oder Impfkritiker ar- gumentiert – die sagen, dass er eigentlich bis- her nicht viel Wichtiges gemacht hat in der Szene. Aber ich würde jetzt, bin immer dage- gen, das so an Vorurteilen an der Person fest- zumachen, sondern man muss wirklich sich die Argumente anhören. Es kann auch sein, dass so eine Idee gut ist. Man muss sich wirklich die Argumente anschauen und nicht die Person.

36:49

Camillo Schumann

Das wollen wir mal gerade so ein bisschen machen, um es zumindest einzuordnen, wo seine Argumentation hingeht. Geert Vanden Bossche hat auf einer Keynote in Ohio einen Vortrag gehalten und auch einen offenen Brief an die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, geschrieben. Und er kritisiert die Massenimp- fung mit den neu entwickelten Impfstoffen bei den jungen Menschen. Grundsätzlich sind die Impfungen völlig okay, sagt er. Das waren her- vorragende Wissenschaftler, die diese Impf- stoffe entwickelt haben. Und es soll auch ge-

impft werden. Aber es sollen die Menschen geimpft werden, die ein besonders hohes Risi- ko haben, an der Krankheit Covid-19 zu ster- ben. Alle anderen bitte nicht impfen. Er fordert nicht weniger, als die Impfkampagnen zu stop- pen. Wenn dies nicht geschehe, sagt er, wür- den sich viel infektiösere Virusvarianten nur noch verstärken und schließlich ein Massen- sterben der Menschen verursachen. Sehr poin- tiert zugespitzt. Herr Kekulé, Sie waren ja auch überrascht, dass sich so schnell Mutationen gebildet haben. Sie dachten ja auch, dass so in ein, zwei Jahren das Ganze passieren könnte. Wir erleben auch Immunescape-Varianten, so unrecht scheint ja Vanden Bossche ja nicht zu haben. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, also alle Verschwörungstheorien haben ja ein Fünkchen Wahrheit in sich und knüpfen zumindest an wirkliche Begebenheiten an. Und das macht es ja auch immer so schwierig, aus- einander zu dividieren. Also was stimmt, ist, dass – und das ist ja so seine Kerntheorie – dass er sagt: Wenn ein Virus auf Menschen trifft, die immun sind oder teilimmun sind, dann verändert es sich und wird anders, wird infektiöser. So weit, so gut. Das ist richtig. Da haben Sie völlig Recht, dass das so schnell pas- siert ist, würde ich jetzt, ist für mich eine der größten Überraschungen in dieser Pandemie gewesen. Das andere ist aber jetzt die Frage: Haben wir irgendwelche Hinweise darauf, dass dieser Impfstoff – und das ist ja seine Theorie – dass dadurch 1.) das Virus auch gefährlicher wird? Also, weil es auf Geimpfte trifft, wird es gefährlicher, als wenn es auf natürlich Immuni- sierte treffen würde. Da kann man nur sagen: Nein, das ist überhaupt nicht ansatzweise ir- gendwo belegt. Aber das ist der Kern seiner ganzen Idee. Er sagt: Indem wir impfen, geben wir dem Virus die Chance, irgendwie sich so zu verändern, dass es gefährlicher wird. Also nicht ansteckender, sondern gefährlicher. Und das ist einfach Unsinn. Ja, also das wird auch über- haupt nirgendwo belegt, sondern im Gegenteil. Es ist ja so, dass die Viren im Laufe der Zeit – sozusagen im Wechselspiel mit dem Immun- system der Bevölkerung – eher langsam ab- nehmen an Gefährlichkeit. Vanden Bossche meint ja, es wird gefährlicher im Sinne, dass die Menschen mehr daran sterben. Das war ja so seine Idee. Und er hat auch einen Mecha-

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nismus dafür, er hat quasi eine Theorie dafür, weil er sagt: Was wir kaputt machen mit der Impfung – das ist die zweite Säule seiner Ar- gumentation – was wir kaputt machen mit der Impfung ist ja die natürliche, also die angebo- rene Immunität. Also er unterscheidet da so ein bisschen schematisch nach der angebore- nen Immunität und der adaptiven Immunität. Also der Antikörper und T-Zellen auf der einen Seite – das ist dann die adaptive – und der natürlichen Immunität, die auch Kinder haben, ohne Antikörper auf der anderen Seite. Und er sagt: Wenn wir quasi durch die Impfung dafür sorgen, dass es Antikörper gibt – um es mal so schematisch zu sagen – dann nehmen wir dem Körper die Möglichkeit, diese angeborenen Immunabwehrmechanismen auszuleben oder zu verbessern. Und er sagt sozusagen, dieses angeborene Immunsystem, das muss gut trai- nieren. Und dahinter steht – wenn man die Diskussion kennt – eigentlich so ein uraltes Argument der Impfgegner. Die sagen letztlich immer: Unsere natürliche Immunität ist viel besser als alles, was die Pharmaindustrie lie- fern kann. Und man macht durch diese Medi- kamente und durch diese Impfungen – das gibt es ja auch bei Schutzimpfungen im Kindesalter das Argument immer, das gesagt wird, indem wir da impfen, dann machen wir bei den Kin- dern die natürliche Immunität kaputt und dann wird alles viel schlimmer. Aber das ist ja eine Diskussion, die ist uralt und da gibt es über- haupt keine Belege in der Richtung, obwohl schon sehr, sehr lange danach geforscht wird. Und auch in diesem Fall kann ich nur sagen: Es ist völlig im luftleeren Raum, was er da argu- mentiert.

40:59

Camillo Schumann

Also, die vulnerablen Gruppen zu impfen und die Jungen nicht zu impfen und ihnen, ja, die Möglichkeit geben, sich selber anzupassen, ist sozusagen völlig abwegig?

Alexander Kekulé

Naja, es ist deshalb nicht ganz abwegig, weil wir zu wenig Impfstoff haben. Zum einen und zum anderen, weil das ja, das ist ja klar. Also ich bin ja absolut dafür, das wissen Sie, nur einmal die Alten zu impfen und fertig und dann zu warten, bis die Generation 2.0 bei den Impf- stoffen da ist. Weil wir damit das, was wir zur

Verfügung haben de facto, einschließlich Ast- raZeneca, am besten nutzen würden. Das Zweite ist, dass natürlich je nach Alter – und das finde ich, ist etwas, was wir ganz dringend in Deutschland auch machen müssen – je nach Alter braucht man eine differenzierte Nutzen- Risiko-Abwägung. Und wenn man jetzt gerade bei dem AstraZeneca-Impfstoff die Situation hat, dass ein Fragezeichen dran ist bei den Nebenwirkungen – vielleicht ist es eins zu 20.000, eins zu 50.000 – die sind aber de facto bisher nur bei jüngeren Leuten beobachtet worden. Dann muss man natürlich schon sa- gen: Wo ist mein Risiko bezüglich schwerer Nebenwirkungen? Wie sieht es mit der Reak- togenität aus? Und wie wäre das, wenn ich wirklich krank werde? Wie schlimm ist es für mich, wenn ich dann lebenslang keinen Ge- ruchssinn mehr habe? Ich sage mal so als Bei- spiel. Übrigens hätte ich gar keinen Bock drauf. Ja, fände ich ganz schlimm. Aber nicht nur kei- nen Geruchssinns, es gibt auch Leute, bei de- nen es so ist, dass dann alles wirklich genau nach Klo riecht. Also ganz fürchterlich. Aber jedenfalls: Diese individuelle Risiko- und al- tersbedingte Risikoabwägung, das finde ich, das müssen wir schon dringend machen. Und dieser Ansatz ist richtig. Aber was er macht, ist ja, dass er sagt: Die Impfung schadet. Das ist ja sein Credo, dass er sagt: Die Impfung schadet der natürlichen Immunabwehr, die bei jünge- ren Leuten – ohne Frage, das ist richtig – stär- ker vorhanden ist. Und dafür gibt es eben ab- solut keinen Beleg. Und glauben Sie mir, da bin ich wirklich tief in der Materie drin. Wenn es da irgendeinen Hinweis darauf gäbe, dann würde ich den kennen. Und er hat auch in sei- nem riesigen Papier – ich habe das natürlich jetzt, weil es in der Diskussion ist, habe ich mich da durchgequält durch diesen offenen Brief an die WHO – da ist ja nicht eine Anlage dabei, da ist nicht eine wissenschaftliche Refe- renz. Er plaudert da im Grunde genommen alles so quer durch das Gemüsebeet, wie man das am Stammtisch vielleicht machen würde.

43:19

Camillo Schumann

Er sagte ja auch, man impfe nicht, oder man impft nicht in eine Pandemie hinein. Das ler- nen Studenten schon in der ersten Impfstoff- klasse. Was sagen Sie denn dazu?

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Alexander Kekulé

Bei mir nicht. Also ja, man impft nicht in die Pandemie, in gewisser Weise, das kann man ja unterschiedlich interpretieren. Also wenn er das quasi als Regel formuliert, dann ist die Regel falsch, weil bisher gab es noch nie einen Impfstoff in der Pandemie. Das gab es einfach noch nie. Und wenn er sagt, man hat noch nie in die Pandemie rein geimpft, da muss man sagen: Ja. Also vielleicht, wenn ich jetzt irgen- detwas, eine minimale Ehrenrettung, also es ist so: Wo er natürlich recht hat, ist, dass das Ganze, was wir hier als Menschheit machen, ist ein globales Menschheitsexperiment. Wir ha- ben noch nie in eine Pandemie rein geimpft, weil wir noch nie so schnell einen Impfstoff hatten, dass er die Pandemie möglicherweise beenden kann. Und die Behauptung, dass wir die Pandemie mit der Impfung beenden könn- ten, die ist zu prüfen. Das ist etwas, was wir gerade ausprobieren. Sie wissen, dass ich der Meinung bin, dass es nicht geht, dass aber die Politik sagt: Wir werden Herdenimmunität erzeugen durch diese Impfung und dann ist der Spuk vorbei. Ich glaube, dass wir neue Varian- ten haben werden. Nicht wegen der Impfung, sondern wegen der vielen Menschen, die so- wieso immun werden. Auch wegen der Imp- fung, aber das würde so oder so passieren, die immer schwächer gefährlich werden, weil un- ser Immunsystem auch besser reagiert und dass das auf diese Weise halt dann so langsam unser Alltag wird. Das ist nicht ganz abwegig, weil wir haben genau diese Beobachtung zum Beispiel nach allen Grippewellen, nach allen Grippepandemie gehabt. Wir hatten ja Grip- pepandemie 1918, 1957, 1968 – das waren die drei großen Pandemien des zwanzigsten Jahr- hunderts. Und da haben wir das genauso beo- bachtet. Und deshalb ist es für mich relativ klar, dass das Wechselspiel zwischen Virus und Immunsystem so laufen wird, dass das Virus so langsam weniger gefährlich wird. Aber wir werden nicht die Pandemie beenden, sondern das Virus wird bleiben. Insofern hat er irgend- wo Recht, dass er sagt, diese Ansage – wir können da rein impfen und das ist dann weg – diese Ansage ist natürlich etwas, wo ich auch nicht ganz dran glaube. Aber das dann umzu- drehen und zu sagen: Die Impfung macht's gefährlicher, als es durch die natürliche Infek- tion laufen würde. Das halte ich für absolut

falsch. Weil unterm Strich einfach – gerade bei den Risikogruppen – natürlich die Impfung wesentlich weniger Todesopfer fordert als die natürlichen Infektionen. Und weil wir auch unsere Risikogruppen – das ist einfach Fakt – in Europa, auch in den USA, nur dann effektiv schützen können, wenn beim Rest der Bevöl- kerung die Inzidenz nicht zu hoch ist. Und das sehen wir ja immer wieder. Also wenn die Inzi- denzen im Bereich bleiben, wo wir so halbwegs das unter Kontrolle haben, dann sind auch die Risikogruppen gut zu schützen.

46:10

Camillo Schumann

An Sie jetzt der Aufruf an die Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts. Wenn Sie, ja, wenn Ihnen Dinge auffallen, wenn Sie durchs Inter- net geistern oder von Kollegen oder von Be- kannten Links bekommen haben und sagen: Mensch, das ist ja interessant, hört sich für mich plausibel an, hätte ich auch gern mal eingeordnet. Schicken Sie es uns und wir wer- den dem dann nachgehen. Wir gehen jetzt auch einer Sache nach, es geht um Schnelltests und um, ja, falsch-negative beziehungsweise falsch-positive Schnelltests. In Ausgabe 162 hatte ja eine Mutter berichtet, dass von den 158 Schnelltests, die an der Schule ihres Soh- nes gemacht wurden, 28 positiv waren. Und im PCR-Nachtest waren dann alle negativ. Viele Hörerinnen und Hörer haben das gehört und dann auch ihre Erlebnisse geschildert, denn ganz vielen ging es genauso – wie zum Beispiel diesem Hörer:

„Ich als Kirchenmusiker wende die Antigen- Schnelltests unterschiedlicher Hersteller auf Ihre Empfehlung hin seit vergangenen Dezem- ber an und oft in kalten Kirchen oder im Freien – wegen der Ansteckungsgefahr. Und wir ha- ben dabei bei einigen dieser Tests festgestellt, dass sie falsch-positive Ergebnisse anzeigen, wenn die Umgebungs- und Lagerungstempera- tur unter acht Grad Celsius ist. Nicht alle Tests sind temperaturempfindlich, aber eben dann doch einige. Also, da man ja oft die Tests im Freien oder in kalten Umgebungen durchführt, muss man tatsächlich wahrscheinlich sehr auf die Umgebungstemperatur achten, da die Tests anscheinend da sehr sensibel darauf reagie- ren.“

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Ja, auch eine Ärztin hat uns geschrieben, die 300 Tests gemacht hat – auch im privaten Be- reich. Und da ist ihr aufgefallen, sie hat das immer draußen auf der Terrasse gemacht und hat dann Ähnliches berichtet. Also sozusagen: Die Temperatur bei Schnelltests. Enorm wich- tig, gibt auch eine Studie dazu. Wie bewerten Sie das Ganze?

Alexander Kekulé

Also in jedem von diesen Schnelltests steht – das gilt ganz allgemein für solche Labortests – steht quasi ganz oben in der ersten Zeile drin- nen: Bitte nehmen Sie die Reagenzien aus der Packung und bringen Sie sie auf eine Tempera- tur von – und dann ist meistens so Raumtem- peratur [angegeben] (Anm. d. Red.), also meis- tens steht da 22 bis 28 Grad oder so. Irgend so ein Bereich wird immer angegeben. Und das ist das A und das O, dass die Tests vorher auf die- se Solltemperatur gebracht werden, weil na- türlich – und das ist ein uraltes Thema: Wir wissen, dass, wenn man bei der falschen Tem- peratur arbeitet, sei es zu hoch oder sei es zu niedrig, diese Antigen-, Antikörpertests – und das ist ja bei dem Schnelltest so, dass Antikör- per, die da auf so einer Membran sind, mit dem Virus-Antigen reagieren – dass diese Tests bei falschen Temperaturen zum Teil an Sensiti- vität verlieren und zum Teil an Spezifität verlie- ren – je nachdem, in welche Richtung sie ge- hen.

48:59

Camillo Schumann

Und jetzt ist das etwas, was man ja eigentlich wissen sollte, weil es steht ja auch da nieder- geschrieben. Und ist das denn so sklavisch zu sehen, sodass man da extrem aufs Thermome- ter achtet? Also, dass es wirklich die 15 bis 25, 30 Grad [hat] (Anm. d. Red.)? Oder ist es dann auch okay, wenn man eben so ein bisschen Angst hat, naja, ich möchte das eigentlich in einem durchlüfteten Raum tun, um sich dann auch nicht anzustecken, dass man sagt: Naja gut, zehn bis 15 tun es auch?

Alexander Kekulé

Also der Temperaturbereich ist ja relativ groß- zügig. Da steht ja jetzt nicht nur so eine Mini- Angabe drinnen, also so ein Minibereich, den sollte man schon einhalten. Also, ich kann ja nochmal so, wer da biologisch ein bisschen Interesse daran hat: Woran liegt das über-

haupt? Das ist ja so: Es reagiert ja ein Antikör- per mit einem Antigen. Und wenn das gut zu- sammenpasst – wie Schlüsselloch und Schloss, lernt man in der Schule immer – dann gibt es eine Reaktion und dann zeigt das an: Das Virus ist da. Jetzt kann man sich vorstellen, dieses gut passen und schlecht passen, das hängt extrem von der Temperatur ab. Wir erinnern uns ja in der Schule an die Brownsche Moleku- larbewegung. Das war das, was man unter dem Mikroskop, dieses zappeln von irgendwel- chen Pollenkörnern, die man sieht. Das kommt durch Wärme. Also bei Wärme zappeln die Moleküle einfach stärker. Die (...) haben ein Wärmezittern. Physikalisch gesehen ist Wärme eigentlich nichts anderes als dieses Zittern der Moleküle. Und wenn Sie sich das vorstellen, zwei so, Antigen und Antikörper sollen zusam- menpassen, aber beide zappeln die ganze Zeit, dann ist es eben so, dass sie weniger, dass das weniger gut funktioniert. Und wenn es kalt ist und die bewegen sich ganz wenig dabei, dann funktioniert es besser. Dann würden also viel- leicht auch mal ein Antigen und ein Antikörper zusammenpassen – also scheinbar zusammen- passen – die eigentlich gar nicht miteinander reagieren sollen. Und deshalb ist es so, dass wir schon immer wissen: Wenn es kalt ist und die Moleküle sich langsam bewegen, dann haben wir viele falsch-positive, weil eben es zu Bindungen kommt, die eigentlich gar nicht vorgesehen sind in dem Test. Und wenn es sehr warm ist und die Moleküle bewegen sich zu schnell, dann finden auch solche nicht zu- sammen, die eigentlich zusammenfinden soll- ten. Und deshalb ist die Sensitivität der Tests geringer. Letzteres ist ein Riesenproblem, Dau- erbrenner seit Jahrzehnten bei der WHO, die ja Tests haben will, die schnell und billig und überall verfügbar sind für die Tropen, für die Entwicklungsländer. Und da haben wir bei den ganzen Tropenkrankheiten, also sei es Dengue- Fieber oder Malaria, oder was es alles so gibt dort, Trypanosomen – da haben wir überall das gleiche Problem. Es ist bannig heiß und die Tests wurden aber entwickelt irgendwo in den kühlen Ländern des Nordens, wo das Geld und die großen Forschungsinstitute sind. Und dann karrt man die in die Tropen und wundert sich, dass die Sensitivität so in den Keller geht, weil das eben mit der Temperatur zusammenhängt. Und das ist ein uraltes Thema. Und die andere

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Richtung haben wir natürlich auch, dass wir eben wissen: Wenn man das Zeug aus dem Kühlschrank nimmt – das weiß jede MTA [me- dizinisch-technische Assistenz] (Anm. d. Red.) im Labor – und dann sofort verwendet, dass das natürlich nicht geht, sondern man muss das vorher auf Raumtemperatur bringen. Ganz wichtiges Thema bei den Selbsttests, natürlich, weil da Menschen plötzlich zu Laborpersonal werden, die diese Schulung nicht mitgemacht haben.

52:07

Camillo Schumann

Das ist ja eben genau der Punkt und deswegen schreiben uns so viele Hörerinnen und Hörer, dass sie ja das erste Mal in ihrem Leben mög- licherweise mit so einem Test konfrontiert sind. Und dann geht man natürlich dann erst- mal raus, weil da das Infektions- und Anste- ckungsrisiko eben sehr gering ist. Aber man muss dann eben darauf achten, welche Umge- bungstemperatur herrscht. Aber ich habe schon gesehen, nächste Woche um die fast 20 Grad in einigen Teilen Deutschlands, da kann man die Tests dann wieder draußen machen. Das ist ja kein Problem.

Alexander Kekulé

Es gibt jetzt auch eine aktuelle Studie dazu. Das wird ja parallel weltweit untersucht, wie diese Schnelltests funktionieren. Und eine Studie kommt sogar gerade aus Berlin, aus dem Labor des Kollegen Drosten, der ja da wirklich bei den Tests für Coronaviren weltweit also eine Kory- phäe ist. Und da haben die insgesamt elf Tests, die so für Schnellverfahren eben zugelassen sind – solche Antigen-Schnelltests – miteinan- der verglichen und haben tatsächlich bei zwei Tests auch festgestellt, dass die – insbesondere bei kalten Temperaturen – nicht mehr funktio- nieren, dass da falsch-positive Ergebnisse kommen. Zu der Studie will ich noch eins dazu sagen: Die ist natürlich jetzt, es dauert einfach Ewigkeiten, bis man das gemacht hat. Da muss man das Virus anzüchten. Da muss man das Ausprobieren und vergleichen. Die haben da sicher schon lange dran gesessen und konnten nicht wissen, welche Tests in Deutschland dann überhaupt für die Eigenanwendung zuge- lassen werden. Und bei den Tests, die dort untersucht wurden, ist es leider so, dass keiner der dort untersuchten Tests in Deutschland für

die Eigenanwendung zugelassen ist. Also, das heißt also, die zwei, die dort durchgefallen sind – das kann man ja relativ offen sagen: Der eine ist der Panbio-Test von Abbott, steht auch in der Studie so. Es ist natürlich ein Preprint, aber wohl schon akzeptiert von einem renommier- ten Journal. Das eine ist der Panbio-Test von Abbott, der ist in den USA auch schon ange- zählt. Schon lange, da mussten schon Chargen zurückgenommen werden, weil der falsch- positive Tests gemacht hat. In Deutschland nicht so verbreitet, aber auch Anwendung nur durch Fachpersonal. Und der andere heißt ActivXpress – den kennt man hier in Deutsch- land kaum – von der Firma Edinburgh Genetics in Schottland. Der wird international zum Teil von der WHO empfohlen, ist aber in Deutsch- land meines Wissens gar nicht auf dem Markt. Also falls jemand von dieser Studie dann hören sollte – es kann schon sein, dass die die nächs- ten Tage publik wird – da ging es eben um Tests, die bei uns gar nicht auf dem Markt sind. Aber man kann aus den Gründen, die ich vor- hin gesagt habe, das natürlich verallgemeinern und deshalb ganz allgemein sagen für uns in Deutschland: Mit 30 Grad ist im Moment nicht zu rechnen. Aber Kälte sollte man definitiv vermeiden, wenn man den Test macht und falsch-positive nicht haben will.

54:48

Camillo Schumann

Und diese Studie, die Professor Kekulé gerade angesprochen hat – sowie alle anderen Stu- dien, die wir hier besprechen – sind natürlich dann auch in der Schriftversion dieses Podcasts dann auch verlinkt. Wir kommen zu den Hörer- fragen. Diese Apothekerin, das ist die Frau W. aus Hannover, hat eine Beobachtung gemacht bei sich in der Apotheke und dementspre- chend folgende Frage:

„In meinem Apotheken-Alltag, vor allen Dingen vorgestern, kamen zwei junge Frauen kurz hin- tereinander, die im Wartezimmer sich mit an- deren Impflingen unterhalten haben und da grassierte der Tipp, man solle Ibuprofen gleich schon prophylaktisch nehmen zur Impfung. Ich habe der jungen Patientin – es war die Impfung AstraZeneca – abgeraten von Ibuprofen und Paracetamol ihr mitgegeben, weil der Entzün- dungshemmer meines Erachtens kontraproduk- tiv bei einer Impfung wäre. Bitte korrigieren Sie

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mich, falls das nicht richtig war. Um eine Ant- wort wäre ich sehr dankbar, damit ich in Zu- kunft meinen Kunden das Richtige sagen kann.“

Übrigens, das sagen ganz, ganz viele, also auch im Freundes- und Bekanntenkreis, Kollegen berichten genau das.

Alexander Kekulé

Oh weh, also ich würde das nicht machen, ganz ehrlich gesagt. Es ist ja so: Wir haben ja vorhin ausführlich über die Schwierigkeiten bei so Wirksamkeitsstudien von Impfstoffen gespro- chen. Egal, welcher das ist. Das sind alles Stu- dien, die gemacht wurden, ohne dass die Leute irgendwelche Entzündungshemmer genom- men haben. Egal, ob das Ibuprofen oder Para- cetamol ist. Und deshalb weiß wirklich nie- mand auf der Welt, wie wirksam dann die Imp- fung ist, wenn man – wenn ich mal so sagen darf – die Reaktogenität – so nennen wir das ja, was da passiert, diese Impfreaktion, die man so spürt und sieht – wenn die ein bisschen genommen wird. Also in Richtung Nebenwir- kungen vermeiden: Mag schon sein, dass man sich jetzt am nächsten Tag dann besser fühlt und kein Fieber oder weniger Fieber hat. Aber ich würde dringend davon abraten, vor einer Impfung sowas zu nehmen. Wenn es jetzt so sein sollte, dass man wirklich am nächsten Tag – und das berichten ja viele. Übrigens: Bei allen Impfstoffen kommt es vor, bei AstraZeneca möglicherweise etwas häufiger. Wenn man da wirklich Fieber hat und total platt ist und sagt: Jetzt tut mir aber alles weh, jetzt brauche ich ein Medikament, das will ich nicht durchste- hen. Wenn man dann am nächsten Tag was nimmt, dann würde ich mal sagen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwie den Impferfolg konterkariert, wesentlich geringer. Aber ich würde dringend davon abraten, vor der Impfung irgendetwas zu nehmen, weil man einfach nicht weiß. Stellen Sie sich vor, sie sen- ken dann den Impferfolg von 70 Prozent auf 40 Prozent. Das ist ja auch nicht das, was Sie wol- len. Und ich kann nur sagen, ich kenne auch viele, die dann hinterher ein bis zwei Tage platt waren, wie man so sagt. Aber wenn man es vorher weiß, lassen Sie sich halt dann am Samstag impfen oder am Freitag. Oder neh- men sie sich im Notfall danach zwei Tage frei oder sprechen Sie das mit dem Arbeitgeber ab. Da müssen wir jetzt einfach durch, ja. Das ist –

kann ich nur noch mal sagen – bei vielen Imp- fungen so, die jetzt nicht so verbreitet sind, dass man danach Nebenwirkungen hat und es vorher weiß. Früher waren das Leute, die Tro- penreisen machen wollten. Die haben dann solche exotischen Impfungen auf sich genom- men. Und in diesem Fall müssen wir das halt machen, um diese Pandemie zu bekämpfen. Aber ich kann versprechen: Nach zwei Tagen ist es wirklich vorbei und deshalb lieber nichts nehmen und durchhalten.

58:17

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 164, vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann wieder zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Gerne. Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audio- thek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema nochmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sen- dung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 23. März 2021 #163: Hörerfragen

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Beschluss des Bund-Länder-Treffens als pdf (23.03.)

https://www.bundesregierung.de/resource/bl ob/997532/1879672/2854753dbc7549432db7 f0bba94e8c0f/2021-03-22-mpk- data.pdf?download=1

Pressemitteilung Astrazeneca (22.03.)

AZD1222 US Phase III trial met primary efficacy endpoint in preventing COVID-19 at interim analysis (astrazeneca.com)

Setllungnahme des National Institute of Allergy and Infectious Diseases zu Astrazeneca (23.03.)

NIAID Statement on AstraZeneca Vaccine | National Institutes of Health (NIH)

Camillo Schumann

Dienstag, 23. März 2021.

Erweiterte Ruhephase zu Ostern, Lockdown bis 18. April – die Beschlüsse der Ministerpräsi- denten und Ministerpräsidentinnen und der Kanzlerin in der Bewertung.

Dann: Bayerns Ministerpräsident Söder sagt: „Wir leben in der wahrscheinlich gefährlichs- ten Phase der Pandemie überhaupt.“ Ist das Angstmache oder Realität?

Dann die neue Studie zur AstraZeneca – sind damit alle Bedenken vom Tisch?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Modera- tor bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag ha- ben wir einen Blick auf die aktuellen Entwick-

lungen rund um das Coronavirus. Und wir be- antworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Ale- xander Kekule.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé!

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Dann fangen wir mal mit dem wichtigsten überhaupt an: den Beschlüssen der Länder und der Kanzlerin und wie es in Deutschland in der Pandemie weitergehen soll. Und es war eine Marathonsitzung. Insgesamt 15 Stunden wur- de gesprochen, gestritten, wieder vertagt. Ergebnis: Deutschland fährt Ostern komplett runter. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder fasst das so zusammen

„Ja, das war eine schwere Geburt. Wir haben nichts übers Knie gebrochen, aber wir haben am Ende, und deswegen bin ich auch erleich- tert, dieser schweren Zeit eine klare Linie ge- funden. Wir gehen heute nicht mit einem schlechten Gewissen oder einem unguten Ge- fühl aus der Runde, sondern das, was wir be- schlossen haben, ist aus meiner Sicht eine klare Linie. Der klare Kurs. Das Team Vorsicht hat sich insgesamt durchgesetzt, und zwar bei al- len.“

Tja, Team Vorsicht hat sich durchgesetzt. Von Lockerungen, gar Urlaub – keine Rede mehr. Keine Gastro, keine Hotels, keine Ferienwoh- nung, keine Mobilität, keine Gottesdienste zu Ostern. Wie bewerten Sie diese Notbremse zu Ostern?

Alexander Kekulé

Ja, und da hatte man in der Situation, glaube ich, keine andere Wahl. Ich hätte wahrschein- lich sogar mehr Maßnahmen erwartet. Und ich bin sehr gespannt, wie das die einzelnen Bun- desländer dann in der Umsetzung sehen. Wir haben ja bei den letzten Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten immer erlebt, dass spätestens 24 Stunden später – wenn man sich dann ausgeschlafen hat nach der anstrengenden Diskussion – die Ministerpräsi- denten vor die Presse getreten sind und ihre individuelle oder landesspezifische Lesart ver- kündet haben.

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Camillo Schumann

Ich wollte gerade sagen: Heute sitzen die Staatskanzleien dann zusammen und dann noch mal die einzelnen Regierungen. Was meinen Sie, weil Sie gesagt haben, Sie hätten sich sogar noch mehr Maßnahmen oder hätten noch mehr Maßnahmen erwartet. Was denn z.B.? Welche Maßnahmen gibt es denn noch?

Alexander Kekulé

Naja, das Problem ist hier ja, dass wir aus mei- ner Sicht insgesamt – und ich glaube, das hat die Runde ganz genauso gesehen, das kann man schon so raushören. Wir haben inzwi- schen unstreitig das Problem an den Arbeits- plätzen. Da ist die Frage, soll man da weiter regulieren oder nicht? Offensichtlich hat man sich entschieden, das nicht anzufassen, und es bei den Appellen an die Arbeitgeber zu belas- sen. Aber dass das eine offene Flanke ist, ist, glaube ich, bekannt. Die Sache mit dem Home- office z.B. hat sich nicht durchgesetzt. Die Masken werden nicht überall getragen. Wir haben zweitens die offene Flanke Schulen. Da ist es so, dass ja auch nicht so glasklar ent- schieden worden ist, unter welchen Bedingun- gen Schulen geöffnet werden können, wann getestet werden muss, sondern da ist viel Fle- xibilität für die Länder letztlich noch drinnen. Und das Hauptproblem aus meiner Sicht, die dritte Baustelle – wenn man so sagen darf, die Hauptbaustelle – ist eigentlich: es ist offen- sichtlich, dass die Maßnahmen deshalb nicht mehr funktionieren, weil die Bevölkerung nicht mehr mitmacht, also weil die Compliance, wie man das in der Medizin nennen würde, nicht mehr vorhanden ist. Und jetzt ist die grund- sätzliche Frage, wenn jemand nicht gehorcht, wenn ich das mal so pädagogisch formulieren darf, was hilft dann? Hilft es, wenn man die Daumenschrauben anzieht? Ja oder nein. Und man hätte natürlich sagen können: Gut, nächt- liche Ausgangssperren, das war ja vorher in der Diskussion, könnten hier helfen. Hintergrund [ist] eben die Idee, dass viele Leute sich einfach überhaupt nicht mehr an die Regeln halten oder zumindest ein Teil der Bevölkerung, und der dann auch verantwortlich ist für einen Großteil der neuen Infektionen. Und die Frage ist halt, wie kommt man denen bei? Macht man da eine Ausgangssperre z.B.? Oder ist es sinnvoll, Urlaub zu verbieten? Stichwort Mal- lorca ist ja eine Riesendiskussion. Was machen

die Deutschen, wenn sie dann in Mallorca im Urlaub sind? Haben sie dann das Gefühl, hier können wir jetzt die Sau rauslassen? Oder ver- halten sie sich genau so vernünftig wie zu Hau- se? Das ist so das Grundproblem. Und ich glaube, da hat man sich letztlich nicht dazu entschlossen, die Daumenschrauben enger anzuziehen. Meine Vermutung ist, weil man irgendwie auch erkannt hat, dass das keinen Sinn hat, weil jemand, der sowieso bockt, wenn man den noch strenger an die Kandare legt, dann führt das nur zu noch mehr Frei- heitsbewegungen.

04:55

Camillo Schumann

Weil sie gerade die Compliance angesprochen haben: Ich glaube, das ist so ein sehr diffuses Bild in Deutschland, egal welche Umfrage man liest. Es gibt es eine, die sagt die Mehrheit gegen Lockerungen der Corona-Regeln. Dann gibt es wieder Umfragen, die sagen, deutliche Mehrheit gegen Verschärfung der Regeln. Also es ist sozusagen auch für die politischen Ent- scheider schwierig „zu lesen“, wie die Compli- ance tatsächlich ist. Also ob die Menschen sich noch mitgenommen fühlen, oder nicht.

Alexander Kekulé

Also mein Eindruck ist, dass Politiker – ich darf ja häufig mal mit solchen Vertretern dieser Berufsgruppe sprechen – zumindest wenn es jetzt dann von der Landesebene noch weiter runter geht, schon relativ genau wissen, was so in ihrem Bereich los ist. Viel besser als Epide- miologen – wenn ich das mal so sagen darf. Also ich, bin da sicher viel weiter weg. Aber für mich ist folgende Überlegung von Bedeutung: Wenn wir so eine Großstadt haben und sie machen eine Umfrage in Berlin o.Ä., dann ver- wischt sich natürlich genau der Teil der Bevöl- kerung, die sich an die Regeln halten, mit dem Teil der Bevölkerung, die sich nicht daran hal- ten. Sie kriegen das nicht auseinanderdividiert, und dadurch kriegen Sie solche Mittelwerte oder, wie sie auch gerade schildern, wider- sprüchliche Umfrageergebnisse. Ganz gut kann man aber hinschauen, dann, wenn sich das regional differenziert. Und da gibt es ja durch- aus interessante, finde ich, epidemiologische interessante Experimente, die wir in Deutsch- land machen. Ich nenne es mal „Experimente“. Und zwar, wenn sie mal hinschauen. Bestimm-

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te Landkreise – z.B. in Brandenburg oder Sach- sen haben wir da so Kandidaten, ich nenne die jetzt mal nicht, aber die sind ja in der Presse bekannt – die haben dann plötzlich wahnsinnig hohe Inzidenzen. Die schießen also völlig übers Ziel hinaus mit weit über 200. Und wenn man da dann genauer hinsieht, ist es so, dass dann natürlich der Landrat oder der lokale Bürger- meister schon relativ genau weiß, welche Teile seiner Bevölkerung dort das sind, die die ho- hen Zahlen verursachen. Also ich sage mal z.B. so richtige Corona-Leugner, die sich in man- chen Regionen festgesetzt haben und die ein- fach überhaupt nichts mehr mitmachen. Die nicht zum Arzt gehen, wenn sie Symptome haben. Die weit davon entfernt sind, irgend- welche Nachverfolgung durch die Gesund- heitsämter zu unterstützen. Und wenn man das also in solchen bestimmten Regionen, in kleineren Regionen ganz gut auseinanderdivi- dieren kann, dann kommt immer das gleiche Bild raus, was man dort hört, dass bestimmte Teile der Bevölkerung sind, die einfach inzwi- schen da eine Hornhaut haben. Die machen dann nicht mehr mit, die hören ja gar nicht mehr zu. Die hören auch unseren Podcast nicht. Die sind einfach extrem schwer erreich- bar, und die Frage ist, wie man ausgerechnet diese Teile der Bevölkerung, die schwer er- reichbar sind und die zugleich aber wesentli- che Treiber der Pandemie sind, wie man damit umgeht. Und letztlich ist das, was man machen muss, eben nachdenken über Maßnahmen, die eben sozusagen mit Autorität arbeiten, weil das am Ende des Tages das letzte Mittel des Staates ist, hier dann die Infektionen in den Griff zu bekommen.

07:55

Camillo Schumann

Noch einmal gefragt, weil Sie gesagt haben, sie hätten sich sogar ja noch drastischere Maß- nahmen gedacht, dass die beschlossen wer- den, welche z.B.?

Alexander Kekulé

Naja, ich jetzt z.B. überrascht, dass man jetzt das Stichwort Mallorca komplett offengelassen hat, dass man da jetzt von Deutschland aus munter hinfliegen kann und Urlaub machen kann. Man kann den mallorquinischen Behör- den in keiner Weise vorwerfen, dass sie das nicht in den Griff bekommen werden, wenn da

zig Tausende Deutsche einfallen über Ostern. Was die da machen oder nicht machen. Da sind die Behörden völlig überfordert, das ist jetzt schon klar. Und wir werden da natürlich zumindest in Teilen der Urlauber dort wieder ein Infektionsgeschehen haben. Das ist völlig unvermeidbar. Und wenn man dann sagt: Okay, wir testen die, wenn sie am Flughafen zurückkommen – da ist ja das alte Problem mit der Inkubationszeit. Das sagt eigentlich nicht so viel aus, und die werden ja danach nicht in Quarantäne gebracht. Und das hätte ich wahr- scheinlich erwartet. Jetzt mal so als ein Bei- spiel, dass man sagt, okay, wer von dort zu- rückkommt, der muss hinterher in Quarantäne. Genauso wie es bei Risikogebieten ist, weil das hat sich ja inzwischen, glaube ich, auch allge- mein durchgesetzt, dass man jetzt schon hin- schauen muss, was die Menschen im Urlaub machen. Und wenn sie irgendwo in ein Ferien- haus fahren und kaum Kontakt haben, also den sogenannten kontaktarmen Urlaub haben, wie die Politiker das zurzeit nennen, wenn sie dann zurückkommen, ist die Infektionsgefahr relativ gering. Aber wenn sie natürlich nach Mallorca fahren, was also traditionell jetzt nicht so, sage ich mal, die Hochburg des kontaktarmen Ur- laubs ist, dann ist einfach das Infektionsrisiko der Deutschen untereinander dort relativ hoch. Ich glaube, die im mallorquinischen Be- hörden behaupten ja, dass bei ihren Einwoh- nern die Inzidenz irgendwie im Bereich von 30 liegt, das wäre natürlich sehr gering. Ich weiß nicht, wie viel die da testen. Aber es ist so, dass wir fest davon ausgehen können, dass es unter den deutschen Touristen, die ja auch gerade in Mallorca häufig unter sich sind, dass es da drunter natürlich zu Infektionen kommen wird. Und das ist so ein Beispiel, wo ich mich ein bisschen gewundert habe, dass man auf der einen Seite jetzt quasi solche Reisen nicht wei- ter reglementiert, es dann wohl auch den Fluggesellschaften überlässt, diese Tests zu machen, und andererseits im Inland Ferien- wohnungen z.B. nicht ermöglicht.

10:24

Camillo Schumann

Die Inzidenz auf Mallorca ist jetzt wieder ge- stiegen, während wir uns hier unterhalten haben. Und die mallorquinischen Behörden überlegen auch in dieser Woche wieder, was erst wieder erlaubt wurde, also die Innenräu-

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me von Cafés, auch wieder zu schließen. Also da gibt es auch was. Und die Kanzlerin hat ja auch gesagt, dass es rechtlich nicht ganz so einfach ist, mit Mallorca umzugehen. Also, sie hätte sich ja auch für eine Quarantänepflicht quasi für alle Auslandsdestinationen ausge- sprochen.

Alexander Kekulé

Ja, nicht für alle. Aber jetzt also, das müsste man im Einzelfall prüfen. Aber eben aufgrund der jetzt gemeldeten niedrigen Inzidenz von Mallorca zu schließen, das ist kein Risikogebiet mehr und deshalb braucht ihr keine Quarantä- ne, wenn ihr zurückkommt, das geht für mich an der Sache vorbei. Weil man eben berück- sichtigen muss, wie verhalten sich die Men- schen dort? Und wenn Sie jetzt, ich sag mal, die Schweiz ... Das ist ja ein Hochrisikogebiet. Oder auch Tirol, das ist sogar ein Mutationsge- biet. Daran gibt es ja sehr strenge Auflagen nach der Rückreise, was auch ein bisschen, sage ich mal, so eine kleine pädagogische Maßnahme ist, um den Leuten klarzumachen, dass sie sich noch mal überlegen sollen, ob sie da wirklich Urlaub machen wollen, weil sie die Quarantäne danach einplanen müssen. Und da ist es unter Umständen, wenn man jetzt dort kontaktarmen Urlaub macht, ich sag mal, man sitzt auf einer Alm irgendwo in den Alpen... Das ist eigentlich völlig ungefährlich. Und wenn sie jetzt nicht gerade in Ischgl im Discokeller sind. Und mein Eindruck ist, dass es eben das Glei- che ist, was wir vor genau einem Jahr in den Osterferien besprochen haben. Es kommt eben darauf an, was sie in den Ferien machen und was sie für Kontakte haben. Und da halte ich Mallorca doch für ein gefährlicheres Pflaster als irgendeine Hütte im Gebirge.

Camillo Schumann

Da hätte man ja doch bei uns auch die Ferien- wohnungen öffnen können. Jetzt über Ostern beispielsweise – da geht da gar nichts mehr.

Alexander Kekulé

Das hängt eben mit der grundsätzlichen Ein- stellung zusammen: Welchen Eindruck hat die Politik von der Bevölkerung bzw. von dem Teil der Bevölkerung, wo die Infektionen stattfin- den. Da würde der gesunde Menschenver- stand sagen: eine Ferienwohnung könnte man aufmachen. Das war ja wohl auch eine Diskus- sion, angeblich unter den Ministerpräsidenten

also in Mecklenburg-Vorpommern, Nieder- sachsen usw., also die Nordländer, die da na- türlich sagen: Bei uns gibt es ja gar keinen Grund, nicht in die Ferienwohnung zu fahren. Die haben ja dieses Argument geführt. Und die Frage ist halt letztlich, wenn man das erlaubt, welche Kollateraleffekte treten da ein? Treffen sich die Menschen, wenn sie in den Urlaub fahren? Treffen die sich dann abgesehen von dem Bezug der Ferienwohnung auch außer- halb? Oder treffen die sich heimlich in der Ferienwohnung illegal? Ist ja die gleiche Dis- kussion, die wir haben bei den Geschäften. Ich glaube, es ist inzwischen relativ klar, dass, wenn man das vernünftig organisiert, z.B. die- ses Online-Shopping, also ich sehe da wirklich kein Risiko. Was soll da gefährlich sein, wenn das Online-Shopping vernünftig gemacht wird. Also mit vorheriger Anmeldung geht man ir- gendwo in den Laden und holt sich was ab, was vielleicht sogar vorbestellt wurde. Das machen die Schweizer schon ziemlich lange auch er- folgreich.

Ich glaube auch, dass jetzt unsere Politiker da nicht eine andere Meinung haben. Aber es ist so, dass die Frage halt immer gestellt wird, wenn wir eben den Leuten erlauben, dann in diesem Zusammenhang in die Innenstädte zu gehen, was machen die dann drumherum? Wenn wir den Leuten erlauben, in Freiluft- Gastronomie zu gehen, und das unter guten strengen Auflagen öffnen, was ja durchaus möglich wäre, infektiologisch gesehen, wie wirkt sich das dann außenrum aus? Oder schafft man das dann zu verhindern, dass es dann zu Besäufnissen und Gedrängel kommt? Und da, glaube ich, ist doch ziemlich erkennbar aus der ganzen Handschrift dieser Maßnahmen schon seit einigen Wochen, schon beim letzten Mal eigentlich auch, dass die Politik nicht mehr glaubt, dass die Bevölkerung oder zumindest der Teil der Bevölkerung der diese Infektionen vorantreibt, dass die mitmachen. Sondern da meint man einfach, man braucht flankierende Maßnahmen, um überhaupt zu verhindern, dass die Bevölkerung die Chance hat, das aus- zunutzen. Und so ist es, glaube ich zu verste- hen, mit diesen Ferienwohnungen, dass man da einfach zugemacht hat wegen der Kollate- raleffekte, die erwartet werden.

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14:40

Camillo Schumann

Ostern soll heruntergefahren werden. Der Gründonnerstag und Karsamstag werden ein- malig als Ruhetage definiert und mit weitge- hend Kontaktbeschränkungen verbunden. Am Samstag soll dann auch nur das Allernötigste im Lebensmittelladen gekauft werden dürfen – aber ansonsten fünf Tage sozusagen die abso- lute Notbremse. Meinen Sie, ob es da einen Effekt geben wird, der uns dann auch, sage ich mal, spürbar noch über zwei, drei Wochen retten kann, bis dann die Impfungen wieder nach oben gehen.

Alexander Kekulé

Also, das kann ich schwer beurteilen. Nach meiner Erfahrung ... Aber ich habe jetzt natür- lich nur Halle und München quasi vor Augen. Das sind so meine Ostererfahrung. Also da ist ja eh nicht so viel los. Also jetzt Gründonners- tag zuzumachen, ob das jetzt so wahnsinnig viel bringt? Dann hat man den Ostersamstag, da ist dann offen – da gibt es dann umso mehr Gedränge in den Geschäften. Wenn sie vorne und hinten zu machen, ist ja bekannt, dass dann an den wenigen Tagen, wo auf ist, eben einfach die Schlangen länger sind. Ich kann jetzt nicht wirklich erkennen, dass das, sage ich mal, einen systematischen Effekt macht. Viel- leicht in einzelnen Regionen. Das mag sein, dass sich da was ändert. Hier ist, glaube ich, auch wieder der Grundgedanke, irgendwie zu signalisieren – das ist mehr so eine Symbolpoli- tik – eben zu zeigen: Schaut her, wir erlauben euch da nichts. Und man hofft natürlich, dass das dann dazu führt, dass die Bevölkerung sich vernünftig verhält, so insgesamt. Ich frage mich aber ganz ehrlich: Wird jetzt wegen die- ser Maßnahmen, die jetzt beschlossen sind, heute Morgen, irgendwann um vier oder was oder drei, wo es dann herauskam, sitzt da jetzt die Bevölkerung heute früh am Fernseher und am Radio und sagt: Okay, dann sage ich mein Ostern ab? Dann sage ich meinen Verwand- tenbesuch ab, den ich vorhatte. Und diese Dinge. Oder viele haben ja auch, sage ich mal, über private Beziehungen, irgendwelche Woh- nungen, wo sie hinfahren können, oder haben sich schon ein Wohnmobil gemietet. Blase ich das jetzt ab? Blase ich meinen Mallorca-Urlaub ab, weil es empfohlen wird? Von nicht not-

wendigen Reisen wird ganz dringend abgera- ten. Ich glaube, das änderte überhaupt nichts. Ganz ehrlich gesagt.

14:22

Camillo Schumann

Nach Ostern soll es dann ein umfangreiches Testregime an den Schulen geben. Es soll dann auch ausgewählte Regionen geben, in denen dann einzelne Lockerungen unter ganz stren- ger Kontrolle getestet werden sollen. Also das Testregime, das kommt uns irgendwie bekannt vor, aus den letzten Beschlüssen. Ich glaube, auch aus den Beschlüssen davor auch schon. Dann sollen sie aber wirklich kommen. Hat man sich da jetzt auch so ein bisschen Zeit erkauft?

Alexander Kekulé

Ja, ganz klar. Also, das ist ja so, dass man – Entschuldigung, dass ich es nochmal sage – wahrscheinlich ist der eine oder andere davon schon genervt. Aber es ist ja so: Die Tests gibt es einfach seit März letzten Jahres. Das ist also jetzt ein gutes Jahr, seitdem die Tests im Prin- zip verfügbar wären, natürlich nicht in der gro- ßen Zahl, sondern man muss eben die Logistik dafür schaffen, diese Tests dann auch beizu- bringen, zu produzieren, zu verteilen, sage ich mal. Auch eine Strategie zu haben, wie oft man die anwendet, einmal oder zweimal pro Woche u.Ä.. Da gibt es ja verschiedene Modellrech- nungen, wo man sagen kann: Wenn ich zwei- mal die Woche die Schüler teste, dann hab ich natürlich einen besseren Effekt, als wenn ich nur einmal die Woche teste. Wenn ich jeden Tag testen würde, hätte man in der Schule noch weniger Infektionen oder schulbedingt noch weniger Infektionen. Und das sind ein- fach Dinge, die kann man mal durchrechnen. Da kann man ausrechnen, wie viele Tests brau- chen wir, und die Frage ist halt, wie geht man mit so etwas grundsätzlich um? Also wir sind jetzt wieder in der Lage, wo die Politik sagt naja, warten wir mal ab, bis es die Tests im Laden gibt, so sage ich mal, ein bisschen pole- misch. Und die Staaten, die erfolgreich waren, die haben eben das, was wir vor einem Jahr mal besprochen haben, die haben Command and Control, also CCC heißt das, Concept Command and Control. Das sind letztlich ja Begriffe, die aus dem militärischen stammen, die aber eben auch in der Krisenbewältigung

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verwendet werden, nicht nur für Pandemien. Und hier fehlt Concept und hier fehlt natürlich auch Command. D.h. also, man wartet, bis die Industrie z.B. diese Schnelltests anbietet. Das [ist, Anm.d.R.] also passiv in gewisser Weise. Dann gibt es dann Leute, die jetzt sagen, wenn man ihnen vorhält, die Schnelltests gab es schon vor einem Jahr, die sagen dann: Ja, aber nicht in der großen Zahl. Und wo sollte ich das denn kaufen? Und andere Staaten haben halt andersherum gedacht, übrigens einschließlich der USA in dem Fall. Die haben gesagt ja, okay, wir wollen das haben. Wir sorgen als Staat jetzt dafür, dass das beigebracht wird. Control heißt, dass man natürlich am Ende auch eine Über- sicht hat, was passiert und ob die Maßnahmen Erfolg haben. Also überprüfen: Ich habe eine Maßnahme ergriffen, hat das funktioniert? Also, ich hab die Gaststätten geschlossen, ist dadurch die Infektionszahl runtergegangen? Und da gibt es ja inzwischen viele Analysen, die zeigen, dass das gerade in Europa gefehlt hat. Beispielsweise auch bei der Beschaffung der Impfstoffe ist es ja so, dass Europa eigentlich letztlich so marktwirtschaftlich gedacht hat. Ja, also wer bietet was an? Wer hat den besten Preis? Wo können wir bestellen? Wann kom- men die Angebote? Und das war, sagen die Leute, die da involviert waren, der Hauptfehler eigentlich in Brüssel. Während die Amerikaner zu den Firmen hingegangen sind und gesagt haben, hier kriegt ihr 2 Milliarden Dollar und was auch immer bei euch rauskommt, wollen wir haben. Das ist natürlich eher so ein Modell, wo der Staat selber geschäftstätig wird und ins Geschäft einsteigt. Eher mehr so eine zentralis- tische – wie man das aus den östlichen Län- dern kennt – Strategie. Und sich darauf zu verlassen, dass dann irgendwann geliefert wird, weil der freie Markt wird das schon bei- bringen, das ist eben eher so unser Ansatz. Und naja, bei den Schnelltests, die Sie ange- sprochen haben, da wird halt immer noch nicht geliefert. Und jetzt muss man halt war- ten, bis die Produzenten genug auf die Schiene bringen. Bis das dann wirklich an jedem Kin- dergarten und jeder Schule angekommen ist.

20:49

Camillo Schumann

Weil Sie auch schon häufig gesagt haben, dass es diese Schnelltests ja schon seit einem Jahr

gibt, und man hätte sie nur besorgen müssen: Da sagen ja auch einige Kollegen, haben Sie auch mitbekommen: Na ja, gut, aber die gab es erst so richtig in ausreichender Zahl Ende letz- ten Jahres im Herbst. Da konnten die Hersteller dann auch liefern. Und auch die Menge der Tests, die Firmen im Herbst liefern konnten, sei für ein Land von einer Größenordnung wie Deutschland auch nicht ausreichend gewesen. Bei einem kleineren Land wäre das kein Prob- lem gewesen. Also das musste sich ja nach und nach aufbauen. Sind das sozusagen dann noch die Nachwehen dieses Aufbauens?

Alexander Kekulé

Ja, klar, wenn man jetzt sozusagen wartet, bis es die Tests bei Aldi gibt, dann könnte man jetzt das [sagen], was Sie gerade gesagt haben und ich weiß, es gibt auch Kollegen, die das so ähnlich formulieren. Da könnte man sagen: „Ja, was sollte ich denn machen letzten März? Bei Aldi gab es doch die Tests noch nicht. Und bei Lidl auch nicht. War ich ja völlig hilflos.“ Ja, und Sie merken schon, wenn ich das so ironisch sage. Fakt ist, dass die Tests rein technisch gesehen zur Verfügung standen, dass sie eine CE-Zulassung hatten, und dass die Tests, die jetzt verkauft werden, z.T. identisch sind. Also der Roche-Test, der identisch ist, und zwar eins zu eins identisch, mit dem, was Ende Februar auf den Markt kam letztes Jahr und Anfang März CE-zertifiziert wurde. Da ist also nichts verändert worden, seitdem an dem Test. Und natürlich hätte man dann sagen müssen – das war ja auch das Bestreben einiger Kollegen und mir, dass man jetzt von staatlicher Seite sagt: „Okay, jetzt nehmen wir Geld in die Hand. Jetzt gucken wir, wer kann das produzieren?“ So ähnlich wie man es bei den Masken versucht hat. Dass man sagt, kann man hier im Inland irgendwo produzieren? Gibt es vielleicht eine Firma, die da umstellen kann? Und gerade bei diesen Lateral-Diffusions-Tests, also diesen sogenannten Antigen-Schnelltests, haben wir ja viele Produzenten in Deutschland, die so etwas machen könnten. Aber der Blick in die Vergangenheit ist da, glaube ich, jetzt nicht so wichtig. Wichtig ist, dass man konstatieren kann, dass Warten, bis der Markt das von sel- ber regelt, ist in so einer Krise nicht das richti- ge Mittel. Sei es, dass man von Masken spricht. Sei es, dass man von Impfstoffen spricht, sei

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es, dass man von Antigen-Schnelltests spricht. Und deshalb würde ich mir sehr wünschen, dass man sozusagen vom Staat her, wenn man jetzt sich Zeit erkauft hat, wirklich mit den – und ich glaube, so weit ist man ja inzwischen auch, dass man bei den Herstellern wirklich jetzt bestellt und auch Geld auf den Tisch legt und dafür sorgt, dass geliefert wird. Das, was da jetzt gemacht wird – und ich glaube, der Bundesgesundheitsminister hat ja schon vor einiger Zeit mal von einer sehr großen Zahl von Tests gesprochen, die er bestellt haben wollte. Das glaube ich auch, dass das quasi so gelaufen ist und d.h. ja letztlich: Jetzt hat man den Her- stellern quasi gesagt: „Okay, produziert, wir kaufen euch das ab.“ Das ist jetzt die Anlauf- zeit. Ich bin relativ zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen dann wirklich auch in die Phase kommen, wo man das anwenden kann. Die andere Frage ist, ob die Bürger da mitmachen. Das ist noch mal ganz was ande- res: Welche Tests das sind. Wir brauchen na- türlich Test, die dann auch eine hohe Akzep- tanz haben.

23:59

Camillo Schumann

Auf Jeden Fall. Da kommen wir ganz am Ende der Sendung auf eine Frage einer Lehrerin zurück, die aus ihrem Schulalltag berichtet, wie dort Eltern mit den Schnelltests umgehen. Und ob die dann auch die Einverständniserklärung für ihre Kinder dann unterschreiben, ob sie denn getestet werden sollen oder nicht. Sehr, sehr spannend, am Ende der Sendung. Kleiner Teaser an dieser Stelle. Der Grund für diese ganzen Maßnahmen, die jetzt heute Morgen beschlossen wurden, den Lockdown zu verlän- gern – diese Notbremse, diese Not-Notbremse da um Ostern – beschreibt Bayerns Minister- präsident Markus Söder so. Wir hören noch mal rein.

„Wir leben jetzt in der wahrscheinlich gefähr- lichsten Phase der Pandemie überhaupt. Viele unterschätzen die derzeitige Situation. Viele glauben, es ist jetzt der dritte Aufguss von Corona alt. Dabei ist es eine völlig neue Pan- demie. Diese dritte Welle ist ganz anders. Corona neu, also die Mutation, ist viel gefährli- cher, ansteckender, mit höherer Sterblichkeit. Und vor allen Dingen: Es betrifft ganz andere Zielgruppen. Nicht mehr die über 80-Jährigen,

die am Anfang bei uns in der Problemzone wa- ren, sondern jetzt ganz besonders viele Junge.“

Also mir macht Markus Söder mit solchen Worten Angst. Es heißt immer, übertreiben macht anschaulich, aber hat er denn Recht?

Alexander Kekulé

Ich glaube, Sie haben Recht, dass er Angst ma- chen will. Das ist ja klar. Und zwar, weil er die Bevölkerung quasi zur Besonnenheit ermahnt. In dem Fall ist es auch wieder so ein bisschen pädagogisch und vielleicht auch nicht ganz falsch, das so zu machen. Zumindest für die Gruppen, die glauben, sie könnten sich jetzt locker machen an der Stelle. Inhaltlich ist es so [...]: Ja, die Varianten haben eine höhere Aus- breitungsgeschwindigkeit, das ist ohne Frage so. Wo immer die auftreten, ist die Ausbrei- tungsgeschwindigkeit höher. Es ist aber so, dass, wenn wir die bisherigen Maßnahmen durchhalten, so wie sie eben bisher auch wa- ren, dann wird es nicht zu einer vermehrten Virusausbreitung kommen. Das hatte ich ja schon ein paar Mal gesagt. Diese Varianten machen die Sache etwas schwieriger, aber sie erfordern keine neuen Maßnahmen deswegen. Was angesprochen wurde, ob die jetzt wirklich gefährlicher sind: Also bei B.1.1.7 gibt es ja Daten aus England, die wir schon vor längerer Zeit besprochen haben, die jetzt auch letzte Woche in Nature publiziert wurden, die darauf hindeuten, dass epidemiologisch gesehen tat- sächlich die Sterblichkeit mit diesen Varianten unter Umständen etwas höher ist. Aber es gibt ganz viele Faktoren. Die haben wir in dem ent- sprechenden Podcast schon besprochen, die da als Bias oder als Störung mit eingeflossen sein können, sodass ich persönlich jetzt noch nicht überzeugt bin, dass das ein Thema ist, was wirklich für uns relevant ist. Dass also jetzt sozusagen mit der Variante mehr gestorben wird. Vielleicht der wichtigste Hinweis noch einmal zur Erinnerung: In den Regionen, wo diese Varianten besonders massiv aufgetreten sind – man hat ja gesehen in England, das sind nur Studien aus England, woanders auf der Welt gibt es das eigentlich nicht, das Ergebnis – aber in England war es so, in den Regionen, wo diese Varianten massiv aufgetreten sind: Wenn man da guckt, wie ist denn parallel die Sterblichkeit gewesen? Wie viele Menschen sind überhaupt gestorben an Corona in der

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Zeit? Dann ist ja überall die Sterblichkeit run- tergegangen und nicht rauf in dieser Zeit, so- dass man jetzt sagen muss: In der Bilanz ist nicht zu erkennen, dass diese Varianten insge- samt die Sterblichkeit erhöhen, auch wenn man ganz raffinierte statistische Methoden anwendet, so ein Signal findet, was in die Rich- tung geht, wenn man eben Varianten mit Nicht-Varianten vergleicht. Also ich würde sagen, dass die Politik jetzt sozusagen hier mit dem Leichentuch winkt, das ist verständlich. So eine gewisse Verzweiflung, wenn man so Teile der Bevölkerung anschaut, die da nicht mehr mitmachen. Ich weiß noch nicht, ob das bei denen so wirkt. Das Problem ist auch, dass... Bei manchen Menschen hat ja Corona so ein bisschen seinen Schrecken verloren. Wir ken- nen ja sicherlich den Einen oder Anderen, der daran gestorben ist. Ärzt*innen natürlich viele. Wir kennen die schrecklichen Bilder von den Intensivstationen. Aber jeder kennt natürlich inzwischen auch ganz viele Menschen, die sagen: „Ja, ich hatte Corona. Ja, es war so et- was Ähnliches wie eine Grippe, so schlimm ist das nicht.“ Und diese Schilderungen, die natür- lich die große Mehrheit sind, die, glaube ich, die führen dazu, dass man psychologisch ir- gendwie so das Gefühl hat, dass ist gar nicht so schlimm. Oder manche Leute denken: Das ist gar nicht so schlimm. Da muss man sehr auf- passen, weil das kann ich nur noch einmal er- innern: Ein Besuch auf der Intensivstation ge- nügt, um zu sehen, dass da eben doch viele 50- jährige liegen und um ihr Leben ringen. Und es kann durchaus jemanden, der zwischen 50 und 60 ist, auch so schwer erwischen, dass man denkt: „Mensch, ich kenne zehn andere, die hatten fast gar nichts in dem Alter, und einen erwischt es dann doch, obwohl er kaum Risiko- faktoren hatte, die man zumindest kannte. Also das ist sicher eine Krankheit, wo man sehr aufpassen muss, dass man sie nicht unter- schätzt. Und deshalb ist diese Warnung richtig. Und wir haben ja diese Impflücke jetzt einfach bei den Menschen, die unter 80 sind. Kann man fast schon sagen, weil wir nur über 80 halbwegs konsequent geimpft haben. Und die müssen wir schnellstens schließen. Ja, das ist eigentlich das Hauptproblem. Also mir tun auch die Politiker ein bisschen leid. Eigentlich liegt doch die Lösung auf der Hand: Jeder weiß, wir müssten mehr impfen. Wir sind in Europa

weit hinterher, auch hinter den USA z.B., hinter dem Vereinigten Königreich sowieso. Und jetzt impfen wir nicht und wir müssen stattdessen eben diese Not-Alternativmaßnahmen ergrei- fen. Und das ist natürlich für die Politik beson- ders sauer, so etwas verkaufen zu müssen.

29:40

Camillo Schumann

Weil sie gerade die USA angesprochen haben. Die hundertmillionste Impfdosis wurde jetzt in den Arm gejagt. Der neue US-Präsident wollte das nach hundert Tagen erledigt haben. Das hat er jetzt aber schon nach 58 Tagen. Um aber ganz kurz zu Herrn Söder zurückzukom- men, weil er da ja so Angst macht. Also mir zumindest – sicherlich noch dem einen oder anderen Hörer oder der einen oder anderen Hörerin – weil er auch gesagt hat, diese neue Mutation hat völlig andere Zielgruppen. Stimmt das denn faktisch, weil er auch die Jungen angesprochen hat. Er sagt aber kein Alter dazu. Die Jungen, da könnte ich mir vor- stellen oder das ist in meiner Definition: Die Jungen sind so zwischen 20 und 30, das ist damit aber gar nicht gemeint. Wir reden hier über eine ganz andere Alterszielgruppe, Sie haben die ja schon genannt.

Alexander Kekulé

Ja, so ist es. Also, es sind eben auch keine an- deren Zielgruppen. Es ist so, dass es aus Groß- britannien am Anfang, als B.1.1.7 sich ausge- breitet hat, Hinweise darauf gab, dass das bei jüngeren Menschen etwas häufiger gefunden wurde. Da sind sich aber die Statistiker inzwi- schen relativ einig, dass das keine biologische Eigenschaft des Virus ist, dass es sozusagen selektiv Kinder befällt oder Jugendliche befällt, sondern das war ein statistisches Phänomen, was damit zusammenhing, dass eben in dieser Zeit, insbesondere in Schulen, insbesondere eben bei jüngeren Bevölkerungsgruppen das Virus grassierte. Drum hat man das in der Zeit, wo sowieso die Mutante sich vermehrt hat man das einfach bei den Jüngeren vermehrt gefunden.

Man hat überhaupt keinen Hinweis darauf, dass diese Mutanten eine Alters-Präferenz hätten, und es gilt natürlich nach wie vor, dass Alte wesentlich gefährdeter sind. Deshalb ha- ben wir bei den Alten eine im Vergleich zu vorher abgenommener Sterblichkeit, weil eben

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die Infektionen dort zurückgegangen sind und die Impfung ja funktioniert. Und deshalb gibt es eben diese Impflücke. Damit ist letztlich gemeint, das Risiko steigt ja, ich vergleiche das immer mit so einem Eishockeyschläger. Wenn man das Alter sich anschaut, dann ist es so, dann irgendwo so ab 65: Plötzlich steigt das Sterbensrisiko steil an bei Covid 19. Und da wir eben nur die Hochaltrigen jetzt halbwegs ge- impft haben und die, die in den Heimen sind, ist dazwischen sozusagen eine Impflücke. Diese Gruppe, glaube ich, hat Herr Söder auch ge- meint. Und man kann jetzt natürlich, wenn man jetzt den Teufel an die Wand malt, fol- gendermaßen rechnen. Man kann sagen: Es gibt einfach viele Menschen in dieser Alters- gruppe, ich sag mal so zwischen 60 und 80. Die sind aber kaum geimpft. Die haben ein – im Vergleich zu den noch Jüngeren – deutlich erhöhtes Risiko. Ganz klar. Und da kommen jetzt verschiedene Sachen zusammen. Die sind sozial aktiver als die Älteren, haben also eine höhere Infektionswahrscheinlichkeit. Viele sind ja auch noch im Berufsleben. Und es ist so, dass, wenn die krank werden, weiß man natür- lich, die liegen dann länger auf der Intensivsta- tion. Also so ein Intensivbett wird dann einfach länger belegt, auch wenn sie nicht unbedingt so oft sterben am Schluss. Aber einfach die Belegzeit ist länger. Und in der Summe kann man dann natürlich so ein Szenario an die Wand malen, dass man sagt, wir haben dann in ein paar Wochen die Intensivstationen voll. Ja, also ich habe jetzt gerade in der Zeit online von heute gelesen – ich weiß nicht, wo die das herhaben – aber die sagen, sie hätten eine Studie vom Robert-Koch-Institut und der Tech- nischen Universität Berlin, wo also gezeigt wird, dass, wenn man nichts tut, dass die Inzi- denzen bis Mai auf über 2.500 hochgehen oder so was in der Größenordnung. Also, da hört man heraus, dass da monströse Horrorszenari- en scheinbar im Umlauf sind.

Und da muss ich sagen: Das ganze Thema ist etwas, was man ernst nehmen muss. Es ist wahnsinnig wichtig, aufzupassen, dass man nicht lax wird an der Stelle, weil man sich ir- gendwie an die Gefahr gewöhnt hat. Aber ich glaube, ich bin auch nicht so sicher, ob es jetzt gut ist, quasi ständig den Teufel an die Wand zu malen. Weil Sie gesagt haben, man hat Ihnen jetzt Angst gemacht. Zumindest für die

Jungen gilt nach wie vor: Jüngere Leute, also unter 50, sterben extrem selten daran. Es gibt ja auch diese Berechnung, die der Kollege Lau- terbach manchmal bringt, dass er sagt: Naja, die mittlere Sterblichkeit zwischen, ich glaube, er sagt zwischen 50 und 80, liegt bei zwei Pro- zent, oder zwischen 50 und 70 liegt bei zwei Prozent. Auch da muss man aber immer be- rücksichtigen, diese zwei Prozent werden hauptsächlich von den Ältesten in diesem Fenster aufgemacht, sodass ich nur nochmal sagen kann: Es ist allerhöchste Zeit umzusteu- ern bei der Impfstrategie. Und da bin ich ein bisschen enttäuscht, dass da gar nichts in der Richtung rauskam, dass man wirklich konse- quent die Alten schützt, weil wir mit den ande- ren Maßnahmen im Grunde genommen z.T. am Ende der Fahnenstange sind. Wir werden die Bevölkerung nicht weiter zu noch besserer Compliance pressen können. Und wir werden auch nicht wahnsinnig hoch an Geschwindig- keit aufnehmen können bei den Schnelltests jetzt. Offensichtlich will man in der Arbeitswelt nicht härter ran gehen an das ganze Thema, um die Wirtschaft nicht abzuwürgen. Wir wol- len, weil natürlich auch die Kultusminister da- gegen sind, in der Schule nicht drastisch wer- den. Im Sinne, dass man jetzt z.B. Schulbesuch nur noch erlaubt, wenn getestet wurde o.Ä.. Und wenn man hier sieht, dass man in diesen ganzen möglichen anderen Maßnahmen ei- gentlich an der Wand ist und der Impfstoff nicht geliefert wird. AstraZeneca hat ja gerade wieder erklärt, dass sie auch im zweiten Quar- tal 2021 jetzt wieder die Ziele nicht erfüllen, also die zugesagten Lieferungen an die EU nicht liefern können. Und wenn man das alles vor Augen hat, dann sage ich: Der einzige Weg ist eigentlich, möglichst schnell die Alten ein- mal impfen und quasi auf diese Not-Strategie umzuschalten.

35:34

Camillo Schumann

Weil wir über die Lage in der Intensivstation gesprochen haben. Da können wir ja mal ein paar Zahlen nachreichen. Stand heute: 3.136 Covid-19-Fälle aktuell in Behandlung. Nur mal zum Vergleich: vor 17 Tagen, am

6. März hatten wir den aktuellen Tiefststand sozusagen in der zweiten Welle mit 2.748. D.h. 385 plus in 17 Tagen. Wie bewerten Sie das?

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Alexander Kekulé

Das wird weiter ansteigen. Das ist ja typi- scherweise immer so: Wir haben die Infekti- onswelle und dann zeitversetzt die Intensivsta- tionen, und es wird so sein, dass das noch wei- ter ansteigt. Also wir haben im Grunde ge- nommen bei der Kurve der Intensivbelegungen das Minimum überschritten, und die Kurve steigt jetzt zeitversetzt zur Infektionszahl wie- der an. Das ist völlig klar.

Ich hoffe sehr, dass die Sterblichkeit nicht ganz so stark ansteigt, wie es in der Vergangenheit war. Das ist ja dann die dritte Kurve, die dem wiederum nachhinkt. Das ist deshalb schwierig auswertbar in der jetzigen Situation, weil eben die Liegezeiten bei jüngeren Menschen länger sind. Und deshalb wird es länger dauern, bis wir sehen, wie stark dieser Alterseffekt ist. Wir sehen eigentlich in den Ländern, die eine Al- tersstruktur haben, die jetzt nicht so wie bei uns ist, dass wir so eine stark überalterte Be- völkerung haben, sondern die einfach jüngere Bevölkerungen haben. Da gibt es also diverse Untersuchungen, die zeigen, dass, wenn die Bevölkerung ein jüngeres Durchschnittsalter hat, dann auch die Sterblichkeit im Verhältnis zu den Infektionszahlen geringer ist. Aber da, bei solchen Ländervergleichen, das ist immer wahnsinnig gefährlich, weil das hängt von so vielen Faktoren ab: Ob da richtig getestet wur- de, welches Gesundheitssysteme da mit im Einsatz sind, sodass ich mich jetzt auf so was nicht verlassen würde, indem Sinne. Und klar, wir haben jetzt die Gefahr, dass tatsächlich sich das nicht sauber entkoppelt, oder anders- herum gesagt, dass wir trotzdem noch eine relativ hohe Sterblichkeit bekommen, obwohl wir die Alten weitgehend geschützt haben. Und zum Glück können wir jetzt mit Astra- Zeneca weiter impfen. Ja, das ist ja noch mal ein Damoklesschwert gewesen, dass durch den Stopp von AstraZeneca und ohne Ersatz dafür man die Befürchtung hatte, dass man die Alten nicht mehr weiter geimpft bekommt. Ich hoffe sehr, dass wir in diesem Korridor, wenn wir so hart am Wind segeln, anders kann man das nicht sagen, irgendwie das Ganze schaffen ohne naja, ohne zu kentern oder eine Patent- Wende zu fahren, wie der Segler vielleicht sagen würde, also aus Versehen durch den Wind zu fahren. Deshalb muss man halt sehen,

dass man den Schutz der jeweils besonders gefährdeten Altersgruppen – und das sind jetzt eben die, die sag ich mal unter 80 sind, aber über 60, dass man da schneller ist, als die Krankheit fortschreitet.

38:24

Camillo Schumann

Bei allen Meldungen, auch darüber, dass sich die Lage auf den Intensivstationen – wir haben die Zahlen gerade gehört – wieder spürbar verschlechtert, gibt es auch andere Entwick- lung in Bezug auf die neue Virus-Mutation B.1.1.7. Z.B. berichtet Frau Dr. G., sie ist Kin- derärztin aus dem Weimarer Land auf unserem Anrufbeantworter aus ihrem Praxisalltag Fol- gendes:

„Dass sich die steigende Inzidenz auch in mei- nem Patientengut deutlich widerspiegelt. Aller- dings sehe ich zu 100 Prozent noch mildere Verläufe als noch vor zwei Monaten. Wir haben in unserem Bereich fast 100 Prozent die briti- sche Mutation und meine hoffnungsvolle Hypo- these ist, dass das Virus tatsächlich in die rich- tige Richtung mutiert. Und jetzt zwar virulenter aber weniger krankmachend ist. Deswegen ist es aus meiner Sicht auch vielleicht gar nicht sinnvoll, jetzt alles wieder zu schließen, sondern man sollte doch auch den jungen Leuten, die doch nicht geimpft werden können, die Mög- lichkeit geben, diese Erkrankung relativ gelinde durchzumachen.“

Tja, das berichtet eine Kinderärztin aus ihrem Alltag. Aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

Alexander Kekulé

Das ist eben auch das Thema, die jungen Leu- te, die machen diese Erkrankung durch, und die meisten haben keine Probleme. Das, was ich am häufigsten höre, sind tatsächlich die Geruchsstörungen, die nicht weggehen wollen. Es gibt also viele junge Menschen, die tatsäch- lich bleibende Geruchsstörungen, also bis jetzt bleibende Geruchsstörungen haben. Wir wis- sen nicht, wie lange das dauert. Aber es gibt schon Fälle, wo das mehrere Monate jetzt berichtet ist. Im besten Fall riecht man nichts mehr. Im schlimmsten Fall riecht alles ganz fürchterlich, wie so nach Toilette, egal, wo man die Nase hinhält. Das ist natürlich auch nicht so toll, wenn man jetzt nicht sicher ist, ob das lebenslänglich bleibt. Was wir auch nicht wis-

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sen, ist, ... Das Virus ist ja neurotrop, d.h. es macht offensichtlich tatsächlich auch neurolo- gische Veränderungen. Und wie weit die dann tatsächlich reversibel sind bei jungen Leuten ist auch nicht ganz klar. Aber natürlich, man muss eben, und das ist eben ganz wichtig: Man muss bei all diesen Dingen auch ein bisschen die individuelle Risikoabwägung vor Augen haben. Wem nützt es, eine Impfung zu haben? Wer hat bei der Impfung möglicherweise eher eine Bereitschaft, ein höheres Risiko in Kauf zu nehmen von Nebenwirkungen, weil er sowieso im Falle einer Covid-Infektion auch besonders gefährdet wäre? Wer nimmt sich privat kom- plett zurück, um die Infektion wirklich halb- wegs sicher zu vermeiden, weil er persönliches Risiko hat oder insgesamt einfach sagt, so ein Risiko nehme ich nicht auf mich aus grundsätz- lichen Erwägungen? Und bei wem kann man eher sagen, so schlimm wird es nicht. Also diese Diskussion, die die Hörerin da einge- bracht hat, die wird noch richtig spannend, wenn es um die Frage der Impfung der Kinder geht. Also die Impfstoffe werden ja jetzt – zu- mindest die RNA-Impfstoffe – werden ja jetzt an Kindern auch erprobt, und es ist ja völlig klar, dass man sich aus meiner Sicht, von dieser Wurst vor der Nase, die da Herdenimmunität heißt, verabschieden muss. Also das wird ja nach wie vor gesagt, wir brauchen 60 Prozent oder 70 Prozent, dann haben wir Herden- Immunität, dann ist alles vorbei. Aus verschie- denen Gründen ist das nicht erreichbar, dieses Ziel. Der wichtigste Grund ist, dass sich ständig Varianten bilden, wo man sich weiteres Mal infizieren kann. Und der zweite wichtige Grund ist, dass ständig Menschen nach geboren wer- den, die eben noch nicht immun sind. Und um da wirklich die Schleuse zuzumachen, müsste man ja die Kinder durchimpfen, wie wir das bei Kinderkrankheiten auch machen. Und da bin ich im Moment noch sehr skeptisch, ob da wirklich sozusagen die Risikoabwägung dafür- spricht. Und das ist das, was die Hörerin da beobachtet. Naja, Jugendliche und Kinder, die stecken das in der Regel weg. Und da ist wirk- lich die Frage: Soll man die impfen? Oder auch die Frage: Wie radikal muss man die eigentlich in ihrem Leben beschneiden, gerade in so ei- ner Phase, wo man sich entwickelt, um sie auch selber zu schützen? Bisher war ja unser Argument immer: Wir müssen letztlich, sage

ich mal ein bisschen bildlich, die Kinder ein- sperren, damit sie die Alten nicht anstecken. Aber wenn jetzt die Alten zunehmend durch den Impfstoff geschützt sind, dann wird dieses Argument natürlich auch langsam schwächer.

42:47

Camillo Schumann

Jetzt schildert sie ja aus ihrem Praxisalltag, dass die milden Verläufe zunehmen. Ich gehe ganz stark davon aus, gerade bei den Kindern, Ju- gendlichen und möglicherweise jungen Her- anwachsenden. Ist das etwas, was man auf diese Altersgruppe beschränken kann/sollte oder anwendbar auch auf andere Altersgrup- pen? Oder ist es auch wieder sehr individuell?

Alexander Kekulé

Also insgesamt ist es so, dass wir weltweit ei- gentlich diese Situation haben, dass die schwe- ren Verläufe abnehmen. Da gibt es verschie- dene Theorien, warum das so ist. Ja, eine ist, dass man – also reine Theorie natürlich – dass die Möglichkeit besteht, dass zunehmend Menschen einfach zum zweiten Mal infiziert werden und dann natürlich einen milden Ver- lauf bekommen. Natürlich gibt es auch immer die Idee, dass das Virus sich schon verändert haben könnte, in der Richtung. Soweit würde ich nicht gehen. Das wäre ja dann sozusagen das Gegenteil von dem, was Herr Söder vorhin gesagt hat. Die britischen Daten deuten jetzt auf keinen Fall daraufhin, dass B.1.1.7 als Virus biologisch gesehen ungefährlicher geworden ist, sondern man kann natürlich immer speku- lieren, dass man mit zunehmender Immunität der Bevölkerung mildere Verläufe bekommt. Meine persönliche Vermutung ist, dass auch B.1.1.7, obwohl es da nicht eindeutig gezeigt ist, immer wieder Zweitinfektionen machen kann. Also dass Menschen, die am Anfang der ganzen Pandemie sich mal unter Umständen auch völlig unbemerkt infiziert haben, dass die, wenn sie B.1.1.7 bekommen, dann eben einen milden Verlauf haben, weil sie da schon Anti- körper und eine Immunreaktion haben. Solche Entwicklungen sehen wir ja in den Ländern, wo tatsächlich eine zweite Variante durchs Land läuft. Da ist es ganz eindeutig, dass die Zweit- Infektionen tendenziell zumindest nicht schwe- rer verlaufen als die ersten.

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44:35

Camillo Schumann

Weil Sie auch drüber gesprochen haben, dass man sich überlegen sollte, eigene Risikoab- schätzung und gerade junge Leute, ob das mit der Impfung, ob das jetzt so richtig ist oder nicht. Und da schildert ja die Kinderärztin

Dr. G. auch Folgendes vom Impfstoff von Ast- raZeneca.

„Z.B. Meine Tochter auch schon mit AstraZene- ca geimpft worden ist und die Impfreaktionen wesentlich schwerer war, als eine Corona- Infektion erwartbar gewesen wäre. Also mit mehreren Tagen hohem Fieber. Und die ist noch sehr jung – 18 Jahre – aber in ihrem Freundeskreis, die auch geimpft worden war, die Impfreaktion bei 100 Prozent ähnlich stark. Sodass ich denke, man sollte junge Leute mög- lichst nicht mit diesem Impfstoff impfen. Son- dern den für die älteren Leute vorhalten, die nicht so schwer darauf reagieren.“

Wenn sich jetzt Hörerinnen und Hörer fragen wieso ist die 18-jährige Tochter dieser Ärztin schon geimpft? Die Tochter ist Studentin und arbeitet in einem Krankenhaus und ist dort als medizinisches Personal auch geimpft worden. Jetzt die Frage an Sie: Diese Schilderung? Ich habe da noch mal angerufen. Frau Gerber hat geschildert, mehrere Tage über 40° Fieber und mehr Nebenwirkungen als die Krankheit sel- ber. Impfen – Ja oder nein?

Alexander Kekulé

Also, das ist bekannt bei allen Impfstoffen, bei allen Covid-Impfstoffen. Und bei dem Astra- Zeneca-Impfstoff ist ja bekannt, dass diese Reaktogenität, wie wir das nennen, besonders stark ist. Ich kann ja auch berichten an der Stelle, dass meine eigene Mutter, die also nicht mehr in dem Alter ist, sondern das darf man in dem Fall schon sagen, schon deutlich über 80 ist: Die hat auch einen ganzen Tag Fieber ge- habt. Also die war den ganzen Tag platt und hat Fieber gehabt. Und am nächsten Tag war es aber wieder gut und vorbei. Und wir wissen, dass je jünger man ist, desto schlimmer ist es. Das ist völlig klar. Und ja, beim AstraZeneca- Impfstoff ist die Reaktogenität wohl etwas höher. Dafür gibt es nicht so saubere statisti- sche Daten, aber es sieht es doch ziemlich stark danach aus. Das ist einer der Gründe,

wenn man diese Abwägung sich anschaut, obwohl ich jetzt persönlich so der Meinung bin: Naja, mal 1-2 Tage Fieber, wenn man weiß, da sind keine weiteren Folgeschäden zu erwarten oder man geht damit kein Risiko ein, Sie wissen die Diskussion um die Thrombosen usw... Wenn also diese Risiken quasi vernach- lässigbar sind, dann glaube ich, kann man den Leuten schon zumuten, dass sie mal auch eine Impfung über sich ergehen lassen, wo sie Ne- benwirkungen haben. Also wenn ich mich er- innere, ich musste früher mal wegen meiner Aufenthalte in den Tropen gegen Gelbfieber geimpft werden. Das ist also noch viel, viel schlimmer, sage ich mal, zumindest nicht bei allen, aber bei einigen. Aber für mich ist das viel wichtigere Argument, dass ja, so eine 18- Jährige – vielleicht wäre es sogar so, wenn sie Covid hätte, wäre das vielleicht subjektiv gese- hen, weniger schlimm als jetzt diese Impfung – aber viel schlimmer ist, dass diese zwei Impf- dosen, die da verbraten wurden, eben letztlich nicht angewendet wurde, um zwei Alte zu schützen. Und das ist doch das Problem. Die Alten haben nicht nur weniger Reaktogenität, also weniger Nebenwirkungen von der Imp- fung. Auch diese möglicherweise im Raum stehenden, sehr, sehr seltenen Thrombosen, die ja in der Diskussion sind, diese Sinus- venenthrombosen, die sind ja auch nur bei Jüngeren aufgetreten. Und das ganze Paket, also Reaktogenität plus mögliche Nebenwir- kungen plus Strategie: Wie machen wir es ins- gesamt, damit wir irgendwie durch diese Pan- demie segeln können? Das alles schreit einfach danach, die Alten zu impfen. Insbesondere natürlich auch mit dem AstraZeneca-Impfstoff. Und ich kann nur daran erinnern: Die skandi- navischen Länder, bei denen ist es noch frag- lich, ob sie den überhaupt wieder einsetzen wollen. Die haben das, glaube ich, auf nächste Woche verschoben, die Entscheidung, ob Ast- raZeneca wieder zum Einsatz kommt. Und in Frankreich ist es ja so, dass der jetzt, glaube ich, ab 55 Jahre zugelassen ist. Also die ma- chen genau diese Konsequenz, die sagen: wir wenden diesen Impfstoff bei Älteren an, weil wir aus den genannten Gründen auf der siche- ren Seite sind. Und mir tut es regelrecht weh, wenn ich höre, wie massenweise – das ist ja überall so – dass die ganzen Krankenschwes- tern und Pfleger, die Ärzte, die Medizinstuden-

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ten, wie wir jetzt hören, plus Lehrer usw. Das sind natürlich Leute, die drängen ja zur Imp- fung ja, die wollen geimpft werden, um sich zu schützen. Und es viel schwieriger, die Alten zuhause zu erwischen, die irgendwo – fast hätte ich gesagt „vor sich hinvegetieren“ – die sich nicht mehr raustrauen wegen dieser Pan- demie und die auch zu Recht Angst vor dem Virus haben. Und da muss der Staat, meine ich schon, seine Bürger dann auch je nach Risiko selektiv schützen.

49:16

Camillo Schumann

Weil wir über AstraZeneca gesprochen haben und es auch immer wieder tun werden: Nach weniger erfreulichen Meldungen über den Impfstoff in der vergangenen Woche, gab es gestern nun wieder neue Informationen. Das Unternehmen selbst hat ja positive Nachrich- ten verbreitet. Es wurde aus einer neuen Stu- die berichtet, die ist jetzt noch nicht veröffent- licht worden. Es gibt „nur“ erst mal eine Pres- semitteilung. Die Studie soll dann eingereicht werden. Und es sollten von dieser Pressekon- ferenz gestern zwei klare Botschaften ausge- hen. Die erste Botschaft: Der Impfstoff ist auch bei älteren Menschen sehr, sehr wirksam. Und die zweite Botschaft: Ein erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel stellten die Forscher nicht fest. Diese zwei Botschaften wurden transportiert. Kamen diese Botschaften auch bei Ihnen an? Sie haben sich das, was da war, schon mal durchgelesen.

Alexander Kekulé

Es gibt noch eine dritte Botschaft: Die sagen, in der amerikanischen Studie ist jetzt die Effizienz der Impfung besser – also die Impfung ist bes- ser als in der ersten Studie. Also sie sagen: Wir können symptomatische Infektionen bei fast 80 Prozent verhindern. Letztes Mal hieß es ja 70 Prozent. Sie sagen: Wir haben diesmal – das ist eben neu bei dieser US-Studie jetzt – wir haben diesmal etwa 20 Prozent Teilnehmer gehabt, die über 60 sind, 60 oder älter. Und wir haben eine Teilauswertung gemacht bei den über 80-Jährigen. Und da haben wir auch diese 79 oder sogar 80 Prozent Wirksamkeit. Also, die sagen also hauptsächlich: Die Älteren können wir sehr gut schützen und wir sind zehn Prozent besser als beim letzten Mal. Also sozusagen, wer bietet mehr? Ganz ehrlich ge-

sagt ist es ja so: Das ist jetzt die lang erwartete amerikanische Studie. Vielleicht zur Vorge- schichte. Es ist es so: Die amerikanische Zulas- sungsbehörde – hier ist die FDA bei denen zuständig – die haben also nicht diese Auftei- lung wie bei uns das, dass Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe zuständig ist und das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte für die anderen Dinge. Und die FDA, die amerikani- sche Zulassungsbehörde, hat ja von vornherein gesagt im Gegensatz zu den Europäern: Nein, eure Studie, liebe AstraZeneca, die glauben wir nicht, eure Daten sind uns zu schwach.

Da ist ja bekannt, dass es sehr, sehr viele Prob- leme gab. Die berühmte Sache, dass man aus Versehen die erste Impfung mit der halben Dosis gemacht hat in der Studie, und dahinter behauptet hat, dass sei halb die Absicht gewe- sen oder zumindest eine glückliche Fügung, weil mit der halben Dosis dann die Wirksam- keit scheinbar besser war. Später kam dann raus, das war ein Fehler eines italienischen subcontractors, eines Subunternehmers, der irgendwie da falsch gemessen hat bei der Her- stellung. Dann kam raus, dass insgesamt die Produktion so weltweit distributiert ist. Also dass die quasi ganz viele einzelne Unterneh- men haben, die in so eine Art weltweite Pro- duktionskette zusammenschalten. Dadurch war der Vorwurf, zumindest nicht so sauber kontrollieren zu können. Und dann kam auch noch heraus, dass diejenigen, die also diese halbe Dosis am Anfang bekommen haben, dass die möglicherweise deshalb besseren Schutz hatten als die anderen, die zweimal die volle Dosis bekommen haben, weil man bei denen länger gewartet hat zwischen der ersten und zweiten Impfung. Da hat man ja bis zu drei Monate gewartet, statt regulär vier Wochen. Und all das hat natürlich und noch ein paar andere Sachen, die glaube ich schon genug diskutiert wurden, hat natürlich so ein Ge- schmäckle gegeben, irgendwie insgesamt. Und da hat die FDA gesagt die Daten sind uns nicht sauber genug. Und natürlich der Faktor, dass bei den ersten Studien die Alten viel zu wenig einbezogen waren. Und deshalb musste die Studie, die läuft ja inzwischen, ich glaube, seit August schon, die musste also in den USA fort- gesetzt werden. Ein paar Teilnehmer waren auch in Peru und Chile. Und die Ergebnisse

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davon mit insgesamt 32.449 Probanden wur- den jetzt als Zwischenergebnis veröffentlicht.

Eigentlich hätte schon längst das Endergebnis dieser Studie vorliegen sollen. Das war eigent- lich geplant bis zum 16.03.. Also diese Studien, die haben ja immer so einen Plan. Bis 16. März hätte das Endergebnis schon da sein müssen. Man hat offensichtlich Probleme gehabt bei der Rekrutierung. Oder aus irgendwelchen Gründen ist die Studie langsamer gelaufen als geplant. Und die jetzigen Daten beruhen auch auf 141 Fällen. Also man hat in diesem Kollek- tiv von, sage ich mal, gut 32.000 Probanden, von denen zwei Drittel vakziniert wurden und ein Drittel nicht, also ein Drittel Kontrolle. Da hat man 141 Fälle insgesamt gehabt. Nur mal so zum Vergleich: Die Studie von Biontech (bei Moderna hab ich's nicht im Kopf), da war es so, dass man 170 Fälle hatte für die Auswertung. Und diese Fälle, die Zahl der Fälle, das ist ext- rem wichtig, um zu sehen, wie gut die statisti- sche Power ist. Also wie sicher ist das Resultat überhaupt, was sich da angebe, wie zuverlässig ist das Resultat. Und deshalb sagt die Zulas- sungsbehörde eben vorher: „Bevor ihr die Stu- die zumachen dürft, müsst ihr so und so viel Fälle haben.“ Das wird ausverhandelt zwischen den Herstellern und den Zulassungsbehörden. Und hier hat man offensichtlich – ich weiß nicht, welche Zahl da im Raum steht, das wird vorher nicht veröffentlicht – aber hier hat man diese Zahl offensichtlich nicht erreicht bisher entgegen der ursprünglichen Planung, und stattdessen jetzt hier wieder eine Pressekonfe- renz rausgehauen. Da muss man schon die Frage stellen: Warum machen die das? Und die Antwort liegt auf der Hand. Nächste Woche wollen die skandinavischen Länder entschei- den. Wir haben in Europa viele Menschen, die kritisch sind. Frankreich hat eben sich auch noch nicht entschieden, wie es mit den Jünge- ren umgehen soll. Deshalb hat es eben Astra- Zeneca offensichtlich für sinnvoll gehalten, hier mal die Zwischenergebnisse bekannt zu geben.

55:14

Camillo Schumann

Genau das sind die Zwischenergebnisse zu einem strategisch wichtigen Zeitpunkt.

Trotzdem noch mal die Frage: Wenn man sich die Zahlen anguckt oder dem, was da ist, sozu-

sagen die Wirksamkeit bei älteren Menschen, kann man diese Frage dann damit beantwor- ten?

Alexander Kekulé

Also, ich würde mal so sagen, wenn man den Hersteller hier diesmal 100 Prozent glaubt... Beim letzten Mal hatten die ja so ein bisschen Hokuspokus mit den Zahlen gemacht, wie sich hinterher herausstellt. Aber wenn man davon ausgeht, dass die aus diesem Fehler gelernt haben – man muss vielleicht auch dazu sagen, AstraZeneca hat ja historisch nicht so viel Er- fahrung mit der Impfstoffprüfung und -herstel- lung. Das ist für die Neuland. Darum kann man es denen vielleicht zurechnen, dass sie da beim letzten Mal quasi aus Versehen bisschen falsch gerechnet haben. Und wenn man sagt: Okay, ihr habt jetzt verstanden, ihr habt es richtig gemacht. Das ist ja nur eine mündliche Mittei- lung, nur eine Pressekonferenz gewesen. Dann würde ich sagen: Ja, das ist ein sehr gutes Er- gebnis, weil hier ziemlich klar gesagt wird: Bei den über 80-Jährigen ist die Impfwirksamkeit genauso gut wie beim Rest der Gruppe, die getestet wurde. Das ist für mich eigentlich das wichtigste Resultat, dass da kein Unterschied ist. Und man muss vielleicht auch flankierend sagen: Diese Beobachtungsstudien, die wir schon besprochen haben, die ja in Schottland z.B. stattgefunden haben. Da sah es ja auch im Feld ganz genauso aus, dass da kein Unter- schied ist, bei der Wirksamkeit zwischen den Alten und den Jungen. Und deshalb würde ich sagen jetzt für mich persönlich, das glaube ich. Ja, ich glaube, dass das so ist. Tatsächlich. Und das ist ein ganz wichtiger Hinweis: Das Astra- Zeneca wirkt auch bei Alten. Das Robert-Koch- Institut hat ja am Anfang auch gesagt wir wol- len erst mal mehr Daten sehen. Aber ich glau- be, das ist jetzt bestätigt, dass man zu Recht gesagt hat, die Alten sind auch geschützt durch diesen Impfstoff.

Vielleicht noch zwei Sachen dazu. Das eine ist biologisch: Es ist es ja auch plausibel, dass es so ist. Wir haben jetzt keinen Grund, dass wir sagen würden, der Moderna-Impfstoff, der wirkt bei Alten gut, und der AstraZeneca nicht. Also warum sollte das so sein? Es ist ja letztlich ein ganz ähnliches Antigen, was da sozusagen im Einsatz ist. Es gibt ein Fragezeichen, rein technisch gesehen, wenn man eine Auswer-

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tung mit einer Teilgruppe macht, also hier die Teilgruppe der Über-80-Jährigen. Da muss man sich natürlich bei den insgesamt 32.000 und noch was Fällen anschauen, wie viele davon waren wirklich über 80? Wie viele Infektionen sind da aufgetreten, in der Kontrollgruppe und in der Impfgruppe bei den über 80-Jährigen? Und ist dieses Resultat für diese Teilauswer- tung der Über-80-Jährigen wirklich statistisch signifikant und sauber? Aber da sage ich mal, dass ist unter Epidemiologen so dermaßen trivial, was ich gerade gesagt habe, dass ich davon ausgehe, dass AstraZeneca und die Leu- te, die das gemacht haben, natürlich das sau- ber gemacht haben mit dieser Teilauswertung, bevor sie sich an die Presse begeben und sa- gen, das ist genauso gut wirksam.

58:03

Camillo Schumann

Also bei den Älteren können wir einen Haken dran setzen. Wie sieht es denn eigentlich mit dem erhöhten Risiko für Blutgerinnsel aus? War ja das Thema letzte Woche – ist das damit jetzt auch vom Tisch?

Alexander Kekulé

Nein, also da muss ich sagen, das ist einfach schwierig. Das geht hier um ganz bestimmte Blutgerinnsel, die festgestellt worden, diese sogenannten Sinusvenenthrombosen, extrem seltene Erkrankung. Und die Frage, die dahin- ter steht, auch durch die Ergebnisse aus Greifswald, die ja letzte Woche bekannt ge- worden sind, ist ja so ein bisschen: Gibt es da irgendeinen biologischen Effekt, den die Imp- fung macht, der irgendwie vielleicht dazu bei- trägt, dass die Blutplättchen eher zusammen- klumpen o.Ä.? Und da ist es so: Die Studie läuft ja schon ewig, diese US-Studie. Das könnte auch noch ein Problem bei der jetzigen Aus- wertung sein. Diese US-Studie läuft im Prinzip auch schon seit letztem August. Die hat man jetzt vorangetrieben, weil die FDA diese Daten haben wollte. Und man hat jetzt eine Zwi- schenauswertung gemacht aus bekannten Gründen. AstraZeneca sagt, wir haben einen Neurologen hingesetzt, der hat noch einmal genau hingeschaut und Fragen gestellt bezüg- lich der Häufigkeit von Sinusvenenthrombosen. Aber wenn sie das vorher in der Studie, in den Studienzentren, wo die Patienten sind, wenn sie das dort nicht irgendwie schon anfangen

dort gezielter nachzugucken, dann ist es wahn- sinnig schwer, sozusagen ex post – im Nach- hinein – festzustellen, gab es da Sinus- venenthrombosen ja oder nein, bzw. noch schlimmer: Wenn sie feststellen wollen, gab's tendenziell irgendeine Thrombose-Neigung? Das ist ja hier so ein bisschen die Frage, die im Raum steht, diese berühmte Spitze des Eis- bergs. Und da kann ich nur daran erinnern, dass die Deutschen, das Paul-Ehrlich-Institut mit seiner deutschen Gründlichkeit, auch erst, nachdem sie relativ gezielt nachgeguckt haben, dann, ich glaube, diese 13 Fälle waren es, glaube ich, in Deutschland gefunden haben. Und auch die Europäische Arzneimittelbehörde hat noch einmal ganz gezielt geguckt und dann eben diese 18 Fälle im Nachhinein gefunden, die bei der EMA aufgeschlagen sind. Und es ist in den letzten Tagen auch rausgekommen, dass es auch im Vereinigten Königreich, wo es ja immer hieß, da wird so viel geimpft, da gab es überhaupt keine Sinusvenenthrombosen. Da sind, glaube ich, auch zwei oder drei Sinus- venenthrombosen im Nachhinein entdeckt worden, nachdem man gezielt gesucht hat. Das ist bei so einer Studie im Nachhinein eben wahnsinnig schwierig, so etwas auszuwerten. Darum würde ich sagen, man kann nicht sagen, wir haben es ausgeschlossen. Erstens, weil man im Nachhinein diese Daten nicht richtig, sage ich mal, nachlesen kann. Und zweitens, weil natürlich wir hier sowieso – vielleicht das noch wichtigere Argument – von einer extrem seltenen Nebenwirkung ausgehen. Das ist ja wirklich sehr, sehr wenig. Ein paar Fälle auf mehrere Millionen Geimpfte. Und wenn sie da nur ein paar 30.000 Probanden haben, von denen 21.583 den Impfstoff bekommen ha- ben. Wenn Sie da nichts beobachten. Ja, das ist eine extrem seltene Nebenwirkung. Das kön- nen sie in so einer Studie eigentlich gar nicht erfassen.

01:01:12

Camillo Schumann

Jetzt haben wir das ja, oder Sie haben es de- tailliert nochmal dargestellt. Sie waren aber nicht der Einzige, der das getan hat, sondern die US-Behörden haben das auch gemacht und haben eine sehr eindeutige Stellungnahme dazu veröffentlicht. Wie bewerten Sie das?

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Alexander Kekulé

Ja, also AstraZeneca hat eben hier eine Presse- konferenz gemacht. Und ich sag jetzt doch mal dazu: Unter den Fachkollegen international – in Deutschland wird es ja immer verteidigt – aber international ist es so, dass man einfach schon so ein bisschen Vorbehalte gegen Astra- Zeneca hat, weil sie am Anfang halt einfach extrem offensiv vorgegangen sind. Auch die beteiligten Kollegen, Wissenschaftler dort, die sind sehr, sehr selbstbewusst am Anfang auf- getreten. Das ist, glaube ich, auch bekannt. Und das sage ich deshalb vorneweg, weil die- ses Statement aus meiner Sicht richtig krass ist: Es gibt in den USA eben diese Behörde, das [...]National Institute of Allergy and Infectious Diseases, NIAID heißen die. Dort ist der Toni Fauci, der berühmte amerikanische Infektiolo- ge. Und die haben so ein... Bei denen dran hängt sozusagen das sogenannte Data Safety Monitoring Board. Das ist so etwas Ähnliches wie das Chimp bei uns in Europa. Das sind qua- si die, die sich kümmern um Nebenwirkungen. Dieses Board, was also wirklich hochrangig besetzt ist und eigentlich immer so ein biss- chen den Ruf hat, industriefreundlich zu sein, die sagen jetzt klipp und klar (Pressemeldung von heute Morgen), die sagen: Sie haben Be- denken, dass AstraZeneca möglicherweise outdated information – also nicht mehr aktuel- le Informationen – in ihre aktuelle Publikation, in ihrer aktuellen Studie mit eingebracht hat, wodurch die genannten Effizienz-Zahlen von etwa 80 Prozent beeinflusst sein könnten. Die formulieren das natürlich vorsichtig. Aber wenn es so eine Pressemeldung gibt, auweia, wenn das stimmt. Also ich kann mir kaum vor- stellen, dass die sich so weit aus dem Fenster hängen. Aber wie gesagt, die sind alle immer so ein bisschen besonders kritisch bei Astra- Zeneca – da muss man AstraZeneca in den Schutz nehmen. Aber trotzdem, dass die sich so weit aus dem Fenster hängen, hier quasi eine öffentliche Warnung auszusprechen – das steht da bei denen auf der Webseite jetzt – das ist natürlich schon ein Hammer. Also, da wird es wahrscheinlich in den nächsten Stunden – die Vereinigten Staaten stehen ja immer ein bisschen später auf als wir – und es ist so, dass man jetzt dann, sobald die dann alle wach sind, da drüben, erwarten kann, dass es da weitere Stellungnahmen gibt. Aber das ist schon ein

ziemlicher Hammer, dass dieses Safety Moni- toring Board quasi eine Warnung ausspricht gegenüber diesen Daten, die in der Pressekon- ferenz bekanntgegeben wurden.

Camillo Schumann

Die Frage ist ja, welche Daten da möglicher- weise fehlen oder veraltet sind, und was das denn jetzt auch für den für den Impfstoff be- deutet. Also möglicherweise die Zulassung in den USA – da sollte sie beantragt werden – ist dann auch in weite Ferne erst mal gerückt, um da jetzt noch mal ein Strich drunter zu ziehen.

Alexander Kekulé

Naja, das ist schon erstaunlich. Ja, die haben in kurzer Zeit sehr, sehr viele Probanden. Sie ha- ben 141 Fälle. Das ist auch nicht schlecht. Zwar offensichtlich nicht das, was sie erreichen woll- ten. Aber klar steht da die Frage im Raum: Sind das jetzt nur neue Daten? Oder haben Sie dann noch irgendetwas mit reingerechnet, was ir- gendwie eben sozusagen aus anderen Studien ist oder eben outdated ist, wie die dort sagen- Etwas was, sozusagen nicht mehr mit einge- rechnet werden durfte, um irgendwie zu die- sem Zeitpunkt was präsentieren zu können. So quasi, wenn man so sagen will: Sie haben ir- gendwie Gäste eingeladen und haben gesagt es gibt Spaghetti mit Tomatensoße. Jetzt ha- ben sie aber nicht genug Dosen. Nehmen sie noch eine alte, die in der Speisekammer stand, wo eigentlich schon das Verfallsdatum über- schritten wurde, und rechnen das noch mit rein in die Soße. Ein bisschen danach klingt es. Das könnte so sein kann. Das ist natürlich nur eine Vermutung.

Vielleicht ist mir noch Folgendes wichtig. Also man muss ja auch die Frage stellen: Die sagen jetzt – und ich weiß, dass das in Deutschland einige Kollegen jetzt sofort sagen werden nach der AstraZeneca-Präsentation – schaut mal her, das ist genauso gut wie Biontech. Man muss jetzt Folgendes nur noch einmal klar sagen: Diese Studien sind nicht vergleichbar. Es ist erstens so, dass die neue Studie von Astra- Zeneca, die jetzt plötzlich zehn Prozent mehr Wirksamkeit aus dem Hut zaubert, dass die schon mit der alten nicht vergleichbar ist. Man muss die Frage stellen: Warum ist es jetzt plötzlich zehn Prozent mehr wirksam, als es bei der letzten Studie war? Das ist ja ein signifikan-

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ter Unterschied, [und] erinnert ein bisschen daran, was die chinesischen Hersteller ge- macht haben. Da gab es dann auch aus den Vereinigten Emiraten und aus Brasilien plötz- lich widersprüchliche Daten, die auch so um zehn Prozent rauf und runter gingen. Also, da müsste AstraZeneca schon erklären, warum die Daten jetzt anders sind, weil man eigentlich aufgrund der Zunahme der Varianten, die auch in USA jetzt zirkulieren, eher erwarten würde, dass jetzt eine neue Zulassungsstudie es ein bisschen schwerer hat. Also, ich hätte eigent- lich eher erwartet, dass es schwieriger wird, eine hohe Wirksamkeit zu erzielen. Sie ist aber jetzt, so wie es aussieht, besser geworden plötzlich. Also damals waren es ja im Vereinig- ten Königreich nur 62 Prozent Wirksamkeit und etwa 70 Prozent, wenn man die Daten aus Brasilien dazugerechnet hat. Das ist ja nicht wie bei Wein, dass er, je älter er wird, umso besser wird, bei den Impfstoffen. Sondern eigentlich überraschend, dass das jetzt zehn Prozent deutlich besser ist als damals. Das Zweite, was wichtig ist: Man muss wissen, dass man das nicht vergleichen kann, eben z.B. mit Biontech. Und da will ich kurz sagen, warum. Die AstraZeneca-Studie hat schon von vornhe- rein – das war schon immer bei AstraZeneca so: Die haben vier Wochen Abstand gelassen zwischen der ersten und zweiten Impfung. Wir wissen ganz generell – da gibt es auch Studien, die das aktuell zeigen – je länger man den Ab- stand hat zwischen den beiden Impfungen, desto höher ist die Wirksamkeit, die man misst hinterher. Biontech hat drei Wochen Abstand gehabt. D.h. also rein von dem her, wieviel Abstand zwischen den Impfungen ist, ist völlig klar, dass eigentlich AstraZeneca eine höhere Wirksamkeit haben müsste als Biontech. Aber Sie wissen, wir reden jetzt aktuell von

80 Prozent versus 95 Prozent. Das zweite wich- tige Thema ist das Alter. Es ist so, dass die Ast- raZeneca-Studie Teilnehmer ab 18 hatte und Biontech – ich glaube Moderna auch – ab 16. Zwei Jahre Unterschied. Und das ist deshalb wichtig, weil jüngere Teilnehmer tendenziell weniger schwere Symptome haben und ältere Teilnehmer tendenziell eher schwerere Symp- tome haben. Und schwerere Symptome sind tendenziell leichter erkennbar. Also je jünger die Teilnehmer drinnen sind, desto eher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man Symptome über-

sieht. Die Frage ist, ab wann lässt man einen Fall überhaupt als Fall definiert sein. Also wenn jemand so unmittelbar nach der Impfung quasi krank würde, würde man sagen: Naja gut, der hat sich schon vorher infiziert. Wenn jemand nach der ersten Dosis krank wird, dann sagt man: Naja, die erste Dosis hat vielleicht noch nicht gereicht. Nehmen wir als Auswertung mal nach der zweiten Dosis. Und je später man quasi auswertet, also je später man Erkrankun- gen als Fall definiert, desto besser natürlich für die scheinbare Wirksamkeit des Impfstoffs. Und da ist es so bei Biontech, dass man sieben Tage nach der zweiten Impfung gesagt hat: alles, was dann krank wird, gilt als Fall. Also wenn quasi dann jemand krank wird, sieben Tage nach der zweiten Impfung, dann gilt er als infiziert trotz Impfung. Bei AstraZeneca ist es so, dass man da 15 Tage genommen hat, also mehr als das Doppelte. D.h. also, man hat sich bei diesen ganzen Punkten, die ich jetzt ge- nannt habe, immer auf die sichere Seite bege- ben. Das ist alles in Ordnung, ja, das kann man schon machen. Aber das ist deshalb wichtig, weil ich weiß, dass eben Kollegen von mir jetzt sagen werden, das kann man vergleichen und das ist ja fast genauso gut. Das stimmt eben nicht, sondern es ist so, dass man diese Stu- dien letztlich nicht vergleichen kann. Das ist der Punkt, der wichtig ist.

Man kann nur sagen, dass AstraZeneca ein wirklich gut wirksamer Impfstoff ist. Für die Situation, die wir hier haben, in Deutschland – da wir ja keine Alternative haben – ist es auf jeden Fall zu empfehlen, das zu nehmen. Man kann aber weder aus dieser Studie hier, noch aus irgendwelchen anderen Sachen, die vorher gelaufen sind, in Irland oder so, jetzt schließen, dass es genauso gut wäre. Oder sogar vielleicht schließen – das habe ich auch schon gehört – dass man sagt: Naja, das war ein Impfstoff, der hat in der Zulassungsstudie nicht so performt, aber dann hinterher im wirklichen Leben ge- zeigt, dass er besser als bei der Zulassung war. Also so etwas kann man aus den Daten über- haupt nicht ablesen.

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1:12:06

Camillo Schumann

Wir kommen zu den Hörerfragen. Dieser Hörer hat folgende Frage:

„Besteht die Möglichkeit, dass ich mich – bevor ich geimpft werde mit Astrazeneca – testen lassen kann, ob eine Thrombosegefahr be- steht? Und die zweite Frage: Wenn ich denn ein Thrombosemittel bekommen würde, wie lang sollte man das dann einnehmen?“

Alexander Kekulé

Die Möglichkeit, ob man eine Thrombosege- fahr hat, es gibt dafür Tests. Ich bin aber abso- lut dagegen, das vor einer Impfung zu machen. Man muss sich das so vorstellen: Wenn man optimistisch ist, sagt man: Das Risiko von Thrombosen – so sagt es zumindest der Her- steller und die Leute, die den Hersteller vertei- digen – liegt höchstens in der Größenordnung von 1:100.000. Das ist die Zahl, die so im Raum steht. Die EMA hat Daten veröffentlicht, die so in diese Richtung gehen. Wenn man jetzt echt den Teufel an die Wand malen wollte, würde man sagen: Naja, es ist nicht ausgeschlossen, dass das Risiko vielleicht bei 1:10.000 liegt. Dann sind sie immer noch ein einem Bereich, wo es weit davon entfernt ist, dass es sich loh- nen würde, dann jeden vorher auf Thrombose- Risiken zu testen o.Ä.. V.a. muss man ja noch mal betonen: Dieses Zustandekommen dieser Thrombosen ist ganz offensichtlich ein beson- derer Mechanismus, der nicht 1:1 der gleiche ist von den normalen Thrombosen, die man so hat, was weiß ich, als Raucher oder Frauen, die die Pille nehmen, usw. Sondern es ist ein be- sondere Mechanismus. Und deshalb ist gar nicht gesagt, dass jemand, der jetzt so ein all- gemeines Thromboserisiko hat aus anderen Gründen, dass bei dem dann dieser besondere Mechanismus eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, sozusagen anzuschlagen. Oder andersher- um gesagt: Die Tests, die wir haben, um so Thrombosegefahr im Allgemeinen ungefähr zu analysieren, die haben wahrscheinlich gar kei- ne Vorhersagekraft bezüglich der Frage, ob man ein erhöhtes Risiko nach AstraZeneca- Impfung hat

Camillo Schumann

Und die Frage der prophylaktischen Einnahme vor einer Impfung? Sie hatten es schon ein bisschen gesagt.

Alexander Kekulé

Umso mehr, umso mehr. Das gilt eben hier auch. Es sieht eben so aus, das hatten wir ja, im Podcast, ich glaube letzten Donnerstag, besprochen. Wenn die Greifswalder Daten stimmen, dann ist es so, dass es ein ganz be- stimmter Mechanismus ist, der dazu führt, dass diese Blutplättchen verklumpen können. Möglicherweise auch durch irreguläre Antikör- per, die da eine Rolle spielen. Auf jeden Fall durch eine Aktivierung des angeborenen Im- munsystems und des Komplementsystems. Und das kann man nicht, indem man einfach irgendwelche Thrombosehemmer oder Blut- verdünner oder irgendetwas einnimmt – ich sag mal so Stichwort Aspirin in niedriger Dosis. Das kann man da nicht so pauschal sagen, dass dieses Risiko damit reduziert würde. Also da- her haben wir zu wenig Erkenntnisse, um letzt- lich zu sagen, was man machen könnte, um rein theoretisch dieses minimale Risiko auch noch weiter zu reduzieren. Ich glaube, dass da sehr bald Daten zur Verfügung stehen werden. Die Mechanismen werden ja gerade unter- sucht. Und es kann durchaus sein, dass wir in wenigen Wochen dann wissen, wie das funkti- oniert mit diesen Nebenwirkungen. Ob es überhaupt wirklich am Impfstoff liegt. Und falls es daran liegt, dann auch Hinweise haben, wie man im Falle eines Falles Gruppen definieren kann, die ein erhöhtes Risiko haben. Aber diese Daten haben wir eben bis jetzt noch nicht. Und deshalb ist es auch nicht sinnvoll, da irgendet- was ins Blaue hinein zu machen.

1:13:31

Camillo Schumann

Frau J. hat uns gemailt. Sie schreibt:

„Ich bin Lehrerin an einer Schule in Nordrhein- Westfalen und unterrichte einen zehnten Jahr- gang. Wir hatten in dieser Woche den ersten Durchgang mit Schnelltests, in dem die halbe Klasse sich testen lassen sollte. Von 13 Schüle- rinnen und Schülern haben nur zwei Eltern das Einverständnis zum Schnelltest gegeben. Die anderen elf Schüler haben von den Eltern eine unterschriebene Erklärung mitgebracht, dass

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sie einer Testung nicht zustimmen. Diese Schü- ler kommen aber trotzdem in die Schule. Das Kollegium ist jetzt massiv verunsichert. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen über 60, sogar über 65. Bei einer Nachbesprechung mit den Eltern kam als Antwort, dass die Familien einer Quarantäne im Falle eines positiven Tests entgehen wollen. Es würde mich sehr interes- sieren, was Herr Professor Kekulé dazu vor- schlägt. Wir sind verzweifelt. Herzlichen Dank, Frau J.“

Mein lieber Mann.

Alexander Kekulé

Oh weh! Ich glaube, dass es eine Ausnahme ist, dass Menschen so offen darüber sprechen. Ich sage ganz offen, ich habe mit der Schule, wo also mein Neunjähriger hingeht, da habe ich ehrlich gesagt sogar ähnliche Erfahrungen ge- macht. Das ist tatsächlich so: Ich glaube, wenn man in Deutschland unter den Teppich schau- en würde überall, dass diese Überlegungen häufig eine Rolle spielen. Dass man eben sagt: „Mensch, wenn das dann offen wird, dass wir da positiv sind, dann müssen wir in Quarantä- ne. Dann kann der Papa nicht mehr zum Arbei- ten gehen. Wie zahlen wir dann unsere Miete? Was ist dann mit unserem Urlaub nächste Wo- che in Mallorca, den wir geplant haben ...“ Ja, also das ist so, glaube ich, ein Geschehen, was neben dem offiziellen Pandemie-Abwehr- Geschehen in Deutschland abläuft, was man vielleicht unter „diskrete Vermeidungsstrate- gie“ oder „diskrete Verweigerung“ überschrei- ben könnte. Da muss ich zugeben, bin ich jetzt auch überfordert, denn das ist eher etwas, was man Psychologen, Soziologen fragen müsste. Ich kann als Wissenschaftler immer noch hof- fen, dass die Fakten, die man versucht, ir- gendwie zu erklären, Leute überzeugen. Aber wenn man sozusagen nicht mehr faktenbasiert argumentiert, sondern eher opportunistisch – das ist es ja am Ende des Tages – dann wird es schwierig. Ja, also dann kämpft letztlich der Einzelne gegen die Gesellschaft. Da sind wir an dem Punkt. Haben wir darüber gesprochen, warum aus meiner Sicht in Japan das so gut funktioniert hat? Eine Zeitlang. Da gab es ja Kollegen, die gesagt haben, das ist die japani- sche Cluster-Strategie gewesen. Aber aus mei- ner Sicht war das viel stärker, dieses sehr star- ke Commitment auch asiatischer Kultur, Japan

ganz besonders, dass der Einzelne nichts tut, was die Gesellschaft, was die Gemeinschaft sozusagen schädigt. Und das haben wir eben in Deutschland nicht so stark – im Westen insge- samt nicht so stark – und möglicherweise an dieser Schule besonders wenig. Aber das ist, glaube ich, kein Ausnahmefall. Ich glaube, das wird noch interessant. Wenn dann diese Test- strategie am Start ist, wir hoffen ja, dass das demnächst dann der Fall ist, dass dann die Frage ist, machen die Eltern mit? Oder braucht man vielleicht sogar Zwangsmaßnahmen, dass Kinder, die nicht getestet werden, nicht in die Schule dürfen? Dann gibt es wieder die Schul- pflicht. Wahnsinnig schwierig.

Und vielleicht zuletzt: Es ist ja in Frankreich gerade die große Diskussion, ob das medizini- sche Personal, ob sich das pflichtimpfen muss, weil so viele Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten, Ärzte, die Impfung verwei- gern, dass die Franzosen da auch verzweifelt sind. Also diese letzte Station Vernunft, das ist so etwas, das ist so die letzte Bastion, die ir- gendwie schwer zu erklimmen ist. Also, dass man die Vernunft der Menschen irgendwie in die richtige Richtung dreht. Das kann man nur durch Überzeugungsarbeit meines Erachtens machen.

Camillo Schumann

In Sachsen beispielsweise gibt es eine Corona- Testpflicht an den Schulen. Einmal in der Wo- che sollen die Schülerinnen und Schüler da getestet werden und das sorgt auch dort für Unmut bei einigen Eltern. Also da kommt noch Einiges auf die Lehrerinnen und Lehrer zu. Da kann man ja jetzt auch nicht so aus der Hüfte so einen schlanken Tipp geben. Da ist dann wirklich der Staat gefragt, die Testpflicht ja dann auch durchzusetzen.

Alexander Kekulé

Ich sage es Ihnen ganz ehrlich da bin ich über- fordert an der Stelle, weil der Naturwissen- schaftler ist dermaßen auf den gesunden Men- schenverstand getrimmt, dass der immer nur mit Erstaunen festgestellt, wenn es manchmal anders läuft. Ich weiß aber, dass tatsächlich bei den Schulen das Problem eben die Schulpflicht ist. Und wenn jemand schulpflichtig ist, können Sie eigentlich schwer sagen, weil er sich nicht testen lässt, darf der nicht in die Schule. Wir

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hatten diese Diskussion – da war ich ja auch beteiligt – bei der Pflichtimpfung für Masern. Und da ist letztlich so, dass man nicht geimpfte Kinder, die kann man ausschließen von der Kita. Das ist möglich und wird auch zum Groß- teil, glaube ich, jetzt gemacht. Man kann sie aber nicht ausschließen von der Grundschule, sodass wir das Paradoxon haben, dass Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, die können sie zwar nicht eine Kita geben, aber sobald Einschulung ist, kommen dann die ungeimpf- ten Kinder in die Schule. Weil es einfach nicht anders geht, weil man quasi da keine Benach- teiligung machen kann. Das sind alles sehr schwierige Fragen muss man ganz ehrlich sa- gen. Und letztlich ist hier an der Schule, was die Hörerin da beschreibt, ist ja das Problem, das Verhältnis. Also dass so wenige sich bei den Tests beteiligen. Wenn man jetzt

80 Prozent Vernünftige hat und 20 Prozent, die es nicht einsehen wollen, da sage ich immer, das kann unsere Gesellschaft ab. Dafür sind wir ja eine freie Gesellschaft. Wenn es natürlich mal das Verhältnis sich umkehrt: Demokrati- sche Gesellschaften haben eben immer auch den Impetus, dass Mehrheiten, die Unsinn, wollen, trotzdem Mehrheiten sind.

Camillo Schumann

Ein schönes Schlusswort. Und ich finde, dieser Podcast bildet ja auch die Lebenswirklichkeit in Deutschland ab schon seit einem Jahr, auf- grund vieler Hörer*innen-Fragen. Und das war jetzt wieder so ein Beispiel mitten aus dem Leben. Hier besprochen. Und es gibt manch- mal eine Antwort und [manchmal gibt] es eben keine Antwort. Dass es dann eben keine Lö- sung gibt. Dann muss man sich dann vor Ort damit auseinandersetzen.

Herr Kekulé, damit sind wir am Ende von Aus- gabe 163 vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder bis dahin.

Alexander Kekulé

Danke Ihnen. Bis Donnerstag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de, oder rufen Sie uns an, kostenlos: 0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-

Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere noch- mal vertie␣fen möchte: Alle Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Donnerstag, 28.01.2021 #144: Der Sündenfall des Westens – Ein Jahr Corona

Camillo Schumann, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links:

Studie: Wie wirksam ist der Moderna-Impfstoff gegen Mutationen? (25.01.) mRNA-1273 vaccine induces neutralizing antibodies against spike mutants from global SARS-CoV-2 variants | bioRxiv

Studie: Wie wirksam ist der Biontech/Pfizer- Impfstoff gegen Mutationen? (26.01.) Increased Resistance of SARS-CoV-2 Variants B.1.351 and B.1.1.7 to Antibody Neutralization | bioRxiv

Camillo Schumann:

Donnerstag 28., Januar 2021.

Wie gut wirken Impfstoffe gegen die Virus- Mutationen? Es gibt neue Studien.

Dann: Ein Jahr Sars-CoV-2 in Deutschland. Was wusste man damals über das neue Virus? Und was wusste man noch nicht?

Außerdem: Schärfere Reisebeschränkungen und Grenzkontrollen. Deutschland will sich gegen Mutationen abschotten. Wie ist diese Strategie in der derzeitigen Lage zu bewerten?

Zudem: Einzelne Bundesländer entwickeln für die Zeit nach dem Lockdown Exitstrategien: Sollten bei einer Inzidenz knapp unter 200 schon die Wochenmärkte eröffnen?

Und: Erkennen PCR- und Schnelltests auch Mutationen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus.

Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Wir starten mit einem kleinen Rückblick auf den 27. Januar 2020, gestern vor einem Jahr. Da hat Professor Wieler, Präsident des Robert- Koch-Instituts zum Sars-CoV-2 Virus Folgendes gesagt:

„Wir haben bislang lediglich Zahlen von Fällen und Zahlen von Todesfällen. Und wenn man von diesen Zahlen ausgeht, können wir nicht davon ausgehen, dass das Virus viele schwere Erkrankungen macht zurzeit.“

Am selben Tag hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wie folgt geäußert:

„Grundsätzlich sind wir wachsam. Wir nehmen die Dinge ernst. Wir sind aber auch gut vorbereitet. Es gibt Pandemiepläne. Es gibt Umgangspläne, was im Fall der Fälle an den Flughäfen und in den Kliniken zu tun wäre.“

Und am 27. Januar 2020 war es auch, als der erste Deutsche positiv getestet wurde. Es war ein Mitarbeiter des Automobilzulieferers Webasto in Bayern.

Herr Kekulé, welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?

Alexander Kekulé:

Das war die Zeit, wo im Grunde genommen der Sündenfall des Westens stattgefunden hat. Das waren ja nicht nur Wieler und der Bundesgesundheitsminister, sondern auch

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andere. Ich kann mich an einen erinnern, der gesagt hat, es ist zu früh, Alarm zu schlagen. Wieler hat kurz vor diesem Interview, was Sie gerade gespielt haben, gesagt, das Virus wird sich in Europa nicht nennenswert ausbreiten. Das war für mich die schlimmste Zeit, weil damals einige Fachleute, zu denen ich auch gehört habe, gesagt haben, das wird garantiert ausbrechen, das hat das Potenzial zur Pandemie. Wir müssen unbedingt was tun, Grenzkontrollen z.B. oder Tests machen. Die waren ja damals schon vorhanden. Und man hat gekämpft wie jemand, der in einen Honigtopf gefallen ist, wo alles wahnsinnig zäh ist. Das war die schwierigste Zeit.

Jetzt ist es ja so, dass wir es verstanden haben. Bei den neuen Varianten wird vielleicht die Aktivität entwickelt, die wir damals dringend hätten entwickeln müssen, weil wir, die westliche Welt, damals die Chance gehabt hätten, etwas Ähnliches zu machen wie einige asiatische Staaten, übrigens auch einige Länder im Westen. Und dann hätten wir diese Pandemie wesentlich besser im Griff gehabt. Die Pandemiepläne, die der Bundesgesundheitsminister damals erwähnt hat, die lagen in der Schublade und blieben in der Schublade. Und man hat nicht gemacht, was da drin entsteht.

Sie haben gesagt „Sündenfall des Westens“. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die WHO vor ein paar Tagen in ihrer Retrospektive. Können Sie uns vielleicht mit ihren Worten erklären, warum es schwer war und warum es da offenbar möglicherweise Kommunikationsprobleme, aber auch Verständigungsprobleme gab bei der Einschätzung der Lage?

Alexander Kekulé: All das ist ein riesen Thema. Ich möchte mein Buch erwähnen, da habe ich das ausführlich geschildert. Es ist letztlich so, dass damals die WHO gesagt hat, Grenzschließungen sind kein probates Mittel. Das liegt daran, dass die Rahmenbedingungen für die WHO schon immer seit ihrer Gründung und auch davor bei den

Vorläuferorganisationen waren, dass sie vor allem die Wirtschaft schützen wollte vor übertrieben Quarantänemaßnahmen. Das ist nicht von mir, sondern dass ist historisch verbrieft. Und aus dieser Grundhaltung heraus hat die WHO gesagt, erst einmal den Reiseverkehr nicht einschränken, wird schon nicht schlimm sein. Ich erinnere mich gut an den 22. Januar, da war ja die erste Sitzung, wo die Frage war: Soll man den Notfall ausrufen, ja, oder nein? Da hat man sich erst einmal auf Druck der Chinesen dagegen entschieden. Dass man in dem Fall besser die Alarmglocke gedrückt hätte, ist heute klar. Aber das Problem ist auch aus meiner Sicht, dass sich das deutsche RKI und die Experten, die das RKI beraten haben, der WHO-Meinung angeschlossen haben und wesentlich weniger auf dem Stand der Zeit waren als viele Kollegen in Hongkong. Ich erinnere mich, der erste Kollege aus Hongkong, der mich da alarmiert hatte, war noch vor Silvester gewesen. Und ungefähr am 8./9. Januar war es international klar, dass dieses Virus von Mensch zu Mensch springt und dass die Chinesen das verheimlichen. Und das war die Phase, wo man etwas gezögert hat. Und es kamen ja weitere. Man hat den Ausbruch in Italien übersehen, obwohl völlig klar war, man muss in Europa testen. Und seitdem haben wir die berühmte G-Variante, die die erste stärkere infektiöse Variante war, die sich weltweit ausgebreitet hat.

Camillo Schumann:

Ich erinnere mich an unseren 1. Podcast. Der war am 16. März, dem Tag, an dem Bayern als 1. Bundesland den Katastrophenfall ausgerufen hatte. Und seit dem Morgen des 16. März 2020 waren auch die Grenzen zu Österreich, Schweiz und Frankreich geschlossen. Und zwischen dem Webasto-Fall Ende Januar, den wir gerade erwähnt hatten, und den Grenzschließungen lagen exakt 50 Tage. Sie haben schon ihr Gefühl um den 27. Januar beschrieben. Aber wie war denn diese Zeit in diesen 50 Tagen?

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Alexander Kekulé:

Oh Gott, ich habe ja Konzepte gemacht, weil ich früher mit der WHO zusammengearbeitet habe. Die Konzepte lagen in dem entscheidenden Gremium, was sich in der WHO um Europa gekümmert hat, auf dem Tisch. Man hat beschlossen, dass das nicht wichtig sei, dass das eine Mindermeinung war. Der Kollege von der WHO hat die Frage gestellt: Haben Sie das schon mit dem RKI abgesprochen? Nach dem Motto: das RKI hat eine andere Meinung und ein einzelner Fachmann ist uns da nicht wichtig. Da stand klipp und klar drin, was man machen muss, um den Ausbruch in Europa noch in den Griff zu bekommen. Übrigens ähnlich wie die Vorschläge, die von den Zero-Covid-Leuten kommen. Wobei das damals eine faire Chance gehabt hätte. Heute ist es viel zu spät. Das war für mich die dunkelste Zeit. Wenn Sie sich Ihr halbes Leben lang mit Pandemie-Vorbereitung befasst haben, wenn Sie praktisch täglich Anrufe aus dem In- und Ausland kriegen von Leuten, die sagen, was machen die da? Wir haben das überhaupt nicht verstanden. Und wenn man täglich den Fernseher anmachen muss und Beschwichtigungstexte hört, wissend, was da kommt, das war bitter, kann ich sagen. Und diese Zeit war ja auch die, wo wir es verschlafen haben. Als der Ausbruch in Italien - das war Ende Februar, als der war, dass man ihn nicht mehr einfangen konnte –, da war im Grunde genommen schon alles vorbei, da war das Virus aus der Pandorabüchse ausgebrochen. Und das bekommt man nicht wieder zurück. Oder den Geist bekommt man nicht mehr zurück in die Flasche, wie mein Kollege Klaus Stöhr damals gesagt hat.

Camillo Schumann:

Die Annahmen waren ja damals: Schmierinfektion spielen eine große Rolle. Heute wissen wir: Das neue Virus, das wird nicht unbedingt gefährlicher sein, nicht tödlich wie Sars 2002. Und wir wissen, die Aerosole sind der Übertragungsweg schlechthin. In Deutschland sind an oder mit Sars-CoV-2 bislang über 54.000 Menschen gestorben.

Seien wir selbstkritisch: Lagen Sie mit Ihren Vermutungen im Nachhinein daneben, oder gab es vielleicht auch ein Vakuum, aus dem heraus man keine Aussage treffen konnte?

Alexander Kekulé:

Ich glaube, an zwei Stellen würde ich sagen, lag ich selber daneben. Die Wichtigste ist: Ich habe es komplett falsch eingeschätzt, wie die westliche Welt reagieren würde. Erst Europa, aber vor allem die USA. Das war für mich absolut unvorstellbar. Selbst bei diesem Präsidenten, der dort agiert hat. Aber die haben eigentlich hervorragende Seuchenbehörden bei Ausbrüchen im Ausland. Ich habe das ja in Westafrika mit Ebola erlebt. Da war die CDC, die US-Gesundheitsbehörde, hervorragend. Und dass man mit einer hervorragenden Ausstattung dermaßen auf die Nase fällt aufgrund falscher politischer Entscheidungen und zum Teil auch schlechter Beratung durch Wissenschaftler, war das eine, was ich nie gedacht hätte. Ich habe damals in den ersten Interviews gesagt, wir kriegen das in den Griff, weil ich wusste, dass die Pläne in der Schublade liegen.

Und das Zweite, was ich fachlich am Anfang unterschätzt habe, ist in der Tat die Kontagiosität, die Ansteckungsfähigkeit. Es ist ja so, dass wir bei Sars 2003 nie genaue Zahlen hatten, was das für einen R-Null-Wert hat. Und wir wussten, dass man Sars einfangen konnte. Das ist ja im Grunde genommen das gleiche Virus. Man könnte das aktuelle Virus fast als Variante des damaligen Sars-Virus bezeichnen. Und die Krankheit ist die gleiche. Es hat nur politische Gründe, dass die WHO das Covid-19 statt Sars nannte. Und da habe ich gedacht, dass man das in den Griff bekommt. Es hat sich aber vielleicht auch durch die G-Variante, die in Italien entstanden ist, durch die höhere Infektiösität weiterentwickelt, dass es von Ausbreitungsgeschwindigkeit Richtung Influenza geht. Dass es diese Superspreading- Ereignisse sind, die man selektiv stoppen muss, weil man bei den restlichen Übertragungen sowieso keine Chance hat. Das ist bei mir erst gereift im März 2020. Da habe

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ich ja das Smart-Konzept aufgeschrieben, was das schon berücksichtigt hat. Aber das war am Anfang eine Fehleinschätzung, das muss ich sagen. Die ersten zwei Monate dachte ich nicht, dass es ansteckend ist und habe den Daten aus Wuhan, die ja zum Teil schon darauf hingedeutet haben, nicht geglaubt, weil die Chinesen am Anfang gelogen hatten. Und weil sie es anders dargestellt haben, habe ich auch gedacht, na gut, mal sehen, ob das stimmt.

Camillo Schumann:

Aber wie war das bei oder sozusagen in der wissenschaftlichen Diskussion, war das alles relativ klar oder war es ein relativ unüberschaubare Informationshorizont, wo man sich selber was rauspicken musste und selber interpretieren musste?

Alexander Kekulé:

Natürlich hat das was mit der Interpretieren zu tun. Es gibt ja Kollegen, die sagen, die wissenschaftlichen Daten sind glasklar, und der Wissenschaftler interpretiert nicht, sondern er liest nur die Daten vor. Ich sehe das anders. Es ist so, dass selbst die besten Fachleute, wenn sie auf die gleichen Daten schauen, unterschiedliche Interpretationen reinlegen, vor allem wenn es in Richtung Maßnahmen geht.

Jeder hat ja so seine Informationsblase. Da schimpft man immer darüber im Internet. Aber das ist bei Fachleuten auch so. Ich habe da eine Blase, in der die meisten Kollegen im Ausland sind. Wir waren uns völlig einig. In Hongkong wurde die Situation genauso beurteilt, wie ich das gesehen habe. Vielleicht habe ich auch ein paar Beurteilungen von denen übernommen. Man bestärkt sicher da immer ein bisschen gegenseitig. Und in Deutschland habe ich beobachtet, auch seitens der organisierten Virologie, dass es Gegenbewegung gab. Man hat fast versucht, keine abweichenden Meinungen zuzulassen. Und das ist, glaube ich, auch bekannt, dass ich da auch das Ziel solcher Kampagnen geworden bin. Die sind sicherlich im guten Sinne gemacht worden, dass man wollte, dass die Bevölkerung

nicht aufgeregt wird. Ich bin ja da als „Alarmist“ beschimpft worden von meinen Kollegen und Ähnliches. Man wollte, dass niemand dem RKI widerspricht, damit es eine einheitliche Linie gibt.

Ich glaube, wir müssen lernen, dass der offene wissenschaftliche Diskurs wichtig ist und dass man große Gremien von Wissenschaftlern braucht, die miteinander diskutieren. Wenn man die immer nur einzeln fragt, ist das schlecht. Man braucht ein Gremium, denn das Ergebnis von solchen Gremien ist meistens besser. Und vor allem, wenn die Politiker dabeisitzen und sich das anhören, verstehen die ja auch ein bisschen die Argumente besser. Ich glaube, das hätten wir am Anfang unbedingt machen müssen. Das steht übrigens in den Pandemieplänen, dass man dafür eine Kommission, eine Fachkommission gründen soll. Das ist nicht gemacht worden und wie viele Punkte in der Schublade geblieben.

Camillo Schumann:

Dann haken wird das ab, auch wenn es schwerfällt, auch wenn wir noch stundenlang darüber sprechen könnten. Das ist, glaube ich, die spannendste Phase, in der viel passiert ist und vor allem auch wenig passiert ist. „Wir können nicht auf die nächste Pandemie warten.“, das hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gesagt. Die EU plant ein gemeinsames Pandemieabwehrprogramm und auch eine neue Behörde, die Hera, die Health Emergency Response Authority. Ende letzten Jahres hat die EU-Kommission auch einen Pandemieplan vorgelegt Ziel der Aktivitäten ist eine gemeinsame Gesundheitsunion. Das hört sich für mich als Außenstehenden an, als wäre man von dieser Pandemie überrascht gewesen. Und man möchte für die nächste, die vielleicht erst in ein paar Jahrzehnten kommt, gut vorbereitet sein. Wie neu sind denn diese Pläne?

Camillo Schumann:

Da sprechen Sie den nächsten wunden Punkt an. Ja, ich bin ich etwas über 60. Den ersten Plan habe ich mit Ende 20 in der Hand gehabt.

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Ich kann mich auch gut erinnern. 2003 das ist ja interessanterweise einer der Hallo-Wach- Rufe, die wir hatten. Da ging es ja um den ersten Sars-Erreger. Danach haben wir weltweit festgestellt, wir haben viel zu wenige Responsemöglichkeiten. Damals gab es genau solche Vorschläge, so etwas zu machen. Übrigens gibt es eine ähnliche Einheit bereits bei der Europäischen Kommission, die sich aber insgesamt auf Desaster-Prävention bzw. Desaster-Reaktion konzentriert. Aber die Seuchenausbrüche sind ein Teil davon. Kurz vorher – habe ich noch vergessen –: 2001 die die biologischen Anschläge nach dem September Eleven, da gab es ja den Milzbrand- Anschläge. Da gab es genau die gleiche Diskussion. Ich glaube, ich selber habe das zum ersten Mal öffentlich 1999 in einem Artikel im Tagesspiegel gefordert. Praktisch immer, wenn etwas war. Da hatten wir die Schweinegrippe 2009 und Ebola 2014. Es war immer: nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Wir haben immer gesagt, und damit glaube ich das gleiche gemeint wie die Frau von der Leyen aktuell: Wir müssen uns auf die nächste Seuche vorbereiten und mal sehen, ob es was wird. Wenn die Welt wieder in den Alltag zurückfällt, irgendwann und vor allem den langen Schuldenzettel sieht, der von dieser Pandemie übrig geblieben ist und daran zu nageln hat, da müssen wir aufpassen, dass da keine Weltwirtschaftskrise daraus entsteht im Nachfeld. Ich glaube, da werden die nächsten Probleme entstehen.

Und es ist die Frage, wie effektiv das alles wird. Wir haben ja viele Schauplätze, die global noch nicht funktionieren. Übers Klima möchte ich gar nicht sprechen. Aber das ist die viel größere Baustelle, die komplett liegen geblieben ist während der Pandemie.

Camillo Schumann:

Jetzt soll das ja auch eine neue Behörde werden mit Struktur, mit Befugnissen usw. Braucht es die? War das, was man bisher an Struktur hatte und an Verantwortlichkeiten, nicht durchschlagkräftig genug, dass man sich komplett neu aufstellt?

Alexander Kekulé:

Das muss man auf zwei Ebenen beantworten: Das eine ist die Frage: Brauchen wir wissenschaftlich mehr, als was wir haben? Da meine ich, nein. Da habe ich damals ein Paper geschrieben als Reaktion auf 2003, den Sars- Ausbruch, und einen Vorschlag gemacht für ein weltweites Alarmsystem. Das habe ich immer verglichen mit einem Erdbebenfrühwarnsystem, bei dem wir früh erkennen, ob neue Viren unterwegs sind, wo man z.B. im Tierreich nachschaut, was ist dort unterwegs, wo man vor allem bei Menschen, die in Regionen wie z.B. in Südchina leben, wo solche Krankheitsausbrüche ja häufig herkommen. Aber auch in Regionen Afrikas, wo wir Fledermauspopulationen haben mit gefährlichen Viren, dass man bei den Menschen die Blutproben, die sowieso gemacht werden, regelmäßig untersucht. Und wenn man da etwas Merkwürdiges feststellt, kann man das heute mit Methoden machen, die nicht speziell nach einem Virus suchen, sondern die generell feststellen können, ob es ein neues Virus ist, dass man da eine Frühinvestigation hat, ein Team hinschickt und mal nachschaut. Da war ich nicht der einzige, da gab es auch Kollegen aus den USA, die ähnliche Vorschläge gemacht haben. Und das gibt es ein bisschen. Schon das sind Programme, die in den USA hauptsächlich gelaufen sind. Da wurde Geld für ausgegeben. Trump hat es zwischendurch mal gestoppt, aber es ist inzwischen wieder neu aufgelegt. Und es gibt diese Frühwarnung von Viren. Und diese Systeme haben wir uns mit den modernen Social Media verbunden. Schnell genug ist es. Wenn man sich erinnert an Sars- CoV-2, da waren die ersten Warnungen ja Ende Dezember raus, und das hätte noch gereicht. Die Frage ist nur, was macht die Politik damit? Und da ist die Schwachstelle. Gerade die EU ist ja an vielen Stellen von der Struktur her toll. Aber wenn es um die konkreten Umsetzungen geht, hängt es immer an einzelnen Staaten, die ihre Partikularinteressen vertreten. Und deshalb kommt es nicht zu schnellen gemeinsamen

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Entscheidungen. Und ich glaube, daran wird auch eine Kommission oder eine neue Struktur in Brüssel nichts ändern.

Dafür bräuchten wir etwas wie eine internationale biologische Behörde unter den Vereinten Nationen. Das wäre, glaube ich, eher sinnvoll, dass man die Daten zusammenfließen lässt, die da relevant sind. Es geht auch bis zu Themen wie biologische Artenvielfalt, Erhalt der Biodiversität. Ich glaube, wenn man da jemanden hätte, der sozusagen die globalen Sicherheitsaspekte im Auge hat und der Konzepte entwickelt, das ist ja immer das, was fehlt: übergeordnete Konzepte, wäre das eine gute Sache, weil. Die WHO hat das zum wiederholten Mal nicht geliefert. Das RKI hat es auch nicht geliefert, sondern nur die Dinge am Anfang wiedergegeben, die von der WHO kamen. Und wenn da von oben von Anfang an ein starkes Signal gewesen wäre aus der Wissenschaft, hätten es die Politiker schon schwerer gehabt zu sagen, wir ignorieren das. Ich erinnere mich an das 1. Treffen der europäischen Gesundheitsminister, wo Herr Spahn hingereist ist und zurückkam und sagte: Ja, wir haben beschlossen, enger zusammenzuarbeiten und sonst nicht eine einzige Maßnahme umgesetzt wurde. Da hat schon mein Vorschlag auf dem Tisch des RKIs und des Gesundheitsministeriums gelegen. Wir haben gesagt, wir reden darüber und wir halten zusammen in dieser Krise, das ist viel zu wenig. Wenn es da ein klares Statement z.B. von einer UN-Behörde gegeben hätte, die vielleicht stärker aufgestellt ist als die WHO, wäre das gut gewesen. Die WHO kann bestimmte Sachen nicht machen, weil sie ihre Einzahler nicht verprellen darf.

Camillo Schumann:

Gut, beenden war den Rückblick und auch die Bewertung, was die EU in Zukunft vorhat. Wir werden vielleicht in zwei-drei Jahren, wenn sich alles mal entspannt hat, war wieder einen Podcast außer der Reihe machen, nur unter dem Thema, was macht die EU in Sachen Pandemiebekämpfung? Und da schauen wir mal wieder auf den aktuellen Stand. Apropos

aktueller Stand: Die aktuellen Infektionszahlen, und mal etwas Positives zu nennen: 17.500 Neuinfektionen ist eine Menge, aber immerhin 8.000 weniger als vor zwei Wochen. Und die 7- Tage-Inzidenz ist das erste Mal seit drei Monaten unter 100 gefallen. 98 beträgt die 7- Tage-Inzidenz. Das wäre unter 100 das erste Mal seit drei Monaten. Erst mal ein guter Schritt?

Alexander Kekulé:

Der Lockdown wirkt, wenn ich das mal sagen darf. Und wir haben ja noch gut zwei Wochen Zeit. Bis dahin wird es auf jeden Fall sein, dass wir in einer Phase sind, wo wir über geänderte Maßnahmen nachdenken können.

Camillo Schumann:

Und über die wollen wir gleich reden. Während die Infektionszahlen sinken, denkt die Bundesregierung laut darüber nach, sich nach außen abzuschotten. Grund ist die Angst vor Mutationen, die Reisende ins Land bringen könnten. Zu den Maßnahmen gehören laut Bundesinnenminister Seehofer deutlich schärfere Grenzkontrollen, besonders an den Grenzen zu Hochrisikogebieten. Aber auch die Reduzierung des Flugverkehrs nach Deutschland sei auf nahezu null gesunken sowie Israel, das derzeit auch zumacht, um die Einschleppung der Virus-Mutation zu verhindern. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums hat dpa bestätigt, dass ein entsprechender Beschluss derzeit abgestimmt wird. Und die Einschränkungen könnten laut Bild für Flughäfen schon nächste Woche umgesetzt werden. Deutschland schottet sich ab. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen in der aktuellen Situation?

Alexander Kekulé:

Da haben Sie mir die Brücke gebaut. Das ist ja das, was vor einem Jahr sinnvoll gewesen wäre. Die Frage ist, wie groß der Effekt noch sein wird. Israel, haben Sie gerade genannt, ist ein gutes Beispiel. Die haben die Flughäfen frühzeitig zugemacht, bei denen ist das geografisch auch gut möglich, weil die nicht viel Kontakt haben außerhalb des Flugverkehrs.

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Die haben trotzdem etwa 40 Prozent B1.1.7 im Land. Die neue Variante hat sich dort massiv ausgebreitet. Ich gehe davon aus, dass auch in Israel B-1-17 die dominante Variante werden wird. Im Vereinigten Königreich und in Irland ist es ja schon so, dass die als dominant gilt. Wir sehen das Gleiche auch in Ländern außenherum. Ich glaube, Belgien ist bei 25 Prozent. Bei Portugal ist es so, dass gerade gesagt wurde, dass wahrscheinlich Ende Februar dort das B1.1.7 vorhanden sein wird. Das heißt, wir haben es mit einer Situation zu tun, wo diese Variante auch in Deutschland schon vorhanden ist. Daher ist die Frage, was bringt es, die Grenzen zuzumachen? Klar, wir haben weitere, noch schlimmere Bösewichter am Horizont geortet, insbesondere aus Brasilien. Aber auch die südafrikanische Variante sind Dinger, wo wir Hinweise haben, dass die Zweitinfektionen relativ gut machen können, vielleicht sogar die Impfung nicht richtig wirkt. Und sich davor Zeit zu kaufen, um möglichst viele Menschen zu impfen oder auch mit der ersten Variante, ohne sich immunisiert zu haben. Wir haben ja ständig weitere Infektionen im Land. Dieser Effekt könnte dazu führen, dass es eine neue Variante schwerer hat, sich auszubreiten. Deshalb kauft man sich Zeit durch solche Grenzschließungen. Man muss sich aber immer im Klaren sein, dass man nur vorübergehenden ein bisschen bremsen kann. Wir werden das nicht auf Dauer draußen halten können, so wie die Chance am Anfang der Pandemie bestanden hätte. Das ist aber eine politische Frage, immer eine Güterabwägung machen, eine Einschränkung der Wirtschaft, Einschränkungen der Grundrechte für die Bürger auf der einen Seite und auf der anderen Seite ein gewisser Zeitgewinn, um mehr Menschen impfen zu können, sozusagen das, um der Impfung einen kleinen Vorsprung zu geben. Ich glaube, zum jetzigen Zeitpunkt, wo wir das alles noch nicht abschließend beurteilen können – wir wissen ja auch nicht, wie hoch dieses R-Null von den Varianten ist, das sind ja alles grobe Schätzungen, die sind wohl infektiöser, aber wie viel das ist, wissen wir nicht – und deshalb

würde ich sagen zum jetzigen Zeitpunkt: Besser machen als nicht machen. Aber radikale Maßnahmen wären – da man ja nur Zeit kauft – nicht gerechtfertigt.

Camillo Schumann:

Weil Sie sagen „der Impfung ein bisschen Vorsprung geben“: Wie weit sollte dieser Vorsprung sein, wie groß?

Alexander Kekulé:

Fragen Sie mal bei Biontech und bei Moderna nach. AstraZeneca wird ja gerade öffentlich angezählt. Das ist die Frage. Das kann keiner richtig modellieren. Wenn ich bei den Impfstoffen bin, bleibe ich bei meiner Prognose, die ist schon ein Jahr alt ist. Da werden wir zwischen Mai und Juni in dem Bereich sein, wo wir – wenn nicht was Großes schiefgeht – erste Herdenimmunisierungseffekte sehen, erste epidemiologische Effekte der Impfung sehen, wie man es in Israel ja gerade glaubt zu messen. Und lange können wir aber den Flugverkehr nicht einschränken. Das kann ich nicht beurteilen. Muss man den Wirtschaftsminister fragen. Bis dahin können wir das nicht durchhalten, sodass schon die Frage ist, wie bei jedem Schlachtplan: Was ist das Kriegsziel? Wir haben Ende Januar. Machen wir noch zwei Monate die Grenzen zu, haben wir der Impfung einen gewissen Vorsprung verschafft. Aber wir werden danach auch nicht in dem Bereich sein, dass die Impfungen einen echten, starken antiepidemischen Effekt haben. Wir werden in dem Bereich sein, dass die Impfungen hoffentlich die Risikogruppen besser schützen. Das wäre aber ein kompletter Strategiewechsel, weil das ist ja immer abgelehnt worden ist, dass es nur um den Schutz der Risikogruppen geht und die anderen lässt man da im viralen Sturm stehen. Das ist ja mit gutem Grund nicht die Strategie der Bundesregierung. Darum muss man sagen, man wird eine Weile bremsen, gucken, wie sich das entwickelt, und ich persönlich fürchte, wir werden trotzdem gerade bei B1.1.7 in Deutschland, vielleicht in zwei Monaten

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ungefähr nach und nach eine Situation haben, wo das dominant wird. Aber wir werden deshalb keine höhere Sterblichkeit haben. Wir werden, wenn wir die antiepidemischen Maßnahmen weiter betreiben, auch B1.1.7 in den Griff bekommen mit genau den gleichen Maßnahmen, mit denen wir die italienische Variante bekämpfen. Deshalb muss man überlegen, wie lange man da international zumachen will. Ich nenne noch ein Beispiel, das ist Großbritannien. Das Königreich hat ja bekanntlich die Grenzen zu Portugal geschlossen wegen der dort aufgetretenen südafrikanischen und neuerdings auch brasilianischen Variante. Portugal wiederum hat die Grenzen zu Großbritannien geschlossen wegen der B1.1.7-Variante. Demnächst soll es so sein, dass jeder irgendetwas im Land hat. Ich habe gehört, in Garmisch ist auch etwas Neues gefunden worden. Die Frage ist, wo soll das hinführen, wenn wir weltweit immer mehr Varianten finden? Am Schluss machen wir

alles zu, und jeder kocht sich nur noch einheimische Produkte.

Camillo Schumann:

Möglicherweise macht es ja auch nur europäisch Sinn, wenn man die starke Verbreitung von B1.1.7 und ggf. noch zwei andere Mutationen in Europa verhindern will, dass man mal gesamteuropäisch ich sechs-acht Wochen den Flugverkehr stark einschränkt und Grenzkontrollen etc. macht. Damit zumindest die Impfung europaweit einem Gewissen bekommt. Wäre das sinnvoller?

Alexander Kekulé:

Die europäische Zusammenarbeit ist ja im Grunde genommen das zweite Thema, wo man bei dieser Pandemie ein bisschen traurig sein muss. Das erste ist für mich, wie die USA reagiert haben. Und in Europa ist auch nicht richtig viel konzertierte Aktion zu erkennen gewesen. Das wäre eine weitere Chance, das zu machen, wobei man sagen muss, in Portugal sind offensichtlich die brasilianischen Varianten schon unterwegs. Das hat mit den unmittelbaren Kontakten zu tun. Portugal hat

ja schnell zugemacht zu Großbritannien, aber zu Brasilien sind die Flüge aus Brasilien erst gestern gestoppt worden. Ich nehme an, dass die dort inzwischen auch diese brasilianische Variante haben, sodass wir nicht mehr die Situation haben, dass wir sagen können, naja, Europa ist bisher noch verschont, lasst uns die Grenzen zumachen. Sondern wir müssen durch konsequente anti-epidemische Maßnahmen verhindern, dass sich das in Europa weiter ausbreitet.

Camillo Schumann:

Deutschland will sich nach außen abschotten. Im Inneren des Landes laufen sich die Bundesländer nun für Lockerungen warm. Gestern hat Schleswig-Holstein einen umfangreichen Perspektivplan vorgelegt. Auf neun Seiten wird da ziemlich detailliert dargelegt, welche Lockerung es bei welchem Inzidenzwert geben kann. Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt hat da schon mal Nägel mit Köpfen gemacht und angekündigt, die Wochenmärkte und auch den Zoo wiederzueröffnen. Halles OB Bernd Wiegand erklärt mal warum:

„Weil wir in der letzten Eindämmungsverordnung der Stadt vor ca. zwei Wochen eine Lockerungsstrategie beschlossen haben, die deutlich macht, unter welchen Voraussetzungen wir bestimmte Paragrafen nicht mehr zur Anwendung kommen lassen. Und da haben wir mehrere Abstufungen drin, unter 200, unter 100, unter 30. Wenn wir in der nächsten Eindämmungsverordnung einiges einführen, um Anreize zu setzen, auch in der Bevölkerung bestimmte Ziele zu erreichen, aber auch, um Zuversicht und Mut deutlich zu machen in der Stad. Und als dann fünf Tage dieser Wert unterschritten war, haben wir diesen Paragrafen beschritten. Und das bedeutet, dass die Wochenmarkthändler und Reisegewerbe für Lebensmittel in der Stadt zulässig sind, falls wir unter der 200er-Grenze sind.“

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In Halle, wird der Zoo nach wenigen Tagen unter einer 200-Inzidenz wiedereröffnet. Im Perspektivplan von Schleswig-Holstein dürfen die Zoos erst wieder öffnen, wenn die 7-Tage- Inzidenz 21 Tage lang stabil bei unter 100 liegt. Das ist ein deutlicher Unterschied. Wie bewerten Sie diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten mit Blick auf die Lockerungen?

Alexander Kekulé:

Ich würde grundsätzlich nichts an Inzidenzen festmachen, sondern ich halte es für wichtig, auf das individuelle, spezielle situative Risiko zu gucken. Zu Halle an der Saale, das ist meine zweite Heimat, da habe ich auch eine gewisse Affinität. Gerade Herr Wiegand (parteilos), der Oberbürgermeister dort, ist am Anfang als einer der ersten vorgeprescht und hat Maßnahmen überhaupt erstmal ergriffen, von der Maske bis zu allen anderen Schutzmaßnahmen, wo die anderen noch rumdiskutiert haben. Dem kann man nicht vorwerfen, dass er irgendwelche Lockerungsorgien feiern wollte. Ich kenne die Begründung für diese Abstufung nicht. Aber ich finde immer, man muss aufs Risiko schauen. Wenn wir Familien haben, die im Zoologischen Garten spazieren gehen mit ihren Kindern aus dem gleichen Hausstand, den Abstand dort einhalten und sich die Tiere anschauen, da sehe ich beim besten Willen im Freien kein Risiko. Man kann über etwas diskutieren, wenn man ein Affenhaus hat, ein Aquarium hat oder Ähnliches, was vollgestopft ist mit Menschen oder wo überhaupt schlechter Luftaustausch ist. Aber wenn ich mir einen Zoologischen Garten im Freien vorstelle oder auch eine Situation auf dem Markt, falls man die Abstände dort im Freien einhalten kann, ist aus infektiologischer Sicht das Risiko, dass dort Superspreading entsteht, extrem gering. Es gibt weltweit kein Beispiel dafür. Darum würde ich sagen, wenn man selektiv vorgeht und sagt, das, was infektiologisch ungefährlich ist, könnt ihr machen, glaube ich, ist es der richtige Weg. Aber leider haben wir da immer noch wenige Daten dafür. Aber das, was wir haben, kann man ja benutzen. Und da

ist nicht wichtig, wie hoch die Inzidenz ist. Außerdem ist es wahr, wenn sie zwei Meter Abstand halten und nur in Gruppen zusammen sind, die zusammenwohnen und im Freien sind, ist es egal, wie groß die Inzidenz außenherum ist, genauso wie wenn sie mit genügend Abstand auf der Rodelpiste sind. Das kann ich nur noch einmal unterstreichen.

Und gerade wegen der neuen Varianten, damit die Gegenmaßnahmen Akzeptanz haben. Es ist, glaube ich, auch sinnvoll, solche Sachen, bei denen offensichtlich nicht plausibel ist, Einschränkungen zu machen, die zu lockern. Ich würde das gar nicht als Lockerung bezeichnen, sondern sie nehmen, im Grunde genommen eine bisher schon immer überflüssige Maßnahme, zurück.

Camillo Schumann:

Die Frage, die dahinter steckt, ist ja, dass wieder jeder anfängt, sein eigenes Süppchen zu kochen. Ist das clever, oder sollte man nicht aus den Erfahrungen der letzten Monate des letzten Jahres lernen und sagen: Passt auf, wir machen einen Perspektivplan für alle, und alle halten sich verdammt noch mal dran. Oder ist das ein bisschen übertrieben? Denn selektive Maßnahmen schließt das nicht aus.

Alexander Kekulé:

Ich mag den Generalplan, der klug wissenschaftlich basiert ist. Da haben wir gerade ein Beispiel gehabt. Aber das ist wieder eine politische Frage. Ich finde es als Wissenschaftler gut, wenn die Politik sich einigt, was da in Schleswig-Holstein auf diesem ausführlichen Papier ist, wo Schwellen aufgezeigt werden. Das erinnert mich ein bisschen an die berühmte Corona-Ampel, die mal eingeführt wurde. Ich glaube, die hat man schon längst wieder vergessen. Die ist ja nur aufgestellt worden, damit die Ministerpräsidenten gleich danach bei Rot rüberfahren können. Und ähnlich wird es wahrscheinlich wieder sein. Ich muss aber auch sagen, da muss man ein bisschen auch im eigenen Garten sauber machen. Die Wissenschaftler sind sich ja auch nicht mehr

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einig. Selbst die Leute, die normalerweise relativ schnell zu einem Konsens kommen. Ich habe früher immer gesagt, Diskussionen von Wissenschaftlern sind total langweilig, weil nach drei Minuten weißer Rauch aufsteigt. Das ist ja im Moment gar nicht mehr. Deshalb darf man, glaube ich, nicht mit dem Finger auf die Politik zeigen. Wir haben viele Dinge, bei denen man nicht genau weiß, was der beste Weg ist, umso politischer es wird, je mehr der Faktor Mensch da eine Rolle spielt, desto schwieriger wird das.

Camillo Schumann:

Wir sind gespannt, wie die Konzepte umgesetzt werden und ob es möglicherweise beim nächsten Bund-Länder-Treffen ein gemeinsames Perspektivkonzept gibt. Schleswig-Holstein hat nun eins vorgelegt.

Herr Kekulé, wir müssen noch über die Mutation bzw. über die Wirkung der Impfstoffe bei Mutationen sprechen. Ich frage mich schon lange: Ist es sicher, dass die Infektionszahlen in den Ländern, wo sie ja stark steigen, die Mutation ursächlich dafür sind oder mögliche Lockerungen? Oder spielt es am Ende keine Rolle mehr?

Alexander Kekulé:

Das ist nicht sicher, das ist auch ein wichtiger Punkt. Es ist für einen Politiker immer besser zu sagen, die Lockerung, die ich letzten Monat beschlossen habe, war nicht schuld. Es liegt an einer Mutation, so wie es Boris Johnson getan hat. Wir hatten auch in Irland diesen Effekt, dass dort durch die Weihnachtszeit und durch die Lockerungen über Silvester – die hatten, anders als wir über Weihnachten und Silvester alles auf alles aufgemacht, die die Pubs offen usw. – und danach sind die Fallzahlen hochgegangen. Genauso war es übrigens in Portugal, wo es im Moment fürchterlich ist. Es ist so, dass wir, wenn man die Zahlen genau anschaut, jetzt der Moment ist, wo die Inzidenzen explodieren, steil ansteigen. Das war in diesen Ländern typischerweise Anfang Januar plus/minus eine Woche. Zu dem Zeitpunkt war der Anteil dieser Mutanten bei

den nachgewiesenen Infektionen jeweils äußerst gering, von der Größenordnung unter fünf Prozent. Aktuell sind die Mutanten angestiegen. In einigen Ländern geht es ja Richtung dominante Variante. Auch in Portugal ist es so, dass im Moment in der dritten Januarwoche die Mutanten Richtung 20 Prozent hochgegangen sind, diese B1.1.7. Aber damals als das losgeschossen ist Anfang Januar in Portugal. Da war diese Mutation überhaupt noch nicht häufig zu beobachten, sodass man schon sagen muss, da ist es zumindest zu einer Art Vorglüheffekt, der durch die Lockerung der Maßnahmen entsteht, gekommen. Und wenn sozusagen das Infektionsgeschehen insgesamt hochläuft, und zwar meistens, wenn man es genau analysiert bei den Ländern, wo wir überhaupt Daten haben, in der Weise, dass die vorherigen normalen Viren, die Italien- Variante, die wir ja weltweit haben, dass die erstmal hochgeschossen ist – und im Schlepptau kommt auch die Mutation, und die setzt sich durch. Ich würde mal sagen 90 Prozent vom Effekt – aus dem Bauch heraus – sind die nachlassenden Gegenmaßnahmen, und die letzten zehn Prozent erledigt die Mutation. Dass die ansteckender sind, ist aufgrund der Daten inzwischen klar. Man kann aber nicht sagen, dass diese Zunahme ausschließlich auf höherer Infektiösität beruht. Wenn Leute da sagen, dass es eine Pandemie in der Pandemie ist, finde ich das, ehrlich gesagt, ein bisschen übertrieben.

Camillo Schumann:

Jetzt gehen die Zahlen in einzelnen betroffenen Ländern wieder zurück. Liegt das an den getroffenen Maßnahmen? Oder woran liegt es?

Alexander Kekulé:

Das liegt nicht daran, dass die Mutante schlapp geworden ist. Es liegt nur an den Maßnahmen. Ist es so, dass das ein wichtiges Zeichen ist. Das kann man nicht oft genug sagen. Das beweist, dass auch in Gegenwart einer solchen Mutante – wir sprechen z.B. von Irland und von Vereinigten Königreich, wo die B1.1.7 dominant geworden ist, die Mehrheit der

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Infektionen macht der aktuellen Neuinfektionen – auch dort wirken die klassischen Gegenmaßnahmen, wenn man sie ergreift. Und das heißt für mich im Umkehrschluss, wenn wir das machen, was wir schon länger verstanden haben, was notwendig ist in Deutschland, dass das wirkt. Auch wenn die Mutanten ins Land kommen. Und ich gehe davon aus, dass die irgendwann, bei uns auch dominant werden, früher oder später, dass wir aber mit der Mutante mit genau den gleichen Instrumenten klarkommen.

Camillo Schumann:

Und die große Frage: Wirken die Impfstoffe auch gegen die Mutationen? Die Hersteller Biontech und Moderna, beide mRNA- Hersteller, sagen ja, das zeigen Neutralitäts- Studien des Nationalen Gesundheitsinstituts in Washington und der Uni von Texas. Ein neuer Impfstoff sei deshalb derzeit nicht erforderlich, heißt es in Stellungnahmen dieser beiden Firmen. Allerdings seien sie auch bereit, sofort zu reagieren, falls neue Varianten auftauchten. Die Hersteller beruhigen die Bevölkerung, beruhigen die Sie auch?

Alexander Kekulé:

Ich bin immer dagegen, sich aufzuregen. Sie merken ja, auch bei diesen Mutanten glaube ich immer, wir kriegen das in den Griff. Man muss da unterscheiden. Das eine ist die B1.1.7, die im Vereinigten Königreich erstmals nachgewiesen wurde. Wo sie herkommt, weiß ja keiner. Da haben wir aber die Version 2.0, die aus Südafrika kommt, und die Version 3.0, die aus Brasilien kommt. Die heißen wirklich V2 und V3 in einer der Nomenklaturen, die wir da haben. Bei dem Impfstoff von Pfizer/Biontech ist es ja so, die haben gerade gestern das als Preprint veröffentlicht – und darauf bezieht sich auch die Pressemitteilung – von einer ihrer Vakzinierungs-Studien haben 20 Seren von geimpften Personen genommen. Und die haben das gemacht, was man eine Pseudovirusneutralisation nennt, einen Neutralisationstest, mit dem man guckt, ob diese Seren die Antikörper enthalten, nach der

Impfung in der Lage sind, in der Zellkultur die Virusvermehrung zu hemmen. Aber die Viren, die man sich anschaut, sind keine Coronaviren in dem Sinn, sondern man nimmt Labor-Viren, die man hat, und baut da ein Stück von Corona ein und lässt sich das vermehren. Solche Viren nennen wir Pseudoviren. Weil sie zusammengebaut sind. Und da haben die getestet, wenn man da Mutationen miteinbaut, wirken unsere Seren von eingeimpften Personen noch? Und da haben sie festgestellt, dass das im Prinzip im Schnitt halbwegs noch wirkt. Da ist kein großer Unterschied bei den mit den verschiedenen Mutationen. Und daraufhin haben sie die Pressemitteilung gemacht. Wenn man sich das genau anschaut, gibt es aber da zwei Pferdefüße dran. Der eine ist, dass diese – sowohl die britische Variante als auch die südafrikanische, als auch die brasilianische, - ein Bouquet von Mutationen haben. Es sind acht oder neun Mutationen alleine in diesem berühmten Spike-Protein. Die haben von diesem Bouquet aber nur drei Mutationen eingebaut in ihre Pseudoviren. Die haben nur drei getestet. Zugegeben drei, von denen man glaubt, dass die besonders wichtig wären, aber nur drei. Und wenn man sich die Daten anschaut, stellt man fest, dass von diesen 20 Seren, die sie untersucht haben, bei der Hälfte eine gute Neutralisation gab – das heißt, da haben sogar die Antikörper, die in diesem Serum der Patienten waren oder der Probanden waren, die haben sogar besser gewirkt, ungefähr doppeltgut gewirkt wie normalerweise, wie gegen die mit den normalen Varianten. Da sagt man, hey super! Aber sechs von 20 haben doppelt so schlecht, also nur halb so gut gewirkt. Im Mittel gibt es sozusagen plus minus Null. Und das haben sie publiziert. Die Daten sind, würde ich mal sagen, nicht eindeutig, weil es unterschiedliche Gruppen gab, die unterschiedlich reagiert haben. Und man hat nur drei dieser acht oder neun Mutationen eingebaut und ein Protein, das ist ja ein Eiweißmolekül, das kann man sich als langen Faden vorstellen, der aufgeknäult ist, ähnlich wie ein komplett verwurschteltes

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Wollknäuel. Wenn die Katze die Oma beim Stricken überrascht hat. Und die haben bestimmte Konformationen, wie wir sagen. Die Form dieses Gesamtknäuls hängt von vielen kleinen Stellschrauben ab. Und es ist ein riesen Unterschied, ob sie nur drei Stellschrauben verändern, wie es gemacht wurde, oder das komplette Paket machen, was sich in der Variante sicher offensichtlich genetisch durchgesetzt hat, sonst wäre sie nichterfolgreich. Und da gibt es andere Studien, die das gemacht haben.

Camillo Schumann:

Wenn man die Studien vergleicht, wie würden Sie die einordnen?

Alexander Kekulé:

Ja, da gibt es zwei Studien, die das gemacht haben. Ich gehe da nicht im Detail darauf ein, aber die eine von den beiden ist von der Columbia University in New York. Der David Ho ist dort, das ist ein berühmter Mann aus der Aids-Forschung. Noch der wurde mal Man oft he year im Time Magazine genannt vor langer Zeit. Er kommt auch in meiner Vorlesung deshalb vor. Das ist die eine Studie. Und die haben die britische und die südafrikanische Variante untersucht. Und es gibt eine weitere Studie von Moderna zusammen mit der US- Gesundheitsbehörde NIH in der Nähe von Washington. Das ist die Behörde, wo der berühmte Toni Fauci arbeitet. Und die ist zu einem extrem ähnlichen Ergebnis gekommen: Sowohl Antikörper, die man aus älteren Studien hat oder auch für Therapien hat, die im Labor hergestellt wurden, sogenannte monoklonale Antikörper, haben die Eigenschaft, dass sie nur eine Stelle an einem Protein erkennen, in diesem Wollknäul sozusagen nur einen kleinen Ausschnitt sich anschauen und da anbinden oder nicht. Bei denen ist es so, dass eine deutliche Reduktion der Bindung stattgefunden hat, insbesondere bei der südafrikanischen Variante, und ein kleiner Effekt auch bei der britischen. Aber der ist nicht groß gewesen. Und dass vor allem die Seren von Personen, die entweder die Krankheit durchgemacht haben oder auch

geimpft wurden mit dem Biontech- oder Moderna-Impfstoff eine Reduktion der Wirksamkeit dieser Antikörper, die da in dem Serum ist. Konkret in Zahlen hatte die eine Studie von David Ho 20 Patienten angeschaut und festgestellt, dass da die die B1.1.7 dreifach so schlechter festgehalten wird von den Antikörpern, und die südafrikanische etwa zehn- bis 30-fach schlechter. Das ist ein erheblicher Effekt bei der südafrikanischen Variante. Und auch bei den Geimpften ist es so, dass das B1.1.7 etwas schlechter wirkt, zweifach schlechter als der normale zirkulierende Typ. Und bei den Geimpften bei dem südafrikanischen Virus ist es ungefähr sechs- bis neunfach schlechter. Das heißt, bei der südafrikanischen Variante haben wir deutliche Hinweise darauf, dass sie sowohl bei der Impfung als auch bei Leuten, die die Infektion durchgemacht haben, vom Immunsystem nicht gut erkannt wird.

Und es gibt noch die brasilianische, die heißt bei uns V3, sozusagen Version drei. Da ist es so, dass es die unangenehmste von allen, da ist noch nicht getestet worden bis jetzt. Keine der beiden Studien hat es untersucht. Aber die Daten kann man ein bisschen extrapolieren, weil die Mutationen ähnlich sind. Da wird es mindestens so übel aussehen wie bei der südafrikanischen.

Camillo Schumann:

Übrigens eine kleine Vorlesungen zur monoklonalen Antikörpern in Ausgabe 143.

Die alles entscheidende Frage ist: Ist das leichte Irreführung der Öffentlichkeit durch diese Firmen, oder ist es zu vernachlässigen?

Alexander Kekulé:

In der Publikation, die ich gelesen habe – übrigens alles, was ich gerade besprochen habe, sind Preprints, die noch nicht von richtig von Gutachtern durchgeguckt wurden – steht klipp und klar drin, dass es eine Schwachstelle ist, dass sie nur drei Mutationen eingebaut haben und nicht die komplette Variante simuliert haben im Labor.

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Ich muss sagen, Presseleute lassen die Schwachstellen immer gerne weg. Ob das schon Irreführung ist, weiß ich nicht. Das ist ja auch ein bisschen Aufgabe der Wissenschaftsjournalisten, es nachzulesen, vielleicht auch diesen Podcast zu hören. Ich bin sicher, das wird auch in anderen Podcasts besprochen und der Öffentlichkeit zu erklären, was es damit auf sich hat. Aber man kann sich das klar vorstellen. In dem einen Fall ist etwas artifiziell getestet worden. Da sieht es noch gut aus, aber auch nicht nichtrichtig gut. Das geben sie ja zu, dass sie keine 100-prozentige Wirkung mehr haben. Und die anderen, die the real thing sozusagen immittiert haben, sehen klar, dass es eine Einschränkung der Impfstoffwirksamkeit bei beiden, Moderna und Pfizer, gibt. Und das ist leider auch bei Personen, die die Krankheit durchgemacht habe, klar.

Eine Einschränkung gibt insbesondere bei der südafrikanischen Variante und damit auch bei der brasilianischen, oder kurz gesagt: Wir sind in der Situation, dass wir damit rechnen müssen, dass, wenn die kommen – und das wird früher oder später der Fall sein – haben wir viele Leute, die zum 2. Mal Sars-CoV-2- Infektionen bekommen können. Und ich würde sogar soweit gehen und vermuten, dass ein Teil der Menschen, die in der 2. Welle noch mal – das ist ja ein erstaunliches Phänomen – noch einmal Covid bekommen haben, obwohl sie offensichtlich im Frühjahr schon mal hatten – ich glaube, dass das zum Teil schon auf die B1.1.7 aus Großbritannien zurückzuführen ist.

Camillo Schumann:

Ich glaube, man muss da auch auf die genaue Wortwahl achten. Wirken die Impfstoffe gegen die Mutation? Klar, selbstverständlich wirken sie. Aber wie gut wirken sie? Ich glaube, das sollte man beachten, wenn man durchs Internet streift oder Zeitung liest, dass man da genau hinschaut, wenn man sich diese Informationen zu Gemüte führen will, um das bewerten zu können.

Alexander Kekulé:

Ja, das ist ein wichtiger Hinweis. Ich versuche ja immer, am Schluss noch etwas Positives zu sagen. Was wird denn in Zukunft passieren? Es wird sein, dass immer mehr Varianten auftauchen. Das sind die ersten, die wir genauer angeschaut haben. Da werden mehr kommen. Und es werden Varianten kommen. Das ist normal. Das nennen wir auch Antigendrift. Das sehen wir auch bei anderen Viren, dass sich das langsam verändert. Das Virus wäre ja blöd, wenn es das nicht machen würde. Das wird passieren, wenn wir neue Varianten haben. Aber es werden immer mehr Menschen entweder durch Impfung oder durch natürliche Infektionen weltweit eine Immunität zumindest mal gegen eine Variante haben. Wenn die nächste kommt, wird man nicht mehr schlimm krank. Da ist das Immunsystem schon mal gebrieft gegen das eine. Ja, da kriegt man trotzdem noch eine Infektion. Aber man wird nicht mehr schwer krank. Es kommt die übernächste und die übernächste. Und deshalb glaube ich, dass wir vielleicht in einem Jahr in der Situation sein werden, dass die Weltbevölkerung in der Lage ist, dass wir alle Immunität gegen irgendeine Variante dieses Sars-Cov-2 haben und dass die neuen Varianten immer harmlosere Erkrankungen machen, sodass es zwar neue Varianten gibt, aber die werden uns nicht mehr stärker plagen, als es die Grippe macht. Und das ist auch deshalb wichtig, weil es wird ja viel diskutierte, höre ich auch von Kollegen oft diese wichtige Bedenken: Gibt es überhaupt sterilisierende Immunität? Wird es sein, dass Menschen, die geimpft sind, das Virus nicht weitergeben können? Das ist ja eine Diskussion, die immer mit den neuen Freiheiten für Geimpfte verbunden wird. Da kann man klar sagen, das wird nicht sein! Sterilisierende Immunität bei einem Virus, das sich ständig verändert, wird es nicht geben, sondern wir werden immer Geimpfte haben, die sich auch mit neuen Varianten anstecken können. Und obwohl sie selber weniger schwer krank werden, ein bisschen das Virus weitergeben können.

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Aber was bedeutet es insgesamt, wenn wir die Alten schützen? Und das ist ja sowieso unser Konzept, dafür zu sorgen, dass besonders die Risikobevölkerung halbwegs in Deckung geht. Und irgendwann ist es so, dass die Weltbevölkerung halbwegs durchimmunisiert ist, vor allem die Jungen, die danach kommen. Ich glaube, im Jahr werden 100 Millionen Menschen geboren, habe ich irgendwann mal gelesen. Wenn die infiziert werden in jungen Jahren, wie wir es bei den klassischen Kinderkrankheiten haben, wo praktisch keine Symptome da sind, ihnen nichts weh tut, dann sind sie, wenn sie älter sind, halbwegs immun gegen dieses Virus, sodass auch Sars-CoV-2 sozusagen seinen Schrecken verlieren wird. Ob und obwohl es Varianten gibt und vielleicht sogar gerade, weil es Varianten gibt, weil dadurch die Menschen immer wieder eine Challenge kriegen, wie wir sagen, eine neue Provokation fürs Immunsystem. Und im Laufe der Zeit ist man gegen alles gewappnet, was daherkommt.

Camillo Schumann:

Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Rosi hat gemailt:

“Mich würde interessieren, ob die gängigen Corona-Tests, PCR, Antigen, auf die neuen Corona-Mutationen überhaupt reagieren. Oder kann es sein, dass die Fallzahlen sinken, weil die Mutationen durch die gängigen Tests nicht erfasst werden? Mit freundlichen Grüßen.“

Alexander Kekulé:

Bei dem PCRs haben wir das voll im Griff. Wir wissen, dass die britische Mutation an einer Stelle von einem bestimmten Test einen Ausfall erzeugt. Aber der ist genau bekannt. Das wird keiner heutzutage mehr übersehen. Und bei den Antigen-Schnelltest ist es, da weiß ich nicht bei allen Tests wie die funktionieren, aber der, der in Deutschland viel verwendet wird und von Roche vertrieben wird, der geht gegen das Nukleokapsid des Virus, nicht gegen dieses Spike-Protein, der stellt also nicht das Spike-Protein fest, was da außen drauf ist, sondern den anderen Teil von dem Virus, der

von diesen Varianten kaum betroffen ist. Das ist relativ stabil, und das sind ja auch typischerweise keine monoklonalen Tests, die nur eine kleine Stelle des Virus erkennen, sondern typischerweise macht man die mit Tier-Seren, wo eine Mischung von Antikörpern drin ist. Und dadurch, würde ich sagen, ist ein Ausfall bei seinem Antigen-Schnelltest durch die Variante extrem unwahrscheinlich.

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende. Und wir haben mal wieder eine positive Nachricht. Zum Schluss – das hatten wir lange nicht – nach mehr als 300 Tagen im Krankenhaus ist der 74 Jahre alte Covid-Patient Joffrey Wolf in London endlich nach Hause entlassen worden. Der Mann war im März 2020 schwer erkrankt und danach über zwei Monate lang künstlich beatmet und ins Koma versetzt worden. Zwischenzeitlich gab es kaum noch Hoffnung. Auch die Familie hat ihn fast schon aufgegeben. Aber im Juli wachte er unerwartet auf. Er hat er noch einen Schlaganfall bekommen. Jedenfalls konnte er nach 300 Tagen, nach fast einem Jahr das Krankenhaus wieder verlassen. Ist das nicht eine schöne Nacht?

Alexander Kekulé:

Das finde ich auch. Vor allem sieht man, was die Intensivmedizin leisten kann. Das ist ja unglaublich, was wir da inzwischen für Möglichkeiten haben. Das hätte man sich vor 30 Jahren nicht vorstellen können.

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 144. Vielen Dank, Herr Kekulé.

Wir hören uns am Samstag wieder zu einem Hörerfragen SPEZIAL. Bis dahin. G

Alexander Kekulé:

Gerne, ich freue ich mich darauf. Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter

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0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

Übrigens: Sollten Sie durch die Corona- Pandemie Probleme mit ihrem Arbeitgeber, ihrem Vermieter oder andere rechtliche Dinge zu klären haben, hilft Ihnen „der Rechthaber“ weiter. Der Podcast für juristische Alltagsprobleme mit dem Anwalt Thomas Kinschewski. Klicken Sie rein www.derrechthaber.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Dienstag, 26.01.2021 #143: Wir beginnen das Überholmanöver

Camillo Schumann, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Ist B.1.1.7 gefährlicher? Stellungnahme SAGE (Scientific Advisory Group for Emergencies) (21.01.2021): https://assets.publishing.service.gov.uk/govern ment/uploads/system/uploads/attachment_da ta/file/955239/NERVTAG_paper_on_variant_o f_concern__VOC__B.1.1.7.pdf

Camillo Schumann:

Dienstag, 26. Januar 2021.

Ist die britische Virus-Mutation gefährlicher oder nicht? Britische Wissenschaftler haben zumindest einige Hinweise. Wie sind die zu bewerten?

Dann: Weniger Neuinfektionen, immer mehr Geimpfte. Haben wir das Virus überholt?

Außerdem: In Deutschland sollen ab nächster Woche noch nicht in der EU zugelassene Antikörper-Mittel eingesetzt werden. Was muss man dazu wissen.

Und: Kann das Virus in meinem Körper mutieren und meinen Partner oder meine Partnerin erneut anstecken?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Wo stehen wir in der Pandemie? Der Blick auf die Zahlen gibt zumindest einen Hinweis. In Deutschland sind binnen eines Tages mehr als 6.400 Neuinfektionen im Robert-Koch-Institut gemeldet worden. Vor zwei Wochen waren es noch doppelt so viele, nämlich 12.800. Und die 7-Tage-Inzidenz für Gesamtdeutschland liegt bei rund 108. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Alexander Kekulé:

Die Zahlen sprechen für sich. Der Lockdown wirkt, die Zahlen gehen runter. Das war ja schon seit ein paar Tagen zu beobachten. Und wenn es kein Unglück gibt, dann landen wir Mitte Februar in einem Bereich, wo man in eine andere Phase übergehen kann und aus meiner Sicht diesen radikalen oder doch relativ drastischen Lockdown beenden kann.

01:48

Camillo Schumann:

Sie haben gesagt, Mitte Februar werden die Lockdown-Maßnahmen auslaufen. Dann werden wir uns in einer neuen Phase befinden. In welcher Phase befinden wir uns jetzt und in welcher Phase werden wir uns dann befinden?

Alexander Kekulé:

Wir sind jetzt im Endstadium der Phase, wo es etwas außer Kontrolle ist. Und wir sind Mitte Februar voraussichtlich in einer Phase, wo wir die Lage wieder unter Kontrolle haben werden. Ich sehe auch viele Maßnahmen, die zwar angeordnet wurden kürzlich, die aber noch nicht voll implementiert sind. Z.B. gibt es seit Kurzem Jahr bessere Handreichungen für die Altenheime. Es gibt Überlegungen, wie die Schnelltests in den Altenheimen von anderen Leuten gemacht werden können als dem Personal, was da arbeitet. Es gibt v.a. im gesamten beruflichen Umfeld zumindest mal von oben die Ansage, dass eine Maske zu tragen ist. Ich muss sagen, meine private kleine Stichprobe sieht anders aus. Sowohl Taxifahrer

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als auch Paketboten haben keine Masken auf und behaupten steif und fest, es sei in ihrer Region jeweils erlaubt. Immer noch. Aber es geht zumindest in die richtige Richtung. Ich glaube, dass diese Maßnahmen, die da sehr spät, aber doch irgendwann beschlossen wurden, dass die einen Effekt zeitigen werden und zwar auch noch in den nächsten Wochen. Es kann sogar noch zu einer verstärkten Bremswirkung kommen, v.a. wenn im betrieblichen Bereich die Anordnungen auch konsequent umgesetzt. Und dann gibt es ja auch noch diese kleine Sache mit den FFP- Masken, die angeordnet wurden. Ich glaube, das wird keinen Rieseneffekt haben, aber irgendeinen Effekt wird man sehen. Und auch das hat sich ja noch nicht eingepreist in den Zahlen.

03:32

Camillo Schumann:

Mitte Februar, haben Sie gesagt, werden wir also die Situation einigermaßen wieder unter Kontrolle haben. Was heißt „unter Kontrolle“? Für die Politik heißt „unter Kontrolle“ eine Inzidenz um die 50 und die Nachverfolgung wird wieder möglich? Was bedeutet es für Sie?

Alexander Kekulé:

Im Grunde genommen so ähnlich. Ich mache das nicht an diesen 50 fest. Die 50 sind ein gutes Alarmsignal, wenn Politiker die Bundesländer unter einen Hut bringen und so eine Art Corona-Ampel haben wollen, damit die Ministerpräsidenten nicht alle durcheinanderreden. Dafür ist das eine Zahl, auf die man sich einigt und bei der man sagt, okay, wenn die überschritten wird, müssen wir etwas tun, und zwar jeder, ob er will oder nicht. Dafür war das ein adäquates Mittel. Aber wenn Sie so wollen, ist es eigentlich ein politisches Mittel, was damals auch dringend notwendig war. Rein epidemiologisch kann man das so nicht sagen, weil die Kapazitäten der Gesundheitsämter unterschiedlich sind. Es kommt v.a. darauf an, ob sich die Infizierten überhaupt beim Gesundheitsamt melden. Mein Eindruck ist, dass wir eine Riesendunkelziffer haben von Personen, die ihre Erkrankung gar nicht mehr dem Gesundheitsamt mitteilen. Vielleicht wissen sie

sogar zum Teil definitiv, dass sie Covid19 haben, weil sie einen Schnelltest machen lassen haben. Aber die Schnelltests werden ja entgegen der Idee des Seuchenschutzgesetzes, des Infektionsschutzgesetzes gar nicht gemeldet und erscheinen gar nicht auf der Liste des Robert-Koch-Instituts. Da gibt es relativ viele Fragezeichen in dem Bereich. Wie viele Bürger machen da mit? Was wird da gemeldet? Was fließt in die Inzidenz ein? Und dann die unterschiedlichen Kapazitäten der Gesundheitsämter. Wenn mal ein Ausbruch irgendwo an einem konkreten Ort ist – wir haben ja leider immer noch Ausbrüche in Altenheimen, auch in Krankenhäusern immer wieder – das sind ja komplett vermeidbare Situationen, aber für das Gesundheitsamt relativ einfach. Denn da wissen sie, wo die Fälle sind, da können sie das dort lokalisieren. Und dann haben Sie gleich sieben mit einem Streich. Das ist anders, als wenn sie auf dem platten Land plötzlich einen positiven Fall haben. Und der sagt Ihnen nicht, wo er es her hat, vielleicht weil er niemandem denunzieren will. Und daher finde ich so eine Kombination besser. Einerseits brauchen wir, um umzusteigen auf ein anderes Konzept – als ein Beispiel habe ich ja dieses Smart-Konzept schon länger mal vorgeschlagen – brauchen wir erstens eine Fallzahl, eine Inzidenz, die das überhaupt zulässt. Da würde ich mal sagen, die soll stabil unter 50 sein. Und zweitens brauchen wir auch Grüne Lampen bei allen Gesundheitsämtern, dass die sagen, jawohl, bei uns sieht es okay aus. Wir glauben, die Lage ist so halbwegs im Griff, weil das individuell von den etwa 400 Gesundheitsämtern eigentlich nur jedes Amt selber sagen kann. Und wenn die alle den Daumen heben und die Gesamtdurchschnittsinzidenz in einem vernünftigen Bereich ist, dann können wir auf eine Strategie umsteigen, die einen Gleichgewichtszustand von Neuinfektionen aufrechterhält, statt immer dieses Auf und Ab, was wir bis jetzt hatten.

06:39

Camillo Schumann:

Wir sind gespannt, wie es dann Mitte Februar sein wird und wie sich die Zahlen entwickelt

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haben. Sie haben mal gesagt, wenn die Zahl der Impfungen größer ist als die Zahl der Dunkelziffer der Neuinfektionen, dann wäre das ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung der Pandemie. Jetzt haben wir ca. 6.400 Neuinfektionen, Dunkelziffer mal fünf bis zehn, und rund 61.000 Impfung am Tag, also zehnmal so viel. Haben wir das Virus überholt?

07:04

Alexander Kekulé:

Wenn man diese groben Schätzungen, die ich da aufgestellt habe, für bare Münze nimmt, dann würde man sagen, ja, wir sind gerade im Überholmanöver. Und wir sind ja bei den Impfungen erst am Anfang. Um im Bild zu bleiben: Wir beschleunigen ja erst, trauen uns nicht richtig aufs Gas zu treten, weil wir wissen, dass an der Tankstelle nicht so viel Benzin da ist. Der Impfstoff ist ja ist sehr knapp, und jeder weiß, wenn der Tank halb leer ist und man will irgendwo ankommen, dann tritt man auch nicht so fest aufs Pedal. Das heißt, da ist noch Luft. Und ich glaube, dass wir in den nächsten Wochen bei den Impfungen richtig beschleunigen können. Da wird dann dadurch, dass es ja dann hoffentlich auch irgendwann mal wärmer wird, der Moment eintreten, wo die Impfungen einen deutlicheren epidemiologischen Effekt haben als die Erkrankungen selber. Und das Wichtigste ist: Vom ersten Tag an haben die Impfungen ja einen starken Effekt, einen selektiven Effekt auf die Sterblichkeit, Mortalität in dem Fall, weil wir ja die Risikopersonen, speziell die Alten, zuerst impfen.

08:12

Camillo Schumann:

Da kommen ja die Meldungen über Lieferengpässe bei den Impfstoffherstellern ja gerade zur Unzeit, wenn wir gerade versuchen, so richtig aufs Gas zu drücken und das Virus rechts zu überholen, oder?

Alexander Kekulé:

Das Thema haben wir auch im Podcast schon oft angesprochen. Ich verstehe, dass die Presse da jedes Mal aufgeregt ist und dass Politiker

dann jedes Mal die Kamera suchen, um mit dem Finger auf irgendjemanden zu zeigen. Meistens sind es die gleichen Politiker, die vorher selbst irgendetwas verschlafen haben. Das ist eine riesige logistische Herausforderung. Und wenn man das in den letzten Jahrzehnten beobachtet hat, wie oft da mal der Grippe-Impfstoff nicht richtig geliefert wurde, wie oft von den Standardimpfungen, die im Jugendalter und Kindesalter empfohlen werden, irgendwelche Engpässe waren, weil ein Hersteller auch nur eine einzige Charge irgendwie vermasselt hatte. Im Vergleich dazu läuft es gut. Und das ist ja alles das erste Mal: Die Fabrik wird hingestellt, die Leute werden zum Teil neu eingestellt, das Rezept ist neu. Und dann setzen die sich hin und produzieren nicht mal so ein bisschen, sondern Unmengen. Und das wäre doch ein Wunder, wenn es auf Anhieb klappt. Darum kann ich nur sagen, dieses Aufgeregte „Wieso ist der Impfstoff nicht da?“, Wieso übermorgen, und nicht gestern?“, das beobachte ich selbst im europäischen Ausland nicht. Also das ist in Deutschland besonders stark, dass man da ein Riesenthema draus macht.

09:41

Camillo Schumann:

Die Infektionszahlen gehen zurück, die Impfungen kommen gut voran. Das sind die guten Nachrichten.

Auf der anderen Seite haben wir mehrere Virus-Mutationen im Land. Besonders die in Großbritannien entdeckte Variante macht der Politik doch große Bauchschmerzen. Kanzleramtschef Helge Braun hat am Sonntag bei Anne Will Folgendes gesagt:

09:59

„Wir sehen ja momentan, dass wir in mehreren Krankenhäusern auch schon mit der Mutante zu tun haben. Das heißt, das ist bei uns im Land angekommen. Und deshalb wird sie irgendwann so wie in den anderen Ländern auch dann die Führung übernehmen und wird Probleme machen. Und da bin ich sehr sicher.“

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10:16

Camillo Schumann:

Teilen Sie die Einschätzung von Helge Braun, dass die britische Virus-Mutation die Führung in Deutschland übernehmen wird?

Alexander Kekulé:

Ja, ich teile seine Einschätzung zu ungefähr einem Drittel. Erstens sagt er, es ist angekommen im Land. Nein, das war schon da. Wir haben es nur vorher nicht festgestellt und jetzt suchen wir danach. Zweitens wird es die Führung übernehmen. Das ist das Drittel, was 100-Prozent richtig ist. Wenn Sie mehrere Varianten haben und da ist eine dabei, die hat sich schon in mehreren anderen Regionen in Großbritannien, also in Teilen Englands, um genauer zu sein – in Irland und auch in Teilen der USA ist es ja inzwischen auch schon gemessen worden – da hat sich diese B1.1.7- Variante ja ganz konkret durchgesetzt. Und deshalb wissen wir, die setzt sich gegen die alten Varianten durch, aus welchen Gründen auch immer. Da gibt es ja mehrere Gründe dafür. Und die wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf dem europäischen Festland durchsetzen. Das ist quasi so sicher wie damals die G-Variante, die sich in Italien durchgesetzt hat und dann in der Welt verbreitet wurde.

Aber der dritte Teil ist, dass sie uns Probleme machen wird, wenn ich das richtig gehört habe. Da ist die Frage: Natürlich macht uns Covid19 Probleme. Und das Sars-CoV-2-Virus mit seinen vielen Varianten macht uns Probleme, v.a. wenn wir unsere Hausaufgaben beim Abdichten der diversenSchlupflöcher in dem Fall nicht gemacht haben. Aber das ist kein anderes Problem. Ich hatte ja fast schon befürchtet, als Boris Johnson am Anfang politisch angegriffen war und kritisiert wurde wegen seiner mangelnden Corona- Maßnahmen und dann plötzlich vor Weihnachten alles auf diese neue Variante geschoben hat. Er hat dann gesagt, die Variante ist da, ich kann dafür gar nichts. Ich hatte da so ein bisschen befürchtet, dass wir so eine Tendenz auch in anderen Ländern bekommen. Und ich kann nur noch einmal davor warnen: Wir müssen unseren Job

machen. Wir müssen die Dinge machen, die schon immer anstanden. Und dann wird uns auch diese neue Variante nichts tun. Und wir sollten da nicht anfangen, so eine Dolchstoßlegende aufzusetzen, dass jedes Problem, was in Deutschland entsteht, an der neuen Variante liegt.

12:26

Camillo Schumann:

Weil Sie Boris Johnson angesprochen haben: Die große Frage ist ja: Ist die in Großbritannien entdeckte Virus-Variante B1.1.7 auch gefährlicher, also biologisch gefährlicher? Richtet sie größeren Schaden an? Hat sie sich so verändert, dass sie auch gefährlicher im Sinne von tödlicher ist? Bisher ist man ja nur von einer deutlich stärkeren Übertragung ausgegangen. Doch dann hat der britische Premier Boris Johnson vor ein paar Tagen mit folgender Aussage überrascht:

12:55

„I must tell you this afternoon that we’ve been informed today that in addition to spreading more quickly it also now appears that there is some evidence that the new variant that was first identified in London in the southeast may be associated with a higher degree of mortality.“

12:56

Johnson sagt, dass die Variante des neuartigen Virus mit einem höheren Sterblichkeitsgrad verbunden sein könnte und er benutzt auch die Begriffe „Evidenz“ und „vielleicht“. Was haben Sie gedacht, als Sie diesen Auftritt von Boris Johnson gesehen haben?

Alexander Kekulé:

Den habe ich unmittelbar verfolgt. Und es war so, dass der die Leitungen international heiß laufen ließ. Es ist ja so, dass dann sofort die Zoom-Konferenzen gestartet werden. Evidence heißt auf Deutsch sinngemäß Beweis. Aber wenn man auf Englisch sagt „there is evidence for“, dann heißt das nicht, dass es bewiesen ist, sondern das heißt, wir haben sozusagen wissenschaftliche Belege dafür, dass es so sein könnte. Das ist nicht gleichzusetzen mit

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„bewiesen“. Er hat es korrekt formuliert. Aber wenn ein Ministerpräsident so etwas so klar sagt, dann glaubt man, dass da eine ernste Gefahr dahinter ist. Ich würde mal sagen, wir wissen bis heute noch nicht genau, wie viel Evidenz dafür vorhanden ist, weil die Publikationen, aus denen das hervorgeht, bisher noch nicht öffentlich sind.

14:28

Camillo Schumann:

Die große Frage ist: Wie kommt er denn da drauf? Wer hat ihm das gesagt? Woher hat er diese Informationen? Sie haben die Zoom- Konferenzen angesprochen. Sie sind dann sozusagen auf die Suche gegangen, wie er denn an diese Informationen gekommen ist. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Alexander Kekulé:

Ja, das ist nachher auch publiziert worden. Es gibt in Großbritannien dieses SAGE-Komitee, das heißt

. Das ist eine tolle Sache, muss man sagen. Das ist ein hochkarätig besetztes

Gremium, das auch widersprüchliche Köpfe drinnen hat. Also Leute, die sich, wenn sie wahrscheinlich nicht gerade im Meeting sitzen, außerhalb dieser Situation doch durchaus mal fetzen, weil sie unterschiedliche Meinungen haben, und die dann gemeinsam die Regierung beraten. Sie ahnen, warum ich das so herausstelle. In Deutschland ist es doch eher so, dass die Regierung den einen oder anderen Berater herauspickt und leider die Empfehlung der WHO, dass man im Pandemiefall eine Pandemiekommission macht und einen Stab hat auch von Beratern, die unterschiedliche Positionen und unterschiedliche Fächer repräsentieren und dann versucht, die in den Konsens zu bringen, das hat man in Deutschland absichtlich und bewusst unterlassen. Stattdessen sucht sich die Politik immer ihre eigenen Berater. Jedes Bundesland hat seinen eigenen Beraterstab, zum Teil Inoffizielle, zum Teil sind die ja, wie z.B. in Nordrhein-Westfalen oder in Bayern, offiziell benannt. Die Bundesregierung hat einzelne Personen, die immer wieder als Berater eingeladen werden. Die einen nutzen die Wissenschaftler dann von Fall zu Fall, wenn es

passt, irgendwie auch als Begründungshilfe. Die Wissenschaftler sind zum Teil, glaube ich, auch nicht so glücklich darüber. Und deshalb wäre mir so eine formale Kommission lieber. Es gab da ja mal die Schutzkommission beim Bundesinnenministerium, die in solchen Dingen auch den Bundestag und die Regierung beraten hat, die leider aufgelöst wurde schon vor vielen Jahren. Aber so was Ähnliches bräuchte man. Also lange Rede, kurzer Sinn: In England heißt es SAGE und ist eine gute Einrichtung. Ich habe die vor Jahren schon im Zusammenhang mit der Schweinegrippe erlebt. Da waren tolle Leute dabei. John Oxford war damals mit drin. Bei Ebola haben sie gute Arbeit gemacht. Die haben dafür gesorgt, dass Großbritannien wesentlich effektiver als Deutschland geholfen hat, bei dem Ebola- Ausbruch 2014 in Westafrika. Und beim Zika- Virus 2015 hat das SAGE bessere Empfehlungen gegeben als die WHO. Die waren nämlich bei diesem Ausbruch in Südamerika etwas realistischer und gelassener. Nun gut. Und jetzt sitzen sie also da.

Das SAGE hat also gerade ein Meeting gehabt und die haben sich Daten vorstellen lassen von britischen Kollegen, die möglicherweise auf diese erhöhte Infektiösität hindeuten würden.

Und das ganze wurde veröffentlicht im NERVTAG Paper. Können Sie vielleicht ein paar Worte dazu verlieren?

Alexander Kekulé:

Ja, da gibt es dann wiederum so eine andere Gruppe, die heißt Nervtag. Toller Name. Das ist also kein neues Computerspiel oder Schießgerät für kleine Kinder, sondern heißt New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group. Das ist also die Beratungsgruppe für neue und neu aufkommende Atemwegsviren zuständig ist. Wenn man so will, eine Art Satellit von SAGE. Und da sitzen also das Who is Who der britischen Infektionsforscher. Die meisten keine Corona-Experten, weil Corona ein Virus ist, was bisher nicht groß aufgefallen ist. Die meisten kommen eher so aus der Epidemiologie- oder Influenza-Richtung oder sind Pandemie-Experten. Und die haben sich

Scientific Advisory Group for

Emergencies

Camillo Schumann:

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vier Arbeiten angeschaut. Und die habe ich versucht, ein bisschen nachzuvollziehen, um kurz zu sagen, was da drin steht. Das ist nämlich die Basis für das, was auch Boris Johnson da gesagt hat.

Es gibt eine Arbeit, die hat Nick Davies gemacht von der London School of Hygiene und Tropical Medicine. Das ist neben dem Pasteur-Institut die weltweite Referenz für Tropenmedizin. Und Nick Davies ist dort ein schon lange bekannter Mann. Die haben sich, also alle vier Arbeiten haben sich die Daten angeschaut, die man in England hat. Und zwar einerseits die Ergebnisse der PCR-Tests. Die haben da die sogenannten Pillar-2-Testings, also Tests auf Ebene zwei. Das heißt, das sind solche Tests, die nicht gemacht werden, um im Krankenhaus eine Diagnose zu stellen, sondern z.B. wenn Altenheime durchgecheckt werden, oder bei Hintergrund-Tests, um irgendwo mögliche Infektionen festzustellen. Man würde vielleicht bei uns sagen, vorsorgliche Tests oder so. Die sind dort alle erfasst. Und man hat dann auch zugleich die Statistik gehabt von Public Health England, also von dem großen öffentlichen Gesundheitswesen dort, wer an Covid gestorben ist in den Regionen. Und dann hat man quasi die Testergebnisse regional mit riesigen Zahlen ge-matcht, also per Computer mit den Todesfällen abgeglichen. Und da kam bei der Analyse der London School raus: Wenn man guckt, 28 Tage nach dem Test, also nach vier Wochen. Und da hat man solche miteinander verglichen, die in der PCR aussehen wie der normale Typ, also das normale Virus, mit denen, die aussehen wie B1.1.7. Ich sage deshalb „aussehen“, weil man ja nicht alles einzeln durchsequenziert hat, sondern man nimmt da diesen Ausfall eines der Tests, der einen Teil vom S-Gen analysiert. Diesen sogenannten S-Dropout nimmt man quasi als Proxy, als Ersatzparameter, für dieses B1.1.7. Weil das B1.1.7 freundlicherweise in einem bestimmten PCR-Test, eben in diesem bestimmten S-Gen-Test, negativ ist und sonst aber in allen Tests nachweisbar. Und darum sagt man, okay, eine Variante, die sonst positiv ist in der PCR, wo nur dieser eine Parameter ausgefallen ist, die zählen wir einfach als B1.1.7. Und wahrscheinlich stimmt das auch. Und da ist es eben so, dass diese neue

Variante, die B1.1.7, eine 1,3-fach höhere Sterblichkeit hat. Genauer 1,35 also, oder andersherum gesagt: eine 35 Prozent höhere Sterblichkeit. Etwas Ähnliches hat Neil Ferguson vom Imperial College in London gemacht. Neil Ferguson ist ein alter Hase, den wir schon ewig kennen aus Influenza Statistiken, einer der großen Epidemiologen. Ich glaub, ich tue ihm nicht weh, wenn ich sage, er ist immer einer von denen, die etwas aufgeregter sind als seine Kollegen. Wenn er seine Vorträge hält, ist es meistens so, dass man ein bisschen Gänsehaut kriegt hinterher. Egal ob es um Ebola geht oder Influenza. Und der kommt – wen wundert es – auf eine etwas höhere Zahl, er kommt auf ein 36 Prozent höheres Risiko.

Und dann gab es noch eine Studie von Kollegen aus Exeter, die ich nicht persönlich kenne. Die sagen sogar 91 Prozent höher für die Mortalität. Und dann gab es noch eine Kohorten- Analyse von diesen Daten von Public Health England, die wir schon mal besprochen haben, wo man so zufällig, quasi randomisiert, irgendwelche Leute analysiert hat und geguckt hat: Sterben die? Sind die positiv oder nicht? Bei der Kohorten-Studie kam raus, dass tendenziell das relative Risiko, mit der B1.1.7- Variante im Vergleich zu der Standardvariante zu sterben, bei 1,65 liegt. Oder andersrum gesagt, 65 Prozent mehr Sterbewahrscheinlichkeit.

22:10

Camillo Schumann:

Wenn ich diese Zahlen höre, rutscht mir ein wenig das Herz in die Hose. Und wenn ich mir überlege, wenn sich B1.1.7 bei uns verbreitet, müssen wir mit noch höheren Todeszahlen rechnen. Aber Sie lesen die Studie ein bisschen anders?

Alexander Kekulé:

Das sieht erst einmal dramatisch aus. Aber: Hier wurden ausgewertet von allen Todesfällen, die man überhaupt hatte, nur acht Prozent. Diese Untersuchungen beziehen sich im Prinzip auf die gleiche Datenbasis, und zwar eine indirekte Datenbasis. Und man hat insgesamt nur acht Prozent der Todesfälle da

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drin gehabt. Und es gab extreme Schwankungen zwischen den einzelnen Regionen, wo es auch so aussah, dass man die deutlichsten Effekte, also sozusagen das größte relative Risiko der neuen Variante, immer dann gesehen hat, wenn die Zahlen ziemlich klein waren. Und es ist klar, wenn Sie nur drei Fälle in einem Land haben und davon zwei mit der neuen Variante und einer mit der alten Variante angesteckt sind, dann würden Sie sagen, okay, die neue Variante ist doppelt so tödlich. Da kämen Sie also auf plus 50, plus hundert Prozent. Aber das ist eben leider die Schwäche von kleinen Zahlen. Wir sagen, die statistische Power von diesen Ergebnissen ist nicht besonders gut. Und das ist auch von vielen Kollegen hinterher auseinandergenommen worden. Und man hat gesagt: Ja, wenn man sich das runterrechnet und guckt: Wie signifikant sind die Einzeldaten? Wie sicher ist z.B. auch, wie die Fälle festgestellt wurden? Waren das überhaupt Covid-Fälle? Oder hat man nur eine positive PCR gehabt und jemand ist an etwas anderem gestorben? Wie war die Übertragungssituation? Da gibt es quasi eine lange Liste von Dingen – von der Quantifizierung, also wenn da so etwas wie 60 Prozent mehr, 35 Prozent mehr im Raum steht –, die kann man absolut nicht unterschreiben, das ist vollkommen unklar. Und ob es überhaupt einen vielleicht kleinen Effekt gibt, das ist, würde ich sagen, nicht auszuschließen. So kann man es vielleicht formulieren, und möglich. Darum hat dieses Komitee auch gesagt – wenn man nicht nur auf Boris Johnson schaut – , da ist eine realistische Möglichkeit, „a realistic possibility“, dass es ein erhöhtes Todesrisiko mit B1.1.7 gibt, aber mehr nicht.

24:38

Camillo Schumann:

Das heißt, dass es einen Hinweis gibt, aber keinen Beweis. Aber wie schwer wiegt denn dieser Hinweis in der wissenschaftlichen Diskussion? Ist das etwas, was man definitiv verfolgen sollte, oder ist das zu vernachlässigen?

Alexander Kekulé:

Das ist eben genau der Punkt. Dann gibt es

Leute wie mich, die sagen, ich habe die Daten verstanden. Und ich lese aber auch, dass selbst die Kollegen, die das selber vorangebracht haben, einschließlich z.B. Neil Ferguson, den ich auch schon erleben durfte und der ja selbst in der Kommission, im SAGE-Kommittee sitzt, selber sagen am Schluss des Tages, es ist nur eine realistische Möglichkeit. Und dann haben sie dann extra so eine schöne Scala, denn Wissenschaftler sind bei so etwas immer exakt – übrigens Richter wollen das von Gutachtern auch immer so haben. Da haben sie so eine Skala, auf der steht, was heißt denn „realistische Möglichkeit“? Also z.B. wenn Wissenschaftler sagen, etwas ist „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“, dann meinen die sozusagen hundert Prozent. Aber diese Zahlen nehmen Wissenschaftler ungern in den Mund. Also 99 meinen die. Und „realistische Möglichkeit“ heißt nach Definition von SAGE, dass es bis zu 50 Prozent wahrscheinlich ist, also weniger als 50 Prozent wahrscheinlich. Da sagt man natürlich, wenn man von der anderen Seite draufguckt: Okay, ihr seid euch also sicher, dass es zu über 50 Prozent, also zu mindestens 50 Prozent Wahrscheinlichkeit eure Aussage nicht stimmen. Es ist nicht einmal fifty-fifty. Es ist auf jeden Fall unter fifty-fifty die Möglichkeit, dass hier die Sterblichkeit höher ist. Und damit meinen die im Grunde genommen, man muss es weiter verfolgen. Wir werden in der nächsten Zeit vielmehr Daten haben. Das Problem ist ja immer: Die Todeszahlen hinken den Infektionen weit hinterher, sodass man durch diesen Versatz eine Störung da drinnen hat. In den nächsten drei, vier Wochen werden wir auf jeden Fall aus England die sauberen Daten hören. Was dabei rauskommt, weiß natürlich keiner. Wissenschaftlich gesehen ist es so – weil ja der Hörer vielleicht auch eine Take-Home-Message haben will:

Jetzt nehmen wir mal an, wir hätten 30 Prozent mehr Sterblichkeit. Es ist so, dass die durchschnittliche Sterblichkeit mal so grob bezogen auf Infektionen für einen 60-Jährigen vielleicht bei einem Prozent liegt. Der 60- Jährige hätte also statt ein Prozent Wahrscheinlichkeit, an Covid zu sterben, 1,3 Prozent. Es ist aber für jemanden, der z.B. über 70 ist oder über 80 und der sowieso mit einer

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zehn Prozent Sterblichkeit konfrontiert ist im Fall der Infektion, ein hohes Risiko hat. Da ist es völlig wurscht, ob das ein paar Prozent mehr sind. Für den ist nur wichtig, er muss verhindern, dass er die Krankheit kriegt. Und umgekehrt die Jungen, die sowieso fast kein Risiko haben, daran zu sterben: Wenn sie fast Null mit 1,3 multiplizieren, dann haben sie immer noch so etwas wie fast Null. Das heißt, es ändert im Grunde genommen nur kosmetisch diese Verlaufskurve. Für die individuellen Risikobewertungen ändert es absolut nichts. Sodass ich davor warne ... Falls rauskommen sollte, dass da ein bisschen was dran ist – und das ist ja noch gar nicht raus – warne ich davor, zu sagen: Oh je, jetzt haben wir die nächste Katastrophe. Aber das ist eben wichtig. Andere Wissenschaftler blicken auf genau die gleichen Daten und kommen zu anderen Ergebnissen. Und das ist mir ganz wichtig, dass man das versteht. Wissenschaft ist eben nicht so, dass man Daten hat, und aus den Daten ist eindeutig ein Ergebnis abzuleiten. Sondern selbst hochintelligente Leute, die es ernst meinen, die nicht von der Pharmaindustrie bestochen wurden oder einen Aluhut aufhaben, kommen – wenn sie die Dinge anschauen – manchmal zu unterschiedlichen Bewertungen. Ich weiß, dass da auch nicht alle Wissenschaftler der gleichen Meinung sind. Aber so sehe ich das.

28:37

Camillo Schumann:

Wenn wir da mal so ein Fazit ziehen wollen. Es ist wichtig, dass wir darüber geredet haben. Denn wenn sich ein Regierungschef – in dem Fall Boris Johnson – hinstellt und so etwas sagt, muss man den Hintergrund erklären. Das haben wir getan.

Aber wenn man irgendwo in den kommenden Tagen eine Überschrift liest und Deutschland „britische Variante tödlicher“, dann stimmt das so erstmal nicht, oder?

Alexander Kekulé:

Nein, das stimmt so nicht, weil die Daten dafür eben nicht erhoben sind. Es ist unter 50 Prozent wahrscheinlich, dass diese Aussage stimmt. Also eher unwahrscheinlich. Und es ist

so, dass – selbst wenn sie stimmen würde – hätte das für uns – ähnlich wie überhaupt das Problem auch der möglicherweise bzw. wahrscheinlich höheren Infektiosität bei B1.1.7 – praktischen keine Konsequenzen. Ich würde sozusagen meiner Armee sagen: Zurück in eure Gräben, seht zu, dass ihr die Deiche weiter aufbaut, dass die Schlupflöcher stopft, wo die Viren reinkommen, da haben wir noch genug zu tun. Und es ist uns völlig egal, ob das B1.1.7 heißt oder sonst wie.

Camillo Schumann:

Und immer schön Maske aufsetzen im Schützengraben.

Alexander Kekulé:

Genau.

29:36

Camillo Schumann:

Kommen wir zum nächsten Thema. Vielleicht haben wir die Hörer dieses Podcasts gestern auch die Meldung gesehen: Deutschland kauft für 400 Millionen Euro Antikörper-Mittel. Das sind exakt zwei Medikamente. Beide haben in den USA schon eine Notfallzulassung erhalten, in der EU sind sie aber noch nicht zugelassen. Der ehemalige US-Präsident Trump hat eines dieser Medikamente eingenommen. Und der Gesundheitsminister Spahn möchte diese monoklonalen Antikörper ab nächster Woche in Deutschland als erstem Land in der EU einsetzen.

Alexander Kekulé:

Erstens: Ich finde das gut. Dem Bundesgesundheitsminister wird ja manchmal Aktionismus unterstellt. Aber in dem Fall, das Zeug erstmal einzukaufen und hier zu haben, war in der Lage gut. Bevor das als nächstes an alle geht und sich alle darum streiten. Diese Antikörper funktionieren ja so: Man hat künstlich einen bestimmten Antikörper hergestellt. Darum heißen die monoklonal, denn die passen nur an eine einzige Stelle dieses Spike-Proteins vom Sars-CoV-2 Virus. Und die ist so designt worden, dass man hofft, dass dieser Antikörper neutralisiert, das heißt, das Virus an der Infektion hindert. Das ist eine andere Situation, als wenn man eine normale

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Infektion hat, wo viele Antikörper hergestellt werden. Sozusagen nicht nur an der einen Stelle einer hingrapscht, sondern eine Riesenarmee unterschiedlichster Antikörper, die irgendwo alle daran binden können. Und irgendeiner wird dann schon passen. Die Impfung liegt so ein bisschen dazwischen. Da werden hauptsächlich Antikörper von bestimmten Sorten produziert, die auch ganz konkret nur auf das Spike-Protein gerichtet sein können, denn in dem Impfstoff ist ja nichts anderes drin. Der Impfstoff generiert ja dieses Spike-Protein im Körper. Aber das ist ungefähr so. Also monoklonal ist so: Wenn sie einen einzigen Lego-Baustein haben, und der muss zufällig an die Stelle passen, wo sie es gerade hin haben wollen. Und wenn der Mensch loslegt, Antikörper gegen eine Infektion zu infizieren, das ist also so die große Riesen-Weihnachtspackung mit allen Lego- Bausteinen, die es überhaupt gibt. Die haben sie dann sozusagen zur Auswahl. Was weiß ich 10.000 Stück, 100.000 Stück. Und da ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendeiner dem Virus beikommt, natürlich viel höher. Warum ist es so wichtig, sich das vor Augen zu halten? Der Antikörper von Regeneron, das ist der Präsidenten-Antikörper, der Trump angeblich geheilt hat – da sind zwei verschiedene Monoklonale drin. Da war man schon so schlau und hat eben das berücksichtigt und gesagt, na ja, zwei sind besser als einer. Und Eli Lilly hat einen, von dem sie aber sagen, der würde besonders gut wirken. Das sind die zwei Produkte, die gerade in den USA zugelassen sind und die man hier auch kaufen kann. Die haben, glaube ich, gerade aktuell – und deshalb ist das gerade so in den Medien – also, so vor drei Tagen ungefähr, eine Presseerklärung rausgegeben, wo sie erste Daten veröffentlicht haben. Noch nicht Peer- Review-überprüft, aber das geben die selber bekannt. Die haben in Altenheimen mit tausend Testpersonen diese monoklonalen Antikörper verimpft als Prophylaxe in dem Fall. Und da haben die so ungefähr die vierfache Dosis verimpft, die man sonst für die Therapie benutzt. Also mal richtig draufgehauen im Sinne einer Impfung. Das würde man dann in dem Fall „passive Immunisierung“ nennen, weil man quasi einen Antikörper gibt. So etwas Ähnliches macht man z.B. auch, wenn man

Angst vor Tollwut hat oder bei Tetanus oder so. Und hier haben die also quasi passiv immunisiert mit ihrem Antikörper, die vierfache therapeutische Dosis. Das ist dann in dem Fall eine ganze Ampulle. Und haben dann gesehen, dass bei den Leuten, die da arbeiten in den Altenheimen, das Risiko, sich zu infizieren, in den nächsten acht Wochen um 57 Prozent gesunken ist. Das ist schon eine deutliche Hausnummer. Es ist nicht so wie die 95 Prozent bei der Impfung, aber 57 Prozent. Was ich daran interessant fand es, dass man überhaupt solche Zahlen herauskitzeln kann. Die Studien sind ja noch nicht veröffentlicht. Aber Mensch, das muss ja ein Altersheim gewesen sein, wo sich echt viele Mitarbeiter infiziert haben. Es waren mehrere Altersheime. Damit Sie sozusagen statistisch signifikanten belegen können, dass es 57 Prozent Reduktion des Risikos ist, brauchen Sie schon einen stattlichen Anteil von Schwestern und Personal, das sich da infiziert hat.

Und jetzt kommt aber das Interessante: Bei den Bewohnern der Altersheime lag diese Schutzwirkung bei 80 Prozent. Die sind noch besser geschützt als die Leute, die da arbeiten, innerhalb von acht Wochen durch diese Impfung mit dem Antikörper.

34:24

Camillo Schumann:

Für wen sind solche Antikörper-Mittel eigentlich geeignet? Sie haben das Beispiel Altenheim gebracht. Dann könnte man die ja prophylaktisch immer mit so einem Schwung solcher Medikamente versorgen.

Alexander Kekulé:

Das ist das, was Eli Lilly sozusagen mit der Studie andeuten will. Das ist eine der beiden möglichen Indikationen. Warum eigentlich die Alten so viel besser geschützt waren, ist nicht klar. Wahrscheinlich liegt es am Verhalten, weil die im Altersheim sind und da bleiben. Und das Personal hat auch andere Quellen, wo es sich möglicherweise infizieren kann. Das ist aber noch unklar. Diese unterschiedlichen Zahlen machen noch ein bisschen Kopfzerbrechen. Ja, man könnte hier entweder die Alten schützen. Das wäre dann so eine klassische passive

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Immunisierung. Die würde dann angezeigt sein, wenn man einen Ausbruch hat. Also wenn sie im Altenheim merken, oh Gott, da ist ein Ausbruch. Und das ist ja in Deutschland alle Nase so, leider, immer noch. Dann könnten Sie alle anderen Insassen eben durchimpfen. Denn dann haben sie für ein paar Wochen Schutz. Hier getestet für 8 Wochen, aber das wirkt sicher auch zwölf Wochen oder vier Monate, je nachdem. Es wird dann irgendwann langsam verschwinden. Da ist es dann so, dass sie die Anderen doch effektiv schützen. Das ist eine Domäne, wo ich ziemlich sicher bin, dass diese monoklonalen Antikörper gut wirken.

Camillo Schumann:

Da wird es dann aber mit der Impfung schwierig, wenn man die Alten entweder impft oder das Medikament gibt. Die müssen sich ja dann entscheiden, oder geht beides?

Alexander Kekulé:

Da haben sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich wollte gerade Luft holen und das Gleiche sagen ist. Das ist nämlich genau das Problem. Das ist sehr genau die Gruppe, die sie unbedingt impfen wollen. Man müsste eigentlich fragen, wenn es einen Ausbruch gibt, warum waren die denn nicht schon geimpft? Und wenn sie die Wahl haben, beim Ausbruch zu impfen, also, aktiv zu impfen, das wäre dann quasi mit dem Biontech-Impfstoff oder Moderna-Impfstoff, oder passiv zu impfen, das wäre also in dem Fall mit so einem Antikörper, dann ist die Frage: Brauchen Sie dieses Zeitfenster? Der passive Impfstoff mit dem monoklonalen Antikörper wirkt sofort. Das heißt, Sie haben die sofortige Schutzwirkung. Das ist ein Vorteil, wenn Sie nicht wissen, ob derjenige sich schon angesteckt hat oder sich in den nächsten Stunden anstecken wird. Bei der normalen Impfung ist es so: Da wird ja erst mal diese RNA in die Zelle gebracht, die muss sich da erstmal verbreiten. Die produziert dann irgendwelche Proteine, die aussehen wie ein Spike von dem Virus. Und dann kommt das Immunsystem daher und fängt dann irgendwann an, Antikörper zu produzieren. Bis dieser Effekt hochgefahren ist, würde ich mal sagen, vor zehn Tagen darf man da eigentlich nichts erwarten. Das ist individuell ein bisschen

unterschiedlich, kann auch mal zwei, drei Wochen dauern. Und bei manchen ist es ja auch richtig gut erst nach der Booster-Impfung nach drei bis vier Wochen. Und wenn sie dieses Zeitfenster nicht haben, weil Sie sagen, da ist ein Ausbruch und ich weiß nicht, wer schon was abgekriegt hat und wer nicht, ich will sofort schützen, dann ist das eine Option.

Aber was passiert eigentlich, wenn jemand monoklonale Antikörper – von der Firma Eli Lilly produziert oder von Regeneron produziert – im Blut hat und dann geben sie dem z.B. den Biontech-Impfstoff. Dann produziert ja die Zelle auf Kommando auch Antigen. Und dann soll ja dieses Antigen theoretisch dazu führen, dass der Körper Antikörper und auch aggressive T-Zellen dagegen produziert. Aber wenn diese Antigene sofort von den vorhandenen Antikörpern von Eli Lilly weggefangen werden oder von Regeneron, dann machen sie sich quasi die Impfwirkung komplett kaputt. Das ist noch nicht ausprobiert worden, aber das ist ein sehr wahrscheinliches Szenario. Warum ist es sehr wahrscheinlich? Weil wir sowohl diese mRNA-Impfstoffe haben, die quasi am Reißbrett erfunden wurden, als auch die monoklonalen Antikörper, die auch voll synthetisch hergestellt werden. Gut, da braucht man zum Teil Versuchstiere dafür. Aber sie werden letztlich künstlich im Labor hergestellt. Da ist es so, dass wir beide ja nach der Konstruktion eines bestimmten Spike- Proteins gemacht haben. Also wir haben sozusagen ein Prototyp-Spike-Protein eines bestimmten Virusstammes, der irgendwann mal eingefangen wurde und sozusagen als Universal-Blaupause für diese Dinge herhält. Und wenn Sie genau die gleiche Blaupause verwendet haben für den aktiven und den passiven Impfstoff, sprich für die mRNA- Impfstoffe und für die monoklonalen Antikörper, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass die sozusagen wie Schlüssel und Schloss perfekt zusammenpassen und sich gegenseitig wegfangen, sehr hoch. Das heißt also, die Gefahr besteht, dass man, indem man diese neuen monoklonalen Antikörper einsetzt, sich dann die Optionen versaut, hinterher klassisch impfen zu können.

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39:16

Camillo Schumann:

Vorerst sollen ja diese Medikamente nur in Unikliniken unter ganz speziellen Voraussetzungen gegeben werden. Und dieses Mittel senkt ja die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs. Sind diese Medikamente dann nicht genau dort an der richtigen Stelle, dass man sie im Krankenhaus gibt, bevor es sozusagen schlimmer wird? Oder gehören die eigentlich zu Hause in den Apothekerschrank?

39:40

Alexander Kekulé:

Die Mitarbeiter von Eli Lilly haben die sicherlich zu Hause im Schrank. Wobei, man muss das ja auch spritzen.

Also es ist so. In den USA gibt es schon Studien dazu, da dort die Zulassungen da sind. Und da hat sich klar gezeigt – ich meine, wir haben sogar eine von den Studien mal besprochen –, je früher man das gibt, desto besser. Zu dem Zeitpunkt muss man das geben, wo man noch gar nicht weiß, ob das ein krankenhauspflichtiger Verlauf wird. Das heißt also, man muss es zuhause geben, dann wirkt es. Und das ist ja auch klar: So ein Antikörper kann das Virus nur wegfangen, wenn es daherkommt und nicht, wenn es schon in irgendwelchen Zellen drinnen ist und sich dort schon munter vermehrt hat. Das hat auch ein bisschen was mit der Dosis zu tun. Die Virusvermehrung läuft ja am Anfang ziemlich zäh an auf den Schleimhäuten. Nach der ersten Infektion ist das ziemlich lange, bis das in Schwung kommt. Und ab einem bestimmten Moment gibt es quasi so einen selbst- verstärkenden Effekt, dass sich die Viren dann explosionsartig vermehren. Und dann sind so viele Viren da, dass dann auch diese begrenzte Zahl von Antikörper-Molekülen, die man mit so einer Injektionsspritze in den Patienten verabreichen kann, dass die dann irgendwann quasi weggesättigt ist. Die werden weggefangen, und das war's. Das Virus wird aber weiter produziert. Das heißt, sie brauchen das ganz früh, ganz am Anfang. Auch deshalb,

weil die Immunantwort am Anfang, die sogenannte angeborene Immunität, das ist ja die, die darüber entscheidet, wie schlecht es dem Patienten später gehen wird. Da müssen wir dem Immunsystem helfen. Und das heißt, wir müssen im Grunde genommen, damit es etwas bringt, bei jedem, der irgendwie die leisesten, leichtesten Covid19-Symptome hat, sofort diesen Antikörper geben. So ähnlich wie damals, wenn Sie sich erinnern, bei der Grippe. Da gibt es ja so dieses berühmte Tamiflu, das ist ein tolles Medikament im Prinzip. Nachteil ist nur, Sie müssen es innerhalb von spätestens 72-Stunden nach Symptombeginn geben, sonst wirkt es nicht mehr. Das Problem ist – und das hat man in den USA gesehen: Man muss es in die Peripherie bringen. Wenn es in der Universitätsklinik im Privatschrank des Professors liegt, der damit eine Studie machen will, bringt es wenig, weil die Patienten, die dahin kommen, meistens schwer krank sind oder in einem fortgeschrittenen Stadium sind, bis sie in die Uniklinik kommen. Und in den USA hat man gesehen, bei diesen monoklonalen Antikörpern ist es hauptsächlich ein Problem, die dann in die Peripherie zu bringen. Ja, die müssen ja dann auch irgendwie gekühlt werden. Die müssen intravenös verabreicht werden. Das heißt, sie brauchen da eine Logistik dafür. Das kann so eine Schwester, die irgendwie mal bei jemandem zu Hause vorbeifährt, um Fieber zu messen, tendenziell nicht machen. Diese ambulante Logistik ist neben dem Problem, was wir gerade genannt haben, das zweite große Thema, was wir haben, was möglicherweise die Anwendbarkeit dieser monoklonalen Antikörper dann begrenzen kann.

42:38

Camillo Schumann:

Gibt es noch weitere Probleme, oder war es das?

Alexander Kekulé:

Es gibt noch ein drittes in der Zukunft. Wir haben ja schon über die Mutanten gesprochen, die so sind, dass sie das

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Immunsystem überlisten. Wir nennen die Immune-Escape-Mutanten. Höchstwahrscheinlich ist die britische Variante B1.1.7-Mutante keine echte Immune-Excape- Mutante. Das ist aber auch nicht raus. Aber es ist ziemlich sicher, dass die aus Johannesburg und die aus Brasilien, die jeweils z.B. diese Mutation e484K im Spike tragen, also an einer Stelle, wo das Immunsystem normalerweise neutralisierende Antikörper hinschickt, dass diese Varianten möglicherweise sowohl ausbüchsen kann gegenüber den Impfstoffen, die wir jetzt haben, als auch Personen, die schon mal krank waren, reinfizieren können. Das haben wir in Studien gesehen in Südamerika. Und wir haben ja auch diese Johannesburg-Studie mit dem Spenderplasma besprochen, wo das relativ klar gezeigt wurde, dass also diese Variante in der Lage ist, sowohl Geimpfte als auch Infizierte dann noch mal befallen. Wie schwer die Krankheiten werden, ist ein anderes Thema. Aber wenn Sie sich einen Geimpften oder Infizierten anschauen, dann sind das ja Personen, die viele verschiedene Antikörper haben. Die allermeisten kriegen sie nach der echten Infektion, ein etwas weniger tolles Spektrum nach der Impfung, aber auch noch vollkommen ausreichend für einen Immunschutz. Und im Vergleich dazu ist ja dieser eine monoklonale Antikörper von Eli Lilly ein einzelner einsamer Soldat, der da alleine mit seinem Gewehr und seinem aufgesteckten Bajonett rumläuft, und bei Regeneron sind es zwei. Wenn jetzt an der Stelle, wo die zugreifen, wo gerade die Mutation ist oder das Virus sich verändert hat, dann sind diese als erstes unwirksam. Oder andersherum gesagt: Während wir uns bei der Frage, gibt es Re-Infektionen, die vielleicht sogar schwerer verlaufen können, eigentlich im Moment noch entspannt zurücklehnen und sagen können: Re-Infektion ja, aber schwerer wird die wohl nicht. Und bei der Frage: Wirken unsere bisherigen Impfstoffe auch gegen die neuen Varianten, sagen können: Ja, irgendwie werden sie wohl wirken, vielleicht aber nicht ganz so gut; müssen wir bei diesen monoklonalen Antikörpern eigentlich

vermuten, dass die die ersten sind, die komplett ausfallen in ihrer Funktion, wenn wir es mit neuen Immune-Escape-Varianten zu tun haben.

45:09

Camillo Schumann:

Ich habe noch einen Widerspruch. Oder vielleicht ist es ja auch keiner.

Sie haben ja gerade eindrucksvoll geschildert, warum es so wichtig ist, diese Antikörper- Medikamente frühzeitig zu geben, damit dann eben der Körper darauf eingestellt ist und ein schwerer Verlauf verhindert werden kann. Es ist es ja so, dass die Mittel bisher nicht zugelassen sind in der EU und nur in Universitätskliniken unter strenger Kontrolle Patienten verabreicht werden dürfen. Aber jetzt ist es ja so, dass Patienten, wenn die einmal im Krankenhaus sind, ja eigentlich schon einen schweren Verlauf haben. Also sind sie dort eigentlich an der falschen Stelle. Müssten die dann nicht eigentlich zum Hausarzt, dass man den dann schnell anruft und sagt: „Ich bin infiziert. Irgendwie habe ich ein Kratzen im Hals. Ich komme zu Ihnen. Ich habe gehört, sie haben das Mittel.“

45:52

Alexander Kekulé:

Darum machen wir diesen Podcast. Unter unseren Kollegen ist das ja bekannt. Sie können davon ausgehen, dass die, die sich intensiv mit den Themen beschäftigen, die haben diese Studien aus USA gelesen. Und ich hoffe doch, dass das eben nicht so läuft, das man sagt, jetzt geben wir das mal unseren Patienten. Die Versuchung ist immer hoch. Da kriegt man dann schön schnell genug Personen für eine Studie zusammen und so. Man muss jetzt entweder sagen, wir machen es unten in der Ambulanz, sodass wir quasi jeden, der in die Ambulanz kommt und der eigentlich nach Hause geschickt wird, sagen: „Moment mal, bevor du gehst, ich hab da was vorbereitet. Du wurdest gerade heimgeschickt, aber ich hab da eine kleine Studie, wo du mitmachen kannst.“

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Das wäre die eine Variante aus der Uniklinik und die andere, die smarter wäre, ist tatsächlich, ein Netz von Hausärzten zu gewinnen. Ich glaube und hoffe sehr, dass das in diese Richtung geht. Es gibt ein bisschen, das haben Sie schon richtig angesprochen... Es gibt das Problem: Wir haben ja keine Zulassung. Damit ist es eine Studie ... Im Krankenhaus dürfte man das machen. Bei schwer Erkrankten dürfte man das trotzdem einsetzen. Wir nennen das Compassionate Use, also quasi Verzweiflungstat, oder so ähnlich könnte man das übersetzen. Wenn man weiß, nichts anderes hilft, dann braucht man keine Zulassung.

Dann gibt es das sogenannte Off-Label. Das heißt also, wenn etwas anderweitig zugelassen ist, es dann sozusagen anzuwenden für eine andere Anwendung. Also zu sagen, okay, aufgrund der Zulassungsdaten, die es schon gibt, habe ich eine Vorstellung von der Sicherheit dieses Medikaments. Das kommt ja nicht in Frage, weil es in Europa überhaupt nicht zugelassen ist, sodass es eigentlich schwierig ist. Man muss eine klinische Studie aufsetzen, mit allem Drum und Dran. Da muss das Ethikkomitee durch. Dann sagt das Ethikkomitee: Da gibt es ja immer mal wieder Nebenwirkungen. Wie sind denn die Aussichten der Patienten ohne die Therapie? Das ist so der Klassiker. Und wenn man dann sagen muss, das sind genau die Gesunden, die eigentlich überhaupt nichts haben. Wenn wir die heimschicken und gar nichts mit denen machen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es den hinterher sehr schlecht geht, extrem gering, sonst würden wir sie nicht heimschicken. Da wird dann die eine oder andere hitzige Diskussion im Ethikkomitee geführt werden, ob man das machen darf oder nicht. Und am Schluss kriegt dann der Klinikdirektor die Zulassung und die Erlaubnis, die Studie zu machen oder nicht.

48:16

Camillo Schumann:

Um das auch mal festzuhalten: Dieses

Antikörper-Medikament bekommen jetzt nicht Menschen, die auf der Intensivstation mit Covid liegen. Das ist schon mal ausgeschlossen?

Alexander Kekulé:

Hoffentlich nicht. Das wäre aufgrund der bisherigen Daten komplette Verschwendung. Das ist so oft versucht worden, hat nichts gebracht.

Camillo Schumann:

Aber trotzdem noch einmal: 400 Millionen Euro werden dafür ausgegeben. Dann werden diese Medikamente an Orte geliefert, wo sie erstmal keine Verwendung direkt haben. Dann frage ich mich so ein bisschen: Warum macht man das eigentlich? Ist das irgendwie so nice to have, oder ist das gut investiertes Geld?

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Alexander Kekulé:

Dazu weiß ich zu wenig, wie das gemacht wird. Ich habe es ja gerade geschildert. So eine Sache muss besonders gut durchs Ethikkomitee durch. Solche monoklonalen Antikörper können im Einzelfall schon heftige Nebenwirkungen haben. Man greift ja da ins Immunsystem ein. Und wir wissen dann eben auch die Dinge wie z.B. die mögliche Interferenz mit der Impfung. Z.B. ein 30- Jähriger hat leichtes Covid19, erscheint in der Ambulanz. Da muss man den darüber aufklären, dass, wenn er jetzt an der Studie mitmacht, kann er was Tolles für die Wissenschaft tun und auch für die Leute, die sich habilitieren wollen am Institut. Aber es ist so, dass er da möglicherweise, so grob gesagt in den nächsten sechs bis12 Monaten sich nicht effektiv impfen lassen kann, weil er Antikörper im Blut hat, die das möglicherweise verhindern. Diese Patientenaufklärung oder Probandenaufklärung in dem Fall müsste extrem transparent erfolgen. Wenn ich eine Ethikkommission wäre, würde ich da reinschreiben, dass das genau erklärt werden muss, dass das für denjenigen auch Nachteile haben kann. Und wenn man das zu Ende denkt – ich will kein Pessimist sein – ist dann die

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Frage: Wie lange hält sich das Zeug? In welchen Kühlschrank liegt es? Wie viel wird dann am Ende des Tages für sinnvolle Studien eingesetzt? Ich gehe aber, ehrlich gesagt, davon aus, dass, wenn die Bundesregierung so viel Geld in die Hand nimmt, und auch als absolutes Alleinstellungsmerkmal das macht... Das ist ja auch so publiziert worden, dass das hier eine Besonderheit ist, dass wir die ersten in Deutschland sind. Ich gehe davon aus, dass hier vorher bei den Leuten, die es einsetzen sollen und wollen, also bei denen, die diese klinischen Studien dann machen müssten, das da vorher eine Abfrage stattgefunden hat. Das wäre ja eigentlich das übliche Verfahren. Wir sind ja alle vernetzt. Also das macht übrigens das Bundesgesundheitsministerium bei jedem Gesetzgebungsverfahren. Da gibt es dann immer die Einbeziehung der Betroffenen und der Fachleute. Und es geht ruckzuck heutzutage mit Zoomen sowieso. Ich hoffe doch sehr, dass da vorher mal gefragt wurde angesichts dieses doch recht begrenzten Einsatzfeldes, weil wir es eben mit einem frühen Stadium zu tun haben. Oder ersatzweise Ringimpfung, Immunisierung bei Ausbrüchen ein Altersheim, dass man vorher gefragt hat, wann brauchen wir das und wie viel brauchen wir davon.

51:22

Camillo Schumann:

Da haben wir einen Blick auf die Antikörper- Medikamente. Die werden dann sicherlich noch mal ein Thema im Podcast sein. Kommen wir zum Schluss noch zu einem weiteren Vorhaben des Bundesgesundheitsministers: Er will die von Ihnen schon seit Monaten geforderten Antigen-Schnelltests für Zuhause ermöglichen. Dafür soll die Medizinprodukteabgabeverordnung geändert werden. Ich hätte ja nie gedacht, dass das passiert. Wir machen seit 16. März diesen Podcast und haben immer wieder darauf hingewiesen. Man hatte gemerkt, dass es da sehr große Blockaden gibt. Und auf einmal löst sich dieser Knoten. Waren sie da auch so ein bisschen überrascht?

Alexander Kekulé:

Ich freue mich extrem drüber. Das erinnert mich verdammt an die Sache mit den Masken, wo ich am Anfang beschimpft worden bin. Und jetzt zahlen Sie Strafe, wenn Sie keine aufhaben. Es wäre toll, wenn wir das haben. Und ich bin noch nicht sicher, ob es schon beschlossene Sache ist, weil das mal in den Raum gestellt wurde. Ich weiß, dass viele meiner Fachkollegen sagen, das ist Unsinn mit den Antigen-Schnelltests. Die Diskussion ist da noch nicht zu Ende. Und daher bin ich da ... Wie da am Schluss der Bundesgesundheitsminister und die Bundesregierung entscheiden werden, das wird man sehen. Aber ich kann nur sagen diese Antigen-Schnelltests könnten ein Game- Changer in dieser Pandemie sein. Speziell wenn wir jetzt nicht wieder Mitte Februar lockern und dann wieder den nächsten Lockdown anpeilen wollen, sondern mal irgendwie in einen alternativen Steady State übergehen wollen.

52:55

Camillo Schumann:

Es gibt da noch ein großes Aber: Zunächst muss noch die Medizinprodukte- abgabeverordnung geändert werden.

Aber noch etwas anderes. Wir hören mal Jens Spahn zu:

53:03

„Solange es keinen Test gibt, der CE-zertifiziert zugelassen ist zur Selbsttestung –und diese Zulassung beinhaltet den Nachweis, dass ein Laie die Probenentnahme, die ja dann im Zweifel im Mundraum stattfindet, oder im Nasenraum, auch so hinkriegen kann, dass das Ergebnis mit sehr hoher Treffsicherheit das richtige ist. Das muss nachgewiesen werden im Zulassungsprozess. Und deswegen kann man aus meiner Sicht – und deswegen bin ich da auch zurückhaltend – nicht entgegen aller medizinprodukterechtlichen Regeln Schnelltests, die wir aktuell haben für geschultes Personal – wo wir die Frage, wie

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geschult wird, wir ja auch für Lehrerinnen und Lehrer schon zusätzlich gedeutet haben – wo aber eben eine Schulung auch wichtig ist, nicht einfach zu einem Heimtest machen für jedermann.“

53:53

Camillo Schumann:

Das muss sozusagen für den Laien noch mal getestet werden. Aber wir haben doch vor Kurzem auch Studien besprochen, z.B. von der Charité, die sagen, ja, ein Laie kann das genauso gut wie medizinisches Personal. Das reicht nicht?

54:07

Alexander Kekulé:

Doch das würde reichen. Genau diese Studie könnte man vorlegen. Vielleicht macht man dann noch eine zweite dazu. Meine praktische Erfahrung ist, wir haben ja schon oft darüber gesprochen, dass das jetzt schon fast nur von Laien gemacht wird. Was heißt Laien? Das sind halt Leute, denen hat man es zweimal erklärt. Zum Teil ist das der Wach- und Schließdienst von irgendwelchen Veranstaltungssälen. Und wenn man da reinkommt, weil z.B. eine Podiumsdiskussion stattfindet oder eine Fernsehaufzeichnung stattfindet, dann tun die Jungs, die also sonst draußen mit der Knarre rumhängen und aufpassen, dass da keiner einbricht, die machen da mal schnell diesen Schnelltest. Die haben dann auch die gleichen Lederjacken an. Das ist dann nett anzusehen. Und die machen das nicht schlecht. Also zumindest fand ich es bei dem, der das bei mir gemacht hat, okay. Es gibt sogar Kinder, die machen sich das gegenseitig, nachdem der Papa es erklärt hat. Und es gibt Lehrer, die das können. Die sind ja auch nicht wirklich medizinisch trainiertes Personal. In den Altenheimen, die Pflegerinnen, haben auch nicht die Ausbildung, die man mit einer Krankenschwester vergleichen kann.

Mein Credo zu dieser Sache ist, das kann jeder lernen wie Zähneputzen. Aber ja, Zähneputzen ist auch nicht so einfach. Da gibt es ja auch

manche Kinder, die das besser, und manche, die das schlechter machen. Es ist es doch so, das ist eine ungewohnte Sache. Ich weiß auch, dass manche da eine Hemmung davor haben, solche Tests zu machen, v.a. wenn es darum geht, den Tupfer in die Nase zu schieben. Ich persönlich finde, wenn es richtig gemacht ist, ist der Nasenabstrich weniger unangenehm als ein Rachenabstrich, weil ich es schlimmer finde, wenn ich hinterher würgen muss, als wenn ich hinterher niesen muss. Ich frage auch meine Patienten immer: lieber nießen oder würgen, wenn es um die Frage geht, wo man den Tupfer reinschiebt. Und dann kann ich ja nur noch einmal deutlich und laut an die österreichische Variante des Gurgeltests erinnern. Alle Daten, die im Moment publiziert sind, deuten darauf hin, dass der genauso gut ist wie Nasenabstrich oder Rachenabstrich, wenn es um den epidemiologischen Test geht. Das heißt also, man kann genauso, und das machen die Österreicher rauf und runter an den Schulen zurzeit, man kann genauso einen Rachenspültest, einen sogenannten Gurgeltest, machen. Und das kann ja nun wirklich jeder, denn wenn Sie sich die Zähne geputzt haben, müssen Sie ja die Zahnpasta auch irgendwie ausspülen.

56:35

Camillo Schumann:

Genau. Und laut Bundesgesundheitsministerium soll es dann auch den Spuck- oder Gurgeltest geben in Deutschland. Aber worauf ich noch mal kurz hinauswollte, damit Sie vielleicht kurz den Unterschied noch mal erklären: Die Tests sind ja aktuell für medizinisches Personal zugelassen, aber noch nicht für den Laien. Also das muss dann tatsächlich noch mal geprüft werden, dass der Laie das dann auch machen kann. Bekommt derselbe Test dann noch einen Stempel „Jetzt auch für Laien“?

56:59

Alexander Kekulé:

Ja, das ist ehrlich gesagt etwas, was auch Fachpolitiker und sehr viele Journalisten

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durcheinanderbringen. Es ist erstens so, nach dem Medizinproduktegesetz, was hier einschlägig ist, werden solche diagnostischen Tests überhaupt nicht zugelassen. Alle schreiben „zugelassen“, selbst in der sogenannten qualifizierten Presse liest man „zugelassen“. Das ist keine Zulassung. Sondern sie müssen eine CE-Zertifizierung haben. Und das CE-Label ist, wie Sie wissen, auf allem möglichen Kram aufgestempelt. Manchmal findet man das auf Zahnstochern und sonst was. Im Bereich der Diagnostik gibt es zwei verschiedene CE-Verfahren, wie man diese Zertifizierung bekommt. CE ist Französisch und steht für Conformité Européene, also für europäische Konformität bzw. für Certification Européene, also europäisches Zertifikat. Diagnostisch wird unterschieden, ob das ein Test ist, das hat der Bundesgesundheitsminister ja erklärt, der vom medizinischen Fachpersonal gemacht wird. In diesem Fall kann sich der Hersteller das selber draufstempeln. Er muss bestimmte Tests machen, das ist da vorgeschrieben in so einer europäischen Norm, welche Anforderungen die so ungefähr erfüllen müssen. Sehr genau ist die Norm, ehrlich gesagt, nicht. Aber z.B. bei so einem Antigen-Schnelltest würde man dann 400 oder 500 Rachen-Proben nehmen, die einmal mit der PCR untersuchen und einmal mit dem Antigen-Tests. Und dann würde man eben feststellen, wie ist die Sensitivität und die Spezifität. Sensitivität heißt: wie viel Prozent der PCR-Positiven weist man im Antigentest nach, also wie empfindlich ist er. Und Spezifität heißt: wie oft ist er falsch, oder andersherum gesagt: wie viel Prozent derer, die nachgewiesen wurden, waren dann auch „richtig“ im Sinne von Kontrolle durch die PCR. Die ist da immer der Goldstandard. Das macht er entweder selber oder beauftragt ein Labor, das es für ihn macht. Und dann hat er eine schöne Tabelle, die legt er sich in die Schublade bei sich zu Hause in seiner Firma. Und dann holt er sich einen CE-Stempel und macht den auf die Packung drauf. So einfach ist das, also keine „Zulassung“.

Es ist so, dass, wenn sie aber eine Anwendung haben wollen, wo der Privatnutzer das selbst macht, also nicht medizinisches Personal – das gilt z.B. für so Schwangerschaftstest, den man ja auch in der Apotheke kaufen kann, oder auch Blutzucker, das wird viel von Diabetikern selber gemacht –, dann müssen Sie eine weitere Hürde nehmen. Und das heißt, sie dürfen diese Untersuchungen, von denen ich gerade gesprochen habe, nicht selber „inhouse“ machen, sondern müssen eine dafür nach EU-Verordnung zugelassene Stelle beauftragen. Da gibt es viele. Meines Wissens kann man das beim TÜV z.B. machen lassen. Ich weiß gar nicht, ob es Bundesinstitute gibt, die das vielleicht auch machen können. Und da wird übrigens auch ein bisschen Geld mit verdient, denn das kostet dann Gebühren. Und die machen dann genau das Gleiche. Also die machen dann exakt das, was Sie vorher selbst gemacht haben. Und wenn sie die „Zulassung“, also die CE-Zertifizierung haben wollen für Home User, also für Leute, die das selber machen, dann wird es natürlich mit Laien getestet. Dann holen sie sich quasi so einen Pulk Studenten rein oder Ähnliches, also keine Medizinstudenten, und geben denen Zettel in die Hand und sagen Gebrauchsanweisung, mach mal, und überprüfen quasi, wie gut dann das Ergebnis des Tests ist, wenn die Abnahme von Laien gemacht wurde. Und dann kriegen Sie wiederum dieses Ergebnis von denen. Da müssen Sie ein bisschen mehr Geld dafür zahlen. Das legen Sie sich genauso in ihre Schublade. Und dann können sie CE draufstempeln. Also, es ist eigentlich eine „Selbstzulassung“, die aber in dem einen Fall eben die Anforderungen hat, dass eine externe, dafür ausgewiesene, ermächtigte Stelle diese Untersuchung noch einmal bestätigt. Und das ist vom Zeitrahmen her, wenn sie das schnell gemacht kriegen, würde ich mal sagen, zwei Monate. Das heißt also, der Test von Biozensor, der ja inzwischen Roche-Test heißt, weil er von Roche vertrieben wird, war Anfang März verfügbar, plus zwei Monate. Da können Sie sich ausrechnen, plus Bazuka. Da würde ich sagen, Anfang Mai

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hätten wir den definitiv hier haben können, mit der Zulassung zur Selbstuntersuchung.

01:01:10

Camillo Schumann:

Die Frage ist ja, ob der Spuck- oder Gurgeltest auch schon durch diese Laien-Prüfungen gegangen ist. Und der soll es ja dann richten bei uns.

Alexander Kekulé:

Das haben die Österreicher rauf- und runtergemacht. Also gerade unser Gesundheitsminister ist ja jemand, dem ich vom Typ her – das kann ich als Virologe, glaube ich, mal so aus meiner Sicht sagen –, der wirkt nicht wie jemand, der etwas unterlassen würde, wo er den Eindruck hat, das könnte funktionieren. Der ist ja eher so ein Macher. Und vielleicht kann man auch hinzufügen: Er will sich auch als Macher politisch darstellen. Wenn dem einer gesagt hätte, du musst nur das und das machen, dann wird das zugelassen. Und dann hast du den Test sofort. Und das ist eine gute Sache. Ich bin sicher, der hätte das gemacht. Warum das jetzt so spät ist, ist sicherlich eher den wissenschaftlichen Beratern zuzuschreiben. Aber wenn man jetzt sagt, das ist so eine Zulassung, da sind noch so viele Hürden. Diese Selbstzertifizierung ist im Vergleich zu einer echten „Zulassung“, wo man eine Zulassungsbehörde hat, nichts dagegen. Ich nehme mal als Beispiel die Impfstoffe, wo wir 40.000 Probanden hatten und das aufs Schärfste kontrolliert wurde. Und die Studie, die die Charité gemacht hat, die wir besprochen haben, die hat ja ziemlich klar gezeigt: Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob das medizinische Fachpersonal die Abnahme macht oder Laien, die halt so ein Zettel in die Hand gedrückt bekommen nach Gebrauchsanweisung. Und das wird man vielleicht noch einmal wiederholen, um es dann doppelt und dreifach zu haben. Aber letztlich, am Ende des Tages, ist es so: Diese Tests sind ohne Wenn und Aber für den Eigenbedarf geeignet, sofern jemand überhaupt so etwas machen will. Es gibt ja

Menschen, die sagen, ach nein, an mir selber da so einen Test machen, ist mir nichts, und wenn ich dann hinterher Tropfen muss und wenn dann was falsch ist, da gehe ich doch lieber zum Arzt. Und Sie wissen ja, dass mein Vorschlag ist – um auch individuelle Hemmschwellen zu überwinden und vielleicht auch ein Zertifikat für ein negatives- Testergebnis zu haben –, dass man ergänzend das auch in der Apotheke testen lassen kann.

01:03:08

Camillo Schumann:

Und wenn es dann die Antigen-Schnelltests für alle in der Apotheke gibt, können wir auch mal hier im Podcast ein Piccolöchen öffnen.

Alexander Kekulé:

Das machen wir definitiv. Da haben wir dann hoffentlich irgendwie dazu beigetragen, ein kleines Sandkorn mit in die Waagschale geworfen.

Camillo Schumann:

Wir kommen zu den Hörerfragen: Herr W. hat gemailt:

„Meine Mutter hat die Benachrichtigung zur Impfung erhalten. Dazu eine dringliche Frage: Ich höre immer, dass man nicht geimpft werden soll, wenn man Corona schon hatte. Aber wenn man keine Blutuntersuchung vor der Impfung macht, dann kann man doch nicht feststellen, ob die zu impfende Person schon Corona gehabt hat oder nicht. Können Sie mir da helfen? Viele Grüße.“

01:03:44

Alexander Kekulé:

Das hat zwei Aspekte. Das eine ist: Warum wird empfohlen, das nicht zu machen? Offiziell deshalb, um den Impfstoff zu sparen. Wir haben zu wenig Impfstoff. Es wird ja noch interessant, wann überhaupt die 2. Dosis verfügbar wird. Sie erinnern sich an die Debatte, wie lange darf man warten? Das kam ja, weil wir so wenig Impfstoff haben. Die schon mal die Krankheit gehabt haben, die haben zehnmal so viele, hundertmal so viel

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Antikörper und sonstige Immunzellen als jemand, der nur geimpft ist. Also besser gewappnet als nach der Infektion kann man nicht sein. Deshalb ist es völliger Unsinn, diese Leute zu impfen.

Andererseits muss man – auch wenn man es akademisch anschaut –, sagen, die Zulassungsstudien für die mRNA-Impfstoffe sind alle gemacht worden mit Probanden, die vorher kein Covid hatten. Zumindest die allermeisten hatten kein Covid vorher. Sondern das waren Regionen, wo das eben gerade im Ausbruch war. Da hat man am Anfang rekrutiert, und es waren eher Ausnahmen. Es gab wenige, die dann quasi nach der ersten Impfung doch noch Covid entwickelt haben und sich offensichtlich schon vorher infiziert hatten. Das heißt, wir haben letztlich keine gezielten Untersuchungen, die sagen, was passiert eigentlich, wenn ich jemanden impfe, der die Krankheit schon durchgemacht hat? Dessen eigene Zellen aufgrund einer RNA, die da jetzt rein reinkommt, anfangen, Virusproteine zu machen. Und zwar nicht nur an der Einstichstelle, sondern das verteilt sich ja zum Teil weiter im Körper. Irgendwelche anderen Körperzellen fangen an, Virusproteine vom Sars-CoV-2 zu machen. Aber deren Immunsystem ist sozusagen schon scharf gestellt gegen diese Antigene, weil ja derjenige eine Infektion durchgemacht hat. Das wurde nicht ausprobiert. Und da würde ich sagen, wenn ich im Steuerungskomitee so einer Studie wäre, da müssen wir eine Subpopulation haben, wo wir das mal untersuchen, nur um auszuschließen, dass da die Nebenwirkungen anders sind als bei denen, die komplett ohne Antikörper waren.

Man muss aber auch dazusagen, das ist eine extrem hypothetische Diskussion, denn wir haben ja viele andere Impfstoffe. Wir blicken ja, seit Edward Jenner das im 18. Jahrhundert mal mit den Pocken begonnen hat, blicken wir auf eine uralte Tradition der Impfung zurück. Und so ein Phänomen, dass Leute, die schon mal die Krankheit durchgemacht haben, bei der Impfung dann plötzlich riesige

Nebenwirkungen oder deutlich mehr Nebenwirkungen haben als solche, die die Krankheit noch nicht hatten, ist mir zumindest nicht bekannt. Kann sein, dass ich in den Geschichtsbüchern was übersehen habe. Aber das gibt es sonst nicht.

Camillo Schumann:

Okay, noch einmal kurz zusammengefasst: Würden Sie der Mutter empfehlen, vorher eine Blutuntersuchung, einen Antikörpertest zu machen?

Alexander Kekulé:

Nein, einfach impfen. Das ist ja auch so: Der Antikörpertest hat ja das Problem, dass der bei vielen Leuten nach einigen Monaten negativ wird. Und deshalb können Sie es nicht unterscheiden. Wenn man nicht sicher ist, dass man es schon hatte oder davon ausgeht, dass man es schon hatte, weil vielleicht ein Schnelltest positiv war – zum Teil ist es ja auch so, dass eine ganze Familie krank war, aber nur einer war beim Arzt und hat sich testen lassen. Aber dann war es völlig klar, dass die anderen genau das Gleiche hatten in den gleichen zwei Wochen. Dann können Sie sagen, okay, ich hatte es schon. Da brauchen Sie sich nicht impfen lassen. Aber abgesehen von diesen Ausnahmen, wo es völlig eindeutig ist, würde ich sagen: Wenn man sich impfen lassen will und wenn man zur Risikogruppe gehört oder aus anderen Gründen sagt, ich bin dran mit der Impfung, dann soll man das natürlich auf jeden Fall machen. Das Risiko, dass da irgendwelche unerwarteten Nebenwirkungen da sind, ist extrem gering. Das ist eher ein akademisches Problem, bei dem sich die Zulassungsstelle und die Hersteller darüber Gedanken machen müssen, aber nicht derjenige, der sich fragt, lasse ich mich impfen, ja oder nein.

Camillo Schumann:

Dann hat dieses Ehepaar angerufen. Es ist positiv getestet worden und hat eine Befürchtung:

„Meine Frau und ich sind corona-positiv. Jetzt würde mich interessieren: Wir wohnen in einer Wohnung. Können wir uns während der

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Genesung wieder gegenseitig anstecken? Besteht die Möglichkeit, dass einer von uns eine Mutation erzeugt, die dann auf den anderen übergeht und wieder ansteckt und so der eine den anderen wieder aufschaukelt?“

01:08:11

Camillo Schumann:

Spannende Frage.

Alexander Kekulé:

Es wäre wissenschaftlich interessant. Aber leider besteht diese Möglichkeit so gut wie nicht. Das wäre weltweit der erste Fall. Und daher würde ich sagen, nein, die Möglichkeit besteht definitiv nicht. So etwas kann es rein theoretisch geben, wenn man sich das mal vorstellen will, wenn Sie ein ganzes Land hätten. Also nicht zwei Personen, da ist die Wahrscheinlichkeit null. Aber wenn sie z.B. das Bundesland Amazonas in Brasilien haben. Da ist genau diese Sache passiert. Ein Teil der Bevölkerung hat sich infiziert, das Virus hat sich ausgebreitet, traf auf immer mehr Personen, die schon infiziert waren, hat sich deshalb verändert und im Lauf der Zeit – aber nicht in ein paar Wochen, sondern eher im Zeitraum von Monaten – kommen dann neue Varianten raus. Das sind dann eben solche, die wir jetzt beobachten, die plötzlich die Menschen wieder infizieren können, die vorher schon mal Covid hatten. Aber das ist eher so auf einer Ebene, wenn man es mit Millionen von Menschen zu tun hat und Zeiträumen von Monaten, und wenn man keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen hat.

01:09:19

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 143. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé:

Da freue ich mich. Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns

an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter

0800 300 22 00.

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Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will: Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Samstag, 23.01.2021 #142: Hörerfragen SPEZIAL

Camillo Schumann, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann:

Sollten Menschen mit mehreren Kindern schneller geimpft werden?

Ist ein Abstrich im Mund genauso gut?

Kann man sich mit zwei Impfstoffen impfen lassen?

Wie ansteckend sind Erkältungswellen im Vergleich zur Sars-CoV-2?

Damit herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL. Nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Guten Tag, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Herr T. hat uns geschrieben:

„Ich leite ein Altenheim in Bayern. Wir haben mittlerweile 225 Schnelltests, und ein Arzt würde uns auch einweisen. Jedoch stellt sich mir die Frage, wie das ganze ablaufen soll. Wer soll den lieben langen Tag testen bei der Personalstruktur im Altenheim! Wie oft würden Sie generell empfehlen zu testen? Und wie lange kann man von einer Nicht-Infektion ausgehen? Viele Grüße.“

[0:01:00]:

Alexander Kekulé:

Das Testkonzept für Altenheime ist ein heikles Thema. Ich würde da ungern etwas pauschal dazu sagen. Ich biete gerne an, dass jemand mir eine E-Mail schreibt und wir bilateral über den konkreten Fall im Altersheim sprechen.

Ich habe in Einzelfällen schon Altersheime beraten bei solchen Situationen, weil man da die lokale Situation anschauen muss. Aber viel- leicht Folgendes allgemein: Zum Testen in Altenheimen bin ich etwas vorsichtiger als die offizielle Linie, und zwar aus folgendem Grund: Die Schnelltests übersehen einfach manche Infektionen. Das ist so, weil man manchmal etwas übersieht, denn man will ja wissen, ob an dem Tag akut jemand infektiös ist. Darum bin ich dafür, in Altenheimen – wenn die Kapazitäten da sind und im Moment sind wir in Deutschland gut aufgestellt – mit den PCRs zu testen. Der Zeitverlust ist auch kein Thema. Ich rede von den Bewohnern dort und auch vom Personal, da ist der Zeitverlust in dem Sinn kein Thema. Ob das nach ein paar Stunden kommt oder nach 15 Minuten bekannt ist, spielt keine Rolle, weil es ja um Leute geht, die ständig da im Einsatz sind. Und man muss sie einfach überwachen. Und mit dieser PCR- Überwachung – ich weiß, dass die Tests, die dort bei dem Anrufer vorrätig sind, keine PCR- Tests waren – würde ich sagen, zweimal die Woche, das ist so ein Fenster. Klar, da hat man Lücken. Aber man muss ja zwischen Praktikabilität, Kosten usw. einen Mittelweg finden. Wer soll es machen? Ja, das ist ja ein riesen Thema. Natürlich nicht das Personal der Altenheime. Diese Nasen-Rachen-Abstriche oder Gurgeltests kann ungelerntes Personal machen. Da muss man Leute rekrutieren, die das machen. Die müssen zweimal die Woche kommen und vorher einen Schnellkurs gemacht haben bei einem Arzt. Und das funktioniert überall. Wenn sie heutzutage in eine Fernsehshow gehen und dort soll nur sichergestellt werden, dass die Kabelträger, Kameraleute und das sonstige Personal sich nicht ansteckt, machen auch irgendjemand den Schnelltest. Deshalb meine ich, müssen wir auch den Altenheimen und auch sonstigen Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen usw.

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weiter diesen Service zur Verfügung stellen, dass sie diese Schnelltests gemacht bekom- men. Das Geld muss da sein. Und ich habe gehört. Es gibt viele Leute, die zurzeit nicht arbeiten können, aus verschiedenen Gründen. Vielleicht hat auch jemand Lust, sich auf die Weise nützlich zu machen.

[0:03:36]:

Camillo Schumann:

Herr H. hat gemailt:

„Herr Professor Kekulé, es gibt ja vier Erkältungs-Coronaviren. Sind diese Erkältungs- viren wesentlich ansteckender als das bisherige Sars-CoV-2-Virus? Mit freundlichen Grüßen, Herr H.“

[0:03:51]:

Alexander Kekulé:

Meines Wissens ist für diese vier Virustypen, von denen aber zwei im Moment eigentlich nur richtig zirkulieren ist, kein R-Wert sauber erhoben worden. Man kann eigentlich sagen, es ist überhaupt noch nie so viel gemessen und geschätzt worden wie bei dieser Pandemie, weil man bei früheren Pandemien einfach nicht so genau zugeschaut hat, was da passiert. Ich würde aber, ohne dass es diesen R-Wert gibt, sagen: Wenn ein Virus es schafft, sich jedes Jahr wieder massiv auszubreiten, obwohl man vorher eine zum großen Teil ja immune Bevölkerung hatte – und das ist bei den Erkältungsviren der Fall – dürfte das ein deutlich höheres R-Null haben. In dem Fall muss man sagen Basisreproduktionszahl = 1. Aber belegt ist das nicht. In der Theorie müsste es genauso sein, wie sich das der Hörer vorstellt, aber richtig untersucht wurde das für die verschiedenen Typen nicht.

[0:04:50]:

Camillo Schumann:

Man kann also nicht definitiv abschließend sagen: Sars-CoV-2 ist infektiöser als andere Erkältungsviren?

[0:04:59]:

Alexander Kekulé

Nein, es ist eher andersherum: Man würde

davon ausgehen, dass die klassischen Erkältungsviren besser an den Menschen angepasst wären, weil sie schon länger da sind. Dass die ansteckender sind, wissen wir z.B. bei Schnupfen. Bei den Rhinoviren wissen wir, die sind deutlich ansteckender. Aber die bläst man ja auch so richtig motiviert in die Gegend?

[0:05:17]:

Man muss sich das so vorstellen: Wenn man so einen Winter hat mit Erkältungskrankheiten, sind Schnupfenviren, die sogenannten Rhinoviren im Einsatz. Da sind viele Corona- viren. Wir haben aber noch ein paar andere Sorten von Adenoviren und andere. Die kön- nen so Erkältungen aller Art machen. Und natürlich noch die Grippe. Die hätte ich fast vergessen, und Paramyxoviren und so weiter. Wenn Sie Virologie lernen, müssen sie die alle drauf haben. Und wenn Sie 100 Leute mit Erkältungen haben, sind das verschiedene Viren. Und deshalb ist es wahnsinnig schwer zu sagen, wer hat wen angesteckt, mit welchem Intervall dazwischen. Daraus würde man ja ausrechnen, wie schnell breitet sich das aus. Wenn einer durchschnittlich drei andere ansteckt, dann ist R = 3. Diese Berechnung kann man nur machen, wenn man eine saubere Virusdiagnostik macht oder wenn nur ein einziges Virus zirkuliert oder die Symptomatik so eindeutig ist wie bei Masern, dass man einfach sagt, ich brauche keinen Test, ich sehe, das sind die Masern. Aber das ist ja alles bei Erkältungen nicht der Fall. Und darum hat es nie einer so sauber auseinander- klamüsert.

Camillo Schumann:

Dieser Herr, hat angerufen: [0:06:25]:

„Angenommen, ich wäre mit AstraZeneca geimpft worden, könnte man später noch mit Moderna und dem Biontech-Impfstoff nachlegen? Ist das kumulativ in der Wirkung, oder gibt es sogar medizinische Gründe, die dagegensprechen würden, zwei Impfstoffe nacheinander zu impfen?“

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[0:06:42]:

Alexander Kekulé:

Es gibt zwei Varianten von „nacheinander“. Das eine ist, diese Impfstoffe werden ja zweimal gegeben. Das zweite Mal ist die Auffrischungsimpfung oder Booster-Impfung. Da würde ich dringend davon abraten, etwas anderes zu nehmen. Und die andere Frage ist, bringt es bei diesen speziellen Impfstoffen etwas, erst den einen und dann den anderen zu nehmen, nach dem Motto 95 Prozent Schutz reicht mir nicht. Ich will irgendwie auf 100 kommen. Das ist völlig sinnlos und mit der Gefahr verbunden, dass man das Immun- system ein bisschen überreizt und beim zweiten und dritten Mal eine stärkere Immunreaktion nach der Impfung hat. Deshalb würde ich dringend davon abraten.

Es bringt auch nichts, weil das S-Protein, um das es geht, dieses Spike, was da entweder in einem Impfstoff drin ist oder produziert wird von den Zellen, ist ja genau das gleiche. Also diese AstraZeneca-Vektoren, das sind ja so virale Vektoren, die veranlassen die Zelle, das gleiche Spike zu produzieren wie die Impfstoffe von Biontech und Moderna. Sie kriegen z.B. keinen Schutz gegen die modernen Varianten, die gerade im Kommen sind. Da würde ich eher vorschlagen abzuwarten nach der ersten Impfung, weil ich schon annehme, dass im Jahr 2022 ein neuer Corona-Impfstoff angeboten werden wird, der diese Varianten, die bis dahin da sind, abdecken wird bzw. speziell abdecken wird. Der jetzige wird auch einen Schutz haben, aber das wird sicherlich fokussierter sein. Und da wird es sich lohnen, sich noch einmal impfen zu lassen.

[0:08:17]:

Eine Dame hat angerufen, die ein Immun- suppressivum einnimmt. Deshalb will sie wissen, inwieweit eine Impfung wirkt. Und sie hat eine weitere Frage:

[0:08:25]:

„Und außerdem soll es ja bei Impfungen bei Personen, die bereits eine Autoimmun-

erkrankung haben, häufiger dazu kommen, dass sie sich noch eine zusätzliche Autoimmun- erkrankung dazu erwerben. Gibt es Wahr- scheinlichkeiten, wie häufig das vorkommt? Denn der Worst Case wäre ja für solche Patienten, dass sich immunsupprimierte die Impfung g lassen, eine weitere Autoimmun- erkrankungen dazu bekommen und durch die Impfung noch nicht einmal gegen die Corona- Infektion geschützt wären.“

[0:08:56]:

Alexander Kekulé:

Das muss man im Einzelfall sehen. Es gibt sehr viele verschiedene Autoimmunerkrankungen, und die allermeisten sind keine Kontra- indikation für die Impfung. Außerdem kann man bei den meisten trotzdem impfen. Natürlich muss man fairerweise auch sagen, das ist ja bisher nur in Studien untersucht worden. Und aktuell wird im Markt draußen beobachtet, wie die Impfungen laufen. In den USA sind, glaube ich, inzwischen schon über 15 Millionen Menschen geimpft. Das heißt aber trotzdem nicht, dass man genau das auseinander genommen hat, wie viele Personen mit welcher speziellen Autoimmun- erkrankung welche Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungen haben. Diese Daten sammeln wir erst, sodass ich sagen würde, das muss man mit dem Arzt besprechen zu dem Zeitpunkt, wo man sich impfen lässt, ob für die konkrete Autoimmunerkrankung irgendwelche Hinweise vorhanden sind in diese Richtung. Hier ist die Behauptung so eingeflossen, dass Menschen, die eine Autoimmunerkrankung haben, durch eine Impfung – da ging es offensichtlich nicht um die Covid19 Impfungen –, dass jemand dadurch weitere Autoimmun- erkrankungen bekommt. Das ist so ein Gerücht. Das höre ich relativ oft. Das sagen natürlich die sogenannten Impfkritiker immer. Dafür gibt es aber keinen wissenschaftlichen Beleg. Das ist nicht signifikant belegt, dass es diesen Effekt gibt, dass das Spektrum der Autoimmunität durch eine klassische Impfung ausgeweitet wird.

[0:10:19]:

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Camillo Schumann:

Herr S. hat eine Mail geschrieben:

„Meine Frage bezieht sich auf den PCR-Test Drive through. Ich wohne in München und habe im Drive through einen Test-Termin ausge- macht. Organisatorisch lief alles tipptopp. Die Dame entnahm mir nur Speichel aus dem Mundraum, auch auf Nachfrage nichts aus dem Rachen oder der Nase. Ist dieser Test so durchgeführt, überhaupt valide im Ergebnis? Vielen Dank und viele Grüße.“

[0:10:47]:

Alexander Kekulé:

Wir empfehlen immer noch, die PCR mit Nasen oder Rachenabstrich zu machen. Am Anfang hieß es, es muss dieser Nasen- oder Rachenab- strich sein, wo man durch die Nase ziemlich weit reinfährt und hinten vom Rachen etwas abnimmt. Und es gibt ja auch noch den Gurgeltest. Aber beim Gurgeltest wird im Mundraum gespült. Da sammelt man natürlich aus dem ganzen Mundraum das Virus. Das ist ein Vorteil dieses Tests. Ich weiß, dass leider oft so – im Rheinland würde man sagen, die „Kölsche Wisch“ – gemacht wird, also immer so schnell, schnell, wie jemand, der keine Lust hat zu putzen. Das habe ich, ehrlich gesagt, sogar selbst am Flughafen erlebt. Da gab es auch solche Schnelltests. Und da musste ich durch oder durfte ich durch und habe das machen lassen. Ich würde sagen, es wäre gut, wenn das Personal da so ausgebildet und auch angewiesen ist, den Rachenabstrich hinzu- kriegen. Ich weiß, das ist mühsam und durch die geöffnete Fahrertür noch mehr. Andererseits ist es so, bei jemandem, der einen hohen Titer hat, also der hohe Mengen Virus gerade ausscheidet, da würde natürlich jeder Speicheltropfen, egal wie schlampig man den gewonnen hat, eine positive PCR ergeben.

[0:12:00]:

Alexander Kekulé:

Also im besten Fall ist diese Abnahme nur aus einem Mundraum – um die Frage zu beantworten – weniger aussagekräftig.

Alexander Kekulé:

Genau, wenn sie negativ ist. Wenn sie positiv ist, bleibt es dabei. Und wenn sie negativ ist, hat man einfach ein höheres Risiko, dass man das Virus nicht richtig erwischt hat. Man würde für die gesamte Prozedur von Abnahme bis zum Test hinten eine wahrscheinlich deutlich erniedrigte Sensitivität haben, also die Nach- weisempfindlichkeit ist deutlich geringer.

[0:12:31]:

Oder er sammelt viel Speichel im Mund, schluckt nicht runter und fährt noch einmal durch.

[0:12:38]:

Und dann muss das aber ein sehr saugfähiger Tupfer sein. Darum gibt es den Gurgeltest, wie die Österreicher sagen. Bei denen hat man, glaube ich, so fünf Milliliter sterile Flüssigkeit, die man da eine Weile im Mund behält und in den Becher zurückspuckt, weil diese riesigen Tupfer auf dem Markt nicht erhältlich waren, die man braucht.

[0:12:59]:

Camillo Schumann:

Dann haben wir eine Frage bekommen, da habe ich mir den Namen gar nicht notiert. Aber ich stelle sie trotzdem. Sorry an dieser Stelle.

„Unser Nachbar hat in unmittelbarer Nähe unseres Grundstücks ein Trampolin-Sportgerät aufgestellt. Zwei bis drei Kinder benutzen das Gerät gleichzeitig, schreien, kreischen und brüllen, was die Lunge hergibt. Unser Garten- weg führt direkt dort vorbei. Das Gerät über- ragt die Hecke beziehungsweise Mauer zum Nachbarn durch einzelne Sprünge. Durch Schreie, Sprünge und Turbulenzen des Sprungturms befürchten wir einen Eintrag von Aerosolen. Oft befinden wir uns bei aller Vor- sicht versehentlich in der Nähe dieses Sport- gerätes. Ist dadurch eine Ansteckung mit Corona Viren möglich? Viele Grüße.“

[0:13:46]:

Alexander Kekulé:

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Es ist extrem unwahrscheinlich. Wir sprechen ja von Tätigkeit im Freien. Dass man da, indem man an so einem Trampolin vorbeigeht, sich anstecken kann, das würde ich praktisch ausschließen. Das wäre eine extreme Aus- nahme. Man muss auch sagen, dass Kinder ja wahrscheinlich, wenn sie das Virus aus- scheiden, das eher kurzzeitig ausscheiden in der Regel.

Was ich nicht unterschreiben würde, ist, dass sich die Kinder untereinander nicht anstecken könnten. Die sind sich gegenüber, schreien sich quasi aus einem Meter Abstand oder kürzer gegenseitig an, umarmen sich vielleicht, springen gemeinsam. Sie ahnen schon, das habe ich schon beobachtet. Da würde ich mir schon überlegen, mit wem ich da zusammen in das große Trampolin reinspringe oder rein- schicke. Aber solange man nur daran vorbeigeht, ist keine Gefahr.

[0:14:32]:

Camillo Schumann:

Es wurde noch gefragt:

„Wie lange müssten wir warten, um unseren Garten nach Betätigung dieses Geräts wieder betreten zu können?“

Camillo Schumann:

Ja, also sofort wieder. [0:14:43]:

Alexander Kekulé:

Währenddessen sogar. Man kann da einfach daneben sitzen bleiben. Das ist im Freien unge- fährlich, weil diese klassischen Aerosole – das kann man nicht oft genug sagen, weil leider auch manche Verordnungsgeber zumindest im Ausland das nicht so auf dem Schirm haben – bilden sich einfach im Freien nicht. Wir haben im Freien – das hängt mit der Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck und Luftbewegung zusammen – nicht die Situation, dass sich infektiösen Aerosole in einer Wolke quasi halten, durch die jemand anders durch-gehen könnte oder die als Wolke so langsam weiter- ziehen und den anderen infizieren könnten.

Wir haben nicht diesen Klassiker, den wir bei dem Superspreading in geschlossenen Räumen haben. Und darum würde ich sagen, das ist es ist der gleiche Grund, warum wir, wenn es keinen Kontakt gibt, zwischen Fußballern auf einem Fußball-feld keine Infektionen beob- achten können. Die gibt es immer nur in einer Dusche, im Umkleideraum oder beim unmit- telbaren Kontakt im Freien, wenn sie face-to- face gegenüber sind.

[0:15:43]:

Camillo Schumann:

Das ist schon interessant. Hier ist es das Trampolin Sportgerät vom Nachbarn. Die Menschen entwickeln jetzt ein Angst, wo sie sich überall oder bei welchen Tätigkeiten sie sich anstecken können. Ich habe das auch erlebt. Ich war spazieren mit Maske, da kommt mit einer entgegen 100 m Entfernung und wechselt die Straßenseite auch mit Maske.

Alexander Kekulé:

Das sieht man ständig. Das ist auch der Grund, warum wir diesen Podcast machen. Man muss einfach sagen, wo die Lücken sind. Noch eine Lücke ist z.B.: Da kommt ein Paketbote ohne Maske durchs Treppenhaus geschnauft, legt das Paket vor die Tür, weil das zum Teil ja so Standard ist und schnauft die Treppe wieder runter, weil er unter Zeitdruck ist. Und eine Minute später geht durch das gleiche Treppen- haus mit geschlossenen Fenstern die 80- jährige Lady zum Einkaufen, hat ihre Maske nicht auf, weil sie die erst im Geschäft aufsetzt. Das sind so Lücken, die wir offen haben. Aber das Augenmerk auf die Situation im Freien ist fälschlich gesetzt worden. Das liegt daran, dass von Anfang an die Asiaten im weiteren Sinne im Freien immer diese Masken aufhatten. Das hängt aber auch sehr damit zusammen, dass die schon immer gedacht haben, dass man sich mit so Masken gegen Abgase und Ähnliches schützen kann. Und wenn man gesehen hat, wie im Sommer in Peking der Smog zum Teil ist, weiß man auch, warum. Dann haben aber die Europäer gedacht, sie müssten die Masken auf der Straße anziehen. Und ich weiß, dass einige Politiker das auch glauben. Und ich warte auch immer darauf, dass in Deutschland

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irgendwann die bundesweite Maskenpflicht auf der Straße angeordnet wird. Da gibt es absolut keine Notwendigkeit dafür. Und sobald es die gibt, sobald es irgendwo einen Ausbruch gibt, also einen Superspreading im Freien weltweit, schwöre ich Ihnen, hören Sie es in diesem Podcast.

[0:17:24]:

Camillo Schumann:

Frau N. hat gemailt:

„In unserer Familie hatten zwei Personen Corona mit normal leichtem Verlauf, der Sohn und die Freundin hatten grippeähnliche Symptome zu Hause, im eigenen Haus. Können die beiden trotzdem in Zukunft Viren auf uns übertragen, wenn sie in unser Haus zu Besuch kommen? Oder sind sie durch ihre Immunität auch keine Überträger mehr? Wie lange hält die Immunität nach überstandener Viruser- krankung? Und müssen diese Menschen überhaupt noch geimpft werden? Viele Grüße.“

[0:17:53]:

Alexander Kekulé:

Die leichteste Frage ist: Müssen sie geimpft werden? Die Antwort ist nein, weil der Impf- stoff identisch ist mit dem im Moment vorherrschend zirkulierenden Corona-Typ, mit der Variante, die bei uns da ist. Da ist die echte Infektion viel besser als eine Impfung. Weil ja nicht nur dieses kleine Stück eines Virus, also dieses Spike produziert wird, sondern dass ein veritables Virus im Einsatz war und das Immunsystem so richtig durcheinander- gebracht hat. Und da haut das Immunsystem drauf mit allem, was zur Verfügung steht, wenn so ein echtes Virus am Vermehren ist. Also diese Vermehrung in den Schleimhaut- zellen macht das Immunsystem dreimal so wild, als wenn das nur so ein Impfstoff ist.

Camillo Schumann:

Noch kurz nachgefragt: Auch nach einem halben Jahr, wenn sich die Antikörper schon wieder zurückgebildet haben?

Alexander Kekulé:

Ja, es ist ja so, dass die Antikörper wieder

zurückgehen. Das sehen wir auch. Das ist ja auch ein Nachweis-Problem, wie beweise ich, dass sich die Infektion hatte. Bei vielen ist es so, dass sie nach vier Monaten keine mess- baren IGG-Antikörper mehr haben. Die gehen zurück. Aber das ist eigentlich so ein ökonomisches Verhalten des Immunsystems, denn Antikörper heißt ja Proteine. Und die müssen ständig produziert werden, weil die sonst irgendwann kaputtgehen. Und die Zellen, die die produzieren, sind Lymphozyten, also eine bestimmte Sorte weißer Blutkörperchen, die so genannten Plasmazellen. Das sind so Nachfahren der Lymphozyten quasi. Und die produzieren die Antikörper. Und die stellen diese Produktion irgendwann ein, weil das blöd wäre, wenn das Virus weg ist. Warum soll man sich da die Mühe machen? Die sterben sogar regelrecht ab. Aber stattdessen gibt es andere Zellen, die genau die gleichen Fähigkeiten haben. Die gehen als Gedächtniszellen in so einen Schlafzustand und lauern irgendwo in den Lymphknoten oder sonst wo. Und die werden reaktiviert, wenn das Virus wieder- kommt. Aber erst, wenn das kommt. Um wissenschaftlich festzustellen, ob jemand immun ist, müsste man den so ein bisschen provozieren mit ein bisschen Virus. Das könnte man schon machen. Man könnte quasi Virusprotein – natürlich kein ganzes Virus – nehmen und diese Lymphozyten in der Zell- kultur stimulieren. Da gibt es Tests dafür. Und wenn man sieht, die explodieren quasi sofort und haben nur darauf gewartet, dass dieses Virus kommt, weiß man, aha, der war noch immun.

Die anderen Fragen sind schwieriger. Wie lange hält die Immunität an? Das wissen wir nicht genau. Aber es ist relativ klar, das – sag ich so grob als Hausnummer – wir davon aus- gehen können, dass in dieser Pandemie mit diesen Varianten, die im Moment zirkulieren, als Hauptvarianten, dass wir da schon eine Immunität haben von, ich sage, wahrscheinlich ein Jahr lang oder so. Das Problem sind nur diese Varianten, die kommen. Und da wissen wir gerade bei dieser Variante, die da an der Position 484 des Spike-Proteins ist, da wissen wir, da gibt dieses Immun-Escape-Phänomen, das ist ja ziemlich klar gezeigt worden in- zwischen. Und das heißt aber auch, dass man

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sich noch mit einer Variante anstecken kann, sowohl nach der Impfung als auch nach einer Infektion.

[0:21:05]:

Camillo Schumann:

Herr M. aus Bayern hat geschrieben:

„Warum wird im Formular in Bayern nicht die Anzahl und auch das Alter der Kinder aufge- nommen, um die Priorität zu bestimmen? Macht es aus virologischer und auch ethischer Sicht nicht Sinn, eine weitere Priorisierung innerhalb der Risikogruppen oder allgemein einzuführen? Innerhalb der Familie gibt es ja kein Entkommen, und je mehr Kinder, desto größer das Ansteckungsrisiko und die Verbreit- ung. Wie würden Sie die Prioritäten allgemein beim Impfen vergeben? Viele Grüße.“

[0:21:33]:

Alexander Kekulé:

Die Prioritäten würde ich so vergeben, wie sich das die einschlägigen Kommissionen schon seit Jahrzehnten überlegt haben. Und das ist genau das, was auch beschlossen wurde in Deutsch- land, dass man als allererste Priorität die- jenigen impft, die besonders gefährdet sind. Und was wäre ein Grund, die Kinder im Haus zu bevorzugen? Da würde man sagen, Kinder haben ein höheres Expositionsrisiko. Also die Gefahr, sich anzustecken, ist da höher. Aber da ist ja immer die Frage, wer steckt sich an. Also ein 30-jähriges Elternteil, das sich da ansteckt beim Kind, ist ja auch nicht besonders gefährdet. Und wenn die 80-jährige Oma oder der Großvater noch mit dem Haus wohnt, können die ja in die erste Priorisierung-Grup- pe. Und zwar egal, ob Kinder dabei sind oder nicht. Die müssen nicht die Kinder vorzeigen, um den Zugang zum Impfstoff zu bekommen. Darum finde ich, das System ist aus meiner Sicht schon schlüssig und richtig so. Ich sehe da daran keinen Fehler.

[0:22:36]:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 142 von

Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL.

Vielen Dank.

Wir hören uns am Dienstag, den 26. Januar, wieder. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé:

Das wünsche ich Ihnen auch, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter

0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Wer das ein oder andere Thema noch ein vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Donnerstag, 21.01.2021 #141: Virus befällt auch das Gehirn

Camillo Schumann, Redakteur, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links:

LongCovid Selbsthilfegruppe (21.01.2021)

https://www.nakos.de/data/Online- Publikationen/2021/NAKOS-Corona- Selbsthilfegruppen.pdf

Südafrikanische Studie zur Mutation – Blutplasma-Untersuchung (19.01.)

https://www.biorxiv.org/content/10.1 101/2021.01.18.427166v1

Südafrikanische Studie zur Mutation – Antikörper-Untersuchung (19.01.)

https://www.biorxiv.org/content/10.1 101/2021.01.15.426911v1

Müdigkeit, Schlafstörungen, Depression: Chinesische Studie zu LongCovid (08.01.)

https://www.thelancet.com/journals/l ancet/article/PIIS0140-6736(20)32656- 8/fulltext

Camillo Schumann:

Donnerstag, 21. Januar 2021.

Spürbar weniger Neuinfektionen. Die 7-Tage- Inzidenz auf dem niedrigsten Wert seit zweieinhalb Monaten. Fast 2.000 weniger

Patienten auf Intensivstationen. Sind wir über den Berg?

Dann: in Baden-Württemberg ist ein Mann nach einer erneuten Sars-CoV-2-Infektion gestorben. Was weiß man darüber?

Außerdem: Antikörper sind bei Virus-Variante aus Südafrika offenbar weniger wirksam. Was bedeuten diese neuen Studienergebnisse?

Zudem: Müdigkeit, Schlafstörungen, Depressionen – aktuelle Erkenntnisse zu „Long-Covid“.

Wir wollen Orientierung g. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.


Camillo Schumann:

Zu Beginn der aktuelle Blick auf die Zahlen. Die machen doch ein wenig Mut. Binnen eines Tages wurden zwar immer noch über 20.000 Neuinfektionen – Stand heute – gemeldet. Vor genau einer Woche waren es aber 25.000, also 5.000 mehr. Und diese Daten sind nach Weihnachten und Jahreswechsel nun auch belastbar, sagt das Robert-Koch-Institut. Die 7- Tage-Inzidenz wird mit 119 angegeben. Das ist der niedrigste Wert seit dem 1. November 2020. Spürbar gute Nachrichten, oder?


Alexander Kekulé:

Das würde ich auch so sehen. Der Lockdown hat seine Wirkung, und das wird jetzt in der nächsten Zeit auch so weitergehen. Das ist vorherzusehen gewesen. Man muss sich jetzt noch einmal fragen, warum jetzt der Lockdown von vornherein bis Mitte Februar noch einmal verlängert wurde, bevor man diese Entwicklung abgewartet hatte. Aber wie gesagt, das ist wahrscheinlich eine eher politische und psychologische Entscheidung gewesen.


Camillo Schumann:

Und setzt sich dieser Trend fort, dürfte der Plan der Politik, bis Mitte Februar bei einer 50er-Inzidenz zu landen, aufgehen. Oder grätscht uns da die Mutation dazwischen?


Alexander Kekulé:

Wenn wir uns an die Regeln halten, die sowieso notwendig sind, die Lücken schließt und das macht, was sowieso notwendig ist, auch mit der vorherigen Variante. Da grätscht uns die Mutation nicht dazwischen, auch keine weitere, sondern das ist das gleiche Virus. Das ist die gleiche Pandemie, das ist eine kleine Veränderung, ja, das ist unangenehm. Man wird jetzt nicht sofort in dem Moment, wo die aufgetaucht ist, von der Bremse gehen, sondern sich das erst mal anschauen. Aber viel gefährlicher als die neuen Varianten sind die Lücken, die wir sowieso schon hatten in Deutschland.


Camillo Schumann:

Kleine Veränderungen, sagen Sie. Die Kanzlerin hat heute bei der Bundespressekonferenz das Bild ein wenig düsterer gezeichnet. Wir hören mal kurz rein:

„Auf der anderen Seite haben wir es nämlich mit erschreckend hohen Todeszahlen zu tun. Das ist furchtbar, allein heute sind es wieder über tausend Menschen. Und auch darüber hinaus haben wir gegenwärtig damit zu kämpfen, dass all unsere Bemühungen gegen das Virus eine Gefahr trotzdem nicht außer Acht lassen können. Unseren Bemühungen droht eine Gefahr, und wir sehen diese Gefahr heute etwas klarer als zu Jahresbeginn. Und das ist die Mutation des Virus, wie sie vor allem in Großbritannien und Irland, aber auch in den Niederlanden, in Dänemark und anderen Ländern nachgewiesen ist. Auch bei uns ist dieses mutierte Virus, wie gesagt, schon nachgewiesen. Aber es ist nicht dominant, jedenfalls bis jetzt nicht. Und trotzdem müssen wir die von dieser Mutation ausgehende Gefahr sehr ernst nehmen. Das kann ich jedenfalls uns allen nur raten.“


Camillo Schumann:

Sie sagen: kleine Gefahr. Die Kanzlerin, die sieht das noch wesentlich schärfer. Wie können Sie die Differenz erklären?


Alexander Kekulé:

Ich habe ja nicht „kleine Gefahr“ gesagt, sondern „kleine Veränderung“. Wie gefährlich das ist, muss man sehen. Aber ich warne davor, alarmistisch zu sein. Wir haben eine höhere Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus‘, bei dieser Variante aus Großbritannien B1.1.7. Aber insgesamt gesehen ist es so: Wir haben nicht nur diese eine Variante, sondern da zirkulären viele. Das sind auch keine Informationen, die wir jetzt so im engeren Sinne erst seit Januar völlig überraschend haben, sondern das war völlig klar. Von Anfang an ist ja auch von einigen Virologen schon vorher vorhergesagt worden, dass das Virus sich anpasst in der Weise, dass es ansteckender wird. Ob diese Variante ansteckender ist, ist aber eine Vermutung. Dafür gibt es deutliche Hinweise. Aber wie wir am Dienstag ausführlich besprochen haben, ist es so, dass die schnellere Verbreitung in England und damit einer wahrscheinlich höheren Infektiösität, also eine leichtere Bindung an den Rezeptor, könnte auch dazu beigetragen haben, das mehr asymptomatische Verläufe, insbesondere bei Kindern sind und/oder dass die Erkrankung über längere Zeit hinweg möglicherweise ansteckend ist bei den Patienten. Es gibt, will ich damit sagen, oft mehrere Faktoren, die dazu führen, dass man in der Epidemiologie im Ergebnis sieht, dass es sich schneller verbreitet. Und einer dieser Faktoren ist möglicherweise eine etwas geringere Infektionsdosis, die man braucht, um jemanden anzustecken. Das heißt aber nicht, dass man z.B. deshalb unbedingt auf FFP-2 umsteigen müsste oder deshalb 2,50 m Abstand statt 2 m machen sollte, sondern der Abstand, der vorher gut war, war richtig. Viel gefährlicher als die Varianten sind die Lücken, die wir jetzt immer noch in der Verteidigung haben. Und damit meine ich ausdrücklich nicht die Bundeskanzlerin. Aber im Ausland gibt es Politiker, die jetzt ständig auf diese Varianten zeigen und damit offensichtlich die Diskussion ablenken wollen von den Dingen, die noch offen sind auf der To-do-Liste. In Deutschland stehen 

  1. die Altenheime, 
  2. das berufliche Umfeld, 
  3. Infektionen zu Hause und 
  4. die zunehmende Non-Compliance, also dass die Leute nicht mehr mitmachen wollen bei den Corona- Maßnahmen. 

Das sind unsere vier Probleme. Und auf die sollten wir uns stark konzentrieren, wissend, dass ein sich schneller verbreiten des Virus diese Aufgabe noch dringender macht. So kann man das schon formulieren. Aber ich habe immer so ein bisschen Angst davor, wenn da so Panik verbreitet wird.


Camillo Schumann:

Haben Sie den Eindruck?


Alexander Kekulé:

Es gibt so einen Satz, den ich überhaupt nicht ausstehen kann es: Wenn Leute sagen: kein Grund zur Panik. Das ist so ein dummer Satz, weil Panik definitionsgemäß unbegründete Angst ist. Jetzt ist mir das kürzlich in einem Radiointerview genauso rausgerutscht und ich bin auch munter zitiert worden. Ich habe hinterher überlegt, warum mir das passiert. Das war so ein kurzes Interview, sodass ich es auch nicht mehr einfangen konnte. Der Grund ist der, weil ich den Eindruck habe, dass andere jetzt Panik haben. Deshalb sage ich: kein Grund zur Panik. Kein Grund zu dieser Panik, die ich da beobachte: Wenn man so sagt, das ist eine Pandemie in der Pandemie. Ich erinnere noch mal daran: Die G-Variante in Norditalien war im Grunde genommen genau das Gleiche, was wir jetzt beobachten. Das war eine Variante, die sich schneller ausbreitet. Damals gab es wenige Leute – zu denen habe ich gehört, die gesagt haben, wir müssen was tun, weil das noch am Anfang ist. Und wir müssen jetzt versuchen, das so lange wie möglich unter Kontrolle zu halten. Sie erinnern sich, dass die große Mehrheit – auch der Fachleute – gesagt hat, nein, das ist nicht nötig. Mit dem bekannten Ergebnis, dass sich die G-Variante weltweit verbreitet hat.

Jetzt wird sich möglicherweise B1.1.7 weltweit verbreiten, vielleicht aber auch etwas anderes. Wir werden die nächsten Monate mit vielen neuen Varianten konfrontiert werden. Und da empfehle ich doch nicht jedes Mal, den

Blutdruck steigen zu lassen, sondern zu fragen: Habe ich meine Hausaufgaben gemacht, wo sind in meine Lücken? Und wenn das Haus dicht ist, ist das Haus dicht. Egal, welche Variante da an der Tür anklopft.


Camillo Schumann:

Wir haben die Verlängerung des harten Lockdowns bis Mitte Februar mit teilweise verschärften Maßnahmen und jetzt die Angst vor den Mutationen. Ist denn Mitte Februar klar, wie die Lage der Mutationen in Deutschland sein wird?


Alexander Kekulé:

Sie können aber gemeine Fragen stellen, Herr Schumann. Das ist genau der Punkt. Die Frage ist doch immer bei so etwas: Was ist mein Exit- Szenario? Das weiß jeder General spätestens seit dem Desaster in Afghanistan, wo sich erst Russland oder die Sowjetunion und dann die USA verbrannt haben, weil sie kein Exit- Szenario hatten, (das) weiß man, wenn ich in eine Schlacht gehen oder wenn ich etwas Dramatisches anordnen will –, das gilt genauso für Epidemiologie –, muss ich wissen, wo will ich hin, wie mache ich weiter? Gut, die Bundesregierung sagt, wir wollen auf Inzidenz 50. Da sage ich, ja, das kann schon sein, dass der deutsche Mittelwert in diesem Bereich sinkt für einen Moment. Aber was machen Sie, wenn Sie von der Bremse runtergehen? Die Situation haben wir ja in England und in Irland, übrigens auch in Portugal und in Tschechien – dann gehen die Fallzahlen wieder dramatisch hoch. Dann haben Sie das Gleiche wie vorher. Das ist jetzt die Variante. Aber das ist egal. Es war das Runtergehen von der Bremse. Das heißt, wir brauchen ein kontinuierliches Konzept, mit dem wir, wenn wir irgendwo zwischen 50- und 100-Inzidenz gelandet sind, weitermachen, bis wir alle immun sind. Halbwegs immun mit Blick auf die Varianten, die diese Immunität auch durchbrechen können. Und dieses Konzept kann auch ein anderes sein. Aber wir brauchen so ein Konzept, sonst sind wir immer am Gas geben und bremsen. Und das wird nicht funktionieren.


Camillo Schumann:

Noch mal ein paar Zahlen: Besonders deutlich wirkt sich der harte Lockdown in den Krankenhäusern aus. Laut Divi-Intensivregister werden stand heute 4.782 Menschen intensivmedizinisch versorgt. Zum Vergleich Ende vergangenen Jahres waren es 6.648, also grob 2.000 Patienten mehr. Bis auf Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und das Saarland gehen die Intensivpatienten deutlich zurück, fast 2.000 Patienten weniger innerhalb von 20 Tagen. Das ist doch schon mal eine Aussage und ein Hinweis darauf, dass die Mutation bisher nicht dafür gesorgt hat, dass die Krankenhäuser voll werden, oder doch?


Alexander Kekulé:

Das hat ja auch niemand behauptet. Ich glaube, das steht überhaupt nicht im Raum, dass diese Mutationen irgendwie gefährlicher werden, sondern sie haben eine schnellere Ausbreitung und sind zugleich ungefährlicher. Das wäre sozusagen das Standardprogramm für so ein Virus. Und man könnte sogar sagen, vielleicht passiert es gerade, denn wir haben in England ja gesehen, dass diese Variante B1.1.7 auftritt, sie besonders häufig asymptomatisch verläuft. Und die asymptomatischen sind ja die ungefährlichste oder symptomärmste Variante, die man sich vorstellen kann. Und falls sich das statistisch bewahrheiten sollte, das sind erst einmal so anekdotische Beobachtungen, da muss man eine gute Statistik machen, um zu sehen, ob das signifikant ist – die haben wir noch nicht – aber falls sich das bewahrheitet, könnte es sein, dass vielleicht mehr jüngere Leute betroffen sind oder das aus irgendwelchen Gründen nicht so viele schwerkrank werden. Zugleich ist aber eine schnellere Verbreitung quasi lehrbuchhaft. Und wenn jetzt die Sterblichkeit im Krankenhaus oder auch die Belegung der Intensivstationen nicht so hoch ist – vielleicht hängt es damit zusammen, dass diese Variante überhaupt jetzt schon eine Rolle spielt, das wissen wir ja gar nicht. Ich glaube, ehrlich gesagt auch, wie die Kanzlerin das auch sagt: Die ist wohl nicht dominant in Deutschland, obwohl wir nur schlechte und kleine Stichproben bis jetzt haben. Wenn man auf die Intensivstation schaut – ich habe das auch genau in dem Zitat gerade gehört, dass man sagt, ja, wir haben immer noch so viele Patienten in den Intensivstationen – dieser Effekt schleppt sich ja – über den Daumen gepeilt – nach den Infektionen drei bis vier Wochen hinterher. Die Intensivbelegungen sind deutlich nachgelagert. Und deshalb ist das, was wir auf den Intensivstationen jetzt sehen, das Ergebnis unserer Bemühungen von vor drei bis vier Wochen.


Camillo Schumann:

Und das wäre der Jahreswechsel, also Ende letzten Jahres.


Alexander Kekulé:

Man kann vielleicht sogar sagen, wenn man jetzt auf der Suche nach Bildern ist, kann man sagen, zumindest bezüglich der Belegung der Intensivstationen und der Sterblichkeit, da hat Weihnachten keine dramatische Verschlechterung gebracht. Das würde ich jetzt schon mal wagen zu sagen. Das heißt also – anders als Thanksgiving in USA – ist es uns gelungen, auch durch die ziemlich restriktiven Maßnahmen, einen Anstieg zu verhindern. Ich glaube, die Menschen waren vernünftig an den Feiertagen. Was der Einzelne macht, was das Individuum macht, ist das Entscheidende.


Camillo Schumann:

Bei aller vorsichtigen Freude über diesen positiven Trend bei den Zahlen müssen wir über eine Meldung sprechen, die doch für einiges Aufsehen sorgte. In Baden- Württemberg nämlich ist zum ersten Mal ein Mann nach einer erneuten Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Das hat das Landesgesundheitsamt Stuttgart auf Anfrage von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung bestätigt. Es handelt sich um einen 73 Jahre alten Mann. Er hatte Herz-Kreislauf- Erkrankungen. Der Mann hatte sich im April vergangenen Jahres erstmals mit Sars-CoV-2 infiziert, im Dezember erneut und am 11. Januar starb er an einer Lungenentzündung und Sepsis mit Multiorganversagen. Wie bewerten Sie diesen Fall?


Alexander Kekulé:

Das ist schwer zu sagen, ohne die Patientenakte jetzt im Detail zu kennen, weil Lungenentzündung und Sepsis synonym für eine bakterielle Infektion sind. Das heißt, er hat offensichtlich auf die virale Infektion obendrauf noch eine bakterielle Superinfektion bekommen, wie wir sagen. Und ob die das war, die tödlich war, oder nicht, das kann man aus der Beschreibung nicht ableiten.


Grundsätzlich ist es so – da haben wir ja schon öfters drüber gesprochen – es gibt definitiv Neuinfektionen. Menschen, die sich in der ersten Welle angesteckt haben, können sich jetzt noch mal anstecken. Wir haben für Europa noch nicht gezeigt, ob das eine andere Variante ist, die da zuständig ist. Es wäre aber, sag ich mal plausibel, dass es häufiger durch eine neue Variante ausgelöst wird. Und es wäre plausibel, dass das in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle weniger schwere Infektionen sind beim zweiten Mal. Das muss man klar sagen, auch wenn einzelne Menschen sterben. In diesem Fall war das ja ein älterer Herr mit schweren Vorerkrankungen. Und es war eine bakterielle Infektion, die eine Rolle gespielt hat. Und deshalb kann es gut sein, dass das Fass schon voll war und ein weiterer Tropfen es zum Überlaufen gebracht hat. Das wäre wahrscheinlich auch durch eine Influenza-Infektion, also durch die Grippe, passiert, sodass es jetzt kein typisches Covid- 19-Problem ist in dieser Situation. Aber ja, man kann Covid-19 zweimal bekommen, das wissen die Hörer dieses Podcasts schon seit einer Weile. Das ist inzwischen eindeutig. Vor allem in der zweiten Welle kann man es noch einmal kriegen, wenn man es in der ersten Welle gekriegt hat. Und ich hoffe sehr, dass diese Infektionen deutlich schwächer, weniger gefährlich verlaufen als beim ersten Mal.


Camillo Schumann:

Bisher gibt es nur drei bis vier weltweit nachgewiesene Fälle einer Re-Infektion. Das ist, wenn ich Ihnen so zuhöre, absolut unrealistisch, es wird deutlich verbreiteter sein.


Alexander Kekulé:

Ja, das sind 3 - 4 Fälle, eine Handvoll, wo das wissenschaftlich akribisch bewiesen wurde. Die waren ja auch schon im Sommer da. Und Hinweise gab es ja in Südkorea schon auf wesentlich mehr Fälle, wo das nicht so sauber akribisch nachgewiesen wurde. Die Gesundheitsämter verfolgen das und die da arbeiten, die wissen, dass es Menschen gibt, die ziemlich eindeutig im Frühjahr Covid-19 hatten und jetzt wieder positiv getestet werden. Ich gehe davon aus, dass dieses Phänomen existiert. Das passt ja auch in das Bild der Coronaviren. Wir wissen, dass sich die Coronaviren typischerweise so nach ein bis zwei Jahren – in diesem Fall schon schneller, weil es eine massive weltweite Pandemie ist –, so verändern, dass sie dem Immunsystem von jemandem, der dass schon mal durchgemacht hat, entkommen können. Und diese anderen Coronaviren, die das machen, machen das so, dass man eine schwächere Krankheit kriegt. Das sind ja bekanntlich nur Erkältungen. Und meine Prognose für die mittlere Zukunft ist, dass wir mit diesem Virus und seinen Varianten auch in dieser Weise leben müssen, dass das wie eine schwere Grippe gelegentlich mal Todesfälle verursacht. Aber bei vielen Menschen, die entweder geimpft sind oder es schon mal hatten, in der Regel höchstens mittelschwere Verläufe bringt.


Camillo Schumann:

Kommen wir noch mal kurz auf diesen Fall zurück. Ob sich der Mann jetzt beim zweiten Mal mit dem gleichen Virus oder einer motivierten Form infiziert habe, könne man nicht sagen, weil man die Probe der Erstinfektion vom April nicht mehr habe, also auch nicht analysieren könne, so zumindest das Landesgesundheitsamt. Und nach Ansicht dieses Gesundheitsamtes gibt es aber keine epidemiologischen Hinweise, dass der Verstorbene mit dieser Mutation in Berührung kam. Deshalb wurde vom örtlichen Gesundheitsamt auch keine genaue Virus- Analyse, eine sogenannte Genomsequenzierung, in Auftrag gegeben. Nur bei den Fällen, bei denen eine Reiseverbindung nach Großbritannien, Südafrika oder Irland besteht, würden wir dem Gesundheitsamt Bescheid geben, eine Sequenzierung zu veranlassen. Eine Genomsequenzierung erst bei einer Reiseverbindung? Ist das nicht gerade die Info, die man braucht, ob die Mutation jetzt schon unter uns ist und bei dem Herrn zugeschlagen hat?

5

Alexander Kekulé:

Als wir Ende September oder Anfang Oktober darüber gesprochen haben, mag es vielleicht neu gewesen sein für den einen oder anderen, der auch im Gesundheitsdienst arbeitet. Aber nachdem sogar der Bundesgesundheitsminister jetzt im Januar quasi die Parole ausgegeben hat, wir müssen feststellen, welche Genome im Umlauf sind, welche Varianten das sind, weil das nicht geht, dass wir dermaßen hinter Großbritannien und Dänemark und anderen Ländern hinterherhinken, in dieser Phase kann man nicht mehr sagen, ich habe es ja nicht gewusst. Es ist vollkommen klar, dass wir einen Fehler machen, wenn wir sagen, nur die, die aus Großbritannien kommen und eine Reiseanamnese haben, vielleicht auch nur die Grafschaften, wo das B1.1.7 besonders intensiv unterwegs ist, im Südosten der Insel, dass das ein Riesenfehler ist, den wir wiederholen würden. Noch einmal zur Erinnerung: Es war so, dass das Robert-Koch- Institut beim Ausbruch der sogenannten G- Variante in Norditalien genau den gleichen Fehler gemacht hat. Da haben Sie gesagt, jetzt ist erst mal nur Codogno betroffen, diese eine Ortschaft und ein paar Dörfer außenherum. Die haben die sogenannten Risikogebiete erweitert und waren allen Ernstes der Meinung, ein Virus, das in Norditalien weit verbreitet ist, würde in Tirol oder in anderen Teilen Österreichs nicht auftauchen. Und das ist ja schon damals völlig realitätsfern gewesen. Und es gilt jetzt auch. Wir müssen damit rechnen, dass dieses Virus in Deutschland ist. Und deshalb muss jeder, der eine Zweitinfektion hat – dazu kann ich nur aufrufen an dieser Stelle – und sei es auch nur ein Verdacht, weil die erste vielleicht nicht sauber bestätigt wurde – jetzt sequenziert werden. Man kann das neuerdings für 220 Euro selber machen im Labor. Oder man kann es für 20 Euro Portogebühren einschicken ans Referenzlabor. Aber zu sagen, nö, wir machen das nicht, weil der gesagt hat, er war nicht in England, das ist zu diesem Zeitpunkt nicht adäquat.


Camillo Schumann:

Um mal das Robert-Koch-Institut ein wenig in Schutz zu nehmen: Das Gesundheitsamt

könnte ja selber auf die Idee kommen, das proaktiv mal zu machen, weil ja aufgefordert wurde, grundsätzlich fünf Prozent aller positiv Getesteten auch zu sequenzieren.


Alexander Kekulé:

Das war aber jetzt gerade nicht gegen das Robert-Koch-Institut gerichtet. Damals bei der G-Variante in Norditalien haben sie es verbasselt. Das kann man nicht anders sagen. Jetzt ruft das RKI ja klar dazu auf, diese Sequenzierungen zu machen. Und die Frage ist, warum das Gesundheitsamt, was da zuständig ist, so schematisch denkt. Ich weiß nicht, ob es irgendeine Vorlage dazu gibt. Keine Ahnung. Aber wie gesagt, das Virus ist wahrscheinlich im Land. Möglicherweise macht es auch schon einen erheblichen Teil unserer Fälle aus. Vielleicht hat es auch schon vor Weihnachten einen gewissen Effekt gemacht. Deshalb ist es notwendig zu sequenzieren, wenn man eine Infektion hat.


Camillo Schumann:

Bleiben wir bei der Mutation. In Ausgabe 137 haben wir über die britische, südafrikanische und auch die brasilianische Variante gesprochen. Nun gibt es detailliertere Informationen zur Variante, die in Südafrika unterwegs ist. Da hatten sie ja schon Informationen, die Sie im Podcast auch genannt haben. Nun wurden die Daten veröffentlicht. Mal wieder ein Preprint, muss man dazusagen. Demnach sind Antikörper gegen diese Virus-Variante aus Südafrika weniger wirksam. Und dadurch könnte auch der Impfstoff weniger wirksam seien. Sie haben die Studie gelesen. Gibt es neue Erkenntnisse, die Sie daraus ziehen?


Alexander Kekulé:

Ja, das sind zwei Studien. 

Camillo Schumann:

Das ist also ein Hinweis. Man kann jetzt nicht daraus schlussfolgern, die Impfstoffe wirken nicht mehr so wie in den Studien nachgewiesen wurde.


Alexander Kekulé:

Genauso ist es. Vor allem ist es ja so: Pfizer hat genau dieses gleiche Experiment Anfang Januar veröffentlicht. Das waren ähnliche Daten. Und die kam zu dem Schluss, dass es eigentlich eine vergleichbare Schutzwirkung hat. Das ist auch groß durch die Presse gegangen. Ich würde jetzt mal sagen, es ist ein bisschen pari pari. 

Ich glaube nicht, dass sie bei so einer Sache, wo sie dermaßen unter Beobachtung stehen, schummeln würden. Außerdem: AstraZeneca hat schon mal versucht, irgendetwas geradezubiegen in der Kommunikation und ist damit richtig auf die Nase gefallen. Das heißt, ich glaube, die sind da schon offen. Das würde ich schon dringend annehmen. Aber es ist so, dass es nicht so leicht festzustellen ist, wenn Sie nur so eine Stichprobe von den Antikörpern haben, wie das im echten Leben wirkt, weil sie da mehr Faktoren haben, die zusammenwirken. 


Wir haben auch – das kann ich vielleicht für die, die jetzt am Detail Spaß haben noch sagen – verschiedene Arten von Klassen, von Epitopen, wie wir sagen, also vom Bindungsstellen für Antikörper auf diesem S-Protein drauf. Dieser Spike hat verschiedene typische Bindungsstellen, wo die Antikörper besonders gerne hingehen. Und da gibt es, je nachdem, ob das schon angedockt hat oder nicht angedockt hat, (...) diese Stelle, die da bindet, an das Ziel, (die klappt) so raus. Ich hab das schon mal mit so einer Art Schirm verglichen. Und bei diesem Schnappmechanismus gibt es ein Vorher und ein Nachher. Das eine heißt Up- und das andere heißt Down-Konfiguration, und die Antikörper binden da unterschiedlich. 


An diesem kleinen Beispiel – das ist nur eins von vielen –, merkt man schon, das ist sehr komplex. Und wenn man da mal 17 Antikörper rauszieht und guckt, wie gut sind die gegen das Original und gegen die Variante, ist das ein Hinweis, aber kein Beweis, dass es zu einem echten im Immun-Escape kommt.


Camillo Schumann:

Das war jetzt etwas für Feinschmecker, vielen Dank. Und auch vielleicht noch einmal als Zusammenfassung: Man darf sich nicht von jeder Studie verrückt machen lassen.


Alexander Kekulé:

Das ist ein guter Satz, das sehe ich genauso. Man darf sich auch nicht von jeder neuen Variante verrückt machen lassen, denn weltweit ist es ja nicht nur Herr Spahn, der sagt, wir müssen das jetzt mal machen, sondern viele in der Welt fangen jetzt an, diese Sequenzierungen zu machen. Und ich muss davor warnen, jetzt alle drei Tage wieder fette Schlagzeilen zu produzieren, dass da wieder eine neue Variante kommt. Wie gesagt, den größten Fehler haben wir schon gemacht mit der G-Variante aus Italien. Und seitdem ist das Virus weltweit verbreitet, erfolgreich. Und ob sich da jetzt noch ein bisschen die Farbe ändert oder noch ein bisschen schneller ausbreitet, ist das nicht so schlimm. Solange es nicht gefährlicher wird – und dafür gibt es nicht nur keine Hinweise darauf, sondern sogar die Hoffnung, dass es sich eher abschwächt von der Gefährlichkeit her. Solange es nicht gefährlicher wird, ist es für mich kein Grund, irgendwie die Maßnahmen zu ändern.


Camillo Schumann:

Heute wird es ja noch eine Telefonkonferenz der EU-Staats und Regierungschefs geben. Und die Kanzlerin hat heute auf der Bundespressekonferenz gesagt, dass man sich europaweit auf diese 5 % Sequenzierungsquote einigen möchte. Das wäre aber trotzdem erst mal ein guter Schritt, um überhaupt erst mal zu wissen, wie diese einzelnen Mutationen in Deutschland unterwegs sind, oder nicht?


Alexander Kekulé:

Sie müssen ja beobachten, was los ist. Das ist wie bei einer Schlacht. Da brauchen Sie erst mal am Anfang einen Lagebericht. Das ist ja eines unserer großen Probleme in Deutschland, dass z.B. die Fragen: 


Das sind ja alles nur Fragezeichen. Und wenn man jetzt wenigstens bei dieser molekularen Surveillance ein bisschen mehr Klarheit hätte, wäre zumindest ein Stein in diesem Puzzlespiel sichtbar – oder in diesem Memory-Spiel-Bild: man könnte eine Karte so umgedreht, dass man sieht, was drauf ist. Da die anderen Dinge offensichtlich nicht beizubringen sind – das ist in Deutschland eigentlich überraschend, dass man diese Daten nach einem Jahr immer noch nicht hinkriegt – ist es gut, dass man wenigstens diese epidemiologische Surveillance hinbekommt. 


Aber ich will nun noch mal sagen, das kommt zu spät, um die Entscheidungen zu treffen, die die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten sich jetzt für Mitte Februar vorgenommen haben.


Camillo Schumann:

Wir haben über die Re-Infektion gesprochen, über Mutationen gerade. Da ist man schnell bei Langzeitfolgen der Viruserkrankung. Darüber wollen wir jetzt mal ein bisschen vertiefender sprechen. Es gründen sich in Deutschland immer mehr Selbsthilfegruppen für Menschen mit Corona- Langzeitfolgen, u.a. auch in Leipzig und Umgebung: www.selbsthilfe-leipzig.de, wer sich da melden möchte. Deutschlandweit gibt es auch im Internetportal, Nakos heißt das. Mittlerweile gibt es sehr viele Studien und Erlebnisberichte. Was schätzen Sie, Herr Kekulé, wie viel Prozent aller an Covid-19- Erkrankten müssen damit rechnen, dass sie diese Krankheit jetzt länger beeinträchtigen wird?


Alexander Kekulé:

Und das ist schwierig. Wir haben da – wie immer bei solchen Sachen – so einen Untersuchungsbias, so nennt man das also, wenn man anfängt, etwas zu untersuchen und die Menschen darauf aufmerksam gemacht sind. Und ich glaube, es gibt auf der Welt niemanden, der nicht auf die Covid-Pandemie aufmerksam gemacht wurde, dann finden die damit scheinbar zusammenhängende Symptome schneller.


Camillo Schumann:

Um „Bias“ noch mal zu erklären: Man macht die Krankheit durch und hört ein bisschen intensiver in sich rein und vermutet, dass das eine oder andere damit in Zusammenhang zu bringen ist.


Alexander Kekulé:

Genau, Bias ist quasi eine Verfälschung der Daten durch meistens subjektive Faktoren. Das gilt aber nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Untersucher. Die können jetzt schöne Doktorarbeiten zu diesem Thema schreiben. Und wenn man etwas findet, kann man so was publizieren? Wenn man nichts findet, wird es meistens keiner schreiben. Und deshalb wird da intensiv gesucht nach den Langzeitfolgen. Aber deshalb war ich auch selber immer so ein bisschen skeptisch. Da wurde ja schon im Mai gesagt, es gibt diese Long-Covid-Leute. Inzwischen sieht es so aus, als wäre das ein hartes Phänomen. Es wurde bestimmt bis vor zwei Monaten noch diskutiert, ob das Bias ist durch die Art der Untersuchung quasi ein Scheinphänomen ist. Oder auch subjektiv, dass Menschen, die sehr viele Einschränkungen haben – zum Teil waren

sie auf den Intensivstationen und Ähnliches. Aber inzwischen ist relativ klar, dass es ein Long-Covid-Krankheitsbild im engeren Sinne gibt. Wie viel Prozent jetzt dieses Krankheitsbild im engeren Sinne hat, kann ich jetzt nicht direkt sagen. Aber ich würde mal schätzen: 25 % ungefähr von denen, die überhaupt die Krankheit durchgemacht haben, sind jetzt unmittelbar danach nicht vollkommen gesund. Anders als bei einer Erkältung oder bei einer leichten Grippe.


Camillo Schumann:

Und Long-Covid heißt eigentlich: über den Zeitraum danach. Was schätzen Sie: vier, sechs, acht, zwölf, 16 Wochen danach?


Alexander Kekulé:

Das Problem ist, dass wir die Beobachtungszeit gerade bis zu einem knappen Jahr haben im Moment. Aber es ist so, dass die ersten Studien jetzt vorliegen. Die sind sauber gemacht worden. Nach 6 Monaten ist es eindeutig, wenn man solche Symptome hat – darüber müssen wir vielleicht gleich im Detail reden. Die meisten Studien enden damit, dass sie sagen, wir werden das jetzt weiter fortsetzen. Die sagen immer, okay, das war der erste Zwischenbericht, Fortsetzung folgt nach 9 Monaten, nach 12 Monaten usw.


Camillo Schumann:

Es gibt eine aktuelle chinesische Studie vom 8. Januar im Lancet erschienen, da wurde genau dieser Zeitraum 6 Monate betrachtet. 1.733 Covid-Patienten wurden untersucht. Das war eine ambidirektionale Kohortenstudie. Das bedeutet erst einmal was?


Alexander Kekulé:

Also „ambidirektional“ und „Kohortenstudie“, okay. Wenn man so eine epidemiologische Studie macht, gibt es ja Beobachtungsstudien oder Interventionsstudien. Und die Interventionsstudien sind das, was man auch „experimentnah“ nennen würde. Wenn man den Impfstoff testet (macht), macht man eine Intervention. Das andere ist die Beobachtungsstudie. Da schaut man eigentlich nur, was passiert ohne aktiv einzugreifen. Und das kann man entweder mit dem sogenannten Querschnitt machen, das heißt, 


Die chinesische Studie wurde ja mit Patienten in Wuhan gemacht, die also am Anfang, im Zeitraum Januar bis Mai 2020 in Wuhan aus dem Krankenhaus entlassen worden sind. Und dann kann man die weiter beobachten. 


Wenn man das an der Uni lernt, gibt es eine berühmte Studie. Das war diese gruselige Aktion: das Agent Orange, dieses Entlaubungsmittel, ist ja da im Vietnamkrieg ausgebracht worden von den Soldaten. Und das hat bekanntlich bei den neugeborenen Kindern Schäden verursacht. Aber war auch klar, dass die Soldaten Ausschlag kriegen auf der Haut und so. Und da hat man retrospektiv geguckt, wie viel Prozent der Soldaten hat einen Hautausschlag und prospektiv, wie viele

kriegen später Krebs? Das ist der Klassiker von so einer bidirektionalen Studie.


Camillo Schumann:

Ich hab ja schon gesagt: 1.733 Covid-Patienten wurden in dieser Kohortenstudie über diesen langen Zeitraum untersucht. Das Ergebnis fasse ich mal kurz zusammen: Müdigkeit, Muskelschwäche, Schlafstörung, auch Depression. Wie hat sich das verteilt? Also wie signifikant war das?


Alexander Kekulé:

Das ist ein dem Fall eindeutig. Die Hinweise gab es ja schon immer, wie Sie richtig auch gesagt haben. Es gibt ja schon riesige Selbsthilfegruppen im Internet. Hier ist es klar gezeigt worden: 


Camillo Schumann:

Müdigkeit und Muskelschwäche sind sozusagen neurologische Komplikationen. Und man hört ja immer wieder, dass Sars-CoV-2 in das zentrale Nervensystem im Gehirn quasi eingreift. Wie genau macht das Virus das?


Alexander Kekulé:

Das wissen das nicht genau. Aber es verdichten sich inzwischen die Hinweise, dass das Virus neurotrop ist, das heißt, dass es direkt die Nerven selber befällt. Das war ja immer so eine Diskussion: 


Und dann muss man überlegen, was ist das für ein Syndrom? Das ist wichtig. Und man muss sagen, wir haben in Deutschland ja auch viele Covid-Kranke. Das ist nicht assoziiert mit den schweren Krankheitsverläufen. Bei schweren Krankheitsverläufen kommt es häufiger vor. Je schwerer die Krankheit, desto häufiger sind solche Long-Covid-Erscheinungen. Aber es ist so, dass das auch bei Leuten, die zu Hause gewesen sind und einen relativ milden Verlauf hatten, die Krankheit nicht mehr aufhören will. 


Die haben so eine Müdigkeit, die selbst durch Ausruhen nicht weggeht. Die können sich zwei Stunden aufs Sofa legen und sind immer noch nicht fit hinterher. Es gibt Schlafstörungen. Manche bleiben auch immer im Bett. Und es sieht so aus, als werde das möglicherweise beim Teil der Patienten sozusagen das neurologische Korrelat ist.


Camillo Schumann:

Ist das vergleichbar mit anderen Viruserkrankungen?


Alexander Kekulé:

Ja, bei anderen Virusinfektionen gibt es verschiedene Situationen. 


Camillo Schumann:

Ich habe so das Gefühl, dass dieses Virus das Allerschlechteste in sich vereint und den Menschen umhaut.


Alexander Kekulé:

Das sehe ich gar nicht mal so. Es ist es ein neues Virus. Es hätte viel schlimmer kommen können. Also die Pandemien, die wir früher (gesehen) haben, die waren viel fürchterlicher. Das ist jetzt eigentlich für das, was theoretisch noch als nächstes irgendwo aus einer Fledermaus oder einem anderen Wildtier kommen könnte, eher eine Art Generalprobe. 


Camillo Schumann:

Von mir an dieser Stelle der Hinweis: Herr Kekulé wollte gerade lustig sein. Nicht, dass ich E-Mails beantworten muss.


Alexander Kekulé:

Wegen dem „nicht so gut, intelligent zu sein“? Das diskutieren wir nochmal separat. Ich wollte eigentlich nicht lustig sein. Nein, es ist manchmal für Kinder, wenn sie mal an Kinder denken, in bestimmten Entwicklungsstadien diese superintelligenten Kinder mit einem IQ 140-plus, die haben es zum Teil nicht leicht.


Camillo Schumann:

Wir vergaloppieren uns und kommen zu den Hörerfragen. Dieser Herr hat angerufen und folgende Frage:

„Durch eine Impfung werden ja Fragmente des Virus im Körper produziert. Meine Frage ist:

Sind diese ausreichend, um bei einer PCR oder einem Antigen-Schnelltest für ein positives Resultat zu sorgen? Viele Grüße.“

Kurze Frage, kurze Antwort!


Alexander Kekulé:

Bei einem Antigentest wird kein falsch- positives Resultat erzeugt. Was sein kann, ist, dass beim Antikörpertest, also wenn man später Blut abnimmt, man nicht sauber unterscheiden kann, ist das jetzt ein Geimpfter oder jemand, der die Krankheit durchgemacht hat? Da könnte es schwieriger werden. Aber der Antigen-Tests schlägt nicht an.


Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 141. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns am Samstag wieder, zu einem Hörerfragen SPEZIAL.

Bis dahin.


Alexander Kekulé:

Gerne, bis dahin, Herr Schumann.


Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter 0800 300 22 00. Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Dienstag, 19.01.2021 #140: Zero Covid ist illusorisch

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links zur Sendung:

Oxford-Studie zur Mutation B.1.1.7 (15.01.2021)

https://www.medrxiv.org/content/10.1101/20 21.01.13.21249721v1

Stanford-Studie: Harte Lockdown-Maßnahmen wenig wirkungsvoll

https://www.researchgate.net/publication/348 270406_Assessing_Mandatory_Stay-at- Home_and_Business_Closure_Effects_on_the_ Spread_of_COVID-19

Impfdashboard des Robert-Koch-Instituts

https://impfdashboard.de/

Camillo Schumann:

Dienstag 19. Januar 2021.

Wer steckt sich mit dem mutierten Virus an? Neue Studie aus Großbritannien dazu.

Dann: Berater der Bundesregierung schlagen eine Null-Covid-Strategie vor. Ist das realistisch?

Außerdem: 23 Todesfälle nach Impfung in Norwegen. Was weiß man darüber? Kann das auch bei uns passieren?

Zudem: Harte Lockdown-Maßnahmen bringen wenig. Eine Stanford-Studie wird im Netz heiß diskutiert. Was sollte man darüber wissen?

Und: Warum wird in den Oberarm geimpft?

Wir wollen Orientierung g. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Und das Wort hat zu Beginn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:

01:10

„Wir sehen schon, dass Maßnahmen wirken, dass die Kontaktreduktion wirkt. Die Intensivstationen sind um zehn 15 Prozent wieder leerer geworden und entlastet worden von Covid19-Patienten. Wir hatten ja 5.700 bis 5.800 Covid19-Patienten. Wir gehen Richtung 5.000. Das ist erst einmal gut. Die Zahlen scheinen zu sinken. Das ist auch gut. Aber wir sind noch lange nicht da, wo wir hinwollen und hinmüssen, um es dauerhafte zu kontrollieren, damit es nicht gleich wieder aufflammt.“

01:37

Camillo Schumann:

Tja, mit den Neuinfektionen sind wir ungefähr Stand Oktober, und bei der Auslastung der Krankenhäuser war man bei 5.648 (Höchststand) und ist jetzt bei 4.936. Teilen Sie die Einschätzung des Gesundheitsministers, dass der Lockdown wirkt?

01:54

Alexander Kekulé:

Ja, das muss der Lockdown sein. Es gibt keinen anderen Grund dafür. Im Winter ist das Virus ja ansteckender, und deshalb gehe ich davon aus, dass es eine Wirkung gibt. Man darf die Toten nicht zu kritisch betrachten, weil diese Zahl immer hinterherhinkt. Und je besser die Intensivstationen sind, desto mehr können sie sich mit jedem einzelnen Patienten befassen,

und je weniger überlastet sie sind, desto länger dauert es, bis jemand dann tragischerweise stirbt. Deshalb hinkt diese Zahl umso mehr hinterher, je besser der Zustand der Intensivstationen ist.

02:30

Camillo Schumann:

Der harte Lockdown wirkt also. Das lag ein bisschen in der Natur der Sache. Im Netz verbreitet sich aber gerade eine Stanford- Studie rasend schnell, die von Corona-Kritikern viel geteilt wird. Die Studie hat untersucht, ob scharfe Maßnahmen im Vergleich zu weniger scharfen Maßnahmen einen so großen Effekt auf das Pandemiegeschehen haben. Dazu wurden einige Länder untersucht, u.a. auch Deutschland. Das Ergebnis: Signifikante Vorteile von strikten Maßnahmen gegenüber weniger Einschränkungen gibt es nicht. Viele Hörer haben uns diese Studie geschickt mit der Bitte, sie mal einzuordnen. Sie haben Sie gelesen, was sollte man darüber wissen?

03:05

Alexander Kekulé:

Wenn man als jemand vom Fach so eine Studie liest, guckt man als erstes auf den Autor. Das ist der John Ioannidis, über den wir schon einmal gesprochen haben in diesem Podcast. Das ist ein ehrenwerter Kollege aus der medizinischen Fakultät in Stanford, der aber von Beginn der Pandemie an der Meinung war, dass die ganzen Gegenmaßnahmen nicht sinnvoll sind oder dass das übertrieben wird. Es ist also jemand, der kritisch an die Dinge herangeht, das muss man vorher sich anschauen. Bei dieser Studie hat er etwas Interessantes gemacht. Und in dem Versuch würde ich ihm fast unterstellen, mal wieder zu zeigen, dass wir es übertreiben mit den Gegenmaßnahmen. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die belegt haben in der Vergangenheit, dass diese nicht pharmakologischen Interventionen, also alles, was wir unter Lockdown und sozialen Einschränkungen verstehen, erheblichen Effekt hat auf die Fallzahlen. Das ist ja klar, das sehen wir in Deutschland im Moment ja auch. Da ist ganz berühmt dazu die Nature-Arbeit aus dem Juni vom Imperial College in London. Die

Kollegen haben damals ganz klar gezeigt, dass die Interventionen in der ersten Welle etwas gebracht haben. All diese Arbeiten haben aber eine Schwachstelle, die auch viel kritisiert wird unter Fachleuten. Und zwar ist die Schwachstelle die: Worauf bezieht man die Wirkung von irgendwelchen Lockdown- Maßnahmen, also auf den Zustand vorher und das ist das, was normalerweise gemacht wird. Da rechnet man das, was kurz vorher war, einfach linear weiter und sagt, wenn wir nichts gemacht hätten, hätte es sich geradeaus weiterentwickelt. Und im Vergleich zu dieser rein hypothetischen Linie – wir nennen das auf Englisch counterfactual trajectories, also die Linie, die wenn man es gerade weiterziehen würde, eingenommen würde. Im Vergleich dazu hat die Maßnahme das und das gebracht. Das ist nicht ganz richtig, das so zu machen, weil die Menschen am Anfang der Maßnahme ihr Verhalten geändert haben. Und wir wissen, dass diese individuellen Verhaltensänderungen einen erheblichen Einfluss haben. Und das wäre auch ohne weitere harte Maßnahmen passiert. Außerdem haben diese älteren Untersuchungen oder die meisten anderen Untersuchungen den Effekt, dass man das Ergebnis der Lockdowns oder der Maßnahmen immer der zuletzt ergriffenen Maßnahmen zuschreibt. Man sagt: Erst haben wir das gemacht und am Schluss war es so, dass folgendermaßen die Fallzahlen runtergingen. Das stimmt ja auch nicht ganz, denn es kann ja sein, dass auf der Strecke dorthin bereits Effekte eingetreten sind, die das Ergebnis stärker beeinflusst haben. Auf der Suche nach einer guten Referenz haben Ioannidis und seine Leute Folgendes gesagt: Okay, nehmen wir mal als Referenz für schwache bzw. leichte Maßnahmen Südkorea und Schweden. Das waren die beiden Länder, wo man wenig gemacht hat, weil man dort in einer ganz guten Lage war. Und das vergleichen wir mit den härteren Maßnahmen in zehn anderen Ländern, z.B. Deutschland. Und wenn man von dem Effekt, der durch die harten Maßnahmen eingetreten ist, mathematisch abzieht, was wahrscheinlich durch die leichten Maßnahme schon erreicht worden wäre, dann ist diese Differenz, dieses kleine Plus, was man erzielt durch die härteren Maßnahmen, statistisch nicht mehr signifikant. Man sieht zwar schon

ein Plus. In Frankreich machen z.B. die zusätzlichen Maßnahmen im Vergleich zu Schweden ungefähr sieben Prozent Verbesserung bei den Fallzahlen. Verglichen mit Südkorea waren es sogar 13 Prozent. Aber das sind keine signifikanten Ergebnisse. Das heißt, die Spanne, die Streuung der Statistik, ist so breit, dass man nicht sagen kann, die Zahlen belegen das. Oder andersherum gesagt: Es ist nicht so hart belegbar, was in einer Bevölkerung, die sich schon auf die Pandemie eingestellt hat und schon von sich aus Dinge tut, um Infektionen zu verhindern, was dort die zusätzliche Eingriffe des Staates bringen. Deshalb muss man schon die Frage stellen – und das haben wir im Podcast auch gelegentlich gemacht: Ist es z.B. sinnvoll, ein Maßnahmenpaket so fortzuführen? Wenn wir uns an die erste Welle erinnern, war es ja auch so. Das hat die Frau Priesemann in ihrer ersten Arbeit gezeigt: Da waren die Effekte eingetreten, bevor der Lockdown verhängt wurde. Und so ähnlich ist das im Grunde genommen bei John Ioannidis auch. In drei Fällen gab es sogar einen paradoxen Effekt. Das fand ich interessant. Z.B. ist es (in dieser Statistik zumindest) so, dass die Ausgangssperre in Deutschland nicht dazu geführt hat, dass es weniger Fälle gab. Rein statistisch gesehen hatte sie sogar einen negativen Effekt. Die Fallzahlen haben sich danach erhöht. Wobei wir nicht wissen, ob das kausal ist. Ähnlich war es in Italien. Da hat eine Aufforderung zum sozialen Distanzieren und zu Geschäftsschließungen auch einen negativen Effekt gehabt. So etwas Ähnliches gibt es auch in Spanien.

Was bedeutet das nun? Falls das überhaupt trägt – das sind ja alles immer nur Statistiken, so ein bisschen der Blick in die Glaskugel –, könnte ich mir vorstellen, dass Menschen, wenn man schon fünf Maßnahmen hatte und die sechste und siebte beschließt, vom Willen zum Mitmachen her langsam abspringen und man dadurch plötzlich diese Negativ-Effekte sieht.

Camillo Schumann:

Würden Sie diese Studie als anwendbar bewerten?

Alexander Kekulé:

Es ist ein Hinweis darauf, dass die alte Regel gilt: Wenn du erst mal eine Maßnahme implementiert hast, die halbwegs angenommen wird und durchgegriffen hat, hat das Gleiche nochmal nur mit einem stärkeren Bremspedal meistens einen viel schwächeren Effekt. Die nachgelagerten, schärferen Maßnahmen sind nicht mehr so wirksam wie die erste Maßnahme. Ich glaube, das kann man daraus schließen.

09:19

Camillo Schumann:

Spannende Vorzeichen, denn heute berät die Kanzlerin wieder mit dem Ministerpräsidenten darüber, wie es nach dem 31. Januar weitergeht. Bis dahin gilt ja der harte Lockdown bei uns. Leider können wir über die Beschlüsse heute im Podcast nicht sprechen, da wir vor den Beratungen aufzeichnen.

Was vorab bekannt wurde: Laut Beschlussvorlage soll der harte Lockdown bis 15. Februar verlängert werden. Die Regelungen für das Homeoffice sollen verschärft werden. Offenbar ist eine Verordnung geplant, die Arbeitgeber verpflichtet, überall dort, wo es möglich ist, den Beschäftigten das Arbeiten im Homeoffice zu ermöglichen. Medizinische Masken sind im öffentlichen Nahverkehr und beim Einkaufen weiterhin zu tragen. Eine Pflicht zur FFP2- Masken sei nicht vorgesehen. Schulen sollen weiter geschlossen bleiben, bis die Inzidenz bei 50 liegt. Wie gesagt, alles Beschlussvorlage. Aber wir wissen ja, dass sich das Kanzleramt zunehmend durchsetzen kann. Wie bewerten Sie diese Maßnahmen?

Alexander Kekulé:

Das muss man differenziert sehen. Das eine ist schon vorgezogen, bis zum 15.2.2021 den Lockdown verlängern, nun, man kann sicher sagen: Wir werden am 15.2. durch diese Sache nicht durch sein. Das ist trivial. Aber ob man schon sich für einen Monat festlegen soll? Das hätte ich wahrscheinlich persönlich nicht gemacht, außer aus politischen Gründen. Möglicherweise denkt die Regierung, es ist besser, das Volk schon vorzubereiten. Damit sich auch die Wirtschaft darauf einstellen kann,

weil wir ja viele Fragezeichen haben. Wir wissen ja nicht genau, wo die Lücken sind. Es gibt Vermutungen, aber wir wissen nicht genau, warum es weiterhin zu Infektionen kommt. Und wie der Bundesgesundheitsminister in dem Einspieler richtig gesagt hat, im Moment geht es ja runter. Es könnte sein, dass das der Anfang eines absteigenden Astes ist, den wir sehen – in dem Sinne, mal etwas Positives, auf dem absteigenden Ast zu sein. Das wissen wir nicht genau. Darum bin ich etwas überrascht, dass die Verschärfung in dieser Phase schon beschlossen werden soll. Ich befürchte, das wird im Hinblick auf die Mutationen begründet werden. Und da finde ich die Begründung nicht so scharf, nicht so gut. Was ist mit den Einzelmaßnahmen? Es gab den Vorschlag, wie es in Bayern meines Wissens auch Vorschrift ist, inzwischen FFP2-Masken im öffentlichen Nahverkehr zu tragen und auch beim Einkaufen. Die FFP2-Maske hat einen klaren Vorteil aus virologischer Sicht. Sie ist aber von der Anwendbarkeit her so eine Sache. Ob die wirklich jeder richtig trägt? Und wenn man das mit in die Rechnung hineinnimmt, wie oft die Maske zwischen Nase und Backe richtig große Löcher lässt, ob das wirklich den Aufwand rechtfertigt, ist vielleicht ein Fragezeichen aus der Praxis drin. Aber die, die wissen, wie man das Ding aufsetzt, sind damit besser geschützt. Das wäre unter der Idee, dass man in diesen Bereichen, also Nahverkehr und Einkauf, dass man da die Infektionen vermutet, die uns Probleme machen. Aber dafür gibt es keine Daten. Das ist wilde Spekulation. Wer sagt denn, dass wir uns beim Einkaufen infizieren? Und die Frage ist, ob das in einem Riesenkaufhaus auch so ist oder in einem großen Lebensmittelgeschäft. Und da noch einmal runterzugehen auf medizinische Masken? Jetzt gilt also quasi jeder normale OP- Mundschutz. Offensichtlich waren doch zu viele gehäkelte selbstgebastelte Masken im Umlauf, die so offensichtlich krasse Löcher lassen, dass man gesagt hat, da muss man ein bisschen mehr regulieren. Falls das der Grund gewesen sein sollte – Sie sehen schon, das ist ein bisschen Kaffeesatz lesen – dann wäre das vielleicht begründet.

Homeoffice ist die wichtige riesige Lücke, die ich ja schon seit langer Zeit angemahnt habe. Wir haben im Arbeitsleben keine klaren Regelungen und keine ausreichend scharfen Regelungen. Homeoffice ist ein Ding, was man machen kann, das ist im Ausland ja auch schon gemacht worden, in der Schweiz z.B., dass es verpflichtend ist, wo es geht. Aber da sagt am Ende des Tages doch der Arbeitnehmer, wo es geht. Und ich hätte mir gewünscht, dass es Pflicht ist, am Arbeitsplatz, immer wenn man im geschlossenen Räumen ist, eine Maske zu tragen! Ausnahme: Da, wo es nicht anders geht. Dann Schnelltests. Aber dass diese simple Regelung Maske auf am Arbeitsplatz! nicht durchdringt, keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht gibt es ja juristische Gründe.

Mit den Schulen – bis 50 runterbremsen und erst dann die Schulen wieder aufmachen – das kann eine Weile dauern. Also das wird sicherlich Probleme mit dem Abitur geben und Ähnliches. Das muss man halt mal sehen. Also wir können sicher bis 50 runterbremsen. Mein Problem bei diesen Ansagen von Fallzahlen ist: Wenn wir dann von der Bremse gehen, geht es wieder hoch. Das ist völlig klar.

14:21

Camillo Schumann:

Weil Sie die Masken Ansprachen: Also eine Pflicht für FFP-2-Masken sei erst einmal nicht vorgesehen. Bayern ist da vorgeprescht. Und gestern hat der Gesundheitsminister Spahn angekündigt, dass 34 Millionen Menschen in diesen Tagen nun Gutscheine für FFP2-Masken per Post zugeschickt bekommen. Also

34 Millionen Menschen haben für die nächsten Wochen eine FFP2-Maske. Das ist doch auch ein guter Schritt. Oder?

Alexander Kekulé:

Das ist ein richtiger Schritt. Man muss davon ausgehen, dass die Menschen in Deutschland schlau sind, dass sie lernen können und dass sie solche Dinge auch verstehen. Und es ist klar wenn man jemanden wirklich erklärt, wie die FFP2-Maske zu tragen ist – Stichwort Bart ab, Stichwort wirklich luftdicht – bin ich der Meinung, dass die Menschen wissen, wie man das anwendet. Aber es ist schwieriger als mit der selbstgemachten Maske oder dem OP-

Mundschutz. Warum ist es schwieriger? Weil sie sofort wechseln müssen, wenn die feucht wird. Wir müssen davon ausgehen, dass der Normalbürger so eine Maske, wenn sie kein Ventil hat, nicht länger als zwei Stunden trägt. Sonst ist man echt am Ende. Und wenn etwas körperlich anstrengend ist – ich denke da an die Paketboten und Ähnliches, die in den Treppenhäusern rauf und runter rennen – ist eine FFP2-Maske nicht zumutbar, denn bei körperlicher Anstrengung ist man da schnell am Ende. Und diese ganzen Wenn- und Rand- Bedingungen machen es schwierig. Aber wenn Sie nur einen Virologen fragen, finde ich, kann man es den meisten Menschen beibringen. Ich hätte es wahrscheinlich eher als Empfehlung gemacht. Und wer damit nicht klarkommt oder sagt, ich liebe meine selbstgehäkelte Maske, die will ich weiter tragen... Ich weiß nicht, ob das nicht vielleicht der bessere Weg gewesen wäre. Aber gut, so ist es. Scheinbar soll es beschlossen werden, dass die OP-Masken Pflicht werden.

16:21

Camillo Schumann:

Ggf. treibt die Angst vor der Mutation die Entscheidungsträger zu diesen Maßnahmen. Wir wollen später noch mal darauf eingehen.

Eine Zeit ohne Corona, das wäre schön. Genau das ist das Ziel einiger Wissenschaftler. Den heutigen Bund-Länder-Beratungen vorangegangen war wieder ein Gespräch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten berieten. Und einige Wissenschaftler, darunter die Virologin Melanie Brinkmann und der Physiker Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung sollen der Kanzlerin eine Null-Covid-Strategie vorgeschlagen haben. Ziel sei es, Neuinfektionen, Todesfälle, Lockdowns künftig komplett zu verhindern. Eine Inzidenz von null solle erreicht werden. Das wird als Langfriststrategie in drei Phasen vorgeschlagen. Eine Inzidenz von null, ist das noch möglich?

17:15

Alexander Kekulé:

Ich habe mir dieses Paper angesehen. Das ist ja zirkuliert. Da ist übrigens noch der Herr Fuest mit dabei vom ifo-Institut, das ist einer der renommierten Wirtschaftsforscher. Für mich auffällig: die Ilona Kickbusch. Das ist eine international bekannte Expertin für solche Prävention. Mit der hatte ich in der Vergangenheit oft zu tun, auch bei anderen Ausbrüchen. Die lebt in Genf und hat dort auch eine Professur und berät unmittelbar die Weltgesundheitsorganisation. Wegen der Frau Kickbusch habe ich gedacht, das muss man sich genau anschauen, was da drinsteht. Und ja, die Idee ist schön, zu sagen, wir gehen auf Null runter. Vorbild auch in Australien zum Teil, Vorbild Neuseeland, Vorbild Taiwan, das war, wenn man sich erinnert, mein dringender Vorschlag am Anfang dieser Pandemie. Da habe ich gesagt, wir haben kaum Fälle im Land, dass ist unsere Chance für Europa oder zumindest für Deutschland eine echte Präventionsstrategie zu machen. Also zu verhindern, dass das Virus reinkommt. Und wenn es reinkommt, dann macht das sogenannte Stamping out, dass man die Infektionsherde sofort eliminiert. So ein bisschen macht China das ja auch im Moment, wobei in China noch gewisse Lücken sind.

Ich muss aber ehrlich sagen, dass jetzt vorzuschlagen wäre ungefähr so, als ... was weiß ich: Am Anfang hat man im Badezimmer irgendwie nassen Boden gehabt, und einer hat gesagt: „Wischt doch mal den Boden auf. Wir machen das trocken und verhindern, dass wieder Wasser reinkommt.“ Damals ist der als Panikmacher ja bekanntlich beschimpft worden. Und jetzt steht aber im Badezimmer das Wasser schon weit über Bauchhöhe, schon fast bis zum Hals. Und jetzt sagt man, wir kriegen das Ganze ruckzuck wieder trocken, während gleichzeitig alle Wasserhähne ja noch offen sind. Ich glaube, ehrlich gesagt, das ist absolut illusorisch. Das ist nicht zu machen in der jetzigen Situation. Wenn ich mir in dem Paper mal den Zeitplan anschaue: Das soll, wie Sie sagen, in vier Stufen gehen. Stufe 1 wird erreicht, nachdem man zwei Wochen lang die Inzidenz unter 10 pro 100.000 hatte, im Mittelwert für sieben Tage.

Camillo Schumann:

Die Wissenschaftler argumentieren, auch in Deutschland habe nach der ersten Welle eine Inzidenz von nur 2,5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen geherrscht. Es ist also möglich, heißt ist da.

19:51

Alexander Kekulé:

Ja, aber der Vergleich ist meines Erachtens so nicht anwendbar. Damals hatten wir die Situation, dass wir hauptsächlich Ausbrüche hatten. Und die Ausbrüche in Clustern oder Superspreading-Ereignissen hat das Gesundheitsamt relativ schnell unter Kontrolle gebracht. Das ist ja ein riesen Unterschied, ob sie 100 Fälle verteilt in 100 Familien haben oder ob sie die an einem Platz haben. In irgendeiner Fabrik, wo es zum Ausbruch kam, und das Gesundheitsamt die Leute nur dingfest machen muss oder einen Zaun außen rummachen muss. Und das war damals eine komplett andere Situation. Da hat man das so runtergebracht, weil man hauptsächlich Ausbrüche verfolgt hat. Man hatte auch eine Weile als gemeinsame Nenner die Importe. Es waren die Skifahrer, die das aus Österreich mitgebracht haben usw. Das war für das Gesundheitsamt eine andere Situation.

Jetzt haben wir das, was das Robert-Koch- Institut neuerdings „diffuses Geschehen“ nennt. Ich nenne das Noise-Effekt, wo wir so ein Hintergrundrauschen haben, was nicht mehr zuzuordnen ist. Da kriegen Sie das nur noch mit drastischen Maßnahmen runter. Und die werden ja auch empfohlen. Es wird ja gesagt: Phase eins soll also solange durchgehalten werden, bis 14 Tage lang die Inzidenz unter zehn ist. Und da gilt: Das Verlassen des Hauses nur noch mit triftigen Grund, Treffen bis fünf Personen, aber nur im Freien – also im Freien dürfen sich fünf Personen treffen, ich schätze mal mit Mindestabstand, aber ich weiß nicht, warum man das auch im Freien begrenzen muss –, und im Haus dürfen sie nur einen Besucher empfangen, und zwar nur einen, sofern sie alleine leben. Das heißt, alle anderen dürfen niemanden mehr im Haus haben. Und das solange, bis zwei Wochen lang die Inzidenz unter zehn war.

Das gesamte Arbeitsleben soll runtergefahren werden, und zwar soll es so sein, dass nur noch systemrelevante Berufe in die Arbeitsstätte gehen. Das ist ja nur ein kleiner Teil, der so relevant ist. Ich glaube, das ist jetzt nicht mehr machbar. Das war ja nur die erste Stufe. Die zweite Stufe ist erreicht, wenn man mindestens 14 Tage unter einer Inzidenz von 5 gekommen ist. Dann beginnt die dritte Stufe, wenn Sie weitere 14 Tage auf Null waren. Und erst wenn Sie wiederum insgesamt vier Wochen lang die Inzidenz von null haben, sind sie in der grünen Zone in diesem Modell. Ich habe gar nicht zusammengerechnet, wie lange das dauert. Aber ich würde mal sagen mit der Startphase – die würde ich mal mit drei bis vier Wochen ansetzen – sind Sie also bei 14 Wochen mindestens, bis sie bei Grün sind. Und was passiert dann? Dann haben Sie die Bude saubergekriegt – in dem Bild von vorhin ist also im Badezimmer endlich der Boden trocken –, aber die Wasserhähne laufen ja noch wie wild. Sie müssen also verhindern, dass in diese grünen Zonen in Deutschland weitere Infektionen eingetragen werden. Das heißt, wir bräuchten Abgrenzungen, die z.B. den grünen Landkreis von einem, der noch nicht grün ist, abgrenzen. Oder wir müssten Deutschland von den Nachbarländern abgrenzen. An der Stelle wird das Paper dann sehr einsilbig.

Camillo Schumann:

Ziel sei es, die grüne Zone nach und nach immer weiter auszudehnen, von den einzelnen Landkreisen z.B. in Deutschland letztlich über ganz Europa. Ist das denn möglich?

Alexander Kekulé:

Hier wird das Paper relativ einsilbig. Die sagen, wir erhalten die grünen Zonen in Europa durch drei verschiedene Maßnahmen: Erstens wir appellieren an andere EU-Staaten, unnötige Reisen nach Deutschland zu vermeiden. Wenn ich schon Apell höre im Zusammenhang mit der EU bin ich ehrlich gesagt nicht so optimistisch. Ich möchte keine Liste aufmachen von Appellen, die nicht funktioniert haben. Nummer zwei: Klarmachen, dass das nur gemeinsam geht. Das heißt, die anderen wiederum durch Überzeugungsarbeit dazu bringen, das gleiche Konzept zu machen. Die Autoren wollen nicht nur die Bundesregierung überzeugen, sondern alle EU-Mitgliedstaaten.

Und drittens, wenn in einem Land grün ist, also wenn wir in Deutschland z.B. grün wären, sollen wir Vereinbarungen mit anderen Ländern schließen, wie die Einreisenden zu kontrollieren sind oder unter welchen Umständen mit welchen Gründen die einreisen dürfen. Und als letztes Mittel die Grenzen schließen für EU-Staaten. Das heißt, was gar nicht drin steht, ist, dass die EU nach außen sich auch wiederum komplett zumachen müsste. Das ist ja bei den Flüchtlingen „vortrefflich“ gelungen. Und die Diskussion ist ja auch kreativ und konstruktiv gelaufen zwischen den verschiedenen EU-Mitgliedern. Und wenn man weiß, wie die Visegrád-Staaten nicht nur in der Flüchtlingsfrage, sondern auch bei der Bestellung dieser Impfstoffe reagiert haben, muss man sagen, ich halte es für ausgeschlossen, dass es ein EU-Konsens gibt. Und mit Appellen das erhaltene Ziel zu schützen, wenn das die einzige Option ist, die man hat, geht das nicht mehr. Das wird nicht funktionieren. Und wenn Sie schon wissen, dass sie am Schluss die grüne Zone gar nicht grün halten können, sondern wieder in den nächsten Lockdown laufen, weil sie von grün wieder in die Stufe zwei oder eins zurückgefallen sind, weiß ich nicht genau, wo das alles hinführen soll. Sie merken schon, ich bin nicht so begeistert von diesem Projekt.

25:15

Camillo Schumann:

Wenn Zero Covid nach ihrer Darstellung eher in der Theorie funktionieren würde, in der Praxis aber kläglich scheitern würde, was vermuten Sie denn: Bei welchem Inzidenzwert müssen wir uns in den nächsten Wochen, Monaten tief in die Augen schauen und sagen: Okay, gut, damit müssen wir uns abfinden?

Alexander Kekulé:

Das kann ich ehrlich nicht sagen. Meine optimistische Prognose wäre, dass wir demnächst bundesweit unter 100 kommen. Wir werden dann in so eine ähnliche Lage wie vorher kommen. Das Problem ist nur, wann immer man von der Bremse runtergeht – das hat Irland gezeigt, dass hat das Vereinigte Königreich gezeigt, die tschechische Republik und Portugal –, dann hat man wieder diese steigenden Fallzahlen. Und deshalb ist kann

man nicht sagen, wir gehen bis 50 runter, oder wir gehen bis 100 runter. Ich glaube, das ist eine Diskussion, die gefährlich ist, weil sie auch politisch so schwierig zu kommunizieren ist. Wenn man sagt, ab der Grenze gibt es wieder Lockerungen für das Volk, aber wissend, dass die Fallzahlen wieder ansteigen, ist das ein gefährlicher Start.

Ich will noch dazusagen: Das wäre toll gewesen, all das zu machen am Anfang, bevor die italienische Variante, die G-Variante, die auch infektiöser war als der ursprüngliche Wuhan-Stamm, in Norditalien so massiv ausgebrochen ist. Das wäre der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Da hat man es nicht gemacht. Aber jetzt ist dieser Zug für diese Strategie abgefahren.

26:53

Camillo Schumann:

Mutation ist das Stichwort: Es gibt ja die Mutation, die in Großbritannien nachgewiesen wurde, eine weitere Variante in Südafrika und in Japan und eine aus Brasilien. Und gestern nun eine neue Variante in einem Krankenhaus in Garmisch-Partenkirchen. 73 Patienten und Mitarbeiter wurden positiv getestet. Und bei 35 von ihnen wurde auch eine bislang unbekannte Variante des Virus entdeckt. Labormitarbeiter des Klinikums Garmisch hatten mit Hilfe eines speziellen Laborgeräts Unregelmäßigkeiten bei den Corona Abstrichen festgestellt. Man könne aber noch nicht sagen, ob diese Virusvariante nun ansteckender oder aggressiver sei als das bislang bekannte Coronavirus. Das hat zumindest der stellvertretende Ärztliche Direktor Clemens Stockklausner gesagt. Ein Grund zur Panik bestehe nicht. Drei der Proben wurden an die Berliner Charité geschickt. Auf solche Meldungen müssen wir uns einstellen. Oder?

Alexander Kekulé:

Ja, das ist normal. Wir haben Mutationen. Und man muss ja schon ein bisschen aufpassen, was man Variante nennt. Das Virus mutiert ständig. Man kann statistisch sagen, bei ungefähr jedem 2. Sprung auf den nächsten Infizierten gibt es eine Mutation, so in der

Größenordnung. Das heißt, Coronaviren sind relativ stabil, aber trotzdem kommt es zu diesen Mutationen. Und irgendwann ist es so, dass sich ein mutierter Typ so durchsetzt, dass der einen echten Selektionsvorteil hat und sich im Darwinschen Sinne so vermehrt, dass man sieht, aha, der kann irgendetwas, was die anderen nicht können: Survival of the fittest. Und das nennen wir Variante, wenn sich das richtig durchsetzt. Das heißt, bloß weil man eine Mutation gefunden hat, ist es noch lange keine Variante. Und eine Variante würde ich das nennen, wenn es einen eigenen Ausbruch damit gibt, so wie wir es in Großbritannien haben. Aber auch die Varianten sind etwas, mit dem wir ständig rechnen müssen. Wir haben in Deutschland sträflich versäumt, genauer hinzugucken und diese molekularbiologische Surveillance zu machen. In Großbritannien, wo man das weltweit mit Abstand am gründlichsten gemacht hat, hat man etwas gefunden, dieses berühmte B1.1.7. Es gibt aber weitere, die schon entdeckt wurden. Und ich glaube, dass wir wöchentlich neue Varianten finden werden. Ich warne davor, jedes Mal in Alarmismus zu verfallen. Das ist der normale Gang der Dinge, dass sich das Virus ändert, und zwar typischerweise so, dass es ansteckender wird, aber zugleich – zum Glück und in der Regel – weniger gefährlich. Das ist das, was wir bei den anderen Viren immer beobachtet haben. Und ich bitte doch höflichst, das Coronavirus auf diesem Weg, sich so zu verhalten wie alle anderen auch.

29:38

Camillo Schumann:

Was weiß man über die Variante B1.1.7, die in Großbritannien nachgewiesen wurde? Es gibt eine neue Studie aus Oxford, die ein wenig Licht ins Dunkel bringt. Zum einen ist die Variante gefährlicher. Und wer steckt sich mit dieser Variante eigentlich an? Gibt es aus Ihrer Sicht schon genügend belastbare Informationen, um überhaupt konkrete Schlüsse zu ziehen?

Alexander Kekulé:

Ja, ich glaube schon. Diese Studie und auch die die Daten, die sonst so zirkulieren, sind doch relativ eindeutig. B1.1.7, diese Variante, die in Südostengland zuerst aufgetreten ist, ist offenbar etwas infektiöser als die anderen Varianten, die in England unterwegs sind. Wie viel ist schwer zu sagen. Aber ich würde mal davon ausgehen, aufgrund der Gesamtsicht der Daten, dass wir plus 20 bis 30 Prozent haben. Ich glaube, wir haben es auch so ähnlich besprochen. Das heißt also, dass R0 wäre quasi um 0,2 bis 0,3 höher als bei dem Normaltyp. Das ist eine grobe Schätzung, weil auch das R schwer zu schätzen ist. Aber so in der Größenordnung, oder anders gesagt: Nehmen wir mal an, wir haben Gegenmaßnahmen ergriffen und bei den gleichen Gegenmaßnahmen muss man damit rechnen, falls keine anderen Faktoren eine Rolle spielen – da gibt es viele Fragezeichen – das , wenn man das Infektionsgeschehen z.B. auf 0,9 hätte – und das wäre plus 0,3 – würde man den Sprung über die 1 machen. Das heißt, statt dass die Fälle weniger werden, wird es damit 1,2 wachsen. Und dadurch ist das schon zunächst mal beunruhigend, weil man bei einer Virus-Variante, die sich schneller verbreitet, mit den gleichen Gegenmaßnahmen weniger weit kommt.

Camillo Schumann:

Kurz nachgefragt: Sie sprachen im letzten Podcast von 0,5. Ist das eine Anpassung?

Alexander Kekulé:

Das ist bei den Daten so, da muss man ein bisschen gucken, worauf man das bezieht. Die 0,5 bis 0,7 hat Boris Johnson mal bekanntgegeben. Da habe ich ja schon immer so ein bisschen geunkt, dass Politiker gerne solche Anstiege von Fallzahlen auf das Virus schieben und nicht dazusagen, dass sie die Pubs und Gaststätten kurz vorher aufgemacht haben. Das ist ja bezogen gewesen auf die konkrete Ausbruchssituation, die gemessen wurde. Wenn sie z.B. bei 1,0 sind, kann es schon sein, dass das mal auf 1,7 hochgeht bei einem konkreten Ausbruch. Aber die Frage ist ja, was für eine Virus-Eigenschaft steckt dahinter? Und die Virus-Eigenschaft wäre hier also die Spekulation, wie stark sich die Basisreproduktionszahl verändert hat. Das ist

die Eigenschaft des Virus, dieses R0. Und da, würde ich mal sagen nach den aktuellen Daten, ist eine Schätzung von 0,2 bis 0,3 für die Basisreproduktionszahl adäquat. Es gibt Kollegen von mir, die sagen, die neueren britischen Zahlen legen nahe, dass das etwas kleiner ist, als ursprünglich erwartet wurde. Diese aktuelle Oxford-Studie wird auch zum Teil im Netz so interpretiert, dass Leute sagen: schaut mal her, es ist ja gar nicht so schlimm. Aber da wäre ich vorsichtig, denn erstens ist es das ein Schätzbereich, wo wir das gar nicht so genau festmachen können. Und zweitens ist es so, dass eine Zunahme von z.B. 0,3 bei der Reproduktionszahl bedeutet, dass es sich um 30 Prozent schneller ausbreitet. Das wäre schon ein erheblicher Effekt.

Camillo Schumann:

Welche sonstigen Informationen ziehen Sie aus dieser neuen Studie?

Alexander Kekulé:

Die Studie ist interessant und ist auch viel diskutiert worden, auch ambivalent, wie gerade angedeutet. Das war ja ein Preprint, das muss man auch dazusagen. Es ist also noch nicht offiziell von einem Journal angenommen worden. Das waren mehrere Arbeitsgruppen von der Oxford University, die das gemacht haben. Die haben sich diese nationale Surveillance angeschaut, die die in Großbritannien haben. Da werden Haushalte zufällig ausgewählt, das gibt es schon relativ lange. Und insgesamt haben die für diese Untersuchung über 370.000 Personen aus insgesamt über 180.000 Haushalten genommen und haben festgestellt – was wir sowieso schon wissen –, dass im Zeitraum Ende September bis Anfang Januar diese neue Variante B1.1.7 massiv zugenommen hat. Man muss immer dazusagen, die wird indirekt bestimmt. Das war diese Sache, dass bei einem bestimmten Test, der in England häufig verwendet wird, der Nachweis für das S-Gen ausfällt. Wir nennen das S-Gene Failure. In so einer PCR, die die dort machen, zeigt sich diese Variante eleganterweise dadurch, dass von drei Targets, die untersucht werden, plötzlich eins weg ist. Sonst würde man das gar nicht so einfach statistisch feststellen. Aber man nimmt an, dass dieser S-Verlust mehr oder minder identisch mit dieser B1.1.7-Variante ist. Das ist

eine Vermutung, die wahrscheinlich stimmt. Ganz sicher ist das aber natürlich nicht bei solchen Sachen. Und da hat man Folgendes festgestellt: Die Variante nimmt massiv zu. Aber das Interessante ist: Diese Zunahme ist nicht wirklich verdrängend, sondern im Moment noch additiv. Das heißt also, die alte Variante oder die alten Varianten, die in England zirkulieren, sind noch da, vermehren sich in gleicher Geschwindigkeit, und dazu kommt diese neue, die sich etwas schneller vermehrt. Es ist also noch keine echte Verdrängung dar. Und das ist interessant, weil man sich da fragen muss, woran das liegt.

35:24

Camillo Schumann:

Und woran könnte das liegen?

Alexander Kekulé:

Rein theoretisch könnte man formulieren, dass es sein kann, dass der Gleiche zweimal infiziert wird mit den verschiedenen Varianten. Dann hätte man auch keine Verdrängung, sondern einen additiven Effekt. Verdrängung heißt ja: Immer wenn jemand schon infiziert war, kommt das andere Virus nicht rein, denn das das Immunsystem sagt: nein, du kommst nicht rein, denn ich habe schon ein Virus, mit dem ich mich auseinandergesetzt habe. Das ist extrem unwahrscheinlich. Zumindest bei dieser britischen Variante. Wir haben ja auch schon über die brasilianische gesprochen. Das Wahrscheinlichere ist, dass unterschiedliche Populationen erstmal infiziert wurden. Das heißt also, in England ist das normale Infektionsgeschehen, was man schon länger beobachtet hat mit der Standardvariante. Und dann hatte man so ab Anfang Dezember schon immer beobachtet, dass man eine massive Zunahme bei den Jugendlichen und auch bei den jüngeren Schülern hat. Das war in der ersten Welle nicht so, und das war auch vorher nicht so. Das ist akut so und ein wichtiger Teil des Infektionsgeschehens in England. Und bei dieser Population gibt es beide Varianten, die alte und die neue. Aber es scheint so zu sein, dass die beiden Varianten unabhängig voneinander, wenn ich so sagen darf, diese Subpopulationen infizieren. Das heißt also z.B., wenn sie eine große Schulklasse haben mit 30 Kindern, ist entweder die alte Variante dort am

Ausbrechen oder die neue, nicht beide zusammen in dem Sinn, dass sie sich verdrängen würden. Und das führt dazu, dass man einen echten additiven Effekt hat und wir davon ausgehen müssen, dass es irgendwann in Zukunft zu der Verdrängungssituation kommt. Das heißt, die neue Variante tut uns nicht einmal den Gefallen, die alte zurückzudrücken, sondern das dauert noch eine Weile. Die laufen nebeneinander her, und irgendwann in den nächsten Wochen wird die neue sich durchsetzen.

Camillo Schumann:

Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht auch für die Situation bei uns?

Alexander Kekulé:

Das ist vor allem deshalb eine wichtige Nachricht, weil das heißt, wir wissen nicht genau, warum die schneller ist. Das ist nämlich nicht klar, warum sich diese neue Variante schneller ausbreitet. Wenn man einen echten Verdrängereffekt hätte, könnte man sagen naja, survival of the fittest. Die eine setzt sich quasi gegen die andere im direkten Wettkampf durch, weil sie z.B. weitergetragen wird durch die Luft oder kleinere Virusmengen reichen. Hier steht ja der Verdacht im Raum, dass kleinere Virusmengen ausreichend sind für eine Infektion. Das wäre eine echt schlechte Nachricht, denn das heißt, dass man statt 1 m jetzt 2 m Abstand halten muss, weil kleinere Virusmengen ausreichen. Aber das ist nur eine der möglichen Erklärungen.

Die andere wäre, dass die neue Variante über längere Zeit ausgeschieden wird von den Infizierten. Das würde selbstverständlich erklären, warum man mehr Angesteckte bekommt, weil die Dauer der Ausschaltung des Virus eine wichtige Rolle bei dieser Reproduktionszahl R spielt. Wir wissen z.B. von den Masern, dass die so massiv infektiös sind, u.a. deshalb, weil man relativ lange Virusausscheider ist.

Was aber interessant und wichtig ist im Zusammenhang mit diesen Subpopulationen: Wir sehen auch in England Hinweise darauf, dass diese neue Variante insbesondere bei asymptomatischen Patienten eine Rolle spielt. Was heißt das? Patienten ohne Symptome haben die neue Variante. Das passt erstens

dazu, dass im Moment das Mehr bei den Jugendlichen ist, die ja bekanntlich weniger Symptome haben. Das könnte aber auch bedeuten, dass man dadurch unbedarfter die Infektion weitergibt.

39:03

Camillo Schumann:

Das bedeutet, dass es eine ziemlich schwierige Kombination wäre, wenn das so aufeinandertrifft.

Alexander Kekulé:

Das sieht schon so aus und würde ja auch zu der allgemeinen Theorie passen: Wenn diese neue Variante – das ist bitte eine Spekulation, denn die Studie deutet in diese Richtung – wirklich häufiger asymptomatische Verläufe machen würde, hieße das, die Menschen geben unbedarft das Virus eher weiter. Das würde erklären, warum R höher ist, also die Verbreitung höher ist: weil man häufiger asymptomatisch ist. Das wäre aber zugleich eine kleine gute Nachricht, weil das bedeuten würde, dass diese krankmachende Wirkung abgenommen hat. Dafür gibt es aber noch keine Daten. Aber wenn es häufig bei asymptomatischen/jüngeren Menschen ist, könnte das eine Entwicklung seien, die nicht unbedingt so alarmierend ist.

Das Andere, was es zu bedenken gibt: Die breiten sich letztlich in verschiedenen Subpopulationen aus, die ursprüngliche Variante und diese neue B1.1.7. Daher gilt Folgendes: Subpopulationen unterscheiden sich immer im Verhalten, insbesondere wenn man jüngere Menschen anschaut. Nehmen wir mal an, es wäre so, dass im Moment, ohne dass das eine Präferenz des Virus ist, aber de facto im Moment die Verbreitung von B1.1.7 mehr bei jüngeren Menschen ist. Dann wissen wir, dass die sich tendenziell weniger an die Maßnahmen halten. Bei denen gibt es eine schnellere Verbreitung. Und da könnte allein das Verhalten der Subpopulation, in der sich die Variante ausbreitet, der Grund dafür sein, dass wir diese höhere Ausbreitung sehen. Es muss also nicht unbedingt eine Eigenschaft des Virus selbst sein.

Camillo Schumann:

Und der Blick auf die Mutation ist eine wichtige

Sache, um es besser einschätzen zu können und auch unsere Maßnahmen dementsprechend anpassen zu können.

Bisher – das haben wir ja im Podcast ja auch schon mehrfach gesprochen – spielte die Suche nach Virus-Mutationen in der aktuellen Pandemie eine untergeordnete Rolle. Das soll sich ändern. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die Verordnung zur molekulargenetisches Surveillance des Coronavirus unterschrieben.

41:16

„Mit dieser Verordnung verpflichten wir die Labore, die Sars-Cov-2-Viren zu sequenzieren und ihre Ergebnisse anders Robert-Koch- Institut zu übermitteln. Und wir vergüten die Übermittlung der aufwändig gewonnenen Daten mit 220 Euro pro Sequenz. Auch wer positive Corona-Test-Proben an die Speziallabore übermittelt, bekommt dafür eine Aufwandsentschädigung. Die Menge der so untersuchten Proben richtet sich dabei nach Infektionslage. Grundsätzlich gilt, dass mindestens fünf Prozent aller Positiv-Testungen entsprechend genom-sequenziert werden sollen. Die Analyse des Corona Virus wird also fester Bestandteil der Pandemie- Überwachung.“

42:02

Camillo Schumann:

Jetzt könnte man ketzerisch sagen, kurz vor dem Ende der Pandemie fangen wir an zu sequenzieren. Aber bei allem, was Sie vorangegangen gesagt haben: Ist es jetzt nicht total wichtig, die scharfe Brille aufzusetzen und zu wissen, welchen Umfang die Mutation haben?

Alexander Kekulé:

Ja, es ist richtig, was Sie sagen: mit der Betonung auf „jetzt!“. Es wäre jetzt richtig und wichtig, weil gerade die Entscheidungen der Bundesregierung, die heute anstehen, wo es auch so ist, das in Zukunft noch mal nachgeprüft werden muss, da müsste man wissen: Ist dieses B1.1.7 schon lange im Land? Oder gibt es bereits weitere Varianten, die den gleichen Effekt machen, die sich ähnlich schnell

vermehren? Das ist nicht dramatisch, wie viel schneller sich das vermehrt. Aber ich lese da manchmal so Dinge, dass es sich pro Monat „sechs bis acht Mal schneller sich vermehrt als die ursprünglichen Typen“. Das ist Unsinn. Erstens: sechs bis achtmal schneller pro Monat gibt es schon mal gar nicht, weil die Geschwindigkeit sowieso schon pro Zeit gemessen wird. Es kann höchstens sein, dass man nach einem Monat sechs bis achtmal mehr Fälle hat als in anderen Varianten. Aber das ist nicht der Faktor sechs bis acht, sondern das ist wirklich plus 30 Prozent – nur noch einmal, um dort die Kirche im Dorf zu lassen.

Aber es kann sein, dass weitere dieser Varianten im Umlauf sind. Und das würden wir jetzt gerne wissen, weil das sind nochmal ganz andere Maßnahmen. Stichwort Grenzschließungen: Haben wir schon so viel im Land, dass wir mit einer explosiven Ausbreitung des B1.1.7 rechnen müssen, so wie es in Großbritannien und in Irland passiert ist? Wir wissen, dass da so eine Schwelle interessanterweise im Raum steht. Erst ab ungefähr 0,25 Prozent Anteil der neuen Variante fangen die an, sich so explosionsartig zu vermehren. Vorher können die so ein bisschen mitlaufen. Aber 0,25 Prozent ist nicht viel. Vielleicht haben wir das schon bei uns. Und das hieße, dass wir im Grunde genommen sowieso in der Phase sind, wo diese neue Variante am Start ist. Vielleicht gibt es auch viele weitere. Das heißt, jetzt sofort müssten wir diese Informationen haben. Wenn die Pläne mit der Impfung funktionieren, wenn uns der Sommer wieder hilft und wenn leider auch die natürliche Durchseuchung weiterläuft, würde ich sagen, wenn wir da im Juni/Juli am Start sind, ist es zu spät.

Camillo Schumann:

Aber könnte nicht jedes PCR-Labor diese Sequenzierung vornehmen?

Alexander Kekulé:

Nein, das ist ein großer Unterschied. Die PCR muss man sich so vorstellen. Das wird in der Routinediagnostik fast mit Robotern gemacht. Das sind so Maschinen, da muss man das nur reinladen, auf Start drücken und aufpassen, dass die Maschine keinen Unsinn macht, was

nicht immer ganz einfach ist. Aber das ist absolute Routine.

PCR ist Handwerk und die Sequenzierung ist eine Kunst. Dafür braucht man spezielle Methoden. Wir machen das heutzutage mit einer Methode, die nennen wir das Next Generation Sequencing. Das ist eine Sequenzierungsmethode, bei der Sie mit hoher Geschwindigkeit eine große Zahl von Proben durchschleusen können. Aber da gibt es spezielle Geräte, die teuer sind, spezielles Personal, das sich darum kümmert. Meistens sind es Arbeitsgruppen, die hauptberuflich Sequenzierer sind und das machen. Und das kann nicht jedes Labor, das ist völlig ausgeschlossen. An diese 220 Euro pro Labor kommen in Deutschland nur wenige ran, weil die diese Möglichkeiten nicht haben. Häufig stehen diese Sequenzierer auch nicht in der Virologie direkt, sondern das sind häufig sogenannte Core Facilities an der Uni, also quasi Dienstleistungseinheiten, die das für die ganze Universität machen, wenn man so was mal braucht. Ich sehe also nicht, wie man mit der Hardware, die da ist, auf diese vom Bundesgesundheitsminister genannten fünf Prozent kommen soll. Noch einmal zur Erinnerung: Selbst das Referenzlabor der Bundesrepublik bei Herrn Drosten in der Charité hat ja unter tausend Sequenzen seit Beginn der gesamten Pandemie geliefert. Ich glaube, das hochzufahren ist ein Thema von Personal und von Hardware, die man braucht.

46:17

Camillo Schumann:

Apropos Hardware: In Garmisch, wo eine weitere, noch unbekannte Virus-Variante entdeckt wurde, wurde es mit Hilfe mit eines speziellen Laborgeräts entdeckt. Die sind aber weitergeschickt worden in dieses Labor in der Charité. Das heißt, die Labore sammeln das erst mal ein und dann wird es noch einmal spezieller geprüft. Oder wie muss ich mir das vorstellen?

Alexander Kekulé:

Ja, das ist ein wichtiger Hinweis. Es gibt Labore, die können das fertigmachen und unterschreiben. Aber das muss man sich so vorstellen: Man stellt diese Sequenz von den einzelnen Bausteinen der Erbinformation des

Virus fest. Das sind um die 30.000 Bausteine. Die Maschine liest das durch. Da macht sie beim ersten Lesen meistens ein paar Fehler. Da müssen Sie gucken, wo sind die Fehler. Dann müssen Sie es noch einmal selektiver lesen lassen. Dann müssen Sie Plausibilitätschecks machen, weil ein einziger Austausch eines einzigen Bausteins da drinnen kann dazu führen, dass das Virus hinterher so etwas wie eine Variante ist, zumindest eine Mutation hat. Dann müssen Sie die Mutation belegen. Und bis man am Schluss sagen kann, ja, das ist die Sequenz, die ich rausgekriegt habe, bei der ich sicher bin, dass wirklich jede einzelne Base, wie diese Bausteine heißen, stimmt, das dauert. An einem normalen Forschungslabor, wenn Sie flott sind, brauchen Sie für eine Sequenz eine Woche. Aber da sind Sie schon gut dabei. Nicht so wie wir früher im Labor. Wir hatten eine andere Methode. Da haben wir zwei Monate gebraucht, um 500 zu sequenzieren. Das ist schneller geworden. Aber wie gesagt, es ist eine Spezialtechnik. Und am Schluss zu unterschreiben, dass alles richtig ist, das können meistens nur darauf wirklich spezialisierte Labore, wie z.B. das Referenzlabor für Coronaviren an der Charité in Berlin. Und da wird es in der Regel so laufen, dass die Labore einen Hinweis darauf haben. Und dann schicken sie das nach Berlin, und da geht es noch einmal von vorne los. Die prüfen es noch einmal nach. Und bis man am Schluss sagen darf, jawohl, wir haben da eine deutsche Variante, was weiß ich, wenn Sie Garmisch sagen: „Bavaria 1.1.3“, das dauert eine Weile.

48:24

Camillo Schumann:

Aber die Frage ist, was macht man mit diesen Informationen über die Mutation? Das Vereinigte Königreich hat in der Pandemie umfangreich sequenziert und hat trotzdem fast 90.000 Tote. Also was bringt dieses Wissen? Die Maßnahmen bleiben sowieso dieselben und die Menschen ja auch.

Alexander Kekulé:

Welcher Zustand der Varianten hat überhaupt Einfluss auf unsere Maßnahmen, wie Sie richtig sagen? In UK haben die noch keine Konsequenzen daraus ziehen können, die irgendetwas gebracht hätten. Und da muss

man sagen das ist ein Riesenunterschied. Ich lese zum Teil in der Zeitung „Supervirus ist im Anmarsch“, „Neue Pandemie bricht aus“, die „Pandemie in der Pandemie“. Die G-Variante, die weltweit zirkuliert, ist doch auch in Italien mal neu entstanden und weltweit ausgebrochen. Klar, das wäre schön gewesen, wenn man damals den Deckel draufgemacht hätte und früher erkannt und das verhindert hätte. Das ist nicht passiert. Jetzt ist sie weltweit vorhanden. Und so wird das auch mit diesen neuen Varianten. Vielleicht die 1.1.7 oder eine der vielen anderen, die mit Sicherheit zirkulieren und nicht gefunden wurden. Übrigens könnte die 1.1.7 aus Großbritannien auch von irgendwo auf der Welt stammen, denn in allen anderen Gegenden wird ja nicht richtig geguckt. Vielleicht kommt sie aus Garmisch. Keine Ahnung, ist ein Spaß gewesen. Ich glaube nicht, dass sie aus Garmisch kommt. Aber es ist durchaus möglich, dass das irgendwo anders aus der Welt zum ersten Mal wirklich aufgetreten ist. Übrigens genauso wie die norditalienische damals, die sich in Norditalien massiv vermehrt hat. Wir haben einzelne Belege, dass die vorher schon mal hier und da aufgetaucht ist. So wird jetzt wieder sein. Und die Frage ist, wo kann man Maßnahmen ergreifen? Ich glaube, dass diese Variante auf keinen Fall ein Grund dafür sein darf, dass wir in Aktionismus verfallen. Dass wir Maßnahmen verschärfen, ohne dass wir einen konkreten Beleg dafür haben, dass das etwas bringt. Und wir haben ja eine Reihe von offenen Baustellen in Deutschland, über die wir gesprochen haben: Altersheime usw. Diese Baustellen jetzt endlich fertig zu machen, dafür ist die neue Variante eine Herausforderung und noch mal ein Appell. Und es ist leider so, dass man in dem Moment, wo man noch nicht genau weiß, was die bewirken wird, ein ungünstiger Moment ist, um von der Bremse zu gehen bei dem Lockdown. Aber neue Maßnahmen kann man auf der Basis, dass man irgendwelche Varianten sequenziert hat, nicht empfehlen.

50:47

Camillo Schumann:

Wir müssen noch über Impfung reden. An dieser Stelle sei auch die Seite www.impfdashboard.de empfohlen, eine gute

Übersicht des Robert-Koch-Instituts und des Bundesgesundheitsministeriums. Dort steht der aktuelle Stand der Impfung. Abgebildet ist auch, wer geimpft wurde. 1,2 Millionen Impfdosen wurden bisher verabreicht und 6.500 Menschen davon haben sogar schon die 2. Impfung erhalten. Fast 50 Prozent der Impfungen gingen an Menschen, die in Gesundheits- und Pflegeberufen arbeiten.

34 Prozent an Pflegeheimbewohner*innen, 24 Prozent an ältere Menschen. Auch wenn Biontech/Pfizer nun angekündigt haben, in den nächsten Wochen weniger Dosen liefern zu können als angekündigt. Wie bewerten Sie den aktuellen Impfstand?

Alexander Kekulé:

Ich bin ja überhaupt nicht auf der Seite derer, die sich da beschweren. Das ist eine riesige logistische Aktion. Das war völlig klar von Anfang an, dass da, wo gehobelt wird, Späne fliegen. Und wenn man das vergleicht mit anderen Impfstoffen, wo es monatelang Ausfälle gab, weil irgendein Reaktor bakteriell verseucht war oder Ähnliches, da läuft das doch super im Vergleich damit. Und 1,2 Millionen Geimpfte in Deutschland ist doch kein Grund, um sich aufzuregen. Ich glaube, da soll man die Leute mal machen lassen. Wir haben da meines Wissens fast 400 Zentren, die bereit wären dazu. Wir haben mobile Trupps, die das machen. Wir sind ja nicht das amerikanische Militär, das das mit perfekter Logistik hinkriegt. Aber dass wir überhaupt Impfstoff haben, ist gut. Wir hätten möglicherweise mehr bekommen können, wenn auch an dieser Stelle die Berater der Europäischen Kommission gesagt hätten, dass man mehr von den RNA-Impfstoffen bestellen soll. Aber es ist halt im Moment so, wie es ist. Und ich finde, das ist eine gute Bilanz:

1,2 Millionen. Wir schreiben den 19. Januar!

52:40

Camillo Schumann.

Nach Impfungen kann es immer mal wieder auch zu Todesfällen kommen. Die Impf- Sicherheit überwacht akribisch in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut. Und am aktuellen Sicherheitsbericht vom 13. Januar wurde von

sieben Todesfällen berichtet. Das bezog sich auf Impfung bis zum 10. Januar. Da waren so 610.000 geimpft worden. Und die Patienten waren im Alter von 79 bis 93 Jahren, und sie starben in einem zeitlichen Abstand von zweieinhalb Stunden bis vier Tagen nach der Impfung. Und alle Patienten hatten schwerwiegende Vorerkrankungen, z.B. Karzinome, Niereninsuffizienz, Demenz etc.. Also gerade die Alten mit schweren Vorerkrankungen haben das höchste Risiko für diese Impfungen.

53:18

Alexander Kekulé:

Das ist eine Koinzidenz erstmal. Und die Kausalität ist – das ist bei all diesen Statistiken immer das Problem – eine ganz andere Baustelle. Bei den Impfstoffen wie bei allen Medikamenten, speziell wenn es experimentelle Impfstoffe sind bzw. Impfstoffe mit einer Notfallzulassung, da muss man alles dokumentieren, was im zeitlichen Zusammenhang passiert. Und wenn jemand offensichtlich aus einem anderen Grund stirbt und das aber drei Stunden später, wird es erstmal dokumentiert für alle Fälle, um zu sehen, ob es ähnliche Sachen woanders gab. Und wenn sich das merkwürdig häuft, greift das Paul-Ehrlich-Institut oder auch die europäische Arzneimittelbehörde irgendwann ein. Das heißt überhaupt nicht, dass da ein kausaler Zusammenhang bestehen muss.

54:01

Camillo Schumann:

Aber gerade diese Gruppe der Alten mit vielen Vorerkrankungen waren ja nicht Teil der Studien. Deswegen ist diese Verbindung ja zu machen, oder nicht?

Alexander Kekulé:

Deshalb ist es extrem wichtig, sich das anzuschauen. Das ist völlig richtig, da wird weltweit genau hingeguckt. Das ist ja das Wesen der Notfallzulassung, dass man die Zulassung erteilt aufgrund nicht vollständiger Daten. Das ist ja zum Teil anders kommuniziert worden. Aber es ist wirklich so, dass es eine

Notfallzulassung ist und einige Daten erst später erhoben werden, z.B. bei solchen besonders Hochaltrigen mit Vorerkrankungen. Das wird später komplettiert. Und dann schaut man sich diese Daten an in der Post Marketing Surveillance, also in der weiteren Überwachung. Manche sagen auch Phase-4- Studie dazu. Da wird das genau angeschaut und ausgewertet. Und die Daten, die ich soweit kenne, auch aus den USA, da sind ja inzwischen über 10 Millionen Menschen geimpft worden mit den RNA-Impfstoffen, da ist kein Hinweis bisher darauf, dass es einen kausalen Zusammenhang im engeren Sinne gibt.

Camillo Schumann:

Da schlägt Norwegen bisschen raus. In Norwegen ist die Todesrate deutlich höher unter den bisher nur 42.000 Geimpften gab es insgesamt 23 Todesopfer. Die Berichte legen nahe, dass häufige Nebenwirkung von mRNA- Impfstoffen wie Fieber und Übelkeit bei einigen gebrechlichen Patienten zu einem tödlichen Ausgang beigetragen haben könnten. So wird Sigurd Hortemo, Chefarzt der norwegischen Arzneimittelbehörde, zitiert.

Können Sie sich diese hohe Todesrate erklären?

Alexander Kekulé:

Ja, das ist im weltweiten Vergleich ein Ausreißer, muss man sagen. Ich kann mir das nicht erklären. 23 Tote bei 42.000 Geimpften. Selbst wenn man sagt, Alte sterben sowieso irgendwann und das kann zufällig auch mal nach der Impfung sein – das soll jetzt nicht despektierlich sein, aber aus statistischer Sicht ist es so – Also selbst wenn man sich das so anschaut, ist es so, dass das nicht zusammenpassen würde. Die Vermutung ist ernst, die von den Norwegern geäußert wird. Und man muss dazu sagen, Norwegen ist ein Land, was hervorragende Statistiker hat, hervorragende Epidemiologen hat, die in vielen internationalen Studien auch führend dabei waren. Das heißt, man muss das ernst nehmen, was sie da festgestellt haben. Und auch welche Schlussfolgerungen sie ziehen. Es

ist ja ein gewünschter Effekt des Impfstoffs, gar nicht mal so in dem Sinne Nebenwirkung, dass es zu der sogenannten Impfreaktion kommt: Schwellung, Rötung, manchmal Schmerzen, manchmal ein bisschen Müdigkeit, und was es so alles gibt. Manche haben Gliederschmerzen, vielleicht bis hin zu Schlafstörungen und so. Das gibt's ja alles. Eltern, die ihre Kinder gelegentlich zum Impfen bringen, die kennen das. Und da sagt der Kinderarzt immer: Impfreaktion. Das, was beim Kind dazu führt, dass es drei Tage nachts schlecht schläft und viel schreit, kann der gleiche Effekt sein. Also diese starke Stimulierung des Immunsystems kann bei einem Hochaltrigen, der zusätzlich vielleicht ein paar schwere Grunderkrankungen hatte, der letzte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das ist nicht auszuschließen. Das kann man sich so vorstellen. Das Immunsystem soll ja trainiert werden durch die Impfungen. Stellen Sie sich vor, Sie würden einem Alten irgendwie zwei 10-Kilo-Gewichte geben und sagen: Trainier mal damit, weil es gut ist, starke Muskeln zu haben. Dann haben sie eine faire Chance, dass die einen Herzinfarkt bekommen und sich überanstrengen. Und das ist nicht auszuschließen. So wie die Norweger das als Verdacht in den Raum stellen, ist das auch so eine Art Überanstrengung der Immunantwort. Der Impfstoff, das muss man sagen – die RNA- Impfstoffe sind – dafür, dass da kein Wirkungsverstärker dabei ist, kein Adjuvans – ganz schön „reaktorgen“ wie wir sagen. Also die machen eine relativ starke Impfreaktionen. Viele Fachleute sind auch überrascht, dass die so stark ist. Aber im Sinne des gewünschten Zwecks ist das eine gute Impfreaktion, denn sonst würden sie nicht auf diese 95 Prozent Wirksamkeit kommen.

57:55

Camillo Schumann:

Auch in Norwegen waren die Menschen, die gestorben sind, hochaltrig, hatten Vorerkrankungen, nun also dieser Ausreißer, der im Moment noch nicht erklärbar ist. Da könnte man ja mal fragen – weil sie gerade

gesagt haben, Norwegen hat eine gute Statistik, die schauen da gut drauf –: Schauen die besonders gut drauf und wir vielleicht nicht? Da wird man so ein bisschen unruhig.

Alexander Kekulé:

Naja, das Paul-Ehrlich-Institut hat auch international einen hervorragenden Ruf. Ich erwarte hier die beste Arbeit von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Die sind ein bisschen kalt erwischt worden von dieser Pandemie. Die waren ja in London und mussten im Zusammenhang mit dem Brexit nach Amsterdam umziehen. Da ist vieles erst im Entstehen, einiges Personal ist noch in London geblieben leider. Und was die machen müssen, ist, schnell den europäischen Vergleich herzustellen. Norwegen ist ja kein EU-Mitglied, und deshalb sind die Daten von dort quasi über Bande gespielt. Da muss die EMA im Grunde genommen als europäische Behörde da europaweit die Daten zusammenziehen. Selbst wenn wir in Deutschland 1,2 Millionen Impfungen haben, brauchen wir da eine größere Stichprobe, vor allem bei den Alten. Es ist ungefähr die Hälfte der Geimpften wohl aus dem medizinischen Bereich und die andere Hälfte gehört zur Risikogruppe, Alte und andere mit schweren Vorerkrankungen. Und man müsste mal gucken, wie viele haben wir, die wirklich hochaltrig mit schweren Vorerkrankungen waren? Gab es da vielleicht in Norwegen irgendetwas, wo wir das näher eingrenzen können? Und das muss man ruckzuck machen. Vor allem, um die Bevölkerung nicht zu verunsichern in Deutschland und anderen EU- Staaten. Ich selber sage jedem, der über 80 ist: Lass dich impfen, und zwar so schnell du es kriegen kannst. Aber diese Empfehlung ist gekoppelt an die Überzeugung, dass es keine schweren Nebenwirkungen gibt. Und wenn die Norweger andere Daten haben, muss man da schnell sein, um das zu klären.

01:00:00

Camillo Schumann:

Wenn es belastbare Daten für Europa gibt,

erfahren Sie es im Podcast. Damit sind wir bei den Hörerfragen. Dieser Herr hat angerufen:

01:00:08

„Mich würde interessieren, ob es zwingend erforderlich ist, dass beide Impfung vom gleichen Hersteller kommen, oder ob es auch möglich wäre, z.B. diesen günstigeren Impfstoff aus Skandinavien zu nehmen und bei der 2. Impfung den teureren, oder ob es da Kreuzreaktionen gibt. Und meine 2. Frage wäre: Warum wird in den Oberarm geimpft? Ist es zwingend erforderlich, oder gibt es an sich bessere Stellen, wo die Wirkung besser wäre?“

Camillo Schumann:

Vielleicht erst mal die letzte Frage: Warum Oberarm?

Alexander Kekulé:

Das muss ich aus dem Stand sagen, das ist bei mir echt lange her, dass mir das einer erklärt hat. Es ist so: Beim Erwachsenen ist der Oberarm ein gut zugänglicher Muskel, in den man gut injizieren kann, den man gut greifen kann, den man letztlich sieht. Und da ist nach meiner Erinnerung auch einer der Gründe dafür, dass man gesehen hat, dass dort die Immunisierung relativ gut ist. Es gibt andere Muskeln – das hängt wahrscheinlich mit der Durchblutung zusammen oder solchen Dingen, das kann ich nicht beurteilen, wo die Immunisierung nicht so gut ist. Das ist aber etwas, was mir damals im Studium jemand erklärt hat. Ob das heute noch State of the Art ist, weiß ich nicht. Das Zweite, was ich weiß, ist, dass die Impfung bei Kindern in den Oberschenkel gemacht wird, weil da der Muskel größer ist. Also nimmt man eher den großen Muskel. Das ist wichtiger Grund bei allen Injektionsstellen, die man sich so überlegt. Da gab es in der Historie auch immer mal wieder Änderungen. Früher hat man ja in den Po geimpft, wenn man sich daran erinnert. Das war ja so der Klassiker. Bei allen Injektionsstellen ist es so, dass man aufpassen muss, wenn viele Menschen das machen, auch zum Teil nur unter ärztlicher Anleitung, ohne große medizinische Ausbildung, dann stechen

die auch mal in eine Ader oder in einen Nerv. Und da hat sich im Lauf der Zeit herausgemendelt, dass beim Erwachsenen die Injektion in den Oberarm wirksam ist. Man kommt gut dran, und es gibt besonders wenige Nebenwirkungen im Sinne von punktierten Gefäßen und punktierten Nerven.

Camillo Schumann:

Und die Frage Impfung mit zwei Impfstoffen. Die erste Impfung mit dem einen und die zweite Impfung mit dem anderen.

Alexander Kekulé:

Mit dem mit dem skandinavischen Impfstoffhersteller war wahrscheinlich AstraZeneca gemeint, also das Oxford AstraZeneca-Produkt, der ein Vektor-Impfstoff ist. Also nach Empfehlung der Ständigen Impfkommission Stiko, an die ich mich wirklich halten würde, weil die sich Gedanken darüber machen... Da gibt es kein Wenn und Aber. Man soll den Impfstoff im Moment nicht wechseln. Aber das ist eine Empfehlung. Was würde man machen, wenn man den anderen z.B. überhaupt nicht mehr bekommt, weil er nicht geliefert wird oder Ähnliches? Da wird man sicher noch mal drüber nachdenken. Für diesen Extremfall, dass der Impfstoff ausgefallen ist, mit dem man die zweite Dosis bräuchte, wäre es aus meiner Sicht die erste Option zu sagen: bis zu drei Monaten kann man warten, wenn man nicht zur Hochrisikogruppe im hohen Alter gehört. Also erst mal abwarten. Sie wissen, muss ich dazusagen – da unterscheide ich mich von der Empfehlung der Stiko und auch von der Empfehlung der US-Behörde, die sagt, man darf nicht länger abwarten. Das Vereinigte Königreich hat sich dafür entschieden, dass man länger abwarten darf. Und die zweite Option wäre für mich ein Wechsel. Da können Sie z.B. von Biontech auf Moderna wechseln. Die sind so ähnlich die Impfstoffe, dass ich wirklich keinen Grund sehe, sie im Notfall nicht zu wechseln. Notfall heißt, man kriegt nichts anders. Aus Kostengründen würde ich auf keinen Fall wechseln.

1:03:42

Camillo Schumann:

Damit sind wir wieder am Ende mit Kekulés Corona-Kompass. Wir haben uns wieder verplaudert, Herr Kekulé. Ich könnte ja immer bis abends reden. Aber dann hört uns keiner mehr zu, habe ich zumindest den Eindruck.

1:03:52

Alexander Kekulé:

Das ist das Problem, wenn Sie jemanden fragen, der mit Begeisterung bei der Sache ist. Ich könnte Ihnen stundenlang etwas über Viren erzählen, über Impfstoffe usw. Meine Studenten schimpfen auch immer, dass die Vorlesungen zu lange dauern. Da müssen Sie mich bremsen, wenn ich mich ins Thema verliere.

Camillo Schumann:

Okay, dann sprechen wir uns am Donnerstag wieder zur Ausgabe #141. Vielen Dank und bis dahin.

Alexander Kekulé:

Bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter

0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



Samstag, 16.01.2021 #139: Hörerfragen SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Links:

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Epi dBull/Archiv/2021/Ausgaben/02_21.pdf?_ _blob=publicationFile

Camillo Schumann:

Fast 1 Million Impfung, viele Neuinfektionen, hohe Dunkelziffern – müssten wir nicht langsam Herden-Immunität haben? Sind Blutverdünner ein Problem bei der Impfung?

Das Virus will doch leben, wieso sterben Menschen daran? Erhöht die Antibabypille die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs?

Und: Soll man aktuell nach Südafrika reisen?

Damit herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass – Hörerfragen SPEZIAL nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen wie immer von dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo Herr Schumann, Frau S. aus Gotha hat gemailt:

„Lieber Herr Kekulé, ich bin 85 Jahre alt und nehme seit zwei Jahren den Blutverdünner Eliquis. Könnten dadurch Probleme bei der Corona-Impfung entstehen. Ich habe mir im Internet gelesen, dass der Corona-Impfstoff sehr tief in den Muskel gespritzt werden muss. Nun bin ich etwas verunsichert. Bei der

jährlichen Grippeschutzimpfung durch meinen Hausarzt hat es jedenfalls noch nie Komplikationen geg. Vielen Dank und viele Grüße.“

3 [0:01:08]:

Alexander Kekulé:

Ja, es ist richtig, diese Impfung wird in den Muskel verabreicht. Da muss man aufpassen, dass man die nicht aus Versehen nur unter die Haut oder sogar in eine Vene spritzt.

Wir wissen von vielen anderen Impfungen, dass diese Blutverdünner – ob das Eliquis oder Marko Mar ist, was man früher viel gegeben hat –, kein zusätzliches Risiko bedeuten. Das heißt, es kann sein, dass es etwas länger da- nach blutet. Aber das ist dann keine Kontra- indikation, wie wir sagen. Und es steht auch klar in den Empfehlungen, dass man auch bei Menschen, die unter Blutverdünnung stehen – insofern keine weiteren genetischen Risiken bestehen – man diese intramuskuläre Injektion machen kann.

[0:01:49]:

Camillo Schumann:

Weil Sie gerade den Muskel angesprochen haben: Ich habe auf einem Foto gesehen, da hat bei einer Impfung die Ärztin oder der Arzt so eine Hautfalte gemacht am Oberarm und die Impfung da reingejagt. Trift man bei dieser Hautfalte überhaupt den Muskel?

[0:02:06]:

Alexander Kekulé:

Wenn Sie da eine Hautfalte gesehen haben, ist das falsch gemacht worden. Das wäre die intradermale Injektion, in die Haut. Das macht man bei Blutverdünnern – dieses Heparin, was vielleicht einige kennen – wird so gespritzt. Und man muss nicht mit zwei Fingern eine Hautfalte heben, sondern man spannt eigentlich die Haut mit der breiten Hand. Und man drückt den Muskel ein bisschen zusammen, damit der sich nach vorne wölbt. Das muss man nicht so machen, aber machen einige. Und möglicherweise haben Sie das gesehen. Aber wenn es wirklich eine Hautfalte

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war, dann ist das auf dem Bild falsch gewesen. Ich kann Ihnen sagen: Ich als Fachmann schaue da anders hin. Ich gucke auch manchmal entsetzt, wie man im Fernsehen sieht, wie die Leute diese Nasen-Rachen-Abstriche machen. Der eine oder andere bohrt da diesen Tupfer senkrecht in Augenrichtung, so wie man mit dem Finger in der Nase bohren würde, was natürlich keiner macht. Aber da sieht man schon an der Stoßrichtung, dass das komplett falsch ist. Und so was wird auch noch im Fernsehen gezeigt. Mag sein, dass das vielleicht bei der Demonstration schiefgegangen ist. Aber ich gehe mal davon aus, dass die Leute, die in unseren Impfzentren das machen, da von Ärzten vorher angelernt wurden und deshalb wissen, wie es geht.

[0:03:20]:

Camillo Schumann:

Herr S. hat eine Mail geschrieben. Er schreibt:

„Ich beabsichtige, mit meiner Familie, zwei Kleinkinder, im März vier Wochen in Südafrika zu verbringen, zwei Wochen in Kapstadt und zwei Wochen an der Garden Route. Wir wohnen in Mietshäusern und ab und zu in kleinen Lodges, maximal 20 Gäste. Wie ist Ihre Risikoeinschätzung bezüglich: ärztlicher Ver- sorgung, Ansteckungsgefahr mit der Mutation und Gefährlichkeit für ein kleines Baby, ein Kleinkind und zwei Erwachsene?“

Danke für Ihre Einschätzung, Herr Schmitz.

Herr Kekulé, bevor Sie antworten, lassen wir mal kurz Professor Wieler, Präsident des RKI, zu Wort kommen. Denn der hat sich in dieser Woche exakt dazu geäußert, nämlich zu Fernreisen, speziell nach Südafrika.

[0:04:03]:

„Wer nicht reisen muss, der soll auch nicht un- bedingt reisen. Denn diese Varianten werden durch Reisen, auch durch Mobilität schneller verbreitet.“

[0:04:11]: Und das Auswärtige Amt warnt derzeit vor nicht notwendigen touristischen Reisen nach

Südafrika. Südafrika ist von Covid19 besonders stark betroffen, ist da zu lesen. Zahlreiche Regionen des Landes wurden als Hotspots definiert, u.a. auch die Garden Route.

Jetzt, Herr Kekulé!

[0:04:28]:

Alexander Kekulé:

Ja, da kann man schon auch etwas dazu sagen. Die Warnungen des Auswärtigen Amts basieren auf einer Einschätzung, die erstens die Häufigkeit der Infektionen dort berück- sichtigt und zweitens die Möglichkeiten, in dem Land zu testen. Auch wenn manche Länder scheinbar wenig Fälle haben, dann aber oft deshalb, weil sie kaum testen. Und so ein bisschen fließt auch die Frage ein, ob das ein Land ist, wo man im Zweifelsfall medizinisch gut versorgt wäre. Das ist aber eher weit hinten.

Die Mutation hat mit diesen Warnungen nichts zu tun. Die Warnung des Auswärtigen Amts haben nichts mit der Mutation zu tun. Und Herr Wieler hat eigentlich das richtig gesagt, aber man muss auch genau hinhören, was er gesagt hat. Er hat nicht gesagt: Oh, da ist eine Mutation, deshalb dürft ihr nicht mehr da hin- fahren. Vielmehr geht es darum: Wenn man dort ist und sich infiziert und das nicht be- merkt, oder obwohl man es bemerkt, vielleicht trotzdem frech wieder in den Flieger zurück- steigt und die Krankheit, diese Mutanten nach Deutschland einschleppt, kriegen wir hier schnell die Mutanten, die wir nicht haben wollen, aus verschiedenen Gründen. Und des- halb sagt er: lieber nicht machen, wenn es nicht notwendig ist. Dieses Risiko, was ja eigentlich relativ konkret ist, kann man auch spezifisch dadurch bekämpfen, verhindern, sogar ausschließen, indem man, wenn man zurückkommt, brav die 14 Tage Quarantäne einhält. Das heißt, durch die Maßnahmen, die sowieso schon angeordnet sind: Rückkehr aus dem Risikoland heißt Quarantäne – durch diese Maßnahmen kann man auch die Mutante verhindern. Und das ist mir wichtig zu sagen. Leider geht es durch alle politischen Kreise durch, auch Fachleute und Kollegen von mir machen das, das sehe ich, wenn ich täglich den Fernseher anmache. Da gibt es zwei ver-

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schiedene Positionen. Die eine Position ist die, dass man sagt, da ist eine Mutante unterwegs, und deshalb müssen wir einen härteren Lockdown machen. Zusätzliche Maßnahmen machen das, was wir schon immer gemacht haben, noch verschärfter machen. Und es gibt die Gegenposition, die ich ja hier formuliert habe: und die heißt: Diese Mutante ist zwar ein bisschen infektiöser, aber das spielt nur epidemiologisch eine Rolle. Die Mutanten werden die Varianten des Virus langsam überholen in der nächsten Zeit. Das wird stattfinden. Genauso wie bei der Mutation, die in Italien damals aufgetreten ist, die G- Variante, die weltweit verbreitet ist – wo übrigens kein Hahn danach gekräht hat da- mals. Da hatte ich ja vorgeschlagen, dass man die Grenzen zumacht nach Italien. Und es ist so, dass man da vorsichtig ist. Man will die Mutanten nicht im Land haben. Das ist richtig, solange man es überhaupt verhindern kann. Das wird sich nicht lange durchhalten lassen. Aber bitte, das ist kein Grund zur Panik. Diese Mutanten machen genau das Gleiche. Die sind durch die gleichen Methoden vermeidbar. Die Infektion ist genauso vermeidbar, und man muss nicht wegen einer Mutante härtere Lockdown-Maßnahmen ergreifen oder eine andere Maske aufsetzen. Da gilt genau das Gleiche. Man muss die Dinge, die wir sowieso schon zu wenig gemacht haben, jetzt gründlicher durchführen. Wir haben in der letzten Folge des Podcasts darüber ges- prochen. Man muss konsequenter durchziehen, aber nicht in Panik verfallen, weil da eine neue Variante unterwegs ist.

[0:07:46]:

Camillo Schumann:

Außerdem gibt es ja, um noch einmal auf die Reise nach Südafrika zurückzukommen, eine Testpflicht für alle Reiserückkehrer aus Risiko- gebieten und da, wo die Inzidenz sehr hoch ist. Und man muss sich vorher online anmelden mindestens. Das müsste die Familie S. machen, wenn sie aus Südafrika zurückkehrt. Um noch einmal kurz auf die Frage zurückzukommen: ärztliche Versorgung, Ansteckungsgefahr und Infektionsgefährlichkeit fürs Baby, fünf Monate Kleinkind und die sehr gesunden Erwachsenen.

Können Sie da so eine zusammenfassende Antwort geben? [0:08:15]:

Alexander Kekulé:

Es ist so, dass ich grundsätzlich – die Frage kriege ich oft –, dann sage ich, wenn das aus irgendwelchen Gründen als notwendige Reise erachtet wird, das muss jeder selber wissen, was notwendig ist, gibt es keinen Grund, nicht hinzufahren. Man muss nur dort wirklich konsequent verhindern, dass man sich ansteckt. Noch konsequenter als bei uns. Aber ich bin ja wirklich auf dem Standpunkt: Virus- ansteckungen kann man vermeiden. Da muss man sich richtig verhalten. Ich erinnere mich an die Ebola-Einsätze in Westafrika bei „Ärzte ohne Grenzen“. Da haben sich, obwohl da ein extrem hohes Risiko ist und war, nach meiner Erinnerung insgesamt vier Mitarbeiter ange- steckt. Das ist wirklich eine enorme Leistung, und das ist möglich. Aber man muss das halt auch knallhart durchziehen, keine Lücken lassen. Und man muss auch wissen: In Süd- afrika ist die medizinische Versorgung in der Regel schlechter als bei uns. Es gibt einige her- vorragende Krankenhäuser. Das in Kapstadt ist ja weltberühmt, aber da müssen sie einen Freund haben, der Arzt ist, um reinzukommen. Das ist nicht so was, was so einfach funktioniert, dass Sie dem Sanitäter sagen, bringen Sie mich bitte da hin. Und deshalb müssen sie damit rechnen, wenn sie wirklich einen Fehler machen, ist das ein Drahtseilakt, denn dann werden Sie unter Umständen medizinisch viel schlechter versorgt als bei uns. Und dieses Risiko ist der Teil, den man sich selber überlegen muss: Nehme ich das in Kauf, ja oder nein, habe ich das im Griff, ja oder nein. Und wenn Sie sagen, jawohl, das habe ich im Griff und wenn ich krank werde, bin ich jung, und das Risiko nehme ich auch noch in Kauf, wenn ich mich infiziere, kann man das meines Erachtens machen mit der Einschränk- ung von Herrn Wieler, dass man, wenn man zurückkommt, das Virus bitte nicht mitbringt.

Camillo Schumann:

Herr B. hat angerufen. Er hat eine grundsätzliche Frage zum Virus:

[0:10:10]:

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„Ein Virus ist ein atomares Material, kein lebendiges wie eine Bakterie. Und ein Virus will ja immer überleben. Und wenn es sich in die Zelle einnistet, möchte das Virus ja überleben. Und da das Virus überleben möchte, möchte es auch, dass der Körper insgesamt gesehen überlebt. Und das widerspricht irgendwie so ein bisschen der These, dass man ja auch an dem Virus, aber auch an vielen anderen Viren, ver- sterben kann. Können Sie da vielleicht auch mal etwas grundsätzlich zu sagen? Vielen Dank.“

[0:10:42]:

Alexander Kekulé:

Virologen diskutieren so etwas immer gerne. Ja, das Virus ist tot, darum „will“ es ja eigent- lich nichts. Aber aus genetischen oder aus phylogenetischen Gründen und entwicklungs- geschichtlichen Gründen ist es so, dass die Viren nur bestehen können, wenn sie sich vermehren. Und deshalb ist es nicht „im Interesse“ eines Virus, den Wirtsorganismus sofort zu töten. Drum sind ja auch Viren wie Ebola relativ leicht bekämpfbar. Und alle Viren, die man in dem Sinne des Hörers als „kluge Viren“ bezeichnen würde, die sich angepasst haben an den Menschen, haben sich immerhin in der Weise angepasst, dass sie weniger schwere Krankheiten verursachen, aber dafür leichter übertragbar sind. Die Weltmeister sind dabei die Schnupfenviren. Das Schnupfenvirus macht eigentlich nichts Schlimmes. Aber es kitzelt einen schön gemein in der Nase. Vorher produziert es noch richtig viel Schleim mit vielen Viren drinnen. Und man macht Hatschi und kann locker über zwei Meter Abstand jemand anders damit infizieren. Darum sind die ja auch so erfolgreich. Und obendrein sind die Schnupfenviren „doppelt intelligent“ – wenn man das so spaßig sagen darf. Weil sie so eine harmlose Krankheit machen, will ja keiner richtig viel Geld für die Forschung ausgeben. Anders als bei Ebola. Das Ebola-Virus hat es ja komplett übertrieben mit dem Ausbruch in Westafrika 2014/2015, wo das so schlimm zugeschlagen hat, dass die Weltgemeinschaft plötzlich angefangen hat, sich um einen Exoten-Virus zu kümmern, mit der Folge, dass es jetzt einen guten Impfstoff dagegen gibt. Und deshalb ist es für ein Virus eigentlich klug,

eine harmlose Krankheit zu machen. Da forscht keiner dran, damit kann man möglichst viele anstecken und bleibt über Jahrtausende Be- gleiter des Menschen. Das Coronavirus, um das es aktuell geht, das geht ja in die Richtung. Diese Mutanten, die höher infektiös sind, bei denen müsste es wirklich mit dem Teufel zu- gehen, wenn die nicht zunehmend auch weniger schwere Erkrankungen machen, zumindest bei der Weltpopulation, die so nach und nach mal Kontakt hatte mit dem Virus oder mit dem Impfstoff. Da bin ich eigentlich sicher, dass es in den nächsten Jahren so sein wird, dass genau die Varianten dieses Sars- Cov-2 ansteckender sein werden. Aber, wie gesagt, das macht bei den Gegenmaßnahmen keinen Unterschied. Aber sie werden zugleich weniger schwere Erkrankungen verursachen. Und vielleicht kann man noch eins dazu sagen: Interessant ist immer zu beobachten, was die Viren bei Menschen machen, die noch ein frisches Immunsystem haben, bei jungen Menschen, Kindern. Und da ist es überall so, dass die Erkrankungen nicht so schwer verlauf- en, sondern wenn man das früh abkriegt, ist man relativ schnell immun ohne schwere Folgen. Das ist ja bei den Masern typisch. Bei einem Kind, das an Masern erkrankt, ist es in der Regel – klar, das ist eine unangenehme Krankheit –, aber statistisch gesehen sterben da nicht so viele Kinder dran. Und bei Bevölker- ungen, die an die Masern gewöhnt sind wie wir in Europa – wir sind ja entweder durch Impf- ungen oder früher auch durch durchgemachte Erkrankungen immun –, da schlagen diese Viren nicht so schlimm zu. Die können nur so gnadenlos zuschlagen, wenn sie in eine „immunologisch naive“ Bevölkerung kommen. Und das hat es Sars-CoV-2 Jahr gemacht. Das ist ja komplett neu gewesen. Deshalb waren die Immunsysteme der Menschen weltweit nicht darauf vorbereitet. Aber unsere Gegen- wehr wird dazu führen, dass dieses Virus letzt- lich vom gefährlichen Raubtier zu einer Art Haustier wird.

[0:14:16]:

Camillo Schumann:

Wollen wir es hoffen. Eine Mail von Matthias aus Würzburg:

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„Das Robert-Koch-Institut zählte seit Beginn der Pandemie knapp 2 Millionen nachge- wiesene Infektion mit Sars-CoV-2 in Deutsch- land. Wir haben eine konstant hohe Zahl an Neuinfektionen, diese Woche bis zu 25.000, dazu eine hohe Dunkelziffer, die zwischen 5- und 10-mal höher liegt. Und wir haben fast 1 Million geimpfte Menschen. Wenn man das alles so zusammenrechnet, dürfen wir doch langsam eine Herdenimmunität haben, oder? Viele Grüße.“

[0:14:43]:

Alexander Kekulé:

Ja, das halte ich auch für wahrscheinlich. Da kann man noch einmal daran erinnern, dass ich eine abweichende Meinung habe. Das tut mir leid, aber ich muss das als Wissenschaftler dazusagen, wenn ich eine Position habe, die von der offiziellen RKI-Position abweicht. Und zwar wird ja immer gesagt, wir brauchen 60 bis 70 Prozent Geimpfte oder anderweitig Immunisierte, Infizierte, um Herdenimmunität zu erreichen. Dem widerspreche ich. Es ist auch so, dass es da zahlreiche Studien darüber gibt, die sagen, dass das so nicht stimmt. Denn man muss davon ausgehen, dass es um die sozial aktiven Gruppen geht. Oder nennen wir es mal so: In der heutigen Situation, da haben wir einen Lockdown über weite Zeiten gehabt, da geht es um die Gruppen, die – aus welchen Gründen auch immer – immer noch das Virus weitergeben, obwohl Maßnahmen ergriffen wurden. Und diese Gruppen sind nicht jeder. Ich schätze, es handelt sich wahrscheinlich um zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung, um die es dabei geht. Und bei dieser Teil-Bevölkerung tritt genau das ein durch die vielen Neuinfekt- ionen bzw. vielleicht auch durch Impfungen - aber ich glaube, das betrifft beides: die Menschen in den Altenheimen werden ja geimpft und sind zugleich ein Hotspot für die Infektionen – bei diesem Teil der Bevölkerung kommt es nicht zu Herden-Immunität, aber zu einem partiellen Herdenschutz. Und dadurch – bin ich ziemlich sicher – werden wir eine Ab- nahme wieder der Neuinfektionen haben. Zumindest war das ein Teil des Effekts, den wir bei der ersten Welle hatten. Da waren diejenigen, die für die Weitergabe des Virus besonders verantwortlich waren, teilweise

schon immunisiert. Und dieser Herdenschutz passiert deshalb nicht erst bei 60-70 Prozent – rein rechnerisch wären es bei R = 3 dann 66,7 Prozent –, sondern es passiert schon viel früher. Es gibt Veröffentlichungen, die zeigen, dass das zwischen 40 und 50 Prozent Geimpfte oder Immunisierte – bezogen auf die Gesamtbevölkerung – schon losgeht.

Camillo Schumann:

Und was meinen Sie so über den Daumen gepeilt?

Alexander Kekulé:

Wir haben ja hier mehrere Dynamiken. Das Wichtigste ist, dass wir fragen, was für Gegen- maßnahmen wir machen. Und die Gegenmaß- nahmen sind ja bis relativ hart, aber teilweise unwirksam. Und das ist eigentlich das Schlechteste, was man machen kann. Am besten ist, wenn man faul ist und das intelligent macht. Ein intelligenter Fauler, der nur das macht, was unbedingt notwendig ist, den mag ich auch bei den Studenten am liebsten. Und es gibt es die die absolute Gegenposition. Das ist derjenige, der Unsinn macht. Aber den mit Verve. Und das ist im Moment so, wie wenn man mit wahnsinnigem Dampf irgendwie schon wieder da nach den Mutanten schreit und sagt, wir müssen noch mehr Lockdown machen. Und ich weiß, dass sich nächste Woche die Bundeskanzlerin wieder mit den Ministerpräsidenten trifft. Man darf da nicht seinen eigenen Blutdruck so hochfahren, dass man sagt, wir müssen irgendetwas machen. Hauptsache etwas. Wenn man hier selektiv rangeht, glaube ich schon, dass man die offenen Türen, die noch vorhanden sind, zumachen kann. Und das wird in den nächsten Wochen einen Rückgang der Neuinfektionen bewirken. Auch deshalb, weil sich dieser Lateraleffekt in den Haushalten, die Weiterverbreitung des Virus innerhalb von Haushalten, wenn eine Person dabei ist, die infiziert ist, die eigentlich isoliert werden müsste, was aber in Deutschland nicht vorge- sehen ist, das brennt sich ja irgendwann aus. Irgendwann sind ja die Haushalte, die Positive dabei hatten, mal durchinfiziert. Und irgend- wann werden wir auch in den Altersheimen den Effekt haben. Notfalls durch die Impfung, wenn man es anders nicht hinbekommt. Und

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darum glaube ich schon, dass wir auf dem Weg sind, die Fallzahlen zu drücken. So richtig deutlich wird der Effekt sein, wenn uns zusätzlich wieder die warme Jahreszeit hilft.

[0:18:42]:

Camillo Schumann:

Schnelle Frage, schnelle Antwort: Herr Doktor J. aus München hat geschrieben.

„Lässt sich ein Impferfolg 14 Tage nach der Impfung durch IgG-Bestimmung messen?“

[0:18:52]:

Alexander Kekulé:

Das kann man so nicht sagen. Bei den Phase-2- Studien hat man das so gemacht. Da hat man nach 14 Tagen und auch anderen Zeiträumen nachgeguckt, gehen da die Antikörper hoch. Aber nur mit der reinen IgG-Bestimmung, v.a. mit dem Standardtest, der so im Routinelabor bei uns verfügbar ist, könnte man da nicht sicher Aussagen treffen. Das sind relativ komplexe Messungen, wo man auch genau gucken muss, welche Antikörper sind es? Die sogenannten neutralisierenden Antikörper muss man da feststellen. Da braucht man Zell- kulturen dafür. Und es kommt auch darauf an nachzuschauen, ob sich reaktive T-Zellen ge- bildet haben, ob die sogenannte zelluläre Immunantwort aktiviert wurde. Das sind Zel- len, die können körpereigene Zellen zerstören, wenn da das Virus drin ist. Und dieses Bild kann man nicht durch Standardtests abbilden. Das das könnte ein Speziallabor, aber Standardtest bildendes nicht ab.

[0:19:49]:

Camillo Schumann:

Nach und nach werden die Menschen ja geimpft. Manche, die noch nicht dran sind, die machen sich ja auch so ihre Gedanken über die Wirksamkeit der Impfstoffe. Häufig reden wir ja über die Impfstoffe von Biontech/Pfizer oder Moderna? Dieser Herr hat angerufen und eine Frage zum Impfstoff von AstraZeneca:

[0:20:30]:

„Wenn ich mit dem AstraZeneca-Impfstoff geimpft werde, der – wenn ich richtig ver- standen habe – nur zu 60 Prozent wirksam ist, und meine Frau auch, wir sind beide um die 60, dann haben wir 50 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass keiner von uns krank wird. Wir würden aber am Sozialverhalten gar nicht so viel ändern können bei dem Risiko, das wir haben. Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen. Vielen Dank.“

Camillo Schumann:

Ist diese Schlussfolgerung richtig?

Alexander Kekulé:

Ja, zumindest mathematisch ist das ungefähr richtig: 0,7 mal 0,7. Ich bin nicht so super Kopfrechner. Aber das wird schon ungefähr Stimmen. Wenn man für eine ganze Gruppe rechnet, ist es in der Tat ein Argument gegen den AstraZeneca-Impfstoff. Das diskutieren übrigens Epidemiologen ähnlich. Die gucken nicht nur zwei Leute an, sondern fragen, wenn wir 1 Million Menschen impfen, wie kriegen wir denn eigentlich insgesamt die Herden- Immunität hergestellt? Und man muss leider auch noch Folgendes dazu sagen: Es ist ja so: Diese 0,7 oder 70 Prozent Wirksamkeit hat ja AstraZeneca ein bisschen geschummelt. Die haben ja einen Mittelwert gebildet aus 0,6 und 0,9. Das ist nicht genau der Mittelwert. Aber es ist so gemittelt worden, dass man auch noch die Zahl der Probanden mit in die Waagschale geworfen hat. Und über die Methoden, mit denen das mathematisch gemacht wird, war da so eine Art Mittelwert hergestellt worden, und das ist gar nicht zulässig gewesen. Zusätzlich hat man festgestellt, dass das Studien mit verschiedenen Protokollen waren, die da zusammengemischt wurden. Das ist ja alles durch die Presse gegangen. Und AstraZeneca hat sich da echt die Nase. Aber nüchtern betrachtet gehen wir mal auf etwa 0,6, also 60 Prozent Wirksamkeit. Da wäre es in der Tat so. Das ist ja das Studienergebnis. Und das Studienergebnis bezieht sich auf Erkrank- ungen. Das heißt, in all diesen Phase-3-Studien wurde ja nicht getestet bei allen Teilnehmern – das wäre gar nicht möglich gewesen –, ob sie PCR-positiv geworden sind, sondern es wurde nur geguckt, ob sie sie Krankheitssymptome haben. Alle diejenigen, die asymptomatisch

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oder subsymptomatisch, so dass sie es selber nicht gemerkt haben, krank wurden, sind da draußen. Und das heißt im realen Leben, wo es darum geht, auch jeden Fall zu verhindern, der infektiös ist, aber keine Symptome hat, wären diese Impfstoffe weniger wirksam als die 95 Prozent von Moderna und die 60 Prozent von AstraZeneca. Was heißt das? Wir kommen in einem Bereich, wo man die Frage stellen muss: Kann man mit so einem Impfstoff – wenn man noch mit reinrechnet, dass sich nur 50 Prozent oder 60 Prozent der Bevölkerung impfen las- sen – mit so einem Impfstoff überhaupt epidemiologisch einen Effekt erzielen? Und wenn man gemein ist, steht immer einer auf – heute sind wir sind ja in Zoom-Meetings, da drückt einer auf einen Knopf – und sagt: Und was ist mit den Mutanten? Falls noch eine Mutante kommt, die, wo der Impfstoff schlechter wirkt? – Der muss ja gar nicht unwirksam sein. Er muss nur noch schlechter wirken, ich sage mal 40 Prozent. So kann man super Horrorszenarien machen, dass wir das Virus noch drei Jahre als Gegenüber haben. Ich würde trotzdem dazu raten: Erstens wenn Sie ihn kriegen können, nehmen Sie den Biontech- Impfstoff, nehmen sie nicht AstraZeneca, das sag ich mal so knallhart. Und zweitens, wenn wir schnell impfen in Deutschland und schaffen relativ schnell eine Herdenimmunität herzu- .stellen, da tragen ja auch jüngere Leute dazu bei, indem sie leider infiziert werden, dann können wir das Virus überholen, bevor es an- fängt, sich munter zum mutieren und vielleicht unsere Impfstoffe unwirksam zu machen. Und diesen optimistischen Pfad sollten wir ver- folgen. Und falls das nicht klappt, reden wir dann darüber.

[0:24:07]:

Camillo Schumann:

Klare Impfempfehlungen von Professor Kekulé, das hört man so selten, zumal ja auch der Bundesgesundheitsminister gesagt hat, es wird (vielleicht irgendwann) mal keine Auswahl der Impfstoffe geben. Man bekommt den verab- reicht, der im Impfzentrum da ist oder beim Arzt.

[0:24:25]:

Alexander Kekulé:

Wenn Sie mich offen fragen, sage ich halt offene Antworten. Da kommen wahrscheinlich wieder ein paar böse Hörerbriefe. Aber es ist so, da darf man sich nichts vormachen. Das ist auch bei den Medikamenten so. Wir haben be- stimmte Medikamente, die haben weniger Nebenwirkungen. Die sind aber teurer. Und darum kriegen die die Privatpatienten. Das ist kein Geheimnis, was ich sage. Und das ist überall in der Medizin so. Wir haben schon längst eine Zwei-Klassen-Medizin. Und wenn sie sich an die Schweinegrippe von 2009 erinnern, da gab es einen Impfstoff, wo klar war, dass dieses Adjuvans nicht dabei war, dieser Wirkverstärker war nicht dabei. Der wurde von einer anderen Firma bestellt, von Baxter statt von GlaxoSmithKline. Und den hatte sich die Regierung für die Regierungs- beamten, für die Beamten und die Regierung bestellt und der hieß dann immer der „Regierungs-Impfstoff“. Und der hatte definitiv dieses Problem mit dem Adjuvans nicht. Wo ja damals der große Streit war zwischen dem Robert Koch, Paul Ehrlich und mir, weil ich gesagt habe, dass Adjuvans ist bedenklich. Und die haben gesagt, kein Problem. Hinterher hat sich herausgestellt, dass Adjuvans hat erheb- liche Nebenwirkungen gehabt. Das mit diesem „Regierungs-Impfstoff“ hat echt ein Geschmäckle gehabt, deshalb muss man aufpassen. Ich habe das so ausführlich erzählt, weil ich glaube, dass sich vielleicht auf der Regierungsbank nicht alle so an diese 2009er Geschichte erinnern. Man muss sehr auf- passen, dass man da nicht in die gleiche Falle tappt, wenn man verschiedene Impfstoffe hat. Der eine kostet nur ein paar Euro pro Schuss, der andere ist viel teurer. Und sagt man kann sie es nicht aussuchen. Ich glaube, das könnte zu Verwerfungen führen. Solange es so ist, dass mehrere Experten sagen, der Biontech- Impfstoff und der von Moderna ist eindeutig besser, wird es wahnsinnig schwierig, den Leuten zu erklären, warum ein Teil den zweit- besten Impfstoff bekommt. Das Thema muss die Regierung lösen, bevor der AstraZeneca- Impfstoff bei uns an den Start geht.

[0:26:20]:

Camillo Schumann:

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Frau S. hat uns eine Mail geschrieben und auch ein Foto mitgeschickt. Sie schreibt

„Nach jedem einzelnen Tragen hänge ich meine FFP2- oder FFP3-Masken sofort auf den Bügel (siehe Foto) und nutze stets eine von denen, die dort mindestens eine Woche schon hängen. Ist dieser Umgang mit den Masken eigentlich sicher? Mit freundlichen Grüßen, Frau S..“

Haben sie das Foto gesehen?

[0:26:42]:

Alexander Kekulé:

Ja, ich habe das Foto gesehen, ja süß. Die hängen da so ein bisschen wie Unterhosen auf der Stange. Man muss da nicht eine Woche warten. Wenn man die über Nacht trocknen lässt, sind da für den Normalbetrieb keine Viren mehr drauf. Wenn Sie mal ein Virus abkriegen irgendwo in der Straßenbahn oder so beim Einatmen fliegt auf die Maske, sind es ja geringe Viruskonzentrationen. Und da ist bis zum nächsten Tag, wenn sie das komplett trocknen lassen, alles weg. Die Viren können sich im komplett trockenen Milieu nicht lange halten. Das ist anders, wenn Sie im Kranken- haus arbeiten und Sie ein Patient aus Versehen richtig angespuckt hat. Wenn da so ein Tropfen auf die Maske geflogen kommt, ist das ein andere Viruskonzentration. Da würde ich davon abraten, es nur über Nacht trocknen zu lassen. Aber sonst ist dieses Verfahren sicher. Man muss nur darauf achten, wenn man diese FFP2-Masken länger benützt, werden die irgendwann dicht. Dieses Material lässt wenig Luft durch. Und dann muss man sie wirklich wegschmeißen. Das heißt, wenn man merkt, dass das Atmen schwerer wird als bei einer neuen Maske, da muss man sie leider weg- schmeißen, weil man das in der Regel mit Waschen nicht rauskriegt.

[0:27:53]:

Camillo Schumann:

Weil ja viele glauben, dass sie die FFP2-Maske genau wie Alltagsmasken bzw. den OP- Mundschutz jeden Tag wechseln müssen und die alten wegschmeißen müssen. Das muss man ja gar nicht, weil die ja auch ein bisschen

mehr kosten, um die vier Euro, also am besten zwei kaufen. Und die im Wechsel tragen.

[0:28:15]:

Alexander Kekulé:

Sie müssen deshalb zwei kaufen, denn wenn man die eine Weile trägt, macht man sie von innen feucht durch die Ausatemluft. Und man hat manchmal Pech und ist irgendwo draußen, wartet vor einem Geschäft im Regen. Und ist die Maske nass oder feucht, brauchen Sie eine zweite. Aber sie brauchen nicht aus hygienischen Gründen eine 2. Maske in dem Sinn, dass die Viren da irgendwie inaktiviert werden müssten. Ich selber habe auch so eine FFP-Maske, und die habe ich wirklich immer zusammengeknüllt in der Manteltasche. Und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie lange ich die schon habe. Wenn mir da zu viel Schokoladen- flecken drauf sind und Keksbrösel drin sind und ich sie irgendwie eklig finde, dann schmeiß ich sie halt weg. Aber das ist nicht so, dass man sich aus virologischen Gründen Gedanken machen muss, sofern man nicht im Krankenhaus arbeitet.

[0:29:05]:

Camillo Schumann:

Ich habe zwei, und die trage ich immer schön im Wechsel. Das beruhigt ungemein. Letzte Frage: Frau H. macht sich Sorgen um ihre Enkelin. Sie schreibt:

„Sind Frauen, welche die Antibabypille nehmen, gefährdet, einen schweren Covid-19-Verlauf zu bekommen. Eine Nebenwirkung der Pille ist ja ein erhöhtes Thromboserisiko. Ich mache mir Sorgen um meine 17-jährige Enkelin, die seit zwei Jahren die Pille nimmt. Vielen Dank für Ihre Antwort, Frau H.“

[0:29:37]:

Alexander Kekulé:

Erstens es ist so, dass alles, was das Thromboserisiko erhöht, bei einer Covid-19- Erkrankung schlecht ist. Wir haben keine Daten über Frauen, die die Antibabypille nehmen. Das gibt es ja verschiedene Präparate mit unterschiedlich starker Erhöhung des

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Thromboserisikos. Da würde ich auch, wenn da jemand Informationen haben will, ein Gespräch mit dem Frauenarzt oder der Frauenärztin empfehlen. Aber abgesehen von diesem grundsätzlichen Risiko, was da ist, kann man sagen: Es ist immer schlecht, das Throm- boserisiko zu erhöhen. Und es ist so, dass wir keine Daten darüber haben. Es gibt keine Arbeit, die das belegt. Ich kann Ihnen sagen, dass ich in meinem privaten Umfeld sage: Frauen, die nicht mehr jung sind und die die Pille nehmen, wenn die Covid19 bekommen, sollte man mit dem Arzt, der sie behandelt, darüber diskutieren, ob man nicht vorsorglich so eine Art Blutverdünnung macht. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Ärzte wissen, wie man das macht. Das heißt, man kann viel- leicht empfehlen, dass Frauen, die über 20-25 sind und die Pille nehmen, sollten sich in der Regel vom Arzt behandeln lassen, wenn sie Covid-19 wirklich bekommen und nicht nur zu Hause bleiben im Hinblick auf die mögliche Blutverdünnung. Und bei den Jüngeren würde ich sagen: Da wiegt die andere Seite der Waagschale. Und das ist die gute Nachricht: in dem Alter - 17 Jahre war das, glaube ich – ist es ja nun so, dass das Risiko insgesamt so gering ist, dass man da trotz Antibabypille sagen kann, die ist komplett im grünen Bereich. Die Wahrscheinlichkeit, in dem Alter schwer an Covid zu erkranken, ist so gering, dass das für mich zu den Lebensrisiken gehört, die man in Kauf nehmen muss. Sonst müsste man sich ja immer zu Hause einsperren.

[0:31:35]:

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 139

Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL.

Vielen Dank, Herr Kekulé.

Wir hören uns am Dienstag, den 19. Januar wieder. Bis dahin, bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé:

Sie auch, Herr Schumann. Das wird ja eine spannende nächste Woche.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage, schreiben Sie uns

an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter 0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Donnerstag, 14.01.2021 

#138 (audio): FFP2-Maske – Schlüssel zur Normalität?


Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte
Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links:

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/02_21.pdf?__blob=publicationFile 


Camillo Schumann:


Donnerstag, 14. Januar 2021. 

Der Lockdown wirkt nicht wie erhofft, sagt das Robert-Koch-Institut und fordert eine Verschärfung. Was spricht dafür? Und was spricht dagegen? 

Dann: FFP2 Maskenpflicht im ÖPNV und Geschäften in Bayern ab Montag. Ist die FFP2-Maske, der Schlüssel zur Normalität? 

Und: Am Ende der Sendung gibt es mal wieder etwas zum Schmunzeln. 

Wir wollen Orientierung. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. 

Ich grüße Sie, Herr Kekulé. 


Alexander Kekulé:
Hallo, Herr Schuman. 


Camillo Schumann:
Rekordzahlen, eine hohe Zahl an Neuinfektionen und auch noch die Mutation. Das Robert-Koch-Institut hat heute darüber informiert, dass der Lockdown bisher nicht so wirkt wie erhofft und deshalb auch verschärft werden könnte. 

„Das ist eine Option.“ 

Das hat der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, gesagt und weiter:

 „Diese Maßnahmen, die wir machen, für mich ist das kein vollständiger Lockdown; es gibt immer noch zu viele Ausnahmen und wird nicht stringent durchgeführt.“


Camillo Schumann:

Und von paar Tagen soll die Kanzlerin gesagt haben: Wir brauchen noch acht bis zehn Wochen harte Maßnahmen. Die Daumenschrauben könnten noch einmal angezogen werden. Wie bewerten Sie das? 


Alexander Kekulé:
Ja, das ist möglich. Ich bin grundsätzlich dagegen, ein Maßnahmepaket, das nicht so recht funktioniert, so wie es ist, fortzuführen, weil wir so viele Daten haben, die sagen, die Maßnahmen greifen in der ersten Woche. Man stellt fest, ob sie gegriffen haben in der zweiten Woche. Und wenn es nicht richtig funktioniert, muss man nachjustieren. Wie auch immer. Ich bin ja immer dafür, statt allgemein noch mehr Beton darüberzuschütten, lieber selektiver das anzugehen, was man vielleicht endlich mal analysiert hat, dass da die Probleme aufgetreten sind. Aber die grundsätzliche Einstellung von Herrn Wieler, wenn es nicht funktioniert, muss man etwas ändern, ist plausibel.


Camillo Schumann:

Herr Ramelow, Thüringens Ministerpräsident, hat gefordert, die Wirtschaft runterzufahren. Wir bräuchten einen kompletten Stillstand. Wo genau könnte man noch nachjustieren?


Alexander Kekulé:
Naja, da will ich ein bisschen hinter Herrn Wieler in Deckung gehen. Der hat ja gesagt, es wird auch nicht überall konsequent durchgeführt. Und da liegt meines Erachtens eher der Hase im Pfeffer. Wenn wir an die Wirtschaft denken – das ist ja einer der vier Bereiche, die ich auch schon seit Wochen identifiziert habe, wenn ich mal so sagen darf: offene Seitentüre in diesem Haus, wo wir ständig die Vordertüre weiter zusperren und weitere Schlösser anbringen, während Balkon und Fenster und Garage alles offen ist. Eine der offenen Türen ist, dass wir die Bereiche Büros, wirtschaftliche Tätigkeit im weitesten Sinn nicht wirklich geregelt haben. Es gibt viele Regelungen von Gaststätten, Hotels, Schulen, da ist alles Mögliche probiert worden. Aber die Regelungen für die Wirtschaft stehen ja erst seit den Weihnachtstagen auf dem Papier, weil das letztlich so funktioniert, dass das über das Arbeitsschutzgesetz läuft, den Schutz der Arbeitnehmer. Da hat übrigens der Bund die unmittelbare Gesetzesautorität. Das heißt, anders als in vielen anderen Bereichen, die wir hier diskutieren, sind da nicht die Länder zuständig. Und das geht über die sogenannte Corona-Verordnung runter bis zu den Empfehlungen der Berufsgenossenschaften. Und die sind zum Teil erst vor wenigen Wochen rausgekommen – ich habe da mehrere gelesen und Gespräche geführt –, sind aber inhaltlich noch auf dem Stand, wie wir das mal gehört haben – ich sag mal im Mai oder so –, dass das wichtigste ist: Abstand halten von 1,50 m und Hände waschen. Und dieses Grundprinzip: Abstand im geschlossenen Raum und sich möglichst oft die Hände wäscht, ist alles gut. Das zieht sich so ein bisschen durch die Empfehlungen auch der Berufsgenossenschaften. Einige sind da aktueller und andere älter. Und da meine ich, ist noch viel Luft nach oben. Im Arbeitsbereich müssen wir dafür sorgen, um es mal pauschal zu sagen, dass, wenn Menschen zusammenarbeiten und in einem geschlossenen Raum zusammen sind, bitte verdammt noch mal eine Maske aufsetzen. 


Dass diese Regelung nirgendwo oder in vielen Bereichen nicht durchgezogen wird, geht nicht. Und diese Lücke, die haben wir. Und im aktuellen RKI-Bericht ist auch die Rede davon, das am Arbeitsplatz noch ein erhebliches Infektionsgeschehen vorhanden ist.


Camillo Schumann:
Herr H. Wieler hat heute auch eine Situation geschildert von einer Firma, die ein tolles Hygiene-Konzept hat. Aber dann sitzen die Mitarbeiter beim Mittagessen zu viert oder zu fünft an einem Tisch und lachen und sprechen miteinander. So banale Sachen sind das, wo das Problem entsteht.

Alexander Kekulé:
Und wir haben ja auch schon oft über den Paketboten gesprochen, der offen durchs Treppenhaus läuft, weil er denkt, er ist gerade allein und muss keine Maske aufsetzen. Aber in diesem Bereich Arbeitsschutz sind zwei Dinge, ohne da zu sehr ins Detail zu gehen, schwierig. Das eine ist der Arbeitsschutz: der dient  dem Schutz der Arbeitnehmer. Das ist formal so. Das heißt, ob z.B. der Paketbote, um im Bild zu bleiben, die ältere Dame im Haus infiziert, die zwei Minuten nach ihm durchs Treppenhaus geht, was er möglicherweise mit Aerosolen kontaminiert hat, ist im Arbeitsschutz ja nicht relevant, weil er nur der Arbeitnehmer bisher geschützt werden soll oder seine Kollegen schützen soll. Und das zweite Problem ist, dass wir das Prinzip der Aerosole dort nicht haben. 


Praktisch gesehen kann ich sagen, große Unternehmen, ich denke mal so richtig große mit 50.000 Mitarbeitern oder mehr, die haben Betriebsräte. Die haben ein Heer von Ärzten, die sich da kümmern und die rufen zum Teil auch bekannte oder nicht so bekannte Virologen und Epidemiologen an und sagen, komm doch mal her und erklärt uns, was wir machen sollen. Das ist aber nicht möglich bei irgendeiner kleinen Klitsche. Ein Handwerksbetrieb soll das kraft seiner eigenen Wassersuppe machen. Und wenn in dieser Corona-Verordnung, das ist sozusagen eine Ausführungsbestimmung des Bundesgesetzes, drin steht: „Jeder Betrieb muss selbst eine Risikobewertung machen“, dann geht das nicht. Das machen wir am Institut für Mikrobiologie in Halle nicht einmal alleine, sondern wir haben da wirklich einen Experten dafür am Klinikum, der uns in so einem Fall noch mal berät. Denn diese Risikobewertung nach Arbeitsschutzgesetz ist ein eigenes Handwerk. Das hieße, dass quasi jeder Schreiner seine Werkstatt machen soll. Das kann nicht funktionieren. Und da hat Herr Wieler vollkommen recht – spät, aber immerhin. Doch ich muss leider wieder sagen – wir reden ja schon seit Langem darüber – das ist hier auf der To-do-Liste, dass man am Arbeitsplatz wie auch immer dafür sorgt, dass konsequent zumindest diese aerogenen Infektionen vermieden werden, die auch zu Superspreading-Ereignissen führen können.


Camillo Schumann:

So ein Hygienekonzept in einem kleinen Handwerksbetrieb ist auch keine Raketenwissenschaft, mit Abstand die FFP2-Maske, wo es geht, Homeoffice, Lüften und – wenn man im Auto zusammensitzt – auch eine FFP2-Maske. Mehr ist es doch nicht, oder?


Alexander Kekulé:
Ich sage: im Grunde genommen sogar nur Maske. Wir reden ja hier von Epidemiologie für die ganze Bundesrepublik und nicht so von Einzelfall-Schutz. Wer im Einzelfall ein erhöhtes Risiko hat, da würde ich sagen FFP2, bei den anderen wäre ich ja schon glücklich, wenn jeder eine Maske auf hat. Und Sie haben Recht, es ist keine Raketenwissenschaft. Aber es gibt so Dinge: Was ist in der Kantine? Was ist, wenn jemand eine schwere Bohrmaschine bei einer Wohnungsrenovierung in der Hand hat, darf der die Maske abnehmen? Wer kontrolliert das? Das ist ja auch häufig das Problem. Und da brauchen die, glaube ich, schon ein bisschen Unterstützung. Und ich würde da auch mit dem Finger auf das Bundesarbeitsministerium mit seinen Behörden, die dahinten dranhängen, richten. Und zwar ist es so, dass das nach dem alten AHA geht. Sie wissen, dass ich so ein bisschen zwischen den Zeilen das nicht so ernst genommen habe, weil Nummer eins: Abstand im Freien reicht 1,5-2 m, sage ich ja immer. Das gilt nach wie vor. Aber Abstand im geschlossenen Raum, das war nun wirklich gestern. Ich glaube, da muss man nicht Hörer eines der bekannten Podcast zu dem Thema sein, um zu wissen, dass man sich im geschlossenen Raum über mehr als  2m Abstand und die berühmten 1,5 m infizieren kann. Der Arbeitsschutz geht aber nach dem sogenannten Top-Verfahren vor. Das ist historisch schon lange so, eigentlich kein schlechtes Verfahren. TOP heißt: Erst müssen technische Voraussetzungen geschaffen werden. Das heißt, am besten ist es z.B., durch Abluftanlagen oder so dafür zu sorgen, dass man sich nicht infizieren kann oder die berühmte Plexiglasscheibe dazwischenbasteln. 


Nur, wenn das nicht geht, kommt als nächstes organisatorisch die Abstandsregelung 1,5 m. Und nur wenn das nicht funktioniert gilt, die persönliche Schutzausrüstung. Und wegen dieses in anderen Fällen richtigen Verfahrens – was aber bei Covid-19 in die Irre führt, ist es  so, dass die sagen: Na gut, als erstes musst du eine Plastikscheibe einbauen. Wenn du eine Scheibe dazwischen hast, ist alles gut. Da gibt es viele Arbeitsplätze, die sitzen quasi Schulter an Schulter, und dazwischen ist eine Plexiglasscheibe. Und da sagt man, es ist erledigt. Zweitens Organisation: Wenn du nur 1,5 m Abstand hältst in deiner Kantine, ist alles in Butter. Und nur, wenn du diese 1,5 m nicht schaffst, musst du persönliche Schutzausrüstung tragen: also Maske und Co. aufsetzen. Und das ist falsch! Das steht aber da oft drinnen. Und die Arbeitgeber setzen das zum Teil um, wenn sie keine Spezialberatung haben. Und deshalb, sage ich mal, da wir wissen, dass der Abstand 1,5 m in einem geschlossenen Raum definitiv nicht ausreichend schützt. 

Und da wir auch wissen, dass das Händewaschen, ich sag mal so, als Hausnummer höchstens zehn Prozent der Infektionen verhindert – wahrscheinlich ist es viel weniger; wir haben es hier mit einem luftgetragenen Virus zu tun, deshalb muss man sagen: AHA ist im Grunde genommen erledigt. Das ist aber noch die Grundlage der Arbeitsschutzvorschriften. Daher haben wir das Problem, dass die lange hinterher sind. Die haben das noch nicht geupdatet. Das wird irgendwann kommen. Aber bis der letzte Handwerksbetrieb, das sozusagen umgesetzt hat, höchstwahrscheinlich Sommer, haben wir hoffentlich das Virus mit anderen Mitteln halbwegs im Griff. 


Camillo Schumann:
Nun haben wir über den Bereich Arbeitsschutz gesprochen und was die Firmen unternehmen können, um die Pandemie einzudämmen. Sie haben ja über andere geöffnete Fenster und Scheunentor gesprochen. Das auch noch kurz erwähnt! 


Alexander Kekulé:
Die anderen haben wir auch schon öfters mal besprochen. Das sind drei aus meiner Sicht. Die Nummer eins ist, dass wir diesen Lateraleffekt in den Haushalten haben. Das Problem ist, wenn einer infiziert ist, steckt er den ganzen Haushalt an, weil wir die Isolierten nicht aus der Wohnung rausnehmen. Nummer zwei ist, dass wir in den Altersheimen die Situation noch nicht im Griff haben. Der Lagebericht vom Robert-Koch-Institut ist nach wie vor so, dass auch aktuell die Infektionen nicht unter Kontrolle zu bekommen sind. Die bräuchten offensichtlich auch mehr Beratung und mehr Unterstützung, weil die Heime das selber nicht hinkriegen. Und Nummer drei ist  der für mich gefährlichste Effekt: Ich glaube, dass ein wirklich zunehmender Teil der Bevölkerung – auch weil die Maßnahmen nicht mehr verständlich sind – nicht mehr mitmacht. Und wenn man diese vier Dinge im Auge hat, und sich darauf fokussiert, würde man das umsetzen, was sich Herr Wieler wünscht, ohne dass man so allgemein sagt: Na gut, treten wir  noch mehr auf die Bremse, machen wir halt Shutdown oder totaler Lockdwon: alle zuhause bleiben und am Schluss muss jeder einen Taucheranzug anziehen und kriegt Handschellen angelegt. Da würden wir übrigens nach zwei Wochen die Pandemie bekämpft haben.


Und genau den letzten Punkt, dass die Menschen nicht mehr so richtig mitmachen, hat das RKI heute auch noch mal dargestellt aufgrund einer Mobilitätsstudie. Da wird ja quasi permanent die Mobilität der Menschen analysiert. Und da ist es in der Tat so gewesen, dass sich im ersten Lockdown die Mobilität drastisch eingeschränkt hat und das jetzt  nicht mehr der Fall ist, dass immer mehr Menschen das ist offenbar nicht so ernst nehmen und die Mobilität  nicht so stark einschränken und dass dadurch auch noch viel Infektionsgeschehen zu verzeichnen ist. Dieser Wunsch, auch etwas für sich selber zu tun, war wahrscheinlich im Frühjahr letzten Jahres größer als jetzt. Das ist auch ein wenig paradox.


Alexander Kekulé:
Ich glaube ja immer an den mündigen Bürger. Ich werde dafür auch zum Teil gescholten. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Politik gemacht. Aber als Wissenschaftler habe ich die Erfahrung gemacht, wenn man Leuten Dinge geduldig erklärt und wirklich sagt, warum es so ist und wenn die weit weg von unserer Disziplin sind und keine Ahnung von Virologie haben, irgendwann fällt der Groschen, und man kann die meisten Leute überzeugen. Ich weiß, dass die Politik inzwischen an dem Punkt ist, wo sie auf dem Trip ist: und bist du nicht willig, brauch ich Gewalt. Und deshalb war ich ein bisschen vorsichtig bei der Analyse dieser Mobilitätsdaten. Da muss man zum einen sagen, wir haben ja im Frühjahr massiv auch das Arbeitsleben eingeschränkt. Das ist ja bewusst nicht so gemacht worden. Und deshalb wissen wir bei den Mobilitätsdaten nicht, ob das beruflich bedingt war oder ob die alle nur zum Rodeln gegangen sind oder Party gemacht haben. Und zweitens, das ist ja schon lange da, mein Credo: Reisen und reisen ist  zweierlei: sich fortbewegen kann man unterschiedlich machen. Wenn Sie in einem vollbesetzten VW-Bus mit acht Leuten irgendwohin hinfahren zur Party, ist das eine Mobilität, die zu Infektionen führen dürfte. Wenn Sie aber mit einem Haushalt im Auto irgendwo zum nächsten Rodelhang fahren mit den Kindern und da Abstand halten und das vernünftig machen, ist das auch Mobilität, die aber smarte Mobilität ist. Und ich glaube, wir können noch einmal dafür plädieren: Wir müssen die Klugheit der Bevölkerung mit einbeziehen, statt alle zu entmündigen, weil ich glaube, dass eine echte Resilienz gegen so eine Bedrohung wie eine Pandemie nur entsteht, wenn jedes einzelne Glied der Gesellschaft selber aktiv mitdenkt. Jedes Fragment muss intelligent sein. Wir brauchen da eine Herdenintelligenz, wenn ich mal so sagen darf. Und die können wir nicht erzeugen, indem wir den Leuten nur Vorschriften machen, aber nichts erklären. 


Camillo Schumann:
Sie appellieren sozusagen an die Intelligenz, an die Vernunft der Menschen. Wenn ich im Straßenverkehr unterwegs bin, wenn ich beim Einkaufen bin nach, wenn ich nur im Treppenhaus bin, muss ich ehrlich sagen, da Zweifel ich da dran. 


Alexander Kekulé:
Ja, genau, sie haben völlig recht. Ich weiß, dass mir der viele widersprechen. Und es kann auch sein, dass ich damit in eine Minderheitsposition gerate. Aber das will ich offen sagen, ich mache ja seit Jahrzehnten solche Dinge und wir haben auch in Ländern, wo wir es unter Umständen mit Menschen zu tun haben, die vom Bildungsniveau Lichtjahre von dem entfernt sind, was wir in Deutschland im Durchschnitt haben, auch die Erfahrungen gemacht: Auf irgendeine Weise musst du den Leuten das so erklären, dass es in ihrer Welt plausibel ist. Machen die mit, und ich bin fest davon überzeugt, dass das in Deutschland so war, dass wir am Anfang deshalb vergleichsweise erfolgreich waren, obwohl die Regierung ja echt spät reagiert hat und viele Dinge zu spät passiert sind –, aber letztlich haben wir die erste Welle erfolgreich irgendwie hingekriegt, weil zwei Dinge da waren: Die Bevölkerung hat der Regierung vertraut und hat gesagt, das wird schon richtig sein. Und die Regierung hat aber auch der Bevölkerung vertraut. 


Ich mal erinnere daran, bei den Ausgangssperren war ja die große Diskussion: Spanien und Österreich und andere hatten diese totalen Ausgangssperren nach dem Modell Wuhan, wo man die Wohnung nicht verlassen durfte. Und hier haben verschiedene Virologen, zu denen ich auch gehört habe, gesagt, nein, das ist nicht sinnvoll. Und die Politik hat gesagt, okay, wir gehen dieses Risiko mal ein und machen den deutschen Weg. Das ist weltweit erst danach zum Teil kopiert worden, dass wir hier in Deutschland gesagt haben, wir erlauben den Leuten, die Wohnung zu verlassen für sportliche Aktivitäten, zum Spazierengehen usw. Und das hat hervorragend funktioniert. Und das hat, glaube ich, psychologisch irrsinnig viel ausgemacht, dass die Menschen gesagt haben, man hat das klug dosiert, weil man gesagt hat, im Freien ist die Ansteckungsgefahr extrem gering, und man vertraut den Leuten, dass die da nicht die Riesenpartys feiern. Und jetzt so in diesen Weg umzuschwenken: Mensch, die halten sich nicht an die Regeln, die wir machen, wir haben so tolle Vorschriften wie die 15 km-Corona-Leine und die sagen, das ist Unsinn, und jetzt müssen wir halt die Polizei schicken usw. Ich übertreibe absichtlich ein bisschen. Aber Sie wissen ja aus diversen amerikanischen Filmen: Am Schluss kommt das Militär angerückt. Das war ja in Spanien so. In Madrid ist ja das Militär eingerückt am Schluss. Das ist ja auch mitten in Europa. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Konfrontation zwischen Politikern kommt, die ihre Maßnahmen nicht erklären, die nicht erklären können, warum es nicht funktioniert, die vielleicht selber nicht genau wissen, worum es nicht funktioniert und die sagen: immer härter, immer drastischer! Und eine Bevölkerung, die da irgendwann zunehmend nicht mehr mitgeht. 

Deshalb noch einmal zurück, diese Mobilitätsdaten – ja, aber die muss man genauer analysieren und gucken, waren es irgendwelche Mobilitäten oder waren das gefährliche Mobilitäten im Sinne von Infektionsgefahr. 


Camillo Schumann:
Ich habe unheimlich Bauchschmerzen dabei, das muss ich ehrlich sagen, die Verantwortung zu 100 Prozent den Menschen wieder zurückzugeben. 


Alexander Kekulé:
100-Prozent nicht. Aber wissen Sie, man muss doch den Versuch unternehmen, die Dinge zu erklären. Und wenn Sie Ihr Bild haben – das ist mir völlig klar, dass das kein wissenschaftliches Podcast-Thema ist, sondern ein bisschen Stammtisch. Aber die eine Minute können wir uns hier nehmen –, wenn Sie ihr Bild haben, dass Sie sagen: Wenn Sie im Straßenverkehr so rumgucken, denken sie, außer mir sind alles Idioten unterwegs. 


Camillo Schumann:
Das haben Sie gesagt.


Alexander Kekulé:
Das Gefühl habe ich auch manchmal. Andererseits müssen Sie sich überlegen, wie oft war es schon so, dass Sie und ich im Straßenverkehr etwas eine Sekunde übersehen haben und gemerkt haben, ups, der andere hat gebremst, der andere ist ausgewichen. Eine Sekunde war ich über einen Streifen gefahren, und der neben mir hat pariert. Es ist schon so, dass dadurch, dass jedes einzelne Auto von grundsätzlich von einem intelligenten Individuum gesteuert wird, dadurch funktioniert das. Man weicht sich aus. Oder in der Fußgängerzone, wo früher tausende von Menschen durcheinander gelaufen sind. Man rempelt sich extrem selten an. Und das funktioniert nur deshalb, weil jeder zwischen seinen Ohren einen Zentralprozessor hat, mit dem er seine individuellen Bewegungen im letzten Moment noch anpassen kann. Und diesen Prozessor, der da zwischen den beiden Ohren platziert ist, den brauchen wir auch in der Pandemie. 


Camillo Schumann:

Und ich hoffe, dass dieser Prozessor bei allen auch wirklich rundläuft. Damit schließen wir das Thema ab. Kommen wir zum nächsten: Die Kanzlerin hat ja auch vor der Gefahr einer Ausbreitung des Coronavirus-Mutationen in Deutschland gewarnt. Und möglicherweise werden auch deswegen diese Gedankenspiele angestellt, das Ganze noch einmal zu verschärfen. Die Entwicklung in Irland habe gezeigt, wie schnell sich das Virus ausbreiten könne. Dort habe es innerhalb kurzer Zeit eine Verzehnfachung der Infektionszahlen gegeben. Teilen Sie die Befürchtung der Kanzlerin, dass die Mutationen trotz Lockdowns die Infektionszahlen nach oben treiben werden?


20:10

Alexander Kekulé:
Wir haben ja in der letzten Ausgabe schon mal ein bisschen über die aktuellen Mutationen gesprochen. Man muss dazu Folgendes sagen: Diese Mutationen sind etwas infektiöser. Da gibt es nicht nur die, die in Irland und dem Vereinigten Königreich aufgetreten ist, sondern noch mindestens zwei weitere, und ich vermute, dass es weltweit sehr viele gibt, die wir noch nicht entdeckt haben. Diese etwas infektiöseren Mutationen, bei denen die Höchstgeschwindigkeit der Ausbreitung ca. 0,5 höher ist als bei dem normal zirkulierenden Typ. Das heißt R0, diese Höchstgeschwindigkeit der Reproduktionsrate, ist z.B. bei 3,5 statt bei drei. Das ist ein marginaler Unterschied aus mehreren Gründen. Der eine ist, dass dieser Basiswert von ungefähr 3, von dem wir weltweit zurzeit so ausgehen, ist eine Schätzung, die zwischen 2,5 und 4,5 liegt. Und dazwischen irgendwo liegt es. Je nach Ausbruch kriegen Sie auch unterschiedliche Daten, je nach Rahmenbedingungen. Das heißt, das ist sowieso eine wachsweiche Zahl. Und ob das ein bisschen mehr ist bei dem einen Virus, das macht für die praktische Epidemiologie keinen Unterschied, denn das Virus kriecht ja deswegen nicht durch ihre Stoffmaske durch, weil R0 = 3,5 statt 3,0 ist. Vielmehr wird es weiterhin an den Stellen, wo Sie – um im vorigen Bild zu bleiben – die seitlichen Türen offen haben, da wird es reinkommen. Die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, wo es funktioniert – z.B. hatten wir ja gute Konzepte für den Einkauf oder wenn Sie mit der FFP2-Maske im Zug sitzen oder so was –, da ist das völlig egal, ob das ein Virus mit einem R von 3,0 oder von 3,5 ist. Wir verringern ja diese Maximalgeschwindigkeit durch die antiepidemischen Maßnahmen auf ein R von ungefähr1. Das ist ja bekannt, dass wir schon lange bei 1 sind. Das kann man sich so vorstellen: Wenn Sie ein Auto in der Garage einsperren, ist es egal, ob das ein Ferrari oder ein Käfer ist, die Höchstgeschwindigkeit interessiert sie nicht. Sie haben es sozusagen an der Leine. Wir müssen uns an die Leine nehmen. Aber da gibt es für die praktische Situation kein Unterschied.


Camillo Schumann:
Aber noch einmal gefragt: In Irland ist es ja nun mal Fakt gewesen, dass sich die Zahlen verzehnfacht haben. Eine absolute Ausnahmesituation, 6.000 Neuinfektionen, das ist für die Insel richtig viel. Und 50 Prozent der nachgewiesenen Neuinfektionen sind auch auf die Mutation zurückzuführen. Da ist doch ziemlich Druck auf dem Kessel.


Alexander Kekulé:
Genau, diese Zahlen muss man  richtig interpretieren. Das ist folgendermaßen: In Irland haben wir erstens eine Verzehnfachung des Anteils dieser neuen Variante B1.1.7. Da haben es Ende November/Anfang Dezember die ungefähr 4-5 Prozent von der neuen Variante gehabt. Und jetzt ist es bei 50 Prozent. Das ist eine Verzehnfachung. Warum hat sich die Variante durchgesetzt? Das müssen Sie sich so vorstellen: Das sind ja Milliarden von Viruspartikeln, die gegeneinander antreten. Es ist eine Massenstatistik, die da stattfindet. Und stellen Sie sich vor, Sie haben dort z.B. Kinder, die einen sind 6, die anderen 6,5 Jahre. Ich bin nicht der große Pädagoge, aber ich würde schätzen, ein Kind mit 6,5 Jahren läuft wahrscheinlich –  statistisch gesehen – ein bisschen schneller als eins mit 6. Wenn Sie Millionen von Kindern gegeneinander antreten lassen, 1 Million 6-Jährige und 1 Million 6,5-Jährige kriegen Sie den Effekt, dass immer die 6,5-Jährigen das Wettrennen gewinnen. Und deshalb ist es hier so, dass der kleine Unterschied von 3,0 zu 3,5 bei diesem Massenstart dieser Viren, die sich ja gegenseitig verdrängen, weil jemand zuerst beim nächsten Opfer ist, der verdrängt die anderen. Denn jemand, der mit einem Virus infiziert ist, kann ja nicht im 2. noch zusätzlich infiziert werden im gleichen Moment. Und deshalb ist es so, dass sich immer das schnellere Virus durchsetzen wird. Sodass Sie bei so einem Massenexperiment – statistisch gesehen – in die Situation kommen, dass ein kleiner Unterschied sofort dazu führt, dass Sie von vier Prozent auf 50 Prozent innerhalb von wenigen Wochen hochkommen. Das heißt aber nicht, dass der Unterschied relevant wäre, sondern der ist klein und wird aber statistisch sozusagen herausgemendelt. 

Das andere ist die Frage: Warum haben sich die Fallzahlen so stark erhöht? Da weiß ich gar nicht, ob sie sich verzehnfacht haben. So krass war es nicht. Aber es ist richtig, dass Irland in den letzten Wochen sowohl die Vereinigten Staaten als auch das United Kingdom überholt hat. Das sind aber zwei Länder, die schon hohe Zahlen haben bei den Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Warum haben Sie das gekriegt, das ist ja die Katastrophe, dass so viele Erkrankungen da sind. Und da sagt die irische Regierung so wie das vorher Boris Johnson im Vereinigten Königreich gesagt hat: oh, das ist die neue Variante. Genauso sagt die Regierung von Südafrika: Wir sind nicht schuld. Wir haben alles toll gemacht. Die neue Variante ist schuld. Das ist aus politischer Sicht auch bequem. Es ist ja so, die haben Anfang Dezember – weil sie so gut dastanden in Irland  - die Pubs geöffnet, alle Gaststätten geöffnet, sie haben dazu aufgefordert, easy Christmas zu feiern. Und danach sind die Fallzahlen hochgegangen. Und wenn man im Lockdown von der Bremse geht, dass man da plötzlich eine Explosion der Zahlen kriegt, haben wir in Deutschland auch erlebt: dass diejenigen, die sich sozusagen sicher fühlen – Stichwort Sachsen, Thüringen, weil sie sagen, bei uns ist ja alles gut –, dass die, wenn sie sich locker machen, plötzlich eine explosionsartige Vermehrung haben. Das kennen wir aus dem eigenen Land. Und jetzt sagen bekanntlich Herr Ramelow und auch der Ministerpräsident von Sachsen, das haben wir irgendwie falsch eingeschätzt. Die Iren sagen stattdessen: Nein, wir machen ja alles richtig. Das liegt an der Variante. 


Ich will nicht sagen, dass die Variante gar keine Rolle gespielt hat. Aber das ist nur statistisch. Die Frage ist doch: Müssen wir die Gegenmaßnahmen nachschärfen, weil wir eine neue Variante haben, so wie es damals in Italien auch war – da kam diese G-Variante auf, und in Brasilien gibt es eine neue, die auch schon in Japan entdeckt wurde –, müssen wir wegen dieser Varianten nachschärfen? Und ich sage nein. Der Unterschied ist für die antiepidemischen Maßnahmen nicht relevant, obwohl diese neuen Varianten das sein, werden, mit dem wir es in den nächsten Monaten zu tun haben. Aber Sie werden nicht stärker krank deswegen. Und Sie müssen auch nicht Angst haben, dass die durch die Poren von einer Maske durchgehen oder Ähnliches. 


Camillo Schumann:
Eine schwierige Argumentation an einem Tag mit 25.000 Neuinfektionen.


Alexander Kekulé:
Ja, was soll ich Ihnen sagen, da muss man trotzdem nüchtern bleiben. Wenn Sie als Feuerwehrmann zu einem Großbrand kommen, ist immer Panik. Es gibt selbst Profis, bei denen echt das Herz hoch schlägt. Und wir haben so etwas schon live erlebt. Ich war ja früher mal Notarzt, der weiß, dass das eine Situation ist, bei der viele Menschen in Panik geraten. Aber trotzdem muss der Feuerwehrmann kaltblütig hingucken und sagen, wo genau die Brandquelle ist und nicht anfangen, Löschwasser sonstwohin zu spritzen. Da muss er gucken, aha, da ist die Gasleitung, wo es rauskommt, da muss ich mich hinarbeiten. Da setze ich meine Kräfte ein, und da mache ich das Ding dichter, dann wird das Feuer ausgehen. Und diese Professionalität hätte ich gerne auch hier bei dem Flächenbrand, den wir in Europa gerade mit Covid haben.


Camillo Schumann:
Genau hinschauen ist genau das Stichwort. Herr Wieler, der Präsident des RKI, hat gesagt, man habe noch keine Kenntnis darüber, wie stark sich die Mutationen in Deutschland verbreitet. Bei insgesamt 15 Reiserückkehrern sind die Mutation aus Südafrika und Großbritannien – Stand heute – auch nachgewiesen worden. Und es muss mehr sequenziert werden. Und v.a. muss auch mehr gemeldet werden, hatte er heute gesagt. Wir hören mal kurz rein:


„Und was ein wichtiger Kern ist, das hatte ich am Anfang gesagt, es wird in Deutschland einiges auch an Sequenz analysiert, aber die Daten werden nicht alle in öffentlichen Repositorien sofort zur Verfügung gestellt. Und das ist ein riesiger Aufruf, den ich auch, glaube ich, vor Weihnachten schon hier getätigt habe: Alle Kolleginnen und Kollegen, die  sequenzieren in Deutschland, die solche Proben sequenzieren, die mögen, sobald sie einen Befund haben, den in öffentliche Datenbanken hochladen. Die Verordnung wird dafür Sorge tragen, dass sie das ans Robert-Koch-Institut melden müssen, damit wir das zentral erfassen, was die beste Lösung ist, denn wir brauchen ja den Überblick. Aber der entscheidende Punkt ist, dass die Kolleginnen und Kollegen, die  ein Raum von Forschungsprojekten und was auch immer, so eine positive Sequenz haben, die müssen sie auch melden!“


Camillo Schumann:
Das wirkt schon fast verzweifelt. 


Alexander Kekulé:
Ehrlich gesagt, möchte ich nicht in der Haut von Herrn Wieler stecken. Der weiß ja im Prinzip, was er bräuchte. Aber auch in dieser Situation äußert er sich spät. Wir haben in diesem Podcast – nach meiner Erinnerung war das Ende September – zum ersten Mal darüber gesprochen, dass die molekularbiologische Surveillance bei uns, sprich die Analyse von Gensequenzen in Deutschland, zu schwach ist, dass wir zu wenig machen. Wir haben das damals im Zusammenhang mit den ersten Mutanten, die damals schon irgendwo identifiziert wurden, besprochen. Scheinbar hat das Robert-Koch-Institut sich da nicht so deutlich geäußert, weil erst in den letzten Tagen die Bundesregierung gesagt hat, okay, nehmen wir mal richtig Geld dafür in die Hand. Die Labore sind ja auch alle im Stress. Ich will nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Ich kann Ihnen versichern, dass alle Labore, ich leite eins davon, die eine solche Covid-Diagnostik machen, wirklich mit dem Rücken zur Wand stehen und sich auch das Personal die größte Mühe gibt, irgendwie hinterherzukommen. Und da zu  sagen, ihr müsst da noch was sequenzieren, das ist richtig viel Extraarbeit. Darum wird es nur in einigen Laboren passieren, z.B. im Rahmen von Forschungsarbeiten. Aber da kriegen Sie nicht Tausende von Sequenzen her, um mal so eine Größenordnung zu sagen. Es gibt ja ein Referenzlabor, was dafür zuständig ist. Und das ist das Labor von Herrn Drosten in Berlin. Das ist das Labor, was für diese Dinge zuständig ist. Das hat seit Beginn der Pandemie nach den offiziellen Zahlen ungefähr 900 Sequenzen gemacht seit Beginn der Pandemie. Und dann kommen, würde ich mal sagen, noch 800 bis 900 dazu, die gemeldet wurden von irgendwelchen peripheren Laboren. Gut, kann sein, dass da ein paar unter den Tisch gefallen sind. Vielleicht gibt es nur noch 200 mehr, die man rausquetschen kann, wenn der Aufruf von Herrn Wieler befolgt wird. Aber Sie müssen sich das so vorstellen: Die Labore, die diese Sequenzen machen, sind ja eher Universitätslabore. Und die kennen sich alle mit dem Vornamen. Wir sind eine Clique. Wir benehmen uns ja zum Teil schon wie in der Familie. Ich gehe davon aus, dass 90 Prozent der Kollegen, wenn Sie irgendwie ein auffälliges Isolat haben – z.B. Sie finden die südafrikanische Variante bei sich irgendwo in einem Provinzlabor, natürlich melden die das dem RKI. Das sind ja keine Schlafmützen. Die melden wahrscheinlich nicht, weil sie nichts gefunden haben. Aber wenn sie was Spannendes finden, melden sie es.  Wissenschaftler sind ja auch immer so ein bisschen eitel, da will man zeigen: Schaut mal her, was ich Tolles gefunden habe. Ich glaube nicht, dass sie massenweise exotische Varianten haben und das nicht melden. Klar kann es sein, dass es Verzug gibt, und das muss man organisieren. Aber ich muss schon sagen: Wir haben Mitte Januar. Und diesen Aufruf zu machen, ist nicht besonders kreativ. Wenn wir das im Podcast Ende September/Anfang Oktober gemacht haben, würde ich erwarten, dass eine staatliche Stelle da einen Monat früher darauf gekommen sein sollte. Und jetzt ist es  halt verdammt spät. Und deshalb würde ich mal davon ausgehen – und ich glaube, das machen alle meine Kollegen, ohne alarmistisch sein zu wollen: Gehen wir doch mal praktisch davon aus, dass von diesen Varianten schon ziemlich viele in Deutschland sind, zumindest von der englischen, vielleicht auch von der südamerikanischen und südafrikanischen. Und da ändert sich letztlich nichts. Es ist halt ein anderes Virus. Wir machen eine andere Variante, wir machen die gleichen Maßnahmen. Und es ist nur der Appell, diese vier Löcher zu stopfen, die wir schon länger identifiziert haben. 


Camillo Schumann:
Aber braucht es so viele Sequenzen der neuen Mutationen, reichen nicht ein paar um das  statistisch repräsentativ hochzurechnen? 


Alexander Kekulé:
Das ist eine kluge Frage.  Das kommt halt darauf an, von welcher Seite Sie das sehen. Ich weiß auch, dass die Bundeskanzlerin – ich weiß nicht, wer sie da beraten hat – sagt: Ja, wir brauchen strengere Maßnahmen, weil die neuen Mutanten infektiöser sind. Das ist ja auch aus Laiensicht klar, dass man denkt, Mensch, das ist infektiöser, was machen wir? FFP-2 statt Stoffmaske oder so was, oder einen Kontakt statt zwei Kontakte. Aber das ist ja letztlich nicht unser Problem. Wie gesagt, es hat keinen Sinn, weil das ein bisschen infektiöser ist, an der Haustür noch vorn drei Schlösseranzubringen, wenn links und rechts alles offen ist. Und es ist so, dass wir diese Daten dann bräuchten, wenn wir der Meinung wären, das mit Zunahme der Varianten auch zunehmende Gegenmaßnahmen erforderlich sind, wenn es so, wenn es einen Zusammenhang gäbe. Aus meiner Sicht ist das relativ akademisch. Es wäre schön gewesen, wir hätten diese Varianten vorher entdeckt, weil wir das schneller mit einbezogen hätten in verschiedene Überlegungen. Aber praktisch gesehen passt sich das Virus weltweit an. Es gibt da zwei verschiedene Anpassungsbewegungen. Die eine ist, dass es kontagiöser wird, wie wir sagen, also stärker ansteckend ist. Und das passiert sozusagen auf der virologischen Ebene erstens dadurch, dass kleinere Mengen vom Virus schon zur Ansteckung führen können. Das heißt, es wird ja immer so diskutiert, dass es stärker an den Rezeptor bindet und dadurch weniger Viren reichen für eine Infektion. Und der zweite wichtigere Faktor ist, dass das Virus, wenn es den Menschen länger krank macht, länger krank hält, länger ausgeschieden wird und dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass mehr Menschen angesteckt werden. Die Dauer der Ansteckungsfähigkeit verlängert sich. Die zwei Mechanismen – das ist sozusagen lehrbuchhaft von vielen vorausgesagt worden – die passieren jetzt und da werden wir nichts dagegen machen können. Das ist der Lauf der Dinge. 

Und es passiert noch – davon in gewisser Weise unabhängig – eine zweite Anpassungsbewegung. Und die ist eher beunruhigend. Es ist nämlich so, dass das Virus auch darauf reagiert, dass zunehmend Menschen immun dagegen sind, entweder durch durchgemachte Infektionen oder demnächst durch Impfung. Und da passt es sich in der Weise an, dass es dieser Immunantwort entkommt. Wir nennen das Imun-Escape, quasi ein Entkommen von der Immunantwort. Das ist in gewisser Weise ein davon unabhängiger Prozess. Und die Variante in Brasilien ist ja deshalb so beunruhigend, weil die einerseits diese Veränderung, diese Mutation hat, die wir schon bei der B1.1.7 aus dem Vereinigten Königreich besprochen haben, diese sogenannte N 501 Y-Mutation, die offensichtlich zu erhöhter Kontangosität führt. Sie hat aber zweitens im gleichen Virus – zumindest einige Isolate haben das – die neue Variante, die heißt E484K. Die haben ja auch schon mal besprochen. Und das führt wahrscheinlich zu einem Imun-Escape, das heißt dazu, dass die gleichen Menschen, die schon mal die Krankheit durchgemacht haben, noch einmal infiziert werden können mit dieser Mutation. Und wenn eine Variante beides hat, sie ist leichter übertragbar und kann eventuell auch Leute infizieren, die immun sein sollten durch Impfung oder durch Erkrankungen. Das gibt der Pandemie dann eine neue Dynamik, weil der Grundsatz gilt: Falls es so sein sollte – das ist ja noch nicht klar –, würde der Grundsatz nicht mehr gelten: Wenn du geimpft bist, bist du sicher. Und wenn du es einmal durchgemacht, dann kriegst du es erstmal nicht noch mal. Und diese Tendenz haben wir bei der brasilianischen Variante vor dem Auge. Und es gibt Hinweise, die da zur Vorsicht mahnen.


Camillo Schumann:
Und wie die Impfstoffe darauf reagieren können, wollen wir gleich im weiteren Verlauf des Podcasts noch mal besprechen, weil das wirklich ein sehr wichtiger Punkt ist. Zu Re-Infektionen gab es bisher nur vereinzelte Meldungen. Und ich habe auch mal das RKI angefragt, ob in den Gesamtneuinfektionszahlen möglicherweise Re-Infektionen mit dabei sind, oder ob die separat erhoben werden. Und da wurde mir gesagt, dass Re-Infektionen nicht meldepflichtig sind. Wenn ein solcher Fall aufträte, würde er als neuer Fall übermittelt. Das RKI geht aber davon aus, dass solche weltweit seltenen Ereignisse auch dem RKI bekannt würden. Bisher sind Re-Infektionen noch kein großes Thema.


Alexander Kekulé:
Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich in dem Fall – wenn ich das so höre, muss ich da ein bisschen vorsichtig sein – mündlich von zwei verschiedenen Leitern von Gesundheitsämtern die Informationen bekommen habe, dass sie in ihrem Bereich – und normalerweise sind bei uns die Leiter von Gesundheitsämtern für ihren Bezirk doch gut informiert. Es ja ein Vorteil, dass wir diese ungefähr 400 regionalen kleinen Zellen haben –  unabhängig voneinander gesagt haben, sie sahen im Herbst Leute, die Stein und Bein schwören, sie hatten im Frühjahr schon mal Covid. Die sind zum Teil sogar positiv getestet worden, und sie kommen wieder mit einer Covid-Erkrankung. Das ist aber leider mündlich, und das Robert-Koch-Institut hat da sicher bessere Daten. 

Ich schildere mal, was in Brasilien gerade los ist: Wir haben im Norden und Nordosten Brasiliens die Situation, dass die längst diese 60 Prozent durchgemacht haben, wo man langsam Richtung Herden-Immunität denken muss. Und da ist die Infektionswelle zurückgegangen. Und wir haben alle gesagt, es liegt an der Herdenimmunität, z.B. da im Bundesstaat Amazonas ist es riesengroß oder in Bahia da im Norden. Wer sich ein bisschen auskennt, weiter Nordwesten, Pernambuco und Rio Grande do Norte. Und diese Regionen da oben, die medizinisch schlecht versorgt sind, wo wir auch bei Zika schon das Problem haben, da ist es so, dass sie so eine Art zweite  Welle haben. 


Und ausgerechnet dort kommen die Mutanten her, die  dieses E484K haben, diese eine Mutation an der Stelle, wo auch der Rezeptor von dem Virus gebunden wird und wo wir wissen, das ist leider auch in Experimenten schon gezeigt worden, dass diese (Mutante) wohl zu einem Imun-Escape führt. Dass da die neutralisierenden Antikörper, die man gebildet hat nach der Infektion mit dieser kleinen Variante dieses Proteins vom Virus plötzlich nicht mehr richtig binden. Das kann man sich so vorstellen: Das Virus kommt ja quasi an den Rezeptor,  an den es sich gerade andocken will, aber da hängt dieser blöde Antikörper dran. Und deshalb kommt es nicht an den Rezeptor. So ändert es die Stelle, wo sich der Antikörper bindet. Und damit kannst du den quasi abschütteln und doch wieder an die Zelle andocken. Und auch bei einem immunen Menschen, der schon Antikörper im Blut hat oder sonst wo auf der Schleimhaut hat, kann das zu einer Infektion führen. Und deshalb mendelt sich so eine Mutante immer nur raus, wenn eine Population zum großen Teil schon die Infektion durchgemacht hat. Und dass wir diese Mutante gerade in Brasilien sehen – und ich bin sicher, genau die gleichen oder sehr ähnliche werden, z.B. in Indien, in den großen Zentren, wo wir auch wissen, dass die Durchseuchung hoch ist – vorhanden sind, aber nicht nachgewiesen worden sind. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass dieses Virus dabei ist auszubüchsen und zwar schneller, als wir das von den anderen Coronaviren kennen. Bei den anderen hat es ein, zwei Jahre gedauert, und hier scheint es so zu sein, dass –  wie lange läuft die Pandemie – Na ja, gut, wir haben sie bald ein Jahr. Aber es ist schon fast planmäßig. Da verändert sich das Virus  so, dass man  Corona zweimal kriegen kann? Zumindest wenn ich in Brasilien wäre, würde ich davon ausgehen – falls jemand da gerade seinen Urlaub geplant hat von unseren Hörern – gehen Sie davon aus, selbst wenn sie Covid schon hatten in Deutschland, können Sie sich in Brasilien mit der Variante, die dort zirkuliert, demnächst auch ein zweites Mal infizieren. Übrigens wird die Zweitinfektion tendenziell leichter von dem, was wir wissen, nicht schwerer, und hoffentlich gibt es weniger Todesfälle. Darüber haben wir noch keine Zahlen. 


Camillo Schumann:
Genau das wollte ich gerade fragen. Die entscheidende Frage ist ja auch, mit welcher Härte die Zweitinfektion zuschlägt. Und die zweite große Frage: Wirken die Impfstoffe von Biontech und Moderna auch gegen diese Mutation? Dazu hat sich Lothar Wieler, der Präsident des RKI, heute auch geäußert:


„Wenn Varianten auftreten sollten, gegen die dieser Impfstoff,  z.B. Biontech- oder Moderna -Impfstoff nicht mehr so gut wirken sollte, sind die Firmen in der Lage, in wenigen Wochen angepasste Impfstoffe zu produzieren. Das ist ein genialer, innovativer Fortschritt. Das ist einer der weiteren wirklich großartigen Erfolge dieses mRNA-Impfstoffes.  Sie können den Bauplan recht rasch ändern. Die Zulassung lässt es zu, dass diese neun Impfstoffe mit diesem geänderten Bauplan in kurzer Zeit auch wieder eingesetzt werden können.“


Camillo Schumann:
Das Virus ist zwar clever, wir sind aber auch clever. 


Alexander Kekulé:
Was Herr Wieler da angesprochen hat, ist die sogenannte Mock-up-Zulassung. Es ist ja so, dass wir hier im EU-Verfahren die sogenannte Notfallzulassung oder Emergency Procedure haben im Moment. Das kann ich nur noch mal betonen: Wir haben es hier zu tun mit der Emergency Procedure der EU. Und da sind für Impfstoffe, die gegen Pandemien sind, zwei verschiedene Verfahren vorrangig. Es gibt noch eine dritte Methode, aber die zwei sind wichtig. Das eine ist das, was hier bei Moderna und bei Biontech gemacht wurde. Das ist das Rolling-Review-Verfahren, dass man quasi die Daten frühzeitig einreicht und eine vorläufige Zulassung erteilt wird und man einige Daten nachreichen kann. Und dass zweite ist dieses sogenannte Mock-up-Verfahren. Das funktioniert so, dass man eine Zulassung bekommt gegen ein bestimmtes Virus, einen Typ eines Virus. Das hat man für Influenza mal erfunden, wo man ja nicht genau wusste, wird die nächste Pandemie von H5N1 oder von einer anderen HN-Kombination ausgelöst. Aber man wollte trotzdem die Zulassung beschleunigen. Da hat man gesagt, ihr dürft gegen ein bestimmtes Virus die Zulassung beantragen, alle Phase-3-Studien machen, alles komplett bei uns auf den Tisch legen. Und wenn das Influenzavirus nicht z.B. H5N1 ist, was die nächste Pandemie macht, sondern H5N4, gilt die Zulassung trotzdem dafür. Ihr dürft diese Kleinigkeit in Anführungszeichen ändern, um gegen die Virus-Variante den Impfstoff umzubauen. Und der ist trotzdem sofort zugelassen, das ist Mock-up. Und ich nehme an, das hat Herr Wieler angesprochen. Und es gibt schon Gespräche zwischen den Herstellern und Brüssel, dass man für den Fall, dass es zu dieser Verschiebung kommt, dass man was ändern muss, man so eine Mock-up-Zulassung kriegt. Das wird sicherlich relativ flugs passieren. Und ja, es ist richtig, man kann innerhalb von acht Wochen diese RNA-Impfstoffe umstellen. Trotzdem haben wir Probleme: Wir haben ja Produktionsengpässe, Lieferengpässe und v.a. zum Teil nicht so viel bestellt, dass wir gleich morgen alle durchimpfen können, und die Logistik hängt auch noch hintendran. Das heißt, es dauert, ohne dass dies ein Vorwurf ist. Ist eben so. Da wird auch viel zu viel mit Kritik und Dreck geworfen, dass man sagt, Mensch, es geht so langsam. Man soll froh sein, dass wir überhaupt so viele geimpft haben. Das fängt ja auch an. Trotzdem gibt es ja Berechnungen, bis wir hier in Deutschland so halbwegs alle durchgeimpft haben, dass das ein epidemiologischen Effekt hat und nicht nur die Risikogruppen halbwegs schützt, wird es auf jeden Fall Sommer oder Herbst. Vor diesem Hintergrund muss man sagen: In dieser Zeit verändert sich das Virus. Und da sollte man eine neue Produktion auflegen mit einem geänderten Impfstoff. Das wird dieses Jahr nicht mehr funktionieren. Wegen der Produktionskapazitäten im Labor haben die den ruckzuck aber Produktionskapazität. Selbst wenn die Zulassung schnell sein sollte, funktioniert das nicht. Und sie müssen ja immer erst einmal testen, wenn Sie eine Virus-Variante haben. Jetzt haben wir alle international auf dem Radar diese E484K-Variation, die in Brasilien aufgetaucht ist und übrigens schon bei einigen Reisenden in Japan identifiziert wurde. Und wenn wir das auf dem Radar haben, stellen Sie sich vor, man würde den Impfstoff ändern. Dafür müssen sie auch erst einmal ausprobieren, ob der wirkt. Gerade wenn es vorher nicht so richtig funktioniert hat, müssen sie einen Wirkungsnachweis erbringen. Sie können das nicht nur im Labor herstellen. Das wären die sechs bis acht Wochen. Und dann sagen Sie, jetzt stelle ich mal schnell paar Milliarden her, sondern sie müssen schon ausprobieren, ob das auch schützt. Vielleicht nicht mehr an 40.000, sondern nur an 3.000 oder 5.000 Probanden, aber da ist schon ein gewisser Vorlauf notwendig. Und deshalb sehe ich das doch mit Bedenken. 

Und das andere, was man im Auge haben muss, ist Folgendes: Was wir hier sehen, ist, dass Menschen, die auf natürlichem Weg infiziert wurden, selbst die sind offensichtlich nicht geschützt vor Re-Infektion, zumindest in Einzelfällen. Und da muss man die Frage stellen – da sind ja viele Antikörper gebildet, die so einen Impfstoff nicht hervorruft, weil der Impfstoff ja nur dieses S-Protein generiert, dieses Spike-Protein von dem Virus und so ein Viruspartikel ist für den Organismus und das Immunsystem ein viel stärkerer Stimulus – hat man eine Immunität nur auf der Schleimhaut, oder hat man eine Immunität woanders im Körper? Das sind ja unterschiedliche Antikörper. Und da würde ich nicht extrapolieren und sagen, da ändert man mal ein paar Aminosäuren, sozusagen in diesem künstlichen Impfstoff und dann wird es schon funktionieren. So einfach wird es nicht gehen.


46:56

Camillo Schumann:
Sollten sich Menschen, die Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, auch impfen lassen? Das ist eine Frage, die unsere Hörer umtreibt. Sehr viele E-Mails und Anrufe bekommen wir dazu. Die Ständige Impfkommission Stiko, die sagt deutlich erst mal nein. In ihrer aktualisierten Empfehlung zur Impfung schreibt sie:


„Die Stiko kann auf Basis der aktuell vorliegenden Evidenz noch keine endgültige Aussage machen. Nach überwiegender Expertenmeinung sollten Personen, die mit Sars-CoV-2 infiziert waren, sich zunächst nicht impfen lassen, da  eine gewisse Schutzwirkung durch eine Sars-CoV-2-Infektion anzunehmen ist. Und diese Impfdosen sollten für Nicht-Infizierte Person verwendet werden.“


Die Stiko geht auf Nummer sicher. Wenn ich Ihnen so zuhöre, würde ich eher die Tendenz haben, Menschen, die das vielleicht im Frühjahr oder im Sommer schon durchgemacht haben, sollten sich vielleicht doch impfen lassen?


Alexander Kekulé:
Nein, weil der Impfstoff auf der Basis des Virus aus der ersten Welle generiert worden ist. Dieser Prototyp, der da verwendet wurde, war ein amerikanisches Isolat. Und aus diesem Prototyp hat zumindest Biontech seinen Impfstoff generiert. Bei Moderna weiß ich es nicht genau, ob die das öffentlich gemacht haben. Aber Biontech hat das kürzlich genau gesagt, aus welchem Isolat sie diesen Impfstoff hergestellt haben, in dem Sinn, dass man geguckt hat, wie sieht dort das Protein aus. Und da hat man das quasi 1:1 nachgebaut in eine RNA, die genau dieses Protein generiert. Mit der kleinen Besonderheit, dieses Protein hat zwei verschiedene Rezeptoren. Wir nennen das Konfigurationen. Das sieht anders aus. Bevor es angedockt ist an den Rezeptor, schnappt dieses Protein quasi zu. Und diese Änderung der Form des Proteins, die will man nicht haben. Man will quasi den noch nicht zugeschnappten Rezeptor, dieses noch nicht zugeschnappte Spike-Protein haben. Und dafür haben die gesorgt, dass genau das generiert wird. Aber das Virus, das die Blaupause dafür war, das war ein Satz der ersten Welle. Und da muss man sagen, wer eine Infektion hatte in der ersten Welle, der hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit – da gab es noch nicht so viele Varianten – ein sehr ähnliches oder genau dieses Virus abbekommen. Und deshalb kann ich nicht empfehlen – die Stiko sagt das letztlich richtig –, dass sich jemand, der die Infektion durchgemacht hatte, also viel breiter aufgestellt ist mit Antikörpern, mit spezifischen T-Zellen, mit Sorten von Antikörpern, die auch auf der Schleimhaut existieren, dass der sich impfen lässt. Es wäre Unsinn, da soll man die Impfdosis lieber jemand anders geben. Interessant fand ich, dass die Stiko ein bisschen geschlingert ist. Einerseits sagen sie, wir geben keine Empfehlung, und dann sagen sie „nach mehrheitlicher wissenschaftlicher Meinung“, so als wäre das jemand anders als die Stiko. Das hat mich ein bisschen gewundert. Da wurde lange diskutiert, wie man das formulieren soll. Aber es ist trivial. Wenn Sie die Krankheit durchgemacht haben, haben Sie sozusagen nicht nur einen Gürtel, sondern da haben sie den Gürtel und die Hosenträger und die Hose auch noch mit dem Tacker irgendwo festgenagelt. Und in diesem Bild wäre die Impfung halt nur ein Hosenträger. Sie haben, wenn sie die Infektion durchgemacht haben, sind sie auf jeden Fall um Klassen besser geschützt als mit dem Impfstoff alleine. Und deshalb halte ich es für völligen Unsinn, Leute zu impfen, die die Infektion durchgemacht haben. Abgesehen davon: Die Phase-3-Studien und Phase-2-Studien wurden ja alle gemacht mit Leuten, die alle zum allergrößten Teil noch nie Kontakt mit dem Virus hatten. Aufgrund der Epidemiologie kann man das schätzen, und deshalb wissen wir gar nicht, wie das mit den Nebenwirkungen aussieht. Bei Leuten, die schon mal das Virus erlebt haben, vielleicht sind da die allergischen Reaktionen häufiger oder Ähnliches. Und deshalb würde ich es nicht darauf ankommen lassen.


Camillo Schumann:
Aber möglicherweise die Update-Impfung vielleicht für Menschen, die sich schon mal infiziert hatten. Wenn die Unternehmen reagiert haben auf die Mutation, dass man sich diesen Schuss auch noch gibt? Wer auf Nummer sicher gehen will? Oder wäre das ein bisschen übertrieben?


Alexander Kekulé:
Das ist sehr in die Zukunft blickend. Aber ich würde mal sagen, wenn wir unseren Podcast vom 14.01.2022 aufnehmen, könnte es sein, dass genau diese Frage im Raum steht. Aber das ist genau richtig gedacht. Wenn man sozusagen einen RNA-Impfstoffe Version 2.0 hat, kann es sein, dass jemand, der mit dem Virus 1.0 infiziert war, davon profitiert. Genau, das ist richtig. 


Camillo Schumann:
Und irgendwann wird dann die Re-Infektionen. möglicherweise auch separat erhoben. Das wäre doch auch mal interessant, wie viel von den 25.000 sich neu infiziert haben und wieder infiziert haben, oder?


Alexander Kekulé:
Unter den vielen Dingen, ich meine den Lagebericht vom RKI von heute oder von gestern, da ist schon interessant, was da erhoben wurde und was nicht. Und es fehlen so wahnsinnig viele Daten. Wo man sich fragt, wieso wird das nicht übermittelt? Wieso stochern wir da so im Dunkeln rum? Wir können ja auch gerne über ein paar Einzelheiten nachher noch sprechen. Und die Re-Infektionen? Ja, das wäre etwas, was man dringend übermitteln müsste. Das kann ja nicht sein, dass Leiter vom Gesundheitsamt den Eindruck haben, da seien Leute, die hätten sich reinfiziert, und das RKI nichts davon weiß.


Camillo Schumann:
Ja gut, aber dann soll das Gesundheitsamt diese Informationen auch dem RKI melden, die sind ja in der Bringschuld. Das RKI fährt ja nicht hin und sagt: Hier gibt es mehr.


Alexander Kekulé:
Nein, das müssen Sie anders sehen. Dieser Prozess ist zum großen Teil automatisiert. Das sind so Webseiten, wo man das eingibt. Es wird immer davon geredet, dass es noch einzelne gebe, die Faxe schicken. Aber letztlich sind es die Ausnahmen. Ja, das ist eine Webseite, wo man was eingeben muss und was da einzugeben ist, das gibt schon das RKI vor, und die müssen sagen, was sie haben wollen. Und wenn im aktuellen Bericht z.B. der Satz drin steht: „Seit Herbst 2020 können zu den Einrichtungen auch differenziertere Angaben erfasst werden.“ Zu den Einrichtungen da ist z.B. Schulen gemeint oder Ausbrüchen in Altersheim oder auch Ausbrüche im Krankenhaus. Seit Herbst können die auch in differenziertere Angaben erfasst werden, z.B., ob sie es um eine Schule oder eine Kita gehandelt hat, z.B. ob sie es um im Krankenhaus oder in der Arztpraxis gehandelt hat, das ist doch nun wirklich ein Riesenunterschied und wahnsinnig wichtig. Und es wird bis heute nicht einmal erfasst, ob es eine Grundschule oder eine weiterführende Schule ist. Und all diese Dinge, die gibt das RKI vor, das RKI macht seine Wunschliste und schimpft völlig zu Recht, dass viele es nicht ausfüllen. Die Prozente, sind gruselig. Die Anteile, die da bekanntgegeben haben, was z.B. in den Einrichtungen stattfindet oder nicht, sind gering. Und nur 60 Prozent geben überhaupt an, welche klinischen Merkmale die Patienten hatten usw. Und diejenigen, die genauer angeben, wie viel Prozent bei ihnen z.B. in der Kita waren, sind noch weniger. Aber dass das RKI das erst seit Herbst 2020 überhaupt abfragt, wo wir uns seit einem Jahr damit beschäftigen, finde ich erklärungsbedürftig.


Camillo Schumann:
Auf der anderen Seite hat Herr Wieler auch gesagt, dass die Gesundheitsämter über fünf unterschiedliche Software-Typen verfügen und teilweise die Softwareunternehmen nicht die Fragen übernommen haben, die das RKI vorgibt. Und somit sind die Informationen, die gemeldet werden an das RKI immer löchrig.


Alexander Kekulé:
Das RKI ist ja nur eine obere Bundesbehörde. Zuständig ist der Bundesgesundheitsminister in diesem Geschäftsbereich. Und wenn der jedesmal, wenn irgendwo in seiner Behörde einer was verbaselt hat, sagen würde: Naja, die haben das da unten nicht hingekriegt. Ich bin da dran, dass da mal was passieren soll. Das ist nicht so üblich. Irgendjemand muss da schon die Verantwortung tragen. Dafür sitzt er ja oben. Und ich finde nicht, dass man nach einem Jahr noch sagen kann: Ja, da sind die Daten nicht da, und die Softwarehersteller haben nicht geliefert usw. Das kann man ja mal ein paar Wochen lang machen. Aber wie gesagt, wir schreiben das Jahr 2021. Demnächst ist Jahr zwei der Pandemie, und da würde ich schon erwarten, dass das irgendwann mal durchgestellt ist. Und da kann man das nicht auf irgendwelche Zulieferer schieben.


Camillo Schumann:
So, jetzt haben wir wieder fast eine Stunde gesprochen und noch so viele Themen vor der Brust. Meine Redaktion schaut immer kritisch auf uns und sagt, macht nicht so lang, und das geht doch nicht, dem hört doch keiner mehr zu. Ich würde Kraft meiner Wassersuppe sagen: Die machen wir noch, weil das sehr interessante Themen sind. 

Thema FFP2-Masken: Im Frühjahr gab es kein Klopapier. Und jetzt gibt es keine FFP-2 Masken mehr, mancherorts zumindest. Bayern hat ja am Montag das Tragen einer FFP2-Maske im ÖPNV und in Geschäften zur Pflicht zu machen. Manche Bundesländer denken auch darüber nach und vorsorglich decken sich offenbar viele Menschen mit FFP2-Masken ein. Sie haben ja immer dafür plädiert, dass sich v.a. Risikogruppen mit diesen Masken schützen sollen. Ist es möglicherweise gerade mit Blick auf die infektiöse Virus-Mutation nicht auch eine gute Idee, dass man weg von den selbstgehäkelten hin zu den FFP2-Masken kommt?


Alexander Kekulé:
Das ist genau der Trugschluss. Gut, dass Sie das so formulieren. Das ist genau falsch. Weil dieses Virus ein bisschen infektiöser ist, brauchen wir keine anderen Masken. Aber es ist so, weil das auch durch die normale Maske genauso abgehalten wird. Da ist kein Unterschied. Klar, der Virologe freut sich da. Ich würde ja auch nichts anderes anziehen, wenn ich einem Patienten gegenüber wäre, wo ich weiß, der hat Covid-19. Und ich finde auch FFP2-Masken für jedermann, z.B. im Flugzeug, im Zug, wenn man da länger sitzt bei einer Bahnfahrt, vollkommen richtig. Ich finde auch wenn man das beobachtet: In der letzten Zeit das hängt mit dem Berufsverkehr zusammen. Da ist es ja so, dass der öffentliche Nahverkehr voll ist. Wir haben in Berlin wieder volle U-Bahnen wie eh und je. Und in so einer Situation, wo man vielleicht auch mal länger in der U-Bahn ist, ist das sicher sinnvoll zu sagen, die Leute sollen FFP-2-Maseken anziehen. Aber da muss man auch wissen, wie, und man muss sie richtig aufsetzen. Und die Bedienung einer FFP-2-Maske – da komme ich fast wieder zurück zum Anfang unseres Podcasts – ist ja nicht ohne. Wenn man die irgendwie so halbschräg ins Gesicht setzt, nützt das genauso wenig wie eine schräg sitzende selbstgehäkelte Maske.


Camillo Schumann:
So ist es. Eine Hörerin sieht das genauso. Und sie hat uns angerufen und die schildert mal, wie man so eine FFP2-Maske richtig trägt:


„Wenn ich eine FFP2-Maske auspacken, sollte ich zuerst den Knick, der ja bei der Lieferung in der Maske ist, komplett begradigen, dann die Maske aufsetzen und mit zwei Fingern oder mit mehreren Fingern die Nase sorgfältig anpassen und dabei auch die die Ohren schon einspannen. Und kann ich erst den Sitz der Maske an der Nase richtig regulieren. Auch sehr kluge Menschen in meinem Umfeld haben dies bisher leider versäumt. Darum wollte ich es gern verbreiten.“


Camillo Schumann:
Das hat sie doch gut gemacht, oder?


Alexander Kekulé:
Das hat sie hervorragend gemacht, ich habe ich fast nichts hinzuzufügen. Das Wichtigste ist: Wenn man ausatmet mit einer FFP2-Maske, bläst es meistens zwischen Nase und Wangen nach oben raus. Das können Brillenträger im Winter daran sehen, dass ihre Brille beschlägt oder daran sehen, dass sie nichts sehen. Und es ist so, dass dieses Rausblasen da oben bei so einer starren Maske, die eher wie eine Kappe ist, leider auch dazu führt, dass man an der gleichen Stelle auch die Luft einatmet, weil das ja anders als so ein Stofflappen ist und sich nicht ans Gesicht anpasst. Deshalb ist es extrem wichtig, genau das zu machen, was die Hörerin da gesagt hat. 

Und man muss eine Dichtigkeitsprüfung machen. Da werde ich aber doch noch ein bisschen gemein: Es gibt ja auch männliche Hörer mit Vollbart. Das geht gar nicht. Im Krankenhaus heißt die Vorschrift. Ich weiß, es gibt immer Riesen-Ärger im Krankenhaus, als die Vorschrift kam: Hast du Vollbart, musst du abrasieren, wenn man eine FFP2-Maske aufsetzen soll oder FFP3, weil die beim Bart  nicht dicht schließen. Gut, das gilt für Personal, was wirklich beruflich exponiert ist. So eine Situation hat man in der U-Bahn nicht. 

Aber ich will es nur dazu sagen: So ein Ding ist nur dicht, wenn man es richtig aufsetzt. Das heißt, ich würde davor warnen zu glauben, habe ich eine FFP2-Maske im Gesicht, ist alles gut, kann mir gar nichts passieren. Die ist nur gut, wenn man sie richtig konsequent dicht auf hat. Und da kann ich nur sagen ohne Ausatem-Ventil. Und das sind ja die, die üblicherweise erhältlich sind. Ich würde mal sagen, zwei Stunden sind schon echt lang. Viel länger hält man das nicht aus mit so einer Maske. Und gerade wenn man irgendwie vielleicht gerade eine Erkältung hinter sich hatte oder nicht so gut auf der Lunge ist oder so was, ist man ohne Ausatem-Ventil das schlecht dran. Die Ausatem-Ventile sind ja komplett verpönt, obwohl an einem normalen Nase-Mundschutz, seitlich genauso viel vorbeigeht. 

Und wenn die FFP2-Maske Pflicht ist, kann ich nur sagen, das begrenzt die Einsatzzeit eines Einkäufers doch merklich. Das ist schon eine neue Stufe für so einen Laien, mit der Maske zu arbeiten. 

Da werde ich noch ein Letztes los, was völlig unwissenschaftlich ist. Mein Eindruck ist viele haben ihre Maske auch lieben gelernt. Die haben die ja zum Teil selber genäht. Wir haben ja diese Kampagne damals gestartet gegen die Empfehlungen von RKI und Bundesgesundheitsministerium. Das war ja auch eine Revolution, dass diese Maske überhaupt eingeführt wurde, die Volksmaske. Und jetzt heißt es, die müssten alle wegschmeißen und die hässlichen Papierdinger nehmen, da weiß ich nicht, ob das so gut ankommen wird.


Camillo Schumann:
Aber nichtsdestotrotz ist es effektiver.


Alexander Kekulé:

Natürlich ist es effektiver. Es ist eine weitere Sicherheitsmaßnahme, wenn man das konsequent macht. Wir haben das ja für Risikogruppen schon immer empfohlen, und ich habe ja auch immer dazu gesagt, es sollen auch diejenigen machen, die – aus welchen Gründen auch immer – vorsichtig sind. Es gibt ja auch andere. Jeder verhält sich anders. Der eine sagt, Mensch, so ein Restrisiko nehme ich in Kauf. Vielleicht, weil mein persönliches Risikoprofil nicht so entsprechend ist. Und der andere sagt, nö, ich bin zwar erst 50, aber ich will trotzdem auf Nummer sicher gehen. Und für die war die FFP2-Maske schon immer eine Option. Es ist mehr Sicherheit an dieser besonderen Stelle. Aber diese Stelle ist nicht unsere offene Tür gewesen. Die offenen Türen sind woanders. Und darum wird hier nachgeschärft mit der Begründung, dass das Virus infektiöser geworden ist, aber das hat nicht allererste Priorität. Ich bin für diese FFP2-Masken in geschlossenen Räumen im öffentlichen Bereich. Da ist es sicherlich sinnvoll als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme.


Camillo Schumann:
Weil Sie gesagt haben, der Bart muss ab, wenn man eine FFP2-Maske trägt. Aber die Barbiere und Frisöre, die sind ja zu. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wirbt dafür, Friseure und Kosmetiker im Februar wieder öffnen zu lassen. In diesen Fällen kann er sich eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken vorstellen. Was sagen Sie dazu? 


Alexander Kekulé:
Da hat er zu 100 Prozent Recht. Das ist vollkommen richtig. Und ich kenne auch, ehrlich gesagt, im professionellen Bereich fast nur Leute, die da eine FFP2 im Gesicht haben. Ich gehe sogar so weit, wenn ich jemanden vor mir habe, der mir die Haare schneiden soll oder Ähnliches und er hat keine FFP-2 auf, wo man face-to-face ist und der andere hat in der Regel nur einen OP-Mundschutz auf, die muss man auch zwischendurch vielleicht mal abnehmenden. Deshalb ist klar, dass es das Richtige ist. Und v.a. finde ich, das ist ein guter Ansatz, denn das ist ein intelligentes Beispiel, wo man sagt: Wie ist die Situation? Wie kann ich die Situation spezifisch absichern und trotzdem irgendwie dafür sorgen, dass der Betrieb weiterläuft? Und ich kann nur dafür plädieren, dass man so eine Smart-Strategie, so eine intelligente Strategie, überlegt. Die muss man eher verfolgen, als so generell alles zuzudrehen. 


Camillo Schumann:
Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Diese Dame hat angerufen und eine Impf-Frage:

„Ich würde mich gerne impfen lassen, bin 76, habe aber schon einmal einen anaphylaktischen Schock auf ein Medikament gehabt. Und ich habe gehört, dass so Leute wie ich, die also genauso reagieren, also viele Allergien haben, sich nicht impfen lassen sollten, weil es da 4 Fälle weltweit gegeben haben soll. Das ist natürlich wenig, aber ich habe da trotzdem meine Bedenken und wollte mal fragen, was ich da machen soll.“


Alexander Kekulé:

Mit 76 Jahren ist es sinnvoll, sich impfen zu lassen. Natürlich würde man vielleicht bei der Vorgeschichte dafür sorgen, dass die Impfung wirklich von einem Arzt gemacht wird, der auch reagieren könnte, falls es zu einer stärkeren Reaktion kommt. Ich würde vielleicht auch empfehlen, eine halbe Stunde danach dort zu bleiben, statt der sonst empfohlenen 15 Minuten. Aber man muss das mal so sehen: Die Zahl dieser besonders allergischen Reaktionen bis hin zu anaphylaktischen Schocks, das kann man an zwei Händen abzählen. Und in den USA sind ja inzwischen Millionen von Menschen geimpft worden. Ich gehe davon aus, dass das extrem selten ist. Und man kriegt es auch als Arzt in den Griff, falls es dazu kommen sollte.


Camillo Schumann:
Damit sind wir am Ende von Ausgabe 138. Wir wollen mal wieder eine interessante Meldung im Zusammenhang mit Corona zum Besten geben. Wir hatten unsere Hörer ja mal aufgerufen, sich einen Namen für diese Rubrik zu überlegen, in der wir Meldung präsentieren, über die man auch mal schmunzeln kann. 

Viele Hörer haben uns geschrieben. Besten Dank an dieser Stelle! Und wir haben uns auf einen Rubriknamen geeinigt. Wollen sie den zum Besten geben?

1:05:35

Alexander Kekulé:
Ja, das, was wir am lustigsten fanden, ist der „Coronald der Woche“. Der „Coronald“ hat uns spontan alle beide umgehauen, wahrscheinlich weil wir in unserer Kindheit Donald Duck gelesen haben. An irgendwas muss es gelegen haben. 


Camillo Schumann:
Vermutlich. 


Alexander Kekulé:
Und den vergeben wir jetzt in unregelmäßigen Abständen. Ich hätte allerdings schon eine lange Liste, dass wir praktisch jede Woche schon was vergeben dürfen. Aber vielleicht können die Hörer sich ja auch Vorschläge machen, was ihrer Meinung nach besonders abwegig ist bei den Anti-Corona-Maßnahmen.


Camillo Schumann:
Leider wurde der Name „Coronald der Woche“ anonym eingesandt. Aber vielen Dank an dieser Stelle. Und der „Coronald der Woche“ kommt aus Sachsen. „Nächste Woche öffnen ja die Abschlussklassen wieder die Schulen in Sachsen. Vorgesehen sind Corona-Schnelltests. Das ist sehr gut. Kultusminister Piwarz hat gesagt die Tests sollen sicherstellen, dass nach der langen Zeit des Lockdowns nur gesunde Personen die Schulen besuchen.“ Und wird es spannend: „Diese Tests finden aber nur an 100 ausgewählten Schulen statt, und dorthin sollen die Jugendlichen mit ihren Lehrern im Bus fahren. Die Anreise soll mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder selbst organisiert erfolgen, hieß es aus dem Kultusministerium.“


Alexander Kekulé:
Na gut, scheinbar sind diejenigen, die diese Regelung da aufs Papier gebracht haben, haben sich sehr viele Gedanken gemacht und waren offensichtlich der Meinung, dass man sich im Bus nicht infizieren kann. Und das will man an hundert Schulen testen in Sachsen, dass an den anderen Schulen auch nichts passieren kann. Das ist ja klar, wenn man die eigene Schule testet, dass bei anderen Land alles in Ordnung sein wird. Das sind so geniale Gedanken, dass wir der Meinung sind, dafür vergeben wird den „Coronald für diese Woche“.


Camillo Schumann:
Vielen Dank, Herr Kekulé.
Wir hören uns am Samstag wieder zu einem Hörerfragen SPEZIAL. 


Alexander Kekulé:
Sehr gerne, bis dann, Herr Schumann. 


Camillo Schumann:
Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter 

0800 300 22 00. 

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“




Samstag, 12.01.2021 #137: Infektion trotz Impfung?

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Linktipps:

Sicherheitsbericht Impfkomplikationen (Stand: 04.01.2021)

https://www.pei.de/SharedDocs/Downloa ds/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberi chte/sicherheitsbericht-27-12-bis-31-12- 20.pdf?__blob=publicationFile&v=5

Impfnebenwirkungen melden

https://nebenwirkungen.bund.de/nw/DE/ home/home_node.html

Testen wie die Profis

Studie:

https://www.medrxiv.org/content/10.110 1/2021.01.06.20249009v1

Camillo Schumann:

Dienstag 12. Januar 2021.

Neuinfektionen/Lage in den Krankenhäusern. wie ist die aktuelle Situation zu bewerten? Wirkt der Lockdown oder nicht?

Dann: Neue Virus-Mutation in Japan entdeckt. Was weiß man darüber?

Außerdem: Positiv trotz Impfung. Wie kann das sein?

Und: Jeder kann Schnelltests wirkungsvoll durchführen, belegt eine deutsche Studie. Kommen jetzt die Schnelltests für alle?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur,

Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichten- radio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Sams- tag haben wir einen Blick auf die aktuellen Ent- wicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Wir starten wie immer mit den Zahlen für die vergangenen 24-Stunden, da meldet das Robert-Koch-Institut 12.800 Neuinfektionen. Das sind so über den Daum gepeilt 900 mehr als am Dienstag vor einer Woche. Knapp 900 weitere Todesfälle wurden gemeldet, die 7- Tage-Inzidenz fällt leicht auf rund 165. Das Robert Koch-Institut weist auf seinem Dashboard jetzt nicht mehr explizit darauf hin, dass diese Zahlen wegen Weihnachten und Jahreswechsel mit Vorsicht zu genießen wären. Werden die Zahlen jetzt wieder belastbarer?

[0:01:32]:

Alexander Kekulé:

Ja, das sagt das Robert Koch-Institut. Da gucken wir ja alle so ein bisschen in die Glas- kugel rein. Insgesamt war es schade, dass wir da so eine Lücke hatten. Und insgesamt sind wir in Deutschland leider immer noch in der Lage, dass viele Dinge, die epidemiologisch superinteressant wären – z.B. die Frage: wo infizieren sich die Leute? Welcher Anteil hat sich bei der Arbeit möglicherweise infiziert? Wie viele von den Infektionen sind im Heim aufgetreten, gerade bei den Älteren, oder welcher Anteil der Infizierten ist älter? Die Altersverteilung haben wir nur bei den Toten ... – all diese Dinge machen es schwierig, das Schiff zu steuern. Ich möchte jetzt nicht Politiker sein. Aber da kann man lange nörgeln. Die Zahlen sind, wie sie sind. Und ich bin ziemlich sicher, dass das Robert-Koch-Institut sehr unglücklich darüber ist, dass man ständig Kaffeesatz lesen muss, statt konkrete Auswert- ungen zu machen. Und das versuchen wir halt weiter so. Irgendwann kommt der Impfstoff, dann werden wir das alles nicht mehr brauchen.

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Camillo Schumann:

Aber nichtsdestotrotz, dass jetzt nicht mehr explizit darauf hingewiesen wird, dass es möglicherweise noch einen großen Meldever- zug gibt, könnten in diesen Zahlen jetzt schon die Lockerungen zu Weihnachten eingepreist sein?

[0:02:42]:

Alexander Kekulé:

Ich glaube nicht, dass man jetzt daraus lesen kann, dass die Lockerungen zu Weihnachten irgendeinen Effekt hatten. Rein statistisch ge- sehen muss es da zu der ein oder anderen An- steckung gekommen sein. Ich glaube aber auch, dass das Setting „Weihnachten“ eines ist, wo sich Party-People heimlich irgendwo in einem Keller in einer Großstadt treffen. Viel- mehr waren das doch meistens vernünftige Menschen, die wussten, worauf man achten muss. Das ist ja immer der wichtige Unter- schied. Geht man davon aus, dass jeder Kon- takt gefährlich ist – das verneine ich ja klar. Man muss unterscheiden zwischen gefähr- lichen Kontakten und solchen, wo die Men- schen sich geschützt haben. Und ich glaube, Letzteres war das Übliche an Weihnachten.

[0:03:29]:

Camillo Schumann:

Wenn die Zahlen jetzt möglicherweise so ein bisschen belastbarer werden und wir mit 12.000 mehr doch ein relativ hohes Grund- rauschen haben, heißt das: Es bleibt so und der harte Lockdown wirkt nicht?

[0:03:41]:

Alexander Kekulé:

Ja, das ist so. Der sogenannte harte Lockdown hat ja eine Reihe von Schwachstellen. Ich mach da einfach immer diese vier Schwachstellen auf: 1. ist es so, dass wir in den Wohnungen immer noch Infektionen haben, dadurch, dass Infizierte nicht in Isolation außerhalb gebracht werden können in Deutschland. 2. ist es so, dass wir am Arbeitsplatz noch große Lücken haben. Es gibt ja im Bereich des Arbeits- schutzes neue Empfehlungen der Berufsgenos- senschaften. Man versucht schon, wie das ja wir im Podcast schon lange besprochen haben, auch über den Arbeitsschutz da einzugreifen.

Aber das dauert einfach. Da lässt jede Berufs- genossenschaft für ihren Bereich Empfehl- ungen heraus. Und die Arbeitgeber sollen sogenannte Risikobewertungen machen, womit sie zum großen Teil völlig überfordert sind, was zur Folge hat, dass man nicht mal das Einfachste macht, nämlich konsequent am Arbeitsplatz immer dann, wenn mehrere Leute in einem Raum sind, Masken tragen. Punkt. Das passiert ja noch nicht. Das ist die nächste Lücke. Und dann haben wir nach wie vor die offene Flanke mit den Heimen und speziell Altersheimen und Pflegeheimen. Das ist ja nach wie vor so: Man hat jetzt Konzepte, die Tests sind jetzt akzeptiert, vieles ist es auch verschriftlicht worden. Aber wenn man sich das durchliest – mein lieber Scholli –, was die Heimbetreiber da jetzt alles machen und be- werten sollen, statt ein paar einfache Regeln an die Hand zu geben. Auch die Frage, wer überhaupt die Schnelltests dann machen sollen, in welcher Frequenz und so, das ist alles offen. Und die Nummer 4 sind eben meines Erachtens die Menschen, die die Nase voll haben, aus welchen Gründen auch immer, und sich gar nicht mal an die Regeln halten. Diese vier Punkte sind der Grund, warum der Lock- down nicht so perfekt wirkt. Aber ich bin sicher, dass wir in der nächsten Woche sink- ende Zahlen sehen werden. Das das wird nie in den Bereich von 50 gehen, Inzidenz 50 pro 100.000. Das werden wir in den nächsten 14 Tagen auf keinen Fall sehen. Aber wir werden ein deutliches Absinken der Fälle beobachten.

[0:05:55]:

Camillo Schumann:

Die Neuinfektionen sind das eine, die Lage in den Krankenhäusern das andere. Schauen wir mal in die Krankenhäuser. Das ist ja auch ein guter Gradmesser, um die Lage besser bewerten zu können. Stand heute, 12 Uhr werden 5.197 Menschen in Verbindung mit Covid-19 intensivmedizinisch versorgt. Vor einer Woche, am 5. Januar, mussten 5.678 Menschen intensiv betreut werden. Das waren rund 480 mehr als heute. Seit gut zwölf Tagen haben mehr Menschen das Krankenhaus ver- lassen, als neu aufgenommen wurden. Wie bewerten Sie diesen Trend, ist der wichtiger?

[0:06:32]:

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Alexander Kekulé:

Der ist wichtig, weil das sozusagen unsere Vorweg-Position ist. Die harten Zahlen sind ja letztlich die Zahlen: Wie viele Menschen sind im Krankenhaus? Wie viele Menschen sind auf der Intensivstation, wie viele Menschen sterben? Das wird ja sehr klar erhoben in Deutschland – übrigens nicht überall auf der Welt. Das ist eigentlich toll, dass wir dieses Intensivregister haben und dass diese Dinge bei uns funktionieren. Das ist aber immer nachgeordnet bei den Neuinfektionen. Und da müssen wir davon ausgehen, dass da mindestens 14 Tage, eher drei Wochen, Verzögerung sind. Da gibt es viele Effekte. Einer ist z.B., wenn die Intensivstationen nicht überlastet sind. Dann hat man als Arzt – da habe ich jetzt keine Zahlen drüber, aber aus eigener Erinnerung, als ich mal für solche Bereiche mitverantwortlich war – die Tendenz, den ein oder anderen Patienten noch einen Tag länger liegen zu lassen, als wenn sie wissen, draußen wird gedrängelt, und ich brauche jedes Bett. Dass da jetzt noch Menschen behandelt werden, dass das langsam runtergeht, das ist eigentlich das statistisch Erwartete. Und deshalb würde ich sagen, das ist ein positiver Trend. Das wird sich so fortsetzen. Das ist zäh, bis die Intensiv- stationen dann leerer sind. Und es hängt entscheidend davon ab, wie wir die Alten schützen, speziell in den Altenheimen.

[0:07:59]:

Camillo Schumann:

Wenn man sich die relativ hohe Zahl der Neu- infektionen anschaut, sehen wir die Entwick- lung in den Intensivstationen, in den Kranken- häusern, die ja eine positive Ent-wicklung sind, auch mit Blick auf drei Wochen zurück. In Verbindung mit den Alten scheinen wir dann doch einiges richtig gemacht zu haben.

[0:08:22]:

Alexander Kekulé:

Ja, das kann man schon so sagen, spät, aber doch. Es ist so, dass man versuchen muss, das zu entkoppeln, die Neuinfektionen von den Sterbezahlen, von der Mortalität. Wie kann man das entkoppeln? Wir wissen, dass die Sterblichkeit bei denen über 70 Jahre massiv

ansteigt, im Bereich von zehn Prozent. Das ist eine extrem gefährliche Erkrankung. Das heißt, man muss verhindern, dass sich Alte infizieren. Klar, es gibt andere Risikogruppen. Da haben wir oft darüber gesprochen, Übergewichtige usw. Aber aus der epidemiologischen Hub- schrauberperspektive sind es die Alten, die am einfachsten zu greifen sind, speziell wenn sie in Heimen sind. Und wenn man die schützt – und das sind ja jetzt Bemühungen im Gange, das jetzt die Schnelltests endlich kommen, dass die Konzepte seit Weihnachten kommen, dass die Heime auch verstanden haben, was man da macht usw. – und zusätzlich jetzt in den nächsten Wochen richtigerweise die Alten in den Heimen zuerst geimpft werden, dann werden wir das schaffen, wofür ich ja schon lange plädiere, nämlich eine Entkopplung der Sterblichkeit von der Inzidenz. Und dann können wir uns eventuell auch höhere Inzidenzen als diese berühmten 50 pro 100.000 leisten. Ich bin optimistisch, dass das in den nächsten Wochen in diese Richtung gehen wird.

[0:09:41]:

Camillo Schumann:

Dann können wir uns dann so ein Grund- rauschen von z.B. 8.000 bis 10.000 Neuinfek- tionen pro Tag leisten und müssen jetzt nicht gleich wieder einen neuen Lockdown denken, oder?

[0:09:51]:

Alexander Kekulé:

Das ist genau meine alternative Strategie, die ich da im Auge habe, statt zu sagen, wir müssen unter die Inzidenz von 50 kommen. Damit die Gesundheitsämter die Nachver- folgung wieder mehr oder minder vollständig hinbekommen, kann man ja auch so rum argumentieren, dass man sagt: Solange wir es schaffen zu verhindern, dass viele Menschen daran sterben, ist es nicht so schlimm, wenn wir v.a. bei jüngeren Leuten ein gewisses Grundrauschen an Infektionen schweren Herzens in Kauf nehmen. Wir müssen aber wissen, das kann man nicht oft genug sagen, dass dann auch manchmal der eine oder andere plötzlich auf der Intensivstation landet. Das kann auch einen 30-Jährigen oder 35-

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Jährigen mal passieren. Das ist eine Ausnahme, die überleben es auch meistens. Aber schön ist es nicht, das kann ich sagen.

Aber es auch nicht schön, mit 35 an einer schweren Influenza zu erkranken und dann eine bakterielle Infektion obendrauf zu kriegen und damit auf der Intensivstation zu liegen. Und das haben wir, kann ich nicht oft genug sagen, jedes Jahr seit Jahrzehnten. Damit haben wir uns schon längst abgefunden. Da würde man keinen Lockdown machen. Und darum glaube ich, dass das eine Strategie wäre, die funktionieren kann, wenn man es vielleicht auch noch schafft, zusätzlich zur Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter ein privates Nachverfolgungssystem aufzu- legen, das die Kapazität erweitert. Da kann man sich als Zahl auch eine Inzidenz von 80 oder 100 leisten, sofern deswegen nicht mehr gestorben wird.

Camillo Schumann:

Ich habe ja Zahlen zwischen 8.000 und 10.000 genannt. Das war willkürlichen. Je weniger, desto besser. Das war jetzt nur, um das ein bisschen zu verdeutlichen.

Alexander Kekulé:

Da sind wir uns ja vollkommen einig. Aber was hier als weißer Elefant im Raum steht, ist ja das, was ich sekundäre Kollateralschäden der Pandemie nenne, Kollateralschäden, die nicht durch das Virus selber entstehen, sondern durch die Gegenmaßnahmen. Und das haben wir massiv. Die Psychiater sagen, dass die Menschen depressiv werden, dass Menschen mit vorhandenen Erkrankungen Verschlim- merungen bekommen. Wir wissen von den Ärzten, dass Operationen verschoben wurden, dass sich Leute nicht zum Arzt trauen. Von den wirtschaftlichen Schäden habe ich jetzt überhaupt nicht gesprochen.

Wir haben auf der anderen Seite der Waagschale gute Gründe, es anders zu machen. Sogar vielleicht den Grund, der mir eigentlich wichtig ist, dass wir die Bevölkerung nicht verlieren dürfen bei der ganzen Diskus- sion. Ich fordere da eine Art Begründungs- kultur, dass wir die Maßnahmen wirklich auch fachlich gut begründen müssen. Denn es wäre das Schlimmste, wenn uns gerade in

Deutschland, wo die Menschen der Regierung viel Vertrauen entgegengebracht haben. Wenn das jetzt wegbröckelt und die künftigen Maßnahmen auch nicht einfach werden – wenn es jetzt an die Impfungen geht, und Leute hinten in der Schlange stehen, oder die Frage, was sollen die Leute machen, die geimpft sind, die müssen ja weiter gewisse Schutzmaßnahmen einhalten, obwohl sie selbst kein Risiko mehr haben. Wir brauchen dieses Vertrauen und diesen Goodwill der Bevölkerung. Und den dürfen wir uns jetzt nicht durch überzogene Maßnahme verspiel- en. Und darum gibt es eben auf der anderen Seite der Waagschale auch diese sekundären Kollateralschäden. Und deshalb muss man sagen ja, je weniger Kranke, je weniger Tote, desto besser, das ist ohne Frage. Aber man muss das auch so balancieren, dass die Menschen auch perspektivisch mitmachen. Man darf nicht nur die nächste Woche anschauen, sondern wir müssen mindestens das nächste halbe Jahr im Auge haben.

[0:13:23]:

Camillo Schumann:

Perspektive ist genau das Stichwort. Bleiben wir bei den Zahlen und schauen auf den Stand der Impfung. Die Zahlen veröffentlicht das Robert-Koch-Institut ja jeden Tag gegen Mittag. Blöderweise erst nach unserer Aufzeichnung. Wir haben deshalb den Stand vom 11. Januar, vom Montag. Rund 613.000 Menschen wurden geimpft, davon 238.000 Bewohner in Pflegeheimen. Die vergangenen Tage, bis auf Sonntag, wurden rund 50.000 Menschen pro Tag geimpft. Herr Kekulé, Sie sagen ja immer, wir müssen mehr Menschen impfen als sich infizieren. Wir impfen jetzt rund viermal mehr Menschen als sich neu infizieren. Das ist doch ein gutes Verhältnis, oder?

[0:14:05]:

Alexander Kekulé:

Ja, ich glaube, dieses Überholmanöver, wie ich es mal genannt habe, könnte sogar gelingen. Das muss auch gelingen. Bei den Infizierten muss man immer eine ziemlich hohe Dunkel- ziffer dazurechnen. Ich würde mal sagen, Faktor zehn da einzurechnen, ist sicherlich nicht falsch. Und wenn wir jetzt fünfmal so

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schnell sind mit den Impfungen, dann sind wir dabei aufzuholen. Das weiß ja keiner genau, wie groß die Dunkelziffer ist, sonst würde sie nicht so heißen. Und ich glaube, das ist wichtig, dass wir bei den Impfungen Tempo gewinnen. Man muss auch dazu sagen – es gibt ja jetzt viele Leute, die sich beschweren; das war ja zu erwarten – es ist wieder zu langsam, und da ist ein irgendwie fünf Kisten Impfstoff nicht an den Mann gekommen. Das muss ja immer gekühlt oder weggeworfen werden. Ja, sowas passiert. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Aber ich glaube, unterm Strich ist es so: Wir sind in Deutschland mit der Logistik wirk- lich gut aufgestellt. Das haben wir – dafür, dass das ja aus dem Boden gestampft wurde – gut gemacht. Der Hase liegt im Pfeffer bei der Beschaffung der Impfstoffe. Und das ist letztlich ein EU-Problem, wo man sicherlich noch einmal diskutieren muss, warum die EU hier offensichtlich so beraten wurde, dass sie diese RNA-Impfstoffe nicht bestellt hat, zumindest nicht in dem großen Umfang. Da meine ich, sollten sich die Leute, die EU- Berater waren, sich mal dazu äußern, wie es eigentlich zu dieser Fehleinschätzung gekom- men ist. Ich bin sicher, dass das nicht nur politisch entschieden wurde, sondern dass die fachliche Frage, welche Sorte nehmen wir, im Juli/August, wo das ja alles anhand von wissen- schaftlichen Studien, die noch keineswegs in Stein gemeißelt waren, entschieden werden musste – auch wissenschaftlicher Sachverstand eine Rolle gespielt haben muss. Ich erinnere mich gut an die Diskussion 2009 bei der Schweinegrippe. Da gab es ja die Schutzkom- mission, wo ich da die Arbeitsgruppe „Bio- logische Gefahren“ geleitet habe. Da haben wir uns selbstverständlich dazu geäußert und gesagt, der und der Impfstoff muss jetzt bestellt werden für die Schweinegrippe. Wie Sie wissen, ist man uns da nicht gefolgt, aber trotzdem stand diese Empfehlung im Raum. Und ich könnte die als Berater jederzeit wieder aus der Kiste ziehen und sagen: Schaut mal her, das war unsere Empfehlung. Die Politik hat sich nicht daran gehalten. Und deshalb würde ich eigentlich diesem Beratergremium der Europäischen Kommission von Frau von der Leyen schon empfehlen, mal jetzt rauszuholen, welche Empfehlungen sie denn

damals gegeben haben, im Juli, als die Bestellungen gemacht wurden.

[0:16:34]:

Camillo Schumann:

An dieser Stelle muss man auch sagen, dass auch nachverhandelt wurde. Biontech/Pfizer hat er z.B. angekündigt, die Produktionsmenge von 1,3 auf 2 Milliarden erhöhen zu wollen. Mit anderen Worten: Da ist noch einiges in der Pipeline, was dann auch „nachgeschossen“ werden kann.

[0:16:50]:

Alexander Kekulé:

Ja, bei dieser optimistischen Aussage ist dabei, dass das 2. Werk in Marburg an den Start geht. Die haben das um mindestens einen Monat vorgezogen. Das ist schon sportlich. Sicher kriegen die da auch jede Hilfe, die sie brauchen. Aber wenn man weiß, wie solche Prozesse sonst in der Industrie ablaufen, muss man sagen: Hut ab! Die pharmazeutische Industrie hat eigentlich weltweit erheblich daran gearbeitet, ihr Image zu verbessern, muss ich sagen. Man muss aber auch sagen, dass diese Ankündigung von Biontech/Pfizer – das steht im Kleingedruckten –, dass man da pro Ampulle mehr Impfstoffe raussaugen kann, als ursprünglich mal ausgewiesen war. Und das heißt, es ist nicht nur eine echte Steigerung der Produktionskapazität, sondern es ist auch eine Umrechnung da. Insofern jetzt diese Rest- menge, die da immer mit in der Ampulle ist, jetzt als verimpfbar deklariert wird. Das ist neu von der europäischen Zulassungsbehörde EMA entschieden worden. Da waren die auch extrem schnell. So schnell habe ich von der EMA überhaupt noch nie eine Entscheidung mitbekommen, auch in der Zeit, wo sie noch in London war. Damals waren die auch sehr gut. Und jetzt sind sie in Amsterdam. Die haben da quasi über Nacht diese Zulassung erteilt, dass man auch diese Reste, die dann noch in der Flasche drin sind, verwenden darf. Das ist mitgerechnet bei der sogenannten Produktionssteigerung von Pfizer/Biontech.

[0:18:20]:

Camillo Schumann:

Normalerweise gingen fünf Dosen raus. Jetzt

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sind es 6, 20 Prozent mehr, und die Restmenge musste bisher mit den Flaschen entsorgt werden. Hört sich jetzt für mich wie ein Unding an, dass man das wegschmeißt.

Alexander Kekulé:

Das ist eine Sache, die schon vor vielen Wochen, sofort nach der Zulassung in den USA, klar. Und die Leute haben sofort gesagt, da ist immer noch eine kleine Neige drin. Und da gibt es diesen schönen Ausdruck Noargel-Sammler. Das sind in Bayern bei den Bierfesten Leute, die kein Geld haben und die Reste trinken. Die nehmen die quasi leeren Biergläser und schütten sich das alles zusammen, bis sie wieder eine Masse voll haben, und können so gratis Bier trinken. Und so ein bisschen hat man das bei den Impfdosen den USA schon gemacht, weil man gesehen hat, da ist immer so ein bisschen was übrig, immer ein bisschen was übrig lassen.

Camillo Schumann:

Warum macht man das eigentlich? Warum kann man es nicht genau definieren?

Alexander Kekulé:

Das ist absoluter Standard. Wenn man Ampullen hat für mehrere Verabreichungen, nicht nur bei Impfstoffen, dann gibt der Hersteller immer automatisch ein bisschen mehr rein. Wenn man sich so eine Spritze vorstellt, dann hat die doch vorne einen engen Hals, wo die Nadel draufgesteckt wird oder manchmal schon fertig drauf ist. Und das, was in diesem Hals ist, das wird normalerweise bei der Spritze nicht rausgedrückt, weil der Kolben typischerweise vorher endet. Und weil in jeder Spritze immer ein bisschen Rest drinnen bleibt, und weil auch beim Aufziehen kleine Fehler passieren, gibt man so ein bisschen mehr dazu. Ob das jetzt 20 Prozent sind oder 26 Prozent. Es hat mich eigentlich überrascht, dass es so viel ist. Aber man gibt ein bisschen mehr in diese Mehrfachinjektionsampullen. Und das ist auch geschehen. Und dann kann man Spritzen nehmen, die das nicht haben. Die haben dann vorne an dem Stempel, der vor- und zurück- geht, noch mal einen kleinen Zapfen vorne dran. Der heißt Spardorn. Und der schiebt aus dem vordersten engen Hals aus der Spritze den letzten Tropfen noch mit raus. Wir nennen solche Spritzen in Deutschland meistens

Tuberkulinspritzen, weil man die für den sogenannten Tuberkulin-Test – das ist so ein Verfahren, wo man genau die richtige Menge injizieren muss – schon lange verwendet. Und solche Feindosierungsspritzen oder Spar- spritzen verwendet man jetzt, weil man ja jeden Tropfen benützen will, auch für diesen Impfstoff, zumindest in einigen Bundesländern.

Ich habe gelesen, dass das komischerweise in Deutschland noch nicht alle so machen. Da kann man nur dringend dazu aufrufen, das zu tun. Und wenn man das macht, braucht man eben die Reserve nicht. Und deshalb nutzt man hier einfach eine Methode, die aus anderen Bereichen eigentlich üblich ist, um wirklich den letzten Tropfen zu verimpfen, solange der Impfstoffsuche knapp ist.

Camillo Schumann:

Sind dann sechs Impfdosen da drin? Oder sammelt man die dann in einer weiteren, um dann wirklich noch mal eine komplette Impfung zu haben?

Alexander Kekulé:

Jetzt stellen sie so eine Gretchenfrage, die völlig berechtigt ist. 20 Prozent mehr heißt ja, dass sie aus fünf auch sechs machen können. Aber das wären dann 20,0 Prozent. Und da machen Sie aus 5,0 dann 6,0. Und da müssen Sie – ich habe ja nun wirklich auch richtig Biochemie studiert und echte Erfahrungen im Labor – schon super akribisch arbeiten, damit sie keinen Rest haben. Und das ist so bei so einer Massenveranstaltung, bei der sie Tausende verimpfen pro Tag unmöglich. Was da also in der Praxis passiert, ist wohl eher, dass man es von mehreren Ampullen sammelt. Ob das jetzt wiederum zulässig ist, weil dann Sie ja aus zwei Ampullen mischen, dann müssen sie kontrollieren, ob es die gleiche Charge ist.

Camillo Schumann:

Schon allein auch wegen der Temperatur!

Alexander Kekulé:

Ja, die werden dann schon parallel gelagert. Sie werden jetzt wahrscheinlich nicht irgendwie eine alte von gestern noch einmal rausholen bei diesem Impfstoff, der ja super strenge Vorschriften hat. Das ist ja das Thema, dass sie den nur kurz nach dem Auftauen verwenden

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dürfen. Ich würde mal sagen, wenn ich es jetzt zu machen hätte und ich wüsste, ich kann damit wirklich mehr rausholen und muss halt dann von der nächsten Ampulle noch ein bisschen nehmen. Ich würde das in der Praxis wohl machen. Das wäre mir eigentlich egal, ob irgendwo in der Zulassungsstelle dann sagt, ihr habt da die Regeln nicht befolgt. Es gibt über- haupt keinen sachlichen Grund, das nicht zu machen, wenn man das Handling in der Hand hat. Und das sind ja sowieso Profis, die das machen müssen, weil – noch mal zur Erinnerung – dieser Biontech-Impfstoff funktioniert so, dass der bei -70°C bis -80°C gelagert wird. Dann wird der aufgetaut und darf dann nur eine bestimmte Zeit, ich glaube 24-Stunden oder so verimpft werden. Das heißt, am gleichen Abend muss man definitiv die übrigen Dosen wegschmeißen. Deshalb machen das Profis. Da gibt es genaue Anweisungen. Und meistens sind es Leute, die wie ein Apotheker eine Ausbildung haben. Ich traue denen schon zu, dass sie das richtig machen, auch wenn sie von zwei Ampullen mal was mischen.

Camillo Schumann:

Dass das Mehr aus den Impfdosen rausgenommen wird, ist unseren Hörern auch nicht verborgen geblieben. Eine aufmerksame Hörerin vermutet dann gleich mal das Allerschlimmste. Sie hat folgende Frage hinterlassen:

„Ich rufe aus Bottrop an. Da haben wir so einen Skandal mit gepanschten Krebsmedikamenten. Da hat so ein Apotheker die ganzen Medikamente gestreckt. Jetzt frage ich mich, wo ja in Rede steht, ob man möglicherweise die Corona-Schutzimpfung weiter verkleinert, ob da auch die Möglichkeit besteht, dass man möglicherweise Natriumchlorid oder sonst was bekommt und überhaupt nicht mehr den Wirkstoff, weil er ja so ein Hype drauf ist. Wie kann ich dann sicher sein, dass ich überhaupt das bekomme, was vorgegeben wird, das ich bekommen soll, Wenn das so weit vervielfältigt wird. Dann ist das ein unheimlicher Unsicherheitsfaktor.“

[0:25:00]:

Alexander Kekulé:

Sie können nicht hinter jeden Apotheker, der das mischt oder hinter jedem, der das verteilt, einen Polizisten stellen. Das ist klar. Die Frage ist auch, ob er das überhaupt merken würde. Da müssten sie dem wieder eine spezielle Ausbildung geben. Wir haben in den USA so einen Fall. Ich habe darüber nur gelesen. Aber es gibt einen Fall, wo ein Apotheker das gestreckt hat, um mehr Geld zu verdienen. Der ist jedenfalls angeklagte in dieser Richtung. Das ist so, weil das auch eine teure Sache ist, wird ja auch auf dem Schwarzmarkt schon gehandelt, was man so hört. Es ist so, dass die Versuchung da ist. Und ich glaube, es wäre sinnvoll, zumindest so ein internes Kontroll- system zu machen. Sie können keinen Polizisten dahinter stellen. Aber man braucht zumindest Listen, aus denen klar wird, wie viel ist wirklich reingegangen in den Impfstation, wie viel ist verimpft worden, damit man so eine Art Kontrolle hat. Vielleicht nicht so hart wie bei Betäubungsmitteln, wo wir das ja auch schon lange kennen. Aber irgendwas sollte man meines Erachtens schon machen, auch um die Leute zu schützen, die das tun. Es gibt ja jetzt gerade in Deutschland Veröffent- lichungen, wo den Mitarbeitern des DRK vorgeworfen wird, sich das gegenseitig zu verimpfen und sich zu priorisieren, obwohl sie noch gar nicht dran wären. Das ist ein schwerer Vorwurf. Und wenn es dann solche Listen gebe, wo klar ist, wie viel Ampullen haben die gehabt, wie viele Leute haben die geimpft, dann hätte man zumindest eine gewisse Kontrolle. Und man könnte auch diese Helfer, die sich ja da wahnsinnig ins Zeug legen und das ehrenamtlich machen und die keine solchen Betrugs Gedanken haben, höchstwahr- scheinlich zu 99,99 Prozent, schützen vor solchen Vorwürfen.

Camillo Schumann:

Aber die Kontrolle wäre dann die 2. Impfung, die man unbedingt braucht.

Alexander Kekulé:

Das ist sowieso etwas, was ich mich frage. Es ist ja bekannt und auch zulässig, dass man, bevor man abends die Sachen wegwirft in so einer Impfstation, ist es üblich, mal schnell Leute anzurufen, die eigentlich nicht priorisiert

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waren, z.B. wenn sie eine Impfung bei über 80-Jährigen machen und haben dann abends noch fünf Spritzen übrig, aber kein Kandidat ist mehr verfügbar, weil ein Teil ja auch die Spritzen verweigert. Es ist ja nicht so, dass da alle sagen ja, bitte her damit. Und dann ist es zulässig, bevor man das in den Müll schmeißt, ein paar Krankenschwestern anzurufen und zu sagen, kommt vorbei. Wer auch immer greifbar ist, dann aus der nächsten Priorisierungsgruppe, medizinisches Personal in dem Fall, und denen zu sagen: ihr kriegt jetzt die erste Impfung. Ich frage mich, wie das bei den Leuten, die das außer der Reihe bekom- men haben, mit der Auffrischungsimpfung nach drei bis vier Wochen ist. Denn die müssten ja dann irgendwie eine Sonder- registrierung haben oder sich noch mal quasi nach drei Wochen anstellen und hoffen, dass wieder abends etwas übrig bleibt. Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Da gibt es noch viele Fragezeichen. Aber ich kann nur sagen und dazu aufrufen. Es gibt Dinge, die sind wichtig. Und es gibt Dinge, die sind unwichtig in dieser Pandemie. Und wir reden über so viele Dinge, die eigentlich Nebenschauplätze sind. Und jetzt die Frage, ob der eine oder andere da die Spritze früher kriegt oder Ähnliches. Da sollten wir uns, glaube ich, nicht aufregend. Wo ge- hobelt wird, da fallen Späne. Und wir machen das halbwegs gut in Deutschland. Und das ist sicherlich nicht unsere Achillesferse bei dem Covic-Thema.

[0:28:22]:

Camillo Schumann:

Was auf jeden Fall wichtig ist, war ja die Frage: Wirkt der Impfstoff, der bisher verimpft wurde, der von Biontech/Pfizer auch gegen die Virus- Mutation aus Großbritannien und Südafrika? Studienergebnisse deuten zumindest darauf hin, dass er das tut.

[0:28:40]:

Alexander Kekulé:

Ja, das ist ja die im Moment die große Aufregung. Wir haben diese B1.1.7-Variante in Großbritannien. Und die hat eine bestimmte Mutation, über die wir schon mal gesprochen haben. Die ist genau an der Bindungsstelle, wo es an den Rezeptor gebunden wird. Das Virus

dockt an einer Stelle mit sechs Aminosäuren in diesem Spike-Protein an. Und eine davon, das ist diese N501Y-Mutation. An der Position 501 ist eine Aminosäure ausgetauscht. Diese bestimmte Mutation ist beunruhigend, weil sie genau diese Andockstelle betrifft. Und die ist gefunden worden sowohl bei der südafrika- nischen Variante als auch bei der britischen Variante. Und beide sind höchstwahrscheinlich stärker infektiös. Und wir wissen auch, dass diese Mutation korreliert ist mit einer stärkeren Bindung an den Rezeptor. Das kann man in der Zellkultur zeigen und dass sogar die Infektiösität von Mäusen hochgeht. Das heißt sozusagen, das Wirtsspektrum wird verändert. Und deshalb war es super spannend, jetzt mal zu gucken, ob der Impfstoff da noch wirkt. Das hat Pfizer wie angekündigt untersucht. Und die haben Folgendes gemacht: Die haben 20 Kandidaten genommen, die in der Phase-3- Studie dabei waren, Leute, die zweimal ge- impft wurden im Abstand von drei Wochen und die dann immun waren hinterher. Zumindest nach der Phase drei Studie hat man das so angenommen. Und dann hat man geguckt, wie ist das bei deren Blut, das damals abgenommene Serum: Hat man da Antikörper, die das in der Zellkultur genetisch veränderte Virus neutralisieren können? Da hat man aber eine Einschränkung: Es war so, dass man nicht direkt die britische Variante genommen hat, sondern man hat extra gebastelt – molekular- biologisch kann man das heutzutage machen; das ist schnelles Verfahren. Genau bei 501 hat man dieses Y ausgetauscht. Man hat da die zwei Aminosäuren, Asparagin gegen Tyrosin, getauscht und beobachtet, wie ist es mit diesem veränderten Virus? Gibt es noch neutralisierende Antikörper, also Antikörper, die das Virus in der Zellkultur an seiner Infektiösität hindern. Und da ist die Antwort ja, es gibt überhaupt keinen Unterschied, das funktioniert 100 Prozent. Es ist sogar so gewesen, dass in dem Test diese neutral- isierenden Antikörper bei diesen 20 Patienten sogar besser waren als die Variante mit dem einen Austausch. Das heißt, schlimm wird es nicht. Aber man muss – wie alle wissen- schaftlichen Ergebnisse – einordnen. Erstens ist es ein Preprint, das muss man immer dazu sagen. Aber das wird schon stimmen. Man muss es einordnen. In der britischen Variante

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sind insgesamt 23 Mutationen. Acht davon sind im Spike drin, eine davon in dieser Rezeptorverbindungsdomäne. Und jetzt hat man von diesen acht im Spike relevanten Mutationen eine einzige ausprobiert. Es gibt aber eine Reihe weiterer, und wir wissen nicht, ob dieses Gesamtpaket, nicht nur diese Punktmutation, sondern die gesamte Variante, die in England zirkuliert, mit dieser Neutralisation genauso gut funktioniert. Das wissen wir noch nicht. Und es ist ein Labor- experiment. Man hätte keine Phase-3-Studie gemacht, wenn man sich nur auf die Labor- experimente verlassen hätte. Dann hätte man es ja auch bei der Phase zwei belassen können.

Die Frage, ob die Infektion im wirklichen Leben verhindert wird, die ist damit nicht beantwortet.

Camillo Schumann:

2 weitere Mankos der Studie: Es gab nur 20 Probanden und sie war nicht unabhängig. Pfizer hat die Studie selber gemacht.

Alexander Kekulé:

Das hat Pfizer zusammen mit anderen gemacht. Die haben an der Universität Texas schon lange eine Kooperation. Pfizer sitzt er in der Nähe von New York City, und die haben mit denen schon lange eine Kooperation. Klar, die haben das zu den Leuten geschickt, die das draufhaben und die das auch wahrscheinlich für die Phase-zwei-/Phase-drei-Studien gemacht haben. Ich sehe da kein Problem. Ich habe keinen Hinweis darauf, dass man das ein bisschen schöngerechnet hat. Und 20 reicht in dem Fall aus, weil man nur sehen wollte, ob es einen Unterschied gibt. Man hat das Virus verwendet, was 1:1 die Vorlage war für den Impfstoff, und verglichen mit einer Punkt- mutation, wo diese Stelle 501 in der Rezeptor- bindung verändert wurde. Und wenn sich da absolut kein Unterschied findet, dann ist zumindest diese kleine Aussage meines Erachtens bei 20 handfest.

[0:33:32]:

Camillo Schumann: Und dass sich das Virus auch immer stärker an den Menschen anpasst, so wie bei diesen beiden Mutation, beweisen ja auch weitere Meldungen. Und zwar wurde in Japan eine neue Mutation gefunden bei vier

Menschen, die aus Brasilien nach Japan eingereist waren. Was weiß man darüber?

[0:33:50]:

Alexander Kekulé:

Das wird in Japan als die absolute Horror- nachricht gehandelt. Da gibt es die Japan Times und verschiedene andere Zeitungen, die man auch hier lesen kann. Und die über- schlagen sich jetzt mit Alarmmeldungen. Aus meiner Sicht ist es so: Da ist schlicht und ergreifend die brasilianische Variante importiert worden. Das war ja nur bei vier Touristen, wo das gefunden wurde. Die heißt – auch für die Leute, die Lust haben, das nachzuschauen – nicht mehr B1.1.7 wie die britische, sondern B1.1.248. Und das ist die aus Brasilien, die einfach dort in Japan aufgetaucht ist, bei so einer Familie, die da eingereist ist. Diese brasilianische Variante kennen wir schon länger. Die wird in Japan möglicherweise so gehypt, weil die im Moment ein Riesenproblem haben. Die japanische Strategie funktioniert ja nicht. Ich sage das auch deshalb, weil es in Deutschland Leute gab, die damit geliebäugelt haben. Die haben ja in Tokio jetzt gerade den Notstand ausgerufen und haben einen massiven Anstieg der Fallzahlen. Das ist jetzt ein anderes Thema. Aber die Politik ist deshalb mit dem Rücken zur Wand. Und jetzt ist es denen gerade recht zu sagen, hier haben wir eine neue Variante, die vielleicht ins Land kommt. Dann können sie es auf die Biologie schieben. Was dahinter steht, ist diese brasilianische Variante. Die kennen wir schon seit ein paar Wochen. Die hat insgesamt zwölf Mutationen in diesem Spike, in diesem S- Protein, was diesen Ausläufer vom Virus macht, mit dem eine Stelle dann an die Zielzelle andockt, und davon eine Mutation in der Rezeptorbindungsdomäne unter diesen sechs Aminosäuren, die genau andocken. Warum ist es wichtig? Das ist wieder eine andere. Das ist nämlich nicht diese 501- Position, sondern eine andere, die 484- Position, also ein bisschen daneben. Das ist deshalb wichtig, weil wir bei dieser Mutation sehen, dass sie sich in Brasilien massiv aus- breitet, hauptsächlich im Nordosten von Brasilien, im Amazonas da oben und in Bahia, wer die Region da kennt. Da scheint es so zu

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sein, als gäbe es da Re-Infektionen von Leuten, die Covid schon mal durchgemacht haben. Das hören wir hier auch in Deutschland, wenn man so die Gesundheitsämter fragt gelegentlich, dass sie sagen: Mensch, wir haben jetzt Infektionen bei Leuten, die im Frühjahr auch schon mal eine Infektion hatten. Es ist ein Fall konkret vor ein paar Tagen auch als Preprint veröffentlicht worden aus Brasilien, wo man eine Frau hatte, 45 Jahre, die im Mai eine Infektion hatte und sich im Oktober noch einmal angesteckt hat. Und es ist so gewesen, dass die 2. Infektion sogar ein bisschen schwerer verlaufen ist. Aber sie ist nicht daran gestorben oder so. Und diese 2. Infektion hatte eben diese 484-Mutation, diese klassische brasilianische Mutation, die jetzt auch in Japan aufgetaucht ist.

Das heißt, wir sehen hier solche Mutationen können auch zu dem führen, was wir Immun- Escape nennen, dass das Immunsystem eines Menschen dann beim 2. Mal nicht in der Lage ist, die Infektion abzuwehren, zumindest nicht voll abzuwehren. Und das ist viel beunruhigen- der, was die Impfstoffe betrifft. Was kann man daraus ziehen? Wir müssen schnell impfen. Ja, wir müssen jetzt einfach schnell sein, bevor solche Mutationen immer mehr werden. Ich bin sicher, dass wir weltweit viele davon haben. Die werden ja nur gelegentlich mal gefunden, weil, wer sequenziert schon alle Viren, die er so entdeckt. Und ich glaube, dass das jetzt der Trend wird. Und wir werden in den nächsten Monaten immer mehr Mutationen haben, die dann auch durch die Impfung nicht so perfekt zu bekämpfen sind.

Camillo Schumann:

Aber eigentlich ist man doch davon ausgegangen, dass sich das Virus anpasst und dann mit weiteren Mutationen schwächer wird. Und hier wäre das ja eigentlich genau das Gegenteil.

Alexander Kekulé:

Was heißt Schwäche? Lehrbuchmäßig wäre es so. Und das ist ja auch das, was ich immer hoffe und auch verkünde: Man muss ja Optimist sein. Lehrbuchmäßig wäre es so, dass ein Virus, wenn es sich an eine Population anpasst, nach und nach kontagiös wird, also infektiöser, d.h. die Infektiösität steigt. Das

heißt, wahrscheinlich liegt es an zwei Phänomenen: Erstens die Dosis, die das Virus braucht, um jemanden anzustecken, wird geringer. Das könnte mit dieser verbesserten Bindung an den Rezeptor zusammenhängen. Und zweitens die Patienten werden dann zugunsten des Virus über einen längeren Zeit- raum ansteckungsfähig. Das haben wir z.B. bei Masern. Da wissen wir, dass die Patienten zwei, drei Wochen lang ansteckend sind. Darum hat die Krankheit Masern einen R = 12- Wert, also sehr hoch. Weil schon eine kleine Dosis reicht. Und diese Kombination – die Menschen sind länger ansteckungsfähig, und das Virus braucht nur eine kleine Menge, um anzukommen – führt zu einer höheren Kontagiosität. Und dafür ist es für das Virus wiederum ungeschickt, den Menschen gleich zu töten, denn jemand, der tot ist, kann niemanden mehr anstecken. Jemand, der lange dahinsiecht, wie bei so einer richtig fiesen Erkältung, wo man zehn Tage lang schnupft, der ist toll als Vehikel für das Virus. Und darum ist der normale Weg: Kontagiosität steigt, Schwere der Erkrankungen sinkt.

Ich würde jetzt aus dem einen Fall aus Brasilien, wo man sagt, bei der Zweitinfektion hat sie schwerere Symptome gehabt, jetzt nicht schließen, dass das eine Tendenz ist. Ich hoffe immer noch, dass die Gesamttendenz für die nächsten zwei Jahre es wahrscheinlich so sein wird: Das Virus wird ansteckender sein. Der eine oder andere wird eine Zweitinfektion kriegen. Das heißt auch der Impfstoff wird nicht bei 100-Prozent wirken, aber das Virus wird weniger schwere Infektionen allgemein verursachen, sodass wir nicht die Intensiv- stationen voll haben damit.

[0:39:37]:

Camillo Schumann:

Bundesgesundheitsminister Spahn will das Einschleppen ebensolcher Mutationen nach Deutschland unbedingt verhindern. Und offenbar hat Spahn nach Informationen des Spiegel eine neue Rechtsverordnung an die Ministerien geschickt. Demnach soll nur noch derjenige nach Deutschland einreisen dürfen, der einen frischen negativen Corona-Test. Das gilt für Reisende, die aus Ländern zurück- kehren, in denen eben diese neuen

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Mutationen aufgetreten sind oder in denen es einen hohen Inzidenzwert gibt. Außerdem muss sich jeder Reisende aus diesen Gebieten vorab online registrieren, damit dann die Gesundheitsämter das besser kontrollieren können. Und das soll offenbar ab dem 14. Januar gelten, jetzt ab Donnerstag. Werden sich die Mutationen davon irgendwie beeindrucken lassen?

[0:40:22]:

Alexander Kekulé:

Ich muss dann – Entschuldigung – den Satz loswerden: Warum zum Teufel hat er das nicht gemacht, als ich dringend dafür plädiert habe, im Januar 2020. Da habe ich ja gesagt, dass wir genau das machen müssen, und zwar sofort, um überhaupt die Einschleppung des Virus zu bremsen. Da haben mir ja alle widersprochen damals. Aber gut, jetzt will man es bei der Mutante so machen, wie ich es damals dringend empfohlen habe. Das wissen Sie, das ich mir da auch zum Teil die Hörner blutig gestoßen habe, bei meinem Virologen- Kollegen, der Meinung waren, dass es sinnlos ist. Jetzt hat es viel weniger Effekt, als es damals gehabt hätte. Da hätten wir wirklich verhindern können, dass es hier so einen massiven Ausbruch in Europa oder in Deutsch- land gibt. Jetzt so eine Variante, die sind ja jetzt stärker infektiös. Wir werden die nicht nachhaltig zurückhalten können. Und v.a. wissen wir ja noch nicht, wie viele von diesen Varianten in Deutschland überhaupt schon zirkulieren, weil wir hier diese sogenannte genetische oder molekularbiologisches Surveillance nicht machen. Wir haben ja hier insgesamt um die 900 Sequenzdaten in Deutschland gewonnen. Noch mal zur Erinnerung: In Großbritannien liegt die wöchentliche Zahl von Sequenzen, die die so identifizieren bei 140.000 oder so. Das heißt, wir sind hier an dieser Stelle blind, was das Infektionsgeschehen im Lande betrifft. Ich finde es richtig, an der Stelle vorsorglich erst mal zu sagen – das war ja damals auch meine Empfehlung, als es überhaupt losging in Wuhan – bevor wir mehr wissen, machen wir

lieber erst mal zu. Bevor Sie wissen, ob der Hund, der da auf sie zuläuft, sie beißt oder nur spielen will, gehen Sie mal lieber davon aus, dass er beißen könnte? Dann haben sie das Risiko erst mal minimiert. Und wenn er dann noch spielen will, können Sie immer noch nett zu ihm sein und streicheln. Und so ähnlich ist das auch. Es kann sein, dass wir in drei bis vier Wochen plötzlich feststellen, dass bei uns diverse Varianten, die höherinfektiös sind, bereits zirkulieren. Ich glaube auch überhaupt nicht, dass sich das begrenzen lassen wird auf die südafrikanische und die britische. Wie gesagt, wir haben jetzt gerade über die brasilianische gesprochen, die wohl jetzt schon in Japan aufgetaucht ist. Wobei man sagen muss, bei der brasilianischen ist noch nicht nachgewiesen, dass sie wirklich höher infektiös ist. Aber es ist möglich. Und ich bin sicher, dass weltweit noch viele, viele weitere zirkulieren. Aber ja, solange das alles noch Fragezeichen sind, weil wir zu wenig genetische Analysen in Deutschland machen, würde ich sagen, es ist richtig, erst mal die Schotten dicht zu machen. Und das will der Bundesgesundheitsminister hier machen. Da hat er Recht. Es kann gut sein, dass man dann zwei Wochen später sagt, okay, wir haben schon so viele Varianten im Land, und die kommen auch aus allen Ecken, wir wissen gar nicht, wo wir in der Welt dann noch irgendwelche Einreisekontrollen verhängen sollen, sodass man das wieder zurückdreht. Aber als erste Reaktion finde ich das richtig. Auf jeden Fall reagiert er da wesentlich besser, als damals, als das Virus in Wuhan damals ausgebrochen ist.

[0:43:22]:

Camillo Schumann:

Aber trotzdem sind offenbar Ausnahmen dieser Rechtsverordnung geplant. Das gilt nicht für Diplomaten und u.a. auch nicht für Geschäftsreisende. Von denen gibt es ja auch eine Menge. Müsste so etwas nicht für alle gelten?

[0:43:36]:

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Alexander Kekulé:

Oh, das habe ich jetzt gar nicht gewusst. Bei den Diplomaten ist das juristisch schwierig, weil für Diplomaten gilt ja, wenn ich das richtig verstanden habe, dass das Fremdland keine Bestimmungen über die treffen darf, das muss das eigene Land machen. Da kann man aber auch davon ausgehen – das ist ja eine privilegierte Reisegruppe –, dass die schon sehr engmaschig kontrolliert werden. Ich glaube nicht, dass es so viele Länder gibt, wo die Diplomaten sich komplett unachtsam, verhalten oder ohne Kontrollen einreisen würden. Wenn es eine Empfehlung für Diplomaten gibt, werden die meisten Länder das auch einhalten, ohne dass man das per Rechtsverordnung festlegen muss. Ich glaube, das kann man auch gar nicht bei ausländischen Diplomaten. Und das 2. ist bei Geschäfts- reisenden. Da könnte man das festlegen. Und da muss ich sagen, das ist wieder so eine Lücke, die verstehe ich zumindest nicht. Vielleicht gibt es dazu eine Begründung. Ich fordere neuerdings wirklich eine Begründungs- kultur, weil es schwierig ist, das nachzuvoll- ziehen. Vielleicht gibt es eine Begründung, warum das bei Geschäftsreisenden nicht gehen soll. Wir haben ja im Moment die Situation, dass sowieso kaum Urlaubsreisende unterwegs sind wegen der Restriktionen. Und es geht ja hauptsächlich um Geschäftsreisende. Dass man ausgerechnet die jetzt davon ausnimmt, verstehe ich ehrlich gesagt auf Anhieb nicht. Sie erinnern sich an die erste Einschleppung von Covid-19/Sars-Cov-2 durch eine chinesische Mitarbeiterin eines Autozulieferers bei München, die aus Shanghai kam. Das war ja eine Geschäftsreisende. Es gibt keine Evidenz dafür, dass Geschäftsreisende immun gegen das Virus wären.

Die Pandemie ist in Norditalien so richtig hochgekocht, weil sich da schon in der ersten Stufe eine damals höher infektiöse Variante durchgesetzt hatte, und von dort nach Südamerika. Der erste Fall in Brasilien oder überhaupt in Südamerika ist ein Geschäfts- reisender aus Brasilien gewesen, der aus

Norditalien zurückgekehrt ist. Es ist nicht so, dass die Geschäftsreisenden jetzt hier keine Geschichte hätten in dieser Pandemie. Ich weiß nicht, ob es da nur mir so geht, weil ich als jemand, der da vom Fach ist, das immer gern verstehen will. Ich wundere mich eigentlich, das nicht mehr Bürger sagen: Mensch, klar, das machen wir alles mit. Aber wir wollen gerne wissen, warum? Diese Frage wird kaum gestellt. Und das würde mir wirklich wünschen, dass wir das ändern in Deutschland, weil die meisten Dinge irgendeine Begründung haben. Und da muss man sagen: Mit den Diplomaten, da gibt es das und das Gesetz, warum wir das nicht machen können. Ich schätze, dass es so eins gibt. Und bei den Geschäftsreisen muss man sagen: Aus den und den Gründen machen wir es nicht. Sonst sieht es ja so aus, als würde man gerade die Gruppe, die jetzt historisch das Virus aus der ganzen Welt bereits verschleppt hat und die aus Wirt- schaftsgründen sozusagen privilegiert ist, als würde man die hier wieder privilegieren, um die Wirtschaft nicht abzuwürgen. Und dieser Hautgout liegt ja da sowieso in der Luft im Moment. Die Schulen sind zu, alles, was Frei- zeitaktivitäten sind, ist verboten, man darf nicht einmal mehr zum Rodeln gehen in manchen Regionen an der frischen Luft, aber in den Büros wird weiter munter gearbeitet, wird in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt, und zwar ohne Maske zum Teil. Dieser Hautgout liegt ja in der Luft, dass die Wirtschaft hier favorisiert würde. Ich mach den Vorwurf nicht, aber ich finde, wenn man den Vorwurf vermeiden will, muss man erklären, warum man so etwas macht.

[0:47:25]:

Camillo Schumann:

Irgendjemand muss ja den Laden am Laufen halten. (Beide lachen.) Wir verlassen dieses Thema und kommen kurz noch mal auf die Impfungen zurück. Zum einen die Frage, die wir geklärt haben mit der Wirksamkeit bei den Mutationen. Und es gibt noch eine Beobach- tung im Zusammenhang mit der Impfung, die

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für Verwirrung sorgt, geschildert von dieser Hörerin:

[0:47:51]:

„Eine gute Bekannte von mir, die 92 ist, selbst Impfärztin war und bestimmt keinen Stuss erzählt in der Hinsicht, ist im Altersheim in Berlin am 2. oder 3.1. – weiß ich jetzt nicht genau – und hat heute hat ein positives Testergebnis für Corona bekommen. Wie kann das zusammenhängen? Das kommt mir irgendwie sehr merkwürdig vor, wenn die Impfung den Erfolg hat, dass sie positiv getestet wird. Wenigstens für drei Tage sollte sie ja wohl vorhalten. Wie hängt das zusammen? Dankeschön.“

[0:48:26]:

Camillo Schumann:

Das war die Schilderung aus Berlin. In der ober- fränkischen Marktgemeinde Küps im Landkreis Kronach haben sich im Seniorenheim „Sonnen- blick“ auch mehrere Bewohner und Pflegekräf- te trotz einer ersten Corona-Impfung mit Sars infiziert. Und das, obwohl die Schnelltest vor der Impfung negativ waren. Wie ist das erklärbar?

[0:48:45]:

Alexander Kekulé:

Ja, erstens muss man sagen: Die Impfaktion ist auch eine Exposition. Da kommen ja Fremde in das Heim rein und impfen. Da muss man höllisch aufpassen, dass es dar nicht zu einer Verbreitung des Virus‘ kommt. Ich gehe davon aus, dass das in diesen beiden Fällen gemacht wurde. Ich sage es noch mal, dass das wichtig ist, damit man das im Auge behält. Und dann ist es so ja, wenn sie eine Kopfschmerztablette nehmen. Die wirkt nach 20 Minuten und nach zwei Stunden nicht mehr so stark. Und deshalb ist dieser Impuls verständlich, dass man sagt, Mensch, die ist gerade geimpft worden, das muss mindestens ein paar Tage halten.

Aber bei Impfstoffen ist es genau umgekehrt. Wir wissen, dass sich der Immunschutz eigentlich erst nach zehn bis 14 Tagen nach der ersten Impfung aufbaut. Das Immunsystem braucht einfach so lange, bis es diese sogenan-

nte adaptive Immunität entwickelt. Das lernende Immunsystem braucht so lange. Das sind mehrere Schritte, die hier passieren. Und deshalb ist es normal, dass unmittelbar nach der Impfung Menschen noch positiv werden, auch wenn die erste Impfung dann nach 14 Tagen doch relativ guten Schutz bietet, haben wir ja schon darüber gesprochen. Und das heißt, es gibt zwei Varianten: Die eine ist: Die Betroffenen hatten sich schon vor der Impfung infiziert, und das ist erst nach der Impfung aus- gebrochen. So was hat man übrigens bei den Zulassungsstudien, diesen sogenannten Phase- drei-Studien von Biontech und Moderna relativ häufig gesehen. Da ist ein relativ großer Teil der Leute, die geimpft wurden, gleich in den ersten zehn Tagen positiv geworden. Das ist gemein für die Hersteller, denn da haben sie offensichtlich jemanden geimpft, der das Virus schon in sich hatte. Das versaut einem total die Statistik. Aber es spricht eigentlich nicht gegen die Wirksamkeit des Impfstoffs. Und hier haben wir es genauso. Das ist sehr wahrschein- lich so gewesen, dass entweder kurz vor der Impfung oder unmittelbar nach der Impfung es zu einer Infektion gekommen ist und das ist dann nicht zu erwarten, dass man innerhalb der ersten 14 Tage schon geschützt ist.

Das kann man vielleicht auch mit dem Appell verbinden, denn wir werden jetzt viele Menschen haben, die geimpft sind in nächster Zeit. Zumindest nach der ersten Impfung darf man wirklich nicht davon ausgehen, dass man jetzt wieder Halli Galli machen kann und alles in Ordnung ist und man geschützt ist. Und man muss wirklich wissen, dass man danach auch ansteckend sein kann. Man kann sich auch selbst anstecken. Und man muss im Grunde genommen bis 14 Tage nach der 2. Impfung päpstlicher sein als der Papst und diese Hygieneregeln weiter einzuhalten.

Camillo Schumann:

Aber kann es nicht sein, wenn man sich vorher schon infiziert hat, dann bekommt man noch mal eine Dosis durch die Impfung, dass man dann erst recht ausgeknockt wird?

Alexander Kekulé:

Ja, da stellen Sie in Ihrem jugendlichen Leicht- sinn eine schwierige Frage. Das wissen wir nicht. Der Pfizer./Biontech-Impfstoff wurde ja

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an deutlich über 20.000 Menschen verimpft. Da hat man festgestellt: wenig Nebenwirk- ungen, das muss ich wirklich sagen. Die Neben- wirkungen sind extrem gering, auch wenn da der eine oder andere Mal allergische Reaktion gezeigt hat. Aber die Leute, die man da zur Verfügung hatte, waren fast alles Menschen, die noch keinen Kontakt mit dem Virus hatten. Das liegt am Zeitpunkt der Studien, und wo man sie gemacht hat. Wir wissen nicht, was dieser Impfstoff macht bei Leuten, die gerade mit dem Virus kämpfen oder die die Virusin- fektion schon durchgemacht haben, die deshalb eigentlich schon eine Immunantwort entwickeln. Möglicherweise waren das auch die Gründe für diese allergischen Reaktionen, die wir gesehen haben. Das ist unbekannt. Das heißt, man hat ja bei den Zulassungsstudien nicht, bevor man losgelegt hat, festgestellt, sind das alles Leute ohne Covid19-Infektionen in der Vergangenheit oder ist ein Teil davon Covid-19 infiziert gewesen oder hat ein Teil bereits im Moment? Im Gegenteil, man hat ja gesehen, dass man wohl ein paar erwischt hat, die schon infiziert waren, gerade akut. Und diese Differenzierung, was in dem Fall passiert, wenn jemand schon die Infektion durchge- macht hat, das wissen wir nicht. Dieser Teil der Population steigt aber ständig, das ist ja klar, weil die natürlichen Infektionen weiterlaufen. Und das wird dann sicherlich die Zweit- und Drittauswertung, die sogenannte Surveillance- Untersuchung oder Post-Marketingstudien, die jetzt laufen, zeigen, ob es da irgendeinen Effekt gibt. Ich hoffe, dass es nicht so ist. Ich vermute auch, dass es nicht so ist. Aber man muss ehrlicherweise sagen, die Frage ist bis jetzt nicht beantwortet.

[0:53:21]:

Camillo Schumann:

Vielleicht bringt auch die Beantwortung der Fragebögen nach der Impfung ein bisschen Licht ins Dunkel. Offenbar scheinen sich auch die Nebenwirkungen zumindest in Deutschland bisher in Grenzen zu halten. Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, hat NTV gesagt:

„Zwar seien dem Institut in der ersten Impfwoche in sechs von 130.000 Fällen von schwerwiegenden Reaktionen berichtet

worden, aber es sei bislang unklar, ob sie im direkten Zusammenhang mit der Impfung stehen. Aber es ist so, dass allergische Reaktionen aufgetreten sind, aber nicht die erwarteten anaphylaktischen Reaktion. Das, was aufgetreten ist, war wesentlich milder.“

Da gibt es ja dann auch so ein Sicherheits- bericht, den das Paul-Ehrlich-Institut veröf- fentlicht. Der letzte ist vom 4. Januar, was ja eben die erste Impfwoche betrifft. Das wird schon gut überwacht.

[0:54:09]:

Alexander Kekulé:

Ja, da gehe ich fest davon aus. Ich kenne Herrn Cichutek schon seit sehr langer Zeit. Das ist wirklich einer der super gründlichen Virologen, die das extrem ernst nehmen solche Themen. Und unsere deutschen Behörden sind da absolut unbestechlich. Die können für Politiker die Pest sein, wenn es drauf ankommt, weil die so stur ihren wissenschaftlichen Stiefel durch- ziehen. Deshalb, glaube ich, sind wir da in guten Händen. Das Gleiche gilt nach meiner Einschätzung auch für die CDC in den USA, die amerikanische Behörde, die da zuständig ist. Bei denen ist es ein bisschen anders aufgeteilt als bei uns. Hier gibt es ja das RKI und das Paul- Ehrlich-Institut. Letzteres ist für die Impfstoffe und Sera aus historischen Gründen zuständig. Die Behörden in den USA haben von dem Pfizer/Biontech-Impfstoff meines Wissens schon über 2 Millionen Dosen verimpft und ausgewertet und haben da auch kürzlich eine Zwischenauswertung der Daten präsentiert. Das hält sich absolut in Grenzen. Ich glaube, da waren ein oder zwei sehr schwere Verläufe dabei. Wobei man immer sagen muss: Mensch, wenn sie 2 Millionen Menschen an einem Tag X fragen, was hast du gerade für Erkrankungen, dann haben sie immer irgendeinen dabei, der plötzlich gestern schwer krank geworden ist. Und das dann kausal auf den Impfstoff zurück- zuführen, ist statistisch gar nicht so einfach. Ich würde davon ausgehen: Für eine Impfreaktion wollen wir ja immer haben: Schwellung, Rötung, Schmerzen. Auch wenn das brutal klingt. Das ist ja der gewünschte Effekt, weil dadurch das Immunsystem anspringt und die Antikörper und die T-Zellen bildet, die das Virus eliminieren sollen. Und der Übergang

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dieser lokalen Wirkung, dass man dann ein, zwei Tage vielleicht schlapp ist, ein bisschen Fieber hat, zu der echten allergischen, ist ein fließender Übergang, das empfindet auch jeder ein bisschen anders. Und manche Menschen sind empfindlicher. Und ja, es gibt immer Leute. Auch jeder Kinderarzt kann das bestätigen, dass alle ein, zwei Jahre kommt das in seiner Praxis vor, dass er ein Kind impft, und das hat dann eine allergische Reaktion. Da muss er seine Notfallkoffer rausziehen, viel- leicht den Notarzt rufen. Das ist dramatisch. Aber im Verhältnis zu den Millionen, die ge- impft werden, ist es eben selten. Und man weiß auch nicht genau, woran das liegt. Deshalb würde ich sagen, solange wir jetzt nichts hören von unerwarteten, massiven Nebenwirkungen, gehe ich davon aus, dass der sicher ist.

Camillo Schumann:

Beim Deutschen wirkt es anders, das ist klar.

Alexander Kekulé:

Das ist übrigens auch ein wichtiger Punkt: Wir wissen, dass solche genetischen Dinge auch nach Ethnien unterschiedlich sind, ob sie Farbige oder einen Kaukasen oder sonstwas impfen. Das ist ein Unterschied. Und das wird noch spannend. Das kann schon sein, dass man dann feststellt, dass es bei dem einen oder anderen besser oder schlechter oder häufiger oder seltener Nebenwirkungen gibt. Aber da kann man nur sagen, das ist ja bei der Infektion genauso. Es gibt ja Leute, die reagieren auf solche Virusinfektionen, die drücken das irgendwie weg ohne irgendetwas, und andere sind massiv krank. Und es liegt auch an den Genen. Und übrigens lernen wir als Neben- effekt hier bei dieser Sars-Cov-2-Pandemie über diese immunologische Antwort sehr viel. Das nützt uns auch sehr viel für andere Erkrankungen, um die besser zu verstehen.

[0:57:31]:

Camillo Schumann:

Und diese Nebenwirkung – es werden ja jetzt jeden Tag so über den Daumen 50.000 Menschen geimpft – kann auch jeder selbst im Paul-Ehrlich-Institut melden. Da gibt es einen Link zu einem Formular, das kann man dann ausfüllen und über sein Befinden berichten.

Die Nebenwirkungen, wie gesagt, die werden dann im Sicherheitsbericht veröffentlicht. Und den Link gibt es wie immer in der verschrift- lichen Versionen dieses Podcasts immer unter jedem Podcast. Und ob man sich dann noch einmal infiziert hat oder nicht, das kann man ja vielleicht mit einem Schnelltest am besten rausfinden. Womit wir beim letzten Thema für diesen Podcast wären. Diese Schnelltests gibt es offiziell nur noch für medizinisches Personal. Oder man geht in so ein Schnelltest-Zentrum. In der Apotheke kann man das auch machen. Frei verkäuflich für jedermann sind die noch nicht. Sie plädieren ja schon seit Monaten dafür, dass sich jeder für einen Euro in der Apotheke so einen Schnelltest besorgen kann und dass so ein Schnelltest von jedermann genauso gut durchgeführt werden kann, wie wenn es medizinisches Personal tut. Das ist jetzt in einer Studie der Charité nachgewiesen worden, mit einem ziemlich deutlichen Ergebnis, wie ich finde, oder?

[0:58:39]:

Alexander Kekulé:

Ja, ich liebe die Charité an der Stelle. Die haben das, was ich seit so vielen Monaten fordere und wo alle, einschließlich irgendwelche Ärzteverbände und Fachleute aller Richtungen, gesagt haben, das geht total in die Hose. Vor allem Ärzte, die da immer Geld daran verdien- en. Die haben jetzt wirklich gezeigt, dass der Selbsttest im Prinzip genauso gute Ergebnisse liefert, als wenn die Abnahme von einem Profi gemacht wurde. Übrigens das Institut für Tropenmedizin und auch ein Virologe vom Institut für Virologie waren beteiligt. Aber es ist jetzt keine Studie des Instituts für Virologie, sondern die Tropenmedizin, die schon ein paarmal interessante Daten veröffentlicht hat, hat sich da eine Runde von Probanden genom- men, 146 an der Zahl, und hat denen einfach nur eine schriftliche Anleitung in die Hand gedrückt. Auf dieser Anleitung waren kleine Bildchen dabei. Und dann mussten die sich selber da den Nasen-Rachen-Abstrich machen, was ja nicht trivial ist für Leute, die da keine Erfahrung haben. Das wurde nicht angelernt, sondern nach der Papierform sollten die das machen. Und trotzdem war es so, dass die Ergebnisse gleich gut waren, als wenn die

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Profis das machen. Die Sensitivität, die Nachweis-Quote lag bei dem Selbsttest bei 82,5 Prozent für den Antigen-Schnelltest. Die mussten sogar auch das Tropfen hinterher selber machen, den Antigentest komplett selber durchführen. Und bei den Profis, wenn die Profis gemacht haben, war es 85 Prozent. Diese 2,5 Prozent sind aber kein wirklich signifikanter Unterschied. Und das Wichtigste ist, wenn der Test negativ war – und darauf kommt es ja hauptsächlich an, wenn man sich selber testet und es ist ein Negativ-Test –, dann heißt es ja, man hat das Virus mit dem Schnelltest nicht nachgewiesen. Die Überein- stimmung der negativen Tests war zwischen den selbstgemachten Tests und den Tests, die die Profis gemacht haben, 99,1 Prozent. Mehr geht eigentlich nicht bei so einer Studie. Und dann haben sie noch eine weitere Auswertung gemacht, weil ja diese Schnelltests immer die Besonderheit haben, dass sie hauptsächlich Leute mit einer höheren Viruslast erkennen und Leute, die wenig Virus im Rachen haben, möglicherweise bei den Tests nicht erkannt werden. Da haben ja viele Leute gesagt, des- halb dürfen wir die nicht verwenden. Und mein Argument ist, gerade deshalb sind sie epidemiologisch brauchbar, denn wir wollen ja gar nicht die aus dem Verkehr ziehen, die gar nicht infektiös sind und nur wenig Virus im Rachen haben. Und da ist es so, dass bei denen, die eine hohe Viruslast haben, also die klar ansteckend waren, da waren die Ergebnisse, dass 96,6, rund 97 Also in 97 Pro- zent hat man die dann gefunden, die Positiven. Und da war überhaupt kein Unterschied in der Gruppe der Personen, die sich selber getestet haben, und der Tests, die gemacht von Professionellen gemacht wurden. Das heißt unterm Strich, man kann diese Tests wirklich selber machen. Ich kann nur noch einmal dazu aufrufen, dass – wo diese Tests auch bei meinen Kollegen und sogar beim Bundesge- sundheitsministerium endlich salonfähig geworden sind –, diese Tests freigibt für den Selbsttest.

[1:01:50]:

Camillo Schumann:

Tja, das ist ein schönes Beispiel für ihre geforderte Begründungskultur. Die hätte man

ja jetzt, was die Wirksamkeit dieses Schnelltests angeht. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 137, Herr Kekulé.

Und wir wollen die Sendung mal mit einer überraschenden Aussage beenden. Die Aussage kommt von Thüringens Minister- präsident Bodo Ramelow, der bei Markus Lanz etwas gemacht hat, was sonst selten Politiker tun. Er hat einen Fehler, zugegeben, er hat seinen anfänglichen Widerstand gegen härtere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona- Ausbreitung bereut. Und das hat er gesagt:

„Ich habe mich von Hoffnungen leiten lassen, die sich jetzt als bitterer Fehler zeigen. Und ich muss das einfach sagen: Ich weiß auch, ich habe es noch genau im Ohr, dass die Bundes- kanzlerin eindringlich gesagt hat: Es werden Zahlen auf uns zukommen, da werden wir uns noch sehr, sehr, sehr, sehr daran erinnern und wünschen, dass wir sie wieder hätten. Und ich muss sagen, sie hat recht gehabt, und ich habe unrecht gehabt.“

[1:02:51]:

Camillo Schumann:

Hört man selten, oder? Das kann man so stehen lassen.

Alexander Kekulé: Ja, das kann man so stehen lassen. Vielleicht aus meiner Sicht: Man muss jetzt aufpassen, dass so etwas nicht in die Gegenrichtung umschlägt, denn im Moment schreien alle nach noch härteren Lockdwons, um noch geringere Fallzahlen zu kriegen. Gerade die Länder, die früher dagegen waren, Sachsen und Thüringen, sind ja jetzt die Speer- spitze der Bewegung bei den Einschränkungen. Hoffnung ist, wie Herr Ramelow richtig sagt, für einen politischen Profi kein guter Ratgeber. Aber Angst ist auch kein guter Ratgeber. Deshalb bin ich sehr für eine Versachlichung. Und da muss man aufpassen, dass man nicht emotional in die Gegenrichtung schlägt. Wissenschaftlern wird ja immer vorgeworfen, dass sie so kaltblütig sind und dass sie so sach- lich sind. Ja, aber was soll man sonst machen? Weder Hoffnung noch Angst, sondern wir müssen uns die Evidenz anschauen. Und dann plädiere ich dafür, dass die ein bisschen besser

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wird, dass wir besseres Zahlenmaterial haben für die Entscheidungsfindung.

[1:03:50]:

Camillo Schumann:

Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé:

Sehr gerne, ich freue ich mich drauf, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter

0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Samstag, 09.01.2021 Hörer-Fragen SPEZIAL #136: Fragen zu Kerzen, Kinderwunsch und Mutationen

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann:

Samstag, 9. Januar 2021.

Wie schützt man sich gegen die neue Virus- Mutation? Muss man sich jedes Jahr impfen lassen?

Und: muss es immer derselbe Impfstoff sein? Schützt eine brennende Kerze vor Ansteckung?

Sollten sich Frauen mit Kinderwunsch besser nicht impfen lassen?

Damit herzlich willkommen wieder zu einem

Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL

nur mit ihren Fragen.

Die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Herr K. aus Köln hat gemailt:

„Was bedeutet das für das konkrete Verhalten im Alltag, dass die neue Virusmutante aus Großbritannien viel ansteckender ist? Schützt zum Beispiel eine FFP2-Maske dann nicht mehr so zuverlässig, zum Beispiel im Supermarkt oder im ICE. Und wenn ja, wieso ist das so, obwohl die mechanische Barriere dieselbe ist. Viele Grüße.“

3 [0:01:00]:

Die Ansteckungsfähigkeit kann man ungefähr an dieser Basisreproduktionszahl festmachen. Wie hoch dieses R wäre, wenn man keine Gegenmaßnahmen ergreift. Da sind die Schätz- ungen so, dass das R bei diesem Sars-CoV-2 im Bereich von 3,0 liegt. Und die Briten berichten, dass die neue Variante bei R = 3,5 bis 3,7, also 0,5 bis 0,7 höher liegt. Das ist aber eine Ab- weichung, die nicht eklatant ist. Zum Vergleich: Bei Masern ist das R im Bereich von 12 und bei Windpocken wahrscheinlich im Bereich von 10. So genau hat man das nicht bestimmt. Das heißt, hier wird jetzt nicht aus einem mäßig an- steckenden Virus ein super ansteckendes Virus, sondern es ist ein epidemiologischer Effekt, der sich nur bei einer sehr großen Zahl von Personen zeigt. Deshalb sind genau die gleichen Maßnahmen weiterhin wirksam. Rein theoretisch-akademisch müsste man sagen, das ist nicht ganz so gut. Aber das ist etwas, was sich erst hinterm Komma abspielt und für unser praktisches Leben keine Rolle spielt.

[0:02:06]:

Camillo Schumann:

Kurz nachgehakt: Nichtsdestotrotz wird davon gesprochen, dass diese Virusmutante sich wesentlich schneller ausbreitet. Ist das übertrieben?

[0:02:18]:

Alexander Kekulé:

Na, das „wesentlich“ bezieht sich letztlich auf die Gesamtpopulation. Wir haben es ja hier mit einer Exponentialfunktion zu tun. Dadurch ist – auf die Gesamtbevölkerung gesehen – klar, das wird wesentlich mehr, was sich nach vier Wochen angesteckt hat.

Andererseits ist es so: Wir ergreifen zwar epidemische Maßnahmen, aber unser Problem ist, dass wir insgesamt nicht genau wissen, welche Maßnahmen wirksam sind und welche nicht. Der Lockdown wirkt, weil man alles zu- macht. Und es kann schon sein, dass die eine oder andere Sondersituation so ist, dass man mehr Menschen ansteckt, zum Beispiel wenn

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man ein Superspreading-Ereignis hat. Und man hat ein Virus, was zum Beispiel mit 3,7 sich vermehrt statt mit 3,0. Dann ist zu er- warten, dass sich bei einem Superspreading- Ereignis mehr Menschen infizieren. Das kann man aber nicht auf die Situation mit der FFP2- Maske übertragen. Die FFP2- oder FFP3- Masken schützen sehr weitgehend. Und das reicht für den Alltag aus. Die Probleme sind woanders, nämlich da, wo die Maske oft nicht dicht sitzt, dass vor allem an der Nase oben die Luft raus- und reingeht. Und diese Dinge sind viel schlimmer und schlagen viel stärker ins Kontor als die Frage, ob das jetzt R =3,0 oder 3,50 ist.

[0:03:43]:

Camillo Schumann:

Und weiß man denn, wie sich das Virus verändert hat, dass es sich jetzt so schnell ausbreitet? Also was hat sich da so konkret verändert?

[0:03:52]:

Alexander Kekulé:

Wir hatten das vor Weihnachten relativ detailliert in einer Ausgabe besprochen. Es ist so, dass sich mehrere Mutationen angesam- melt haben bei dem Virus bei dieser Variante, die in Großbritannien entdeckt wurde. Das ist ein ganzes Paket von Mutationen. Deshalb spricht man auch von einer neuen Variante, die hier aufgetreten ist. Insgesamt sind acht von diesen Mutationen im sogenannten Spike, also in diesem Bereich, wo das Virus andockt an seine Zielzelle. Ganz konkret an dieser Andocking-Stelle vorne hat sich da etwas verändert. Deshalb ist die Vermutung naheliegend – und das wird auch durch Zellkulturexperimente unterlegt –, dass die Bindung dieses Virus an diesen ACE2-Rezeptor möglicherweise etwas besser ist. Das mit der Bindung darf man sich nicht so vorstellen: je fester das Virus sich da anklammert, desto infektiöser wird es. Vielmehr ist das eine relativ aufwendig konzertierte Aktion. Das Virus muss genau an diesen Rezeptor andocken. Dann muss es aber wieder das Stück, mit dem es

angedockt hat, das schneidet es ab, um dann weiter in die Zelle reinzukommen. Also wenn man so sagen darf: Die Türklinke muss es auch wieder loslassen, sonst kann es nicht durch die Tür durchgehen. Und dafür gibt es auch be- stimmte Funktionen. Auch an dieser Stelle, wo dieser Schnitt in dem in dem in dem Protein gemacht wird, bleibt das letzte Stück hängen. Auch an dieser Stelle hat sich bei dieser Variante etwas verändert, sodass die Ver- mutung schon naheliegt, dass der Gesamtpro- zess – Andocken und anschließendes Eintreten in die Zelle, die der infiziert werden soll, also irgendeine Schleimhautzelle in den Atemwegen – eben einfach effizienter läuft.

Camillo Schumann:

Das heißt, die Übertragung ist gleichgeblieben. Die Aufnahme geht aber schneller?

Alexander Kekulé:

Ja, aber das darf man sich dann genauso vorstellen, wie Sie sagen. Aber der entscheid- ende Punkt ist: Wenn die Aufnahme schneller geht oder effizienter geht, dann genügen weniger Viruspartikel für eine Ansteckung. Das ist sozusagen der Schlüssel. Das heißt, jemand, der nicht so viel ausscheidet, ist dann trotzdem noch infektiös, weil ein paar wenige Partikel dann ausreichen, um doch eine Infektion auszulösen. Und so hängt das zusammen.

Camillo Schumann:

Na, klasse, das heißt: überall Maske tragen, auch unter der Dusche?

Alexander Kekulé:

Nein, einfach das weitermachen wie bisher. Ich glaube, dass unser Wissen über unsere Schwachstellen im Lockdown noch nicht richtig funktioniert. Und das sind ja ganz andere. Das ist nicht die Frage, ob diejenigen, die eine Maske aufhaben, die richtige Maske tragen, oder man eine Maske unter der Dusche aufhaben soll. Sie wissen, wenn sie nass ist, muss man wechseln.

Camillo Schumann:

Das war Spaß.

Alexander Kekulé:

Aber das Problem sind einfach die, die gar keine Maske auf haben. Und im medizinischen

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Bereich kann man durchaus auch sagen, also einschließlich Altenpflege, wenn das Personal, was teilweise mit Menschen zusammen ist, die die sehr viele Viren ausscheiden, wo eine hohe Infektionsgefahr ist, wenn die ihre Maske nicht richtig im Gesicht haben, dann ist das gefähr- lich und führt dann zu Infektionen. Das heißt also, diese Dinge sind viel wichtiger: Hat das Personal die Masken richtig auf? Werden die Vorschriften, die man für Heime entwickelt hat, überall konsequent eingehalten? Wie ist es im Nachtdienst? Ist es dann so, dass die Schwester, die da Dienst hat, fünf Stationen auf einmal versorgt? Wenn sie das macht, hat sie die Möglichkeit und genug Zeit, sich zwischendurch zu desinfizieren. Die ganz simplen praktischen Sachen sind viel wichtiger für unsere Infektionsabwehr als die Frage, ob das R von 3,0 auf 3,5 gestiegen ist.

Aber ja, für die Gesamtbevölkerung ist das eine ganz schlechte Nachricht, weil sie dann eine schnellere Durchseuchung bekommen und wir noch schneller impfen müssen, um dieses Geschehen zu überholen.

Camillo Schumann:

Dieser Herr hat angerufen, er diskutiert ab und zu mal mit Freunden und Bekannten und bräuchte mal ein paar Fakten.

[0:08:03]:

„Ich habe das Problem in Diskussionen mit Corona-Skeptikern oder PCR Skeptikern, die sagen, mit dem PCR-Test werden so viele Zyklen durchgeführt, 30, 35, 40, 45, dass die Werte, die dann da entstehen, zu ungenau sind und nicht passend sind. Ich entgegnete dagegen, dass bei den Tests individuell ermittelt wird pro Probe, wie der CT wert ist, und über diesen CT-Wert man sehr gut nachvollziehen kann, inwieweit man infektiös ist und wie der Krankheitsverlauf war. Da findet man leider im Internet kaum eine Quelle, dass der CT-Wert individuell ermittelt wird.“

[0:08:51]:

Alexander Kekulé:

Ja, es ist völlig richtig mit dem CT-Wert, das ist die Zahl der Zyklen, die man in der PCR fahren muss, um ein positives Signal zu bekommen.

Und bei der PCR ist es ja so, dass das Genom des Virus, das Erbgut des Virus, in einem chemischen Verfahren verdoppelt wird. Dann hat man ja vier, und wenn man das noch ein- mal verdoppelt, hat man acht und dann 16, 32, 64, und wenn man es zehnmal macht 1.024 und so weiter. Das heißt also, man vermehrt in sehr großer Zahl dieses Genom des Virus. Und irgendwann sagt das Nachweisverfahren, Bing, da ist ein Virus da oder auch gar nicht. Und man kann – so empfindlich ist die Methode unter experimentellen Bedingungen, jetzt nicht mit der Routinediagnostik – ein einzelnes Genom nachweisen. Das ist so unglaublich empfindlich, dass man ein einziges Virus nach- weisen könnte. Das findet bei der Routine- diagnostik nicht so statt. Und deshalb sagt man, okay, ab wann gilt es denn als positiv? Und da ist so eine Grenze eingebaut. Wir nennen das Cutoff, also da, wo abgeschnitten wird. Meistens liegt der Cutoff für die Ver- fahren – das wird in jedem Labor je nach Methode separat bestimmt –, aber der liegt meistens in der Größenordnung zwischen 33 und 35 CT. Das heißt also zwei hoch 33 hätte man sozusagen vermehrt bei der ganzen Sache. Das ist eine Empfindlichkeit, die dann über die Infektiösität nicht unbedingt was aussagt. Die sagt etwas darüber aus, dass das Virus da ist. Die PCR ist extrem spezifisch, wie wir sagen. Die irrt sich also nicht bei dem, was sie nachweist. Wenn die positiv ist, dann ist das Virus da, oder zumindest sein Genom. Das kann auch ein totes Virus, also ein nicht ver- mehrungsfähiges Virus sein. Aber die sagt jetzt nichts darüber aus, ob genug Viruspartikel da sind, um effizient eine Ansteckung zu machen. Und da sagen wir seit einiger Zeit den diagnostischen Laboren, ab einem Wert von 30 ungefähr – das ist weitgehend anerkannt – gilt der Patient nicht mehr als infektiös. Ich habe das auch schon gesehen, dass Gesundheits- ämter dann gesagt haben CT war über 30. Ja, das ist jemand, der offensichtlich die Infektion durchgemacht hat und noch so ein paar Viren oder Virusgenome übrig hat im Speichel. Aber der gilt uns jetzt nicht mehr als infektiös. Der darf sich wieder ganz normal verhalten. – Da

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unterscheiden sich übrigens die Gesundheits- ämter. Es gibt auch andere, die sagen, nein, wenn irgendetwas nachweisbar ist in der PCR, muss derjenige in Quarantäne bzw. in die Isolierung definitionsgemäß. Und das ist eine kleine Schwierigkeit. Und die sogenannten Corona-Kritiker haben das aufgespießt. Die sagen – und an der Stelle ist das Argument nicht ganz falsch - Wenn einer ein CT von 30 hat, wieso muss er jetzt in Isolation für zehn Tage?

Und es gibt ja skurrile Fälle. Da gibt es Men- schen, die sind so neugierig, dass die nach zehn Tagen, wenn sie von der Isolierungs- anordnung vom Gesundheitsamt bekommen haben, dann sagen sie nicht, okay, der Spuk ist vorbei, ich gehe wieder raus zum Einkaufen. Nein, dann lassen sie noch einmal einen Test machen, oder der Arzt war neugierig und macht noch mal ein Test. Und dann sieht man, ups, die PCR ist immer noch positiv. Da können Sie noch einmal zehn Tage Quarantäne machen. Und sie kriegen auch von einigen Gesundheitsämtern dann die Quarantäne- anordnung. Und Sie werden es nicht glauben: Es gibt Fälle, wo dann Leute nach sechs und acht Wochen völlig verzweifelt sind, weil sie irgendwie noch Spuren von Virusgenomen im Speichel haben. Das geht bei denen halt dann einfach nicht so schnell weg wie bei anderen. Und da gibt es sture Gesundheitsämter in Deutschland, die sagen, okay, Quarantäne, noch mal zehn Tage, noch mal zehn Tage. Das ist Futter für die Corona-Kritiker. Und deshalb sind die Virologen, die sich mit dem Thema intensiver beschäftigen, sich einig, dass man irgendwo bei 30, manche sagen sogar schon bei 29, 28 sagen muss, das ist jemand, der hat wohl Covid19 durchgemacht. Der gilt aber für uns nicht mehr als infektiös.

[0:12:54]:

Camillo Schumann:

Dann verstehe ich nicht, warum man das nicht bundesweit einheitlich gemacht hat, bspw. 30 und fertig für alle Gesundheitsämter. Warum es solche individuellen Lösungen gibt, das kann ich als Außenstehender nicht nachvollziehen.

[0:13:10]:

Alexander Kekulé:

Es gibt verschiedene Verfahren, mit denen man das nachweist, verschiedene Maschinen, verschiedene Hersteller. Und bei jedem ist der CT-Wert etwas anders. Und wenn man es ganz genau nimmt, ist es sogar so, dass jedes Labor für sich das auch noch einmal austariert, damit der Cutoff sauber ist, wo man sagt, okay, da ist es bei uns positiv, da ist es negativ. Und dann gibt es da noch einen Bereich dazwischen. Den nennen wir eben nicht genau feststellbar. Jetzt gibt es Labore, die sagen, bei nicht feststellbar bitte noch mal eine Probe einschicken. Das finde ich eigentlich das Vernünftigste. Es gibt aber andere Labore, die schreiben dann auf dem Befund drauf, schwach positiv, wenn es grenzwertig ist. Was soll jetzt jemanden im Gesundheitsamt, so ein armer Amtsarzt, mit der Info machen: schwach, positiv? Und Sie haben völlig recht, da wäre eigentlich die Gesellschaft für Virologie gefragt, das ist unsere Fachgesellschaft, die sich auch um solche diagnostischen Standardisierungen kümmert, eine Empfehlung abzugeben, ab welchem CT, bei welchem Gerät und bei welchem Hersteller man noch von einer Infektiösität ausgehen kann. Aber wir kennen die öffentliche Diskussion zwischen den Fach- leuten. Die sind unterschiedlicher Meinung. Bis jetzt habe ich noch nicht festgestellt, dass irgendjemand so mutig war und gesagt hat, okay, CT gleich 28, darüber ist Schluss. Und darunter gilt der Patient nicht mehr als infektiös? Da hat dann jeder ein bisschen Angst. Dass er zur Verantwortung gezogen wird, wenn es doch mal eine Ansteckung gab.

[0:14:38]:

Camillo Schumann:

Aber nichtsdestotrotz: von Anfang an war ja klar, dass ein positiver PCR-Test sogar als Fall definiert wurde laut WHO und Robert-Koch- Institut. Da geht man ja sogar noch einen Schritt weiter. Da ist man ja förmlich schon krank in Anführungszeichen, obwohl man das ja überhaupt nicht ist.

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[0:14:55]:

Alexander Kekulé:

Jetzt sprechen sie etwas an, was beim Epidemiologen zu einem Zwei-Stunden-Vortrag führen könnte. Sie haben völlig recht: Die Fall- definition erfolgt in Ermangelung anderer sauberer Kriterien. Sie wissen, klinisch sieht es aus wie eine Influenza. Was soll man machen? Man kann ja nicht sagen: Fieber plus Husten plus Kopfschmerz ist gleich Covid. Deshalb gibt die Falldefinition über die PCR, man hat ein- fach nichts Besseres. Und dadurch kommt eben dieser PCR extrem viel Gewicht zu. Wobei man aber sagen muss: Mit der Falldefinition habe ich nicht so viele Probleme, denn da ist jeder, der positiv ist, in der PCR. Der hat ja Kontakt mit dem Virus gehabt. Anders kann das nicht sein. Und da ist es sozusagen für die medizinische Diagnostik und Therapie, wie man weiter vorgeht, schon gut, das über die PCR zu machen. Die Chinesen haben am An- fang, weil sie nicht genug Tests hatten, klin- ische Kriterien zu Rate gezogen, oder auch geröntgt. Das war also wesentlich schwächer. Und selbst die Falldefinition, die mancher jetzt anbieten, sogar Hunde zu verwenden für die Diagnostik, ist viel schwächer als die PCR. Aber man muss eben sauber unterscheiden – und da liegt der Hase im Pfeffer – zwischen den Fragen, die die Ärzte haben, die jemanden therapieren wollen – da ist die PCR richtig – und den Epidemiologen, die eigentlich nur für die Gesamtbevölkerung diese Infektion ein- dämmen wollen. Und da wäre es schon sinn- voll, wenn man sich einigen würde auf einen CT-Wert, wo man nicht mehr als infektiös gilt.

[0:16:34]:

Camillo Schumann:

Epidemiologen/ Politiker sind es, die am Ende dann auch Entscheidungen treffen müssen. Aber das sei jetzt einfach mal dahingestellt. Wir müssen weiterkommen. Wir haben noch mehr Fragen: Herr B. hat gemailt:

„Es wird er künftig mehrere Impfstoffe geben. Und wie es aussieht, wird man eventuell jedes Jahr neu geimpft werden müssen. Muss man

dann immer wieder mit demselben Impfstoff geimpft werden? Oder kann jemand, der jetzt vielleicht Biontech bekommt, später dann auch mit einem anderen wie zum Beispiel von Astra- Zeneca geimpft werden? Das wäre ja vielleicht bald relevant, werden erst einmal alle nur eine Impfung kriegen von Biontech und dann eventuell der Nachschub fehlt. Viele Grüße.“

[0:17:09]:

Alexander Kekulé:

Das sind zwei Fragen. Die erste: Muss man überhaupt immer wieder neu geimpft werden? Da bin ich mir gar nicht so sicher. Ich bin ja da Berufsoptimist, sonst hätte ich den Job nicht so lange durchgehalten. Und deshalb sage ich, es wird hoffentlich so sein, dass wir mit dieser einen Impfung, mit dieser einen Klasse von Impfstoffen, die wir jetzt demnächst haben, die Epidemie halbwegs in den Griff bekommen. Ob man dann noch mal den Impfstoff um- stellen und ein Jahr später oder zwei Jahre später noch mal impfen muss, das ist ein großes Fragezeichen. Wir wissen es von Influenzaviren, dass die sich jedes Jahr durch genetische Veränderungen so weit verändert haben, dass man immer wieder neue Impfstoffe zusammenmischen muss, um die in Griff zu bekommen. Ob das bei Covid-19 auch so wird, ist überhaupt nicht klar. Wir haben solche Untersuchungen bei Coronaviren nicht. Es gibt keine Daten darüber. Was wir wissen, ist, dass man normalerweise mit so einem normalen Coronavirus, die diese Erkältungen machen, typischerweise spätestens nach zwei Jahren die Immunität verschwunden ist. Man kann mit genau dem gleichen Coronavirus nach zwei Jahren noch einmal eine Infektion bekommen, ohne dass sich das so spektakulär verändert haben muss. Das liegt wohl am Immunsystem, dass das Virus nicht so ernst genommen hat beim ersten Angriff. So eine Covid-19-Infektion ist klinisch bei vielen eine relativ schwere Erkrankung. Da ist auch davon auszugehen, dass die Antikörper die Zellen, diese zytotoxischen T-Zellen, die sich da bilden, dass die effizienter sind. Und möglicherweise hält diese Immunität dann auch länger. Das

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wissen wir aber alles nicht. Es kann sein, dass die Immunität gegen Covid-19 oder Sars-Cov-2 relativ lange hält im Vergleich zu den normalen zirkulierenden Coronaviren. Oder es kann sein, dass es ganz genau so ist. Da lassen wir uns mal überraschen. Und deshalb würde ich da jetzt noch nicht den Teufel an die Wand malen.

Die andere Frage, die ist eher eine praktische: Könnte man bei einer späteren Impfung den Impfstoff wechseln? Ich würde davon abraten, den Impfstoff zu wechseln. Bei einer Impfung gibt man ja immer erste und zweite Dosis. Also diese zweite Dosis heißt auch Booster oder Auffrischungsimpfung. Und da würde ich davon abraten, den Impfstoff zu wechseln, weil das einfach in Studien nicht genau untersucht ist. Wenn sie dann rein theoretisch zwei Jahre später sich nochmal impfen lassen wollen oder sollen und haben jetzt den von Biontech genommen, dann können sie dann zwei Jahre später auch was von einem anderen Hersteller nehmen. Da würde nichts dagegensprechen.

Camillo Schumann:

Weil sie in sich abgeschlossen waren und dann der Körper wieder auf was Neues reagieren kann.

Alexander Kekulé:

Ja, das ist eine interessante Diskussion. Der Körper soll ja auf etwas Neues reagieren. Und bei dieser sogenannten Booster-Impfung, im Deutschen sagt man manchmal Auffrischungs- impfung, da ist es immunologisch gut, wenn der Abstand zwischen der ersten und der zweiten relativ lang ist. Man weiß, dass der Boostereffekt deutlicher ist, wenn sie zwei oder drei Monate warten. Jetzt bei diesem Impfstoff haben alle Hersteller gesagt, wir probieren das in einer Phase drei, aber nur mit vier Wochen aus, nicht länger. Weil man eben gesagt hat, es geht hier um die Bekämpfung einer Pandemie, und wir müssen möglichst schnell möglichst viele Leute möglichst effizient immun kriegen. Und da machen wir jetzt – weil ja zwischen der ersten und der zweiten Impfung die Wirkung noch nicht so groß ist – meinen kurzen Abstand, um dann gleich auf 100-Prozent oder eben bei diesen RNA-Impfstoffen auf 95 Prozent hochzufahren.

Das ist eigentlich der Pandemie geschuldet, dass der Abstand so kurz gewählt wurde bei den Phase-drei-Studien und nicht den immunologischen Überlegungen. Da hätte man gesagt: Wenn man will, dass das so richtig sitzt – damit sich das immunologische Gedächtnis das auch merkt und nicht wieder vergisst –, wäre es vielleicht sogar besser, länger zu warten. Aber sie merken, das ist vielschichtig. Wenn Immunologen und Virologen diskutieren, gibt es lange Abende. Und am Ende des Tages muss man es halt auspro- bieren, und keiner hat da die perfekte Lösung.

[0:21:25]:

Camillo Schumann:

Der Herr S. aus Jena hat uns eine Mail geschrieben, und er fragt:

„Schützen brennende Kerzen auf einer Kaffeetafel vor Ansteckung? Denn durch die aufsteigende Wärme entsteht eine thermische Barriere, und ausgeatmetes Aerosol zirkuliert nach oben in den Raum.“

Und jetzt schilderte folgende Situation:

„Meine Schwester und mein Schwager sind positiv auf Corona getestet worden. Meine Eltern waren am dritten Advent für circa drei Stunden zu Besuch. Bis heute zeigen beide keine Symptome, trotz der für alle Beteiligten unwissenden Exposition am dritten Advent. Zwei Tage später zeigen meine Schwester und mein Schwager Symptome, welche dann weitere zwei Tage später durch ein positives Testergebnis bestätigt worden. Meine Eltern haben inzwischen auch einen Test durchgeführt und warten auf das Ergebnis. Viele Grüße.“

War die Kerze eine Barriere im Raum?

[0:22:13]:

Alexander Kekulé:

Es ist so, dass die Luftkonvektion durch die Kerze, die entsteht. Aber solche Luft- strömungen sind – gerade wenn man nur eine Kerze hat –, als Wärmequelle leicht zu stören. Da muss nur jemand mal von seinem Stuhl auf stehen, dann haben Sie sofort wieder Turbulenzen und stören diese Konvektion.

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Auch durch Sprechen und Atmen wird es gestört. Wenn jetzt alle schweigend im Raum sitzen und die Kerze eine Stunde lang brennen lassen, kann ich mir schon vorstellen, dass ein Strömungsmesser feststellt, dass die Luft so sauber aufsteigt, dass man das bekommt, was man einen Laminareffekt bekommt, dass die Strömung sehr gleichmäßig ist. Und dann würde die auch so eine Art Luftwand erzeugen zwischen den beiden Personen, die links und rechts am Tisch sitzen. Aber wie gesagt, da muss man doch einmal fest husten, dann hat man das durchbrochen, weil eine Kerze nicht sehr viel Energie abgibt. Ich würde sagen, das war einfach nur das übliche Glück. Vielleicht ist auch mal zwischendurch die Tür aufgemacht worden. Vielleicht war die Virusausscheidung an dem Tag nicht so besonders hoch. All das hat mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Rolle gespielt als die Kerze auf dem Tisch.

[0:23:26]:

Camillo Schumann:

Die Impfung, die gehen ja los. In der ersten Stufe sind Personen über 80 Jahre dran. Dazu gehört auch dieser Herr. Er ist 83 Jahre alt und hat folgende Frage:

[0:23:35]:

„Wenn ich von Biontech eine erste Impfung gekriegt habe, im Januar, dann heißt das wohl, dass man zu 50 Prozent geschützt ist? Die 95 Prozent, die treten dann erst bei der zweiten Impfung ein. Aber ich wollte gerne wissen, ob die erste Impfung auch schon insoweit schützt, dass dann ein milderer Verlauf der Krankheit eintritt, sofern man sich doch ansteckt.

Und ich würde gerne weiter wissen, wie lange ich nach der ersten Impfung warten muss, bis dieser Effekt eintritt, ob das bspw. eine Woche ist, denn für mich das sehr wichtig. Ich müsste nämlich dringend zu Fachärzten.“

Camillo Schumann:

So geht es wahrscheinlich Millionen älteren Menschen.

Alexander Kekulé:

Das mit den 50 Prozent nach der ersten Impfung weiß ich nicht. Das haben einige Leute

so aus den Daten herausgelesen. Das ist eine sehr grobe Schätzung. Wahrscheinlich ist die Wirkung der ersten Impfung deutlich höher als diese 50 Prozent. Das liegt daran, dass man die Infektionen, die man gefunden hat in den Studien, die hat man zugeordnet und geguckt, wie viel davon sind nach der ersten Impfung aufgetreten und wie viel nach der zweiten. Und die meisten, die man gefunden hat, sind meine nach meiner Erinnerung, zehn Tage nach der ersten Impfung aufgetreten. Und das ist nicht auszuschließen, dass das Leute waren, die sie schon vorher infiziert hatten in diesem Zeitfenster. Und das ist in der Studie auch ganz offen diskutiert dieses Thema, sodass es sein kann, dass diese Schutzwirkung der ersten Dosis deutlich höher ist. Aber das ist eben nicht belegt. Wir wissen es nicht genau. Wir wissen, dass bei älteren Menschen die zweite Impfung wahrscheinlich sinnvoll und not- wendig ist, weil das Immunsystem nicht so spontan und nicht so frisch anspringt wie bei einem jüngeren. Das ist dort einfach etwas träger von der Reaktion her. Und deshalb geht man davon aus, dass sowohl diese Dosis – also so viel wie der eben drinnen ist in der Spritze – als auch die zweite Impfung, die Booster- Impfung notwendig sind. Ich würde mal sagen, es gibt für jemanden, der älter ist und sich als Risikoperson empfindet, gibt zum keinen Grund auch nach der Impfung die FFP2-Maske beim Weg zum Arzt wegzulassen. Und wenn man die aber wiederum hat und wenn man weiß, wie man sie aufsetzt und der Arzt ein vernünftiges Hygienekonzept hat – die meisten haben ja sowieso nicht mehrere Patienten in einem Wartezimmer oder höchstens mal zwei, die weit auseinander sitzen , dann meine ich, ist es schon sinnvoll, zum Arzt zu gehen. Wir wissen, dass durch diese Pandemie ja viele sekundäre Kollateralschäden entstanden sind, also Schäden, die durch die Gegenmaßnahmen und nicht durch das Virus entstanden sind. Und zu denen gehört auch, dass Leute sich nicht mehr zum Arzt und zur ärztlichen Be- handlung getraut haben und dadurch andere Schäden bekommen haben, weil sie z.B. den Blutdruck nicht mehr richtig eingestellt haben oder wichtige Therapien unterlassen haben. Darum meine ich, - da das jetzt kein Phänomen ist, wo wir sagen können, nächste Woche ist vorbei, da wartest du noch schnell, bis der

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Impfstoff da ist oder Ähnliches, sondern viele werden lange auf den Impfstoff warten müssen, auch ältere Menschen, und dann noch mal einen Monat bis zur zweiten Impfung. Daher empfehle ich, ein Konzept zu haben mit Maske und Absprache mit dem Arzt, dass man auch als Risikopersonen sich dort behandeln lassen kann.

Camillo Schumann:

Also auf Nummer sicher gehen, mit Maske, auch nach der ersten Impfung.

Alexander Kekulé:

Die Maske wegzuschmeißen und zu sagen hurra, jetzt mache ich weiter wie vorher, das ist eigentlich nur eine Option für Leute, die sowieso sagen, ich bin in einer Altersklasse unter 20, wo ich dieses Risiko einfach in Kauf nehmen kann. Und wenn ich dann einmal geimpft bin, mein Gott, dann hab ich halt mein Risiko, was gerade noch 1:10.000 war, auf eins zu 100.000 reduziert. Dann verstehe ich eher, dass man sagt, jetzt ist es für mich nicht mehr relevant. Man muss sich zwar an die gesetz- lichen Vorgaben halten, Wir werden die Vorschriften, also Maskenregeln, noch sehr lange brauchen. Wahrscheinlich noch das ganze Jahr. Man muss sich sozusagen aus formalen Gründen wahrscheinlich noch eine ganze Weile daran halten. Aber für die private Risikobewertung würde ich sagen, bei den ganz jungen Menschen sieht das anders aus als bei jemandem, der nicht zur Risikogruppe gehört.

[0:28:13]:

Camillo Schumann:

Wir haben eine anonyme Mail bekommen von einer jungen Frau:

„Laut Empfehlung der britischen Fach- gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sollen sich Frauen mit bestehendem Kinder- wunsch nicht impfen lassen bzw. ab der ersten erfolgten Impfung mindestens drei Monate mit der Erfüllung ihres Kinderwunsches warten. Laut der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC besteht mit Einschränkung keine Ein- schränkung oder Empfehlung zur Verhütung nach erfolgter Impfung. Gerade aber in den Kliniken arbeiten viele junge Frauen in der

Pflege und auch in der Ärzteschaft. Da ich selbst auch durch die englische Empfehlung bezüglich der Durchführung einer Impfung verunsichert bin, würde ich gern ihre Einschätzung dazu erfahren. Bestehen möglicherweise doch ernsthafte Kontra- indikationen im Sinne von Fruchtschädigungen oder Toxizität. Oder ist dies nur eine Vorsichts- maßnahme? Und warum gibt es unterschied- liche Empfehlung seitens Großbritannien und der USA? Viele Grüße.“

[0:29:07]:

Alexander Kekulé:

Ja, das ist eines der Themen, wo auch die Fachleute heißt diskutieren. In den Studien sind keine Schwangeren und keine stillenden Mütter untersucht worden. Das heißt, wir haben über Schwangere und Stillende keine Sicherheitsdaten. Und wenn man das so hört, dann würde eigentlich ein konservativer Mensch einer Zulassungsbehörde sagen, gut, dann ist es für die eben nicht empfohlen, genauso wie wir es ja für Kinder nicht empfehlen. Andererseits ist es so, man macht ja vorher die Phase-1- und die Phase-2- Studien. Man macht Toxikologie vorher auch im Tierexperiment bei solchen Sachen. Und da ist nirgendwo ansatzweise ein Hinweis auf eine Fruchtschädigungen, also eine Schädigung des Kindes gefunden worden. Es ist wohl möglich, dass diese Impfstoffe über die Muttermilch auf das Kind übertragen werden. Das es zumindest nicht ausgeschlossen, so wie die aufgebaut sind. Das sind so kleine Fetttröpfchen, das ist prinzipiell möglich. Und daher ist dann die Frage gut, will man das Kind indirekt impfen, eher lieber nein. Und will man aufgrund der Tierexperimente sagen, das wird schon beim Menschen auch keinen Schaden anrichten. Da würde ich sagen, lieber nein.

Aber da gibt es andere Leute, die in solchen Kommissionen sitzen, die das diskutieren. Und das ist dann das Ergebnis, was man sieht, dass vielleicht die USA und Großbritannien unter- schiedliche Meinungen haben. Die sagen, wir haben nie schwere Nebenwirkungen bei Impfstoffen gesehen, speziell bei Schwangeren. Das ist überhaupt nicht typisch,

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wenn man mal vom Wirkungsverstärker absieht, der da manchmal drin ist. Aber diese modernen RNA-Impfstoffe haben keine Wirkungsverstärker dabei. Und daher sagen die, okay, es ist halt so, dass wir auf keinen Fall wollen, dass Schwangere Covid-19 bekommen, weil klar ist, dass die ein höheres Risiko haben, an der Erkrankung zu sterben. Schwanger- schaft ist definitiv ein Risikofaktor für Covid19. Das ist nicht so schlimm wie sehr alt zu sein, aber schwanger zu sein – wenn man sich dann infiziert –, stellt ein Risiko dar. Und bei dieser Abwägung, was nehme ich jetzt: lieber Pest oder Cholera, an der Stelle sagen eben manche okay, dann empfehle ich lieber die Impfung. Auch wenn ich nicht genau weiß, ob sie Neben- wirkungen hat, denn wenn die Infektion ein- tritt bei jemandem, dann ist das ein höheres Risiko.

Das heißt für die Menschen: Wenn jetzt eine Krankenschwester schwanger ist und weiß, ich bin nicht geimpft, und ich hatte die Krankheit bis jetzt noch nicht, ich habe keinen Covid19 durchgemacht, und ich bin jetzt aber schwanger, dann sollte die auf gar keinen Fall in einem Bereich arbeiten, wo sie ein erhöhtes Risiko für Covid19-Infektionen hat. Ich wäre dagegen, die dann zum Beispiel auf eine Intensivstation arbeiten zu lassen. Aber da muss man eben dann auch mit den Arbeit- gebern sprechen und diese Dinge diskutieren. Weltweit gibt es da leider unterschiedliche Auffassungen.

Camillo Schumann:

Und was gibt man jetzt dieser Dame an die Hand? Soll sie sich ihren Kinderwunsch verabschieden, wenn sie sich impfen lassen will?

Alexander Kekulé:

Also sofern also unsere Hörerin sagt, okay, ich habe ein erhöhtes Risiko im Krankenhaus, weil bei uns auch Covid-Patienten sind, ich aber mit ihnen nicht unmittelbar zu tun habe, oder weil wir im Krankenhaus schon Ausbrüche hatten, die wir nicht so schnell in den Griff bekommen haben – es gibt ja einige Kliniken, wo das leider noch der Fall ist – und wenn zugleich der Kinderwunsch besteht, dann würde ich sagen, entweder, oder. Also wenn Sie sich nicht

ungeimpft Covid aussetzen und zugleich schwanger werden wollen, dann müssen Sie mit dem Arbeitgeber sprechen und sagen: Ich will in einem Bereich, wo kein Infektionsrisiko ist oder zumindest keines, was über die normalen Lebensverhältnisse hinausgeht.

[0:32:51]:

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 136 Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL. Vielen Dank, Herr Kekulé.

Wir sprechen uns dann am 12. Januar wieder.

Alexander Kekulé:

Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter

0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Donnerstag, 07.01.2021 #135: Impfung für Kinder derzeit nicht sinnvoll

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann:

Donnerstag 7. Januar 2021. Der Lockdown wird verlängert und verschärft. Dabei spielt die Angst vor der Virus-Mutation aus Großbritannien eine große Rolle. Wie gehen wir mit dieser Situation um? Dann: Welche Rolle spielen Schulen in der Pandemie? Es gibt neue Daten aus der österreichischen Gurgel Studie. Außerdem: Deutschlands Kinderärzte wollen, dass auch Kinder und Jugendliche geimpft werden. Doch ist der Impfstoff dafür überhaupt geeignet? Und: Ein neuer Test soll zwischen Sars-CoV-2 und Grippeviren unterscheiden. Kann der PCR- Test das denn bisher nicht? Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Der Lockdown wird also verlängert und auch noch verschärft. Vielleicht auch deshalb, weil nicht so richtig klar ist, wo wir in der Pandemie eigentlich gerade stehen. Die Kanzlerin hatte

das am Dienstag nach dem Treffen mit den Ministerpräsidenten so erklärt:

„Dazu haben wir eine Experten-Anhörung vorgeschaltet, bei der der Chef des Robert- Koch-Instituts, Herr Wieler, uns noch einmal darauf hingewiesen hat, dass durch die Weihnachts- und Silvester Neujahrstage eine klare Datenlage über die wirkliche Inzidenz in Deutschland erst ab 17. Januar etwa zu gewinnen ist. Das heißt, wir erahnen und wissen, dass die Inzidenz deutlich über 50 ist. Aber wie genau sie ist, kann zurzeit nicht genau abgesehen werden.“

Herr Kekulé, Sie hatten vermutet, dass in ein bis zwei Wochen die Datenlage belastbarer wird...

Alexander Kekulé:

Das hat sich so ergeben durch die Weihnachtsfeiertage und dadurch, dass – wie wir in der letzten Folge besprochen haben – das Robert-Koch-Institut leider keine Schätzungen dazu gemacht hat. Ich schätze, das war nicht die angenehmste Sitzung für Herrn Wieler, wenn er dabei war. Und jetzt muss man eben einfach den Lockdown verlängern, bis man weiß, was er bisher gebracht hat. Das ist wissenschaftlich völlig stringent. Ich sage als Epidemiologe, da gibt es leider kein Argument dagegen. Politisch hätte man sich gewünscht – weil ja die Kollateralschäden bei solchen Lockdowns doch erheblich sind und auch die psychologischen Schäden für die Bevölkerung enorm sind –, dass das ein bisschen besser vorbereitet wird oder dass man zumindest bessere Schätzwerte in der Hand hat. Aber es ist nun einmal so, da hat es keinen Sinn, lange rumzuunken. Jetzt warten wir halt die zehn Tage noch ab. Und dann werden wir sehen, ob es etwas gebracht hat.

Da ist vielleicht eins noch einmal wichtig zur Erinnerung: Alle Studien, die solche Lockdowns untersucht haben – und da gibt es inzwischen mindestens fünf, die des relativ gut gemacht haben –, zeigen das gleiche Ergebnis. Die Hauptwirkung erzielt man in der ersten Woche, vielleicht in den ersten zwei Wochen. Aber danach ist der Effekt sozusagen eingetreten, sodass und Dauer-Lockdown,

ohne was zu verändern, relativ wenig Zweck hat.

3:11

Camillo Schumann:

Die ersten ein bis zwei Wochen, das war ja vor Weihnachten, bevor es dann wieder diese Lockerungen gab, da hätte man es schon spüren können, oder?

Alexander Kekulé:

Der Effekt war eben schwächer als erwartet. Da habe ich ja die Hypothese – aber ich höre auch keine Gegenidee, wie es sonst sein könnte –, dass das dieser Lateraleffekt ist, dass man eben viele Infektionen hat, die eins zu eins stattgefunden haben in Haushalten. Das beeinflusst man ja durch den Lockdown nicht. Wenn man das wissenschaftlich betrachtet, was da passiert, ist das so ähnlich, als wenn sie beim Auto aufs Gaspedal oder in dem Fall vielleicht besser auf die Bremse treten und das Auto bremst nicht. Dann machen sie sich Gedanken, woran könnte das liegen? Ja, Bremsflüssigkeit ausgelaufen, Beläge kaputt? Und so kann man in der Epidemiologie auch Hypothesen aufstellen. Eine Variante ist die Infektion haben in Haushalten stattgefunden. Aber irgendwie müssen es Infektionen sein, die mit den Maßnahmen, die vorher ergriffen wurden, offensichtlich nicht erreicht wurden. Sonst hätten die ja gewirkt. Und aus dem Grunde ist es halt immer die Frage, wenn man die gleichen Maßnahmen dann weiterlaufen lässt, von denen klar ist, dass sie nicht ausreichend wirken, auf welcher wissenschaftlichen Hypothese man das Ganze basiert.

Die zweite Idee, die aus meiner Sicht nach wie vor im Raum steht, ist, dass sich ein zunehmender Teil der Bevölkerung sich einfach nicht mehr daran hält. Da können Sie Maßnahmen beschließen, wie Sie wollen, da wirkt die Bremse nicht, weil die Übersetzungsmaschine nicht funktioniert. Das erscheint mir auch deshalb plausibel, weil jetzt zunehmend Menschen in ihrem ganz persönlichen Umfeld jemanden kennen, der Covid hatte. Und das sind ja – das haben wir ja immer gesagt – in den allermeisten Fällen, vor allem bei Jüngeren, harmlose Infektionen. Und

das erzeugt dann so ein Bild, das man so sagt, ich kenne da fünf Leute, die hatten es alle, und die fühlen sich eigentlich fast besser als vorher, weil sie keine Angst mehr vor Infektionen und Ansteckung haben müssen. Das ist so ein psychologischer Effekt, der, glaube ich, den Bemühungen der Bundesregierung entgegenläuft.

Camillo Schumann:

Am 17. Januar wäre der harte Lockdown schon einen Monat in Kraft. Bund und Länder wollen sich das nächste Mal am 25. Januar wieder treffen, um dann zu beraten. Wir haben auf der einen Seite die unklare Datenlage darüber, wie zum Beispiel die Kontakt-Lockerung an Weihnachten und Silvester, und auch die Reiserückkehrer zu Buche schlagen werden. Und wir wissen auch nicht, wie stark sich das mutierte Virus aus Großbritannien in Deutschland ausbreitet. Wir reden gleich darüber. Es gibt also viele Fragezeichen. Wie würden Sie denn den Ist-Zustand aktuell in Deutschland beschreiben?

Alexander Kekulé:

Wir sind jetzt in so einer Schwebe halb tot, halb lebendig, nicht Baum, nicht Borke. Und es ist psychologisch vor allem schwierig. Die Bevölkerung ist ja ganz unterschiedlich betroffen. So ein Virologe oder Epidemiologe muss auch ein großes Institut leiten. Wir sind bis über alle Ohren mit Arbeit voll. Wir wissen nicht, wo uns der Kopf steht. Und für uns ist es eigentlich hauptsächlich schlimm, weil wir viel zu tun haben. Wir freuen uns immer, wenn die Fallzahlen runtergehen. Genauso wird es den Kollegen in der Klinik gehen, die die Patienten behandeln müssen. Zum Teil sind die Intensivstationen nach wie vor voll. Aber ein Großteil der Bevölkerung dreht in gewisser Weise Däumchen und schaut zu, wie das Geld am Bankkonto weg ist. Und derweil tanzen ihnen die Kinder auf der Nase herum. Und sie lernen ja auch nichts weiter. Eltern sind dann oft überfordert, den Kindern altersentsprechend etwas beizubringen, wenn sie es zu Hause machen müssen. Ich glaube, diese Kollateralschäden – ich nenne sie sekundäre Kollateralschäden des Lockdowns –, die durch die Maßnahmen entstehen, müssen wir schon zusehend im Blick haben. Deshalb kann ich nun appellieren: Wir müssen hier

erstens analytisch rauskriegen, was los ist, warum die Maßnahmen nicht ausreichend greifen, und dann im nächsten Schritt an der Stelle den Lockdown oder die Maßnahmen verschärfen, wo es auch wirksam ist und nicht pauschal quasi überall eine Betondecke drauflegen nach dem Motto: irgendetwas davon wird dann schon funktionieren. Zumal die letzten Wochen gezeigt haben: So richtig durchschlagend – obwohl es ein kompletter Lockdown ist, aus meiner Sicht schärfer als im Frühjahr – so richtig durchschlagend wirkt es nicht.

Camillo Schumann:

Apropos Analyse: Dass sich die mutierte und vielleicht hochansteckende Virus-Mutation aus Großbritannien in Deutschland ausbreitet, könnte ja vielleicht auch eine mögliche Erklärung dafür so sein. Dass es sich in Deutschland befindet, scheint klar zu sein. Noch einmal Angela Merkel:

„Wir haben einzelne Fälle nachgewiesen in Deutschland. Es ist ja bekannt und in der Presse gewesen. Wie weit er sich ansonsten verbreitet hat, wissen wir noch nicht. Und deshalb gibt es ja auch diese Anstrengung, jetzt stärker zu sequenzieren, also die Genome stärker zu analysieren als wir das bisher in Deutschland gemacht haben, das ist sowieso richtig und gut, das zu tun.“

Camillo Schumann:

Die mutierte Form des Coronavirus ist zum Beispiel in Bayern nachgewiesen worden, und zwar bei einer Reiserückkehrerin aus Großbritannien. Herr Kekulé, wissen wir, welchen Anteil diese neue Virusform an der aktuellen Zahl der Neuinfektionen hat?

Alexander Kekulé:

Nein, da haben wir absolut keine Ahnung. Wir haben die Zahlen schon vor langer Zeit mal ausgebreitet. In Großbritannien werden pro Woche weit über 100.000 Sequenzen analysiert. Man macht eine molekularbiologische Surveillance, d.h. eine molekularbiologische Überwachung des Virus, um zu gucken, wie sich das verändert. In Europa ist meines Wissens Dänemark die Nummer zwei auf der Bestenliste. Die machen das auch sehr gründlich und haben auch schon

eine hochinfektiöse Variante festgestellt. Das ist wieder eine andere als die aus Großbritannien. Und ganz hinten – unter ferner liefen – kommt Deutschland mit um die 900 Fälle, die, glaube ich, analysiert wurden. Da sind wir weit hinterher. Und dieses Manko haben wir auch schon vor langer Zeit mal aufgezeigt. Das rächt sich jetzt, dass man jetzt erst damit anfängt, weil wir einzelne Fälle finden. Ja, aber wie sind die gefunden worden? Da gibt es Beispiele aus Bayern und auch der berühmte Ball Fall in Niedersachsen. Die Medizinische Hochschule Hannover hat ja Ende Dezember bei einer Nachprüfung festgestellt, dass eine Frau, die infiziert wurde, und auch gestorben ist, wohl von ihrer Tochter, die aus England zurückgekommen war (angesteckt wurde; Anm. d. Redaktion). Daraufhin hat man gesagt, das wollen wir noch mal aus dem Kühlschrank holen und angucken. Da stellte man fest, Bingo, da ist diese gefährliche britische Variante B1.1.7 drin. Das hilft überhaupt nicht weiter, weil die eine ist längst tot. Die andere hat sich längst erholt davon. Und man weiß nicht, ob das weiter verbreitet wurde, weil das sehr vom individuellen Verhalten abhängt. Wenn jemand aus Großbritannien damals zurückgekommen ist nichts ahnend und hat sich aber nach der Rückkehr, was ja Vorschrift war, ordentlich verhalten – also Kontakte gemieden usw. –, dann kann höchstens mal ein Menschen im persönlichen Umfeld wie eben die eigene Mutter tragischerweise infiziert werden.

(...) Grundsätzlich ist es aber so: Es gibt ja das B1.1.7 aus Großbritannien. Das Virus verändert sich. Es gibt in Südafrika eine andere Variante, über die jetzt auch gesprochen wird, die heißt 501.V2. Und dann gibt es noch zwei bis drei andere, die so halb bekannt sind. Und ich würde mal wetten, weltweit zirkulieren schon zig Varianten des Virus‘, die dadurch aufgetreten sind, dass sich das Virus in einzelnen Patienten massiv über längere Zeit vermehren konnte, vielleicht jemand mit Immunschwäche. Dann wird es mit den Antikörpern dieses Patienten irgendwann in Kontakt treten und lernt dann, wie man mit Antikörpern zurechtkommen kann, also irgendwie sich sozusagen durchsetzen kann in einem Milieu, wo ein Teil der Bevölkerung

schon immun ist. Und das funktioniert aus Sicht des Virus immer dann, wenn es sich schneller vermehrt, also wenn es stärker ansteckend ist. Das wird jetzt passieren. Das ist einfach die Zukunft. Und da muss man sich überlegen, wie gehen wir mit so etwas perspektivisch um? Das wird ganz klar auch nach Deutschland kommen.

Camillo Schumann:

Es ist möglicherweise schon in Deutschland. Und die große Frage – Sie haben es gerade gesagt – ist, was machen wir, wenn diese Variante jetzt auch häufiger auftritt? Die Politik hat das ja auch am Dienstag bei den Beschränkungen, die beschlossen wurden, auch noch mal mit in die Waagschale geworfen, weil man ja eben nicht weiß, wie sich diese Mutation in Deutschland ausbreitet. Die Politik reagiert nun mit Kontaktbeschränkungen wie im März und eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Bewegungsradius bei Inzidenzwerten über 200 und einem 15-Kilometer-Radius und man darf nur noch eine weitere Person treffen. Wie bewerten Sie das?

Alexander Kekulé:

Wir haben grundsätzlich schon eine Diskussion unter den Kollegen, die sich damit beschäftigen, was für Beschränkungen haben denn überhaupt bei so einer Art von Erkrankungen einen Sinn? Das war ja am Anfang der ganzen Pandemie – wenn Sie sich erinnern – die Ansage der Weltgesundheitsorganisation, auch des Robert-Koch-Instituts, dass man gesagt hat: Reisebeschränkungen sind völlig sinnlos. Das hat man übernommen von Erfahrungen mit Grippepandemien. Wobei man aber sagen muss, dass sich die Grippe – wenn es ein ganz neuer Grippetyp ist – rasanter ausbreitet als das bei Covid-19 der Fall ist. Da hat man gesagt, das ist so hochinfektiös, dass das nichts bringt, wenn wir da die Grenzen zumachen. Es kommt trotzdem. Man kauft sich damit nur wenig Zeit, was die wirtschaftlichen Schäden überhaupt nicht rechtfertigt. Das war am Anfang die Position. Da gab es ja die Gegenstimme, die von meiner Seite unter anderem kam, das man gesagt hat: Nein, das ist eher wie Sars 2003. Und da hat sich gezeigt, dass anti-epidemische Maßnahmen etwas

bringen im Gegensatz zur Grippe. Und deshalb machen sollten wir die jetzt machen.

Jetzt sind wir eine deutliche Zeit später. Zwischendurch ist ja noch in Italien das Gleiche noch einmal passiert. Zuerst hatten wir den Typ Wuhan, der sich in China ausgebreitet hat und von dort in die Welt. Dann hatten wir diese neue Variante, die in Italien aufgetreten ist. Die D614G-Variante war das. Da war in Norditalien wieder die gleiche Diskussion, wo es dann hieß, wir machen die Grenzen nicht zu. Daraufhin hat sich diese Variante von Norditalien weltweit verbreitet und ist heute weltweit der Covid-19-Erreger, von dem wir sprechen.

Ich muss vielleicht an der Stelle eine Sache richtigstellen, weil ich relativ oft, sogar von Fachkollegen, höre, dass die das durcheinanderbringen. Wenn jetzt so etwas aus Norditalien zum Beispiel auftritt und sich von dort in der ganzen Welt ausbreitet wie damals D614G, dann heißt es nicht, dass in Italien die Mutation stattgefunden hat und dann, Peng, von dort aus in die Welt verbreitet hat. Sondern das ist einfach durch eine Verquickung unglücklicher Umstände dort einer Art Durchlauferhitzer entstanden, da hat sich etwas herausgemendelt, was vorher schon da war. Ich sage das deshalb so deutlich, weil auch honorige Kollegen aus den medizinischen Fachgesellschaften die Dinge ein bisschen durcheinandergebracht haben. Also die Varianten sind zum Teil vorher schon da. Dieses D614G wurde zum Beispiel auch mal in China gefunden, hat sich aber da nicht so richtig verbreitet. Es wurde sogar auch mal in Bayern ein Isolat gefunden hat. Es hat sich aber nicht so richtig verbreitet.

Camillo Schumann:

Wenn ich da kurz einhaken darf: D614G hat man gefunden, B1.1.7 nicht in Deutschland. Wie kann das eigentlich sein?

Alexander Kekulé:

Es ist so, dass wir bei diesem B1.1.7, also dieser neuen Variante, die noch ansteckender ist als die norditalienische, ganz am Anfang sind. Das ist gerade der Beginn einer neuen wahrscheinlich Pandemie, mit diesen noch infektiöseren Typen. Das Virus optimiert sich und man hat das B1.1.7 in Einzelfällen

gefunden. Und was da immer passiert ist, die Mutante ist wahrscheinlich schon vorher dagewesen. Das heißt nicht, dass die im Vereinigten Königreich entstanden ist. Es kann sein, dass die irgendwo anders auf der Welt entstanden ist und jemand es dorthin importiert hat. Aber irgendwann entstehen halt Bedingungen, unter denen sich das Virus optimal weiterverbreiten kann. Und dann kommt es zu so einer explosionsartigen Ausbreitung. Und dann sagen wir, das ist die britische Variante. Es ist vielleicht eine kleine Gemeinheit, weil die gar nicht dort entstanden ist rein genetisch gesehen.

Aber was heißt das auf der anderen Seite? Das heißt, ein Virus ist kein Virus. Ein Virus von diesem infektiöseren Viren-Typ, was vielleicht damals in Niedersachsen in einer Familie eine Tragödie verursacht hat, das hat sich höchstwahrscheinlich nicht in ganz Niedersachsen massiv ausgebreitet, so wie es jetzt in England der Fall ist. Sonst hätten wir das sogar mit den wenigen Sequenzierungen, die wir in Deutschland machen, gefunden. Und die Frage ist jetzt, wie lange können wir das zurückhalten, bis wohl dann auch in Europa dieses B1.1.7 die dominierende Variante wird.

Wenn man sich die Ausbreitung in England anschaut – und das hatten wir ja schon vor Weihnachten besprochen –, dass die Replikationszahl hier offensichtlich um 0,5 bis 0,7 höher ist als bei den üblichen Typen, dass wir hier sagen müssen: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine andere Variante, die sich effektiv verbreitet, dass die irgendwann dominant wird und uns die Arbeit schwerer macht. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.

Camillo Schumann:

Und das heißt, dass diese Virus-Variante eigentlich das Zeug hat, auch in Deutschland wieder für exponentielles Wachstum zu sorgen?

Alexander Kekulé:

Das sehe ich nicht so, weil wir ja die epidemischen Maßnahmen alle platziert haben. Wir sind ja nicht völlig hilflos hier. Und ich bin auch nicht der Meinung, dass man jetzt sagen kann: okay, jetzt ist das – als Hypothese – um R = 0,5 höher, also statt R = 3,0 hätten

wir dann vielleicht R = 3,5. Das ist epidemisch fürchterlich, denn wir haben es ja mit einer Exponentialfunktion zu tun. Und wir stehen dann in gewisser Weise am Anfang einer explosionsartigen Ausbreitung einer neuen Variante. Aber das heißt nicht, dass man jetzt sagen muss: Okay, statt drei Kontakten machen wir jetzt nur noch zwei, oder statt zwei nur noch einen oder 15 Kilometer Radius. Es ist nicht so, dass man mit Maßnahmen, wo fraglich ist, ob sie wirksam sind, zum Beispiel die Beschränkung des Bewegungsradius‘ oder die vieldiskutierte Schließung von Gaststätten oder die Frage nach Masken im Freien oder dem Verbot von Veranstaltungen im Freien, wenn die Leute Abstand haben, das sind ja Maßnahmen, wo überhaupt nicht klar ist, ob sie wirksam sind. Und mit der Verschärfung nichtwirksamer Maßnahmen wird man einen Virus nicht in den Griff bekommen, egal ob das 3,0 oder 3,5 Reproduktionsrate hat.

Camillo Schumann:

Aber Sie haben ja gesagt, es gibt fünf Studien, die belegen, welche Maßnahmen im Lockdown wirken und dass ein Lockdown wirken kann. Man ist doch wesentlich weiter als im Frühjahr.

Alexander Kekulé:

Dass er wirkt, darüber gibt es viele Studien, und zwar vor allem, wann der Effekt eintritt. Aber das Problem ist: Man weiß trotz allem nicht ganz genau, welche Maßnahmen das sind. Wir haben ja viele Diskussionen. Die Frage, war das notwendig, die Weihnachtsmärkte zu verbieten oder Ähnliches, oder jetzt gerade aktuell mit dem Schlitten fahren? Ist das jetzt schlimm, wenn die Leute am Rodelhang stehen, obwohl sie den Abstand einhalten. Da fehlen uns die Daten, und da bin ich auch zunehmend unzufrieden. Am Anfang wusste man nichts Genaues. Da war das Bild der Übertragungen unvollständig. Aber heute meine ich, dass man in Deutschland, wo wir ja sehr gut organisiert sind, mit solchen Dingen und mit unseren Gesundheitsämtern – da beneidet uns ja die Welt dafür – dass wir das in Deutschland nicht hinkriegen, ein bisschen schärfer einzugrenzen, wo diese Infektionen noch stattfinden. Und ich glaube, wir müssen da viel selektiver vorgehen und können das nicht mit der Holzhammermethode weitermachen. Wir

müssen vielmehr einen chirurgischen Eingriff machen, statt mit der Artillerie zu schießen. Wir müssen gezielt schießen, und zwar dahin, wo es auch wirkt.

Camillo Schumann:

Angenommen, am 25. Januar kommen alle noch einmal zusammen, und man stellt fest: gut, die Zahlen sind jetzt bisschen zurückgegangen, nicht sonderlich, aber ein wenig. Was wäre denn ihr chirurgischer Appell?

Alexander Kekulé:

Naja, das ist der gleiche ehrlich gesagt wie schon seit März. Ich greife mal einen anderen Aspekt heraus: Das eine ist testen, testen, testen. Sie wissen, das heißt Smart-Strategie bei mir und aerogene Infektionen vermeiden. Aber ich spreche mal über die reaktionsschnelle Nachverfolgung. Hier ist es ja so – das ist unser Gradmesser –: Wenn jetzt einige Kollegen sagen, und zwar sehr gut begründet, dass ist jetzt überhaupt nichts, wo die Leute falsch gedacht hätten, die sagen, man muss unter 50 pro 100.000 Inzidenz kommen oder vielleicht sogar 25 ist ja genannt worden, dann ist das im Prinzip richtig. Denn man sagt, solange die Gesundheitsämter nicht alles nachverfolgen können, ist diese Pandemie im Land außer Kontrolle. Man kann aber auch anders herangehen und sagen: okay, wie viele Fälle, die man nicht erwischt bei der Nachverfolgung könnten wir uns denn leisten? Wenn wir zum Beispiel die Alten schützen würden, dann würden wir ja die Sterblichkeit ganz massiv drücken. Dann würden wir die Intensivstationen nicht überlasten. Und wir könnten aber Wirtschaft und soziales Leben viel mehr zulassen, weil wir dann quasi mit einer Inzidenz sage ich mal von 50 entspannt leben könnten, oder zwischen 50 und 100 vielleicht noch, damit klarkommen, wenn bei diesen Leuten, die sich da infizieren, eben hauptsächlich Menschen dabei wären, wo es leichte Krankheitsverläufe gibt. Und die andere Schiene, über die man nachdenken kann, ist, man kann überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, dass man ein privates Nachverfolgungssystem parallel einzieht, dass sich Menschen im privaten Bereich durch so eine einfache App wie sie auch zur Anmeldung in Gaststätten verwendet wird, gegenseitig, warnen nach

irgendwelchen Veranstaltungen oder Treffen, wenn jemand positiv geworden ist und man die Kapazität der Nachverfolgung, die von den Gesundheitsämtern geleistet wird, erheblich erhöhen kann durch ein paralleles privates System, weil die Bereitschaft in der Bevölkerung ist ja zum größten Teil da.

Und wenn Sie diese zwei Aspekte mit reinnehmen, dann sehen Sie: Wir sind ja eigentlich nicht so hart an diese 50 gebunden. Diese Zahl 50 orientiert sich an den Kapazitäten der öffentlichen Gesundheitsämter. Und deshalb meine ich, müssen wir alternative Wege gehen und nicht so ganz stur sagen, einerseits manövrieren wir komplett im Nebel, wir haben keine Ahnung, was wir nächste Woche entscheiden werden, aber diese Zahl 50 ist heilig. Ich glaube, da kann man schon flexibel denken.

Camillo Schumann:

Aber wenn man es dann aus der Hand gibt, zum Beispiel mit einer App im privaten Bereich, hat man ja erst recht keine Datengrundlage mehr, mit der man dann Entscheidungen treffen kann, weil man es auch nicht richtig nachvollziehen kann, oder?

Alexander Kekulé:

Ja, das wäre dann die Frage, ob man es meldet oder nicht. Es ist ja nicht aus der Hand gegeben. Es ist ja nicht so, dass die Gesundheitsämter dann sozusagen zumachen sollen, sondern die machen ja weiter und sollen gerne weiter aufrüsten und noch mehr Nachverfolgungspersonal bekommen. Aber meines Erachtens hängt es gar nicht so sehr daran, sondern viele Menschen melden das einfach gar nicht mehr. Jetzt gibt es auch noch diese Schnelltests, bei denen wir festgestellt haben, dass entgegen dem Infektionsschutzgesetz es offensichtlich nicht Usus ist, in Deutschland einen positiven Schnelltest zu melden. Das wäre ja eigentlich auch meldepflichtig, zumindest wenn es vom Arzt gemacht wird. Zumindest haben wir erfahren, dass die positiven Schnelltests gar nicht in die Archivstatistik einlaufen, aus welchem Grund auch immer, sondern erst dann, wenn sie von der PCR bestätigt werden. Das heißt, wir haben jetzt schon so eine Art Parallelwelt, die außerhalb der offiziellen

Daten existiert, in der Leute privat irgendwelche Schnelltests machen oder irgendwelche Ärzte des machen. Die sagen: na gut, habe ich halt Corona, isoliere ich mich, sehe ich zu, dass ich niemanden anstecke. Und wenn es mir schlecht geht, rufe ich eben 112 und muss ins Krankenhaus. Das hat, glaube ich, jeder schon verstanden. Und den allerallermeisten geht es auch wieder gut. Und diese Parallelwelt haben wir schon. Und das nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist das Gefährliche. Richtig ist es, das zu akzeptieren, dass es das gibt und diesen Menschen, die zum Teil aus verschiedenen Gründen – das sind ja auf keinen Fall nur Corona-Leugner, die diese Nachverfolgung nicht unterstützen oder die vielleicht gar nicht erfasst werden, weil das Gesundheitsamt nicht hinterherkommt. Wenn man da eine zusätzliche Möglichkeit schafft, erhöht man die Kapazitäten objektiv. Die Frage ist, soll man das dann melden, oder nicht? Ich persönlich stehe eigentlich auf dem Standpunkt, dass es für viele Bevölkerungsgruppen in Deutschland besser wäre, wenn man weiß, dass so etwas im privaten Bereich läuft. Dann ist es nicht automatisch so, dass der Staat das sofort sieht. Da sind wir anders als in China. Das müsste man aber dann öffentlich diskutieren, was der bessere Weg ist.

Sie sprechen etwas Wichtiges an: Ein Teil der Zahlen ist dann ganz offiziell dem RKI nicht bekannt. Ich glaube, jetzt ist die Dunkelziffer auch schon riesig. Und ich kann nur noch einmal daran erinnern: die Corona-App des Bundes funktioniert nicht, weil man gesagt hat, wir wollen die Privatsphäre über alles stellen. Und weil man gesagt hat, dass es komplett freiwillig ist, dass sich jemand einträgt, wenn er positiv ist. Das ist eine freiwillige Maßnahme bei der App. Und nichts anderes schlage ich vor. Diese Grauzone oder diese Privatsphäre ist ja in der bisherigen Strategie der Bundesregierung sowieso dabei.

26:22

Camillo Schumann:

Weil wir gerade auch so ein paar Maßnahmen besprochen haben, also die Kontaktbeschränkungen, (den) Bewegungsradius gestreift haben. Ein

wichtiger Punkt ist, dass Schulen und Kitas bis Ende Januar weitestgehend dicht bleiben. Und man muss ja sagen, damit vollziehen auch die Kultusminister der Länder, die das ja schon am Montag beschlossen haben, einen regelrechten Kurswechsel. Sie waren es ja, die das eigentlich nicht wollten. Wir wollten ja, dass die Schulen offen bleiben bzw. es eingeschränkte Möglichkeiten gibt. Wie bewerten Sie diesen Kurswechsel aus epidemiologischer Sicht?

Alexander Kekulé:

Sie werden sich erinnern, dass das Stichwort Corona-Ferien ursprünglich mal vor mir stammte. Das heißt, die Gefahr, dass Schüler die Pandemie mit befeuern, ist sehr umstritten. Die Gefahr ist jetzt zumindest von meiner Seite immer gesehen worden. Ich kann an der Stelle auch sagen, dass Christian Drosten mal eine Studie gemacht hat, die methodische Schwächen hatte, in der er aber auch den Eindruck vermittelte, dass Kinder genauso infektiös sein könnten wie Erwachsene. Das heißt also, da kam von der epidemiologischen Seite und von der molekularbiologischen Seite ein einheitliches Bild zustande. Vorsicht: Die Kinder sind zwar häufig asymptomatisch, aber wir haben keinen harten Beleg dafür, dass sie nicht ansteckend sind. An dieser Einschätzung hat sich beim Christian Drosten wie bei mir von beiden Seiten nichts geändert. Und daher ist es, dass jetzt die Kultusminister dazugelernt haben. Wir räumen das jetzt ein, dass Kinder auch eine Rolle spielen können. Das ist eine späte Einsicht, aber eine richtige Einsicht. Wir haben ja hier auch schon die Studien besprochen, die das gezeigt haben, zum Beispiel bei diesem massiven Ausbruch in Georgia bei diesem Pfadfindercamp in den USA. Da ist klar gezeigt worden, dass Jugendliche und Kinder massivste Ausbrüche verursachen können. Und es gibt noch einzelne Schulen, wo das so war. Wir hatten die Beispiele in Israel, die ganz gut untersucht wurden und in Deutschland auch mehrere Studien, wobei ich immer vorsichtig bin bei Studien, die dann von Landesregierungen bezahlt wurden, die bestimmte politische Interessen haben. Da heißt es, die Datenlage ist klar, und auch das, was jetzt so in den letzten Wochen und

Monaten noch dazugekommen ist, zeigt: Nach wie vor haben wir keinen Grund anzunehmen, dass Kinder weniger infektiös wären als Erwachsene. Und damit sind Schulen ein Ort, an denen man aufpassen muss, dass es nicht zu einem weiteren Befeuern dieser Epidemie kommt.

Camillo Schumann:

Man muss dazu sagen – um die Politik jetzt ein wenig „in Schutz zu nehmen“: Auf der einen Seite gibt es die virologischen/ epidemiologischen Hinweise. Auf der anderen Seite muss man versuchen, um politische Entscheidungen zu treffen, die Balance zu finden. Und bisher konnte man sich möglicherweise auch noch „leisten“, die Schulen auch noch offenzulassen. Aber bei dieser Infektionslage, in der wir uns befinden, wo die Datenlage sehr dünn ist und noch die Mutation dazukommt, war es möglicherweise auch ein zu heißes Eisen, oder?

Alexander Kekulé:

Ja, es ist, wie Sie sagen: Ich kritisiere niemanden dafür, dass er das wissenschaftliche Datennetz nicht richtig bewertet hat. Das wäre ja gemein. Umgekehrt machen Wissenschaftler ja auch keine qualifizierte Politik. Wir haben jetzt eine Lage, wo man alles zumachen muss, wo ein großer Verdacht ist, dass es zu Infektionen kommt. Und da sind bei den Schulen – ja, wie infektiös sind Kinder? Das ist ja nach wie vor ein bisschen die Gretchenfrage. Wir haben da in Deutschland eine schlechte Datenlage, muss man nach wie vor sagen. Auch da ist es so, dass man meines Erachtens, nachdem sich die Pandemie jetzt quasi jährt, mal ein bisschen genaueres Bild als am Anfang haben müsste.

30:28

Camillo Schumann:

Es gibt neue Daten aus Österreich, aus der „Gurgel-Studie“. Das muss man vielleicht mal erklären.

30:36

Alexander Kekulé:

In der Gurgel Studie wird statt mit dem Abstrich, was ja bei Kindern und Eltern nicht so

beliebt ist, also Rachenabstrich oder gar Nase- Rachenabstrich, wird einfach gegurgelt. Die kriegen so ein paar Milliliter einer vorher sterilen Lösung, sollen da ein bisschen den Mund mit spülen und spucken das wieder aus. Und daraus wird dann eine PCR gemacht. Das ist fast so gut wie die echte PCR, wie die Abstrich-PCR, und hat mehrere Vorteile. Das haben die Österreicher schon länger verfolgt. Ein Vorteil ist der, dass es einheitlich ist, denn beim Gurgeln hat jedes Kind relativ vergleichbare Ergebnisse. Beim Abstrich kommt darauf an, wie gut es gemacht ist. Wenn Sie mit dem Tupfer da hineinfahren und an der Stelle sind, wo gerade kein Virus war, dann haben Sie einen schlechten Abstrich gemacht. Und er ist vielleicht deshalb falsch negativ. Das heißt, die Gurgel-Werte sind untereinander schon ein bisschen besser vergleichbar, ist man Eindruck. Wahrscheinlich ist die Methode ein bisschen weniger empfindlich, als wenn ein guter Hals-Nasen- Ohren-Arzt den Abstrich macht. Ja. Und was haben sie da gemacht, das ist ja schon länger bekannt. Schon vor Weihnachten gab es da mal die erste Runde, und da ist das bekannt geworden. Da waren fast 9.500 Schüler in Österreich, etwas über 1.200 Lehrer und an über 240 Schulen wurde das so untersucht. Das ist schon eine große, flächendeckende Studie. Und da hat man überall geguckt, wer hat das Virus im Hals? Wir nennen es dann in dem Fall eine Prävalenz-Studie. Man guckt dann, wie viel ist da an Kranken? Man nimmt diese positive PCR als Synonym für Erkrankung oder Infektion. Da ist das erste Wichtige... In der ersten Runde der Gurgel Studie, die war im September, Ende September bis Mitte Oktober, waren in Österreich noch 0,39 Prozent, also ungefähr 0,4 Prozent prävalent für ganz Österreich. Und das hat sich eben jetzt aktuell in der 2. Runde geändert. Die ist auch schon von vorgestern, nämlich vom 10. bis 16. November, d.h. sie ist auch schon eine Weile her. Da ist der Wert auf 1,4 Prozent gestiegen. Das ist schon relativ viel. So war die Prävalenz bei den Schülern und Lehrern. Und was eben jetzt interessant ist, ist Folgendes: Die haben dann geguckt, gibt es zum Beispiel einen Unterschied zwischen Schülern und Lehrern? Und da ist die Antwort: Nein, statistisch

gesehen infizieren sich die Schüler oder sind die Schüler genauso oft krank wie die Lehrer.

Camillo Schumann: Und das ist ja eigentlich das Interessanteste an dieser Studie, dass man diesen Unterschied nicht machen kann.

Alexander Kekulé:

Das Interessanteste an der Studie ist eigentlich etwas, was nicht gefunden wurde. Das macht man in der Statistik immer so. Da fängt man an, etwas auszuwerten und guckt dann, ob das signifikant ist. Das heißt also, man guckt, ob an der Zahl der Daten eine Aussage getroffen werden kann, die mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit richtig ist. Und mit dieser Prüfung – da gibt es Standardverfahren, die der eine oder andere vielleicht noch aus der Schul-Mathematik kennt – ist eben herausgefunden worden: Nein, zwischen Schülern und Lehrern besteht absolut kein Unterschied.

Und man hat noch andere Kriterien gehabt: das Geschlecht und das Alter der Kinder. Das widerspricht jetzt ein bisschen meiner Hypothese, die ich vorhin gesagt habe. Da gab es keinen Unterschied zwischen jungen Kindern und alten Kindern, zumindest im Schulalter. Das heißt ab sechs Jahren bei dieser Studie kein signifikanter Unterschied. Die einzigen zwei Unterschiede, die signifikant waren, waren eben, dass man festgestellt hat: erstens hängt es von der regionalen Inzidenz ab. Wenn der Inzidenzwert pro 100.000 Einwohner hoch ist – ich sage mal 400 oder 300, solche Top-Regionen gibt es in Österreich durchaus –, dann ist auch in den Schulen, die dort sind, die Prävalenz höher. Und es hängt auch vom Sozialmilieu der Kinder ab. Wenn das Brennpunktschulen sind mit Kindern, die aus schwierigem sozialen Milieu stammen, dann sind auch die Prävalenzen dort höher, also die Anzahl der Personen, die positiv waren in der PCR. Und das heißt letztlich kurz gesagt – und das hat der Michael Wagner, der Studienleiter aus Wien, bei der Zwischenauswertung vor Weihnachten mal gesagt – das heißt letztlich, die Kinder spiegeln einfach nur die Gesellschaft wieder.

Camillo Schumann:

Was draußen passiert, passiert dann auch in

der Schule, sie bilden die Gesellschaft eigentlich nur ab.

Alexander Kekulé:

Das heißt umgekehrt: Man sieht, da wir keine statistisch signifikanten Unterschiede finden, heißt es, wir haben keinen epidemiologischen Hinweis darauf, dass bei den Kindern etwas anderes passiert als beim Rest der Bevölkerung.

Und dann muss man sagen umgekehrt: Würden Sie 30 Erwachsene in ein Klassenzimmer zusammensperren und sechs Stunden lang unterrichten lassen und sagen: macht dreimal die Stunde die Fenster auf? Wahrscheinlich eher nicht. Und wenn es eben epidemiologisch so ist, dann deutet alles daraufhin, als bräuchten wir für die Schulen sehr gute Lösungen.

Ich sage vielleicht noch eins dazu. Das ist nicht die einzige Studie. Viel beachtet wurde ja auch diese sogenannte React-Studie aus England. Da hat man auch einen Riesen-Aufwand betrieben, Da hat man über 160.000 Personen gehabt, hat getestet, wie viel davon sind positiv. Man ist einfach zufällig durch die ganze Bevölkerung durchgegangen. Und da war es so, dass auch eine Zunahme der Prävalenz stattgefunden hat. Das ist ganz klar. In England diskutiert man ja auch, ob das die neue Variante war. Aber wichtig ist, der härteste Anstieg, der zwischen September und Dezember in England stattgefunden hat bei dieser React-Studie, war eben bei den 5- bis 17-Jährigen. Die hatten den stärksten Anstieg von allen. Es wurde sogar diskutiert, ob vielleicht diese neue, besonderes gefährliche Variante oder besonders infektiöse Variante B1.1.7, ob die vielleicht speziell auf Kinder geht. Das hat aber Gründe andere gehabt, wie man die Proben genommen hatte. Das hatte also nichts damit zu tun. Aber da sieht man diesen massiven Anstieg bei den Kindern, als die Schulen dann aufgemacht wurden.

Und deshalb kann ich nur sagen, die Maßnahmen der Bundesregierung, hier jetzt die Schulen erst einmal zuzulassen und da auf Nummer sicher zu gehen, ist richtig, weil man eben kein anderes Konzept hat. Sie wissen, ich plädiere dafür, die Schüler zweimal pro Woche zu testen, mit Masken zu unterrichten. Und

dann würde man auch das in den Griff bekommen. Aber wenn man die Tests nicht beibringt und diese Konzepte nicht auf dem Tisch hat, kann man eben nur zumachen.

37:34

Camillo Schumann:

Man könnte sie aber auch noch impfen, die Kinder. Denn Deutschlands Kinderärzte schlagen Alarm, auch mit Blick auf die Schließung der Schulen. Und sie fordern, dass auch Kinder und Jugendliche geimpft werden sollen. Minderjährige hatten es in der Pandemie seit Beginn besonders schwer, das hat der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt. Und beim Impfen für Kinder müsse mehr Tempo gemacht werden, um endlich die Situation an Schulen und Kitas dauerhaft zu entspannen. Das ist jetzt ein riesengroßes Thema, das Thema Kinderimpfstoffe. Fakt ist er aber, Biontech und Moderna sind zugelassene Impfstoffe, aber nicht an Kindern, also für Personen unter 16 Jahren zugelassen. Deswegen ist das eine schöne Forderung, läuft aber so ein bisschen ins Leere, oder?

38:17

Alexander Kekulé:

Ich wäre dagegen, dass man Bevölkerungsgruppen gegeneinander irgendwie ins Feld führt und sich dann um den Impfstoff streitet. Dass man die Schulen nicht geschützt hat und jetzt nach dem Impfstoff schreit, ist so ähnlich wie bei den Altenheimen. Die hat man auch nicht geschützt, was eines der schlimmsten Versagen überhaupt ist. Und jetzt sagt man, der Impfstoff wird es schon richten und kriegt ihn aber nicht schnell genug in die mobilen Teams, die da impfen sollen. Das ist so ein verzweifeltes Festhalten an einem Strohhalm. Da würde ich ein bisschen davor warnen. Denn es ist einfach so: Bis wir genug Impfstoff haben, dass wir auch die Kinder impfen können – bei der Priorisierung, die ja von der Ethikkommission und vom Ethikrat und von der im STIKO gemacht wurde

– dauert es eine ganze Weile. Da brauchen wir andere Konzepte, statt jetzt auf die Impfung zu schielen.

Diese Diskussion, wenn wenig Impfstoff da ist, wen soll man zuerst impfen, da kann ich Ihnen sagen, das ist seit Jahrzehnten von den Leuten, die Pandemiepläne gemacht haben, diskutiert worden, auch in Planspielen, rauf und runter. Da gibt es in meinem Buch ein ganzes Kapitel darüber, wie das diskutiert wurde.

39:32

Camillo Schumann:

Die Frage ist nicht, ob man jetzt eher die Kinder oder die Alten impft. Die Frage ist eher, darf man die Kinder überhaupt impfen? Denn sie wurden ja nicht mitgetestet. Deswegen schließt sich das doch eigentlich von selbst aus. Eigentlich müssten die Firmen erst mal an unter 16-Jährigen den Impfstoff testen, oder nicht?

39:50

Alexander Kekulé:

Wir haben seit gestern zwei zugelassene Impfstoffe in der EU. Auch der Impfstoff von Moderna, der auch ein RNA-Impfstoff ist, eigentlich das gleiche Prinzip wie bei Biontech und Pfizer, hat ja jetzt die bedingte Zulassung, also diese Notfallzulassung, erhalten. Es ist so, dass der Biontech-Impfstoff ab 16 zugelassen ist und der Moderna-Impfstoff sogar erst ab 18. Das hängt damit zusammen, wieviele Personen im jüngeren Alter bei den Phase-3- Studien überhaupt eingeschlossen wurden. Und da ist es so, dass die Moderna-Leute keine Menschen unter 18 untersucht haben. Bei Biontech ist es so, da hat eine Phase-3 begonnen mit nur 300 Teilnehmern. Das würde man eigentlich als Phase 2 betrachten. Eine Phase 3 hat eigentlich immer ein paar tausend Teilnehmer. Und da hat Biontech jetzt mit 300 Teilnehmern das Alter zwischen zwölf und 17 Jahren begonnen zu prüfen. Aber 300 ist wenig.

Das heißt, ich würde es eher als Phase 2 betrachten. Pfizer nennt das Phase-3-Studie, und da müssen noch ein paar Tausend her. Ich würde mal sagen, 3.000-5.000 braucht man

auf jeden Fall, um festzustellen, wie sieht es da eigentlich mit Nebenwirkungen aus und mit der Wirksamkeit. Man muss ja auch die Dosis bei Kindern unter Umständen neu festlegen. Und bei Moderna ist das so, die haben angekündigt, dass sie eine Studie mit 3.000 Kindern machen wollen, zwischen zwölf und 17 Jahren auch, also erst ab zwölf erst einmal. Die hat noch nicht einmal begonnen, also nicht einmal mit der Rekrutierung der Teilnehmer. Und bisher hat Moderna eben erst ab 18 überhaupt untersucht. Und AstraZeneca- Oxford hat noch gar nichts in der Richtung gemacht.

Das heißt, wir sind weit davon entfernt, belastbare Daten zu haben. Wie sieht es bei Kindern mit der Wirksamkeit und der Sicherheit aus?

41:52

Camillo Schumann:

Aber wieso trauen sich die Unternehmen nicht an die unter Zwölfjährigen ran?

Alexander Kekulé:

Man macht es eigentlich immer stufenweise. Ich muss jetzt zugeben: Warum das historisch so ist, müsste man vielleicht mal den Vorsitzenden der STIKO, Herrn Mertins, fragen. Der weiß es sicher. Man hat es schon immer so gemacht. Man hat die Impfstoffe erst einmal bei den Erwachsenen ausprobiert, und wenn es dann eine ganze Weile gut funktioniert hat, hat man die Altersgruppe so ab zwölf genommen. Um bei den ganz jungen ist es ja so: Man kann, nach dem, was wir jetzt messen können, sagen, ist das Immunsystem mit der Einschulung so halbwegs ausgereift. Zwischen vier und sechs Jahren reifen diese Zellen aus und sehen dann langsam so ähnlich aus wie beim Erwachsenen, die für die Immunantwort zuständig sind. Die gehören ja alle im weitesten Sinne zu den Lymphozyten, sind also ein Teil der weißen Blutzellen. Hinzu kommt, dass das Immunsystem eine ganze Weile noch weiter lernen muss, weil jeder Erreger, mit dem wir zu tun haben, ist eine neue Erfahrung für das Immunsystem. Da baut es dann eben seine Abwehrmechanismen so stufenweise

aus, sodass ich sagen würde, bis vielleicht 30 Jahre oder so lernt das Immunsystem. Auf einer zunehmenden Kurve wird es immer besser, immer besser. Und dann irgendwann im Alter wird es dann wieder schwächer, weil die Gedächtniszellen kaputtgehen und das alles nicht mehr funktioniert. Und wo macht man jetzt sozusagen den Schnitt bei den Kindern? Es ist sinnvoll zu sagen, unter zwölf nehmen wir erst mal nicht mit, sondern wir gucken erst mal die Gruppe der Jugendlichen an. Und die reine Kindermedizin, die Pädiatrie, hat ja schon mit Kinder zwischen null und zwölf zu tun, auch wenn jetzt offiziell der Übergang bei 14 wäre. Und das wird man sich anschauen. Da wird man dann auch impfen. Da wird es dann eine Zulassung geben. Und wenn man sich das wiederum in einer Nach- Zulassung-Studie, einer Post-Marketing-Studie oder Surveillance-Studie, sich anschaut, dann wird man sagen, okay, wenn da auch nichts passiert ist, dann gehen wir an die ganz Jungen ran. Das ist einfach historisch immer so gewesen. Wie gesagt, ich kann Ihnen nicht genau erklären, warum. Aber ich finde, auch aufgrund der verschiedenen Reifungszustände des Immunsystems ist es sinnvoll. Und es gibt ja diesen Spruch, den ich schon mal gebracht habe. Jeder Arzt kennt den, der heißt: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Man darf nicht einfach das, was man für Erwachsene gemacht hat, umrechnen aufs Körpergewicht der Kinder und sagen, dann wird es schon stimmen. Sondern Kinder reagieren eben in vieler Hinsicht anders. Und das hat man zum Glück in der Pädiatrie in den letzten zehn bis 15 Jahren doch sehr deutlich erkannt. Und auch hier muss man das beachten.

44:20

Camillo Schumann:

Man hätte sozusagen aus einer Dosis, wo fünf bis sechs Impfung für Erwachsene drin sind, hätte man jetzt nicht zehn oder 20 Kinderimpfungen draus machen können, sondern das muss dann getestet werden und detailliert zugeschnitten werden.

Alexander Kekulé:

Ja, weil das Immunsystem von Kindern reagiert nicht immer so wie bei Erwachsenen. Wenn man jetzt hier die Impfdosis reduzieren würde, so wie man es bei manchen Medikamenten ja macht, dass man das einfach durch das Körpergewicht teilt und sagt, das wird schon stimmen. Wenn man das hier so machen würde, muss man beachten, dass die Reaktionsfähigkeit des kindlichen Immunsystems zum Teil schlechter ist als bei Erwachsenen. Wir haben ja diese angeborene Immunität, da sind die Kinder besser. Und dann haben wir die adaptive Immunität. Das ist das, wo wir von Antikörpern und zytotoxischen T-Zellen und sowas sprechen. Also Zellen, die andere infizierte Zellen kaputtmachen können. Das ist diese erworbene Immunität oder auch adaptive Immunität, die ist bei Erwachsenen besser. Aber letztere ist das, was der Impfstoff anspricht. Der Impfstoff will ja, dass eine erworbene Immunität gebildet wird. Das heißt also, der Körper lernt, aha, ich habe es hier mit einem Infektionserreger zu tun. Ich bilde jetzt Antikörper dagegen. Ich bilde spezifisch dafür abgerichtete T-Zellen dagegen und merke mir, wie ich das gemacht habe. Und wenn dieser Erreger wiederkommt, dann werde ich schneller darauf reagieren. Das ist eine ganz typische Fähigkeit, die eben Erwachsene haben mit dieser adaptiven Immunität. Und das ist nicht das Hauptstandbein der Immunabwehr von kleinen Kindern.

Camillo Schumann:

Würden Sie sich denn für eine Impfung gegen Sars-CoV-2 für Kinder aussprechen, im Vergleich zum Beispiel zur Influenza-Impfung?

46:09

Alexander Kekulé:

Das ist schwierig. Also es ist ja so ... Das ist eine ganz schwierige Diskussion. Man muss ja sagen, dass Kinder bei Sars-CoV-2 im Prinzip nicht gefährdet sind. Ja, es gibt immer einzelne Berichte von sogar Todesfällen ist, auch aus Deutschland. Aber wenn man die Gesamtstatistik anschaut, ist das so: Ein Kind kriegt diese Erkrankung oft asymptomatisch

oder mit ganz leichten Symptomen und merkt es kaum und ist dann immun hinterher. Da muss man fragen, was bringt dann für das Kind die Impfung mit einem komplett neuen Impfprinzip, was es bisher noch nie gab, nämlich diesen RNA-Impfstoffen. Auch mit dem Blick, dass so ein Kind dann das ganze Leben noch vor sich hat. Das ist eine andere Indikation, als wenn Sie den 80-Jährigen, der zehn Prozent Wahrscheinlichkeit zu sterben hat, wenn er die Virusinfektion kriegt, und dessen Wahrscheinlichkeit, dass er noch 20 Jahre lebt, einfach objektiv gesprochen zumindest in der Regel nicht mehr so hoch ist. Und deshalb muss man bei Kindern einen anderen Blick haben.

Es gibt Diskussionen immer mal wieder, da hat die Ständige Impfkommission auch in der Vergangenheit intensive Beratungen geführt: Kann es eine gesellschaftliche Indikation für Kinder geben, weil sie andere schützen? Die Diskussion haben wir zum Beispiel bei der Hepatitis-B-Impfung, und die Diskussionen haben wir zum Beispiel auch bei der Impfung gegen dieses Papillom-Virus, was ja bei Mädchen oder bei Frauen, wenn sie älter werden, ein Zervixkarzinom, also ein Gebärmutterhalskarzinom machen kann. Die Frage, soll man da Jungs auch impfen? Die können ja selber so etwas nicht kriegen. Aber man kann verhindern, dass sie die Mädchen anstecken, oder die Männer die Frauen anstecken. Und solche Diskussionen werden schon geführt. Aber da ist die Voraussetzung, dass der Impfstoff extrem sicher sein muss. Und es muss vollkommen eindeutig sein, dass der Schutz für die anderen, wie zum Beispiel bei diesen Papillom-Viren, so dermaßen durchschlagend ist. Muten wir das jetzt den Jungs in dem Fall zum Beispiel zu, oder muten wir Kindern zu, dass sie gegen Hepatitis B geimpft werden, obwohl das eigentlich eine Erkrankung ist, die in diesem Alter keine Rolle spielt. Ich sehe diese harte Indikation für eine Impfempfehlung aus sozialen Gründen bei Sars-CoV-2 nicht.

48:33

Camillo Schumann: Oder anders gefragt: Macht eine Influenza- Impfung bei Kindern grundsätzlich mehr Sinn, als eine Sars-CoV-2 Impfung bei Kindern jemals machen würde?

Alexander Kekulé:

Ja, das stimmt, das habe ich nicht dazu gesagt. Es ist ja so: Bei der klassischen Influenza haben wir die sogenannte U-förmige Altersverteilung. Bei der klassischen Influenza. Ich spreche nicht von der Spanischen Grippe, sondern der saisonalen Influenza. U-förmig heißt, wir sehen schwere Komplikationen und Todesfälle bei ganz Jungen, also eben bei kleinen Kindern unter vier Jahren, und wir sehen sie bei ganz Alten wieder. Und dadurch ist die Altersverteilung der Komplikationen U-förmig. Bei Covid-19 ist die Altersverteilung ... Ich habe das improvisiert mal als Eishockeyschläger- Verteilung bezeichnet. Da haben Sie bei Null überhaupt kein Risiko, und es steigt dann so ganz langsam an wie der untere Teil eines Schlägers. Und dann, irgendwo bei 65-70 geht es steil nach oben. Und diese Eishockeyschläger-Altersverteilung würde prinzipiell bedeuten, dass es niemals einen Sinn macht, Kinder aufgrund einer medizinischen individuellen Indikation zu impfen. Zumindest nicht mit einem experimentellen Impfstoff oder mit einem Impfstoff, der nur eine Notfallzulassung hat. Deshalb brauchen wir als Grund die Argumentation: Kinder haben selbst überhaupt nichts davon. Der Impfstoff ist absolut ungefährlich, auch mit der Lebensperspektive von 80 Jahren, die man noch vor sich hat. Und ich muss es unbedingt machen, weil ich keine andere Möglichkeit habe, sonst die Gesellschaft zu schützen vor diesem Virus. Bei allen drei Punkten sehe ich die Voraussetzungen einer Sars-Cov-2-Impfung für kleine Kinder nicht gegeben.

50:26

Camillo Schumann:

Damit kommen wir zu den Hörer-Fragen wie immer am Ende. Herr D. hat uns geschrieben:

„Sehr geehrter Herr Kekulé. Aus der Presse ist zu entnehmen, dass nun ein Test der Firma BioMerieux vorliegt, der verbindlich zwischen Grippe und Corona unterscheiden kann. Als Bürger ohne medizinisches Fachwissen frage ich mich, kann das die PCR nicht? Wie hoch ist denn der Anteil der Grippe in den aktuellen Infektionszahlen zu bewerten? Oder habe ich da was falsch verstanden? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé:

Ja, das ist nicht von unserem Hörer falsch verstanden worden, sondern er hat netterweise auch den Link zu dem österreichischen Artikel geschickt. Das ist von Journalisten falsch verstanden worden. Diese BioMerieux-Test, der ist ein Nasenabstrich, bei dem man einen Antigen-Schnelltest macht. Das ist so ähnlich wie das, was wir ja auch bei dem Roche-Test kennen und bei vielen anderen. Die sind ja inzwischen in Deutschland zum Glück verfügbar und Standard. Und dieser Antigen-Schnelltest ist aber so, dass er verschiedene Antigene testet, also nicht nur Sars-Cov-2, sondern zusätzlich eben zwei verschiedene Influenzaviren A und B. Und ich glaube, es ist noch ein das Respiratorische Synzytial-Virus, das ist ein Virus, was bei Kindern schwere Atemwegserkrankungen machen kann. Das ist auch noch mit dabei. Das heißt, es ist für den niedergelassenen Kinderarzt dann ganz gut. Da macht er einen Abstrich und sieht dann, es ist zwar kein Covid, aber es ist RSV, dieses Respiratorische Synzytial-Virus oder es ist Influenza B, sodass es für einen Arzt ganz gut ist. Wenn er nur einen Test hätte, dann macht er erst einmal einen Covid-Test und sagt, nein, das war es nicht. Aber jetzt muss ich dann noch mal ein Tupfer in die Nase schieben, um zu gucken, ob es Grippe war. Da werden spätestens beim dritten Tupfer die Eltern denken, ich suche mir in anderen Kinderarzt. Und in diese Richtung geht dieser BioMerieux-Test, dass der einfach

quasi so ein Paket-Test ist für mehrere Viren. Das ist für den Hausgebrauch völlig ungeeignet, sondern das ist etwas, was der Kinderarzt braucht. Der hat ja eine ganze Reihe von Schnelltests. Eltern wissen, dass zum Beispiel auch Streptokokken regelmäßig so getestet werden. Und so hat er dann von BioMerieux diesen Kombinationstest. Es gibt aber auch andere Firmen, die ähnliche Kombinationstests anbieten.

52:45

Camillo Schumann:

Dann hat diese Dame angerufen mit einer Frage zur Impfung:

„Mein Mann ist 93 und ich 77. Mein Mann sollte jetzt schnell geimpft werden mit diesem mRNA-Impfstoff. Ich bin aber nicht in der Altersklasse. Ist dann mein Mann ansteckend für mich? Und eine weitere Frage: Kann er sich erneut anstecken später oder ist das nur bei einer Mutation des Virus möglich?“

Alexander Kekulé:

Also das Erste ist: Dieser mRNA-Impfstoff, der produziert nur einen kleinen Teil des Virus, die Spikes, diese Stacheln, die davon auch nach außen rausstehen. Die sind als solche nicht ansteckend. Man ist also bei der Impfung nicht ansteckend. Das gibt es nur bei sogenannten Lebend-Impfstoffen. Manchmal gab es das früher bei Polio. Vielleicht hat die Dame das sogar in Erinnerung gehabt. Da gab es dann Chargen von Polio-, also der Kinderlähmung- Impfung. Das war ein Lebend-Virus. Da war es dann so, dass manche Chargen schlecht hergestellt waren. Und da gab es dann Ausbrüche in irgendwelchen Familien oder Schulen durch das Impfvirus. So etwas ist absolut nicht zu befürchten. Da kann man komplette Entwarnung geben.

Kann man sich noch einmal infizieren? Ich würde sagen, auch ohne dass das Virus mutiert. Es gibt ja schon viele Mutanten, die auch zirkulieren, nicht nur diese englische. Meine Vermutung ist, dass wir ganz viele schon weltweit haben, die noch nicht gefunden wurden. Ich würde sagen ja, wahrscheinlich

kann man sich, je nachdem, wie gut die Antikörper sind, die der eigene Körper produziert hat, vielleicht noch einmal infizieren. In diesem Fall wäre es für die Person selber nicht so schlimm, weil sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nach allem, was wir virologisch und immunologisch verstanden haben, nicht mehr so eine schwere Erkrankung kriegen würden. Aber mit jemanden, mit dem man extrem eng zusammen ist, dem Ehepartner wäre es dann eine Verkettung unglücklicher Umstände. Aber es ist nicht auszuschließen, dass man so jemanden bei sehr engem Kontakt dann auch infizieren könnte. Ausgerechnet an dem einen Tag, wo das Immunsystem erfolgreich das Virus bekämpft. Das kann schon sein. Das ist nicht ganz auszuschließen. Aber epidemiologisch spielt es keine Rolle. Das heißt also die viel diskutierte Frage: Schützt der Impfstoff auch vor Weiterverbreitung? Das halte ich für überbewertet, weil es für die Gesamtepidemiologie klar ist, dass das was bringen wird. Aber im Einzelfall ist es nicht auszuschließen, dass es zu Infektionen kommt.

55:11

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 135. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörer- Fragen SPEZIAL.

Bis dahin.

Alexander Kekulé:

Gerne, bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns auch an, kostenlos unter

0800 300 22 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen will, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen als Textversion zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



Dienstag, 05.01.2021 #134: Zweite Impfdosis verzögern?

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Linktipps

Aktuelle Impfzahlen

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neu artiges_Coronavirus/Daten/Impfquotenmonit oring.html Impfstoff-Studien (Sammlung) https://doi.org/10.1016/S0140- 6736(20)32661-1 https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/N EJMoa2035389 https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/N EJMoa2028436 https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/N EJMoa2034577 https://www.fda.gov/media/144245/dow nload

Camillo Schumann:

Dienstag, 5. Januar 2021.

Bundesgesundheitsminister Spahn lässt eine verzögerte Gabe der 2. Impfstoffdosis prüfen. Unbedenkliche Lösung oder gefährlicher Verzug?

Dann: Lockdown verlängern und wie? Außerdem Besucheransturm auf die Mittel- gebirge. Wie groß ist die Ansteckungs-gefahr? Und: Gäbe es keine Viruskrankheiten mehr, wenn sich der Mensch vegan ernähren würde? Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und wir beantworten Ihre Fragen.

Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

An dieser Stelle ein wünsche ich Ihnen noch einen guten Start ins neue Jahr und vor allem Gesundheit.

Alexander Kekulé:

Selbstverständlich wünsche ich Ihnen und unseren Hörern dieses Podcasts auch von meiner Seite guten Start ins neue Jahr und vor allem Gesundheit.

Camillo Schumann:

Und hoffen wir beide Male zusammen, dass dieser Podcast nicht mehr lange notwendig sein wird und Corona Geschichte sein wird, oder?

Alexander Kekulé:

Dann reden wir über etwas anderes. Da haben wir so viele Themen angeschnitten, die wir nicht besprechen konnten bisher.

Camillo Schumann:

Das stimmt. Normalerweise starten wir ja mit einem Blick auf die aktuellen Zahlen in den Podcast. Das wollen wir heute auch mal machen. Das Robert-Koch-Institut meldet rund 12.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden. Das sind gut tausend weniger als vor einer Woche am Dienstag. Das weist aber auch darauf hin, dass während der Weihnachtsfeier- tage zum Jahreswechsel und an den umgeb- enden Tagen bei der Interpretation der Fall- zahlen zu beachten ist, dass zum einen meist weniger Personen einen Arzt aufsuchten, da- durch weniger Proben genommen und weniger Laboruntersuchung durchgeführt wurden. Herr Kekulé, heißt das, dass wir uns gerade – was die Zahlen angeht – in einer Art Blindflug befinden?

[0:02:02]:

Alexander Kekulé:

Wir sind in vieler Hinsicht im Blindflug, schon

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seit Längerem, in diesem Fall auch. Ja, das ist richtig. Ich verstehe nicht ganz, warum am 5. Januar, das immer noch unklar ist, weil man anhand von einzelnen Stichproben das schon überprüfen hätte können. Die Vermutung ist richtig: Das Robert-Koch-Institut nimmt an, dass sich weniger Menschen über Weihnacht- en untersuchen lassen haben und dadurch besondere Verzögerungen bei den Gesund- heitsämtern gibt, und dadurch die Zahlen geringer sind. Aber das könnte man prüfen, indem man irgendwo eine Stichprobe macht, wo man dann einfach mal schaut, wie es ist: Sind die Untersuchungen so viel runterge- gangen? Um wieviel Prozent sind Sie an Weih- nachten runtergegangen? Und anhand dieser Probe könnte man dann eine Schätzung machen, wie die en Entwicklungen sind. Das wäre im Moment extrem wichtig, weil wir alle wissen wollen, ob die Weihnachtsfeiertage irgendeinen negativen Effekt gehabt haben.

[0:02:56]:

Camillo Schumann:

Ich wollte gerade sagen: Man hätte es quantifizieren können, um mit dieser doch sehr wichtigen Lage auch valide Zahlen zu haben, um dann auch Entscheidungen treffen zu können.

[0:03:05]:

Alexander Kekulé:

Ja, das ist ganz klar. Also wenn Sie wissen wollen, was das Durchschnittseinkommen der Bevölkerung ist, aber die Banken nicht die Zahlen liefern, dann können Sie einfach 100 Leute nehmen und bei denen das genauer untersuchen und dann so eine Art Hochrech- nung auf die Gesamtmenge machen. Das hätte man hier ganz sicher auch machen können. Und ich verstehe nicht, warum nicht so ein Instrument benutzt wird. Denn bekanntlich sitzen die Politiker gerade im Moment zusammen und beugen sich über die Zahlen des RKI. Sie wollen wissen: Hat der Lockdown gewirkt, müssen wir weitere Verschärfungen machen usw. Dass sie gar nichts liefern als Entscheidungsgrundlage, ist halt deutsches Beamtentum, hätte ich fast gesagt.

Camillo Schumann:

Was meinen Sie, wie groß ist die Verzögerung, und wie gefährlich kann diese Verzögerung sein?

Alexander Kekulé:

Naja, was heißt gefährlich? Es muss ja jetzt beschlossen werden, ob der Lockdown ver- längert wird und wenn ja, wie. Nehmen wir mal an, die Zahlen, die wir hier sehen, wären relativ nah an der Wahrheit dran. Das heißt, wir hatten einen massiven Rückgang der Neu- infektionen. Dann würde man andere Ent- scheidungen treffen und das anders interpret- ieren, als wenn man jetzt dann später beim Nachzählen in der nächsten Woche vielleicht feststellt, das war eine Scheinrechnung. Daher kommt es darauf an, was die Politik daraus macht. Gefährlich im gesundheitlichen Sinn ist es aus meiner Sicht nicht. Da plädiere ich eher für Langmut, denn die Zahlen gehen rauf und runter. Das muss man aus der lang- fristigen Perspektive sehen, nicht von Tag zu Tag nervös werden. Aber wenn jetzt an einem bestimmten Stichtag politische Entscheidung- en getroffen werden müssen, dann würde ich als Politiker wahrscheinlich auf den Tisch hauen und sagen wir, wieso kriegen wir hier keine bessere Grundlage!

[0:04:48]:

Camillo Schumann:

Wie es mit dem Lockdown weitergeht, darüber werden wir im Verlauf des Podcasts noch sprechen. Bleiben wir mal bei den Zahlen und schauen mal auf das Impf-Geschehen. Das wird nun mit Beginn der Impfung auch täglich vom Robert-Koch-Institut veröffentlicht. Und zum Zeitpunkt dieser Podcastaufzeichnungen haben wir den Datenstand vom 04.01.2021. Demnach haben bislang in Deutschland rund 266.000 Menschen eine Impfung gegen Sars- CoV-2 erhalten, darunter fast 115.000 Bewohner und Bewohnerinnen von Pflege- heimen. Zum Vergleich: Rund 800.000 Menschen werden in einer vollstationären Pflegeeinrichtung versorgt. Das heißt also: Nach einer reiflichen Woche nach Impfstart haben rund 14 Prozent der Pflegeheimbe- wohner ihre erste Impfung bekommen. Ist das

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jetzt eine gute Zahl? Wie interpretieren Sie das?

Alexander Kekulé:

Ich glaube, dass man die Pflegeheimbewohner da als erstes nimmt, ist richtig. Aber wir brauchen die Alten- und Pflegeheimen. Das ist ja noch mal eine feine Unterscheidung. Ich meine, dass in den Altersheimen wahrschein- lich noch mehr Menschen leben. Wir haben jetzt etwa 33.000 Impfungen pro Tag durch- geführt. Das ist laut Robert-Koch-Instituts- Zahlen so der Mittelwert gewesen am Anfang. Da gibt es leider keine Dunkelziffer. Also 33.000 sind die, die geimpft sind pro Tag. Wenn man jetzt mal so grob sagt: Vielleicht haben wir 20.000, hätten wir 20.000 neu ge- meldete Neuerkrankungen pro Tag. Wenn man jetzt das vollständige Bild hätte, einfach mal so als Schätzung, da ist die Dunkelziffer sicherlich das Fünf- bis Zehnfache. Das heißt, sagen wir mal 100.000 bis 200.000 Neuinfektionen jeden Tag in Deutschland versus 33.000 Impfungen. Das heißt also, die Neuinfektionen immunisier- en dreimal so viele bis sechsmal so viele Per- sonen, wie wir es mit den Impfungen schaffen. Da müssen wir dringend das Überhol-manöver hinkriegen, denn sonst hat das Ganze ja relativ wenig Sinn, denn eine Durchseuchung oder eine Immunisierung auf natürlichem Weg kriegen sie viel, viel schneller hin als mit einer Impfung.

[0:06:47]:

Camillo Schumann:

Okay, aber die Impfung werden ja gezielt in den Alten- und Pflegeheimen durchgeführt. Und Gesundheitsminister Spahn hat dazu heute im ARD Morgenmagazin Folgendes gesagt:

[0:06:59]:

„Wenn wir es im Januar schaffen würden, in allen Pflegeheimen alle Bewohnerinnen und Bewohner zu impfen, dann macht das in dieser Pandemie einen echten Unterschied.“

[0:07:06]:

Und hat weiter gesagt: Mit der Entscheidung, zuerst in Pflegeheimen zu impfen, war klar, dass es langsamer geht. Dort müssen mobile Teams eingesetzt werden. Das ist aufwendiger, als im Impfzentrum. Das hat er der Rheinischen Post gesagt. Er sei aber zuversichtlich, dass noch im Januar allen Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen ein Impfangebot bekommen. Und wenn sich dort alle impfen ließen, habe die Pandemie schon einen Teil ihres Schreckens verloren. Sehen Sie das auch so? Wenn man gezielt dort sozusagen dann alle immunisiert hat, ist sozusagen der Knoten schon einmal geplatzt, oder nicht?

[0:07:36]:

Alexander Kekulé:

Die Pflegeheime sind auf jeden Fall der wichtigste Teil des Konzepts, was ich schon länger vorgestellt habe, heißt ja SMART und beginnt mit S, dem Schutz der Risikogruppen, speziell der alten in den Heimen. Das ist ja die Situation, die wir nicht in den Griff bekommen haben in Deutschland im Herbst, dass es dort weiterhin schwere Ausbrüche gab. Auch nach dem aktuellen Bericht des Robert-Koch- Instituts, der jetzt von gestern ist, ist noch einmal beschrieben, dass es weiterhin in Alten- und Pflegeheimen Ausbrüche gibt. Der Schutz dieser Risikogruppen durch anti-epidemische Maßnahmen, also durch Infektionsprävention, hat nicht funktioniert. Und wenn man das jetzt stattdessen über die Impfung hinbekommt und zwar möglichst schnell, dann ist das wichtig. Das ist klar, das ist das Wichtigste, was wir überhaupt machen können. Das hat nach wie vor Priorität, wenn nicht durch Schutz vor Infektionen, dann eben durch die Impfung. Da hat der Bundesgesundheitsminister Recht.

[0:08:35]:

Camillo Schumann:

Und wenn man das noch im Januar schaffen würde, dann wäre es doch schon mal ein Meilenstein, oder nicht?

[0:08:42]:

Alexander Kekulé:

Na gut, er hat es in dieser Aussage jetzt auf die

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Pflegeheime bezogen. Ich weiß nicht genau, wie die Zahlen sind. Ich vermute, dass in den Altenheimen noch mehr Menschen leben. Man müsste beides in den Griff bekommen, dass man sowohl in Alten- als auch in Pflegeheimen durch die Impfung die Bewohner schützt. Wenn man dieses Paket abgearbeitet hätte, dann hätten wir das größte Damoklesschwert entfernt, weil wir wissen, dass dort die Sterb- lichkeitsrate besonders hoch war bzw. nach wie vor ist. Und das würde den Blick auf die Pandemie verändern, weil wir für den Rest der Bevölkerung etwas entspannter damit um- gehen könnten, wenn wir insgesamt mit einer niedrigeren Letalität bei dieser Erkrankung Leben.

[0:09:28]:

Camillo Schumann:

Die große Frage, die sich jetzt gestellt hat mit dem Impfstart. Wenn sich herausgestellt hat, wie viel Impfdosen eigentlich da sind, gibt es genügend Impfstoff? Da gibt es ja jetzt auch in der Koalition einen offenen Streit. SPD- Generalsekretär Lars Klingbeil im ARD Morgen- magazin:

[0:09:44]:

„Es war immer klar, das muss priorisiert wer- den. Das bestreite ich auch gar nicht. Darum geht es nicht. Aber wenn ich jetzt zum Beispiel lese, dass Herr Sahin, also der Chef von Bion- tech sagt, er hat der Europäischen Kommission noch mehr Impfstoff angeboten. Und das ist dann abgelehnt worden, weil die Osteuropäer skeptisch sind, weil die Franzosen das nicht wollten, wenn man andere Impfstoffe hatte. Und wir wussten aber zu dem Zeitpunkt, An- fang November, schon, dass es ein guter Impf- stoff ist. Warum hat dann nicht die Bundes- regierung, Frau Merkel, der Gesundheits- minister, bilaterale Verträge abgeschlossen?“

[0:10:11]:

Camillo Schumann:

Das ist die Kritik von Lars Klingbeil. Der Sprecher von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Hanno Kautz, hat gestern in der Bundespressekonferenz darauf folgender- maßen reagiert:

[0:10:21]:

„Es gibt nämlich genug Impfstoff für Deut- schland 1,3 Millionen bis Ende vergangenen Jahres, 4 Millionen bis Ende Januar, rund 11 Millionen bis Ende des ersten Quartals. Und allein die Impfstoffe von Biontech und von Moderna, wenn der dann zugelassen wird, werden ausreichen in diesem Jahr, Deutschland zu versorgen, mit 130 bis 140 Millionen Impfstoffdosen.“

[0:10:53]:

Camillo Schumann:

Wie schätzen Sie die Impfstoffsituation in Deutschland ein?

Alexander Kekulé:

Ich kann die Zahlen, die gerade genannt wurden, nicht ganz nachvollziehen. Diese Millionen, die da im letzten Jahr schon dage- wesen sein sollen. Wir haben ja gerade gehört, wie viele verimpft wurden. Das hieße ja, dass da irgendwo in den Kühlschränken oder in den Tiefkühlschränken einige Millionen Dosen herumliegen, die nicht verimpft wurden. Davon habe ich nichts gehört.

Ich höre im Gegenteil davon, dass man bundesweit etwa 400 Impfzentren hoch- gezogen hat. Die sollen Mitte Dezember aktiv gewesen sein, und die konnten aber nicht los- legen, weil keine Dosen da waren. Und weil dann offensichtlich später – wie Gesundheits- minister das ja gerade erklärt hat – man auf die Idee kam, doch lieber mit mobilen Teams zu arbeiten. Ich glaube nicht, dass diese Dosen in dieser Millionenzahl letztes Jahr vorhanden waren. Und mit Blick auf die Zukunft: Das sind sicher irgendwelche Verträge oder Vorver- träge, die da sind. Die Frage ist ja immer, wann ist die Ampulle am Patienten? Und da wird es Flaschenhälse geben. Das wird einfach so sein, dass wir zumindest regional Probleme haben werden, den Impfstoff zu bekommen. Das liegt nicht an uns. Das liegt einfach daran, dass das eine wahnsinnig aufwendige Logistik ist.

Und ja, die EU hat definitiv zu spät bestellt. Das ist ja ein kein Geheimnis. Das kann man auch nicht mehr schönreden. Ich fand es eigentlich nachvollziehbar, dass die Bundesregierung gesagt hat, wir wollen jetzt hier nicht aus- scheren, sondern wir wollen zumindest bei

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dieser Impfstoffbestellung mal bei dem bleiben, was der europäische Gedanke von gegenseitiger Solidarität ist. Man hat deshalb Brüssel die Verhandlungen überlassen. Deutschland hatte sich da schon mal die Finger verbrannt, nachdem der Bundesgesundheits- minister früh in der Pandemie erklärt hat: Wir exportieren keine Schutzausrüstung mehr, auch nicht an unserer EU-Partner - und dann feststellen musste, dass wir so etwas gar nicht im Land herstellen. Und das hat nicht nur Gelächter, sondern auch Verstimmung bei den EU-Mitgliedsstaaten ausgelöst. Und deshalb, glaube ich, wollte man jetzt nicht als nächstes ausscheren und sagen: Ja, wir haben mit dem Paul-Ehrlich-Institut eine gute Zulassungs- behörde – das haben ja nicht alle EU-Mitglieds- staaten – und deshalb machen wir das wie die Briten an der Stelle. Das fand ich eigentlich politisch gesehen. Richtig. Ich glaube auch, dass die kleine Verzögerung, die dadurch eingetreten ist, jetzt nicht schädlich ist. Die logistischen Probleme sind eher größer als diese Verzögerung. Die Frage ist nur: Kriegen wir insgesamt genug, und zwar rechtzeitig genug? Und das hat eher mit der Bestellpolitik der EU zu tun. Da ging es ja um Haftungs- fragen, wahrscheinlich auch um Geld, auch um nationale Fragen: Aus welchen Ländern wird bestellt? Und es ist eben so, dass die Euro- päische Kommission am Ende dann immer die Bestätigung der Mitgliedsstaaten braucht. Und diese Mechanismen sind aufwendig, das ist klar. Dass sich da ein Herr Sahin wundert, der vorhin zitiert wurde, insofern dass das Brüssel so gemütlich verhandelt, nach dem Motto: wir haben hier alles unter Kontrolle und irgendwo kommt der Impfstoff dann schon her, oder wenn ihr nicht liefert, wird jemand anders liefern, ist verständlich. Wissen Sie, es ist so: 

Beratergremium. Da muss man die fragen: Gab es klare Vorschläge an die Kommission, diese mRNA-Impfstoffe auch zu bestellen? Oder habt ihr hier vielleicht die Chance dieser Impfstoffe verkannt? Denn das ist ja letztlich eine wissen- schaftliche Entscheidung, ob man Unmengen von AstraZeneca bestellt, was offensichtlich passiert ist, oder von Sanofi aus Frankreich bestellt. Das kann ja nicht nur politisch ent- schieden werden. Dann muss ich ja gerade dieses Beratungsgremium, was die Frau von der Leyen ja extra einberufen hat, hierzu Stellung nehmen. Und ich kann nur sagen, von den Leuten, die ich etwas besser kenne, wenn einer von denen in diesem Gremium wäre, hätte der gesagt, ihr müsst die mRNA- Impfstoffe in großem Stil einkaufen. Offen- sichtlich ist entweder dieser Ratschlag nicht erteilt worden. Das wäre dann eine wissen- schaftliche Fehleinschätzung. Oder man hat dieses Gremium gar nicht gefragt. Das wäre dann echt ein Politikum.

Camillo Schumann:

Aber zum Zeitpunkt der Bestellung war ja auch noch nicht 100 Prozent klar, welcher Impfstoff es durchs Ziel schafft? Das war ja auch eine Wette auf die Zukunft. Man wollte sich breit aufstellen.

Alexander Kekulé:

Ja, eben. Aber da hat man eben zu wenig bei den mRNA-Impfstoffen bestellt und dafür mehr bei den Vektor-Impfstoffen. Also ich vergleiche das mal mit dem Klassiker, als ich früher mehr zuhause war. Wenn Sie Invest- mentfirmen haben, müssen Sie sehr viel Geld verwalten und müssen das investieren. Zum Beispiel in Aktien oder in Unternehmen oder in Start-ups. Die versuchen da auch zu streuen, weil sie wissen, der eine schafft es, der andere schafft es nicht. Aber kein Finanzmensch würde das jemals ohne wissenschaftlichen Berater machen. Da gibt es dann eben Leute, die machen sog. Due-Diligence-Studien, das sind Fachleute, die untersuchen, wie ist die wissenschaftliche Aussicht, dass das eine oder das andere Projekt reüssiert. Und auf dieser Basis muss man das entscheiden, und nicht, weil vielleicht Herr Macron für Sanofi Werbung gemacht hat. Und deshalb ist die Frage wichtig: Gab es hier möglicherweise eine wissenschaft-

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liche Fehleinschätzung, das dieses EU Berater- gremium, also Gremium der Europäischen Kommission, dass sie gesagt haben: Dieser mRNA-Impfstoff ist so experimentell. Setzen wir mal lieber auf Vektor und auf Standards wie von Sanofi. Oder sind die gar nicht gefragt worden. Dann hätte man es ohne wissen- schaftliche Einschätzungen gemacht. Und das kann man auch, wenn man so eine so eine Gießkannenpolitik macht. Das ist ja richtig gewesen, dass man sagt, wir setzen auf möglichst viele Pferde. Es waren ja auch nur Vorverträge. Da ist ja kein Geld geflossen durch die Vorverträge. Aber wenn man das macht, dann muss man das meines Erachtens auf einer wissenschaftlichen Basis machen. Und im Juli – um den Zeitraum geht es ja jetzt, wo die USA gesagt haben, wir bestellen bei Moderna und bei Biontech – war den Insidern eigentlich schon klar, dass das Impfstoffe sind, die, wenn sie funktionieren, durch die Decke gehen. Und die USA haben ja deshalb auch im großen Stil zum Beispiel jetzt bei Biontech bestellt.

[0:17:49]:

Camillo Schumann:

Das eine ist, auf ein Pferd zu setzen, und das andere ist die Lieferfähigkeit. Und da stoßen diese Firmen schnell an ihre Grenzen und können nur gewisser Kapazitäten zur Verfü- gung stellen. Deswegen gibt es da auch bei Biontech jetzt mehrere Standorte, die neu dazukommen. Die Produktion soll verdoppelt werden. Also selbst wenn man bestellt hätte, hätte man ja jetzt gar nicht mehr gehabt.

[0:18:13]:

Alexander Kekulé:

Ja, das stimmt. Aber das ist ja der Blick in die nahe Zukunft. Es geht jetzt gar nicht so viel darum, was jetzt im Moment da ist. Da wurde sicherlich vertragsgemäß ausgeliefert. Und die USA haben einfach früh sehr viel bestellt. Und deshalb haben die wesentlich mehr Impfstoff bekommen als die EU, jetzt konkret von Biontech/Pfizer. Wenn man da mehr bestellt hätte, dann hätten die USA weniger bekom- men. Ich glaube nicht, dass die Manager Dinge verkaufen, die sie dann hinterher nicht liefern können. So etwas wird sicherlich in den

nächsten Monaten mal auftreten. Aber das ist bis jetzt nicht das Problem. Das Problem ist, dass die Kapazitäten absehbar begrenzt sind, und das war absehbar. Und es ist auch weiter- hin absehbar. Und dann ist es einfach so: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und wer zuerst unterschriebene Verträge für Lieferungen hat, der wird zuerst beliefert. Das ist in diesem Fall auch so.

[0:19:04]:

Camillo Schumann: Gemessen an den Zahlen um die 130-140 Millionen, die jetzt vom Spre- cher des Bundesgesundheitsministeriums noch genannt worden sind, um die mal kurz zu nehmen, sollte das alles so eintreten und Moderna dann auch liefern und zugelassen werden, dann werden diese 130-140 Millionen in diesem Jahr doch völlig ausreichend sein bei 80 Millionen Einwohnern und einer Impfbereit- schaft von 50-60 Prozent. Nicht jeder geht ja hin. Dann haut das doch hin, oder nicht?

[0:19:30]:

Alexander Kekulé:

Ja, das glaube ich schon, das ist nur eine Zeit- frage. Das Problem ist nur auf der Zeitachse. Wir müssen ein Überholmanöver gegenüber den natürlichen Infektionen schaffen. Und das hat alles mit Zeit zu tun. Ich bleibe bei meiner Prognose: Ich versuche ja immer, Optimist zu sein. Und meine Prognose ist, dass am Ende des Sommers, wenn also die kalte Jahreszeit in 2021 wiederkommt, wir keine relevante Covid- Welle mehr haben werden, und nur ein paar Infektionen auftreten. Aber es wird hoffentlich keine Diskussion mehr über Lockdowns geben. Wenn wir dann immer noch über Lockdowns reden müssen, dann ist das traurig. Dann ist bei den Impfkampagnen was schiefgegangen.

[0:20:14]:

Camillo Schumann:

Und damit die Impfung die Infektionszahlen rechts überholen und schnell mehr Impfdosen zur Verfügung stehen, lässt Bundesgesund- heitsminister Jens Spahn prüfen, ob man den Zeitraum zwischen der 1. und der 2. Gabe des Impfstoffs verzögern könnte. Maximal 42 Tage

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beträgt dieser Zeitraum. Macht man den Zeit- raum größer, könnte man weitere Impfdosen produzieren und die treffen dann ein und könnten dann auch verteilt werden, so möglicherweise das Kalkül. Wäre eine Ver- längerung des Zeitraums zwischen beiden Impfungen eine unbedenkliche Lösung oder ein gefährlicher Verzug?

[0:20:51]:

Alexander Kekulé:

Das ist die 1-Million-Dollar-Frage, die Sie dar- stellen. Das ist ja so, dass in Großbritannien die, die die Regulationsbehörde dort, das ist dieses Medicine Health Regulatory Agency, die MHRA, das jetzt gerade aktuell empfohlen. Die hat gesagt, man darf bis zu zwölf Wochen, also drei Monate, quasi warten mit der 2. Dosis. Das hat sie nicht rein auf wissenschaftlicher Basis empfohlen, sondern der Not folgend, dass man gerade in Großbritannien jetzt durch diese hochinfektiöse Variante, die sich dort auch massiv ausbreitet, das Problem hat, dass man eben Schwierigkeiten hat, mit der Impf- ung die natürlichen Infektionen zu überholen. Und seitdem wird das heiß diskutiert.

Da kann ich nur sagen, bei meinen Kollegen, mit denen ich darüber gesprochen habe, ist es zweigeteilt. Einige sagen: Seid ihr völlig wahnsinnig, das könnt ihr nicht machen. Das ist wahnsinnig gefährlich, mit einer Dosis erst mal zu arbeiten. Und andere sagen: Das ist unter den gegebenen Umständen eine Option, mit der man arbeiten kann.

Camillo Schumann:

Die große Frage ist, wie wirksam ist denn das? Wie wirksam ist der erste Schuss? Wie lange hält der durch?

Alexander Kekulé:

Das weiß keiner genau. Aber klar ist, dass die Wirksamkeit nicht ganz so stark ist und nicht ganz so gut ist, als wenn man zwei macht. Sonst würde man ja nicht zwei Injektionen machen. Die Kritiker sagen, das darf man nicht machen. Die sagen Folgendes, erstens ist es so, dass wir keine sauberen Daten haben, wie stark die Wirksamkeit, wie stark der Schutz nach der ersten Injektion ist. Das ist zwar in einigen Studien oder in den meisten Studien so

als Nebenzweig mit ausgewertet worden. Aber die Zahl der Teilnehmer, an denen man das auswerten konnte, war viel geringer. Und dadurch ist die Aussagekraft, wir sagen die Power, die Signifikanz dieser Aussage, nicht so stark. Die sagen also, wir wissen nicht genau, wie gut das dann wirkt, ob das dann in einem Bereich von 70 Prozent ist. Oder geht es auf 50 runter oder vielleicht noch auf 40? Es ist auch nicht auswertbar gewesen, weil man nicht genug Teilnehmer hatte nach Altersgruppen. Die große Frage ist ja, wie ist es dann bei Älteren zum Beispiel, wirkt es dann auch gut genug. Und da haben wir ja immer Bedenken – auch bei anderen Impfstoffen –, weil das Immunsystem altert. Deshalb wissen wir: Je älter man wird, desto schlechter wirken normalerweise die Impfungen. Bei Influenza ist das ja ganz katastrophal. Und die Befürchtung ist hier, dass man dann gerade bei denen, auf dies besonders ankommt, vielleicht keinen so guten Schutz hat nach einer Impfung.

Und dann gibt es noch ein ganz praktisches epidemiologisches Argument: Es ist ja so, dass, wenn man anfängt zu impfen, tritt das Gleiche ein, was wir im Sommer schon einmal beo- bachtet haben: Wenn man in bestimmten Bereichen eine weitgehende Immunisierung von Teil-Bevölkerungen hat – das gibt es ja zum Beispiel in Indien zum Teil oder in Süd- amerika, jetzt zunehmend auch in anderen Bereichen der Welt, auch in USA teilweise –, ist die Bevölkerung dann immunisiert entweder durch natürliche Infektion oder durch Impfung. Und dann fängt das Virus an, sich daran anzu- passen, es verändert sich. Und diese Ver- änderungen kann es am besten machen. also mutieren, dass es eine impfresistente Variante gibt – wir nennen es dann auch Escape- Variante, also eine Flucht-Variante, die durch die Impfung nicht verhindert werden kann. Das Virus ist optimal aufgestellt für so eine Situation, wenn man Leute hat, die einen halben Immunschutz haben, so einen schwachen Immunschutz, die aber das Virus noch infizieren kann, und die zusätzlich aber dann länger krank werden, wie zum Beispiel ältere Leute, die einen längeren Krankheits- verlauf haben oder auch Menschen mit einem schlechten Immunsystem. Und wir haben Hinweise darauf, dass die neue Variante, diese besonders infektiöse im Vereinigten König-

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reich, dass die wohl entstanden sein könnte in einer Person mit einem schlechten Immun- system. Das haben wir hier im Podcast schon einmal spekuliert. Inzwischen gibt es aber auch Daten, die das belegen, dass es in diese Richtung geht: Bei jemand, der lange krank ist, wo das Immunsystem mit dem Virus nicht klarkommt, da kann sich das Virus in diesem einen Organismus anpassen. Und das Gleiche würde gelten für jemanden, der so eine Teil- immunität durch eine Impfung hat. Und deshalb ist die Angst der Leute, die dagegen ist, dass man damit sehr selektiv, also dass man resistente Varianten züchtet.

Camillo Schumann:

Man würde es dem Virus eigentlich noch wesentlich leichter machen, wenn man diesen Zeitraum vergrößert?

Alexander Kekulé:

Ja, speziell bei den Leuten, die jetzt empfäng- lich sind, die also dann auch krank werden und länger krank werden. Meine Arbeitshypothese ist, dass alters- abhängig die Zeit, in der man das Virus aus- scheidet, zunimmt. Dass Kinder nur ganz kurz das Virus ausscheiden und wir deshalb zum Beispiel in Grundschulen weniger Infektionen sehen. Und Alte, die schwer krank sind, die zwei Wochen lang oder drei Wochen im Krankenhaus sind, die scheiden auch das Virus über einen längeren Zeitraum aus. Und dann hat das Virus hier über einen längeren Zeit- raum die Möglichkeit, sich genetisch zu verändern und anzupassen. Das ist das Argument derjenigen, die dagegen sind, das zu machen. Und die, die dafür sind, die sagen: besser irgendwie impfen als gar nicht. Die schauen auf die Daten der Studie. Ich habe mir die auch noch einmal ganz genau angeschaut. Da gibt es diese Teil-Auswertungen. Es ist zum Beispiel so mit einer kleineren Zahl von Teil- nehmern war es bei dem Biontech/Pfizer- Impfstoff so, das nach dem ersten Schuss 82 Prozent immun waren. Das ist schon gut. 95 Prozent bekanntlich nach zwei Impfungen, 82 nach dem ersten. Das ist aber eine Auswert- ung, die nicht an dieser Riesenzahl von Probanden gemacht wurden – das waren nicht über 40.000 Menschen bei Biontech. Bei Moderna sind die Daten auf den ersten Blick

nicht verständlich. Nach der 1. Dosis waren da 95,2 Prozent immun, 14 Tage nach der ersten Injektion, und dann insgesamt nach der 2. Dosis, wenn man alle zusammen anschaut, waren es 94,1, also ein bisschen weniger. Das liegt aber daran, dass es andere Zahlen von Patienten waren, die dann in den beiden Grup- pen, also in der umkämpften Gruppe und in der Kontrolle aufgetreten sind und ausge- wertet wurden. Und dadurch kommt es zu solchen Schwankungen. Man kann sagen, bei Moderna ist es so, dass nach der 1. Impfung eigentlich das so aussieht, als wäre er schon genauso gut gewesen wie nach der 2. Und dann AstraZeneca. Das ist ja dieser Vektor- Impfstoff, wo ziemlich viel schief gegangen ist, die am Anfang leider auch falsche Daten pub- liziert haben bzw. die Daten falsch interpretiert haben. Die haben das jetzt noch einmal be- sonders genau offengelegt, wie sie alles rech- nen, weil die ja jetzt in Erklärungsnot sind. Und da haben wir die ausführlichsten Daten. Die haben untersucht, wie sieht es aus nach vier Wochen nach der Impfung, oder wenn man sechs bis acht Wochen Abstand bis zur 2. Impfung macht, oder wenn man sogar über zwölf Wochen Abstand macht. Und die haben da relativ ausführliche Daten vorgelegt. Und mal so ganz grob gesagt, ist es so, wenn man nur eine Impfung macht, also statt zwei nur eine, dann ist bei AstraZeneca die Wirk- samkeit bei 64 Prozent, sagen sie. Das ist auch wieder interessant, weil die Wirksamkeit insgesamt mit zwei Impfungen laut Astra- Zeneca nur 62 Prozent beträgt. Dann wäre also eine Impfung besser als zwei. Und das liegt eben auch an diesen Statistiken, die man da macht. Ja, das ist von vielen belächelt worden. Ich kenne auch Kollegen, also richtig hartgesot- tene Virologen, die sagen, die lügen schon wieder. Das ist nicht so, sondern das ist einfach so, dass diese Daten einfach unter-schiedlich stark belastbar sind. Vielleicht kann ich erst AstraZeneca-Studie noch eins sagen, weil ich mir das hier gerade aufgeschrieben habe: Es ist bei allen Studien so, das man immer nur ange- guckt hat, wie gut wirkt die Impfung zur Ver- hinderung von Erkrankungen, also symptomat- ischen Erkrankungen. Und da kommt man dann auf die berühmten 95 Prozent oder bei AstraZeneca um die 60 Prozent. Wenn man das aber anschaut bezüglich der Verhinderung

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der Infektion, also nur guckt, sind die positiven der PCR geworden, ja oder nein, gar nicht auf die Symptome guckt, dann ist die Impfwirk- samkeit, also der Impfschutz beim AstraZeneca-Impfstoff plötzlich nur noch 46 Prozent, also runtergegangen von 62 auf 46. Daran sieht man, wenn man jetzt überhaupt eine guckt, kann ich mit den Impfstoff die Infektion verhindern, einschließlich derjenigen, die keine oder nur sehr wenige Symptome haben, dann stürzen sowieso diese Wirk- samkeiten deutlich ab, alle. Und deshalb muss man aufpassen, wenn man sagt: Naja, wir haben 95 Prozent Impfschutz mit zwei Impf- ungen. Und wenn wir dann noch eine machen, dann geht es ein bisschen runter. Das muss man sehr vorsichtig anschauen. Und deshalb braucht man da eine kluge Strategie.

[0:29:49]:

Camillo Schumann:

Und genau darum geht es. Ich höre da heraus, pauschal für alle ist das jetzt erst mal nicht zu machen, wenn Sie jetzt in der Ständigen Impf- kommission Stiko wären und Sie bekämen jetzt diesen Auftrag vom Herrn Spahn, darüber zu befinden und eine Empfehlung abzugeben. Wie wäre denn Ihre Strategie?

[0:30:08]:

Alexander Kekulé:

Die Stiko-Mitglieder, muss man sagen, sind hinter geschlossenen Türen munter am Streiten. Das kann ich Ihnen versichern. Das ist nicht so, dass die immer eine Meinung haben, das liegt auch an unterschiedlichen Aus- bildungen, die die haben. Und es ist eigentlich ein Wunder, dass da immer wieder weißer Rauch aufsteigt.

Meine Strategie – und da habe ich den Vorteil, dass ich das mit niemandem absprechen muss – ist folgende: Man muss ja fragen: Was ist denn eigentlich das Ziel dieser ganzen Impfungen? Und da gibt es zwei verschiedene Zwecke. Der eine Zweck ist der Schutz der Risikogruppen, speziell der Alten. Und der andere Zweck, der damit eigentlich zunächst mal nicht so viel zu tun hat, ist die Erreichung der Herdenimmunität. Das Wort mag ich nicht so, aber ich sage es einfach mal so: dass man

epidemiologisch die Bevölkerung sicher macht. Für die 1. und die 2. Kategorie von strateg- ischen Zielen braucht man unterschiedliche Konzepte. Deshalb würde ich empfehlen, dass man bei den Alten dringend an dem klas- sischen Schema vier Wochen Abstand festhält und es so macht, wie es in den Studien gemacht wurde. Wenn da was schiefgeht, haben wir eben diesen Selektionseffekt, das dann erstens mehr Menschen sterben und zweitens die Gefahr besteht, das resistente Viren auftreten, weil die ältere Menschen typischerweise länger das Virus ausscheiden und daher auch eher die Möglichkeit besteht, dass sich solche Mutanten bilden.

Das ist aber anders, wenn ich in die Allgemein- bevölkerung reinschaue. Und wenn ich Richt- ung Herdenimmunität, also die berühmten 66 Prozent erreichen soll, da würde ich sagen, eine Impfung ist besser als keine. Es ist auf jeden Fall vertretbar zu sagen, jeder kriegt eine Impfung. Und dann erweitern wir den Zeit- raum für die für die 2. Impfung auf drei Monate, dass man bis zu drei Monate warten kann. Das wäre meine Empfehlung. Zum Beispiel Personen über 70 oder 75 – irgendwo muss man da eine Grenze machen – machen es nach Schema, und alle anderen dürfen bis zu drei Monate warten. Mit der 2. Impfung wird es sportlich. Ob Herr Spahn dann für diejenigen, die dann einen Schuss bekommen haben, den 2. auch beibringt.

[0:32:14]:

Camillo Schumann:

Das war jetzt nur von mir nur orakelt, dass man dann diese Zeit nutzen könnte, damit wieder Impfstoff produziert wird, der dann auch geliefert und verteilt wird. Meinen Sie, ob das dieser Plan ist und ob er aufgehen könnte?

[0:32:29]:

Alexander Kekulé:

Das wird auch überall diskutiert. In den in Großbritannien zum Beispiel wird jetzt gerade in genau dieser Kommission, die ich vorhin genannt habe, im MHRA, diskutiert, was ist, wenn die nicht liefern, wenn die Produktions- probleme haben? Jemand hat die drei Monate rum, was machen wir denn dann? Kann man

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dann zum Beispiel über Kreuz nehmen, also jemand, der Biontech-Impfstoff bekommen hat, darf der dann die 2. Dosis von Moderna kriegen oder vielleicht sogar von AstraZeneca? Da bin ich dagegen, an der Stelle zu experimentieren. Ja, wir sind hier nicht irgendwo im Busch, wo man notfallmäßig Menschen vor dem Tod retten muss, weil Ebola ausgebrochen ist. Sondern wir haben hier eine relativ hoffentlich noch kontrollierte Situation bei den Impfungen. Und deshalb muss die Bundesregierung zumindest an der Stelle sagen, wenn wir das auf drei Monate verlängern, dann planen wir das aber militärisch durch, dass nach drei Monaten jeder seine 2. Dosis kriegt, und zwar vom gleichen Hersteller. Und dann müssen wir auch dafür sorgen, dass das zum Beispiel in dieser Zeit zwischendurch ganz akribisch dokument- iert wird. Die Leute müssen überwacht werden in dieser Zeit. Da muss kommentiert werden, wer ist da krank geworden? Das kann mög- licherweise das ganze Programm torpedieren, wenn man feststellt, ups, da gibt es ganz viele, die sich infizieren nach der ersten Injektion, also wenn man so lange wartet. Das heißt also, da muss man ganz sauber untersuchen: Wie ist es dann? Wo gibt es die Probleme nach der ersten Impfung? Wie häufig ist es? Und wenn man feststellt, dass wird dann häufiger oder vielleicht sogar die Krankheitsverläufe werden länger – es ist auch möglich, dass die Leute dann nicht so schwer krank sind, aber dafür länger des Virus ausscheiden, was auch wieder die Gefahr von Mutationen birgt –, wenn man so was sieht, müsste man das abbrechen. Da braucht man eine ganz gute Planung dafür, dass man die Leute, die man dann länger warten lässt, unter Kontrolle hat.

Vielleicht ein letztes Wort dazu, damit man versteht, warum ich da so zur Vorsicht mahne: Bei den Zulassungsstudien, konkret von Moderna, habe ich jetzt gerade die Zahlen noch einmal gesehen. Da war es so: Da hatte man elf Fälle in der Gruppe der elf Infektions- fälle, die Covid bekommen haben, klinisch in der Gruppe der Geimpften. Im Gegensatz zu ungefähr 185 Fälle bei den Ungeimpften. Und aus diesem Verhältnis hat man dann diese Wirksamkeit von 95 Prozent errechnet. Aber alle elf Fälle sind nach der ersten Impfung

aufgetreten. Das heißt also, der typische Impfversager – so würde man das nennen unter Immunologen – tritt eben genau nach der ersten Impfung auf. Das haben diese Studien gezeigt und nicht nach der 2., wenn es dann sicher ist. Und wenn wir jetzt sehen, da sind so viele Impfversager, dass das gefährlich wird Richtung Mutanten. Dann muss man unter Umständen diese Strategie wieder einfangen. Aber mit dieser Vorgabe, dass man das sehr genau beobachtet, würde ich sagen, Ü70 kriegen es nach Schema. Und wenn es nur um die epidemiologische Herden-Immunität geht, dann gibt man den Leuten nur einen Schuss und stellt aber sicher, dass sie inner- halb von drei Monaten den 2. bekommen.

[0:35:45]:

Camillo Schumann:

Wir sind gespannt, wie sich die Stiko dann entscheiden wird und ob der Plan umgesetzt wird. Bisher ist es ja nur ein Auftrag, das Ganze mal zu prüfen, um dann die Zeit zu überbrücken, um dann schnell mehr Impfstoff zu bekommen. Wir sind sehr gespannt. Und wenn das hier im Podcast dann auch sprechen. Bisher wird der Impfstoff von Biontech/Pfizer verimpft, und die andere Firma ist Moderna. Der Begriff ist ja auch schon gefallen. Die Zu- lassung steht in der EU auch bald aus. Beide Firmen haben einen mRNA-Impfstoff auf den Markt gebracht. In Großbritannien haben wir nun die weltweit ersten Impfungen mit dem Mittel von AstraZeneca begonnen. Für die EU ist der Corona-Impfstoff aber noch nicht zuge- lassen. Die große Frage ist: Wie unter-scheidet sich der Impfstoff zu dem von Biontech/Pfizer? Auf jeden Fall schon mal im Preis. Das kann man feststellen. Der AstraZeneca Impfstoff, von dem ja auch nur eine Dosis notwendig ist, soll nur rund 1,80 Euro kosten, der von Mod- erna 18 Euro und der Impfstoff von Biontech /Pfizer rund 12 Euro, und da muss man ja zwei Impfung bekommen, über die wir gesprochen haben. Und der Preis erklärt dann auch die Zusammensetzung des Impfstoffs, oder?


NEWS FEATURE

28 April 2020

The race for coronavirus vaccines: a graphical guide

Eight ways in which scientists hope to provide immunity to SARS-CoV-2 .

Ewen Callaway

https://www.nature.com/articles/d41586-020-01221-y


[0:36:53]

Alexander Kekulé:

Darüber haben wir gerade gesprochen. 

[0:40:55]:

Camillo Schumann:

Wenn schon Experten und Wissenschaftler noch viele Fragezeichen haben, wie soll es erst unseren Hörern gehen? Oliver aus Bayern, hat geschrieben: „Herr Kekulé, wenn die breite Bevölkerung voraussichtlich im 2. Quartal geimpft werden soll, haben wir mindestens drei in Europa zugelassene und verfügbare Impfstoffe bei Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca. Wenn Sie wählen könnten, welchen würden Sie persönlich bevorzugen? Für mich als Laie ist es

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schwer, nennenswerte Unterschiede herauszufinden. Viele Grüße.“

[0:41:22]:

Alexander Kekulé:

Das ist schwierig zu sagen. Ich würde, wenn ich mich impfen lassen darf – das ist sehr sinnvoll, sich zu impfen – wenn ich drankomme irgend- wann mal, würde ich gucken, wie die Daten- lage zu diesem Zeitpunkt ist. Denn wir beo- bachten jetzt Biontech- und den Moderna- Impfstoff in einer Post-Marketing-Studie oder auch Bilanz-Studie. Wir beobachten, wie er auf der Straße funktioniert. Vor allem sind da jetzt die Nebenwirkungen interessant. Dass der wirksam ist, das ist ziemlich klar, übrigens auch höchstwahrscheinlich gegen diese neue Variante aus England, diese hochinfektiöse Variante. Es sieht so aus, dass er auch dagegen funktioniert. Und jetzt hat man ja Millionen von Menschen, die in der nächsten Zeit ge- impft werden und die Daten, die Neben- wirkungen werden ja kontinuierlich gemeldet. Und wenn dabei jetzt nicht irgendetwas Katastrophales passiert, dann schätze ich mal, dass sich Anfang April – das war jetzt die Frage des Hörers – in der Lage wäre, dass ich einige Millionen Daten habe von Leuten, die mit dem RNA-Impfstoffen geimpft wurden und bis dahin wesentlich weniger wahrscheinlich mit dem AstraZeneca. Außer es wird irgendwo in Indien die große Impfung begonnen. Aber Großbritannien alleine wird nicht so wahn- sinnig viele Impfdaten bringen. Und dann ist klar: Wenn die Daten sehr stark sind für die mRNA-Impfstoffe, aber noch fraglich für die Vektor-Impfstoffe, dann würde ich den mRNA- Impfstoff bevorzugen. Wenn Sie mich vor drei Monaten gefragt hätten – ich weiß nicht, ob ich das schon mal gesagt habe -, da hätte ich gesagt, ich nehme den chinesischen Impfstoff von Novak. Das ist einer, bei dem ganz klas- sisch des Sars CoV-2 Virus plattgemacht wurde. Das wird inaktiviert, wie wir sagen. Töten darf man ja beim Virus nicht sagen, weil das nicht lebt. Das wird inaktiviert mit Methoden, die es irgendwie schon seit hundert Jahren gibt. Und das hätte ich, glaube ich, als erstes genommen, weil ich da gesagt hätte, da weiß nicht genau, ob es hilft. Aber es hat zumindest wahrschein- lich keine Nebenwirkungen, wenn ich mir das

geben lassen. Und jetzt ist meine persönliche Favoritenposition so ein bisschen umge- schwenkt auf die RNA-Impfstoffe, weil da einfach die Daten doch sehr überzeugend sind.

[0:43:44]:

Camillo Schumann:

Ja, und dann schauen wir mal, wie die Daten- lage ist. Und hier im Podcast, lieber Oliver aus Bayern, haben wir immer regelmäßig einen Blick auf die neuesten Entwicklungen der Impfstoffe. Und dann können wir vielleicht auch einen Hinweis geben. Wir befinden uns im harten Lockdown, Herr Kekulé. Und die große Frage ist, wie lange soll er gehen? Wie soll er weitergeführt werden? Heute berät er weder die Kanzlerin mit den Länderchefs in einer Videoschalte, und zum Zeitpunkt unserer Aufzeichnungen tun sie das noch. Wir können also über konkrete Beschlüsse noch nicht reden, was sich aber vor dieser Videoschalte angedeutet hat, ist, dass der harte Lockdown bis mindestens Ende des Monats verlängert werden soll. Ist das eine gute Idee?

[0:44:20]:

Alexander Kekulé:

Das ist eben schwierig, denn ohne die Daten vom RKI zu encodieren, ist es wie Kaffeesatz lesen. Sie haben mich gefragt, was ich in der Impfkommission empfehlen würde. Da wüsste ich echt nicht, was ich sagen soll, weil mir keiner Daten auf den Tisch legt. Was wollen Sie dann entscheiden, gerade als Politiker? Da sind sie ja auch auf etwas angewiesen. Politiker sind es gewohnt, dass sie mit 50 Prozent der Info- rmationen eine hundertprozentige Ent- scheidung treffen und dann auch hinterher begründen und auch erklären, warum es so sein musste. Das ist der Auftrag des Politikers. Die können nicht warten, bis alle Daten auf dem Tisch liegen. Aber wenn es so mau ist wie im Moment – es ist ja so, dass die Infektions- zahlen deutlich runtergehen. Dass die Sterb- lichkeit aber zu hoch ist, hört man in den Medien oft. Es sterben noch so viele Leute. Deshalb müssen wir in der Lockdown-Phase verlängern. Das ist natürlich zu kurz gedacht, weil sich die Sterblichkeit den Infektionen um zwei bis drei, manchmal sogar vier Wochen

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nachschleppt. Das heißt also, das ist eine deutliche Verzögerung. Und das kann deshalb sozusagen nicht unser Gradmesser für die aktuellen Maßnahmen sein. Und auch die sogenannten Neuinfektionen sind ja eigentlich Infektionen, die vor zwei Wochen stattge- funden haben. Das Casting, also diese mathematische Methode, mit der das Robert- Koch-Institut versucht, ein Bild vom Jetzt abzugeben, hat sich in den letzten Wochen gerade vor Weihnachten als schwach er- wiesen. Da hat das Casting nicht so richtig funktioniert. Das liegt auch daran, dass das umso schwächer ist, je weniger die Werte schwanken. Und im Moment liegt es ja ständig bei R = 1. Also können Sie mit den Zahlen eigentlich nichts anfangen. Und wenn sie keine Zahlen haben, dann brauchen Sie Modelle, dann brauchen Sie Arbeitsmodelle. Ich sage immer Arbeitshypothesen. Und meine Arbeits- hypothese ist bekanntlich, dass ich sage: Wir haben deshalb so Schwierigkeiten, die Zahlen runterzukriegen aus zwei Gründen: Nummer eins: Infektionen im Haushalt, das habe ich so als Lateral-Effekt bezeichnet. Dass man also im gleichen Haushalt einer nach dem anderen sich durchinfiziert. Das würde auch dieses R = 1 erklären, dass also statistisch immer eine einen weiteren innerhalb seiner Ansteckungsfähig- keit angesteckt hat. Und nicht so die Riesen- ausbrüche wie es zum Teil früher war.

Und der 2. Effekt, den wir haben, ist, dass ein Teil der Bevölkerung einfach die Nase voll hat. Die machen da nicht mehr mit. Und da lebt Berlin in so einer Bubble. Irgendwie sollen wir den Lockdown verschärfen oder noch etwas verbieten oder noch anders vorschreiben. Das ist ein Teil der Bevölkerung komplett Wurst inzwischen. Und dort gibt es natürlich dann kontinuierlich Infektionen. Und das ist das nicht nur irgendwelche renitenten Corona- Leugner, sondern das sind ganz normale Menschen, die irgendwo auf dem Land im Dorf leben. Die Hälfte des Dorfes ist schon krank gewesen. Ein Opa ist gestorben, das finden alle ganz fürchterlich. Aber das nehmen sie nicht zum Anlass, sich alle einsperren zu lassen. Und dies ist dieses Grundgefühl. Das ist bei vielen Leuten da. Man traut sich nicht mehr, das zu äußern. Und das halte ich für einen gefährlich- en Spaltpilz auch. Und das ist ein Grund,

warum wir weiterhin solche Infektionszahlen haben. Und dann natürlich die Ausbrüche in den Alten und Pflegeheimen, die man ja nach wie vor nicht im Griff hat, sondern jetzt offen- sichtlich das mit dem Impfstoff versuchen will. Was soll dann eine neuer Lockdown? Welche Maßnahme soll man da empfehlen? Da fällt mir nichts ein, was irgendwo jetzt Aussicht auf Wirksamkeit hat, denn sie können in der Wohnung nichts machen. Sie können, weil wir ja keine Ausweichmöglichkeiten haben – Stichwort Fieber-Kliniken gibt es nicht –, in den Altersheimen hat man es offensichtlich nicht geschafft. Konzepte gab es ja seit März dafür, aber es ist nicht umgesetzt worden, Stichwort Testung und so weiter und FFP2-Masken. Und dann die Leute, die sowieso keine Lust mehr haben, sich an irgendetwas zu halten. Da können Sie nicht in jede Wohnung einen Polizisten stellen.

[0:48:10]:

Camillo Schumann:

Dann sind wir einfach mal gespannt, was da noch so beschlossen wird. Wir müssen uns ja gar nicht bewerten und gar nicht rumorakeln, was vielleicht dann auch noch die beste Variante wäre. Wie Sie das Ganze sehen, haben Sie jetzt gerade noch mal wunderbar auf den Punkt gebracht. Bayerns Minister- präsident Markus Söder hat auf jeden Fall gesagt, dass bis zum 31. Januar da nichts geht und der Lockdown so bleibt, wie er ist. Und er hat auch gesagt, es ist alles, was wir derzeit tun, immer nur auf Sicht. Und der SPD- Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat bei NTV immer so ein bisschen skizziert, was er vermutet, wie lange dieser Lockdown gehen könnte? Möglicherweise noch ziemlich lange. Und das hat er gesagt:

[0:48:48]:

„Ich würde auch gar kein Datum für das Ende des Lockdowns in den Vordergrund stellen. Es wäre wichtiger, hier auch ein Ziel zu erarbeiten, was der Bevölkerung auch zu vermitteln ist, und zwar, dass eine bestimmte Inzidenz erreicht ist. Aus meiner Sicht wäre die beste Inzidenz, die wir jetzt so erreichen könnten. 25 pro 100.000 pro Woche. Wenn dieses Ziel

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erreicht ist, die ist etwas niedriger als die 50, die wir vorhatten. Aber wir müssen vorsichtig sein, dass wir nicht früher aus dem Lockdown rausgehen und dann von vorn anfangen müssen. Diese Ziel-Inzidenz von 25, wenn die erreicht wäre, dann sollten die Bevölkerung wissen, können wir aus dem Lockdown heraus.“

[0:49:28]:

Camillo Schumann:

Was sagen Sie dazu?

Alexander Kekulé:

Auweia, das könnte bedeuten, dass wir alle bis Juni im Lockdown bleiben. Ich schätze den Herrn Lauterbach sehr, ich diskutiere auch gelegentlich mit ihm seine und meine Vorschläge. Das ist ja auch hinter den Kulissen klar, dass man da auch mal drüber spricht. An der Stelle glaube ich, das ist psychologisch nicht gut. Gerade er begründet ein bisschen psychologisch, wie man das der Bevölkerung auch erklärt, sozusagen so eine Zahl in den Raum zu stellen, wo keiner dazu sagen kann, ob das jetzt bis Juni dauert oder vielleicht dann doch bis August. Keine Ahnung, wie es weitergeht. Falls der Lockdown, aus welchen Gründen auch immer, nicht funktionier, dann bliebe man halt bei 50. Und was ist denn dann? Das können sie dann im April nicht mehr erklären.

Wenn ich es mal so als Schlagzeile formuliere: Schluss mit Lockdown, nicht morgen, aber bald. Und wir müssen umsteigen auf ein alter- natives Konzept. Und da kann ich nur noch einmal daran erinnern, diese SMART-Konzept, was wir besprochen haben, darf an der Stelle auch noch einmal sagen, ich habe einen ganzes Buch gerade darüber geschrieben, da steht es im Detail drin. Es gibt Alternativen, das SMART- Konzept ist eines, wie man aus diesem Lockdown raus in eine Phase kommt, in der wir mit dem Virus, mit Maßnahmen, die man im Grunde genommen vertreten und verkraften kann, ohne die Wirtschaft zu strangulieren und ohne sich sozial fertigzumachen und psychologisch, wie man damit weiter umgeht. Das ist so Stichwort Moskitonetz bei Malaria. So gibt es eben Maßnahmen, mit denen wir hier klarkommen können. Und ich will es jetzt

nicht noch einmal hier aufführen. Aber das ist dringend notwendig, auf eine Methode umzu- steigen, die weniger wehtut, aber genauso gut schützt am Ende des Tages. Und da hat man sich zu wenig Mühe gegeben, das zu machen. Und es ist ja so: vielleicht doch noch einmal kurz der Schutz der Risikogruppen. Das wäre der Buchstabe S. Da stehen wir kurz davor. Ob man das jetzt mit der Impfung oder vielleicht zusätzlich dann doch mit den Tests mit den Masken schafft in einem Altenheim, das muss man eben beschleunigen. Wir müssen eben konsequent überall die Masken tragen. Nicht, dass es heißt, in einigen Bereichen ja, in anderen Bereichen nein. Das wäre ja kein Lockdown, wenn man mit der Maske rum- laufen muss. Das darf man auch nicht so politisieren, das Thema Masken. Wir müssen die aerogenen Infektionen vermeiden. Also immer dann, wenn viele Leute in einem engen Raum zusammen sind. Das muss man staatlich kontrollieren. Wir brauchen eine reaktions- schnelle Nachverfolgung von neu aufgetretenen Fällen. Da hab ich vor- geschlagen, dass man parallel zu dem System, was Gesundheitsämter haben, ein System hat, was privat funktioniert und die Leute am besten über eine App oder Ähnliches. Immer dann, wenn mehr als 20 Menschen sich treffen. Oder man kann auch sagen, zehn oder 15, das dann parallel sein Meldesystem auf dem kleinen Dienstweg privat entsteht. Und dass die Schnelltests hochgefahren werden, die sind ja jetzt endlich da, die Schnelltests, sodass ich aus meiner Sicht nicht verstehe, warum man da weiterhin mit dem Riesen- hammer draufhaut, statt ein bisschen chirurgischer, selektiver vorzugehen. Und so ein selektives Konzept brauchen wir dringend, statt jetzt stur zu sagen: wir bleiben quasi bei diesem Hammerkonzept, bis die Fallzahlen unter 25 fallen.

[0:52:50]:

Camillo Schumann:

Aber nichtsdestotrotz braucht es eine händelbare Zahl an Neuinfektionen, um das dann auch umsetzen zu können. In der derzeitigen Situation wäre es möglicherweise noch zu viel und zu unübersichtlich.

14

[0:53:01]:

Alexander Kekulé:

Alexander Kekulé:

Nein, wenn sich die Leute halbwegs vernünftig verhalten aus meiner Sicht nicht. Das ist ja auch wieder das Stichwort Arbeitshypothese. Ich gehe seit Januar letzten Jahres davon aus, dass aerogene Übertragungen im Freien, wenn überhaupt, dann ganz minimal stattfinden. Da müssen zwei Menschen nahe Gesicht zu Gesicht stehen. Und mit dieser Grund- hypothese, die bis jetzt nicht widerlegt wurde durch irgendwelche Daten, ist es so, dass man sagen kann, nein, wenn Leute beim Schlitten- fahren sind im Freien und natürlich zusammen- bleiben in den Gruppierungen, in denen sie auch im Haushalt sind, dann ist es überhaupt keine Gefahr. Und deshalb täuschen auch diese Bilder, die dann einmal so zitiert werden in den Nachrichten: Die sagen immer: Schaut mal her, dieser wahnsinnige Stau der Straße, die vielen Autos hintereinander, fürchterlich. Die Leute halten sich nicht an die Auflagen oder Ähnliches. Da infiziert man sich ja ganz offensichtlich bei niemandem, wenn es von Auto zu Auto geht. Und das Gleiche gilt auch, wenn jeder seinen Rodelhang runterfährt und ein bisschen Abstand von dem anderen hält. Also mit zwei Meter Abstand im Freien ist man da im grünen Bereich. Und ich glaube, so voll kann es gar nicht werden im Harz oder sonst wo in den Bergen.

Camillo Schumann:

Doch das ist ja das Verrückte. An manchen Stellen war es halt sehr, sehr voll, und die Menschen standen dicht an dicht.

Alexander Kekulé:

Das sollte man vermeiden, also mit Fremden über längere Zeit als ein paar Sekunden Schulter an Schulter zu stehen, das würde ich jetzt schon versuchen zu vermeiden. Da muss man halt unter Umständen dann auf dem einen Rodelhang, wo es vielleicht so ist, dass es sich total knubbelt, muss man eine Höchstzahl von Besuchern festlegen. Die Diskussion hatten wir ja schon bei Weihnachtsmärkten. Da ist eigentlich genau das Gleiche. Ein nicht über- füllter Weihnachtsmarkt ist überhaupt kein Problem im Freien. Wenn es natürlich dann so voll wird, dass die Leute sich drängeln und schubsen und dann kein Abstand mehr halten können, weil es einfach zu eng ist, dann geht

Die derzeitige Situation ist eben unklar. Und das ist der Hauptgrund, den Lockdown noch um ein bis zwei Wochen zu verlängern. Das wäre jetzt mein Plädoyer gewesen, haupt- sächlich mit dem Argument, dass wir keine Zahlen haben, um was zu entscheiden. Wir wissen überhaupt nicht, was es bewirkt hat. Und wir wissen vor allem nicht, welcher Teil des Lockdowns. Da sind ja ganz viele Sachen gemacht worden, die Schulen wurden geschlossen, die Geschäfte, die ganze Kultur heruntergefahren und die Kontaktverbote. Wir wissen gar nicht, welcher Teil von diesen Maßnahmen wirksam war und welcher nicht, falls es überhaupt was gebracht hat. Und da brauchen wir einfach, und da ist wieder das Robert-Koch-Institut gefragt, ein bessere Zahlen. Die Politik braucht sie. Und wenn wir in zwei Wochen sehen, jawohl, das hat was gebracht, weil dann die Zahlen hoffentlich endlich auf dem Tisch liegen, dann würde ich sagen, ist auf jeden Fall der Zeitpunkt gekom- men, um von diesem Lockdown auf so etwas wie diese SMART-Konzept umzusteigen.

[0:54:01]:

Camillo Schumann:

ist

Weil Sie vorhin schon von Menschen angesprochen haben, denen jetzt mittlerweile alles Wurst ist. Die Mittelgebirge haben am Wochenende einen ziemlich einen Ansturm von Ausflüglern erlebt und werden das möglicherweise an diesem Wochenende an dem kommenden Wochenende wieder erleben. Harz, Winterberg im Sauerland, Großer Feldberg, bayerische Alpen, überall das gleiche Bild kilometerlange Staus, überlastete Straßen, die Parkplätze voll Müll, Fäkalien zwischen Bäumen und Wegen. Einige Orte wollen sich nun für Besucher komplett abriegeln. Mal abgesehen von Müll und Staus, dass das alles nicht so richtig schön ist. Sind überfüllte Skihänge und Wanderwege ein epidemiologisches Problem?

[0:54:41]:

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es nicht mehr. Jetzt habe ich vielleicht eine falsche Vorstellung davon, wie es auf den deutschen Mittelgebirgen so aussieht. Je nach dem, wie groß die Berge sind, gibt es dann normalerweise schon die Möglichkeit, dass man halbwegs vernünftig Abstand hält. Das muss sozusagen das Kriterium sein. Solange die in der Lage sind, im Freien diese berühmten eineinhalb Meter einzuhalten, dann ist es meines Erachtens in Ordnung. Ich persönlich würde da nicht hinfahren aus den Gründen, die sie nicht besprechen wollten, nämlich wegen der Fäkalien, wegen des Mülls. Weil ich nicht wüsste, wo ich meine Kinder auf die Toilette bringen soll, wenn es kalt ist, weil ich nicht wüsste, wo ich reingehen soll, um mich aufzuwärmen. Setzen Sie sich dann ins Auto und lassen alle Motor laufen, was übrigens verboten ist? Und wegen des Staus auf der Autobahn. Das wären für mich persönlich die Gründe, das nicht zu machen. Und mein Appell würde in diese Richtung gehen, kaum aber wegen einer Ansteckungsgefahr im Freien. Das muss man auch hinkriegen, dass man von anderen Leuten ein bisschen Abstand hält es, das ist doch heutzutage, nach fast einem Jahr Pandemie, doch irgendwie schon Routine.

[0:57:39]:

Camillo Schumann:

Gut, wir wollten es auch nur einmal theoretisch besprechen, weil die Bilder ja nun die Schlagzeilen bestimmt haben und sich viele fragen: Ja, mein Gott, wenn ich da draußen ein bisschen Ski fahre, kann das doch nicht so schlimm sein. Und wir haben es im Podcast besprochen. Wir kommen damit zu den Hörerfragen.

Herr Kekulé, wir hatten in der Weihnachtsausgabe vom 22. Dezember ja darüber gesprochen, was ist bei uns Heilig Abend zum Essen gibt. Was gab es bei Ihnen eigentlich? Da haben Sie sich ja noch ein bisschen bedeckt gehalten damals.

[0:58:05]:

Alexander Kekulé:

Hatte ich das? Wir haben eine Weihnachtsgans gemacht. Aber in diesem Fall nur zu viert

gegessen, das ist ziemlich viel. Da war ziemlich viel dran an dem Vieh. Aber wir hatten es auch schon vorher bestellt, bevor festgelegt wurde, dass jetzt an Weihnachten die Teilnehmerzahl so stark reduziert wird. Und da wollten wir uns dann auch brav daran halten, zumal wir auch in der Familie sowohl Kinder haben als auch ältere Menschen. Das klassische Weihnachts- fest ist bei uns im großen Stil. Das ist bei uns ausgefallen.

Camillo Schumann:

Also es gab eine große Gans, von der Sie wahrscheinlich noch den ersten 2. Weih- nachtsfeiertag gegessen haben, könnte ich mir gut vorstellen.

Alexander Kekulé:

Nein, die ist tatsächlich weggeputzt worden. Aber das war nicht ich. Denn wenn ich sie selber gemacht habe, kann ich das Fett hinter- her nicht mehr riechen. Da verstehe ich dann jeden Vegetarier, ehrlich gesagt. Und esse dann immer nur ganz, ganz wenig davon. Ach übrigens für alle, die da Spaß daran haben: Übermorgen ist auch noch eine Chance. Das ist nämlich orthodoxes Weihnachten. Da kann man vielleicht noch nachfeiern, fall noch etwas übrig geblieben ist.

[0:59:03]:

Camillo Schumann:

Und ich hatte ja gesagt, dass es bei uns veganes Gulasch mit Knödeln und Rotkraut gibt. Und das hat unseren Hörer, Herr R., zu folgender Frage gebracht:

„Ich kann bei dem Thema veganes Gulasch nicht widerstehen. Tuberkulose kommt wohl von den Ziegen, Masern und Pocken von den Rindern, Keuchhusten von den Schweinen, Typhus von den Hühnern, Grippe von den Enten. Wäre es auch angesichts der Massen- tierhaltung nicht die beste Pandemie- Prävention, wenn sich möglichst viele Menschen vegan ernährten. Viele Grüße.“

[0:59:34]:

Alexander Kekulé:

Die Liste ist nicht ganz richtig. Zumindest zum

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Teil sind dann nur einseitig mögliche wissen- schaftliche Diskussionen angesprochen worden. Ja, aber das grundsätzliche Thema: Durch die tierische Ernährung, durch die Ernährung mit Fleisch bekommt man auch Viren ab. Es gibt sogar einen Nobelpreisträger einen deutschen Nobelpreisträger, Harald zur Hausen, der hat die Spekulationen in den Raum gestellt, nachdem er seinen Nobelpreis für etwas anderes bekommen hat, dass möglicherweise durch Verzehr von rotem Fleisch, also Rindfleisch und Ähnlichem, gerade wenn es nicht ganz durchgegart ist, Viren übertragen werden, die zum Beispiel Darm- krebs auslösen könnten. Das ist nicht belegt. Das ist auch damals sehr kontrovers diskutiert worden, weil das eine Hypothese ist. Aber ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, dass wir durch die Aufnahme von Viren mit Fleisch, also tierischen Erregern, uns tendenziell krank machen. In der Entwicklungsgeschichte des Menschen vor ungefähr 20.000 Jahren sind wir sesshaft geworden. Vorher waren es Jäger und Sammler. Und dann haben sie angefangen, Landwirtschaft zu machen. Und da haben wir dann auch angefangen, Tiere zu halten, auch um sie zu schlachten. Und dann kamen auch die Haustiere dazu, weil jemand, der in großen Getreidespeicher hat, da freuen sich die Ratten und ziehen dann unauffällig mit ein. Und diese Nähe zu den Tieren führt zu diesen ganzen Infektionskrankheiten, bis zu dem Sars-Cov-2, was er indirekt, möglicherweise auch durch zur Schlachtung vorgesehene Tiere übertragen wurde. Also ich glaube, es ist nicht die Lösung aller Probleme. Aber ja, es ist so, dass viele Erkrankungen, die wir haben als Menschen dadurch entstanden sind, dass wir angefangen haben, Tiere uns als Haustiere zu halten. Die brüten ja auch die eine oder andere Krankheit aus da im Schweinestall und sonst wo, und wenn man das nicht machen würde, hätten wir weniger Infektionskrankheiten.

[1:01:28]:

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 134. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann an Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé:

Ich freue mich drauf. Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie an mdraktuell-podcast@mdr.de oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 322 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Dienstag, 22.12.2020 #133: So wird Weihnachten sicher

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Link-Tipp:

Zulassungsverfahren der Europäische Arzneimittelbehörde

https://www.ema.europa.eu/en/authorisation- procedures

Dienstag, 22. Dezember 2020.

Was weiß man über die neue Virus- Mutation aus Großbritannien? Und was weiß man nicht?

Der BioNTech/Pfizer Impfstoff hat in der EU eine bedingte Zulassung erhalten. Der Bundesgesundheitsminister spricht aber von einer regulären Zulassung. Was ist der Unterschied? Und macht es einen Unterschied?

Und Weihnachten steht vor der Tür. Macht ein Schnelltest vor dem Fest nur bei Symptomen Sinn? Ist die Bahnfahrt zur Familie ein Risiko? Birgt das Weihnachtsessen eine Gefahr? Wer sollte zum Fest eine Maske tragen?

Wir beantworten Ihre Fragen zum Fest. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Moderator, Redakteur bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Heute zum letzten Mal in diesem Jahr haben wir einen Blick auf die neusten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Kurz vor dem Jahresende gibt es gute Nachrichten vom Impfstoff: Der von BioNTech/Pfizer ist gestern in Europa zugelassen worden. Das sprechen wir ja gleich drüber. Aber die Freude über den Impfstart wird getrübt, weil es eine offenbar hochansteckende Virus-Mutation gibt. Die dazu geführt hat, dass Großbritannien vom Rest der Welt quasi abgeschnitten wurde, um die Ausbreitung dieser Variante in Kontinentaleuropa zu verhindern. Aber diese neue Mutante ist er auch schon in Italien, Holland und auch in Dänemark nachgewiesen worden. Also, konsequenterweise müsste man doch jetzt die Grenzen in Europa schließen, oder?

(01:41)

Alexander Kekulé

Nein, so ist es nicht. Wir haben in den Ländern, die Sie genannt haben, Einzelnachweise. Da ist jeweils einmal diese Mutante nachgewiesen worden. Ist es so, dass in Dänemark wohl mehrere gefunden wurden. Ich weiß jetzt nicht, ob das zehn oder 20 waren, in der Größenordnung. Ansonsten sind es Einzelnachweise gewesen. Wenn man verstehen will, was passiert, wenn so eine Mutante sich ausbreitet, muss man sich ein bisschen erinnern an die Situation damals, als in Norditalien der schwere Ausbruch war. Der hat ja dann zur weltweiten Verbreitung der sogenannten G-Variante geführt. Und auch damals war es so, das mutierte Virus ist eine ganze Weile zirkuliert. Also man hat diese G- Variante zum Beispiel auch in Deutschland nachgewiesen. Meines Wissens gab sogar aus München eine Probe, wo mal diese G-Variante drinnen war. Auch in China ist die mal nachgewiesen worden. Aber sie hat sich nie in dem Sinne durchgesetzt, dass sie eine explosionsartige Verbreitung gemacht hat. Sofern die neue Variante tatsächlich deutlicher infektiöser ist, und das ist meine Einschätzung, an der ich bisher nichts geändert habe. Da ist es auch hier so, dass, wenn die einmal irgendwo exportiert wird, dann heißt es nicht, dass derjenige, der die Krankheit mit sich trägt, sich so unvernünftig verhält, dass er gleich ein

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Cluster bildet, ganz viele andere ansteckt und das Ganze wie in dem Durchlauferhitzer hochkocht. Das bräuchte man aber für eine echte Ausbreitung in einem weiteren Land.

(03:13)

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz, wenn diese Mutante einmal im Land ist und in denen auch genannten Ländern gehen die Zahlen hoch beziehungsweise sind sie relativ konstant. Woher weiß man denn, dass es eben nicht so ist, was Sie eben beschrieben haben?

Alexander Kekulé

Das ist natürlich nicht nachgewiesen. Aber es ist möglich, dass diese Mutante bereits sich ausbreitet. Aber von der Dynamik her wollte ich eben nur sagen, ein Fall heißt nicht, dass das sich dann quasi automatisch verbreitet. Es kommt sehr darauf ankommt, wie der eine Fall, der Infizierte, sich verhält. Gerade in Deutschland kann man davon ausgehen, wenn es Exporte gab, dass sie hier auf eine Situation getroffen sind, wo man einen partiellen oder sogar vollständigen Lockdown hatte. Und das bedeutet natürlich, dass die Wahrscheinlich- keit, dass es zu so einer Art Durchlauferhitzer- Event kommt, noch geringer ist. Drum plädiere ich dringend dafür, ist zumindest zu versuchen. Und zu hoffen, dass wir die Möglichkeit haben, das eine Weile auf der Insel zu halten. Klar, perspektivisch, im Sinne von mehreren Monaten, wird man das nicht zurückhalten können. Aber möglicherweise kann man die Verbreitung doch eine ganze Weile ausbremsen.

(04:28)

Camillo Schumann

Sie waren auch sehr schnell für das Kappen von Flugverbindungen von der Insel. Die Bundesregierung hat das dann auch getan. Der Virologe Wolfgang Preiser, Leiter der Abteilung für Medizinische Virologie an der Uni Stellenbosch in Südafrika. Dort soll eine ähnliche Variante aufgetreten seien. Der hält diese ganzen Maßnahmen, also dass die Flugverbindungen gestrichen werden, für übertrieben. Im Interview mit der Deutschen Welle hat er gesagt:

„Ich verstehe, dass man etwas unternehmen möchte, bis man die Lage besser einschätzen

kann. Aber ich hoffe, dass sich das innerhalb von einer oder zwei Wochen wieder gibt. Weil ich glaube, dass noch einige Überraschungen es geben wird.“

Was meinen Sie, was er mit Überraschungen meint?

(05:08)

Alexander Kekulé

Das ist schwierig. Eine Überraschung hat es ja so an sich. Apropos Weihnachten, dass man nicht weiß, was drin ist. Wir haben Mutationen von diesen verschiedenen Mutationen ja ständig, die wir irgendwo finden. Je stärker man da sucht, desto mehr findet man. In Südafrika ist zufällig eine sogenannte Variante aufgetreten, die vielleicht so ähnlich ist wie die aus England kam. Darüber habe ich persönlich, muss ich sagen, obwohl ich dies ernsthaft versucht habe, kaum Daten.

In dieser Zoom-Konferenz, wo ich am Sonntag war, woraufhin ich auch die Empfehlung gegeben habe, die Grenzen zu schließen von Großbritannien. Da war auch jemand aus Südafrika dabei. Der hat wirklich nur sagen können, dass eine dieser Mutationen, diese N 501 Y, die ist in der südafrikanischen auch nachgewiesen. Und dann sagte er, es sei noch zehn bis 20 weitere Mutationen gefunden, ohne zu wissen, welche.

Also zehn bis 20 ist, wenn man etwas genetisch untersucht hat, schon extrem ungenau. Oder andersherum gesagt, die Daten aus Südafrika sind extrem ungenau, überhaupt nicht ver- gleichbar mit Großbritannien. Aber wir werden immer mal wieder Varianten finden, wo der Verdacht besteht, dass sie sich schneller verbreiten als andere Typen. Warum das? Weil das Virus sich an den Menschen anpasst und dabei die höhere Ansteckungsfähigkeit so ein typischer Mechanismus ist, der funktioniert. Wir hatten vielleicht letztes Jahr auch schon mal so eine Situation in Dänemark, als da dieser sogenannte „Cluster 5“ gefunden wurde, der von den Nerzen übertragen wurde. Bei den Nerzen gab es auch zum Beispiel eine bestimmte Veränderung im S-Gen, dieses Virus, das so ähnlich aussieht wie das, was man jetzt in England gefunden hat.

Camillo Schumann

„Cluster 5“, das klingt wie so eine Boyband.

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Alexander Kekulé

(lacht) Ja, „Cluster 5“. Wir nennen das Cluster, wenn quasi Häufungen von bestimmten Virus- Veränderungen vorhanden sind. Die werden dann quasi als Cluster bezeichnet. Es ist dann sozusagen eine neue Untergruppe. Und wenn das Cluster sich stabilisiert, würde man es irgendwann als Variante bezeichnen. Und wenn diese Variante irgendwann andere biologische Eigenschaften hat, dann würde man vielleicht mal von so etwas wie einem Subtyp oder Ähnlichem sprechen. Das ist so ein bisschen dynamischer Sprachgebrauch, der auch unter Virologen nicht ganz einheitlich gebraucht wird.

Camillo Schumann

Dass es Mutationen gibt, Varianten, und das, was Sie eben beschrieben haben, ist ja nichts Ungewöhnliches. Das passiert bei der Influenza ja auch. Oder passiert er über einen längeren Zeitraum bei der Influenza?

Alexander Kekulé

Das Influenzavirus hat noch eine viel stärkere Tendenz, sich genetisch zu verändern. Das hat bestimmte Mechanismen, um das zu machen, die die Coronaviren gar nicht haben. Die Coronaviren sind dafür, dass es RNA-Viren sind, besonders stabil sogar eigentlich, weil das sehr große RNA-Viren sind. Die größten, die wir kennen. Daher ist es so, dass das besondere Mechanismen hat, um sein Genom zu schützen vor Veränderungen. Weil je größer das Genom ist, desto mehr musste Organismus dafür sorgen, dass nicht ständig irgendwelche Mutationen auftreten. Man kann so grob sagen, dass bei jeder zweiten Infektions- generation, also praktisch bei jedem dritten, der infiziert wird, eine Mutation auftritt. Das ist für so ein Virus eigentlich relativ wenig.

(08:33)

Camillo Schumann

Da kommt dann am Ende ganz schön was zusammen. Und ob diese Virusmutation von der Insel jetzt schon in Deutschland ist, darüber gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Das hat zumindest Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gestern Abend im ZDF gesagt. Und der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, weiß es auch noch nicht, ob diese

Variante in Deutschland nachgewiesen wurde. Beim heutigen Pressebriefing des RKI hat er dazu folgendes gesagt:

„Wir haben in Deutschland mehr als tausend Genome bislang etwa sequenz-analysiert. Also das Erbgut entschlüsselt und in öffentliche Datenbanken gestellt. Ich weiß aber, dass es immer noch mehr Genome gibt. Ich weiß, dass es auch Labore und Forschungsinstitute gibt, die noch weitere Genome sequenz-analysiert haben. Und ich möchte das mal nutzen, um die Kolleginnen und Kollegen dringend aufzu- fordern, dass sie diese Sequenzen doch bitte in die öffentlichen Repositorien einstellen, damit die Analysen durchgeführt werden können. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Aspekt der soge- nannten „Public health surveillance“, der Über- wachung. Je mehr Informationen wir haben, desto besser können wir das einschätzen.

(09:43)

Camillo Schumann

Der Aufrufe und Appell von Professor Wieler. Also, wenn der Podcast läuft, könnte die Virus- Mutation schon nachgewiesen worden sein.

Alexander Kekulé

Ja, das ist möglich. Aber ich würde jetzt nicht immer den Teufel an die Wand malen. Ich bin einfach immer ganz pragmatisch bei diesen Dingen. Als in China der Ausbruch war, ganz am Anfang, war ich auf weiter Flur der Einzige, der gesagt hat, wir müssen sofort die Einreise aus Wuhan kontrollieren und können die Leute nicht mehr unkontrolliert einreisen lassen.

Klar ist es irgendwie so frei flottierend eine Sicherheitsmaßnahme damals gewesen. Und es hätte sein können, dass man eine Woche später gesagt hätte: „Alarm wieder zurück, war nicht nötig. Wir brauchen es doch nicht.“ Sie sehen aber in diesem Fall dass die Geschichte mir da Recht gegeben hat. Wir haben jetzt eine Situation in England, die sehr stark an den Ausbruch in Norditalien erinnert. Sie erinnern sich vielleicht auch daran, dass ich schon vorher für massives Suchen nach Covid-19 plädiert hatte. Damals, bevor der Ausbruch in Italien entdeckt wurde. Man hat es nicht gemacht. Der Vorschlag ist ja regelrecht abgelehnt worden vom RKI. Daraufhin wurde der Ausbruch in Norditalien übersehen, mit der bekannten Konsequenz, dass die G-Variante

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sich weltweit ausgebreitet hat. Weil die stärker infektiös ist als der vorherige Wuhan-Typ. So, jetzt haben wir die nächste Situation in Eng- land. Klar, kann man sagen: „Das hat sowieso alles keinen Sinn. Irgendwann kommt das Virus sowieso.“ Ich bin der Meinung, dass man ganz pragmatisch sagen muss, wenn es ein kleines Zeitfenster gibt, wo man eine gewisse Chance hat, eventuell was auszubremsen, dann muss man dieses Zeitfenster nutzen. Gerade im Hinblick auf den Impfstoff, den wir demnächst haben werden. In 14 Tagen, da würde ich sagen, dass die Daten dann genauer bekannt sind. Wenn wir in 14 Tagen dann ganz genau sagen können, das war überflüssig. Ja, wir waren alle zu nervös. Der Kekulé hat sich geirrt. Der hat am Sonntagmittag irgendwie zwar einen Sicherheitsschritt empfohlen, aber der war übertrieben. Dann ist das so ähnlich, als wenn im Kaufhaus mal die Sprinkleranlage geht und es brennt doch nicht richtig. Aber das ist längst nicht so schlimm wie der umgekehrte Fall. Wenn die Bude abgebrannt ist und Sie sich hinterher denken: „Hätte ich doch auf den Sprinkler gedrückt.“ Deshalb glaube ich, dass ist hier das kleinere Übel für 14 Tage die Insel abzugrenzen. In der Größenordnung wird es maximal sein, falls es ein Fehlalarm war. Politisch können wir aber auch darüber reden. Klar hat die EU deshalb schneller reagiert und auch Deutschland, weil man Spaß daran hatte, natürlich dem Herrn Johnson mal vorzuführen, wie das so ist, wenn die Insel abgeschnitten ist. Sie wissen, die Verhandlungen laufen gerade in der heißen Phase. Da hat sicherlich die Politik der Virologie geholfen.

(12:23)

Camillo Schumann

Das ist jetzt Ihre Interpretation. Ich habe das RKI auch noch zusätzlich angefragt. Und da wurde mir geantwortet:

„Ansprechpartner für die Sequenzierung ist das Konsiliarlabor für Coronaviren an der Berliner Charité. Einen Überblick über die aktuelle Situation liefert eine Internetseite.“

Da habe ich draufgeklickt. Stand heute: 831 Sequenzen wurden da gemacht. Konsiliarlabor. Für die Hörer dieses Podcasts ist es das erste Mal, dass dieser Begriff so gefallen ist. Was macht so ein Labor?

Alexander Kekulé

Diese 831 nach Website bisher sequenziert ... Insgesamt habe ich gelesen, das ist die Zahl, die Herr Wieler in der Pressekonferenz ge- meint hat. Dem RKI sind laut Website 1742 Sequenzen bekanntest. Das ist offensichtlich dann über die Hälfte von anderen Laboren, die da das zugeliefert haben.

Das ist eigentlich so ein old-fashioned System, was ganz gut funktioniert in Deutschland, außerhalb von Pandemien. Und zwar haben wir für jede Erkrankungssorte, auch für bakterielle Erkrankungen, was die Labordia- gnostik betrifft, haben wir die Labore. Die sollen so ein bisschen die deutschen internen Standards liefern. Die heißen eben Konsiliar- labore des Robert Koch-Instituts. Da ist man sehr stolz, wenn man quasi diesen Titel verliehen bekommt. Und das ist auch sehr wichtig, dass wir so einzelne haben, wo man sagt, wenn es zum Beispiel um Mumpsviren geht. Und da kommt jetzt eine neue Frage, weil die Tests nicht mehr funktionieren oder sonst was. Dann wird die eben vom Robert Koch-Institut an dieses Konsiliarlabor weitergeleitet.

Beim alten Bundesgesundheitsamt, was vor vielen Jahren aufgelöst wurde und Riesen- behörde war, da war noch der Ehrgeiz, dass man für jedes dieser Themen sein eigenes Speziallabor hatte. Jetzt ist es so eine Art Netzwerksystem. Das finde ich eigentlich sehr gut, und das hat sich bewährt. Da ist selbstver- ständlich der Christian Drosten, Leiter des Konsiliarlabors, schon lange für Coronaviren in Berlin. Das funktioniert dann so, dass die auch in Friedenszeiten zuständig sind, hauptsächlich Fragen der Diagnostik zu behandeln. Aber das Problem sehen Sie sofort in dem Moment, wo Sie sich mal die Zahlen anschauen. Jetzt haben die auch 831 Sequenzierungen gemacht. Das ist ganz schön Holz für so einen Konsiliarlabor, die das neben ihrer normalen Forschungs- und Diagnostikarbeit machen müssen. Aber das ist natürlich kein Ramping up, keine Vergrößerung der Kapazitäten im Zusammenhang mit einer Pandemie. Für eine Pandemie ist es natürlich so, dass wir jetzt eine außergewöhnliche nationale Bedrohung haben. Und dann zu sagen, also das Konsiliarlabor, das es immer gemacht hat, wird es schon richten. Das

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könnte hier möglicherweise die falsche Strategie gewesen sein.

(15:14)

Camillo Schumann

Zielt da möglicherweise auch der Aufruf von Professor Wieler heute bei einem Presse- briefing hin, dass man alle Labore, die man möglicherweise nicht permanent überwachen kann und überwachen soll, jetzt sozusagen mit ins Boot holt: „Sucht mal diese Sequenz?“

Alexander Kekulé

Herr Wieler ist mir wirklich persönlich sehr sympathisch. Ich kenne ihn schon lange. Und in dieser Lage tut er mir manchmal Leid. Der muss immer sein Gesicht hinhalten, um die Daten zu verkünden. Wir wissen ja alle, von den Gesundheitsämtern kriegt er nicht einmal am Wochenende irgendetwas geliefert. Und das ist jetzt so der nächste Fall. Wissenschaftler sequenzieren halt dann was, wenn sie wissenschaftliches Interesse daran haben. Und die paar Daten jetzt noch zusammenzukratzen, um dann vielleicht von 831 auf 1000 zu kommen, das ist natürlich ein sehr schwacher Versuch.

Wenn wir wirklich hier eine Überwachung machen wollen ... Ich glaube, das haben wir im Podcast schon vor vielen Wochen besprochen, dass es in Deutschland ja leider nicht statt- findet. Darauf gab es offensichtlich keine Reaktion. Wenn wir überwachen wollen, wieso Mutanten auftreten oder auch nicht, dann muss man das ganz systematisch im großen Stil machen. Nicht rumkleckern. sondern wirklich systematisch einen bestimmten Prozentsatz aller abgenommenen Nasenabstriche, Rachen- abstriche, die gemacht werden, der muss sequenziert werden. Das heißt, es muss fest- gestellt werden, wie das Genom des Virus aussieht, um zu sehen, ob sich das verändert hat. Da sind die Briten führend in Europa. Und eine kleine, winzige Scheibe könnten wir uns da in Deutschland davon abschneiden.

(16:56)

Camillo Schumann

Um das mal ins Verhältnis zu setzen, weil Sie gerade auch die Tests angesprochen haben. Wir haben etwa Tests von 1,5 Millionen und haben jetzt Sequenzen, Sie haben zusammen- gefasst 1700 und Apfelstückchen. Und Sie

sagen jetzt, bei jedem Test auch noch das Genom sequenzieren. Also 1,5 Millionen Sequenzen durchführen?

Alexander Kekulé

Vielleicht kann ich doch sagen, warum die gerade in England schon wieder so etwas gefunden haben. Das hat folgenden Grund: Es gibt in Großbritannien ein Konsortium, schon länger. Das heißt Covid-19 Genomics UK Consortium, also das genomische Covid- Konsortium im Vereinigten Königreich. Die nennen sich COG-UK. Die lieben ja immer Abkürzungen. Und dieses COG-UK macht jede Woche einen Bericht, so ähnlich wie die Lageberichte vom RKI über Covid. Sagen Sie mal eine Zahl. Was glauben Sie, in der letzten Berichtswoche, wie viele Sequenzen COG-UK ungefähr veröffentlicht hat?

Camillo Schumann

Um Gottes willen. Das ist richtig gemein, weil ich die Tests nicht kenne.

Alexander Kekulé

Schätzen Sie mal irgendetwas. Wir haben in der gesamten Pandemie 831 sequenziert und 1742 liegen vor.

Camillo Schumann

Das ist wirklich gemein. Ich würde sagen 10.000.

Alexander Kekulé

Es sind in der letzten Woche 137.540.

Camillo Schumann

Na gut, knapp daneben.

Alexander Kekulé

Das war nur von der letzten Woche. So sind die drauf. Die haben 9,7 Prozent aller einge- schickten Tests die sequenziert. In einigen Bereichen des Vereinigten Königreichs sind die besser, in anderen schlechter. Da ging die Sequenzierungs-Quote bis 25 Prozent. Das heißt, zum Teil haben sie ein Viertel aller vorliegenden Tests sequenziert und landesweit 9,7 Prozent. So ist quasi deren Surveillance. Die wollen wissen: Achtung, kommt da eine Mutante?

Jetzt ist das wieder interessant zu sagen, wie wäre das, wenn alle Länder der Welt das so gründlich machen würden? Dann hätten wir wahrscheinlich schon mehr solche Aufreger

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gehabt, wie jetzt aus Großbritannien. Weil es sein kann, das immer mal wieder das Virus sich verändert und dann in Clustern sich ausbildet. Und nach und nach infektiöser wird.

Auf der Insel haben sie das jetzt festgestellt. Boris Johnson hat vielleicht auch ein bisschen politisch gesagt, 70 Prozent stärker infektiös als alle anderen. Vielleicht wollte er damit ein bisschen davon ablenken, dass die Covid- Bekämpfung in England nicht so im guten Ruf steht. Rein von den anti-epidemischen Maßnahmen her.

Wenn er dann sagt, das Virus ist gefährlicher geworden, hat er eine super Ausrede. Dieses Ding ist ihm jetzt als Boomerang ins Gesicht geflogen, weil alle jetzt gesagt haben: „Oh, 70 Prozent. Da machen wir die Grenzen zu.“

(19:51)

Camillo Schumann

Genau. Da sind wir an dem Punkt, was wir über diese Virus-Mutation wissen und vor allem, was wir nicht wissen. Sie haben es eben an- gesprochen. Angeblich soll diese Virus- Mutation bis zu 70 Prozent ansteckender sein. Diese Zahl hat sich seit dem Wochenende verselbständig, wird von jedem nachgeplap- pert. Auch von mir. Aber wie kommt man eigentlich auf diese 70 Prozent? Wie gesichert ist das?

Alexander Kekulé

Ich kann Ihnen ja die Daten sagen, die ich am Sonntag mündlich bekommen habe. Und was ich mir da mitgeschrieben habe, war auch die Basis für die Empfehlung, die Grenzen zuzu- machen. Die haben folgendes letztlich g- emacht. Erstens ist ihnen bei der Surveillance aufgefallen, wo sie ganz viele Sequenzierungen immer machen, ein Cluster im Bereich von Kent, also im Südosten von England. Da hat man gesagt, da in dieser Region ist ein neuer Typ unterwegs. Die haben sie dann auch als „Variant of Concern“ bezeichnet, also als Variante des Virus, auf die man aufpassen muss. Die hat genetische Eigenschaften, die man als gefährlich bezeichnen kann. 23 Mutationen, das ist richtig viel. Und so ein ganzes Paket ist mutiert. Davon eine Mutation an einer ganz wichtigen Stelle im Spike, wo man schon weiß aus anderen Experimenten, dass dadurch die Infektiösität hochgeht. Eine andere Mutation gleich daneben, wo ein

Stückchen fehlt. Da weiß man, dass das auch bei diesen Nerzen in Dänemark passiert ist. Auch dort bestand der Verdacht, dass es infektiöser geworden ist. Also das ganze Paket sieht massiv so aus, als sei das gefährlicher geworden. Daraufhin haben sie gesagt: „Okay, jetzt schauen wir uns das mal genauer an.“ Sie haben festgestellt, dass diese eine Deletion, also ein Ausfall von insgesamt sechs Bausteinen auf der Erbinformation. Das ist einfach ausgebrochen ein kleines Stück. Das ist an einer Stelle rausgefallen, wo eine typische Nachweis-PCR, die die in England verwenden, die plötzlich das interessante Resultat liefert, dass das S-Gen nicht mehr nachweisbar ist. Also bei einer Standard-PCR. Das nennen wir dann S-Drop-out, also das S-Gen fällt raus. Dann haben sie geschaut, wie viel von diesen S-Drop-outs hatten wir landesweit in der letzten Zeit? Und wie haben die sich verteilt? Und weil die diese eine Methode zufällig ganz massiv einsetzen im Vereinigten Königreich ... Dort ist es viel stärker zentralisiert als bei uns mit den Testungen. Deshalb haben die das quasi als Surrogatmarker verwendet. Sie haben geschaut, wie oft ist das S-Drop-out vorgekommen. Sie haben gesehen, dass das ganz stark korreliert mit einer erhöhten Infektionsrate, lokal. Das wurde statistisch ganz genau durchgerechnet mit tollen Statistiken, die wir hier schon mal mit Frau Priesemann besprochen haben.

Das wurde durchgerechnet und festgestellt, dass wenn dieses S-Drop-out in einer Gegend vorhanden ist. Oder anders gesagt, ein starker Verdacht auf diese Mutante da ist, dann ist die Reproduktionszahl (R) ungefähr 0,6 Punkte höher. Heißt, wenn Sie zum Beispiel R von 0,9 hätten ... Im Normalfall haben Sie ein R von 1,5. Das haben die statistisch sauber nachgewiesen, ohne Wenn und Aber. Und wenn Sie jetzt im Kopfrechnen 0,9 bis 1,5, das ist plus 70 Prozent. Und daher kommt die Zahl.

Camillo Schumann

Also ist der Satz unterstrichen worden: Wer viel und genau sucht, der findet auch, oder?

Alexander Kekulé

Ja, aber die haben nicht gesucht nach dem Motto „Wir müssen uns irgendwie ein paar Doktorarbeiten fertig machen. Also machen

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wir ein paar Studien.“ Sondern es war umge- kehrt. Die hatten diese massiven Ausbrüche in Kent, wo sie die Welt nicht verstanden haben. Weil der Ausbruch ist in Kent mitten im Lock- down passiert. Da ist im Lockdown plötzlich des R hochgegangen, also lokale R dort.

Da muss man schon fragen, wenn die Reprod- uktionszahl so hoch geht, obwohl alles unter Lockdown steht: Was ist denn da los? Und so rum haben sie eher von anderer Seite gefragt. Ich weiß, dass andere Kollegen in Deutschland das nicht so sehen. Für mich sind die Daten schon relativ eindeutig.

In Kent zum Beispiel ging die Inzident während des partiellen Lockdowns von 100 pro 100.000 Einwohner hoch auf 400. Der Wert hat sich vervierfacht. Die Grafschaft Kent ist im Süd- osten Englands.

Camillo Schumann

Nicht die Party-Hochburg.

Alexander Kekulé

(lacht) Genau. Da ist Industrie, da ist ziemlich viel Grün. Da ist dann Dover am Ende, da könnte man noch darüber reden. Dover ist der Anfang des Tunnels nach Frankreich. Aber ich sehe jetzt nicht, warum gerade dort trotz Lockdown die Zahlen so hochgehen. Das hat eben dort die Epidemiologen auch frappiert. So sind sie hinten rum, sozusagen über diesen Umweg, drauf gekommen, dass dort der Ausbruch war.

Das gleiche Schema sehen wir jetzt. Es ist verteilt. England ist in Regionen eingeteilt so wie die Bundesländer in Deutschland. South East England ist okay, wo Kent dabei ist. Es geht aber rüber bis Oxford und Surrey, also die südliche, schicke Gegend von London. Und dann nördlich von London, wo dann Cambridge ist, das sind die Koordinaten des Wissenschaftlers, da ist es auch noch. Das wäre dann East of England. Das heißt, dass alles rund um London, unten und östlich davon, ist betroffen. Wenn das so lokal be- grenzt ist, ist das auch wieder ein Zeichen, dass sich hier eine Variante wirklich lokal-dynamisch durchsetzt. Meine Prognose ist, dass das sich von Südosten her kommend über ganz England ausbreiten wird, über die ganze Insel.

Camillo Schumann

Weil Sie gerade die Situation dort

angesprochen haben: Das hieße also, dass die Menschen sich zu Hause dann gegenseitig angesteckt haben?

Alexander Kekulé

Naja, trotz der Maßnahmen. Die haben in England das ein bisschen standardisierter als bei uns. So ähnlich wie bei unserer Ampel heißt esbeidenen1,2,3,4.BiszumLevel2 sozusagen wird da gelockdowned. Die sind jetzt in London im höchsten Level. Die sind jetzt zum Teil in 4. Ich glaube, auch in East of England und South East of England. Das heißt jetzt nicht unbedingt nur Maske zu Hause. Sondern das heißt, man darf nur noch ganz wenige Einkäufe machen. Viele Dinge sind untersagt. Das ist so ähnlich wie bei uns der sogenannte harte Lockdown. Diese ganzen Maßnahmen. Damals war es nicht ganz so hart. Ich glaube, 3. noch damals. Trotzdem heißt es, dass diese Maßnahmen nicht ausgereicht haben, um einen höher infektiöses Virus zu verbreiten. Das kann man sich so vorstellen: Wir haben ja mal über diese Basisreproduktionszahl R=0 gesprochen. Dieses R=0 ist bei dem Sars-Cov-2 wohl im Bereich von drei. Das ist die Zahl, die wir alle so im Kopf haben. Bei Masern, nur mal so als Vergleich, ist es wohl über zehn. Wenn jetzt aber dass R=0 für diese neue Variante einen ganzen Punkt höher wäre, also vier statt drei, dann wäre das eine Situation, wo man schärfere Gegenmaßnahmen einleiten müsste, damit es gleich wirksam ist. Und das macht das Ganze so prekär. Das macht das Ganze so gefährlich.

(27:28)

Camillo Schumann

Genau. Gefährlich ist genau das Stichwort. Weil zum einen ansteckender und daraus resultiert dann die Gefährlichkeit? Weil bisher wird kolportiert oder es sei noch nicht nachgewiesen, dass diese Mutation auch gefährlicher sei. Aber Sie schließen, dass daraus, dass sozusagen diese schnelle Verbreitung dann auch gleichzeitig die Gefährlichkeit ist?

Alexander Kekulé

Mit gefährlicher meine ich nicht, dass wenn man es kriegt, man eine höhere Sterbenswahrscheinlichkeit hat. Da haben wir

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überhaupt keinen Hinweis darauf. Das wäre auch untypisch, weil meistens die Viren sich in der Weise anpassen, im Lauf der Zeit, dass sie stärker infektiös werden. Die Kontagiosität nimmt zu, aber eigentlich die Letalität nimmt ab. Also die Sterbenswahrscheinlichkeit nimmt ab.

Das ist so ein bisschen widersprüchlich bei den Daten aus Südafrika. Da wissen wir kaum was. Deshalb kann ich nur dafür plädieren, dort tatsächlich erst einmal abzuwarten, was das bedeutet. In Südafrika behaupten die jetzt, sie hätten mehr schwere Verläufe bei Menschen im mittleren Lebensalter. Aber da muss ich sagen, wenn man weiß, wie dort die Daten gewonnen werden, wie ungenau die Statistik ist und dass die nicht einmal genau wissen, welche Mutationen das im Einzelnen sind, würde ich mal sagen, bevor man da Alarm schreit, muss man warten. Meine Arbeits- hypothese ist, wie die Briten das berichten, es überhaupt keinen Unterschied gibt bei der Gefährlichkeit dieses Virus. Im Sinne von Letalität, im Sinne von Anteil derer, die daran sterben. Aber es ist natürlich gefährlich, weil mehr Menschen sich infizieren und ein bestimmter Teil der Infizierten stirbt bekanntlich. Dadurch ist es natürlich epidemiologisch gesehen gefährlich.

(29:05)

Camillo Schumann

Weil wir jeder Sequenzierung so hinterherrennen und Sie das Beispiel Großbritannien gebracht haben, dass sie weiter vorne sind, was die Anzahl der Sequenzierung angeht. Aber um das Beispiel oder einen Vergleich mit der Influenza zu bringen, ist man bei der Influenza ganz weit vorn? Hat man es da immer gemacht, oder kann man es da nachweisen?

Alexander Kekulé

Bei der Influenza ist das schon Standard seit vielen Jahrzehnten. Weil da hat man eine ganz andere Motivation und noch ein ganz anderes Netzwerk dafür. Die Influenza verändert sich so schnell. Da brauchen wir diese Daten jedes Jahr, um den neuen Impfstoff festzulegen. Das macht die Weltgesundheitsorganisation in einem inzwischen sehr gut eingespielten, fast hätte ich gesagt harmonisch choreografierten Programm. Von der Nordhalbkugel, wenn dort

Winter ist, werden die ganzen Influenza-Daten gesammelt. Dann guckt man, welche Subtypen dominieren dort? Guckt dann weiter runter. Da gibt es noch weitere Varianten, die eine Rolle spielen. Und dann legt man sich fest, was in den nächsten Impfstoff rein muss. Blöderweise dauert die Impfstoff-Produktion dann ziemlich lange, sodass in der Zwischenzeit manchmal das Virus die Weltgesundheitsorganisation ausgetrickst hat.

Und das Gleiche passiert spiegelverkehrt, wenn Winter auf der Südhalbkugel ist. Da braucht man weniger Daten als bei diesem Coronavirus, weil wir ja bei der Influenza nicht davon ausgehen, dass ständig stärker infekt- iöse Varianten eine Rolle spielen. Sondern die Influenza ist ein Übel, mit dem wir schon lange leben. Da hat keiner die Absicht, durch anti- epidemische Maßnahmen die Influenza einzudämmen. So was spielt dann eine Rolle, wenn man wie hier den Versuch unternimmt, diese Covid-19-Ausbreitung so weit wie möglich einzudämmen, bis wir einen Impfstoff haben.

(31:00)

Camillo Schumann

Impfstoff ist genau das Stichwort. Ob diese Mutation die Wirkung des gerade zugelas- senen Impfstoffs, der am 27. Dezember auch bei uns verabreicht werden soll, beeinträchti- gen wird. Diese Frage hat gestern Abend Professor Şahin in der ARD beantwortet. Er und seine Frau, Professor Özlem Türeci, haben den Impfstoff entwickelt. Das hat er gesagt:

Uğur Şahin

„Das ist sehr früh. Wir haben uns die Mutation der Virus-Variante angeschaut. Es sind mehrere Mutationen. Wir wissen, dass unser Impfstoff gegen das Virus an vielen verschiedenen Stellen attackiert. Dementsprechend sind wir zunächst einmal zuversichtlich, dass Immunantworten, die durch unseren Impfstoff bedingt werden, in der Lage sein könnten, auch dieses Virus zu neutralisieren.“

(31:45)

Camillo Schumann

Das Virus sei jetzt noch etwas stärker mutiert, hat. Professor Şahin der Deutschen Presse- Agentur gesagt. „Wir müssen das jetzt experimentell testen. Das wird etwa zwei

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Wochen in Anspruch nehmen. Wir sind aber zuversichtlich, dass der Wirkungsmechanismus dadurch nicht signifikant beeinträchtigt wird.“

Wie wir ja auch gehört haben, gibt es Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Varianten von SARS-CoV-2. Sie haben ja auch berichtet, dass auf der Insel sozusagen eine starke Veränderung nachgewiesen wurde, dass da was rausgebrochen wurde. Wie zuver- sichtlich sind Sie, dass der Impfstoff dann wirklich wirkungsvoll ist gegen diese Mutationen?

Alexander Kekulé

Ich bin da sehr zuversichtlich. Aber man muss sagen, sicher ist es nicht. Diese neue Variante nennen wir B117. Diese B117-Variante hat insgesamt 23 Mutationen in vier verschied- enen Genen. Das ist schon mal total unge- wöhnlich. Dass so etwas überhaupt entstanden ist, also sich durchgesetzt hat, deutet darauf- hin, dass das einen besonderen Selektions- druck gab irgendwo. Also ein Klassiker, den wir kennen, ist die Sache in Dänemark, wo es bei den Nerzen passiert ist. Da war der Selektions- druck eben dadurch besonders, dass es dem Tier passiert ist.

Jetzt kann man hier spekulieren. Wenn man sagen will, vielleicht war das ein Patient, der ein stark gestörtes Immunsystem hatte, wo sich das Virus vermehrt hat. Wir wissen, dass einige dieser Mutationen dann bei solchen immunsupprimierten Patienten tatsächlich häufiger auftreten, weil die über viele Wochen hin krank sind und das Virus produzieren. Da hat es eine gute Chance, einen neuen Typen zu entwickeln. Aber es kann auch einen anderen Grund gehabt haben. Spekuliert wurde zum Beispiel eine Therapie mit Remdesivir oder einem anderen antiviralen Medikamente. Irgendwie ist da etwas entstanden, was nicht nur so ein paar Einzelmutationen sind, sondern was eine neue Variante ist. Eine Kombination aus einzelnen Mutationen, die dem Virus neue Eigenschaften geben. Die deuten darauf hin, dass es unter ganz anderem Selektionsdruck entstanden ist. Acht wichtige Mutationen sind im sogenannten Spike. Das ist außen dieser Ausläufer an dem Virus, der leider auch das gleiche Ziel ist, was die Impfstoffe verfolgen. Diese RNA-Impfstoffe produzieren ja ein

künstliches Spike. Vor einer Mutation haben wir besonders Angst. Mit dem Spike, einer Stelle quasi, dockt das Virus an den Rezeptor in der Lunge, an diesen sogenannten ACE2-Rezeptor. Das sind insgesamt sechs Aminosäuren, also sechs einzelne Bausteine des Proteins. Und eine davon ist eben verändert. Gleich daneben ist eine Veränderung, wo ein Stück rausgeflogen ist, diese Deletion. Das alles zusammen kann dazu führen, dass diese dreidimensionale Form des Spikes, außen, wo die Antikörper an- docken, dass die ein bisschen anders aussieht. Dann docken die Antikörper schlechter an oder nur noch ein kleiner Teil. Oder anders gesagt, es ist schon denkbar auf dem Reißbrett, dass hier es zu einer Veränderung gekommen ist. Trotzdem ist es nicht sehr wahrscheinlich. Man kann sich tausend andere Mutationen vor- stellen, die viel schlimmer wären.

Camillo Schumann

Herr Wieler, Präsident des RKI, hat genau dazu heute Folgendes gesagt:

Lothar Wieler

„Was für ein bisher haben, sind Sequenzdaten. Und zwar sehr viel. Dieses Virus hat eine Reihe von Mutationen. Das ist auch einer der Gründe, warum wir da besonders vorsichtig sind und draufschauen. Es gibt unter anderem eine Mutation, von der man weiß, dass sie etwas mit Immunreaktion gegen dieses sogenanntes Spike-Protein zu tun hat, wogegen der Impf- stoff wirkt. Aber nach allen Informationen, und die kann man bioinformatische auswählen ... Das heißt also, ohne dass wir das Virus in der Hand haben, können wir diese Daten bioin- formatisch auswerten. Das ist keine hundert- prozentige Sicherheit. Aber das gibt uns eine Reihe Informationen. Alle Daten, die wir bislang kennen, sprechen dafür, dass der Impfschutz nicht eingeschränkt ist, wenn sich diese Variante weiter ausbreitet.“

(36:00)

Camillo Schumann

Man müsste also zum Beispiel nicht für Großbritannien den Impfstoff verändern?

Alexander Kekulé

Jetzt wäre es viel zu früh dafür, das zu machen. Es ist genau, wie es Herr Wieler sagt. Die

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Vorhersage sozusagen, die man anhand dieser genetischen Daten macht. Man schmeißt die größten Computer an. Die versuchen dann zu berechnen, wie dreidimensional das Ganze aussieht. Die sprechen nicht dafür, dass der Impfstoff nicht mehr wirkt. Aber es ist relativ komplex. Dieses Spike sieht ja ein bisschen aus wie eine Blüte, so eine dreiblättrige Blüte. Und wenn das mit dem Rezeptor zusammenkommt, dann schnappt die vorne zu. Das ist also nicht nur so etwas Passives. Man sagt immer Schlüs- sel und Schloss. So passiv wie ein Schlüssel ist das nicht. Es ist eher wie eine fleischfressende Pflanze. Wenn das quasi sein Target erwischt hat, dann rastet es richtig ein. Für diesen Mechanismus ist eine andere Stelle auf diesem Spike verantwortlich. Und genau da gab es auch noch eine Mutation.

Und der Wirkstoff von BioNTech/Pfizer, der ist raffiniert gebaut. Wenn diese RNA dann in die Zelle kommt des Geimpften, dann generiert die Zelle ein Spike-Protein, das eben absichtlich so aussieht wie das Spike, bevor es zuge- schnappt ist. Also in diesem vorherigen, quasi angespannten Zustand, wo die Mausefalle noch nicht zugegangen ist. Da wissen wir nicht genau, ob sich diese Konfirmation, dieses dreidimensionale Aussehen des Proteins, dann in Wirklichkeit verändert hat oder nicht. Die Biodaten sagen, die Simulation am Computer sagt die Veränderungen sind minimal. Aber dadurch, dass eben hier acht verschiedene Mutationen im Spike aufgetreten sind, ist es auch eine sehr hohe Anforderungen an die Bioinformatik, quasi eine Vorhersage zu machen, wie das Protein wirklich aussieht. Jetzt prüft man es experimentell nach.

(38:00)

Camillo Schumann

Und das macht ja Professor Şahin. Das wird jetzt zwei Wochen dauern. Wie genau machen die das?

Alexander Kekulé

Wenn man jemanden impft, produziert der ja Antikörper. Das ist der gewünschte Effekt bei der Impfung, unter anderem Antikörper. Diese Antikörper nennen wir polyklonal, weil das nicht nur ein Antikörper ist, sondern das Immunsystem reagiert immer mit so einer Armee von Antikörpern. Diejenigen, die am besten binden, die werden dann noch mehr

hergestellt. Vor allem später, wenn der Gegner zum zweiten Mal kommt, dann werden die- jenigen vermehrt hergestellt, die am besten gebunden haben beim ersten Mal. Aus dieser Riesenschar von Antikörpern muss man jetzt gucken, sind die Antikörper, die am besten binden, die am wichtigsten für die Immunität sind ...

Wir nennen die neutralisierende Antikörper, weil die auch im Zellexperimente Virusinfek- tion quasi von vornherein verhindern können. Diese neutralisierenden Antikörper, das sind meistens nur ein paar wenige aus dieser Riesenarmee, sind vermindert. Also ist viel- leicht ein Teil der bekannten neutralisierenden Antikörper ... Da wissen wir, dass einige genau an diese Stelle binden, wo diese Mutation bei Position 501 im Spike ist. Ist es jetzt so, dass die immer noch genauso gut binden? Ist es vielleicht so, dass nur eine ausgefallen ist? Sind mehrere ausgefallen. Und klar, die Effizienz von 95 Prozent oder was die in den Phase-drei- Studien hatten, das ist nicht auszuschließen, dass das ein bisschen runtergeht. Aber es wäre ja auch nicht schlimm, wenn es dann nur noch 90 Prozent wären. Dann ist es ja trotzdem noch ein toller Impfstoff.

(39:41)

Camillo Schumann

Das war ein Kapitel „Virologie für Feinschmecker“. Aber ganz kurz noch: Wer sich jetzt impfen lassen möchte, sollte nicht noch die zwei Wochen abwarten, bis Professor Şahin dann noch mal durchgerechnet und experimentelle Nachforschung betrieben hat, sondern man kann sich jetzt impfen lassen?

Alexander Kekulé

Nein, auf jeden Fall. Wer die Chance hat, an den Impfstoff jetzt ranzukommen und die Indikation hat, also über 70 ist oder medizinisches Personal, der soll sich das natürlich geben lassen. Das wird eher so sein, dass wir viele Menschen nicht impfen können, weil wir nicht genug Impfstoff haben.

Camillo Schumann

Gestern hat die EMA, die Europäische Arzneimittelzulassungsbehörde, eine bedingte Zulassung für den BioNTech/Pfizer Impfstoff erteilt, über den wir gerade gesprochen haben. Und wenig später musste dem Ganzen noch

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die EU-Kommission zustimmen. Hier für alle Hörer dieses Podcasts noch einmal die zwölf Sekunden O-Ton von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die Geschichtsbücher:

(40:46)

Ursula von der Leyen

„Today we add an important chapter in our fight againt Covid-19. We took the decision to make available for European citizens the first Covid-19 vaccine.“

(40:59)

Camillo Schumann

„Ein neues Kapitel im Kampf gegen Covid-19 wurde aufgeschlagen.“ Ein Satz für die Geschichtsbücher. Herr Kekulé, wer hätte zu Beginn der Pandemie gedacht, dass wir am Ende des Jahres schon so weit sein werden? Und dann noch mit deutscher Beteiligung.

Alexander Kekulé

Ja, mit deutscher Beteiligung. Da gab es ja so ein paar Kandidaten oder mindestens zwei, die gar nicht so schlecht aussahen. Ja, das ist eine ganz tolle Leistung. Viele kennen natürlich auch den Hintergrund. Das Gründerpaar von BioNTech in Mainz sind Nachfolger türkischer Migranten. Ich finde, das ist schon etwas, das muss man sich mal klarmachen. Wir sind in Deutschland im Grunde genommen eine zusammengewachsene Gesellschaft, die aus verschiedenen Nationen besteht, zumindest aus verschiedenen Herkunftsnationen. Ich glaube, das ist gerade in der aktuellen Diskus- sion ganz wichtig, weil viele meinen, dass das für uns von Nachteil wäre, dass wir Ausländer haben, die wir hier aufnehmen. Ich finde, das ist so ein klassisches Beispiel, dass das sich am Schluss immer auszahlt. Klar, jeder Fußballfan weiß, dass die Tore schon lange nicht mehr von deutschstämmigen geschossen werden. Aber ich finde, hier ist aus der Wissenschaft ein ähnliches Beispiel.

(42:17)

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz ist natürlich die Frage, dass es dieses Jahr schon so weit ist und nicht erst im nächsten, möglicherweise sogar am übernächsten. Das ist wirklich schon eine große Leistung.

Alexander Kekulé

Naja, gut, dass die erste Zulassung dieses Jahr kommen würde, das war schon sehr wahr- scheinlich. Die haben ja auch extrem früh angefangen, und schon die allerersten Daten sahen gut aus. Dass ist gerade die RNA-Impf- stoffe sind, die sozusagen der Proto-Prototyp waren, das hat mich persönlich wirklich überrascht.

Ich hätte gedacht, dass die klassischen Impfstoffe schneller sind. Waren sie weltweit gesehen vielleicht auch. In China hat man ja den klassischen Impfstoff schon vorher zum Einsatz gebracht. Klassisch heißt, dass einfach Viren abgetötet werden und zur Impfung verwendet werden. Aber das, was ich so faszinierend finde, ist, man hat nicht nur die Zulassung. Da ist es vielleicht nicht so überraschend, dass die vor Weihnachten gekommen ist. Sondern man hat ja zugleich die Produktion hochgefahren, dass mit Zulassung angefangen wird auszuliefern. Das ist natürlich historisch einmalig. Dass ein Unternehmen die Fabriken baut, während noch die Phase-III- Studien laufen. Über die pharmazeutische Industrie wird viel Schlimmes gesagt (zum Teil nicht unberechtigt). Die pharmazeutische Industrie hat hier wirklich der Welt bewiesen, wie wichtig sie ist und dass sie eine ganz tolle Sache geleistet hat.

(43:41)

Camillo Schumann

Zulassung ist genau das Stichwort. Gestern hat er die EMA, die europäische Arzneimittel- zulassungsbehörde, eine bedingte Zulassung für den BioNTech/Pfizer Impfstoff erteilt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn twitterte kurz danach: „Die ordentliche Zulassung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus ist ein Meilenstein.“

Vor ein paar Tagen sprach er auch von einer regulären Zulassung. Bedingt ordentlich, regulär. Machen diese Begriffe einen Unterschied für jemanden, der sich impfen lassen möchte? Vermutlich nicht, oder?

Alexander Kekulé

Für jemand, der sich impfen lassen möchte, nicht. Der sich sowieso schon impfen lassen möchte, macht es keinen Unterschied. Ich hätte erwartet, dass der Bundesgesund-

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heitsminister seine Kommunikationsstrategie ändert, nachdem aufgezeigt wurde, dass er vorher das nicht ganz richtig dargestellt hat.

Die sogenannte „bedingte Zulassung“, im EU- Sprech heißt es „Conditional Approval“, ist in der EU das Produkt der Notfallzulassung. Eine Notfallzulassung unterscheidet sich von einer ordentlichen Zulassung in zweierlei Hinsicht. Wahrscheinlich gibt es noch ein paar mehr, aber diese zwei Sachen habe ich im Kopf. Das eine ist, müssen die Daten müssen nicht vollständig sein. Das heißt, man kann eine Notfallzulassung machen oder eben bedingte Zulassung in der EU mit einem nicht voll- ständigen Datensatz. Wenn zugleich klar ist, dass der Hersteller innerhalb eines vernünfti- gen Zeitraums, sechs Monate, in der Lage ist, die Daten nachzuliefern. Also genau das, was der Bundesgesundheitsminister hier aus- schließt. Er sagt, dass sozusagen mit unvoll- ständigen Daten die Zulassung erteilt wurde, ist der Wesenskern der bedingten Zulassung. Daher kommt es nicht so aufs Wort an, ob das „bedingt“, „ordentlich“ oder „regulär“ heißt. Sondern der wichtige Unterschied ist, die reguläre Zulassung ist ein vollständiger Daten- satz. Die bedingte oder auch Notfallzulassung ist ein unvollständiger Datensatz. Angesichts einer Notlage kann es den Behörden aus- reichen, zu sagen: Okay, wir lassen schon mal zu und warten, bis die Daten dann vollständig sind. Unter bestimmten Auflagen. Und Auf- lagen heißt eben Bedingungen. Darum heißt es „Conditional“.

(46:03)

Camillo Schumann

Aber könnte die EMA die Zulassung vielleicht auch nur bedingt erteilen? Also aus formalen Gründen? Und de facto ist diese Zulassung schon eine reguläre Zulassung, weil man schon ganz viele Daten hat wie sonst erst nach einem Jahr. Man war ja permanent mit eingebunden in diese Studien.

Alexander Kekulé

Nein, das sind nicht alle Daten. Die EMA hat auch keine ordentliche Zulassung erteilt. Es wurde auch keine ordentliche Zulassung beantragt. Offensichtlich ist selbst im Bundes- gesundheitsministerium entweder die Daten- lage nicht genau oder man sagt absichtlich was

Falsches. Aber das würde ich niemandem unterstellen wollen. Ich weiß es so genau, weil ich selber unmittel- bar beteiligt war im Nachgang zu der 2009 Schweinegrippe. Vorher gab es eigentlich schon diese Verfahren. Die wurden im Nach- gang noch einmal nachgeschärft, und zwar für die Influenza. Man hatte das eigentlich gegen die pandemische Influenza entwickelt, weil man Angst hatte, wenn die Pandemie kommt, wie kriegen wir dann schnell einen Impfstoff? Daher kommen die ganzen Konzepte. Die hat man jetzt für die Corona-Pandemie verwendet. Da gab es zwei Prozeduren. Da steht so ein bisschen Aussage gegen Aussage. Ich wäre dafür, die Website der EMA auf unserer Podcast-Seite zu verlinken. Dort kam das noch mal nachlesen. Es gibt zwei verschiedene Pro- zeduren, die im Rahmen der Notfallzulassung sind, die heißen auch Emergency approval oder Emergency procedure. Und die eine heißt Mock-up procedure. Wer sich 2009 schon angehört hat, wie das mit dem Impfstoff damals war, mit der pandemischen Influenza, erinnert sich an den Ausdruck Mock-up. Das heißt, dass man einen Impfstoff hat, der universell ist, sozusagen, ohne genau zu wissen, welches Virus irgendwann mal kommt. Das ist eigentlich eine typische Influenza- Situation. Wir wissen, die nächste Pandemie kommt. Aber wir wissen noch nicht genau, welches Virus ist es. H5N1 war so eins der Angst-Vieren, die man hatte. Darum hat man Mock-up-Impfstoffe zugelassen. Die werden als Prototyp quasi für eine Variante zugelassen. Der Hersteller kriegt die Erlaubnis, das umzusetzen mit der Variante, die wirklich die Pandemie macht. Wenn man so sagen darf die ganze Karosserie des Autos, die Räder, die Bremse. Alles miteinander hat schon eine Verkehrszulassung. Und der Hersteller darf dann einen neuen Motor einbauen, wenn es notwendig ist. Das nennt man Mock-up. Und die zweite Variante heißt auf Englisch „Emergency procedure“, Notfallprozedur. Die Emergency procedure sieht vor, dass ein sogenanntes „rolling review“ gemacht wird. Das heißt also, dass der Hersteller schon während er die Studien der Phase 3 macht, gleich die Daten durchreicht an die Euro- päische Arzneimittelbehörde. Sodass die das zugleich schon mal anschauen können. Das ist

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meines Wissens nach seit Juli passiert. Ich lese es auf Englisch vor, weil ich dann ganz sicher bin: „Vaccine authorized using the emergency procedure are giving conditional approval.“ Ich glaube, mehr muss man nicht sagen. Die Impfstoffe, die durch die Notfallprozedur autorisiert wurden, bekommen eine bedingte Zulassung. Das heißt, die bedingte Zulassung ist die europäische Variante der Notfallzulas- sungen. Bei der FDA in USA heißt sie Emergency procedure.

(49:35)

Camillo Schumann

Es muss ja irgendeinen Vorteil haben, dass Herr Spahn sagt, es ist eine reguläre Zulassung. Aber es ist eine offiziell bedingte Zulassung. Daran sind auch Haftungsfragen geknüpft, oder?

Alexander Kekulé

Ja, die Haftungsfragen sind noch mal ein anderes Thema. In Europa ist das so, dass bei der Emergency procedure und Conditional approval der EMA generell geregelt ist, dass die Haftung beim Hersteller liegt. Das war sicher ein Grund, warum die Hersteller mit der Europäischen Kommission solange verhandelt haben, weil die Hersteller eigentlich eine Haftungsbefreiung haben wollten. Das geht aber nach der gesamteuropäischen Notfall- zulassung nicht. In den Vereinigten Staaten von Amerika bei der FDA, da ist genau das gleiche, spiegelverkehrte Verfahren. Was übrigens auch exakt die gleichen Daten verwendet hat. Per Dekret kann die FDA oder ein Konsortium der FDA festlegen und sagen: „Wir verzichten auf die Haftung des Herstellers und wir über- nehmen die Haftung.“ Das ist sozusagen dort Wahlfreiheit, wenn ich das sagen darf. Die USA haben eben im Rahmen dieser Möglichkeit auf die Herstellerhaftung verzichtet, ganz speziell für diesen Covid-Impfstoff bei BioNTech und Moderna. Und ich meine auch bei den anderen Herstellern. Dieser Haftungsverzicht, der in den USA möglich ist, aber nicht automatisch bei der Notfallzulassung, der ist in Europa bei der Notfallzulassung, die hier bedingte Zulassung heißt, nicht möglich. Und ich glaube, dass das ein Riesenproblem war.

Wir haben natürlich in Europa noch einen anderen Mechanismus. Dieser andere

Mechanismus ist das, was Großbritannien gemacht hat, wo wir nicht so erfreut darüber waren. Die haben eine nationale Notfallzulassung gemacht. Das ist im Rahmen der europäischen Verträge und Anschluss- verträge und Nebenverträge möglich. Das soll man nur dann machen, wenn nur eine Nation betroffen ist. Die nationale Zulassung wird nicht von der Europäischen Arzneimittel- behörde getragen. Deshalb ist wiederum die europäische Regelung so, dass bei der nationalen Zulassung wie es das UK gemacht hat, die Haftung nicht beim Hersteller liegt. Sondern bei dem Land, was es national zugelassen hat. Das heißt also, im UK ist der Hersteller BioNTech/Pfizer von der Haftung ausgenommen worden. Jetzt, bei der europäischen Zulassung, ist er in der Haftung. Aber die Daten sind natürlich exakt die gleichen. Und auch die Leute, die sich das anschauen, sind die gleichen.

Die Behörde im UK, die das macht, ist extrem renommiert und extrem gut und schnell. Sie war immer federführend mit dabei, wenn die europäischen Zulassungen gemacht wurden. Die haben für ihre nationalen Zulassungen genau die gleichen Daten auf dem Tisch gehabt, die bei der EMA auf dem Tisch lagen. Das ist ja klar. Wo soll Pfizer jetzt noch eine weitere Studie aus dem Ärmel zaubern? Es gibt die Studien, die da sind. Das ist eine große Phase-II/III- Studie, die inzwischen auch in weiten Teilen publiziert ist. Genau diese Daten liegen auf dem Tisch, und zwar sowohl in London als auch in Amsterdam, wo die EMA neuerdings sitzt.

Einen Unterschied zu machen zwischen Notfallzulassung und richtiger Zulas-sung oder der bedingten Zulassung der EU, das ist nicht berechtigt. Die Daten sind die gleichen und es sind beides Notfallzulassungen. Das heißt, in beiden Fällen ist der Datensatz unvollständig und weniger vollständig als bei der richtigen Zulassung.

(53:23)

Camillo Schumann

Die EMA hatte ihre Zulassung an Bedingungen geknüpft. Der Hersteller ist verpflichtet, auch nach dem Start der Impfung Daten zu Langzeit- wirkungen zu übermitteln. Auch Angaben zu möglichen Nebenwirkungen, allergische

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Reaktionen sind ein großes Thema. Diese bedingte Zulassung wird für ein Jahr erteilt. Sie geht dann in eine reguläre Zulassung über. Davon kann man ausgehen, oder?

Alexander Kekulé

Automatisch nicht, sondern es gibt die Mög- lichkeit, diese zu verlängern. Ich glaube, das kann man fünfmal machen. Der Hersteller kann eine Verlängerung der bedingten Zulassung um ein weiteres Jahr beantragen. Es ist so, dass er irgendwann mal den Antrag für eine reguläre Zulassung stellen würde, sofern die Pandemie bis dahin nicht zu Ende ist. Dann würde die reguläre Zulassung natürlich mit hoher Wahrscheinlichkeit erteilt.

Die EMA veröffentlicht die Geschichte ihrer bisherigen bedingten Zulassungen, also Not- fallzulassungen. Die wird auf der Webseite veröffentlicht. Bisher hat es noch keine Zulas- sung gegeben. Das gilt nicht nur für Impfstoffe. Es hat bisher noch keine Zulassung gegeben, wo es wieder zurückgepfiffen wurde, weil die Daten dann doch beunruhigend gewesen wären. Rein von der von der Datenlage her ist es keine Beunruhigung. Ich bin nur der Meinung, man muss bei so einem heiklen Thema die Bevölkerung offen, aufrichtig und richtig informieren. Eine Notfallzulassung ist eine Notfallzulassung mit den zwei Unter- schieden: begrenzt und Daten auch nicht vollständig. Man darf nicht sagen, es handelt sich um eine reguläre Zulassung, bei der alle Daten gesichtet worden.

(55:02)

Camillo Schumann

Fakt ist, am 27.12. soll es mit der Impfung losgehen in Deutschland, in einem abgestuften Verfahren. Als erstes sollen die über 80- Jährigen, Personal und Bewohner von Pflegeheimen, Gesundheitspersonal, auch mit sehr hohem Infektionsrisiko, geimpft werden. Das wird eine Weile dauern, bis sich dann jeder impfen lassen kann. Da gibt es ja unterschied- liche Vermutung. Was vermuten Sie, wie lange wir noch mit Einschränkungen, Abstands- und Hygieneregeln leben müssen? Das gesamte neue Jahr 2021?

Alexander Kekulé

Meine Hoffnung sieht so aus, dass wir zwischen April und Juni in die Phase kommen,

wo wir epidemisch relevant impfen. Also nicht nur ein paar Risikogruppen schützen, sondern das R runterdrücken. Also eine echte anti- epidemische Maßnahme durch die Impfung haben. Wo wir also Effekte sehen, epidemisch. Dann hilft uns der Sommer, es wird warm. Und dann ist meine Hoffnung, wenn es im Herbst nächstes Jahr wieder kalt wird, dass wir keine massive Covid-Welle kriegen. Zumindest keine Welle, die so ist, dass man irgendwelche Maß- nahmen ergreifen muss. Ob man den nächsten Winter noch Masken zur Sicherheit braucht oder nicht ... So die einfachen Sachen... Masken, Abstand, bisschen vorsichtig sein, das wird wahrscheinlich im nächsten Winter als Empfehlung auch noch da sein. Aber es wird nicht mehr dieses Damoklesschwert der hohen Sterblichkeit über uns schweben. Gerade durch die richtige Impfung der Alten als erstes, speziell in den Altenheimen, da drücken wir die Sterblichkeit. Sicherlich wird hinterher ein Buch darüber geschrieben werden. Warum konnten wir erst durch die Impfung die Sterb- lichkeit in Altenheimen drücken und haben es nicht geschafft, die vorher zu schützen? Aber das ist dann eher was für die Geschichts- bücher.

(56:48)

Camillo Schumann

Herr Kekulé, in zwei Tagen ist Weihnachten.

Alexander Kekulé

Ja, wir haben auch schon ganz viele Wünsche geäußert. Meine Kinder haben schon ihre Wunschzettel wie jedes Jahr an einem Luftballon in den Himmel steigen lassen.

Camillo Schumann

Ehrlich?

Alexander Kekulé

Ja, natürlich. (lacht) Keine Aufforderung zur Nachahmung. Ich weiß gar nicht, ob das erlaubt das, ob das den Flugverkehr irgend- wann mal stört. Aber wir sind auch nicht in der Nähe von einem Flughafen. Und so einen Gasballon kann ja mal verloren gehen aus Versehen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Wünsche erfüllt werden. Bis auf den einen, der immer ganz oben drauf steht. Das ist aus den Kindern nicht rauszubringen: Dieses doofe Corona soll endlich weg.

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(57:33)

Camillo Schumann

Definitiv. Aber dass der Weihnachtsmann kommt, das hat die WHO schon bestätigt. Der darf reisen durch den Luftraum. Da sind dann auch diverse Beschränkung aufgehoben worden. Also dass die Geschenke kommen, ist relativ sicher. Aber Hand aufs Herz: Wir reden ja seit März über nichts anderes. Sind Sie so in Weihnachtsstimmung? So mit allem Drum und Dran dieses Jahr?

Alexander Kekulé

Ich selber nicht. Jeder kriegt so seine kleinen Pakete vor Weihnachten. Die Briten haben dieses neue Virus gekriegt. Und es ist auch nicht so, dass ich ganz unbeschenkt geblieben wäre in den letzten Wochen vor Weihnachten. Also irgendetwas Unangenehmes kommt dann immer noch kurz vorher.

(58:13)

Camillo Schumann

Aber ich finde, Musik macht sehr viel Stim- mung. Damit wir so ein bisschen Weihnachts- stimmung kommen, ein bisschen Weihnachts- musik. Sind Sie eher so der Freund klassischer Weihnachtsmusik? Also so was hier:

(Thomanerchor: „O du fröhliche“)

Camillo Schumann

Der Leipziger Thomanerchor mit „O du fröhliche“. Oder mögen Sie es vielleicht ein bisschen moderner?

(Michael Bublé: „Jingle Bells“)

Camillo Schumann

Michael Bublé mit „Jingle Bells“. Was hört die Familie Kekulé an Weihnachten?

Alexander Kekulé

Oh weh. Also wenn, dann eher das modernere. Ehrlich gesagt, diese Weihnachtschoräle erinnern mich so ein bisschen an Kaufhaus- musik beim Einkaufen. Das hat man immer überall, an jeder Ecke, in diesen Weihnachts- märkten gehört. Deshalb ist es bei mir inzwischen falsch belegt. Ich glaube, am schönsten war es, wenn man in der Kirche an Weihnachten ist und die Leute selber singen. Ohne dass ich jetzt besonders religiös wäre, ich fand das immer beeindruckend, weil das so was von Gemeinsamkeit hat. Auch von Leuten,

die nur in der gleichen Gegend wohnen. Wenn die dann zusammen die Kirche gehen und singen. Ich weiß, das ist dieses Jahr ausge- rechnet nicht erlaubt. Aber das fand ich eigentlich immer so die beeindruckendste Weihnachtsmusik. Stärker als irgendetwas, was aus dem Lautsprecher tönt.

(59:53)

Camillo Schumann

Da gebe ich Ihnen recht. Mir geht es haar- genau so. Aber wenn ich an dann so Shopping Center denke, dann denke ich eher an Michael Bublé und „Jingle Bells“ und nicht an den Thomanerchor „O du fröhliche“. Der läuft übrigens bei uns an Heiligabend. Das ist ja wirklich was Schönes. Wir sind in Weihnachts- stimmung, oder?

Alexander Kekulé

Ja, auf jeden Fall. Jetzt haben wir dieses unangenehme Thema Covid abgehakt. Reden wir mal über was anderes, oder?

Camillo Schumann

Ja, auf jeden Fall. Sehr viele Fragen zum Fest von Hörern haben uns erreicht. Die wollen wir jetzt mal beantworten. Kurz vorher noch die Ergebnisse einer Umfrage des Meinung- sforschungsinstituts YouGov im Auftrag der dpa, der Deutschen Presse-Agentur. Da sagen nämlich neun Prozent der Befragten, sie würden verreisen, um mit Freunden oder Verwandten Weihnachten zu feiern. Ein Prozent der Befragten plant eine Urlaubsreise. 87 Prozent wollen dagegen über die Feiertage zu Hause bleiben. Herr Wieler vom Robert Koch-Institut hat heute noch einmal eindring- lich die Menschen aufgefordert: „Verreisen Sie nicht, treffen Sie möglichst nur wenig. Und wenn, dann nur immer dieselben Menschen.

(1:00:56)

Camillo Schumann

Wie würde Ihr Appell lauten?

Alexander Kekulé

Na ja, der allgemeine Appell genauso. Vor allem, wenn ich jetzt in der Lage von Herrn Wieler wäre, der muss eine einfache Message rüberbringen. Wir haben hier viele Podcasts gemacht, und es gibt auch andere Informationen, einschließlich ganz ausdrücklich der hervorragende Podcast vom Christian

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Drosten. Die Menschen in Deutschland haben inzwischen schon verstanden, was gefährlich ist und was nicht. Und sie sollen im Sinne einer persönlichen Risikoabwägung das Richtige machen. Ich glaube, wenn das Individuum sich entscheidet und klug entscheidet, das ist die beste Form von Resilienz, die man erzeugen kann für eine Gesellschaft. Das ist besser, als wenn sich alle irgendwie an so eine Schein- regel halten, die im Detail dann eben doch manchmal stimmt und manchmal nicht.

(1:01:51)

Camillo Schumann

Wie wird Weihnachten sicher? Das wollen wir jetzt klären. Die wichtigste Erkenntnis gleich zu Beginn. Für die effektivste Maßnahme, das Fest sicher zu gestalten, ist es zwei Tage vor Heiligabend zu spät. Die Selbstquarantäne eine Woche vor dem Fest, das wäre es gewesen?

Alexander Kekulé

Ich glaube aber, dass das viele gemacht haben. Muss ja nicht richtig eine Quarantäne sein, aber dass man Risiko und Kontakte vermeidet. Mit einer FFP-Maske statt mit dem OP- Mundschutz mal zum Einkaufen gehen und solche Dinge und nicht so viele Party-People trifft. Ich glaube, dass das haben viele schon gemacht. Und das ist schon mal eine gute Vorbereitung.

(1:02:26)

Camillo Schumann

Viele Fragen haben uns erreicht. Zum Fest zum Beispiel diese. Fangen wir mit Familien und Verwandten an. Einige Familie holen ja vielleicht die Oma aus einem Pflegeheim oder andere Familienmitglieder, die sonst in Betreuung sind, zu sich. Wie diese Familie:

„Wir haben einen behinderten Sohn, der ist 34 und seit anderthalb Jahren in einer Einrichtung. Und wir haben eine Tochter, die wohnt weiter weg. Die hat ein Baby bekommen. Wir wollten eigentlich unseren Sohn holen zu Weihnachten. Wir sind 60 und 61, also am Beginn des gefährdeten Alters. Wir wollten eigentlich unseren Sohn holen und mit ihm zu unserer Tochter fahren. Unsere Tochter hat ein bisschen Angst gehabt. Jetzt haben wir es verteilt. Zuerst holen wir unseren Sohn, hinterher besuchen wir sie, nachdem wir eine Quarantänezeit abgewartet haben. Ich habe

mit ihr telefoniert. Sie sagte, sie hat Angst, dass unser Sohn uns ansteckt. Es ging nicht darum, dass wir mit ihm zu ihr fahren, sondern dass wir ihn holen. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, was ich machen soll. Das wäre toll, wenn ich dazu eine Auskunft kriegen könnte. Vielen Dank, tschüs.“

(1:03:49)

Camillo Schumann

Das war eine ziemlich lange Schilderung. Aber sie macht eins deutlich: Dieses Familien- Dilemma, was wahrscheinlich in tausenden, zehntausenden Familien ist. Was kann man dieser Dame sagen?

Alexander Kekulé

Hier ist die Befürchtung, dass offensichtlich der Sohn sich aus einem Heim das Virus geholt haben könnte. Es ist so, dass die Heime immer noch schlecht kontrollierte Orte sind in Deutschland. Da kann man vielleicht wirklich noch einmal bei der Heimleitung nachfragen, ob es irgendwelche Ausbrüche gegeben hat. Ob bekannt ist, dass es dort Fälle gab oder nicht. Es ist ja nicht so, dass es den Heim- leitungen verschlossen bleibt. Ich gebe zu, ich kenne selber auch Fälle, wo dann die Nachver- folgung durch das Gesundheitsamt sehr schlecht war. Bis die das registriert haben und dann überhaupt mal anrufen und fragen, was los ist, ist der Ausbruch schon vorbei. Aber die Heimleitung selber weiß es in der Regel, sodass das der erste wichtige Schritt war. Wenn ein behinderter Sohn aus einem Heim kommt, wo es keine bekannten Ausbrüche gab und wenn man zusätzlich einen Schnelltest machen kann, kurz vor oder an Weihnachten selber, würde ich sagen, ist da kein besonderes Risiko.

(1:05:05)

Camillo Schumann

Jetzt ist ja dieses Dilemma, dass man Menschen aus einem Heim holt. Bei vielen Familien die Oma zum Beispiel. Sie haben gerade die Schnelltests angesprochen. Jetzt ist es ja mitnichten so, dass man in die Apotheke gehen kann, kurz vor Weihnachten, sich so einen Schnelltest holt für 10-15 Euro. Wenn Schnelltests keine Option sind, wie ist man da auf der sicheren Seite?

Alexander Kekulé

Den Schnelltest gibt es nicht nur in den

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Apotheken, sondern in vielen Städten, auch in Testzentren. Und wie ich gehört habe, sind die auch an den Weihnachtsfeiertagen geöffnet. Ich hoffe sehr, dass sie die Kapazitäten entsprechend vorhalten. Dass die, die sich an Heiligabend oder am ersten Feiertag testen lassen wollen, auch eine Chance haben, das zu machen. Wenn man dazu keine Option hat, vielleicht weil man in der Gegend lebt, wo das nicht vorgesehen ist ... Derjenige, der aus dem Heim geholt wird, ist meistens derjenige, der gefährdet ist. Das war hier gerade ein Sonderfall, dass die Familie Angst hat, sich bei dem behinderten Sohn anzustecken. Meistens ist es eher umgekehrt. Zum Beispiel Trisomie 21 ist so eine klassische Erkrankung, wo leider auch ein extrem hohes Risiko für Sterblichkeit und schwere Verläufe bei Covid-19 ist. Oder wenn man die alten Menschen aus dem Heim holt, die ja auch gefährdeter sind. Da muss man eher umgekehrt überlegen, wie man verhindern kann, dass die anderen denjenigen anstecken. Wenn die sich halbwegs vernünftig verhalten haben in der Woche oder den zwei Wochen vor Weihnachten, keine Symptome haben. Das kann ich nur noch mal betonen. Dass man jeden, der symptomatisch ist, wirklich rausnimmt. Dann ist es relativ sicher. Weil das Virus kommt nicht durch die geschlos- sene Wand rein in die Wohnung. Man muss sich das irgendwo geholt haben. Und es ist so, dass wir ja wissen, wie die Übertragungswege sind. Das heißt, wenn man nicht im geschlos- senen Raum war, mit anderen Menschen, die man nicht kannte ... Und wenn man im ge- schlossenen Raum sein musste, eine FFP2- Maske getragen hat, und wenn man keine Symptome hat, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man gerade jetzt asymptomatisch Virusausscheider ist, gering.

Wenn man noch eins draufsetzen will, kann man Abstand halten in der Wohnung, gelegentlich lüften. Vielleicht im besten Fall dem Senior, wenn er das verträgt, dann eine FFP2-Maske aufsetzen, außerhalb der Essenszeiten. Das muss jeder selber wissen, wie sehr er seine Feierlichkeiten von diesem Virus, was unser ganzes Jahr schon bestimmt hat, dann auch noch dominieren lassen will. Das ist eine Güterabwägung. Das muss jeder für sich treffen.

(1:07:46)

Camillo Schumann

Sie haben gerade den Schnelltest ange- sprochen. Es gibt sicherlich Familien, die sich einen besorgt haben oder in so ein Testzentrum gehen. Diese Dame hat sich Schnelltests besorgt, will damit das Weihnachtsfest sicher gestalten. Doch dann hat sie was gelesen und angerufen:

„Mich verunsichern zwei Berichte, die ich kürzlich gelesen habe. Darin heißt es, dass der Schnelltest nur Aussagekraft hat, wenn der- jenige Symptome hat. Bisher habe ich gedacht, dass es mit der Viruslast zusammenhängt. Das kann ja ein asymptomatischer Positiver sein als auch jemand, der vielleicht noch vor seinen Symptomen ist und ansteckend ist. Ich dachte bisher, dass man vor der Symptomatik ansteckender ist als bei der Symptomatik. Das wäre gut, dass wir das klarstellen. Ich glaube, es gibt mehrere Leute, die zu Hause Schnell- tests haben und vielleicht verunsichert sind. Machen oder nicht machen und wie sicher das ist? Vielen lieben Dank.“

Alexander Kekulé

Die Schnelltests können immer nur eine zusätzliche Sicherheitsebene einbauen. Die dürfen niemals der Ersatz dafür seien, um die klassischen Dinge zu berücksichtigen. Das heißt, Nummer eins, jemand, der Symptome hat, ist immer verdächtig. Auch wenn der Schnelltest negativ ist. Da rate ich dringend davon ab, jemanden an den Weihnachtstisch zu setzen, der covid-artige Symptome hat und zu sagen, der Schnelltest war negativ. Das wäre sicherlich falsch. Symptome schlagen sozusagen Schnelltest.

Wenn man vorher absolut keine Quarantäne machen konnte, man hatte vielleicht einen gefährlichen Kontakt. Da wäre eigentlich jemand, der in Quarantäne gehen müsste, weil man einen Typ-1-Kontakt hatte nach Robert Koch-Institut. Also einen unmittelbaren Kontakt mit jemandem, der bekanntermaßen infiziert ist. Da würde ich mich auch nicht an Weihnachten auf so einen Schnelltest verlassen.

Aber die Hörerin hat das völlig richtig gesagt. Menschen, die asymptomatisch sind, die können das Virus ausscheiden, das wissen wir leider. Wir wissen nicht, wie häufig das ist,

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aber es kommt vor. In solchen Fällen würde bei einer starken Virusausscheidung natürlich der Schnelltest auch positiv werden. Deshalb hat man ihn. Weil jemand, der sowieso Symptome hat, der soll nicht mit am Tisch sitzen. Es geht eigentlich genau um diejenigen, die keine Symptome haben, aber trotzdem in einer Phase diese Erkrankung sind, wo die Virusaus- scheidung schon beginnt. Das ist meistens am Tag vor Auftreten der Symptome, also einen Tag vor symptomatisch werden. Da beginnt die Virusausscheidung schon. Und da sind viele im Schnelltest schon positiv. Ist aber individuell so ein bisschen unterschiedlich. Es gibt auch Fälle, wo Leute sagen: „An dem Tag hatte ich schon richtig Kopfschmerzen, habe mich so komisch krank gefühlt. Ich habe gemerkt, da zieht jetzt richtig was an.“ Die würden sagen: symptomatisch, erster Tag. An dem Tag war der Schnelltest negativ. Am nächsten Tag wurden die Symptome noch schlimmer. Und dann wurde der Schnelltest positiv. Das gibt es auch.

Da kann man aber nur hoffen, dass das gilt, was wir aus den wissenschaftlichen Daten wissen. Dass immer dann, wenn die Virus- ausscheidung richtig hoch geht, PCR-technisch gesprochen dieser CT-Wert deutlich unter 30 fällt. Das heißt, die PCR ein sehr stark positives Signal dann zeigt. Damit korreliert ein Positiv- werden des Schnelltests. Das ist relativ eindeutig. Das hängt natürlich davon ab, dass man den Test richtig macht. Wenn Leute das selber machen wollen: Es ist extrem wichtig, dass man wirklich an die hintere Rachenwand drankommt. Also wenn man das durch den Mund macht, an den Mandeln vorne rumrubbeln oder gar nur von der Zunge oder von der Backe was abnehmen. Sondern man muss wirklich mit einer kleinen Lampe reinleuchten und dann durch den Gaumen- bogen durch, hinten an die hintere Rachen- wand. Da, wo man dieses Brechgefühl kriegt, wenn man mit dem Tupfer hinkommt. Dann war man richtig und am besten zweimal machen, weil dadurch ist dann sicherer, dass was dranklebt an dem Tupfer. Und zwar Schleim von der hinteren Rachenwand. Oder, wer das kann, durch die Nase.

Camillo Schumann

Es ist es furchtbar.

Alexander Kekulé

Nein, finde ich überhaupt nicht. Wenn es jemand gut macht, finde ich durch die Nase angenehmer, weil man da kein Würgereiz hat. Man hat halt stattdessen Niesreiz hinterher. Das hängt aber sehr von der Qualität des Abnehmers ab. Wenn da einer solange rum- fummelt und rumdreht und bohrt, wie man das zum Teil im Fernsehen sieht, da tut es mir schon weh, wenn ich zuschaue.

Wenn man das kann, und es kein Kind ist mit einem engen Nasengang, dann kann man das relativ flott machen. Das ist ja so ein ganz dünnes Ding. Da kann man nicht viel kaputt machen. Wenn man da einmal flott hinten rangeht, einmal dreht und wieder zurückzieht, dann ist normalerweise so, dass man danach zwei-, dreimal kräftig niesen muss. Das ist eher normal.

Wer lieber niest als würgt, der soll es durch die Nase haben. Wer lieber würgt als niest, kann es durch den Mund machen. Wenn man hinterher weder Niesreiz hat noch ein Würgereiz, dann ist es nicht richtig abge- nommen worden.

Camillo Schumann

Da hatte ich wirklich einen sehr schlechten Abnehmer. Der hatte in meiner Nase herumgestochert. Da geht man automatisch mit hoch. Und man möchte einfach nur, dass es vorbei ist. Aber egal. Der Test war negativ. Um noch abschließend diese Frage zu beant- worten: ja, auch bei asymptomatischen machen?

Alexander Kekulé

Ja, ja, natürlich, gerade bei asymptomatischen. Und bitte keine symptomatischen freitesten, wenn die Symptome ganz eindeutig sind. Aber wir wollten ja über weihnachtliche Dinge und nicht über niesen und würgen sprechen.

Camillo Schumann

Na gut, ab und zu liegt es dicht beieinander. Herr W. hat seine Weihnachtsfrage per Mail geschrieben:

„Kann man sich mit Freunden, die eine Corona- Infektion überstanden haben, ohne Masken in der Wohnung treffen? Wenn ja, dann könnte man mit denen doch zum Beispiel Weihnachten ganz unbeschwert feiern. Viele Grüße, Herr W.“

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(1:14:04)

Alexander Kekulé

Leute, die die Corona-Infektion überstanden haben, das sind ja nicht wenige inzwischen in Deutschland. Und es werden wohl auch noch mehr werden.

Camillo Schumann

1,4 Millionen hat Herr Wieler heute noch einmal gesagt.

Alexander Kekulé

Ja, das sind die registriert berechneten. Die Dunkelziffer ist da mindestens zehnmal so hoch. Die haben natürlich den Jackpot. Die können sich nicht mehr anstecken und die können auch niemanden anstecken. Das wird sowieso in den nächsten Monaten die inter- essante Diskussion sein, weil die Zahl dieser Menschen immer größer wird. Man wird ihnen aber sagen: Ihr müsst weiter einen Mund- schutz tragen. Ihr müsst euch an die Regeln halten, Händewaschen bis ihr schrumpelig werdet und so weiter. Die werden natürlich dann die Ersten sein, die irgendwann sagen: Was soll das eigentlich? Ich bin doch jetzt immun dagegen. Können wir da nicht eine Extrawurst für mich braten?

Da werden Diskussionen wie eben Ausweis für Überstandene/Geimpfte rauskommen. Da wird die Frage aufkommen, wie ist das eigentlich, wenn einer die Infektion durchgemacht hat, aber das nur mit einem Schnelltest belegt wurde? Und gar nicht mit der PCR bestätigt wurde? Darf der dann alles machen? Oder ist er immer noch riskant?

Das wird noch interessant. Aber unterm Strich ja. Das ist meine bekannte Auffassung dazu, dass jemand, der die Infektion durchgemacht hat, ist nach allem, was wir wissen, nicht mehr ansteckend und auch geschützt vor einer Neu- infektion mit einer ausreichend hohen Wahr- scheinlichkeit. Um zu sagen, das reicht, dass der sich wieder normal verhalten kann. Die Frage ist, ob man ihn lässt.

(1:15:43)

Camillo Schumann

Weitere Frage per Mail:

„Lieber Herr Kekulé, ich möchte zu Weih- nachten meine Eltern über 70 besuchen. Ich

arbeite seit Monaten im Homeoffice, bin allgemein sehr vorsichtig und werde 14 Tage lang vor der Abreise in Selbstquarantäne sein. Aber ich muss mit der Bahn von Düsseldorf an die Mosel. Vier Etappen à 80 Minuten in den Zügen, erste Klasse im ICE für 80 Minuten an einem Einzelplatz. Außerdem habe ich für die Fahrt eine FFP2-Maske. Meine Frage: Kann ich es wirklich wagen, meine Eltern zu besuchen? Wir würden allein daheim feiern. Ich plane sechs Tage Aufenthalt bei ihnen. Aber die Hinfahrt mit der Bahn und Bus beunruhigt mich doch sehr. Über einen Rat würde ich mich sehr freuen. Viele Grüße, Frau B.“

Alexander Kekulé

Eine FFP2-Maske, die man während der Bahnfahrt durchgängig aufhatte, die schützt tatsächlich. Die muss aber auch dicht sitzen. Wenn das Abteil voll sein sollte, was ich schon befürchte für die Weihnachtszeit, dann sollte man die Maske wirklich ständig im Gesicht haben. Das wäre dann die sichere Variante. Gerade wenn man danach Menschen be- gegnet, die ein hohes Risiko haben.

Jetzt nehmen wir mal an, bei der Bahnfahrt an Weihnachten zu den Großeltern oder Ähnliches, im Falle einer Ansteckung ist man nicht sofort am nächsten Tag selber infektiös. Sondern das dauert in der Regel schon drei Tage. Ich würde sagen, das ist schon eine sehr kurze Zeit. Eher so etwas wie vier Tage, bis man dann ansteckend wird. Also am gleichen Tag ist man nicht ansteckend und am nächsten Tag auch noch nicht.

Wenn man zum Beispiel an Heiligabend wohin fährt und an Heiligabend oder gleich am nächsten Tag die Veranstaltung an Weihnachten hat. Also am dem Tag wäre man noch nicht ansteckend, selbst wenn man sich auf der Hinfahrt infiziert haben sollte. Und wie gesagt, eine FFP2-Maske ist wirklich eine sichere Sache. Dass man mit den Händen nicht in den Mund fasst, nachdem man irgend- welche Griffe in der Bahn angefasst hat, ist ja auch klar. Oder sich nicht in die Augen fasst oder so.

Ich glaube, mit diesen allgemeinen Schutz- maßnahmen kann man mit sehr hoher Wahr- scheinlichkeit eine Covid-Infektion verhindern.

(1:18:02)

Camillo Schumann

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Das Wichtigste zum Schluss: Neben den Geschenken zu Weihnachten ist das Weihnachtsessen. Diese Dame, die angerufen hat, schildert, was es bei ihrer Familie gibt. Und dazu hat sie eine Frage:

„Guten Tag. Ich hätte gerne gewusst, ob man Käsefondue miteinander an Weihnachten essen darf. Ob da eine Ansteckungsgefahr besteht? Abstand ist wohl gewährleistet. Aber wie ist das mit der Gabel. Danke schön, tschüs.“

Camillo Schumann

Am Anfang dachte ich: Käsefondue? Aber es ging sozusagen um das Weiterreichen der Gabel.

Alexander Kekulé

Die Gabel reicht man, glaube ich, nicht weiter beim Käsefondue. Also wenn wir das machen, haben wir den wahnsinnigen Luxus, dass jeder sein eigenes Gäbelchen hat. Die haben hinten verschiedene Farben. Man sollte schon ein bisschen drauf achten, dass man diese Gabeln nicht vom Nachbarn nimmt. Das ist bei Fondue sowieso eine Unsitte, beim Fleischfondue ja auch, dass lecker gegrillte Stück vom Nachbarn rauszunehmen und nicht zu warten, bis das eigene fertig ist. Darum gibt es diese Farb- tupfer hinten auf den Fonduegabeln.

Beim Käsefondue hat man ja auch einen gemeinsamen Topf, wo jeder seine Gabel reinsteckt. Aber eigentlich ist die Idee der Fonduegabel nicht, dass man das Ding dann mit dem Brotstück zusammen in den Mund steckt. Das soll man auch deshalb nicht machen, weil die ganz schön scharf vorne sind. Sondern man nimmt von der Fonduegabel mit einer normalen Essgabel das Brotstück mit dem Käse ab. Streift sich das auf den Teller, nimmt ein neues Brotstück auf die Fondue- gabel und steckt die in den Fonduetopf.

Wenn man das so macht, wie das zumindest in der Schweiz guter Stil ist, dann kann man sich definitiv nicht infizieren. Und wenn einer aus Versehen mal die falsche Form Gabel er- wischt? Ich würde jetzt nicht sagen, dass in so einem blubbernden Käsetopf das Virus eine Überlebenschance hat. Also falls mal irgend- etwas schiefgehen sollte dabei, weil man zu viel Kirschwasser getrunken hat, dann ist das Fondue trotzdem sicher.

(1:20:08)

Camillo Schumann

Und die Gabel? Wenn man die leere Gabel genommen hat vom Nachbarn am Tisch und der vielleicht die vorher in den Mund gesteckt hat, könnte das ein Problem werden?

Alexander Kekulé

Eine Gabel, sofern die zwischendurch nicht im Käse desinfiziert wurde, da ist normalerweise ein gehöriger Schuss Kirschwasser noch mit drin, und die Temperatur macht es natürlich aus. Also die Gabel selber sollte man dann nicht in den Mund nehmen, wenn der andere sie vorher im Mund hatte.

Camillo Schumann

Gut, damit sind wir natürlich beim Thema Essen. Was gibt es bei Kekulés zu Hause zu essen? Was Traditionelles oder immer etwas anderes?

Alexander Kekulé

Bei uns gibt es normalerweise immer eine Gans. Die muss eigentlich ich immer fabrizieren, seitdem früher meine Mutter die gemacht hat und davor meine Großmutter. Dieses Jahr fällt tatsächlich das Gans-Essen aus wegen Covid, weil wir es nicht hingekriegt haben, irgendwie zu entscheiden, wer wo wann kommt. Dann hat der Erste schon gesagt: „Ich komme auf gar keinen Fall.“ Wahrscheinlich ist es so, wenn man so einen Virologen in der Familie hat, dann ist es besonders schwierig, zu improvisieren. Deshalb ist bei uns dieses Jahr nur eine ganz kleine Runde. Da haben wir noch gar nicht bestimmt, was wir essen.

Camillo Schumann

Eine Tiefkühlpizza wird es ja nicht, oder?

Alexander Kekulé

Nein, ich bin begeisterter Hobbykoch. Da wird schon irgendetwas bei rauskommen, was man verzehren kann. So wird es schon funktion- ierenden. Mir graut es vor allem vorm Einkau- fen vorher. Das wird noch recht fürchterlich, weil die Menschen halten sich nicht an die Empfehlungen. Und diese berühmte Empfeh- lungen, man soll an Weihnachten nicht erst alles im letzten Moment kaufen, die wird diesmal auch nicht funktionieren.

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Camillo Schumann

Es kommt ja auch immer so überraschend.

Alexander Kekulé

Ja, aber es ist irgendwie trotzdem so. Ich glaube, es ist eher die Aversion, in diese voll- gestopften Geschäfte zu gehen. Die hatte ich sowieso schon immer. Und dieses Jahr aus gutem Grund noch mal. Und das schiebt man so lange vor sich her, bis dann doch der 23.12. ist.

(1:22:00)

Camillo Schumann

Kleiner Tipp, wenn Sie nicht wissen, was Sie kochen wollen: Bei uns gibt es veganes Gulasch, dazu Klöße und Sauerkraut. Und als Nachtisch Crème brûlée.

Alexander Kekulé

Wie macht man denn veganes Gulasch? Tofu?

Camillo Schumann

Genau, Tofu. Räuchertofu wäre ganz wichtig. Räuchertofu. Da kann ich Sie ja vielleicht noch überzeugen.

Alexander Kekulé

(lacht) Da kann man bei uns noch die Rezepte abgeben.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 133. Wir sollten unbedingt mit einer positiven Nachricht zum Schluss unsere Hörer in die Weihnachts- feiertage verabschieden. Die positivste Nachricht haben wir eigentlich schon genannt in dieser Ausgabe, oder? Die Impfung?

(1:22:36)

Alexander Kekulé

Ja. Ich glaube, dass das Ende in Sicht ist. Die positive Nachricht ist, die Rettung wird kommen. Das klingt ja schon so ein bisschen nach Weihnachten. Also ich sage jetzt nicht der Erlöser, aber die Rettung wird kommen. Da gibt es schon so eine Weihnachtsbotschaft, die was damit zu tun hat: Dass nicht alles hoffnungslos ist. Und die Idee des Weihnachtsfests ist ja irgendwie schon immer gewesen, dass in die Hoffnungslosigkeit der Menschen ein Lichtstrahl hineinfällt. Ich glaube, dieser Lichtstrahl ist in dem Fall mal so skurril. Das ist von der pharmazeutischen Industrie generiert worden, nicht von

irgendeinem Stern von Bethlehem. Aber das ist in der Tat so, dass wir dadurch ein Licht am Ende des Tunnels haben.

(1:23:25)

Camillo Schumann

Herr Kekulé, besser hätte man es gar nicht beenden können. Vielen Dank für 133 Sendungen in diesem Jahr. Werden und bleiben Sie gesund. Ihnen und Ihrer Familie alles Gute und kommen Sie gut ins neue Jahr.

Alexander Kekulé

Gerne, das wünsche ich Ihnen natürlich auch, Herr Schumann. Ich freue mich, wenn es im neuen Jahr wieder losgeht.

Camillo Schumann

Ihnen, liebe Hörer, wünschen wir natürlich dasselbe. Versuchen Sie, soweit es geht, sich ein paar schöne Tage zu machen. Wir hören uns dann am 5. Januar wieder. Und an dieser Stelle rufe ich ja immer auf, wenn Sie Fragen haben, uns zu schreiben, an mdraktuell- podcast@mdr.de oder uns auch anzurufen, kostenlos unter 0800 322 00.

Wissen Sie was? Machen Sie es nicht. Lassen Sie es einfach mal. Rufen Sie nicht an, entspannen Sie sich, schalten Sie mal ab. Corona muss auch mal ein paar Tage Ruhe geben. Machen Sie es gut.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Samstag, 18.12.2020 #132: Hörerfragen SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Wird Corona immer bleiben? Sind schlecht sitzende Masken ein Grund für die hohen Infektionszahlen?

Ist ein Antigen-Schnelltest bei asymptoma- tischen Virusträgern fast nutzlos?

Wie endete die Spanische Grippe?  Gibt es negativ geladene Viren?

Damit herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen, SPEZI- AL, nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.

Camillo Schumann

Herr H. aus Pfaffenhofen hat uns gemailt:

„Mein Vater ist 78 und hat sich bei einer geriat- rischen Behandlung im Krankenhaus mit CO- VID-19 infiziert. Er hat glücklicherweise keine Symptome, wurde aber auf eine COVID-19- Station verlegt, wo er jetzt mit zwei anderen COVID-Patienten mit Symptomen, Husten und Atemwegsprobleme auf einem Zimmer liegt. Der Arzt meinte das wäre kein Problem, da er ja COVID-19-positiv sei. Ich kann mir das ir- gendwie nicht so recht vorstellen. Mich würde da mal die Meinung von Herrn Kekulé interes- sieren. Sollte man symptomfreie und Patienten mit Symptomen zum Schutz nicht lieber tren- nen? Ich mache mir große Sorgen, dass mein Vater sich die Krankheit jetzt erst richtig ein- fängt. Viele Grüße.“

01:19

Alexander Kekulé

Ja, also wenn tatsächlich alle Patienten in die- sem Zimmer COVID-19-positiv getestet wur- den, dann haben sie alle COVID-19. Und dann muss auch keiner Angst haben, dass er sich von einem anderen ansteckt. Das ist tatsäch- lich so, dass ja eben ein erheblicher Anteil symptomfrei ist. Manche haben sehr schwere Symptome, manche nicht so schwere. Aber solange man jetzt keinen, sage ich mal Inten- sivpatienten mit reinlegt, der ständig Unmen- gen von Viren ausspuckt, zum Beispiel bei den intensivmedizinischen Maßnahmen, oder manchmal der Beatmungsschlauch irgendwie abgesaugt werden muss und Ähnliches, da entstehen wirklich große Mengen von Aeroso- len. Aber so ein ganz normaler Patient, der mit im Zimmer liegt, den kann man natürlich ge- meinsam isolieren. Also das ist da spricht nichts dagegen, weil COVID ist COVID, ob Sie jetzt wenig oder viel Symptome haben, ist egal, Ihr Immunsystem ist dann einfach damit be- schäftigt, sich mit diesem Virus auseinanderzu- setzen.

02:13

Camillo Schumann

Okay, also mehr H. Befürchtung, dass sich sein Vater die Krankheit nicht so richtig einfängt, ist dann leicht übertrieben.

02:21

Alexander Kekulé

Nein, man kann sich das nicht viel oder wenig einholen, sondern man holt es sich oder man holt es sich nicht. Was tatsächlich wohl hier der Fall ist, also zumindest gibt es ja viele Hin- weise darauf, bei COVID-19, dass es auf die anfängliche Infektionsdosis ankommt. Also es kann schon sein, ganz sicher bewiesen ist das nicht, aber es kann sein, dass Menschen, die ganz wenig Virus abgekriegt haben, damit bes- ser klarkommen als jemand, der auf einmal eine sehr hohe Konzentration bekommen hat, vor allem wenn er es dann tief in die Lunge inhaliert hat. Aber das würde dann trotzdem nichts daran ändern, dass in dem Zustand, wo jetzt die Patienten auf einem Zimmer sind, jeder ja schon das Virus hat, und die Erkran- kung in einem bestimmten Stadium ist indivi- duell. Und da würde es dann keine große Rolle mehr spielen, ob der dann gelegentlich von

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einem Nachbarn noch was abgekriegt oder nicht. Ich nehme auch an, das wäre zumindest gute Praxis, dass die ja sowieso dann zusätzlich auch so ein OP-Mundschutz oder Ähnliches tragen und nicht völlig ungeschützt voreinan- der sind. Und in dem Fall ist es dann wirklich vernachlässigbar, ob da ein Zusatzrisiko ent- steht oder nicht.

03:25

Camillo Schumann

Also er wird sozusagen aus einem Symptom- freien durch die Anwesenheit der Patienten mit Symptomen jetzt kein Patient mit Symp- tomen. Wissen Sie, was ich meine?

Alexander Kekulé

Genau so ist es, ja, ja. Also man kann jeman- den, der schon angesteckt, nicht durch ein Virus noch mal zusätzlich eine verpassen, dass es ihm schlechter geht. Das geht nicht, sofern die Infektion schon richtig entwickelt ist. Sicher ganz am Anfang, in einer reinen Ansteckungs- phase, kommt es auf die Dosis an. Aber wenn man dann erst mal sage ich mal zwei, drei, vier Tage mit der Krankheit unterwegs ist, dann ist das Immunsystem insgesamt so hochgefahren, dass es sich gerade damit auseinandersetzt, dass der Erreger bekämpft wird. Also da müss- te der jetzt wirklich extrem hohe in Virus- Dosen noch einmal vom Nachbarn abbekom- men, um irgendeinen Effekt irgendwie sich vorzustellen. Aber ich muss sagen, da gibt es keine Hinweise darauf. Und wie gesagt, die werden sicherlich einen normalen, zumindest normalen OP-Mundschutz, aufhaben in diesem Zimmer. Und dadurch ist dieses Risiko wirklich vernachlässigbar.

04:26

Camillo Schumann

Eine Dame hat uns gemailt, sie will anonym bleiben. Sie will wissen:

„... gibt es andere Übertragungswege durch negativ geladene Viren?“

Sie hat auch ein Foto mitgeschickt von einem UVC-Luftreiniger, der für Zahnarztpraxen ver- trieben wird und im Text steht zu diesem Ge- rät:

‚Dieser verbindet sich sofort mit negativ gela- denen Virenproteinen oder -fetten.‘ Gibt es negativ geladene Viren? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Es ist so, dass die Viren tatsächlich Proteine auf der Oberfläche haben, wobei typischerweise bei den klassischen Standard-Viren, sage ich mal, sind diese Oberflächenproteine so, dass eine Seite dieser Aminosäuren-Kette dieses Proteins, die nach außen ragt, eher negativ geladen ist. Wir nennen das den Amino- Terminus, das Amino-Ende. Und das ist typi- scherweise nicht immer deutlich negativ gela- den. Aber ob das jetzt für das gesamte Virus- partikel eine Rolle spielt, dass jetzt die Amino- säure außen eher negativ geladen ist, das ist schon mal fraglich. Also man kann nicht davon ausgehen, dass jetzt das ganze Partikel ir- gendwie eine Ladung hätte, so in dem Sinn wie elektrostatisch, was positiv oder negativ aufge- laden ist. Wir haben das ja manchmal, dass einzelne Teilchen elektrostatisch geladen sind, dass die wirklich eine komplette Ladung haben, positiv oder negativ, und die kann man dann theoretisch sogar ablenken oder einfangen oder Ähnliches. Also, das funktioniert bei Viren nicht, also in der Summe in der Bilanz haben die keine Ladung. Es ist eher so ein Teileffekt an irgendwelchen Proteinen, den wir manch- mal sehen. Und das gibt es relativ häufig. Also dass der Amino-Terminus draußen ist und ten- denziell negativ geladen ist, das kommt vor.

Camillo Schumann

Also gibt es. Dann hat diese Dame aus Dresden angerufen und folgende Frage:

„Ich finde leider in unserem schlauen Internet nichts dazu, was wirklich etwas dazu aussagt. Wissen Sie zufällig, oder kriegen Sie es raus, wodurch hat eigentlich die Spanische Grippe, die Welle, dann aufgehört? Einfach weil genü- gend Leute gestorben waren oder hat man da irgendwelche Mittel gefunden? War das dann einfach abgeklungen? Mich interessiert es ein- fach, weil ja das eine ähnliche Sache war, wie jetzt mit Corona. Da wäre es mal interessant, dazu zu wissen, wie sich das dann aufgelöst hat. Dankeschön.“

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06:50

Alexander Kekulé

Also die spanische Grippe, die hat ja drei große Wellen gehabt, beziehungsweise zwei Wellen, die fast überall aufgetreten waren. Die 2. Wel- le war die schwerste, das war die sogenannte Herbstwelle, die die allermeisten Toten welt- weit gefordert hat. Und natürlich dann in die normalen Grippesaison letztlich mit reingefal- len ist. Die verschwand dann wieder. Danach hat man, wie das damals wie heute immer so ist, hat man gesagt, okay, jetzt ist es vorbei, jetzt müssen wir die ganzen Schutzmaßnah- men nicht mehr einhalten. Man hat die Gast- stätten wieder geöffnet. Zum Teil wurde sogar Werbung dafür gemacht, dass man jetzt wie- der in die Kneipen gehen soll, und so weiter. Da gibt es also berühmte Schilderungen aus San Francisco, wo die dann die Wirtschaft an- kurbeln wollten. Und dann kam dann so unge- fähr im Ende Januar, Anfang Februar 1919 kam dann die dritte Welle. Die hat nicht alle Berei- che ergriffen. Nach der dritten Welle war es dann so, dass letztlich zwei Effekte zusammen- kamen, nämlich zum einen, dass wirklich ext- rem viele Menschen sich angesteckt hatten. Man nimmt an, dass ein Drittel der damaligen Erdbevölkerung sich infiziert hat mit dem Virus der Spanischen Grippe. Das waren damals 1,8 Milliarden Menschen auf der Erde, also 600. Millionen ungefähr haben sich infiziert. Und das reichte eben aus, um zusammen mit der dann beginnenden wärmeren Jahreszeit, die Epidemie auslaufen zu lassen. Natürlich gab es die Jahre darauf immer wieder weitere Infekti- onen mit genau dem gleichen Virus, also dieses H1N1 von 1918, dieser bestimmte Typ, der ist noch viele, viele Jahre vorhanden gewesen, aber eben nicht mehr in dem Ausmaß, dass es eine schwere Pandemie verursacht hat, son- dern da sind dann immer weniger Leute daran gestorben, weil es immer stärkere Immunität gab. Bis dann die Menschen, die immun waren, langsam älter wurden und neue nachkamen. Und deshalb ist es ganz typisch, dass wir bei einer Grippe, ungefähr nach 30 Jahren dann ein Ausklingen der Immunität haben. Und dann hat eben typischerweise das nächste Virus seine Chance, sich durchzusetzen und die nächste Pandemie auszulösen. Aber dass das dauert, ziemlich lange. Also, wenn man die Spanische Grippe sich als Beispiel nimmt, muss

man sagen, das hat noch Jahrzehnte danach gedauert, bis das Virus sozusagen durch allge- meine Immunisierung der Bevölkerung ver- schwunden ist.

09:13

Camillo Schumann

Frau B. hat eine Mail mit gleich drei Fragen geschrieben. Ich habe mir eine ausgewählt:

„Kann ich mich durch Aerosole in einem kleinen Raum auch noch anstecken, wenn vorher ein Infizierter viele Viren ausgestoßen hat, aber nicht mehr im Raum ist? Kann man sich theore- tisch anstecken, wenn man dem Infizierten gar nicht mehr begegnet? Viele Grüße, Frau B.“

09:32

Alexander Kekulé

Ein klares Ja. Ja, das ist möglich. Das ist ja das Thema bei Aufzügen zum Beispiel. Ganz ehrlich gesagt fahre ich deshalb nicht mehr Aufzug. Seit Beginn dieser Pandemie bin ich ein einzi- ges Mal im Aufzug gewesen, ganz am Anfang. Da war das Ganze noch nicht so bekannt. Da gab es auch nur die Fälle in Wuhan, und da bin ich tatsächlich in einem Flughafenhotel gewe- sen und fuhr also vom 6. Stock oder so, da wollte ich nicht die Treppe gehen, bin ich in einen Aufzug gestiegen und habe auf Erdge- schoss gedrückt. Und „Peng!“, ein Stock drun- ter hält der Lift an und es steigen wirklich sechs oder sieben Chinesen ein mit ihren Kof- fern, drängen sich so rein quasseln laut. Und damals wusste man ja, dass diese Pandemie irgendwie aus China kommt. Ich wollte mich nicht auch nicht panisch zeigen, aber habe schon versucht, irgendwie an diesen Koffern ab zu lesen, ob da vielleicht Wuhan draufsteht. Also bei so einer Panikreaktion habe ich mich dann auch erwischt damals. Aber seitdem bin ich überhaupt nicht mehr Aufzug gefahren, weil Sie nie wissen, wer im nächsten Stockwerk noch mit einsteigt.

10:33

Camillo Schumann

Aber es ist in der Tat möglich. Dann ist natür- lich die Frage des zeitlichen Verlaufs. Wie groß ist der Raum? Läuft man unmittelbar danach rein oder eine halbe Stunde später?

Alexander Kekulé

Einer, der im Aufzug unmittelbar vor Ihnen

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gefahren ist, also, ich würde mal sagen, eine halbe Stunde – nach einer halben Stunde ist es wahrscheinlich sicher – aber wenn Sie wirklich kurz vorher jemandem hatten, der einmal kräf- tig gehustet hat und sie steigen die gleiche Kabine ein, dann haben sie eine faire Chance, sich zu infizieren.

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen. Sie diskutiert ab und zu mit ihren Bekannten und würde sich gern noch einmal rückversichern:

„Wenn einer positiv war, wurde mir gesagt, dann ist er auf jeden Fall immun. Da habe ich gesagt, nein, das stimmt nicht. Und der hat Antikörper. Und man weiß nicht wie lang. Das muss man erst mal prüfen, aber eigentlich nicht, sonst wäre es ja einfach. Aber das haben die mir nicht geglaubt. Ich würde das gerne von Herrn Kekulé persönlich noch mal gesagt be- kommen: Wenn jemand Corona hatte, wie die Wahrscheinlichkeit ist, dass er es noch mal bekommt?“

11:32

Alexander Kekulé

Also das ist eine Frage, die wissenschaftlich noch nicht abschließend beantwortet ist. Aber als Arbeitshypothese würde ich sagen, gehen wir erst mal davon aus, dass man es nicht noch einmal bekommt. Vor allem nicht in der Weise, dass es sich beim 2. Mal wieder um eine le- bensbedrohliche Erkrankung handeln würde. Das ist ja ein Riesenunterschied, ob sie irgend- wie Corona kriegen, und das hat irgendwie den Charakter einer Erkältung. Oder ob sie Angst haben müssen, auf der Intensivstation zu lan- den oder sogar daran zu sterben. Und das wä- re nun wirklich die allererste Erkrankung, wo eine durchgemachte natürliche Infektion nicht einen massiven protektiven Effekt hätte, einen massiven Schutzeffekt hätte. Und deshalb bin ich immer dagegen, hier so den Teufel an die Wand zu malen. Natürlich ist jemand, der das durchgemacht hat, erst mal für eine Weile immun. Wir wissen nicht, was mit dem Virus passiert. Ja, das Virus wird jetzt, wenn wir an- fangen zu impfen, wenn es zunehmend auch auf natürlich immunisierte Personen trifft, wird das Virus sich auch überlegen, was mache ich nun? Will ich jetzt aussterben, verschwinden von diesem Planeten? Oder lasse ich mir was

einfallen? Also wird das Virus anfangen, sich genetisch zu verändern. Wir sehen das auch an verschiedenen Stellen. Es ist gerade in Südost- England eine neue Mutante aufgetreten, wo wir nicht genau wissen, was sie bedeutet. Aber das könnte damit zu tun haben, dass eben dann schon die ersten Immunisierten, durch natürliche Infektion Immunisierten, ein Prob- lem für die Virusverbreitung darstellen. Und dann mendelt sich einfach dann irgendwann mal einen Typ raus, der dagegen, der sich da- gegen durchsetzen kann, also der eben dann auch bei Immunen nochmal Infektion macht. Das sieht aber nicht so aus, dass man quasi völlig schutzlos ist. Sondern wir nennen das dann Teil-Immunität oder auch Kreuz-Immunität, das heißt dann, dass quasi dass das sehr, sehr ähnliche Originalvirus einen Schutz verleitet auch gegen die Mutanten. Und wie gesagt also, ich würde davon ausgehen, dass wir entweder gar nicht mehr krank wird oder in der Regel dann eine leichte Infektion, die also keinen Grund zu besonderer Sorge ist.

13:39

Camillo Schumann

Frau K. vom Niederrhein hat geschrieben:

„Derzeit wundern sich ja alle über die hohen Infektionszahlen, und wie diese wohl zustande kommen. Beim Einkaufen sehe ich sehr viele Menschen mit schlecht sitzenden Masken. Meist schließen diese weder am Nasenrücken ab, noch an den Seiten. Eigentlich wird dann doch an der Maske vorbei ein- und ausgeat- met, sodass sich die Schutzwirkung ja verrin- gert. Könnte dies eine Mitursache für die hohen Fallzahlen sein? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Ich glaube nicht, dass das ein wesentlicher Grund ist, aber Mitursache, hm. Es ist so, dass letztlich die Maske verhindert ja, dass in größe- rer Menge Tröpfchen quasi auf direktem Wege irgendwo ausgeatmet werden, sei es große oder kleine Tröpfchen. Ich würde davon aus- gehen, dass die Maske, auch wenn sie nicht besonders gut sitzt, sofern sie überhaupt Mund und Nasen bedeckt, wird es so sein, dass die Maske ein echtes Superspreading-Event verhindert. Also wenn alle in einem Raum Masken anhaben, glaube ich nicht, dass es zum Superspreading kommen kann. Klar, links und

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rechts kommt bisschen was vorbei. Also, wenn Sie im Flugzeug neben jemandem sitzen, der so eine einfache OP-Maske aufhat. Bei jedem Ausatmen kommt natürlich links und rechts ziemlich viel Luft raus. Dadurch ist es so, dass Sie dann ein Restrisiko haben, dass, wenn der Sie eine Stunde lang annebelt so seitlich, dass Sie sich dann doch infizieren, weil sie auch beim Einatmen durch die eigene Maske keinen hundertprozentigen Schutz haben, weil die nie ganz dicht sind. Wir müssen, glaube ich, bei dieser Pandemie immer überlegen, wo sind die Effekte, die vor dem Komma sozusagen zu bemessen sind? Und welche machen nur Nach-Komma-Effekte? Und dieser Seiten- strom-Effekt, wenn die Masken überhaupt getragen werden, der ist sicher nach dem Ko- ma relevant. Und deshalb würde ich sagen, ja, perfekt sitzen ... Eine FFP2-Maske ist natürlich besser, aber das wäre für mich kein Grund, das als anti-epidemische Maßnahme für alle in der Bevölkerung anzuordnen.

15:41

Camillo Schumann

Herr K. hat eine Mail auch mit mehreren Fra- gen geschickt. Ich habe mir jetzt diese heraus- gesucht:

„Ist die Aussage korrekt, dass die Antigen-Tests bei Asymptomatischen eine Trefferquote von nur 40 Prozent haben und daher eigentlich nur von Nutzen sind, um zwischen einer Erkältung und einer symptomatischen Corona-Erkrankung zu unterscheiden? Wenn ja, wieso werden sie dann als Zugangskontrolle, zum Beispiel für Altenheime, genutzt? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Die Idee hinter den Antigen-Tests ist: Ja man erwischt nicht alle, die Virusträger sind. Es werden einige, sage ich mal, nicht erkannt, die man in der PCR erkennen würde. Wieviel das genau ist, kommt jetzt darauf an, wie auch das Ganze durchgeführt wird Aber ich würde mal so grob sagen, dass man wahrscheinlich 10 bis 20 Prozent derjenigen, die infiziert sind, mit dem Antigen-Schnelltest nicht erkennt und zwar von denen, die man mit der PCR erken- nen würde. Andererseits ist es so, dass die PCR so empfindlich ist, dass sie viele Leute positiv meldet, die nicht mehr oder noch nicht anste-

ckend sind. Also, die haben zwar das Virus auf der Schleimhaut, aber keine ausreichende Konzentration, um jetzt in halbwegs vernünfti- gem Umfang ihrer Umwelt anzustecken. Da rede ich jetzt nicht von Heavy Kissing. Ja, so ein intensiver Kuss kann natürlich auch bei wenig Viren zu einer Übertragung führen. Aber so, dass bei normalem sozialen Kontakt, eine An- steckung setzt einfach eine hohe Viruskonzent- ration auf den Schleimhäuten im Rachen vo- raus. Und diese hohe Viruskonzentration führt dann dazu, dass auch der Antigen-Schnelltests in der Regel positiv wird. Das heißt, sie können damit eigentlich nur feststellen, ob einer in dem Moment, wo Sie den Test machen, wenn sie in sorgfältig durchführen, vor allem den Abstrich gut machen, ob einer in dem Moment ansteckend ist. Sie können nichts darüber sa- gen, ob er krank ist oder COVID hat sozusagen. Darum ist der Test meines Erachtens fürs Krankenhaus ungeeignet. Also wenn der Arzt wissen will, ist das jetzt ein Patient, den ich behandeln muss – ja oder nein? Dann braucht er eine PCR. Aber der Test ist sehr gut geeig- net, wenn sie nur am gleichen Tag natürlich, den müssten sie sonst täglich wiederholen wissen wollen, ist der Besucher des Altenhei- mes im Moment wahrscheinlich ansteckend. Und was man natürlich dringend dazu sagen, muss: es ist immer nur additiv. Also ich würde jetzt nicht andere Vorsichtsmaßnahmen des- halb weglassen, weil ich sage, ich habe ja ge- testet, da kann gar nichts mehr passieren, son- dern als zusätzliche Sicherheitsebene. Und da finde ich diesen Test sehr, sehr gut, weil er eben gerade die rausfischt, die gerade anste- ckend sind. Vielleicht noch ein letztes Wort dazu: Um festzustellen, ob jemand wirklich vermehrungsfähige Viren in der Schleimhaut hat, da haben wir in der Virologie ein Verfah- ren, das nennen wir Virus-Anzucht. Das heißt, da nehmen wir dann den Abstrich und bringen das, was da drin ist, auf Zellen, die quasi in so einer Petrischale gezüchtet werden, und gu- cken, ob dieser Abstrich, ob dieser Schleim, den man da vom Patienten genommen hat, in der Lage ist, diese Zellen im Labor zu infizieren. Das ist ein extrem empfindlicher Nachweis, wenn der gut gemacht ist. Und da sehen wir eben, nicht wie bei der PCR nur, ob quasi totes genetisches Material da ist, sondern wir sehen wirklich, ob das ein vermehrungsfähiges sozu-

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sagen in Anführungszeichen „lebendiges“ Virus ist. Und das korreliert extrem gut mit den Anti- gen-Schnelltests. Und das heißt also, wenn die Antigen-Schnellteste positiv ist, dann ist das Virus meistens auch anzüchtbar und umge- kehrt. Sodass wir schon drauf sagen können, zumindest nach jetzigem Stand der Dinge, hat der Test aus genau dem Grund seine Berechti- gung.

19:25

Camillo Schumann

Okay, und da spielt jetzt auch keine Rolle, ob man jetzt symptomatisch oder asymptoma- tisch ist? Darauf zielte ja die Frage von eben. Naja, das ist eine sehr umstrittene Frage. Da steckt ja so ein bisschen die Frage dahinter: Haben symptomatische Patienten eine höhere Virusausscheidung – ja oder nein? Ich selber vermute, dass es so ist, dass jemand, der also schwer symptomatisch ist, vor allem ganz am Anfang der Erkrankung, deutlich höhere Virus- ausscheidung hat, als einer der asymptoma- tisch ist. Und zwar deshalb, weil es bei den allermeisten Erkrankungen so ist, auch ande- ren Viruserkrankungen. Und weil es ja ganz klar ist, wenn das Immunsystem mit dem Virus nicht zurechtkommt, also die Symptome sehr schwer werden, dass dadurch das Virus nicht unter Kontrolle gehalten wird, also sich unkon- trolliert vermehren kann und die Virusaus- scheidung höher ist. Also das ist sozusagen, dogmatisch gesprochen, wie die Virologie so was sieht. Andererseits ist es so, dass wir bei diesem COVID19 tatsächlich so epidemiologi- sche Berichte mehr haben von Leuten, die offensichtlich komplett asymptomatisch waren oder präsymptomatisch, wie wir sagen, also kurz bevor sie die Erkrankung bekommen ha- ben, die definitiv andere angesteckt haben. Das ist ohne Wenn und Aber gar nicht so sel- ten. Und warum wissen wir es in dem Fall nicht. Es gibt einige meiner internationalen Kollegen. Die sind da meiner Meinung, dass sie sagen, höchstwahrscheinlich sind symptomati- sche stärker ansteckend, also gefährlicher als asymptomatische. Und es gibt andere, die sagen das macht überhaupt keinen Unter- schied. Also da kann ich das nur so zu zur Aus- wahl stellen, dass wir uns da noch nicht ab- schließend geeinigt haben.

Camillo Schumann

Und beenden wollen wir diese Ausgabe mit dieser Dame aus Bayern. Sie hat angerufen, keine richtige Frage. Sie schildert eher, wie sie sich aktuell fühlt. Und vielleicht können wir ihr ja helfen. Also strengen Sie sich an.

„Also ich bin gerade ... Ich rufe ... Also einen kleinen Bericht aus Nürnberg: Ich gehe gerade nach Hause, Straßen leer, U-Bahn so gut wie leer, alle sind brav. Aber ich persönlich habe die Sorge, dass das nie mehr weg geht und dass wir nie wirklich dagegen was machen können. Also das beklemmt einen richtig.“

So, jetzt aber.

Alexander Kekulé

Wir haben jetzt hier mit den zwei Impfstoffen, die mehr oder minder zugelassen sind, haben wir in kürzester Zeit quasi die schärfste Waffe, die die Medizin in der gesamten Medizinge- schichte entwickelt hat, in Stellung gebracht. Es gibt kein medizinisches Instrument, was so wirksam ist wie Impfungen. Und hier haben wir eine Impfung, und zusätzlich tun uns ja auch einige Teile der Bevölkerung den Gefallen, dass sie sich auf natürlichem Weg durch durchseu- chen – das ist natürlich ironisch gemeint. Aber in der Tat ist es ja so, dass diejenigen, die gar nichts von den Maßnahmen halten, auf die Weise sich mal schön durchimmunisieren. Das wird weggehen. Klar, wir werden mit diesem Virus noch ein paar Jahre zu tun haben. Aber es wird nicht diese bleierne Zeit, wie ich das nenne, die wird zu Ende gehen. Das ist halt dann eine unserer Alltagsgefahren, mit denen wir halt weiter leben müssen. Einige werden sich dagegen impfen lassen. Einige werden sagen, nein, Impfung will ich nicht. Aber, so, dass wir jetzt Lockdowns haben und so ganz drastische Maßnahmen ergreifen, das ist hof- fentlich jetzt Schluss damit.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 132 Ke- kulés Corona-Kompass Hörerfragen SPEZIAL, vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 22. Dezember wieder.

Bis dahin, bleiben Sie gesund.

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Alexander Kekulé

Bis dann, Sie auch, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuell- podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kos- tenlos unter 0800 322 00. Alle SPEZIAL- Ausgaben und alle Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Donnerstag, 17.12.2020 #131: Das schwarze Dreieck des Impfstoffs

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Donnerstag 17. Dezember 2020.

Rekord-Inzidenz-Werte in Sachsen: Die Landesregierung denkt darüber nach, ganze Orte von der Außenwelt abzuriegeln. Wie muss so eine Maßnahme umgesetzt werden, damit sie auch wirkungsvoll ist?

Bundesgesundheitsminister Spahn rechnet mit einer schrittweisen Normalisierung ab dem Sommer. Wie hoch muss die Impfquote dafür sein?

Wieder gab es Probleme nach der Impfung mit dem BioNTech/Pfizer Impfstoff. Was ist darüber bekannt?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Na, man hört's raus. So richtig fit und auf dem Dampfer sind sie noch nicht.

01:02

Alexander Kekulé

Natürlich bin ich auf dem Dampfer. Nein, ich bin ich bin immer noch krank. Aber ich rede so

gerne mit Ihnen, dass ich das trotzdem gerne mache.

Camillo Schumann

Haben Sie wenigstens ein Tässchen Tee da? Da können Sie ruhig noch einen Schluck nehmen.

Alexander Kekulé

Ich habe extra Tee besorgt hier, ja.

Camillo Schumann

Sehr schön, was denn für einen Tee eigentlich?

Alexander Kekulé

Das ist in dem Fall ganz trivial Earl Grey Tee, den ich meistens trinke. Für einen Spezialaufguss hat die Zeit nicht gereicht.

01:26

Camillo Schumann

Gut. Dann hoffen wir, dass die Stimme durchhält. Herr Kekulé, heute wurden fast 700 Tote im Zusammenhang mit COVID-19 gemeldet, gestern fast 1.000. Und gestern wurde auch über ein Krankenhaus in Sachsen berichtet, an dem es schon Triage-Fälle gegeben haben soll. Also wo geschaut werden musste, wer zuerst Sauerstoff bekommt und wer nicht. Die Landesregierung wollte nicht von Triage sprechen, sondern nannte die Aussagen eines Arztes in Zittau einen Hilferuf. Aber immer mehr Klinikchefs sprechen davon, sehr bald an die Grenzen des Machbaren zu kommen. Wie bewerten Sie die aktuelle Gesamtlage?

01:58

Alexander Kekulé

Naja, ich glaube schon, dass wir Gefahr laufen, dass einige Krankenhäuser demnächst überlastet werden in den Intensivstationen. Ob man das jetzt dann schon Triage nennen muss? Wir hatten ja da schon letztes Mal darüber gesprochen. Es gibt Chefärzte, die das berichten. Der, mit dem ich gesprochen hatte, war nicht der Kollege aus Zittau. Es gibt also noch mindestens einen weiteren, der auch ganz offen sagt, wir machen hier Triage. Natürlich ist der Begriff so ein bisschen drastisch. Und das, was man jetzt im Krankenhaus macht, ist eher, dass man merkt die Kapazitäten sind überlastet. Wir müssen aus der Intensivstation jemanden verlegen, weil wir nicht weiterkommen. Und dann kommt eben der Rettungswagen oder der

Hubschrauber und bringt ein, zwei Patienten woanders hin. In so eine Luxussituation hätte man sich in Norditalien oder in Frankreich zum Teil wirklich hinein gewünscht. Wir sind weit weg davon, dass unsere Gesamtkapazitäten überlastet werden. Es kommt halt dann letztlich zu Verlegungen. Und was da vorhin gesagt wurde, also dass der Sauerstoff irgendwo ausgegangen ist, das kann ich mir kaum vorstellen. Also, wir haben keinen Lieferengpass bei Sauerstoff, und der wird ja bekanntlich flüssig gelagert. Das heißt also, diese Krankenhäuser haben riesige Tanks hinterm Haus, die man auch manchmal sieht als Besucher, diese riesigen weißen Silos, die da stehen, da ist der Sauerstoff drinnen. Also dass der jetzt ausgehen könnte, das kann ich mir kaum vorstellen. Wir haben zwei riesengroße Hersteller allein in Deutschland, also, das halte ich für ein Gerücht, dass da der Sauerstoff alle war.

03:30

Camillo Schumann

Es ist ja auch berichtet worden, dass dann einige Patienten nicht transportfähig seien, im Krankenhaus verbleiben müssen. Und wenn dann neue Fälle kommen, steht der Arzt natürlich dann vor einem Riesenproblem.

Alexander Kekulé

Ja, das ist das Management, was man in den Intensivstationen aber auch sonst manchmal hat. Wenn man sich das vorstellt: Früher waren es die schweren Verkehrsunfälle auf der Autobahn, die sind dann typischerweise nicht neben der nächsten Großstadt, sondern irgendwo JWD. Und dann haben sie irgendein Kreiskrankenhaus, wo die alle hingebracht werden. Dann kommt es zu solchen, sage ich mal, Krisenmanagement-Situationen. Ich will das jetzt nicht kleinreden. Aber das ist nichts, was unser Gesundheitssystem insgesamt überlasten würde. Aber perspektivisch sind wir natürlich schon in der Gefahr, dass es zu solchen Überlastungen kommt, wenn die Zahl der schweren Fälle weiterhin so ansteigt.

04:20:

Camillo Schumann

Wir sind bei fast 5.000 Patienten, COVID-19- Fällen, aktuell in Behandlung auf Intensivstationen. 2.700 aktuell beatmet, Tendenz nach oben. Wir haben noch

Intensivbetten, aktuell frei 3.700. Wenn das jetzt aber so stetig weitergeht, könnte es wirklich ein Problem geben. Oder?

Alexander Kekulé

Man muss auch bei den sogenannten freien Betten, das ist, glaube ich, auch schon in den Medien bekannt, man muss da immerhin hinsehen. Bett ist eine Sache, aber meistens ist ja heutzutage der limitierende Faktor die Zahl der Pflegekräfte. Und man hat ja am Anfang dieser Pandemie auch nachgerüstet, was die Beatmungsgeräte und Ähnliches betrifft. Da ist man spät draufgekommen. Aber dann immerhin ist das passiert in Deutschland, sodass ich glaube, dass wir rein technisch gesehen weiter sind, als wir es personell sind. Der Engpass wird dann das Personal irgendwann sein. Man müsste fast mal sagen, dass die Intensivbetten möglicherweise korrigiert werden müssten, danach, dass man reinschreibt, wie viele Betten sind tatsächlich zu betreiben aufgrund des vorhandenen Personals. Und da ist natürlich der Krankenstand auch wegen COVID auch unter dem medizinischen Personal auch ein ganz wesentlicher Faktor.

Camillo Schumann

Eigentlich müsste man die Statistik verändern und aktualisieren, also die dann auch tatsächlich genutzt werden können, gerade wenn es um Verlegung geht.

Alexander Kekulé

Also das ist genau das. Also diese Zahl auf dem Papier ist eine Sache. Aber bei den konkreten Verlegungen, da ist es ja so: Da gibt es Leitstellen, die so etwas organisieren, Leitstellen für den Rettungsdienst. Die sind meistens regional, aber inzwischen sehr gut in ganz Deutschland miteinander vernetzt. Und wenn dann ein Bett irgendwo gebraucht wird, dann organisiert die Leitstelle quasi diese Betten. Und fast überall in Deutschland haben wir das mit einem elektronischen System inzwischen, dass die das online wirklich sehen, wie viele Betten wo frei sind, damit jetzt der Rettungswagen nicht ins falsche Krankenhaus fährt, das ist ja ganz klar. Da sind wir also wirklich gut in Deutschland. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders. Aber wenn man diese Zahlen ansieht, die sich jetzt sozusagen

wirklich auf dem Display der Leitstellen zeigen, die sind natürlich geringer als die offizielle theoretische Bettenzahl in Deutschland. Weil da die Krankenhäuser wirklich das melden, wo sie sagen okay, Station sowieso kann noch zwei Patienten aufnehmen, und diese zwei werden dann als freie Betten eingetragen. Ich glaube, das wäre eine interessantere Zahl als die rein theoretische Kapazität, vor allem, wenn es um so kurzfristige Verfügbarkeit geht. Das ist ja hier wichtig.

06:50

Camillo Schumann

Wir müssen über Sachsen sprechen. Das Bundesland hat mit Abstand die meisten Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Sieben Landkreise, Stand heute, sogar mit einer Inzidenz von über 500. Der Landkreis Bautzen aktuell über 600, der Landkreis Sächsische Schweiz Osterzgebirge, ebenfalls der Landkreis Zwickau, kurz davor. Laut Sozialministerium gibt es sogar Orte im Erzgebirgskreis mit einer Inzidenz auf 100.000 Einwohner von über 1.000, in Stolberg zum Beispiel über 1.200, Breitenbrunn, knapp 1.100. Laut Ministerium seien in diesen Daten auch Nachläufer mehrerer Tage dabei. Davon mal abgesehen: Wie bewerten Sie eigentlich aktuell die Lage in Sachsen?

07:32

Alexander Kekulé

Na in Sachsen sehen wir natürlich das, was vorherzusehen war. Gerade die sächsische Landesregierung gehört er zu denen, die lange Zeit geglaubt haben, dass die niedrigen Fallzahlen ein Hinweis darauf seien, dass man weniger rigide sich schützen muss vor COVID- 19. Und was dann eintritt, ist, dass das Virus auf eine Bevölkerung trifft, die wenig geübt ist in Schutzmaßnahmen und die sich auch irgendwie in Sicherheit wiegt, letztlich auch durch die Ansagen in der eigenen Regierung. Und dort kommt es dann besonders schnell zu Ausbrüchen. Möglicherweise auch deshalb, weil bisher wenig Menschen immun sind. Dieser letzte Faktor ist extrem ungenau. Ich bin nicht ganz sicher, ob das eine Auswirkungen hat oder nicht. Aber dieses Element der Vorbereitung ist bekannt. Wir haben das ja auch in Italien gesehen. Da gab es zuerst diese fürchterlichen Ausbrüche in Norditalien. Die

Süditaliener dachten, der Blitz hat nebenan eingeschlagen. Und jetzt im Moment ist es so, dass Süditalien stärker betroffen ist und die Norditaliener so ganz gut über die Runden kommen. So sehen wir es in Deutschland auch. Und deshalb kann ich wirklich nur noch mal warnen: Alle, die glauben, mich betrifft das nicht. Das ist ein Problem anderer Bundesländer oder andere Regionen, die werden eben hier eines Besseren belehrt. Für Sachsen hat man ja jetzt die Farbe Lila eingeführt, auf der auf der Grafik des Robert Koch-Instituts. Also weil rot-dunkelrot, noch dunkelröter, da gab es dann nichts mehr. Da hat man jetzt stattdessen für über 500 Fälle pro 100.000 Einwohner hat man dann gesagt, das ist lila. Übrigens, die Zone lila, das habe ich gesehen, geht interessanterweise von 500 bis 1.000. Das ist also ein Riesensprung. Die anderen Zonen sind eher so in 50er oder 100er-Schritten. Das ist so ein bisschen „der Bereich ist eh schon wurscht“, würde man fast sagen. Und das, was Sie gerade genannt haben, über 1.000, dafür gibt es noch gar keine Farbe. Also wir sind jetzt wirklich in so einem Bereich das hat man sonst nur in Frankreich gesehen. Da gab es mal teilweise Erfassungen, wo das so nah an die 2.000 Fälle pro 100.000 ranging.

09:31

Camillo Schumann

Fairerweise muss man natürlich dazu sagen, dass der Landkreis Regen in Bayern, Altenburger Land in Thüringen dieselbe Farbe haben. Aber in Sachsen ist es geballt.

Alexander Kekulé

Das weiß ich natürlich. Das ist keine Entschuldigung für keinen von den beiden. Aber es gibt tatsächlich in Bayern auch ein Landkreis der lila ist inzwischen auf der Karte. Ja, wir müssen nicht damit rechnen, aus meiner Sicht, das ist eine klassische Triage geben wird, auch in Sachsen nicht. Das glaube ich nicht. Das werden wir vermeiden können. Aber wir müssen einfach das jetzt als Hinweis darauf sehen, dass wirklich diese rigiden Maßnahmen, die jetzt beschlossen wurden, leider notwendig waren. Anders kann man es nicht sagen. Und mein Eindruck ist, dass in einigen Teilen Deutschlands, das weiß ich jetzt gar nicht, ob das in den Landkreisen in Sachsen

besonders verbreitet ist, man einfach irgendwie auch so ein bisschen eine Resistenz der Bevölkerung gegen die öffentlichen Maßnahmen verzeichnet. Also, dass die eigentlich gar keine Lust mehr haben, das alles mitzumachen und diese hohen Infektionszahlen schicksalsergeben über sich ergehen lassen.

10:38

Camillo Schumann

Weil Sie gerade die harten Maßnahmen angesprochen haben. Die werden in Sachsen möglicherweise noch härter. Denn die sächsische Landesregierung plant angeblich, Kommunen mit einer besonders angespannten Corona-Lage abzuriegeln. Unter anderem die Freie Presse berichtet das. Dann würde die Polizei alle Zufahrtsstraßen und auch Zufahrtswege in die betroffenen Kommunen sperren. Einwohner dürften nur noch während eines festgelegten Zeitfensters und auf kürzestem Weg einkaufen gehen. Ministerpräsident Kretschmer hatte ja gestern im Landtag schärfere Corona-Maßnahmen angekündigt, sollten die Infektionszahlen weiter steigen. Beschlossen sei noch nichts, sagt sein Sprecher. Herr Kekulé, abriegeln als Ultima Ratio.

Alexander Kekulé

Naja, das ist der klassische Cordon Sanitaire. Das hat man bei der Pest im Mittelalter erfunden, und es hat schon dort nichts gebracht, war aber sehr, sehr gefürchtet. Damals wurden die Soldaten außerhalb der Stadtmauern aufgestellt, um zu verhindern, dass jemand raus oder reinkam. Sie hatten den Befehl, jeden zu töten, der sich nicht daran hält an die Regelungen. Ich glaube, das gibt es ganz selten, wir hatten diese Diskussion ja schon in Italien, wo das mal angeordnet wurde, die sogenannte Zona rossa, die dort eröffnet wurde, die rote Zone. Es gibt ganz selten Situationen, wo das sinnvoll sein kann. Und das wäre dann, wenn sie einen genau definierten Ausbruch in einer konkreten Region haben und wissen, es ist wirklich nur dort, nirgendwo anders. Und Sie haben eine Chance durch eine Abriegelung, frühzeitige Abriegelung – die darf dann auch durchaus hart und konsequent sein – um eine echte Eindämmung, ein Containment der Epidemie

zu erreichen. Das wäre zum Beispiel bei Ebola in Westafrika sinnvoll gewesen. Da hat man es teilweise versucht und ohne Erfolg. Das war in Italien selbstverständlich nicht sinnvoll, weil das Virus schon längst über die Stadtgrenzen dieser Dörfer da in der Lombardei hinaus sich verbreitet hatte. Und ich sehe jetzt in Sachsen nicht genau, wo wollen sie denn die Grenze ziehen? Also, wo ist denn da innen und außen bei diesem Codon Sanitaire? Also es hat keinen Sinn, sozusagen die dunkelroten von den etwas weniger dunkelroten Zonen abzutrennen. Die psychologischen Effekte sind normalerweise verheerend von so etwas. Und Sie haben natürlich dann auch erhebliche logistische Probleme, weil sie die Leute ja versorgen müssen.

12:57

Camillo Schumann

Ende März wurden ja schon mal in Sachsen- Anhalt Teile der Stadt Jessen abgeriegelt. Das damalige Jessen-Cluster, so hat man es genannt, umfasste 67 Personen und die Infektionsketten, die konnte man auch noch gut nachvollziehen. Rückkehrer eines Skiurlaubs zum Beispiel haben das Virus in die Stadt gebracht. Ein Fußballfan, der in Leipzig beim Spiel RB gegen Tottenham war, konnte auch als Quelle ausfindig gemacht werden. Ist in den betroffenen sächsischen Kommunen das Erkennen und Auswerten dieser Cluster überhaupt noch möglich?

Alexander Kekulé

Der Jessen-Cluster ist ein gutes Beispiel. Da hatten wir ja mehrere am Anfang der Pandemie. Das war die große Zeit, wo wir Deutschen beneidet wurden, ja, unsere Gesundheitssysteme haben mit einer, würde man fast sagen, deutschen Gründlichkeit die Fälle nachverfolgt, jeden untersucht. In diesen Clustern wurden dann massenweise, für damalige Verhältnisse, massenweise Tests gemacht. Und man hat das wirklich akribisch, wie ein Spürhund hat man einen Fall nach dem anderen aufgegriffen - gesagt okay, du kommst in Quarantäne. Mein Lieblingsbeispiel ist der eine, (...) [dass] die Münchner Gesundheitsbehörden irgendwo auf Mallorca oder einer kanarischen Insel, ich weiß nicht mehr welche es war, damals dinghaft gemacht haben und dort in Quarantäne gegeben. Da

sind wir ja so völlig davon entfernt. Also es werden ja heutzutage nicht einmal mehr einzelne Fälle in Schulklassen nachverfolgt, sondern man gibt die ganze Klasse in so einer Art Halbquarantäne. Und deshalb sehe ich jetzt auch nicht, wie man ähnlich erfolgreich wie damals am Anfang der Pandemie, wenn man so einen Cordon Sanitaire macht, in diesem abgeschlossenen Bereich sozusagen eine Eliminierung der Infektionen machen könnte. Rein theoretisch, nehmen wir mal an, es würde gelingen, also hier würde der Freistaat Sachsen seine ganzen Ressourcen darauf verwenden, ein, zwei Kommunen wirklich clean zu bekommen durch radikale Maßnahmen. Was ist denn dann danach? Dann müsste man diese Leute, die dort wohnen, ja eigentlich vom Rest Deutschlands schützen und dann sozusagen den Cordon gleich mal stehen lassen, aber mit umgekehrten Vorzeichen, weil die da drinnen dann alle die Insel der Glückseligen wären. Also ich sehe da sozusagen strategisch kein Kriegsziel, wenn ich das mal so sagen darf. Und ich glaube, dass muss man sich immer als Erstes überlegen, bevor man zu so drastischen Maßnahmen greift.

15:09

Camillo Schumann

Wenn jetzt bei Ihnen das Telefon schellen würde und jemand aus Sachsen riefe an und wollte wissen, wir machen jetzt diese Abriegelung, welche Strategie schlagen Sie uns vor, damit das dann zum Ziel führt? Oder würden Sie dann erbost auflegen und sagen, er macht diese Abriegelung nicht, sondern wir halten uns jetzt einfach mal alle an diesen harten Lockdown-Maßnahmen?

15:31

Alexander Kekulé

Also, das ist sehr, sehr hypothetisch. Also grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man in Krisenzeiten schon das Primat der Exekutive einhalten sollte. Das heißt, es gilt dann in diesen Krisenzeiten einfach was angeordnet ist. Da bin ich schon dafür. Wenn's angeordnet wird, muss man sich daran halten, weil sonst das ganze System ja noch mehr außer Kontrolle gerät. Aber wie gesagt, wenn mich einer fragen würde, wie sollen wir das machen mit dieser Abriegelung, hätte ich keinen Vorschlag, eine sinnvolle Grenze zu ziehen.

Und ich wüsste auch nicht, wann man sie beenden soll, weil, wie gesagt, wenn man innerhalb des abgeriegelten Bereichs, wie damals in Jessen, alles sozusagen sauber hätte, dann müssten sie ja weiterhin abriegeln, um die sauberen vor den vor dem Dunkelroten außenrum zu schützen. Dann haben sie sozusagen einen weißen Fleck in der Mitte von Purple. Und ich weiß nicht, ob das so eine wahnsinnig gute Idee wäre.

16:22

Camillo Schumann

Also Strich drunter, eine wenig zielführende Idee, die da in Sachsen diskutiert wird. Beschlossen ist ja noch nichts.

Alexander Kekulé

Ist es nur eine Idee, und ich glaube, dass die sächsische Landesregierung, die haben ja hervorragende Berater, ich glaube schon, dass die genau solche Überlegungen anstellen werden. Und ich bin relativ zuversichtlich, dass die dann zu dem Ergebnis kommen, dass das keinen Sinn hat, einen Landkreis von einem anderen abzugrenzen, wenn man sich die Karte anschaut, weiß man nicht, wo man anfangen soll und wie sie schon gesagt haben, es ist ja nicht nur Sachsen, wir haben ja in Bayern auch einen ähnlich schlimmen Fall. Und schon allein die Tatsache, dass wir über 500 nicht mehr weiter diskriminieren, sondern sagen, alles, was über 500 ist, ist lila - das sagt ja schon so ein bisschen, wie die Behörden das sehen. Ja, die werfen da die Hände über den Kopf.

17:12

Camillo Schumann

Deutschland befindet sich ja im harten Lockdown. Möglicherweise in Sachsen wird er vielleicht noch härter. Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Herr Gassen, der rechnet mit einem Scheitern das harten Lockdowns, also ein „positiver“ Zeitgenosse. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er, er gehe nicht davon aus, dass wir bis zum 10. Januar eine relevante Absenkung der Infektionsraten und schon gar nicht der Todesfälle erreichen werden. Er glaube nicht, dass mit Hilfe der harten Beschränkungen der Grenzwert von 50 Neuinfektionen dauerhaft unterschritten werde, egal ob der Lockdown

nun drei oder zehn Wochen dauert. Würden Sie sich dieser extremen pessimistischen Prognose anschließen oder das Ganze jetzt ein bisschen relativieren.

17:54

Alexander Kekulé

Also, ich bin ja immer Optimist, auch wenn man das manchmal nicht raushört, wenn ich genervt bin von aktuellen Beschlüssen. Also ich sehe das nicht so. Ich glaube, dass dieser harte Lockdown plus die Zeit – die stade Zeit an Weihnachten, wie man in Bayern sagt, also die ruhige Zeit – das führt dazu, dass die Menschen sich schon zurückfahren in den sozialen Kontakten. Und ich glaube, das wird ein Effekt haben. Das Hauptproblem ist tatsächlich diese (...) Seitwärtsbewegung, dass wir halt einfach so eine Art Nachbrenneffekt haben. Wenn Sie im Haushalt einen Infizierten haben und der eine Infizierte nicht in Isolation kommt, das ist ja das Konzept, was die Chinesen hatten, dass sie die Leute rausgeholt haben, sofort, wenn sie isoliert werden mussten, in diese sogenannten Arche-Noah- Kliniken, das chinesische Wort dafür habe ich jetzt gerade wieder vergessen, aber übersetzt hieß die Arche-Noah-Kliniken. Und das entspricht ungefähr dem, was die Schutzkommission vor Jahrzehnten vorgeschlagen hat. Das waren die sogenannten Fieber-Kliniken, dass wir gesagt haben, in so einem Ereignis braucht man Kliniken, wo Leute, die infektiös sind und die nicht unbedingt schwer krank sein müssen, aber die eben isoliert werden müssen, wo die rein können, weil die sollen nicht in der Familie bleiben. Und da haben wir eben vorgeschlagen, dass man Fieber-Kliniken einrichtet. Dieses Konzept ist in Deutschland nicht verfolgt worden und deshalb haben wir jetzt die Situation, dass im gleichen Haushalt dann immer ein Infizierter ist und zwei, drei, die in Quarantäne sind, noch dazu, je nachdem, wie groß der Haushalt ist. Und die Quarantänisierten stecken sich natürlich zum Teil an. Das ist von Privatpersonen nicht zu erwarten, selbst von Virologen wahrscheinlich nicht am Ende des Tages, dass sie in der kleinen Wohnung das hinkriegen, alle zu schützen, wenn ein Infizierter im Haushalt ist. Und dadurch gibt es so eine Nachholbegegnung. Einer für jeden, der krank

ist, werden eben noch ein, zwei im Haushalt angesteckt. Und dieser Effekt, das ist sicherlich der, ich weiß, nicht, ob Herr Gassen den gemeint hat, das ist der, der jetzt noch so einen Nachbrenner erzeugen wird bei den Fallzahlen. Ich glaube nicht, dass es dadurch zu einer besonderen Sterblichkeit kommt, weil das doch tendenziell eher dann ist, wenn jetzt keine besonderen Risikopersonen im Haus leben, weil die Leute schon ungefähr wissen, was riskant ist und was nicht. Aber abgesehen davon bin ich sehr zuversichtlich, dass dieser harte Lockdown einen Erfolg zeigt. Ob wir jetzt am 10. Januar unter 50 kommen im Bundesdurchschnitt, glaube ich irgendwie auch nicht. Aber das ist das ist, glaube ich, nicht so wichtig. Dann wird es halt noch ein bisschen verlängert, muss sehen, ob man irgendwo nachkorrigiert. Die interessantere Frage ist, was machen wir danach? Oder wann steigen wir um auf ein anderes Konzept? Und da kann ich nur noch mal sagen, ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben, wie wir weitermachen sollten im nächsten Jahr. Und kann nur dringend plädieren, dass wir ein alternatives Konzept dann haben, statt zu warten, bis wir bei 50 sind, dann wieder aufzumachen und dann irgendwann im April oder März vielleicht schon den nächsten Lockdown zu haben.

20:51

Camillo Schumann

Das Prinzip, wie es dann weitergeht, hört sich für uns jetzt so an, als würde man auf die Impfung setzen oder möglicherweise ausschließlich auf die Impfung setzen. Herr Gassen, von dem wir gerade gesprochen haben, der plädiert auch für eine Aufhebung aller Corona-Schutzmaßnahmen, wenn alle impfbereiten Menschen eine Impfung erhalten haben. Und wer sich eben nicht impfen lassen möchte, müsse dann mit dem Risiko leben, an COVID-19 zu erkranken oder gar daran zu sterben. Es kann nicht sein, dass der Rest der Gesellschaft dauerhaft auf Impfverweigerer Rücksichten nehmen muss. Würden Sie diesen Satz zu unterstreichen oder ist das zu kurz gegriffen?

Alexander Kekulé

Ich verstehe nicht ganz den Satz. Also, der meint ja wohl nicht im Ernst, dass man die

anderen dann sterben lässt und nicht behandelt oder Ähnliches. Ich kann es mir nicht vorstellen. (...)

Camillo Schumann

So hat er es auch gesagt.

Alexander Kekulé

Ja, ich glaube nicht, dass er das so gemeint hat. Also er hat (...) sich auch in der Vergangenheit schon ein, zweimal mit relativ spektakulären Äußerungen hervorgetan, zum Teil zusammen mit Virologen. Ich glaube aber nicht... ich glaube, das darf man nicht so polarisieren. Letztlich ist ja die Idee von den Leuten, die sagen, das kann so nicht weitergehen, ist ja letztlich, dass man sagt, wir können nicht irgendwie immer nur Lockdown machen. Und das ist ja im Ansatz richtig, es ist sowieso ein Wunder, dass so viele Menschen da immer brav mitmachen, obwohl die Alternativen ja schon lange auf dem Tisch liegen. Und dass der Herr Gassen da jetzt langsam ungeduldig wird – gerade aus der Perspektive der Krankenhäuser – ist es natürlich verständlich, wenn die Intensivstationen voll laufen, dass man da dass man da relativ drastische Ansagen macht. Ich glaube, da wäre lange vorher zu überlegen, ob man eine Pflicht-Impfung macht, wo ich auch dagegen wäre. Und ich glaube deshalb jetzt sozusagen die, die sich nicht impfen lassen wollen, kriegen keine Behandlung – ich glaube auch nicht, dass er das so gemeint hat.

22:44

Camillo Schumann

Bundesgesundheitsminister Spahn hat auch gesagt, wie hoch die Impfquote sein muss, um dann wieder ein normales Leben führen zu können. Wir haben mal kurz rein:

„Wir brauchen etwa 55 bis 65 Prozent der Bevölkerung, die immun sind, die geimpft sind, um bei diesem Virus auch die Ausbreitung zum Erliegen zu bringen, sodass man wie bei anderen Viren wären auch vielleicht noch mal lokal Infektionen hat, aber eben nicht mehr eine solche Infektion.“

Die Kanzlerin hat das dann gestern auch ein bisschen anders formuliert, wir hören auch mal da rein:

„Wir streben eine Herdenimmunität an. Die muss allerdings eines Tages, damit die Pandemie verschwunden ist, weltweit gelten. Und da sagen uns die Wissenschaftler, dass 65 bis 70 Prozent der zu impfenden geimpft werden müssen. Dann kann immer noch individuell jemand erkranken, aber das Virus wird sich nicht mehr so ausbreiten, wie es das zurzeit tut.“

Also 55 bis 65 Prozent bei uns in Deutschland oder 70 Prozent weltweit. Was stimmt denn nun?

23:38

Alexander Kekulé

Also, der die Kanzlerin wiederholt die Zahlen, die sie im Frühjahr schon gebracht hat. Und das ist ja bekannt, dass der Christian Drosten das bei der Maybrit Illner mal vorgerechnet hat, auch mit den Toten, die damit in Zusammenhang stehen würden. Diese Zahl wird ja so berechnet – wieviel braucht man für eine sogenannte Herdenimmunität? Das wird so berechnet, dass man sagt, dass R die Maximalgeschwindigkeit der Virusausbreitung, das heißt dann R0. Und das ist in diesem Fall ungefähr 3. Ganz genau wissen wir es nicht, aber wir rechnen mal mit einem R0 = 3. R0 von 3 heißt, jeder Infizierte steckt drei weitere an. Damit Sie sozusagen dann auf einen R1 kommen, das heißt also, die Epidemie unter Kontrolle haben müssen Sie zwei von drei Infektionen verhindern. Weil dann haben sie nicht mehr drei, sondern nur noch einen, der angesteckt wird. Zwei von drei verhindern Zweidrittel ist bekanntlich 66,6667 Prozent. Und das ist das, was die Kanzlerin hier vorrechnet, die will jetzt der Bevölkerung nicht irgendetwas mit Komma zumuten, obwohl ich sicher bin, dass sie das im Kopf hat. Darum sagt sie das so in diesem Bereich. Diese ganze Rechnung, das habe ich auch schon lange angemerkt, die ist falsch. Und zwar aus folgendem Grund: Das Prinzip der Herdenimmunität, das ist ja ganz interessant. Das hat man irgendwann mal bei Schafen entwickelt übrigens, das hat dort auch nicht so richtig funktioniert. Und bei den Schafen ist es das so, da kann man davon ausgehen, dass die sich homogen vermischen. Und nur, wenn sie eine homogene Vermischung haben, das heißt also, wenn jedes Schaf mit jedem anderen

Schaf gleich viel Kontakt hat, dann (...) stimmt diese Rechnung. Weil dann haben sie tatsächlich, wenn sie zwei Drittel durch immunisiert haben, bei einem R0 = 3. Da haben Sie tatsächlich dann diesen herdenprotektiven Effekt rein statistisch gesehen. Bei den Menschen ist es so: die vermischen sich nicht homogen. Auch nicht innerhalb von Deutschland. Das gibt ganz, ganz viele unterschiedliche Gruppen. Sie wissen, die Bayern reden nicht mit den Preußen, die Juden nicht mit den Arabern und so weiter und so weiter. Ja, und dann gibt es ganz viele andere Trennungen in unserer sozialen Gesellschaft.

Camillo Schumann

An dieser Stelle kurz der Hinweis und unsere Podcasthörer, das war jetzt ein Spaß. Sie müssen jetzt keine bösen Mails schreiben.

Alexander Kekulé

Das war ein Spaß.

Camillo Schumann

Der Virologe hat einen Spaß gemacht.

Alexander Kekulé

Ganz wichtig, da vielleicht noch die Griechen nicht mit den Türken muss man noch dazu sagen. Aber ich glaube, Sie verstehen, was ich meine. Wir haben einfach in unserer Gesellschaft keine homogene Vermischung. Das ist einfach so. Und deshalb ist es so, dass sie immer gucken müssen, wie ist es innerhalb einer sozialen Blase? Wie ist dort die Immunität? Und dann gibt es eben bestimmte soziale Blasen, wenn ich die mal so nennen darf, die besonders sozial aktiv sind, die das Infektionsgeschehen typischerweise vorantreiben. Das sind nicht nur die jungen Leute in den Großstädten, was man immer so denkt. Aber es gibt bestimmte Bereiche, da werden einfach diese Infektionen eher in Kauf genommen. Und diese Bereiche, die müssen Sie als Erstes immunisieren. Wenn Sie in diesen Bereichen die Zweidrittel-Immunität herbekommen, übrigens entweder durch Impfung oder durch natürliche Infektion ist dann egal, dann haben Sie einen herdenprotektiven Effekt auch für alle anderen. Weil die anderen ja wesentlich weniger sozial aktiv sind und zu denen auch weniger Durchlässigkeit ist, aufgrund dieses Blaseneffekts. Deshalb ist es so, dass sie lange

bevor diese Zweidrittel da sind, kriegen sie natürlich eine deutliche Herdenimmunisierung, sprich das R für Gesamtdeutschland geht dann deutlich unter 1. Und Sie haben nur noch einzelne Ausbrüche und nicht mehr die Situation, dass wir so ein bundesweites Geschehen haben. Möglicherweise hat der Jens Spahn daran gedacht, weil ihm jemand möglicherweise das erklärt hat, indem er da jetzt von 55 Prozent redet. Also, es gibt so Berechnungen, die sagen, dass, wenn man diese Subpopulationen betrachtet, dass man dann erste Effekte schon ab 40 Prozent sehen müsste, vielleicht auch erst ab 50 Prozent. Also dann merken sie schon da wird die Zahl kleiner. Das heißt natürlich nicht, dass es dann überhaupt keine Ausbrüche mehr gibt. Natürlich wird es dann immer noch einzelne Ausbrüche geben, aber es ist dann kein bundesweites endemisches Infektionsgeschehen mehr. Übrigens häufiger Irrglaube unter Laien zumindest: Selbst wenn sie diese Zweidrittel hätten, dann hätten sie ja immer noch ein Drittel Ungeimpfte und oder nicht Immune. Und Sie hätten ja auch Personen, die weiterhin einreisen nach Deutschland, Kinder, die neu geboren werden und so weiter. Das heißt, da werden wir trotzdem in beiden Fällen davon entfernt, dass die Infektionskrankheit aus dem Land ist. Eine komplette Eliminierung kriegen wir dadurch nicht. Wir haben nur dadurch die Chance, das deutlich abzubremsen. Und wenn es eben nicht um die Eliminierung, sondern nur um diesen starken Bremseffekt geht, dann ist es richtiger, die Zahl von Herrn Spahn zu nehmen in dem Fall. Weil, das natürlich schon bei einer kleineren Immunitätsquote passiert, wenn die richtigen Leute immunisiert sind.

28:44

Camillo Schumann

Und das ist genau der Punkt. Man kann es sich ja nicht aussuchen. Man kann die Leute ja nicht anschreiben und dann verpflichten, bitte jetzt die jungen Wilden und die Alten, ihr beiden ihr seid sozusagen jetzt die wichtigen Gruppen in dieser Pandemie, lasst euch mal impfen. Sondern man hat es ja nicht in der Hand. Und die Impfung-Willigkeit nimmt auch immer ab. Es ist sehr, sehr diffus.

Alexander Kekulé

Ja, das ist sehr klug, was Sie da sagen. Das diskutieren wir genau – ich bin ja ständig in irgendwelchen internationalen Konferenzen, wo wir heutzutage nur noch per Zoom – aber wir diskutieren genau diese Fragen. Es ist ja so, dass wir bei dem Impfstoff jetzt wissen, dass er wohl, das ist zumindest die Hoffnung, tatsächlich die Alten vor Erkrankung schützen kann. Deshalb ist eigentlich international Konsens, dass man priorisiert die Risikogruppen impfen soll. Wir wissen nicht ganz so sicher, ob die Infektion auch verhindert wird. Aber meine persönliche Auffassung ist, dass es auch hier einen sehr deutlichen Effekt haben wird. Aber um die Epidemie in den Griff zu bekommen, also eine anti-epidemische Wirkung zu haben, müssen sie eigentlich ganz andere Leute impfen oder eben abwarten, bis die sich natürlich selbst durchimmunisieren. Und das sind eher die Jüngeren, da sind dann vor allem auch die Kinder dabei, wo wir bei diesem Impfstoff ja überhaupt keine Erfahrungen haben, wieder der da wirkt. Wo wir auch Gründe haben, anzunehmen, dass bei Kindern die Wirkung von Impfstoffen ganz generell anders ist. Und das ist ganz schwierig. Da ist noch viel Diskussionsstoff für unseren Podcast, sage ich mal, wenn da neue Erkenntnisse kommen. Im Moment haben wir da keine klare Antwort, weil genau, wie Sie sagen es wird dann der Effekt eintreten, dass weniger „gestorben“ wird, dadurch, dass die Alten geimpft sind. Dadurch wird die Impfbereitschaft gerade bei denen, die sowieso sozialer aktiv sind, weiter zurückgehen. Und das ist ja dieses sogenannte Präventions-Paradox, was schon lange bekannt ist und dadurch wird es noch schwieriger sein, die eigentlich epidemiologisch wichtigen Gruppen zur Impfung zu bringen.

30:44

Camillo Schumann

Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die plädierte er für einen gemeinsamen Tag, an dem die Impfung in Europa beginnen, also zeitgleicher Impfstart. Würde das vielleicht aus epidemiologischer Sicht irgendwie Sinn machen, Einfluss haben?

Alexander Kekulé

Nö, epidemiologische hat es überhaupt keinen

Sinn. Das ist völlig egal. Weil nicht so viel Impfstoff haben, dass das sofort an eine epidemische Wirkung hätte. Also wir haben erstmal so wenig, dass wir nur anfangen können, die Risikogruppen ein bisschen zu schützen und das auch nicht vollständig. Ich glaube, das wäre ein starkes politisches Zeichen. Und das ist ja auch so ein bisschen die Idee von der EU gewesen: Wir bestellen gemeinsam, wir lassen gemeinsam zu, und wir impfen gemeinsam. Darum finde ich das jetzt konsequent. Und die Briten sind zwar eigentlich noch in der EU, aber die sind ja sowieso bisschen Spielverderber und gefallen sich in der Rolle, wie man weiß. Und ich glaube, da tut man Boris Johnson nichts an, indem man das so konstatiert. Daher ist das mehr so der Aufruf gewesen, dass jetzt zumindest die anderen zusammenhalten sollen.

31:43

Camillo Schumann

Zulassung in der EU ist genau das Stichwort. Ende des Jahres wird angepeilt, und vorhin kam noch die Eilmeldung, dass die Corona- Schutzimpfungen am 27. Dezember beginnen können. Zumindest in Nordrhein Westfalen. Das hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet in Düsseldorf angekündigt. Es hatten sich zuvor Spitzenvertreter der Landesregierung sowie Ärzteverbände und Kommunen bei einem Impfgipfel über die Vorbereitung beraten. Also am 27. Dezember sollen die Impfungen beginnen. Und das, obwohl die Zulassung ja noch gar nicht da ist. Die EMA, die Europäische Arzneimittelbehörde, hatte ja bisher erst angekündigt, am 21., Dezember, also nächste Woche Montag, ihr Gutachten für die Zulassung des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs vorlegen zu wollen. In den USA und Großbritannien zum Beispiel wird bereits durch eine Notfallzulassung geimpft. Das soll in der EU aber alles ein bisschen anders sein. Noch einmal Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:

„Die anderen Länder haben bis jetzt eine Notzulassung gemacht. Diese ordentliche Zulassung heißt auch intensivere Prüfung. Es wird sozusagen tiefer auch die Daten eingestiegen. Es sind auch 27 nationale Behörden beteiligt, und das wird dann die weltweit erste reguläre, ordentliche Zulassung

und die ist aus meiner Sicht wichtig, auch um Vertrauen in diesen Impfstoff zu gewinnen.“

Genau, Herr Spahn spricht von einer regulären Zulassung. Ich habe vorhin noch mal geguckt. Noch im Oktober sprach die WHO davon, dass sie mit einem Impf-Start Mitte 2021 rechne, weil erst Anfang nächsten Jahres die Daten aus den abschließenden Phase-3-Studien vorliegen. Und danach könnte die Entscheidung dann erst zum Impfstart fallen. Jetzt also alles wesentlich schneller und für Europa eine reguläre Zulassung? Wie bewerten Sie das?

33:27

Alexander Kekulé

Ja, ich war sehr überrascht darüber, muss ich sagen, ich habe Herrn Spahn da schon öfters in dem Zusammenhang gehört. Er sagt ja so sinngemäß schon länger, wir machen das in Europa besser. Wir machen das gründlicher, bei uns wird komplett geprüft. Und deshalb machen wir eine reguläre Zulassung und nicht wie die FDA so eine Notfallzulassung oder auch wie Großbritannien eine Notfallzulassung oder auch Kanada. Also ich glaube, wir haben im Podcast schon mal darüber gesprochen. Es ist ja so, dass das, was in den USA Notfallzulassung heißt, also Emergency Authorisation, das heißt der bei der EMA nicht Notfallzulassung, sondern bedingte Marktzulassung, also Conditional Marketing Authorisation ist sozusagen der technische Ausdruck für die bedingte Markt-Autorisierung. Das ist aber der europäische Ausdruck für die letztlich für die Notfallzulassung.Eine bedingte Marktzulassung ist rein nach den Statuten der EMA und der Europäischen Union so, dass eben zugelassen wird, obwohl man nicht alle Daten zusammen hat. Also genau das Gegenteil von dem, was der Bundesgesundheitsminister gerade erklärt hat. Da wird eben zugelassen aufgrund vorläufiger Daten, weil man noch nicht vollständige Zulassungsdaten hat. Und das darf nur dann passieren, wenn eine ernsthaft lebensgefährliche Erkrankung im Raum steht: zum Beispiel eine pandemische Erkrankung, die muss lebensgefährlich sein. Und es muss so sein, dass der Hersteller glaubhaft machen kann, dass er die restlichen Daten, die man noch braucht, innerhalb einer vernünftigen

Zeit – normalerweise sagt man, so ein halbes Jahr oder so – nachliefert, also genau, wie Sie sagen. Jetzt ist es ja so, wir sprechen ja jetzt mal konkret vom vom BioNTech-Impfstoff, das Gleiche gilt aber auch für den Moderna- Impfstoff. Das ist ja der andere RNA-Impfstoff. Diese beiden Hersteller haben, ich habe es extra nochmal nachgeguckt, laut Webseite der EMA, der Europäischen Arzneimittelbehörde, nur eine sogenannte bedingte Zulassung beantragt, das ist diese Notfallzulassung, über die wir hier auch schon gesprochen haben. Jetzt sagt der Bundesgesundheitsminister, Sie kriegen sozusagen trotzdem eine richtige Zulassung. Der Bundesgesundheitsminister ist der Bundesgesundheitsminister, dann hat er wahrscheinlich neuere Informationen, und ihm ist es ja auch sehr wichtig zu sagen, dass hier 100 Prozent geprüft wurde und nicht 80 Prozent, wie bei der bedingten Zulassung.

35:52

Camillo Schumann

Jetzt ist natürlich die Frage, auf der Website der EMA steht, eine bedingte Zulassung wurde beantragt. Der Bundesgesundheitsminister sagt, es wird eine reguläre Zulassung. Wenn dann der Impfstoff da ist, kann man das irgendwie rausfinden, was denn nun stimmt?

Alexander Kekulé

Ja, das ist tatsächlich ein Riesenunterschied, weil der Arzt muss ja wissen, dass der Impfstoff oder das Medikament – das gibt es auch bei anderen Medikamenten, das wurde in der Vergangenheit auch schon gemacht – bei so Notfallmedikamenten muss er wissen, Achtung, das ist jetzt ein Medikament, das darf ich nicht einfach irgendwie geben, sondern da muss ich ganz strenge Regeln beachten, vor allem Nebenwirkungen melden. Und deshalb haben die ein kleines schwarzes Dreieck auf jeder Packung drauf. Und da kann dann jeder selber gucken – wahrscheinlich werden die Fotos der ersten Impfung durch die Welt gehen oder zumindest in Deutschland in der Presse sein – ob das kleine schwarze Dreieck da drauf ist oder nicht. Das ist üblicherweise der Hinweis darauf, innerhalb der Europäischen Union, dass die EMA eine bedingte Zulassung vergeben hat. Und da schreibt sie eben, das haben wir, glaube ich, schon besprochen, schreibt sie dann rein, auf

das und das müssen Sie achten. Da wird ganz sicherlich jetzt auch das Thema allergische Reaktionen mit draufstehen. Da sind genaue Vorschriften, welche Daten nachgeliefert werden müssen, auch vom Hersteller innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, um eben danach dann die reguläre Zulassung auszusprechen. Aber wie gesagt, ich gehe davon aus, dass unser Bundesgesundheitsminister über diese Basisdinge des Zulassungsverfahrens gut informiert ist, und deshalb ist er wahrscheinlich kurzfristig, ohne dass das auf der Webseite der EMA korrigiert wurde, vielleicht eine Änderung erfolgt. Und man hat tatsächlich jetzt die vollständige Zulassung. Da muss ich allerdings sagen, ich kenne ja sehr gut die Daten, die sind ja veröffentlicht worden, das muss man auch den Herstellern hier wirklich zugute halten, die BioNTech/Pfizer- Daten sind sehr, sehr umfangreich im New England Journal of Medicine, einem sehr renommierten Magazin, publiziert worden gerade. Und wir haben uns natürlich alle draufgestürzt und das im Detail nachgeschaut. Es ist relativ offensichtlich, dass dann natürlich noch bestimmte Daten fehlen. Ja, und das heißt nicht, dass der Impfstoff nicht sicher wäre, überhaupt nicht. Aber das heißt, dass aus meiner Sicht. Also ich bin jetzt kein Mitglied des CHMP, dieses Komitees, was das macht. Aber wenn ich da dabei wäre, und ich bin in ähnlichen Komitees schon gesessen, dann würde ich für die endgültige Zulassung den Daumen senken und würde sagen, nein, wir wollen das erstmal noch eine Weile anschauen. Nicht, weil ich jetzt irgendwelche Hinweise darauf sehe, dass was nicht funktionieren könnte. Aber da gibt es den berühmten Spruch von den unknown unknowns, also, es gibt die known unknowns, die bekannten Unbekannten, und die unbekannten Unbekannten, die unknown unknowns. Weil, immer Dinge, die völlig überraschend sind, auftreten können, wenn man Millionen und Milliarden von Menschen impft, wäre ich sehr für die bedingte Zulassung und ich bin jetzt sehr gespannt darauf, wie die Begründung der EMA ist, wenn sie die vollständige Zulassung dann erteilt.

38:52

Camillo Schumann

Wir sind gespannt. Nächste Woche ist es dann so weit, und Herr Spahn sagte auch, jeder Tag, der früher geimpft werde, könne Leid lindern. Er warnte aber auch vor übereiltem Handeln. Es gehe darum, das Vertrauen der Menschen in die Impfung zu gewinnen und aufrechtzuerhalten. Vertrauen ist genau das Stichwort. Wir haben es schon mal ein bisschen besprochen. Gerade die Ständige Impfkommission hatte kürzlich auf eine Umfrage verwiesen, wonach die Impfbereitschaft in Deutschland seit dem Frühjahr stetig gesunken ist und beim medizinischen Personal sogar geringer ist als beim Rest der Bevölkerung und Meldungen über Nebenwirkungen, es klang er schon an, tragen jetzt auch nicht unbedingt dazu bei, dass das Vertrauen wächst. Der Impfstoff von BioNTEch/Pfizer, über den wir hier sprechen, hat in Großbritannien bei zwei Menschen schwere allergische Reaktion ausgelöst. Die zuständige Behörde, die hat ja dann auch Allergiker vor der Impfung gewarnt. Nun gab es zwei ähnlich gelagerte Fälle in Alaska. Auch bei diesen beiden Personen gab es schwere allergische. Was ist darüber bekannt?

39:48

Alexander Kekulé

Ja, das ist tatsächlich so, dass war auch aus dem medizinischen Personal. Und die haben dann kurz nach der Impfung doch sehr deutlich reagiert. Der eine hat richtig einen anaphylaktischen Schock bekommen. Das ist so eine Situation, das mag man eigentlich nicht gerne im Impfzentrum haben. Also ich war früher mal im Münchner Max von Pettenkofer- Institut hatte ich diese sogenannte Impfsprechstunde zu halten. Da haben wir Leute geimpft mit ganz exotischen Sachen, so Gelbfieber und so etwas, das waren Spezial- Impfungen für Leute, die in die Tropen reisen. Und da wusste man einfach da kommt es manchmal zu Problemen. Dafür hatten wir immer so Notfallkoffer in der Ecke stehen, wo wir dann notfalls Sauerstoff hatten, Adrenalin und Möglichkeiten, Wiederbelebung zu machen, falls einer so einen echten anaphylaktischen Schock hat, wie wir sagen. Also so eine super allergische Reaktion. Ich habe diesen Koffer nie rausholen müssen unter

dem Bett, wo der stand. Aber es ist natürlich so, in Alaska haben sie das offensichtlich machen müssen. Also wenn die Berichte aus der New York Times, wo das jetzt steht, stimmen, dann musste dem sogar Adrenalin gespritzt werden, dem einen Patienten. Die kommen dann regelhaft auf die Intensivstation danach, das ist schon eine ernste Nebenwirkung. Das wollen Sie jetzt nicht in so einer Turnhalle in so einem Allerwelts-Impfzentrum haben. Deshalb muss man einfach sagen, das ist wirklich blöd für den Hersteller, dass in der ganzen Studie mit über 20.000 Geimpften – das waren ja so 23.000, die den Impfstoff wirklich bekommen haben, die andere Hälfte das Placebo – da ist angeblich nie so was passiert. Und jetzt sind es schon vier Fälle kurz nach den Zulassungen. Was soll ich sagen? Ehrlich gesagt, als ich die Fälle aus UK von denen gehört habe, habe ich gedacht, diese zwei Mitarbeiter von National Health, die waren halt besonders sensibel irgendwie oder besonders, sag ich mal, willig jedes Symptom sofort zu melden. In USA hört man jetzt eher, dass die Betroffenen betonen, ja, das war eine Ausnahme, ich will niemanden davon abhalten, sich impfen zu lassen. Also diese Dinge müssen einfach genau untersucht werden jetzt. Unter normalen Bedingungen würde man sogar überlegen, ob man eine vorläufige Zulassung, bedingte Zulassung, ob man die jetzt zurückhält oder ob es ausreicht, zu sagen: Wir empfehlen erstmal, alle Personen mit allergischer Geschichte auszunehmen. Aber das sind eben dann wahnsinnig viele, wenn sie die ganzen Asthmatiker rausnehmen.

42:18

Camillo Schumann

Ich wollte gerade sagen und bei denen muss man auch erst prüfen, ob sie überhaupt Allergiker waren, wenn ich das richtig gelesen habe. Es ist ja auch nicht hundertprozentig klar, oder?

Alexander Kekulé

Das ist echt schwer. Wissen Sie, diese Diagnose Heuschnupfen ja, was ist denn das?

Camillo Schumann

Ich zum Beispiel.

Alexander Kekulé

Aber es gibt Leute, die haben so richtig schlimmen Heuschnupfen. Die wissen immer genau, wenn die die und die Blüte kommt, können sie quasi die Uhr danach stellen, dann kriegen die Atemnot auf der Straße. Oder richtig schlimme Allergiker. Ich hatte mal einen Fall als Notarzt. Das war ein Junge, der (...) war auf Pferde allergisch. Und weil bayrische Buams halt frech sind, haben seine Freunde ihm eine Pferdedecke übergestülpt auf der Straße. Daraufhin mussten wir den echt im Hubschrauber abtransportieren. Das nenne ich mal eine richtige Allergie. Und es ist so, dass das Spektrum aber weit ist. Wenn ich jetzt an Asthma zum Beispiel denke. Bei Kindern wissen wir, dass ich glaube, die aktuelle Zahl ist bei fünf Prozent aller Kinder, die haben vorübergehend so eine Episode, wo sie das haben, was, was eigentlich gute Kinderärzte als hyperreagibles Bronchialsystem bezeichnen, also ein besonders empfindliches Atemsystem. Und das gibt sich aber meistens. Das renkt sich wieder ein bis zum Schuleintritt, meistens. Aber andere sagen halt, es ist Asthma. Und daher wissen Sie halt nicht, hatte der Asthma, hatte der es nicht. Ist es eine Kindheitsgeschichte mit einem hyperreagiblem Bronchialsystem schon ein Grund, die Impfung nicht zu geben. Also mir wäre unwohl, wenn man diese Einschränkung hätte und dann quasi irgendwelchen Impfärzten, die sich hier freiwillig zur Verfügung gestellt haben, in diesen vielen, vielen Impfzentren auszuhelfen, jetzt überlassen würde, da die Entscheidung im Einzelfall zu treffen.

44:05

Camillo Schumann

Wenn ich mir überlege, dass bereits in den USA, wir haben ja schon Bahrain, Großbritannien etc., das sind ja in Summe schon mehrere 10.000 Menschen geimpft worden. Und wir haben jetzt hier vier, also zwei in Großbritannien, zwei in Alaska besprochen, die allergische Reaktionen haben. Unterm Strich könnte man noch sagen ist es doch im Promillebereich, eigentlich kein Problem, oder?

Alexander Kekulé

Ja, Promille reicht nicht aus. Also Sie müssen bei so einem Impfstoff deutlich unter die

10.000 kommen, also 1/10 Promille müssen sie erreichen, mindestens, am besten noch weniger an Nebenwirkungen dieser Art. Ja, also das ist genau der Punkt. Also das wird ja jetzt weiter geimpft. Es gibt ja die Zulassungen. Es wird natürlich auch in Europa zugelassen werden. Ich nehme an, dass spätestens nach den zwei Ereignissen, die heute bekannt wurden, man bei der EMA auch diese Einschränkung machen wird, dass man Allergikern erstmal keine Impfung empfiehlt. Und dann wird man sehen, wie sich das weiter entwickelt. Das Problem ist nur, es ist ja nur einfach Folgendes: Wenn sie bei Allergikern das nicht empfehlen, dann werden Sie natürlich, wenn alles rechtens zugeht, werden Sie natürlich nicht rauskriegen, ob Allergiker schwerere Nebenwirkungen haben, weil sie ja die da nicht impfen. Und was ist dann, wer lässt sich da testen? Also das ist dann so ein wahnsinnig unangenehmer selbstverstärkender Effekt. Dann haben Sie einen großen Teil der Bevölkerung, die sagen ne, ich will da nicht hin. Viele Allergiker sind, wenn Sie sagen, Sie haben Heuschnupfen, sind ja eh schon genervt davon, dass sie mit so einem genetischen Faktor geschlagen sind und die anderen immer schön auf der Wiese sitzen beim Picknick. Und sie selber können nicht dabei sein. Das ist ja auch für viele zumindest in der Jugend traumatisch. Und darum ist es dann oft so, dass solche Menschen zu Recht irgendwie vorsichtiger sind. Und ich weiß nicht, ob man die Impfbereitschaft dann erhöht mit sowas. Also schauen wir mal, wie sich das entwickelt. Also, Sie haben völlig Recht, vier ist erst einmal fast nichts. Und auf der anderen Seite sind wir jetzt auch noch nicht bei vier Millionen Geimpften. Aber wenn wir vier Millionen Leute geimpft haben oder zehn Millionen, das wird es ja in wenigen Wochen so weit sein, dann werden wir die Zahlen haben. Vor allem, wenn eine wirklich nur vorläufige, bedingte Zulassung erteilt wird, weil da ja dann mit drin entsteht, dass man solche Nebenwirkungen immer melden und registrieren muss.

46:32

Camillo Schumann

Und vielleicht ein Hinweis, wie dann unserer rund 400 Impfzentren in Deutschland damit umgehen sollen. In Alaska war es ja so, dass

die beiden, die geimpft wurden, wie übrigens alle anderen eine Viertelstunde noch in dem Behandlungsraum sitzen bleiben mussten an Ort und Stelle, um dann zu schauen, wie es den danach geht. Und in dieser Viertelstunde sind dann diese Wirkung eingetreten. Wenn die nach fünf Minuten gegangen wären, wären die möglicherweise auf der Straße zusammengebrochen, hätte man das gar nicht gemerkt. Also quasi Punkt eins, eine Viertelstunde sitzen bleiben. Und Punkt zwei, möglicherweise so ein Notfallköfferchen mit Adrenalin, der eine hat auch Steroide bekommen. Also dass man das quasi im Impfzentrum immer damit dabei hat?

Alexander Kekulé

Das haben die. Also ich weiß jetzt nicht, ich sage das mal, weil ich an die Professionalität der Kollegen glaube. Das ist Standard bei Impfungen. Und hier kommt es eben auch noch einmal darauf an, ob sie eine bedingte Zulassung oder eine normale Zulassung haben. Aber bei Wirkstoffen, die nur die dieses kleine schwarze Dreieck drauf haben, jetzt mal vorausgesetzt, ich weiß jetzt nicht wissen, Europa sein wird, aber in USA ist es ja klar eine bedingte Zulassung. Und in Kanada auch und in United Kingdom auch und überall dort ist es so, dass man gerade in solchen Situationen eben dann so extra Protokolle hat, wo man aufschreibt, genau wie Sie sagen: Viertelstunde beobachten hinterher und solche Dinge. Ich nehme mal an, dass das für die Impfzentren auch so geplant ist. Das müsste man vielleicht mal nachfragen, könnte man vielleicht mal recherchieren. Aber es wäre eigentlich naheliegend, dass man nicht die Absicht hat, die Leute nach der Impfung einfach rauszuschubsen in die Kälte.

Camillo Schumann

Oder die Ärzte melden sich bei uns und schreiben uns mal was im Detail geplant ist. Herr Kekulé, in Sachsen gilt eine Maskenpflicht auch im öffentlichen Raum. Teil dieses harten Lockdowns, also auf allen Straßen und Plätzen muss eine Maske getragen werden, verkürzt. Was halten Sie davon? Kurz zusammengefasst.

48:26

Alexander Kekulé

Ja, im Freien ist es so, dass es nur um die

Tröpfcheninfektionen geht. Diese feinverteilten Aerosole, die sich über längeren Raum verteilen, die gibt es nicht. Die entstehen aus physikalischen Gründen auch nicht. Und wenn sie entstehen, dann sind sie sehr schnell eben verdünnt. Und deshalb glaube ich, eine Maske wäre nur dann sinnvoll, wenn wirklich zwei Menschen direkt gegenüberstehen und miteinander sprechen in einem sehr kurzen Abstand. Generelle Maskenpflicht im Freien halte ich dann für sinnlos, wenn man irgendwie so einen halbwegs vernünftigen Abstand face-to-face Abstand wahren kann.

48:58

Camillo Schumann

Und wie sich Luftfeuchtigkeit und Temperatur auf das Aerosol-Verhalten auswirkt, das wollte Prof. Dr. Detlef Lohse von der Uni Twente in den Niederlanden wissen und hat das in einem Experiment, wie ich finde, sehr eindrucksvoll nachgestellt. Er wollte nämlich wissen, wie sich Aerosole bei verschiedenen Temperaturen und Luftfeuchtigkeitsverhältnissen verhalten. Da muss man dazu sagen, er ist jetzt nicht rausgegangen und hat sich beim Niesen fotografiert.

Alexander Kekulé

Ja, solche Fotos gibt es ja sehr, sehr viele. Das ist zurzeit sehr beliebt. Übrigens, diese Fotos, wenn man immer oder man sieht, oft zu Bilder im Fernsehen von Leuten, die niesen und husten mit irgendwelchen angeblichen Aerosolen, die da entstehen. Es gibt auch Leute, die dann Werbung für ihre Absaugsysteme damit machen. Da muss man immer vorsichtig sein, ob sich die Aerosole, die da in diesen Experimenten generiert wurden, ob sich die ähnlich verhalten wie infektiöse Aerosole. Das ist häufig überhaupt nicht gegeben. Diese Studie ist ganz witzig. Da war auch das MPI für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen beteiligt. Das sind so echte Superrechner. Das ist gerade als Preprint herausgekommen, und die haben letztlich ein Dogma überprüft. Das ist ja in der Wissenschaft immer ganz gut, wenn man mal an die Dogmen rangeht. Und zwar haben wir hier immer gesagt, übrigens auch in diesem Podcast früher mal, wenn man so Tröpfchen ausatmet, dass die dann bei trockener Luft und

Kälte am liebsten, dass die dann oder vor allem bei trockener Luft, dass die dann verdunsten. Und am Schluss bleiben so kleine Tröpfchenkerne übrig. Und die tragen sich besonders weit, wie Zigarettenrauch und machen eine echte aerogene Infektionen. Dieses Verdunsten der Tröpfchen. Und dann haben die jetzt das Umgekehrte quasi mathematisch simuliert. Ein Experiment haben sie keins gemacht, aber mathematisch aufwendig simuliert. Die haben gesagt, wenn ist das eigentlich, wenn die Luft so richtig viel Feuchtigkeit enthält, also fast gesättigt ist, also die relative Luftfeuchtigkeit bei 100 Prozent ist oder vielleicht sogar übersättigt: Nehmen die Tröpfchen dann auch ab oder bleiben die gleich? Und das haben sie eben mit verschiedenen mathematischen Methoden untersucht.

Camillo Schumann

Und was wurde rausgefunden? Beziehungsweise welches naturnahe Setting könnte man denn da zugrunde legen?

Alexander Kekulé

Das kann man sich so vorstellen naturnahe, wenn Sie sagen, im Winter kommt man doch manchmal morgens zum Auto und obwohl kein Schnee liegt, ist Reif auf der Windschutzscheibe. Und das liegt daran, dass kalte Luft deutlich weniger Wasser halten kann als warme. Das heißt, die absolute Feuchtigkeit in kalter Luft ist immer geringer, und die ist dann schneller gesättigt. Das heißt die relative Feuchtigkeit ist hoch, die ist bei 100 Prozent. Und da kommt es eben dann, wenn man nachts so eine Abkühlung hat von der Windschutzscheibe, die wird ja sehr kalt in der Nacht, dann kommt das quasi zu dem Effekt, dass die übersättigte Feuchtigkeit auf der Scheibe sich niederschlägt, wie Tau und dann einfriert. Und dadurch haben sie morgens den Reif im Winter auf den Scheiben. Das ist quasi ein Übersättigungseffekt. Und die haben genau das Gleiche simuliert, quasi mit so einem Tröpfchen, Sprühregen haben Sie da simuliert. Das ist extrem schwierig, so etwas mathematisch zu simulieren, und haben festgestellt, dass tatsächlich die Tröpfchen im übersättigten, wenn die relative Luftfeuchtigkeit im Bereich von 100 Prozent

oder sogar mehr ist, dass dann die Tröpfchen nicht kleiner werden, sondern wachsen. Also das ist echt spektakulär. Die werden also sozusagen, während die wegfliegen – da ist sogar eine Abbildung in dieser Studie drin – da sieht man, wie die Tröpfchen größer werden beim Wegfliegen, weil sie eben zusätzliche Feuchtigkeit ansetzen, zusätzliche Kondensation stattfindet. Und das führt natürlich dazu, dass sie dann schneller absenken und auf den Boden fallen.

52:43

Camillo Schumann

Genau. Und ich dachte, das wäre doch ein schönes Argument dafür, das Tragen der Masken draußen im Winter macht gerade Sinn, aber das ist eher das Gegenteil der Fall, oder?

Alexander Kekulé

Die Tröpfchen werden größer, und dadurch stürzen sie natürlich zu Boden. Und deshalb bleibt es bei der Tröpfcheninfektion. Also man muss unterscheiden zwischen den echten Aerosolen. Das sind also die, die in der Luft schweben und die diese Superspreading- Ereignisse machen, die die aerogene Infektion machen und der ganze Grund sind, warum wir mit diesem Virus so viel Probleme haben. Und es gibt die face-to-face-Übertragung durch Tröpfchen, indem man sich sozusagen gegenseitig anspuckt. Und letztere funktioniert so oder so. Aber was dieses Experiment eigentlich noch mal belegt, und da gab es vorher tatsächlich noch keine Studien dazu, ist, dass, wenn man sich jetzt das mal praktisch im Winter vorstellt: Im geschlossenen Raum haben Sie eine sehr trockene Luft üblicherweise im Winter, die aber von einer relativen Luftfeuchtigkeit her nicht gesättigt ist. Das heißt also, Sie würden dann in einem geschlossenen Raum bei der sehr trockenen Luft, weil die wärmer ist, würden Sie, wenn Sie ausatmen oder husten, hätten Sie Tröpchen, die, wie wir es eigentlich immer schon angenommen haben – seit den 1930er-Jahren war das die Theorie – würden die immer kleiner und immer kleiner werden, und dann am Schluss haben Sie diese Aerosole, diese gefährlichen Aerosole. Wenn Sie die gleiche Situation im Winter haben draußen, da sind sie in der Situation, dass die relative Luftfeuchtigkeit häufig bei 100 Prozent liegt.

Das heißt also, Sie haben jetzt diese wachsenden Tröpfchen. Dadurch passiert genau das Gegenteil. Es entstehen eben draußen keine Aerosole. Es werden im Gegenteil die Tröpfchen immer dicker, immer dicker und fallen umso mehr zu Boden. Das heißt ein weiteres knallhartes Argument in dem Fall aus einer mathematischen Simulation gegen das Maskentragen im Freien.

54:28

Camillo Schumann

Prima. Wir kommen zu den Hörerfragen, zum Ende, die Zeit muss noch sein. Herr R. hat gemailt:

„Meine Schwiegermutter ist 93, lebt in einem Seniorenheim. Sie hat vor circa drei Wochen sich mit Corona infiziert wie auch mindestens die Hälfte aller Heiminsassen, hatte aber zum Glück einen milden Verlauf und wurde vor circa einer Woche nach überstandener Infektion negativ getestet. Jetzt sind wir nach bangen Tagen natürlich sehr froh, dass alles glimpflich ausgegangen ist und haben uns darauf gefreut, sie an Weihnachten zu uns nach Hause holen zu können, da sie unserer Meinung nach nicht mehr gefährdet ist. Allerdings stellt sich nun das Heim quer und möchte nicht erlauben, dass die Schwiegermutter das Heim verlassen kann. Und auch der zuständige Arzt rät dringend davon ab, da noch völlig unklar sei, ob nicht auch nach einer überstandenen Infektion noch ein Ansteckungsrisiko besteht. Hierzu würden wir gern die Meinung von Professor Kekulé hören. Denn das würde zukünftig auch bedeuten, dass alle geimpften Senioren weiterhin isoliert und abgeschottet werden müssen. Oder? Vielen Dank und viele Grüße.“

55:27

Alexander Kekulé

Also, ich würde die Großmutter jetzt nicht einteilen zum Dienst auf der Intensivstation mit COVID-19-Patienten. So ein krasses Risiko würde ich hier nicht eingehen. Aus dem Grund der da genannt wurde, wir wissen es nicht ganz sicher. Aber hier geht es ja um Risiken des Alltags und nicht um berufliche Exposition, wie wir das dann technisch nennen. Und für die Frage des Alltags schon allein, dass die Hörerin da überhaupt sich Gedanken darüber macht und hier eine Frage stellt, bedeutet ja, das ist offensichtlich eine Familie, die jetzt nicht völlig

ignorant dem Thema gegenübersteht. Und wenn die halbwegs vernünftig leben und halt niemanden mit an den Weihnachtstisch setzen, der gerade einen Fieberausbruch hat oder der gerade seit gestern anfängt zu husten oder Ähnliches, dann würde ich sagen, ist das Risiko, dass sich jemand dann zum 2. Mal infiziert, mit COVID-19, wo er es gerade durchgemacht hat, dermaßen marginal, dass ich finde, es steht in keinem Verhältnis zu der Einschränkung der persönlichen Freiheit, wenn sich jetzt die Großmutter dafür entscheidet, hier bei der Familie sein zu wollen. Das heißt also, infektiologisch gesehen, gibt es überhaupt keinen Grund, die nicht rauszulassen. Ja, es gibt einige ganz wenige Fälle, wo belegt ist, dass Menschen, die COVID-19 hatten, hinterher noch mal die gleiche Erkrankung durchgemacht haben. Da hat man auch gesehen, dass das Virus sich deutlich verändert hatte zwischendurch, aber da lagen viele Monate dazwischen. Und hier, wenn ich es richtig verstanden habe, ist die ja gerade genesen, PCR negativ. Also, das ist die beste Situation, um rauszugehen. Ob sie in einem Jahr immer noch einen Immunschutz hat, das würde ich jetzt nicht unterschreiben. Aber jetzt würde ich sagen, abgesehen vom Einsatz auf der Intensivstation ist für einen Hausbesuch, zuhause bei ihren Verwandten, ist sie auf jeden Fall geschützt.

57:13

Camillo Schumann

Also Podcast 131. Vielleicht können Sie ja der Heimleitung das Ganze vorspielen. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 131. Vielen Dank, Herr Kekule. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen SPEZIAL. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Sehr gerne, bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuell- podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 322 00. Kekulés Corona- Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Wer das eine oder andere Thema noch mal

vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


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Donnerstag, 30.07.2020 

#130: Neues zur Viruslast bei Kindern

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass


Donnerstag, 30.07.2020 #130: Neues zur Viruslast bei Kindern


Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Dienstag, 15. Dezember 2020.


Deutschland steht vor dem 2. harten Lockdown und das kurz vor Weihnachten.


Werden die Maßnahmen dieses Mal wirken?


Sollte der BioNTech/Pfizer Impfstoff in Europa eine Notfallzulassung erhalten?


Fließen positive Schnelltest-Ergebnisse in die Gesamtzahl der Neuinfizierten mit ein?


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé


Hallo, Herr Schumann.




Camillo Schumann


Willkommen zurück, muss ich an dieser Stelle ja sagen. Der Podcast musste letzte Woche ja ausfallen. Sie waren krank, aber so richtig fit sind Sie immer noch nicht. Man hört es ja so ein bisschen.


Alexander Kekulé


Leicht belegt, aber das ist ja nicht so schlimm, wie eine schlechte Telefonleitung, das hatten wir ja auch schon.


Camillo Schumann


Die natürlich alles entscheidende Frage, was haben Sie denn gehabt? Erkältung, oder?


Alexander Kekulé


Das ist offensichtlich eine Halsentzündung, die nicht weggehen möchte. Ich habe schon Antibiotika genommen, aber jetzt habe ich sie wieder abgesetzt, weil das auch nichts gebracht hat. Ich bin nach wie vor heiser.


Camillo Schumann


Toi, toi, toi. Wir schauen mal, wie weit wir kommen. Schauen wir auf das aktuelle Infektionsgeschehen. Die Zahl der Todesfälle und der Neuinfektionen mit dem Coronavirus bleibt auf einem sehr hohen Niveau, 14.432 neue Fälle und 500 Todesfälle binnen eines Tages wurden übermittelt. Am Dienstag vor einer Woche waren es 14.000 Neuinfektionen und 423 Todesfälle. Die Todesfälle nehmen weiter stark zu, und das, obwohl die Zahlen seit Wochen relativ stabil bleiben. Wie ist das erklärbar?


Alexander Kekulé


Die Todeszahlen hinken immer den Fallzahlen hinterher. Das ist glaube ich schon bei der ersten Welle ziemlich deutlich so gewesen. Egal, was man macht, nehmen die jetzt natürlich zu. Weil wir das jetzt sozusagen abarbeiten, was an Infektionen die letzten Wochen passiert ist. Was man auch sagen muss, dass natürlich der Schutz der Alten in den Altenheimen nach wie vor nicht funktioniert in Deutschland. Das ist eines der schlimmsten Trauerspiele, die wir hier beobachten. Deshalb nehmen auch die Todeszahlen so dramatisch zu. Weil sehr viele alte Menschen betroffen sind.


Camillo Schumann


Insgesamt sind Stand heute 22.475 Corona- Todesfälle registriert worden. Seit dem 1. November sind damit 12.000 Menschen in Deutschland an und mit Covid-19 verstorben. Damit sind rund 54 % der gesamten Covid-19- Toten in der Zeit seit Anfang November verstorben, also in den letzten Wochen. Das ist doch Wahnsinn, oder?


02:46


Alexander Kekulé


Naja, das ist diese 2. Welle. Dass das Virus


1


im Herbst mit einem ganz anderen Gesicht wiederkommen würde, haben eigentlich die meisten Virologen vorhergesagt. Ich habe bis vor kurzem immer gesagt, alle Virologen hätten das vorhergesagt, weil ich tatsächlich niemanden kannte, der es wagte, davon abzuweichen. Aber ich lerne inzwischen, dass es tatsächlich einzelne Kollegen offensichtlich gegeben hat, die auch dann Politiker beraten haben, die gesagt haben, lass mal stecken. Die Herbstwelle wird nicht so schlimm, wie angekündigt. Das ist ein Teil des Problems, das hier Politiker sich in der Vergangenheit immer sozusagen das Orakel ausgesucht haben, was am besten gepasst hat.


Camillo Schumann


Aber kann man sagen, dass sie Herbstwelle durchaus drastischer zuschlägt als erwartet?


Alexander Kekulé


Nö, das kann man so eigentlich nicht sagen. Es ist so, dass das Virus im Herbst einfach aus verschiedenen Gründen eine wesentlich höhere Übertragbarkeit hat. Dann sind bei Kälte gerade ältere Menschen auch insgesamt eher geschwächt. Wir kennen das schon lange, dass beispielsweise an Allerheiligen auf den Friedhöfen immer mal wieder jemand stirbt, weil die dann in die Kälte rausgehen und vielleicht auch emotional möglicherweise belastet sind. Und man weiß, dass im Winter insgesamt – jetzt auch ganz unabhängig von den Infektionskrankheiten die Sterblichkeiten höher sind. Wenn das jetzt sich überlagert mit einem hier bei einigen Menschen jedenfalls sehr gefährlichen Atemwegserreger, dann ist es vorhersehbar und völlig klar gewesen, dass wir hier erstens eine massive Welle kriegen. Die sehen wir jetzt. Und zweitens natürlich dann auch eine höhere Sterblichkeit. Die Frage, die man eher stellen muss es, warum man sich darauf nicht vorbereitet hat. Aber das ist ja zurzeit


gar nicht so gewünscht, dass man diese Frage stellt.


04:27


Camillo Schumann


Und wie massiv diese Welle zuschlägt, bildet sich auch in den Krankenhäusern ab. Rund 4.700 Menschen werden aktuell mit COVID-19 auf Intensivstationen behandelt, davon rund 2.700 mit künstlicher Beatmung. Mal nur mal zum Vergleich: Vor genau drei Monaten, am 15. September wurden lediglich 336 Menschen intensivmedizinisch versorgt, und davon mussten nur 129 Menschen künstlich beatmet werden. Da ärgert man sich ja doppelt und dreifach, dass man diese Zahlen nicht halten konnte. Oder?


Alexander Kekulé


Ja, also ich persönlich muss Ihnen ganz ehrlich sagen also, ich bin emotional auch massiv belastet zurzeit, dadurch, weil, wenn Sie jetzt als jemand, der jetzt zumindest in dem Zusammenhang bisher, glaube ich, schon geeignete Empfehlungen gegeben hat, wenn Sie dazu sehen, wie die Politik aus Gründen, die schwer nachvollziehbar sind, teilweise wegen schlechter Beratung, teilweise aber auch aus politischem Kalkül, sich einfach da nicht dran hält, dann ist man als Naturwissenschaftler natürlich einfach ziemlich verzweifelt, das ist klar. Das erinnert an amerikanische Verhältnisse, wo Donald Trump gesagt hat, dieses Virus sei nicht so schlimm. Und wo die Diskussion in den USA lange war, ob die Masken überhaupt gebraucht werden und Ähnliches. Und so ähnliche Diskussionen haben wir ja jetzt wieder, wenn es zum Beispiel immer noch um die Masken zum einen geht, wann und wo man die braucht. Aber auch ganz konkret bei den Schnelltests, ob die sinnvoll sind oder nicht. Da streiten sich tatsächlich die Fachleute. Also ich war kürzlich in einem Beratungsgespräch mit einer Landesregierung gesessen, und da war es dann tatsächlich so, dass Kollegen von mir, die also Fachkollegen aus der Gesellschaft für Virologie sind, darauf hingewiesen haben, dass diese Tests gefährlich seien. Das erinnerte mich so ein bisschen an die Maske. Und wenn natürlich der eine Fachmann dann sagt, die Tests sind gefährlich, und der andere sagt, ne, ich bin aber dringend dafür, die einzuführen, dann ist es wahnsinnig schwierig, weil dann die Politiker sich immer das heraussuchen, was sie für sinnvoll erachten. Aus dieser Sitzung habe ich sogar mitgenommen, dass unsere Fachgesellschaft, also die Gesellschaft für Virologie, angeblich im Moment eine Stellungnahme plant, die in Kürze herausgegeben werden soll, das kann ich jetzt nur so wiedergegeben von dem Kollegen, wo also auf die Gefährlichkeit dieser Schnelltests hingewiesen wird und von diesen abgeraten wird. Und dann, das muss man sagen, dann rauft man sich natürlich dann irgendwann mal die Haare.


Camillo Schumann


Aber da kann man sich ja fragen, dann in ihrer Funktion, ob man aus dieser Gesellschaft austritt oder nicht mit unterschreibt.


Alexander Kekulé


Naja, das ist von vornherein so, dass das dann immer nur so ein paar Leute formulieren, so was. Ich bin ziemlich sicher, dass die mich nicht fragen werden, ob ich da mit unterschreiben will, weil die genau wissen, was meine Position ist. Ich habe ja seit Februar wirklich dringend für diese Testungen plädiert und im März dann eine nationale Anstrengung dafür gefordert. Im März! Und ich kann nur noch einmal betonen, dass dieser Schnelltest von Roche, der jetzt auf dem Markt ist, von BD Bionsciences aus Südkorea seit März verfügbar wäre. Und zwar genau dieser Test. Da gibt es dann auch, wissen Sie, das ist dann so in irgendwelchen Sitzungen,


(dann) sagte der Kollege ja, das ist aber die dritte Generation. Damals waren die Tests so schlecht, was einfach sachlich falsch ist. Und da ist es wahnsinnig schwierig. Ich bin inzwischen der Meinung, dass wir Wissenschaftler in dieser ganzen Pandemie keine gute Arbeit geleistet haben.


07:43


Camillo Schumann


Man muss auch sagen, dass die Antigenen Schnelltests, die Sie gerade angesprochen haben, ja auch zu einer nationalen Teststrategie mittlerweile gehört. Sie sind verpflichtend, nun auch nach dem neuen Papier von Bund und Ländern, auch verpflichtend für das Altenheimpersonal. Also es ist ja sozusagen jetzt auch breiter Konsens in der Politik, auf diese Schnelltests zu setzen. Da fragt man sich, warum streiten sich die Wissenschaftler eigentlich noch?


Alexander Kekulé


In der Politik ist es Konsens. Aber, da gibt es noch eine kleine Feinheit da drinnen, auch wenn ich im jetzt Ihren Optimismus vielleicht Bremse an der Stelle. Also ich bin ja nicht dafür, das Personal mit den Schnelltests zu untersuchen, weil Sie in der Tat bei den Schnelltests manchmal falsch- negative haben. Gerade so, wie das dann ja auch gemacht wird, das häufig dann das Pflegepersonal selber sich gegenseitig testen soll und solche Dinge, womit die zeitlich dann auch überfordert sind. Da kann man erstens von der Abnahmetechnik einiges falsch machen. Und zweitens sind die Tests einfach nicht so perfekt. Und deshalb finde ich in der Situation, wo ein einziger, dem man übersieht, möglicherweise einen schweren Ausbruch im Altersheim verursachen kann, da bin ich tatsächlich dafür, sich auf die zuverlässigere Methode PCR zu verlassen, statt zu sagen, wir ordnen jetzt einmal die Woche Schnelltests an. Diese Schnelltests müssten eigentlich einmal am Tag durchgeführt werden, übrigens auch da wieder interessant: Ich habe die aktuelle Empfehlung der Leopoldina gelesen. Die haben ja sehr, sehr konkrete Maßnahmen empfohlen, aber interessanterweise an keiner einzigen Stelle eine wissenschaftliche Begründung dazu gegeben. Das hätte ich jetzt aber eigentlich von so einer Gesellschaft durchaus, also von der Nationalen Akademie der Wissenschaft, durchaus erwartet. Aber an einer Stelle steht immerhin drinnen, dass die Schnelltests für einen Tag lang halbwegs Sicherheit geben können. Jetzt ist die Frage also, die Leopoldina sagt es, sie begründet es aber nicht. Die Politik setzt offensichtlich nicht da drauf, weil sie in Altersheimen sagt, einmal die Woche testen reicht, und zwar mit dem Schnelltest. Und die Fachgesellschaft sieht es wieder anders. Also, das ist schon ein ziemliches Chaos, was da entstanden ist. Ich sehne mich fast an die gute alte Zeit zurück, wo dann nur der Christian Drosten und ich in Details unterschiedliche Meinungen hatten. Irgendwie so ungefähr an der dritten Stelle hinter dem Komma. Und das gleich ein Aufreger für so manche Zeitung war. Also, da ist das Meinungsbild unter den Fachkollegen doch sehr viel vielseitiger und vielfältiger geworden inzwischen.


10:09


Camillo Schumann


Am Ende bleibt ein verwirrter Mitarbeiter eines Altenheims und auch normale Person, die vielleicht in die Apotheke geht und natürlich permanenten fragt, wo bleibt denn da der Schnelltest für zu Hause? Weil das ist ja auch noch ein Thema, was unbeackert geblieben ist.


Alexander Kekulé


Ja, zu Hause muss man sagen, dass die Situation ja eine ganz andere ist. Da werden ja Leute getestet, die jetzt nicht so einen massiven Ausbruch verursachen können aus beruflichen Gründen, wenn sie


etwas falsch machen. Und es ist eigentlich so eine private, sage ich mal, extra Sicherheit, die man sich holen kann. Mein Plädoyer für die privaten Tests heißt nicht, lasst alles andere stehen und liegen, vergesst die Masken und so weiter und testet euch stattdessen. Sondern einfach, dass man zum Beispiel an Weihnachten damit eine zusätzliche Ebene von Sicherheit hätte einziehen können. Das ist eine andere Situation als im Altenheim. Und naja, und an Weihnachten muss ich auch sagen, dass unsere Bevölkerung da so entspannt ist, dass sie sich das jetzt vorsetzen lässt von der Politik oder wegnehmen lässt von der Politik, wo man natürlich mit besserer Vorbereitung FFP2- Masken und Schnelltests und vielleicht im Vorfeld etwas bessere, schnellere Reaktion auf die Herbstwelle, da hätte man natürlich diesen Lockdown schon verhindern können.


11:19


Camillo Schumann


Das wäre jetzt meine Frage gewesen. FFP2- Masken werden ab heute an über 60- Jährige und Risikopatienten kostenlos in Apotheken verteilt. So ist es zumindest der Plan. Es gibt es schon einige Apotheken, die große Fragezeichen haben und überhaupt über keine FFP2-Masken kostenlos verfügen für die Bevölkerung. Grundsätzlich: Dass man jetzt beginnt, damit die Masken zu verteilen, gute Idee? Nützt es noch was?


Alexander Kekulé


Ja, das ist auf jeden Fall eine sehr, sehr gute Idee. Und es wird auch noch etwas nützen. Es ist ja nicht so, dass dieser Lockdown jetzt quasi das Ende der ganzen Pandemie in Deutschland sein wird. Man kann natürlich wieder nörgeln und sagen warum ist das so spät? Sie wissen, dass schon im März die Diskussionen waren, warum wir so wenig FFP2-Masken haben. Ich kann mich an mehrere Gespräche erinnern, wo der Bundesfinanzminister und Vizekanzler mit dabei war und der jeweils die deutsche Industrie gelobt hat. Und gesagt hat, die Maschinen, die diese Masken herstellen, die würden ja alle made in Germany sein. Und man wäre ja unmittelbar davor, hier die Großproduktion zu starten. Also so, wie ich das letzte Woche gehört habe, wird in Deutschland noch überhaupt nichts produziert an diesen Masken. Wir hängen nach wie vor am Tropf von China dran in dieser Hinsicht. Ich weiß nicht, ob es wieder Engpässe geben wird. Die Chinesen brauchen ja im eigenen Land keine Masken mehr, weil die es besser gemacht haben als wir. Demokratisch gesehen natürlich nicht besser, aber epidemiologisch besser gemacht als wir. Daher ist es so, dass ich jetzt nicht beurteilen kann, ob diese Masken noch mal knapp werden. Aber ich kann nur betonen, wir hängen nach wie vor an den Importen dran. Und auch diese Antigen-Schnelltests, der wird aus Südkorea importiert. Da hatte ich mir gewünscht, dass wir eine europäische Produktion aufbauen, sodass wir eigentlich die Risiken an der Stelle nicht minimiert haben.


13:04


Camillo Schumann


Kommen wir auf die aktuelle Situation in Deutschland. Bundespräsident Steinmeier hat die Situation in seiner Videobotschaft gestern so beschrieben:


„Die Lage ist bitterernst. Tausende Todesfälle in einer Woche und ein Infektionsgeschehen, das außer Kontrolle zu geraten droht. Wir kommen an einschneidenden Maßnahmen nicht vorbei.“


Bayerns Ministerpräsident Markus Söder geht sogar noch einen Schritt weiter. „Corona ist außer Kontrolle geraten. Wenn wir nicht aufpassen, wird Deutschland schnell das Sorgenkind in ganz Europa.“ Ist Corona nun außer Kontrolle geraten?


Alexander Kekulé


Es ist halt die Frage, wie Sie Kontrolle definieren. Es gibt die eine Definition, die man so früher mal hatte, das war diese Idee von Hammer und Dance, dass man gesagt hat, wir müssen da die Kurve flach machen, flatten the curve hieß es auch, damit die Intensivstationen nicht überlastet werden. Das war leider, meines Erachtens, eine Fehlentwicklung, die monatelang gelaufen ist, dass man gesagt hat, wir können die Fallzahlen sowieso nicht verändern. Es wird sowieso dann die daraus errechenbaren Toten geben. Die Frage ist nur, kommt es in kurzer Zeit, dass die Intensivstation überlastet sind? Oder können wir es auf einen längeren Zeitraum verteilen? Also Stichwort flatten the curve? Von daher würde ich sagen, ist es noch nicht außer Kontrolle, weil unsere Intensivstation noch nicht so überlastet sind, dass wir eine allgemeine Triage haben. Ich muss aber auch sagen, dass mir der Leiter einer Intensivstation einer sehr, sehr großen Universitätsklinik in Deutschland kürzlich gesagt hat, sie würden intern tatsächlich schon beginnen, Triage zu machen. Also sie würden schon entscheiden, wer kriegt die bessere Therapie, weil er eine bessere Überlebenschance hat. Nicht so krass, wie es in Norditalien oder auch in Frankreich zum Teil gemacht werden musste, aber wir sind so an der Grenze, wo solche Entscheidungen im Kleinen laufen. Das beginnt Ja nicht dort, wo der Intensivmediziner sagt, okay, du kriegst keinen Beatmungsplatz, du stirbst jetzt auf dem Gang oder ähnlich schreckliches. Oder in Italien wurden die auch nach Hause geschickt, zum Teil in Altersheime geschickt, wo es dann fürchterliche Ausbrüche wiederum gab. Aber Triage beginnt ja schon vorher, wenn man jetzt zum Beispiel an einer sehr gut ausgestatteten Station die Möglichkeit hat, jemanden optimal zu behandeln. Man muss aber jemanden von dem Patienten wegverlegen, weil man einfach nicht genug Kapazitäten hat. Dann wird hier natürlich die Entscheidung danach getroffen, wer hat die beste Überlebenschance, und das nennen wir einfach dann, in der Notfallmedizin, Triage. Noch ein Hinweis. In Augsburg sind die Intensivstationen nach Meldung letzter Woche komplett voll gewesen. Es gab in Augsburg keine Beatmungsplätze mehr für COVID- Patienten. Und aus München, die nicht wenig Krankenhausbetten haben, fliegen täglich die Rettungshubschrauber mit COVID-Patienten heraus ins Umland, um Patienten in die kleineren Krankenhäuser zu verlegen, weil in der Stadt keine Beatmungsplätze mehr sind. Also das ist schon an der Grenze (...). Und dann gibt es die andere Form von Kontrolle. Das ist die, die ich eigentlich bevorzuge, die ist lange vor diesem katastrophalen Zustand. Und das ist die Frage, wann können die Gesundheitsämter die Fälle noch nachverfolgen? Und da muss ich sagen, ist es schon lange außer Kontrolle. Also, da hat Markus Söder in dem Fall recht. Ich glaube auch, dass der Bundespräsident das genauso formulieren würde, wenn er diesen Parameter nimmt und nicht die Sterblichkeit auf den Intensivstationen. Und ich glaube, das ist wirklich so: Kein Land der Welt hat jemals ohne konsequente Nachverfolgung diese Pandemie lokal unter Kontrolle gebracht. Das Einzige, was wir schaffen, was uns helfen könnte, ist tatsächlich, wenn wir wieder in dem Bereich kommen, wo die Gesundheitsämter die Nachverfolgung machen können. Alles andere wird nicht funktionieren. Und deshalb, ja, ist es außer Kontrolle.


16:47


Camillo Schumann


Die Bundesländer, die haben sich ja nur mit der Kanzlerin auf einen harten Lockdown verständigt, damit dann eben irgendwann die Zahlen wieder so gedrückt werden, dass man eben Infektionsketten nachvollziehen kann. Oder wie es Markus Söder ausdrückt:

„Die Lage ist eigentlich wieder fünf vor zwölf. Deswegen wollen wir keine halben Sachen mehr machen, sondern konsequent handeln.“

Die Frage, die sich bei so einer Aussage unweigerlich aufdrängt, warum wurden denn bisher halbe Sachen gemacht? Mal ganz ketzerisch.


Alexander Kekulé


Das ist natürlich, was soll ich sagen? Ich habe Virologie und Epidemiologie gelernt und noch ein paar andere Sachen, aber so natürlich als über 60-jähriger Staatsbürger auch den Politikersprech im Lauf der Zeit so ein bisschen mitverfolgt. Ich finde es keine so tolle Entwicklung, dass Politiker einfach nicht sagen können, was sie denken. Dass sie nicht einfach sagen können, passt mal auf Liebe Leute, wir haben das unterschätzt. Ich ärgere mich total, dass ich nicht vor einem Monat schon das und das gemacht habe. Und es ging halt irgendwie nicht. Ich konnte mich mit dem und dem nicht einigen. Dann nennt man dann auch Ross und Reiter nicht. Es wird dann immer so Laschet versus Söder ins Feld geführt. Das war ja so im September die große Frage: der eine für verschärfte Maßnahmen, der andere dagegen. Aber ich glaube, das müsste man offener ausdiskutieren, weil der Wähler will ja auch wissen, bei wem man dann später mal sein Kreuzchen machen muss. Aber die schonen sich gegenseitig und sagen dann immer so Sachen. Es gibt ja immer nur so Sachen wie, Ja, wir müssen Maßnahmen treffen, um die Nachverfolgung noch besser zu machen, als die sowieso schon ist und solchen Politikersprech. Ich weiß nicht, scheinbar will die Bevölkerung das, weil die die wissenschaftliche Herangehensweise, dass man sagt, das war ein Fehler, jetzt müssen wir es anders machen, die ist scheinbar nicht gesellschaftsfähig,


18:35


Camillo Schumann


Um bei Politikersprech zu bleiben. Jetzt sind wir schon beim harten Lockdown. Es wurden ja harte Maßnahmen beschlossen, die wir jetzt gleich durchdeklinieren wollen und erinnern an dieser Stelle mal an den 02. September dieses Jahres und an die Aussagen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Wir können ja mal kurz reinhören:


„Und gleichzeitig ist es eben so, und das ist doch das Gute in dieser Krise, dass wir jeden Tag dazu lernen. Zum Beispiel dazulernen, in welchen Bereichen es besonders große Infektionsrisiken gibt. Leider besonders da, wo wir gesellig miteinander sind, wo wir feiern, wo wir im geschlossenen Raum eng beieinander sind. Das haben die letzten Monate noch mal sehr eindrucksvoll gezeigt. Wenn wir schauen, wo hat es Ausbruchsgeschehen gegeben, und wir haben gesehen, wo wir in anderen Bereichen die Dinge gut unter Kontrolle haben, wenn wir Abstand, Hygiene, Alltagsmasken einhalten. In den letzten Wochen hat es ja keine Ausbrüche oder Infektionsgeschehen im Einzelhandel beim Einkaufen gegeben. Wir sehen, dass mit den erarbeiteten Konzepten für den Besuch in den Pflegeeinrichtungen zur Minimierung des Eintrags des Virus dorthin, wo es oft am brutalsten zuschlägt, dass wir da, Stand heute, die Dinge auch in der Pflege gut im Griff haben, eben mit dem, was wir in der letzten Zeit miteinander gelernt haben.“


Mit dem harten Lockdown werden wieder die Geschäfte geschlossen und das RKI unterrichtet über zunehmend massive Ausbrüche in Altenheimen. Also, es stimmt ja beides nicht, was Herr Spahn da gesagt hat.


Alexander Kekulé


Er hat, glaube ich, damals auch noch gesagt, man würde mit dem Wissen heute, das kann ich Ihnen sagen, keine Frisöre mehr schließen und keinen Einzelhandel mehr schließen. Also mit dem Wissen heute damals im September. Das Problem ist halt muss man schon, klar Politiker haben einfach so einen Reflex, dass sie immer das so zu formulieren, dass sie selber dabei gut wegkommen. Und wenn man die Zustimmungsquoten anschaut, will das Volk das ja auch so hören. Auf der anderen Seite muss man schon sagen es ist ja, dass wir, die die wichtigsten Fragen gar nicht beantwortet haben oder zumindest keine Arbeitshypothese haben. Sie wissen, ich bin immer total dafür, in Krisensituationen mit einer Arbeitshypothese, - die Notärzte sagen, Arbeitsdiagnose - vorzugehen. 


Wie funktioniert es dann? 


Und das fehlt mir so ein bisschen, dass man sagt okay, das ist unser Konzept, davon gehen wir aus. 


Und da muss man aufgrund dieser Basisannahmen Maßnahmen einleiten. Und dann eben die wirklich beobachten, wie die wirken. Das ist aber nicht geschehen. Und deshalb eiert das sozusagen so rum. 


Und mein Eindruck ist, dass dieser Lockdown jetzt im Grunde genommen eine Verzweiflungstat ist, die eher so eine Mischung ist, eine Mischkalkulation, dass man sagt 


26:56


Camillo Schumann


Verzweiflungstat nennen Sie den Lockdown, den harten Lockdown. Er sieht im Einzelnen so aus und die Maßnahmen, die kennen wir ja eigentlich schon: Kontaktbeschränkungen, also maximal zwei Haushalte dürfen sich mit maximal fünf Personen treffen. Rausgehen darf nur, wer einen triftigen Grund hat. Schulen und Kitas dicht. Alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte bleiben zu, Gesangsverbot in der Kirche. In einigen Bundesländern gilt auch eine nächtliche Ausgangssperre, das Ganze bis zum 10. Januar. Was sagen Sie zu diesen Maßnahmen? Werden die dafür sorgen, dass die Zahlen so stark sinken, dass wir dann wieder über einen in Anführungszeichen einigermaßen „normales Leben“ nachdenken können?


Alexander Kekulé


Die Zahlen werden auf jeden Fall sinken. Ein harter Lockdown, das hat ja schon Wuhan belegt, funktioniert tatsächlich. Vor allem die Ausgangssperren und das wird natürlich einen Effekt haben. Ja, die Frage ist, kommt man in diesem Bereich von 50? Und die Frage ist auch, wie schnell kommt man in diesem Bereich, wo die Gesundheitsämter wieder nachverfolgen können? Also, 50 Neuinfektionen als Mittelwert über sieben Tage pro 100.000 Einwohner. Ich bin da nicht so sicher, ob das bis zum 10. Januar funktionieren wird, wegen dieser Seitwärtsbewegung. Diesen schönen Ausdruck hat man ja da aus der Börse übernommen. Diese Seitwärtsbewegung erkläre ich mir, wie gesagt, dadurch, dass es jetzt nicht zu richtigen Ausbrüchen kommt, wo man dann Superspreading hat mit sehr, sehr vielen Infizierten. Ich glaube, dass das insgesamt nur noch ganz selten ist, weil die Menschen vorsichtig sind. 



29:19


Camillo Schumann


Möglicherweise auch wegen der Ausnahme zu Weihnachten. Die sieht ja so aus: Ein Hausstand darf sich mit vier weiteren Personen treffen und diese vier weiteren Personen, die müssen laut Beschluss aus dem engsten Familienkreis kommen, Ehegatte, Lebenspartner, Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Verwandte et cetera, Geschwister, Geschwisterkinder, und Kinder bis 14 Jahren spielen da ja keine Rolle. Also so eine feste Personen- Obergrenze gibt es ja für die Feiertage nicht. Also werden die Zahlen nach Weihnachten dann nicht wieder hochgehen?


Alexander Kekulé


Ich bin da jetzt nicht so pessimistisch wie das, was man aus den USA sieht. Also ein USA mit Thanksgiving war ja ein großes Problem. 


Camillo Schumann


Berlin.


Alexander Kekulé


Aber auch sicher in anderen Städten. Das finde ich eine sehr vernünftige Einrichtung, dass man das zur Verfügung stellt. Jetzt nicht als Appell, dann unvernünftig zu sein, sondern wirklich in dem Sinn, dass man, das könnte eine zusätzliche Sicherheitsebene einziehen, wenn man für diejenigen, die es halt wirklich ernst nehmen, bis hin zu der Möglichkeit, dass, wenn man weiß, okay, jemand aus der Familie hatte einfach ein Risiko. Dass man dann FFP2-Masken trägt und zumindest, wenn man nicht isst, vielleicht die Senioren diese Masken tragen lässt oder alle das machen, je nachdem oder mit Abstand arbeitet. Das funktioniert schon halbwegs. Übrigens auch ein normaler OP- Mundschutz ist viel besser, als gar nichts. Das ist vielleicht ein bisschen ulkig an Heiligabend. Aber ich glaube, dass es Leute gibt, die so nachdenken, die auch solche Konzepte sich überlegen und überlegen, wie mache ich das in meiner Familie? Und bei denen, glaube ich, macht es keinen Unterschied, ob Sie da jetzt eine Obergrenze von fünf oder zehn haben. Im Gegenteil, ich finde das ein bisschen familienfeindlich, dieses Konzept, was auf dem Tisch steht das, dass man Kinder bis 14 Jahre in unbegrenzter Zahl, das ist ja ganz nett. Aber was machen Sie denn, wenn Sie fünf Kinder haben, von denen drei über 14 sind? Und dann haben sie die interessante Situation, dass sie nicht alle ihre Kinder einladen können, sofern die nicht zufällig im gleichen Haushalt vorher leben. Das finde ich schon ein bisschen schräg, dass man nicht einmal mit den eigenen Kindern Weihnachten feiern darf.


Camillo Schumann


Spricht da jemand aus persönlicher Betroffenheit, womöglich?


Alexander Kekulé


Ich habe natürlich fünf Kinder, das kann man bei Wikipedia nachlesen. Und dass davon drei über 14 sind, ist glaube ich auch bekannt. Klar, das ist es ist eine interessante Konstellation. Aber und es ist natürlich dann so, dass man dann gerade bei denen, die so sehr familienbewusst leben, und da versteht man es dann gar nicht mehr, warum die Festivitäten quasi so kontrolliert werden müssen.


33:13


Camillo Schumann


Wir machen mal einen Strich unter die Maßnahmen, die ab morgen dann deutschlandweit gelten. Und wir machen diesen Strich mal mit einer jungen Frau, die uns angerufen hat. Die hat jetzt nicht direkt eine Frage, sondern sie wollte mal ihren Frust von der Seele sprechen. Wir hören mal kurz rein:


„Wir sind eine Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern, immer wird nur auf die Schulen geguckt und auf die Kitas. Es gibt nichts mehr. Es gibt keinen Sport mehr, gibt keine Vereine mehr. Selbst ich darf meinen Sport nicht draußen auf dem Sportplatz ausüben, weil der gesperrt ist. Und dann sterben Leute in den Altersheimen, und die Politik versucht, uns ein schlechtes Gewissen zu machen, indem sie Vergleiche wie von abstürzenden Flugzeugen und Tote alle vier Minuten gibt. Und statt die Altersheime und die Pflegeeinrichtungen zu sichern. Und im Gegensatz zu Schweden, wo ja oft hämisch hingeguckt wurde wegen der vielen Toten in den Altersheimen, haben die sich wenigstens dafür entschuldigt. Der Chef- Epidemiologe hat sich öffentlich entschuldigt für die vielen Toten in den Altersheimen. Davon habe ich hier noch nichts gehört. Niemand entschuldigt sich dafür, dass da die Politik versagt hat. Stattdessen wird auf uns geguckt und auf die jungen Leute. Und ich finde das absolut unmöglich. Und ja, da hat man einfach auch langsam keine Lust mehr.“


Tja, da spricht unheimlich viel Frust aus dieser jungen Frau.


Alexander Kekulé


Es ist ja fast so, als hätte sie den Podcast bis hierhin gehört. Ich kann nur zu den Sportplätzen vielleicht konkret Folgendes sagen: Es ist so, dass tatsächlich Sportplätze auch im Freien gesperrt sind. Und das heißt, es dürfen junge Leute zum Beispiel nicht mehr im Freien, da gibt es ja manchmal so Körbe, wo man Basketball spielen kann mit. Und das ist auch gesperrt worden. Da dürfen die im Freien nicht mehr alleine oder zu zweit an so einen Basketballkorb das Einwerfen trainieren. Ich glaube, das Problem ist, dass die Politik so dieses Grundprinzip hat. 

Wir müssen jede Art von Kontakt verhindern. 

Das wäre es. Das nächste wissenschaftliche interessante Thema. 


Camillo Schumann


Und noch eine Zahl hinterherzuschieben. 


Alexander Kekulé


Ja, da wäre die ganze Entwicklung komplett anders gelaufen. Wir hätten viel weniger Tote. 


Übrigens, muss man dazusagen, Sie haben gerade die Zahlen genannt. Wichtig ist noch dazu zu sagen, die allermeisten sterben ja in Altersheimen. Das ist bei uns nicht so wie wir am Anfang auch in Italien hatten, dass die in den Wohnungen sterben, die alten Leute, oder sich zuhause infiziert haben. Was sieht man daran? Da sieht man, wenn sich der Bürger selbst schützt, ist es besser, als wenn der Staat es für ihn macht oder als wenn Dritte es für ihn machen. Also, die Leute, die zu Hause wohnen, die haben sich längst die FFP2-Masken gekauft oder haben jemanden, der ihnen hilft und Familien, die sie unterstützen. 


Das das Hauptproblem sind die Altersheime tatsächlich bei der Sterblichkeit. Und ich glaube aber nicht, das ist vielleicht eine wichtige Sache. Ich weiß, dass zwei meiner Virologen-Kollegen wieder so ein Beispiel, wo wir auseinandergedriftet sind in der Debatte, 


Aber mit dieser Einschränkung haben Sie recht. Wenn man die Alten sehr gut schützen würde, wäre das Problem längst nicht so groß. Letztlich ist doch nicht schlimm, das, was uns plagt, sind doch nicht die Infektionen. Was uns plagt, sind die Todesfälle unterm Strich oder vielleicht auch Long-COVID- Dauerschäden. Aber da scheint es so zu sein, das ist im Vergleich zu den Todesfällen ein im Moment nicht so zentrales Problem.


38:50


Camillo Schumann


Gut, dann warten wir ab, wie sich das Ganze entwickelt wird. Am 05. Januar wollen sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten erneut unterhalten. Dann wird es darum gehen, was dann ab dem 11. Januar gelten soll. Die Frage ist nur, ob es rein rechnerisch überhaupt möglich ist, bis dahin die Zahl auf 50 zu drücken. Sie hatten es ja schon so ein bisschen angekündigt. Schwierig, oder?


Alexander Kekulé


Naja, rein theoretisch kommt darauf an, wie sie rechnen. Bei Rechnungen haben wir immer den Charme, dass sie immer das rauskommt, was man, dass man dadurch, was man von vorne die richtigen Zahlen reinfüttert, beeinflussen kann, was hinten rauskommt. Und da ist es letztlich so. Also wenn Sie mitberücksichtigen, was ich eben vermute, dass wir viele Infektionen in häusliche Gemeinschaften haben. Die Leute, die zusammenwohnen, infizieren sich gegenseitig, weil der Staat ihnen auch zu wenig hilft bei der Quarantänisierung oder Isolation. Dann wird es so schnell nicht gehen. Sondern da wird es länger dauern, weil Sie wissen ja, 

Und hier wird es auch so sein. Ich glaube, ich glaube schon, dass es einen deutlichen Effekt gibt. Aber je nachdem, wie viele Infektionen wir in den Haushalten bekommen, kann es noch eine Weile dauern, bis sozusagen dieser Seitwärtsbewegung abgeschlossen ist.


41:27


Camillo Schumann


Und wir wieder bei 50 liegen. Inzidenz von 50 ja, wir sind gespannt. Also nächste Woche Donnerstag, das wäre dann ungefähr über eine Woche, knapp eine Woche nach dem harten Lockdown, dann sind wir dann gespannt, über welche Zahlen wir dann hier im Podcast berichten werden. 


Wir kommen zum Thema Impfung: ist auch das entscheidende Thema jetzt, in den letzten Tagen des Jahres. In der vergangenen Woche begann schon in Großbritannien eine großangelegte Massenimpfung, und als erster Mensch der Welt seit der Zulassung des Impfstoffs wurde die 90-jährige Britin Margaret Kenan geimpft. Sie bekam die Spritze in einem Krankenhaus in Coventry und danach rief sie ihre Landsleute auf, sich auch impfen zu lassen. Wir hören mal kurz rein:


„Do, please, go for it. That’s all I say, you know. If I can do it, well, so can you.”


Tja, wenn ich sie mit 90 bekommen kann, dann können sie es auch. Margaret Kenan hatte die Impfung gut vertragen, allerdings nicht zwei Mitarbeiter des staatlichen National Health Service. Sie hatten nach der Impfung schwere allergische Reaktionen. Und die britischen Aufsichtsbehörden, die riefen daraufhin eine Warnung für die Corona-Impfung von BioNTech und Pfizer aus. Jetzt ist natürlich die große Frage: Ist der zugelassene COVID-19-Impfstoff von BioNTech/Pfizer wirklich sicher?


Alexander Kekulé


Naja, das ist an der Stelle bisschen dumm gelaufen, das muss man schon sagen. Die haben da für das Zulassungsverfahren, das ist ja bekannt, in der Größenordnung von etwas über 20.000 Personen geimpft und haben da die Nebenwirkungen genau beobachtet und haben ja berichtet, dass da keine wesentlichen Nebenwirkungen, also keine gravierenden Nebenwirkungen, aufgetreten sind. 


Da könnte man jetzt ein bisschen darüber erzählen, was überhaupt gravierende Nebenwirkungen sind, das wären schon sehr schwere Nebenwirkungen, die da drunter erfasst würden. Und von Allergien im größeren Umfang war also überhaupt nicht die Rede. Und dann fangen haben die also im UK, im Vereinigten Königreich, die als erstes die Zulassung ausgesprochen. Da kann man lange diskutieren, ob das jetzt nett von den Briten war oder nicht. Aber sie haben das einfach gemacht, den Impfstoff besorgt und losgelegt. 


Und da wurden am Anfang, wie man das halt so macht, haben sich wahrscheinlich ein paar im medizinischen Bereich impfen lassen von diesem National Health System dort. Und ausgerechnet unter den allerersten waren dann zwei, die diese allergischen Reaktionen gezeigt haben. Das ist ein bisschen dumm gelaufen, weil dadurch sieht es irgendwie so aus: Was haben die denn vorher für Studien gemacht, wo sie das nicht bemerkt haben, mit über 20.000 Leuten. Wenn dann bei den ersten zwei, so ungefähr, dann gleichsam eine Nebenwirkung auftritt. 


Man muss aber da ein bisschen genauer hinschauen. 

Wir unterscheiden ja bei den Impfungen zwischen der sogenannten Impfreaktion und den echten Nebenwirkungen. 


Und ich muss sagen, mir ist nicht ganz klar, ich kenne die Berichte, ob wir jetzt diese zwei Mitarbeiter von der National Health in Großbritannien, ob die jetzt nicht vielleicht einfach nur eine besonders starke Impfreaktion hatten. Also ob das eine echte Allergie war, das ist immer so schwierig, bei dem einen ist überhaupt nichts. Das kennt man ja bei den Kindern. Auch die eine wird geimpft, und man sieht fast nichts. Und dann kommt das nächste Kind, hat dann drei Tage einen riesigen, dicken, aufgeblähten Arm. Und man denkt was ist denn da passiert? Das hängt einfach mit der individuellen genetischen Veranlagung zusammen. Der eine reagiert da stärker, der andere schwächer. Und mein Eindruck ist, dass das einfach zwei Personen waren, die besonders starke Impfreaktionen hatten, aber nicht, dass es jetzt ein lebensgefährlicher allergischer Schock oder sowas gewesen sei.


45:50


Camillo Schumann


Man muss auch dazu sagen, den beiden ging es dann relativ schnell wieder gut . Die allergische Reaktion hat sich dann auch relativ schnell abgebaut. Und wenn man sich anschaut, die Studien dazu, dass Nebenwirkungen, also allergische Reaktionen bei 0,1 Prozent der Impfgruppe aufgetreten sind, ist das so ein normales Maß?


Alexander Kekulé


Das liegt im oberen Normalbereich, das ist nicht wenig. Es wäre ja jeder tausendste ungefähr. Das ist jetzt nicht gerade wenig. Man muss dazu sagen, also diese Impfreaktion, wenn die ausgelöst wird und häufig ausgelöst wird, dann sagen wir: Der Impfstoff hat eine hohe Reaktogenität, also der löst eine starke Impfreaktion aus. Und obwohl jetzt hier keine Wirkverstärker mit drinnen sind, also keine sogenannten Adjuvantien, haben diese RNA-Impfstoffe eine erstaunlich hohe Reaktogenität, also, die sind jetzt schon so, dass sie bei der Impfreaktion, kann ich schon mal so sagen, ganz schön reinhauen, dafür, dass da überhaupt kein Adjuvans mit dabei ist. 


Sie erinnern sich an die Adjuvans-Debatte. Das war bei dem Schweinegrippe-Impfstoff so, dass da so ein Wirkverstärker drinnen war, der sicher keine gute Idee war. Und es gibt aber andere Adjuvantien, die sind zum Beispiel durchaus den Impfstoffen, die auch Kinder kriegen, mit drinnen. Weil in anderen Situationen, wo man nur so ein bisschen Protein mit reingibt in den Impfstoff, da braucht man diesen Verstärker, damit überhaupt was passiert, sage ich mal, damit das Immunsystem überhaupt anspringt. 


Und deshalb ist es so, dass diese RNA-Impfstoffe erstaunlich reaktogen sind. Dieser ganz konkret von Pfizer/BioNTech wurde meines Wissens sogar extra so gemacht, dass er nicht zu reaktogen ist, weil wir andere kennen, wo die Impfreaktionen stärker waren. Deshalb ist es jetzt für mich zunächst mal nicht so schlimm. Ich meine, wir haben es hier mit einer potenziell tödlichen Erkrankung zu tun. Da kann man auch mal drei Tage mit einem dicken Arm rumlaufen nach der Impfung. Und es geht ja normalerweise weg.


47:51


Camillo Schumann


Nicht nur in Großbritannien, auch in den USA, Kanada, Israel, Bahrain sind ja die Impfungen schon angelaufen. Deutschland wartet dann noch ab. Hier soll erst geimpft werden, wenn die europäische Arzneimittelbehörde den Impfstoff freigibt, also eine ordentliche Zulassung vorliegt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft kritisiert das. Sie fordert eine Notfallzulassung für den Corona Impfstoff von BioNTech/Pfizer, über den wir gerade gesprochen haben. Der Präsident der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, der appelliert, möglichst früh mit dem Impfen zu beginnen. Und er hat gesagt ich frage mich, ob wir wirklich bis zum 29. Dezember brauchen, um in Europa eine Zulassung des Impfstoffs zu erreichen. Europa sollte auch versuchen, schon vorher eine Notfallzulassung zu schaffen. Sehen Sie das auch so, braucht es eine Notfallzulassung?


Alexander Kekulé


Naja, also da, ich kenne diese Meldung, bin ich etwas irritiert davon. Also, 


Und die Forderung, jetzt eine normale Zulassung oder diese Idee, dass es eine normale Zulassung geben wird von der Europäischen Arzneimittelbehörde, die ist von vornherein, glaube ich, falsch, das ist gar nicht der Gedanke. Was die EMA hier macht, diese europäische Behörde ist Folgendes. 


Das haben wir jetzt so ein bisschen entgegen dem ursprünglichen Geist des Gesetzes, die Briten einfach gezogen, diesen Paragrafen, und gesagt jetzt machen wir eine nationale britische Zulassung. Boris Johnson guckt hier natürlich auch auf den 31.12., wo das Vereinigte Königreich sowieso raus ist aus der EU. Und wenn die Scheidung schon beschlossen ist, dann ist man halt zu dem Ex nicht mehr so freundlich wie vorher. Außerdem ist es ja so, die haben natürlich einen kleinen strategischen Vorteil gehabt, taktischen Vorteil gehabt. Und zwar hat Großbritannien einen bilateralen Vertrag mit Pfizer/BioNTech geschlossen. Also die hatten einen Privatvertrag sozusagen, vielleicht auch im Hinblick auf den geplanten Austritt. 


Und wir alle anderen hängen an dem EU-Vertrag dran, 


53:46


Camillo Schumann


Heute hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch einmal Druck aufgebaut über die Medien auf einer Pressekonferenz zusammen auch mit RKI-Chef Wieler hat er gesagt, dass er mit einer Zulassung noch vor Weihnachten rechnet.


Alexander Kekulé


Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass die Politik sich da zurückhält, und vor allem den Eindruck vermeidet, dass Politiker die Zulassungsbehörden unter Druck setzen würden. Klar, intern wissen wir alle, nachdem die britische Behörde das zugelassen hat, und das ist innerhalb des europäischen Verbunds immer eine von denen gewesen, die galten als eine der besten und auch als eine der schnellsten, das muss man dazu sagen. Die haben jetzt sicher nicht den Boris Johnson einen Gefallen getan, indem sie das so schnell zugelassen haben. Klar, dadurch, dass die das gemacht haben, ist für die anderen irgendwie ja logisch, wie sollte die EMA jetzt begründen, die europäische Behörde, dass sie das irgendwie nicht zulässt? Und in den USA, in Kanada, in Bahrain und in Großbritannien ist es zugelassen. 


Allerdings geht es natürlich auch um Feinheiten, zum Beispiel: 


Und so gibt es ebenso ein paar Randbedingungen, die wichtig sind, die in den Empfehlungen dann auch drin stehen. Und ich bin ziemlich sicher, dass das CHMP, dieses Komitee genau darüber diskutiert, was da im Detail, in der in der Zulassung drinnen steht und wie gesagt es ist eigentlich so eine Art Notfallzulassung. Eine reguläre Zulassung ist hier sowieso nicht geplant. Weil, nach der Zulassung werden die Daten ganz akribisch weiterhin erhoben. Auch das steht übrigens in der Zulassung, dann immer mit drinnen, welche Daten zu erheben sind und worauf man besonders achtet. Oder auch jetzt die aktuelle Sache. Sie haben es vorhin gesagt, bei National Health in Großbritannien gab es zwei Fälle von Allergien, sogenannten Allergien. Soll man das jetzt in den Beipackzettel schreiben, soll man empfehlen, dass es für Allergiker nicht geeignet ist? Da würde aber eine Riesenliste von Personen jetzt plötzlich dabei sein, jeder, der irgendwie mal Asthma hatte, Heuschnupfen, was weiß ich alles, Leute, die dann unsicher werden, ob sie es nehmen sollen. Ich glaube, das ist eine Frage, die sicherlich auch diskutiert wird. Und darum finde ich gut, dass die Fachleute des erstmal ausdiskutieren. Und man muss ja auch dazu sagen, wir haben ja so spät den Vertrag geschlossen. Ich glaube gar nicht, wenn jetzt die Zulassung nächste Woche käme, dass wir dann übernächste Woche hier ausliefern würden in Europa.


56:58


Camillo Schumann


Man muss ja auch dazu sagen, dass auch die Impfstoffe in der Gesamtzahl auch gar nicht so vorrätig sind. Sachsen-Anhalt, zum Beispiel, hat mit 120.000 Dosen fürs Erste gerechnet, bekommt nur 65.000. Kann also gar nicht alle impfen, die es impfen möchte. Also da beginnen ja schon die Probleme, obwohl der Impfstoff noch gar nicht da ist.


Alexander Kekulé 


Naja, das ist wieder so etwas nett politisch, diese Bilder von den Impfzentren. Da sehen wir riesige Turnhallen, irgendwelche Minister, die sich da ablichten lassen, wie das Rote Kreuz nebenbei trainiert die Impfungen und Leute sagen dann in die Kamera wir können hier 5.000 bis 10.000 Impfungen am Tag machen. Das hieße, bei der Zahl, die Sie gerade genannt haben, dass man nach einer Woche eigentlich das Impfzentrum schon wieder zumachen könnte. Und das wäre ja nur für eins noch. Außerdem muss man daran erinnern, völlig berechtigterweise sollen ja zuerst insbesondere in Altersheimen ältere Menschen geimpft werden. Das ist ganz, ganz wichtig. Und da brauchen Sie kein Impfzentrum, das machen mobile Teams.


57:57


Camillo Schumann


Da haben wir uns wieder verquatscht, Herr Kekulé. Und das mit belegter Stimme. Wir kommen aber noch zu den Hörerfragen. Eine schaffen wir auf jeden Fall. Herr D. hat eine Mail geschrieben:


„Wenn meine Frau ihre Mutter im Pflegeheim besucht, muss sie sich dort zuvor einem Schnelltest unterziehen. Angenommen, sie wäre dabei COVID- positiv, würde dadurch die Zahl der Neuinfektionen in Berlin um eins steigen? Also werden diese Schnelltest-Ergebnisse mit draufgerechnet auf die positiven Gesamtzahlen-Ergebnisse?“


Alexander Kekulé


Ja, wenn es nach dem Gesetz zugeht, ja, das ist meldepflichtig. Und zwar, da diese Tests ja letztlich im weitesten Sinne von Ärzten gemacht werden müssen, die sind ja nicht freigegeben für die Allgemeinbevölkerung, ist dann immer der Arzt, der den Test gemacht hat oder auch das Fachpersonal, was den Test gemacht hat zur Meldung verpflichtet. Und damit wird es auch. Das Schnelltest-Ergebnis wird dann auch gemeldet.


58:47


Camillo Schumann


Damit sind wir am Ende von Ausgabe 130, und es gibt es mal wieder eine gute Nachricht zum Schluss. Und weil Sie die belegte Stimme haben, würde ich jetzt die positive Meldung zum Schluss mal verkünden, wenn sich nichts dagegen haben.


Alexander Kekulé


Ja, aber Sie müssen dann singen.


Camillo Schumann


Nein, das ist auch verboten jetzt. Die Weltgesundheitsorganisation hat eine sehr beruhigende Weihnachtsbotschaft an alle Kinder ausgesandt. Der Weihnachtsmann kann trotz der Corona-Pandemie um den Globus reisen, um seine Geschenke zu verteilen. Die für die Bekämpfung der Pandemie zuständige WHO-Expertin Maria van Kerkhove hat gestern bei einer Pressekonferenz in Genf gesagt, der Weihnachtsmann sei immun gegen das neuartige Virus. Sie und ihre WHO-Kollegen hätten kurz mit dem Weihnachtsmann gesprochen. Ihm und seiner Frau gehe es gut. Sie hätten natürlich derzeit viel zu tun. Auch berichtet


sie, dass die WHO von zahlreichen Regierungen erfahren habe, dass diese ihre wegen der Pandemie verhängten Einreise- und Quarantäne-Regeln speziell für den Weihnachtsmann gelockert hätten. Also, der Weihnachtsmann kann die Geschenke bringen. Das sind doch beruhigende Nachrichten, oder?


Alexander Kekulé


Das ist super, und außerdem bin ich ganz sicher, dass er nicht im Altersheim lebt.


Camillo Schumann


Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns dann am Donnerstag wieder.


Alexander Kekulé


Bis dann, tschüss, Herr Schumann.


Camillo Schumann


Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuell- podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 322 00. Kekulés Corona- Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



Samstag, 05. Dezember 2020
#129 SPEZIAL: Hörerfragen Spezial

Jan Kröger, Moderator
MDR aktuell – Das Nachrichtenradio


Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte
Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


MDR Aktuell „Kekulés Corona-Kompass“


Jan Kröger

Damit herzlich willkommen zu einem weiteren Kekulés Corona-Kompass Höhrerfragen Spezial, nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen, Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander S. Kekulé

Guten Tag.


Jan Kröger

Herr Kekulé, wenn ich mir so einen Überblick verschaffe über das, was unsere Hörerinnen und Hörer interessiert. Dann schaue ich auch immer so nach dem Top-Thema. Und in dieser Woche gab es viele Fragen zum Thema Schnelltests. Da spielt Weihnachten schon eine Rolle. Da geht es natürlich um die Frage, wie komme ich an diese Schnelltests heran, wenn ich meine Familie noch mal vor dem Fest rund um durchchecken will, sozusagen. Da sagen einige schon, es ist gar nicht so leicht. Selbst wenn man einen befreundeten Arzt hat. Haben Sie da weitere Tipps?


Alexander S. Kekulé

Das kommt, glaube ich, auf die lokale Verteilungssituation an. Natürlich ist es so, dass jetzt die ganzen Altenheime angefangen haben, im großen Stil Schnelltests einzukaufen. Auch die Betreiber von Altenheimen haben das gemacht. Da gehen natürlich große Mengen weg. Es ist so, dass auch Leute, die Veranstaltungen betreuen, inzwischen so einen Service anbieten, wenn sie eine größere Veranstaltung haben. Da können sie jemanden buchen, der dann kommt und die Tests macht. Die haben sich natürlich auch eingedeckt. 


Und ich schätze auch, dass viele Ärzte für sich und man möchte es ja nicht unterstellen, aber möglicherweise für ihren Bekanntenkreis die Tests gekauft haben. Offiziell ist es aber so, es gibt keine Lieferengpässe. Weil die Großhändler für die Tests sind ja bundesweit mehr oder minder die gleichen. Dass ist in der Hand von einigen wenigen Unternehmen. Und die Apotheken können das meines Wissens, zumindest Stand vorgestern, bei Großhändlern noch ordern. Das heißt also, wenn man wirklich will, muss man diese Schnelltests bekommen. Ich weiß, dass es einzelne, glaube ich sogar im Hörer-Bereich mal Leute gab, die gesagt haben: „Ja, bei mir in der Apotheke funktioniert es aber nicht.“ Das ist aber dann glaube ich eher ein lokales Problem. Bundesweit sind die im Moment noch nicht ausverkauft.


Jan Kröger

Antigen-Tests haben Sie schon angesprochen. Sie sollen zum Einsatz kommen in den verschiedensten Einrichtungen. Passend dazu hat uns eine Frage erreicht von Herrn V. aus Heidenheim. Er arbeitet in einem Wohnheim für psychisch kranke Menschen und schreibt: „Wir freuen uns schon ungeheuer auf die lange versprochenen Antigen-Tests. Falls die wirklich mal bei uns ankommen. Wir überlegen uns, wie wir die für Rückkehrer aus Wochenend-Beurlaubung einsetzen können, um die Mitbewohner einer Wohngruppe zu schützen. Wann und wie oft sollte man mit solchen Rückkehrern Antigen-Tests einsetzen?“

Alexander S. Kekulé

Die Antigen-Tests – das kann man ganz pauschal sagen – das ist meine persönliche Einschätzung, da glaube ich, wird es sich bei den Virologen ein bisschen unterscheiden. Aber nicht groß. Die sind einen Tag lang gültig. Also wenn Sie morgens einen Test machen, dann können Sie davon ausgehen, dass Sie an diesem Tag nicht infektiös sind. Das ist keine Garantie. Das reicht aber aus für den Alltag, wie es gerade beschrieben wurde. Bei einer PCR würde ich sagen, falls man mit der wesentlich empfindlicher PCR-Methode arbeitet, kann man sicherlich sagen, 48 Stunden, also zwei Tage lang. Dann müsste es wirklich ganz dumm gelaufen sein, wenn man doch noch positiv wird. Also das sind so die zwei Fenster, einen Tag oder zwei Tage. Und da muss man halt überlegen, in welcher Lage man ist. Also wenn man jemanden hat, der dann als nächstes im Heim arbeitet und wirklich ganz gefährdete Personen … Schwerbehinderte oder vor allem Alte dann betreut. Und so eng mit denen sein muss, dass er Infektionen nicht verhindern kann. Dann müsste man so jemand im Anti-Gentest rein theoretisch täglich testen. Und darum plädiere ich dafür, für solche Personen, die also ganz kritisch sind, weil sie andere wirklich in übelster Weise so infizieren können, dass es gesundheitliche Schäden nach sich zieht. Dass man die nicht mit Antigen testet, sondern vielleicht zweimal die Woche mit PCR testet. So ist so das Spektrum. Und das muss man dann im Einzelfall entscheiden, was das Beste ist.


Jan Kröger

Das war dieses Beispiel eben eines Wohnheims für psychisch kranke Menschen. Nun gibt es ein weiteres Beispiel, das jetzt auch diese Schnelltests massenhaft in Kitas und Schulen eingesetzt werden sollen. Was halten Sie davon?


Alexander S. Kekulé

Natürlich halte ich da sehr viel von. Das habe ich ja nicht nur in meinem Buch, sondern auch in diesem Podcast schon seit Monaten dringend gefordert. Vielen Dank, dass das jetzt kommt. Weil ich eben der Meinung bin, dass Kitas und Grundschulen in einer Situation sind, wo man eigentlich dieses Maskentragen nicht ernsthaft durchsetzen oder auch erwarten kann. Die Pädagogen sagen auch, dass es gerade dort besonders viele nachteilige Effekte hat. Das ist für mich deshalb eine Ausnahmesituation. Sonst finde ich, müssen wir einfach überall Maske tragen. Dann können wir dieses Problem in den Griff bekommen. Aber das ist eine Ausnahmesituation, wo ich sagen würde, da ist eben der Schnelltest statt der Maske sinnvoll und selbstverständlich. Klar, dass die Tests dort zur Verfügung gestellt werden, ist richtig und war dringend notwendig. Man muss sicherlich bisschen ein erklären, wie das gemacht wird. Weil nicht jeder so auf Anhieb sagt: „Das kann ich hier.“ Aber ich bin der Meinung, dass das wirklich jeder, der jetzt sage ich mal da keine Hemmungen hat, jemand anderen einen Rachenabstrich zu machen. Dass das  jeder lernen kann und das genauso gut machen kann, wie medizinisches Personal.


Jan Kröger

Das Thema Schnelltest wird uns in den nächsten Wochen noch begleiten. Das gilt auch für das nächste große Thema. Es gibt weiterhin viele Fragen zum Thema Impfung. Zum Beispiel hat uns dieser Anruf hier erreicht.


Zuhörerin

Was passiert, wenn ich zum Zeitpunkt der Impfung unerkannt oder symptomlos an Covid akut erkrankt bin? Gibt es da irgendeine Gefahr bzw. müsste das vor einer Impfung getestet, geprüft werden?


Alexander S. Kekulé

Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen das nicht. Also grundsätzlich bin ich sehr dafür, dass geimpft wird. Ich bin auch von den Daten, die bis jetzt veröffentlicht sind … das sind ja noch nicht so viele. Habe ich überhaupt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Impfstoffe wirksam und sicher sind. Aber man muss fairerweise sagen, sie wurden an bestimmten Gruppen noch nicht ausprobiert. Dazu gehören Kinder, Schwangere und stillende Mütter. Und es wurde auch in keiner Weise ausprobiert, jetzt praktisch ausprobiert: Was passiert eigentlich, wenn ich jemanden impfe, der unerkannt Covid-19 durchgemacht hat? Und das ist ja nicht so selten, weil wir wissen, dass diese Erkrankung – Schätzungen liegen da bei 50 Prozent – komplett asymptomatisch verlaufen kann, ohne Symptome. Da ist es natürlich so jemand, der das durchgemacht hat. Der hat natürlich Antikörper im Blut. Der hat Zellen im Blut, die können Viren erkennen und dann auch andere Zellen fressen und zerstören, in denen dieses Virus drinnen ist. Und dadurch ist zu erwarten, dass, wenn jetzt hier so ein Virusprotein produziert wird. Das ist also bei diesen RNA-Impfstoffen ja so. Man gibt da so ein kleines Stück Erbinformation des Virus in die Spritze und spritzt es in den Muskel. Daraufhin fangen die körpereigenen Zellen an, mit dieser Gebrauchsanweisung quasi so ein Stück von dem Spike dieses Coronavirus zu produzieren. Also diese Stachel, die da herausstehen und dem Virus auch seinen Namen gegeben haben. Und jetzt sieht das Immunsystem: Hoppla, da ist ja so ein Teil von dem Virus, das muss weg. Und wenn das Immunsystem natürlich schon vorher mal aktiviert war gegen dieses Virus durch eine unerkannte Corona-Infektion, dann wird diese Reaktion stärker ausfallen. Und wir wissen, dass RNA-Impfstoffe sowieso relativ stark reaktogen sind, wie wir sagen. Also die Reakto-Genität von so einem Impfstoff bedeutet nicht, dass es eine klassische Nebenwirkung hat. Sondern dass die Impfreaktion stark ist. Also diese Rötung an der Stelle, die so eine Entzündung ist. Manchmal tut es auch weh. Bis hin vielleicht sogar zu so einem fiebrigen Gefühl nach der Impfung. Das ist ja tatsächlich eine gewünschte Wirkung, weil das ja bedeutet, der Körper reagiert auf den Impfstoff und baut diese Abwehrkräfte auf. Wir nennen das eben daher nicht Nebenwirkungen in dem Fall. Sondern da unterscheidet man dann sauber eine Impfreaktion von einer unerwünschten Nebenwirkung. Wenn man es genau macht. Also die Schwellung am Arm ist eine Impfreaktion zunächst mal und noch keine unerwünschte Nebenwirkung. Klar, wenn sie zu stark wird, ist es natürlich dann auch unerwünscht. Und wir wissen, die RNA-Impfstoffe sind gut. Die brauchen zum Beispiel keinen zusätzlichen Wirkverstärker, diese sogenannten Adjuvanzien, die wir früher mal hatten, zum Beispiel bei der Schweinegrippe-Impfung. Die werden hier nicht gebraucht, weil die sowieso sehr stark reaktogen sind. Und jetzt ist natürlich die Frage, was passiert bei jemand, wenn man so einen reaktogenen Impfstoff gibt und der hat schon eine Immunantwort dagegen? Das ist noch nicht ausprobiert ausprobiert worden. Das muss man offen sagen. Das wird man jetzt in der sogenannten … In der Vigilanz-Phase, das heißt dann Pharmakovigilanz oder auch Post-Marketing-Phase. Da wird dann eben analysiert, wie oft sowas dann auftritt. Reagieren die wirklich stärker? Wie ist es zum Beispiel bei Kindern, die sowieso stärker reaktogen reagieren oder reagieren? Das muss man offen sagen. Das wird man dann beobachten, wenn angefangen wird zu impfen.


an Kröger

Dann haben uns Fragen erreicht über den Zusammenhang oder ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der Grippeschutzimpfung und der Corona-Impfung. Ich mache es mal konkret: „Sehr geehrter Herr Kekulé, ich bin 63 Jahre alt und wurde am 30. November gegen Influenza geimpft. Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit habe ich die Chance, eventuell in Kürze priorisiert gegen Covid-19 geimpft zu werden. Gibt es Erkenntnisse zum zeitlichen Abstand?“


Alexander S. Kekulé

Nein, da gibt es keine Erkenntnisse, weil die Covid-19-Impfung ja komplett neu ist. Und man hat bei den Phase-drei-Studien, die gelaufen sind, nicht so eine Kombination von Impfungen mit ausprobiert. Da ist eigentlich nur ganz simpel gemacht worden: Die Menschen wurden geimpft. Vier Wochen später noch mal. Und dann hat man bei denen, die geimpft wurden, und einer anderen Gruppe, die ein Placebo bekommen hat, das unwirksam ist… hat man verglichen, wie häufig bekommen die Symptome. Also man hat nicht einmal mit der RNA-Testung nachgeschaut, sondern einfach nur: Bekommen die Symptome, oder nicht. Alles andere zum Beispiel Kombination mit der Influenza-Impfung und andere Einflüsse, die es ja auch noch geben kann. Das wird jetzt im Nachgang noch untersucht. Deshalb sind es ja vorläufige Zulassungen oder auch Notfallzulassungen. Wo eben Auflagen bestehen, noch bestimmte Dinge weiter zu beobachten und zu analysieren. Da wird das mit diesen weiteren Impfungen, ob es jetzt Influenza oder was anderes ist, selbstverständlich mit dabei sein. Aber jetzt mal so praktisch gesehen ist es so. Der Influenza-Impfstoff ist einer der sichersten, den wir überhaupt haben. Deshalb würde ich sagen, sofern man es jetzt nicht genau am gleichen Tag macht, davon würde ich abraten. Es ist es kein Thema, die Influenza-Impfung und die Covid-19-Impfung sage ich mal in relativ nahem Zusammenhang zu bringen. Mein Vorschlag wäre … weil wir wissen, dass die Influenza-Impfung weniger reaktogen ist. Der Impfstoff ist weniger reaktogen als der Covid-19-Impfstoff. Erst Influenza zu machen, dann vielleicht, wenn man kann, fünf Tage oder eine Woche zu warten und dann Covid-19. Das basiert jetzt überhaupt nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die gibt es, wie gesagt, nicht. Aber ich sag mal so als jemand, der viele Jahre so Impfungen gemacht hat. Das wäre es so meine Daumenpeilung, mein Bauchgefühl, dass man es in dieser Richtung machen sollte.


 Jan Kröger

Da ist also sozusagen die Querverbindung zur Grippe. Eine weitere Querverbindung, jedenfalls aus der eigenen medizinischen Geschichte, hat diese Hörerin. Hier ihre Frage:


Zuhörerin

Ich habe vor 20 Jahren Brustkrebs gehabt und habe demzufolge auch eine Chemotherapie durchgeführt. Da ich weiß, dass die Chemotherapie das Blutbild angreift, besonders die Gedächtniszellen, die Killerzellen. Frage ich mich, ob ich jetzt, wenn ich eine Impfung bekomme, dadurch in irgendeiner Weise stärker gefährdet bin zu erkranken?


Alexander S. Kekulé

Ja, das könnte man in zwei Richtungen die Frage stellen. Ist es vielleicht so, dass die Impfung weniger gut wirkt bei jemandem, der eine Chemotherapie hinter sich hat? Und die andere wäre: Ist zu erwarten, dass es mehr Nebenwirkungen geben könnte? 


Für beides haben wir überhaupt keine Hinweise. Also es ist ja ganz viele Menschen, die Chemotherapie schon mal durchgemacht haben in ihrem Leben und die dann eigentlich glücklicherweise quasi geheilt sind. Die Medizin ist ja manchmal auch erfolgreich. Und wir haben bei diesen Personen jetzt bei keiner Impfung festgestellt, dass die dann grundsätzlich weniger gut schützt oder weniger wirkt, wenn ich mal so sagen darf. Und das Gleiche gilt für die Nebenwirkungen. Da ist jetzt also nicht bekannt, dass eine vor langer Zeit durchgemachte Chemotherapie irgendwie einen Einfluss darauf hätte, ob es mehr Nebenwirkungen gibt oder nicht. 


Was man natürlich nicht empfehlen würde, jemand, der gerade unter Chemotherapie steht, jetzt einen stark reaktogenen Impfstoff zu geben. Da würde man sicher das mit dem Arzt absprechen. Und dann auch unter ehr strenger ärztlicher Aufsicht machen, wenn es dafür eine Indikation gibt. Aber zurückliegende Chemotherapien sind überhaupt keine Kontraindikationen.


Jan Kröger

Dann hat er uns Frau G. aus Leipzig angerufen. Sie hat eine Frage, die angesichts steigender Todesfälle sicherlich für viele Menschen von Bedeutung ist.


Hörerin

Eine Freundin hat berichtet, dass die Schwiegermutter sich im Krankenhaus mit Corona infiziert habe und gestorben sei. Und jetzt soll die Beerdigung außerhalb der Stadt stattfinden. Also nicht auf dem städtischen Friedhof. Und die fragt jetzt, ob Corona-Kranke Verstorbene noch ansteckend sind oder ob es möglich wäre, die Schwiegermutter auch noch mal zu berühren. Und ob das überhaupt notwendig ist, Corona-Verstorbene außerhalb von normalen Friedhöfen zu bestatten.


Alexander S. Kekulé

Also, das ist natürlich so, wir in Deutschland haben bei diesen Vorschriften einen Flickenteppich. Und da kann letztlich die Gemeinde das meines Wissens entscheiden. Möglicherweise sogar der Friedhof-Betreiber selbst. Das wäre dann unter Umständen die Kirche. Rein virologisch ist es so: Ja, eine Leiche ist natürlich, wenn sie jetzt an Covid-19 verstorben ist, eine Zeitlang potenziell ansteckend. Aber diese Viren... wenn der Organismus tot ist, in dem die Viren drinnen sind. Dann sterben die Viren auch. Also, die bleiben nicht beliebig lange ansteckend. Und es ist natürlich auch die Frage, wie geht man mit einem Verstorbenen dann um? Selbstverständlich kann man auch jemanden so in den Sarg bringen, dass es hier nicht zur Ansteckung kommt, weder des Personals noch zu irgendwelchen Personen bei der Beerdigung.


Und wenn derjenige dann unter der Erde ist, dann ist sowieso eigentlich das Thema erledigt, weil die Zeit, die dann das, was dann danach eintritt in den nächsten Tagen und Wochen auch dazu führt, dass das Virus inaktiviert wird. Daher gibt es Prozeduren, das zu machen. Ich sehe auch spontan keinen Unterschied, warum jetzt der Friedhof im Ort anders sein sollte als der außerhalb des Ortes. Das erinnert mich ein bisschen an die Pest, wo man ja bekanntlich die Pesttoten auch immer außerhalb der Stadtmauern verbrannt hat. Das halte ich jetzt spontan für ein bisschen übertrieben. Ich kann aber nicht die ganz konkreten Gründe nachvollziehen. Es kann natürlich sein, dass das irgendetwas damit zu tun hat, dass vielleicht in dem einen Bestattungsinstitut, was für die Stadt zuständig ist, bestimmte Möglichkeiten nicht gegeben sind, die in einem anderen vorhanden sind. Weil natürlich so einfach, so völlig unbedarft, darf man eine Leiche nicht unter die Erde bringen, wenn sie infektiös ist. Berühren? Aus meiner Sicht ja. Man muss halt nur wissen, dass es dann eben so ist, dass man möglicherweise die Viren hinterher an der Hand hat. Das heißt, es wäre zu empfehlen, sich dann nicht ins Gesicht zu fassen oder jemand anderen die Hand zu geben als nächstes. Sondern man sollte, wenn man jetzt einen Corona-Patienten, egal, ob er lebt oder verstorben ist, berührt hat, sich tatsächlich dann konsequent, bevor man irgendetwas anderes anfasst, die Hände waschen. Und zwar in dem Fall doch mal gründlich. Und wenn keine Seife und Wasser zur Verfügung steht. Das wäre das einer der seltenen Fälle, wo Desinfektionsmittel sinnvoll wären.

Jan Kröger

Frau W. hat uns geschrieben. Sie fragt: „Haben Sie weitere Infos zur Ansteckung im Flugzeug?“ Sie bezieht sich auf einen konkreten Fall bei einem Flug von Dubai nach Neuseeland. Da hat ein Schweizer Passagier sieben andere infiziert. Bevor er an Bord gegangen war, hatte er einen negativen Test vorgelegt. Frau Wichmann fragt sich nun, ob der negative Tests ein Schnelltest oder die PCR war? Und welche Masken die Leute trugen. Sicherlich keine FFP2-Masken, oder?


Alexander S. Kekulé

Das ist tatsächlich das Problem im Flugzeug. Man sitzt da ja doch ziemlich lange zusammen. Das ist ja eine ganz lange Strecke, um die es hier ging. Und da muss man jetzt sagen, wenn man jetzt irgendwo in Dubai so einen Schnelltest sich besorgt und dann einen Zettel vorlegt. Dann ist natürlich schon die Frage, ist es jetzt nach den Kriterien des Robert-Koch-Instituts gemacht worden? In Deutschland heißt es immer: diese Tests, die da vorgelegt werden. Die Testergebnisse, die müssen nach den Maßgaben des RKI gemacht werden. Und selbst wenn man das ordentlich macht, muss man einfach dazu sagen. Das ist ja ganz klar. So ein Test ist kein echter, sicherer Test, wie vielleicht der Lackmustest, den man immer noch aus der Schule kennt. Wenn es da rot wird, dann ist es einfach eine Säure gewesen und sonst eine Base. So klar ist das hier nicht. Wir haben halt einfach tatsächlich falsch-negative. Darum würde ich mich niemals im Flugzeug darauf verlassen, dass die anderen getestet sind und nichts passieren kann. Sondern bei so einer Langstrecke, wenn es unbedingt sein muss. Besser ist es ja, das zurzeit zu vermeiden. Ich würde definitiv mindestens eine FFP2-Maske aufhaben und zwar durchgehend. 


Ich kann vielleicht an der Stelle noch sagen, es gibt leider das Problem. Ich finde es ziemlich unsinnig, das verboten wurde, dass Masken mit Ausatem-Ventil im Flugzeug genommen werden. Meines Wissens nach hat American Airlines damit angefangen und inzwischen haben das andere übernommen. Auch die Deutsche Lufthansa. Es gibt wenige Regelungen, die ähnlich unsinnig sind wie diese. Weil ja natürlich eine FFP2 oder FFP3-Maske mit Ausatem-Ventil einen ähnlichen Schutz bietet wie ein normaler Mund-Nasen-Schutz. Weil bei einem Mund-Nasen-Schutz oder sogar einer selbstgebastelten Maske geht natürlich häufig sehr viel Luft an der Seite vorbei, wenn nicht sogar zum Teil alles. Wenn ich mir so die Konstruktionen so mancher Nähkräfte anschaue, Hobbynäher anschaue. Das darf man aufsetzen. Und ganz konkret, wenn dann die Getränke ausgeteilt werden, dann dürfen Sie sowieso die Maske absetzten zum Trinken. 


Und kürzlich saß ich mal im Flugzeug, weil ich unbedingt fliegen musste. Da haben dann zwei Herren vor mir kurz nach dem Start sofort was zu trinken bekommen und haben dann wirklich bis ganz kurz vor der Landung sich durchgehend unterhalten mit abgenommener Maske, weil sie ja ein Glas Wasser vor sich stehen hatten. Aber wenn Sie eine FFP3-Maske aufhaben, dann müssen Sie die absetzen. Sie werden vom Personal genötigt, die abzusetzen, wenn die ein Aus-Atemventil hat. Also das ist verbesserungsfähig. Aber ich würde trotzdem dringend dazu raten. Wenn Sie die Möglichkeit haben, setzen Sie so eine Maske auf. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder eine ohne Ventil. Wenn man damit gut klarkommt. Oder was auch akzeptiert ist, dass man tatsächlich eine mit Ventil aufsetzt, Das ist bei so einer Langstrecke angenehmer, weil man dann weniger Atem-Widerstand hat. Aber dafür über diese Maske drüber, so lächerlich das klingt noch mal den OP-Mundschutz. Den darf man beliebig locker drüber machen. Ich glaube, man dürfte theoretisch wahrscheinlich auch einen Nylonstrumpf darüber ziehen, sobald da irgendetwas drüber ist. Da ist das dann wieder in Ordnung. Das wäre die Methode, so lange eine Langstrecke durchzustehen. Und dann wirklich nur ganz kurz die Maske absetzen, zum Wasser trinken und wieder aufsetzen. Dann sind Sie im Flugzeug sicher.


Jan Kröger

In dem Fall mit dem Flugzeug. Da ging es um einen Schweizer Passagier. Jetzt schauen wir zum Abschluss noch einmal auf die Schweiz als Ganzes. Könnte man sagen: Peter M. hat unter anderem die Bild-Zeitung gelesen in dieser Woche mit der Überschrift „Das Corona-Wunder von Bern“. Er beschreibt es folgendermaßen: „Anders als in Deutschland halbieren sich seit den letzten nationalen Anpassungen der Maßnahmen die Fallzahlen in der Schweiz alle zwei Wochen. In Deutschland stagnieren sie. Einigkeit über den Kurs gibt es in der Schweiz auch nicht. Und wie in Deutschland gibt es ein föderales Durcheinander. Disziplinierter und obrigkeitsgläubiger dürften die freiheitsliebenden Schweizer auch kaum sein. Was also macht den Unterschied? Können wir daraus schon etwas lernen?


Alexander S. Kekulé

Das wüsste ich auch gerne. Man darf ja auch mal bei einer Frage sagen, dass man die Antwort nicht genau weiß. Meine Hypothese ist, wir wissen es nicht wirklich. Meine Hypothese ist, dass das wirklich sozusagen im Mikrokosmos stattfindet. Was passiert ganz konkret zwischen den Menschen? Und da scheint es so zu sein, dass die Schweizer eher einen Weg gefunden haben, damit umzugehen. Man muss einfach im Alltag beachten, wo man sich infizieren kann. Das ist ja ganz einfach im geschlossenen Raum. Wenn ich jemand gegenüber bin, habe ich mindestens einen OP-Mundschutz oder eine ähnliche einfache Maske auf. Wenn ich in die Verlegenheit komme, das nicht haben zu können und trotzdem in den Raum muss, dann lasse ich mich testen oder versuche, zumindest die Zeit zu verkürzen. Und wenn die Bevölkerung das verstanden hat und sich im Kleinen daran hält, dann kann man das nicht messen. Das sehen sie nicht auf den Fernsehbildern der Fußgängerzone, die da immer gezeigt werden, was die zu Hause machen. Und da ist mein Verdacht einfach, dass irgendwie in der Schweiz bei der Bevölkerung mehrheitlich der Groschen einfach gefallen ist und die sich halbwegs an diese Regeln halten. Anders kann es eigentlich nicht sein. Das heißt aber umgekehrt …  ist es ja auch eigentlich der Fingerzeig in die Richtung, wie wir mit dieser Krankheit umgehen können. Das heißt, wir müssen eigentlich so ein paar einfache Regeln in unserem Alltag beherrschen und drauf haben. So wie wir seit der Kindheit die Regel haben, wenn du auf der Toilette warst, wäscht du dir als nächstes mal die Hände. Da sind wir auch irgendwann mal darauf trainiert worden. Und ich glaube, wenn wir das so machen, dann kommen wir da ganz gut durch. Das ist mein Verdacht, warum das in der Schweiz gerade ganz gut läuft. Weil es ist ja in der Tat so. Das wissen vielleicht nicht alle. Es sind ja tatsächlich die Kneipen noch offen in der Schweiz. Sie können noch in die Gaststätte gehen. Ich glaube Discos nicht. Aber Gaststätten und so sind noch offen. Und das ist ja in der Tat erstaunlich, dass die in dieser Situation zumindest keine steigenden Fallzahlen haben.


Jan Kröger

Das war Ausgabe 129 Kekulés Corona-Kompass Spezial nur mit Hörerfragen. Vielen Dank, Herr Kekulé. In der nächsten Ausgabe am Dienstag wird dann mein Kollege Carmelo Schumann wieder Ihr Gesprächspartner sein. Mich hat es sehr gefreut, in dieser Woche mit Ihnen zu sprechen. Noch mal Danke und bis bald.


Alexander S. Kekulé

Gerne. Vielen Dank auch an Sie, Herr Kröger. 


Jan Kröger

Alle Spezial-Folgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass gibt es zum Nachhören auf MDRAktuell.DE, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und die kompletten Sendungen zum Nachlesen finden Sie auf MDRAktuell.De

 


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 3. Dezember 2020 #128.

Jan Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Links zu Studien: 1. Chinesische Wissenschaftler sehen den

Ursprung des SARS-CoV-2 in Indien. Von dieser Studie ist nur noch das einleitende Abstract einsehbar: https://europepmc.org/article/ppr/ppr241 540

2. Zwei Studien über die Wirkung von Mundwasser gegen Coronaviren im Rachenraum: eine aus Cardiff (https://academic.oup.com/function/articl e/1/1/zqaa002/5836301) und aus Bochum (https://academic.oup.com/jid/article/222 /8/1289/5878067).


Jan Kröger

Donnerstag, 3. Dezember 2020. Die Ausgangsbeschränkungen in Deutschland werden bis zum 10. Januar verlängert. Darauf haben sich die Kanzlerin und die Länderchefs gestern geeinigt. Angela Merkel sagt zwar, im Grundsatz bleibt der Zustand, wie er jetzt ist, doch einzelne Ministerpräsidenten denken zunehmend über Verschärfungen nach. Vor ziemlich genau einem Jahr wurde bei einem älteren Mann in Wuhan erstmals das festgestellt, was wir inzwischen COVID-19-Symptome nennen. Rund um diesen Jahrestag bemüht sich China offenbar wieder verstärkt darum, den Ursprung der Pandemie trotzdem woanders zu suchen. Das wollen wir heute noch einmal thematisieren. Und wir schauen auf die Frage, wie sicher es denn tatsächlich ist, in diesem Winter Skifahren zu gehen.

Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator im

Nachrichtenradio MDR Aktuell. In dieser Woche vertrete ich Camilo Schumann, den Sie sonst an dieser Stelle hören. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Kröger.

Jan Kröger

Herr Kekulé, gestern Abend hat die Politik, also die Bundeskanzlerin und die Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz mitgeteilt, die gegenwärtigen Ausgangsbeschränkungen werden bis zum 10. Januar verlängert. Ich muss zugeben, mich als politischen Journalisten hat es ein bisschen überrascht. Der Zeitpunkt der Ankündigung, ich habe auch noch mal geschaut in der Terminübersicht, da war vorgesehen, zum Beispiel über Betreuung von Grundschülern zu sprechen bei dem Treffen gestern, über Bürokratieabbau, auch über Corona-Pandemie. Aber waren Sie überrascht, dass gestern schon diese Einigung kommen ist?

01:48

Alexander Kekulé

Ja, das war ich tatsächlich. Also vorher war ich überrascht, dass man für Weihnachten so bereits einen Monat vorher kommt, quasi gesagt hat, dass es da Lockerungen geben soll. Das war ja relativ sportlich. Und jetzt geht man also noch weit über Weihnachten hinaus mit einer Prognose, die eigentlich in die andere Richtung schlägt, nämlich, dass man diese Maßnahmen weiter aufrechterhalten will.

Das Problem ist: letztlich jede Maßnahme, die man ergreift, ist antipandemisch. Also zum Beispiel, dass man sagt, wir schließen jetzt mal die Gaststätten. Das hat in dem Moment, wo man es macht, einen gewissen Effekt. Dieser Effekt ist immer am stärksten in dem Moment, wo es eingeführt wird, weil da sich die Leute noch am konsequentesten daran halten. Wir sehen ja zum Teil sogar die Effekte schon bevor es beschlossene Sache von der Politik ist. Und dann passiert Folgendes: Nach einer Weile

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ist es so, dass diese Maßnahme ihre Wirkung gezeigt hat. Dann ist, wenn man so will, dieser Böller verpufft, wenn man das so nennen darf, aber das war es dann auch. Also da wird man durch weiteres Aufrechterhalten genau der gleichen Maßnahme keine stärkere Bremsung hinkriegen, sondern die Bremsung bleibt dann, wenn es gut läuft, auf der gleichen Intensität. Wenn es schlecht läuft, ist es so – was wir in der Praxis häufig sehen – dass die Menschen sich dann nach und nach immer weniger daran halten. Der Mensch ist halt einfach so. Im ersten Moment gibt er sich Mühe und nach einem Monat oder so ist er es dann auch irgendwie leid. Und viele sind dann nicht mehr ganz so strikt bei den Maßnahmen. Sodass ich nicht verstanden habe, ganz ehrlich gesagt, für mich hätte es jetzt eigentlich zwei Interpretationen gegeben. Entweder hätte man gesagt okay, wir sind auf dem richtigen Weg. Dann hätte ich mal alles so laufen lassen, vielleicht bis kurz nach Silvester. Oder man hätte gesagt, wir müssen dringend nachjustieren, was ja einige Ministerpräsidenten wohl auch wollten. Dann muss man aber jetzt schärfere Maßnahmen ergreifen, noch nicht bis 11. Januar warten.

03:39

Jan Kröger

Das deutet sich schon so ein bisschen an, dass es wieder losgeht in diese Spaltung, je nach Infektionsgeschehen in dem jeweiligen Bundesland. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg Vorpommern, Manuela Schwesig, sagt zum Beispiel, sie könne sich auch vorstellen, bei ihr schon wieder vor dem 10. Januar zu lockern. Und dann haben wir zum Beispiel Michael Kretschmer in Sachsen, der wiederum mit einer Verschärfung zumindest ja, ich will nicht sagen, droht, aber sie ja zumindest für möglich erachtet. Schauen wir mal kurz rein in das, was er heute gesagt hat:

„Wir denken in der Tat darüber nach, wenn wir in 10 bis 14 Tagen keine Verbesserung sehen, was wir sehr, sehr stark erhoffen, und wenn ich mich draußen auch umschaue, merkt man schon, dass sehr viele Menschen sich sehr solidarisch verhalten. Die Straßen sind wesentlich leerer als noch vor einigen Tagen.

Aber wir müssen vorausdenken, was man tun kann. Und da geht es dann um das Thema Kindergarten und Schule. Da geht es dann um die Frage, ob die Geschäfte im Januar mal für eine gewisse Zeit lang zu bleiben sollen.“

Soweit Michael Kretschmer heute. Das Ganze ist natürlich erst einmal nur eine Möglichkeit. Aber, ich kann zumindest persönlich für den Bereich Kindergarten sprechen. Das ist psychologisch jetzt nicht so motivierend, wenn man schon weiß, man tut im Moment eigentlich alles, was gerade möglich ist als Privatperson.

04:58

Alexander Kekulé

Ja, also, da kann man wirklich nur sagen, die Politik scheint da wirklich extrem im Nebel zu stochern; und nicht nur nicht nur weit entfernt von dem Konzept zu sein, sondern auch noch weit entfernt von irgendeiner Synergie oder irgendeinem Konsens zwischen den Bundesländern. Also beim Thema Kindergarten hat man ja lange gesagt Kindergarten und Grundschule fassen wir erst mal nicht an, weil wir den Blick darauf haben, dass es bisher zumindest von dort keine massiven Ausbreitungen gab. Das ist auch noch wissenschaftlich Stand der Dinge. Da verstehe ich nicht, wieso man jetzt dann öffentlich darüber nachdenkt, das zu ändern. Bei anderen Themen wie zum Beispiel Geschäftsschließungen ist es so, dass ja überhaupt nicht erwiesen ist, dass die Geschäftsschließung, sofern man natürlich die Geschäfte unter den Bedingungen aufhat, wie es jetzt ist, also mit Maske mit maximaler Personenzahl und so weiter, dass dann eine Schließung einen weiteren Vorteil bringt. Und was der Herr Ministerpräsident hier gerade geäußert hat, dass er sagt: Ich beobachte auf der Straße weniger Menschen. Also darauf kommt es nun überhaupt nicht an, ob die Menschen auf der Straße sind. Klar, die Fernsehkameras baut man immer dort auf und sagt dann uh, in der Fußgängerzone waren aber wieder viele Leute unterwegs. Aber erstens steckt sich da keiner an. Und zweitens, wenn man das Ganze dann mal ordentlich aus der Vogelperspektive analysieren würde, würde man ganz sicher merken – ich kenne es

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in allen Fußgängerzonen, wo ich unterwegs bin – dass die Menschen in der Fußgängerzone natürlich halbwegs Abstand einhalten. Die gehen da nicht Schulter an Schulter mit Fremden oder rempeln sich ständig an. Das heißt also, das geht völlig am Thema vorbei. Also die eigentlichen Infektionen finden statt hauptsächlich zu Hause. Weil wir, dadurch, dass wir dieses fein verteilte Infektionsgeschehen haben, so viele Einzelfälle in der Republik, die sich irgendwo das Virus geholt haben, geben die das dann gerne mal in der Familie weiter. Weil dann eben einer aus der Familie positiv wird und zu Hause, selbst wenn die Leute in Quarantäne sind, sind sie ja dann zu Hause. Wenn sie dann positiv werden, haben sie häufig schon ein Familienmitglied angesteckt. Also diese Situation, dass wir zu Hause Übertragungen haben, ist ein Problem. Dass wir auch an Arbeitsplätzen keine einheitlichen Regelungen haben. Da gibt es nur Empfehlungen. Und bis heute immer noch – jetzt haben wir Dezember – keine bundeseinheitlichen Regelungen. Und das Riesenproblem, was nach wie vor offen ist, was natürlich jetzt den Arzt am meisten bedrückt, ist, dass wir immer noch nicht die Altersheime geschützt haben und da weiterhin Ausbrüche haben. Und auch diese ganze Situation, dass die an die Schnelltests nur rankommen, wenn Sie irgendwelche Konzepte vorlegen, die dann wiederum mit dem lokalen Gesundheitsamt abgesprochen werden müssen. Und jedes Gesundheitsamt hat eine andere Vorstellung. Ich habe da gerade gestern Gelegenheit gehabt, mit einem Betreiber von Altenheimen lange zu sprechen. Die sind also ziemlich verzweifelt. Weil in jeder Region, wo die ein Altenheim haben, hat das Gesundheitsamt andere Vorstellungen. Und da werden sie einfach wahnsinnig. Und aber nur, wenn sie mit denen sich geeinigt haben, kriegen sie die Schnelltests. Und dann weiß keiner, wer die Schnelltests machen soll, weil dafür gibt es gar keine Konzepte. Und dass es in diesen Häusern kein Personal gibt, ist ja bekannt. Also ich habe das Gefühl, da sind so ganz viele Baustellen, die man eigentlich mit einer präzisen, intelligenten Lösung angehen müsste. Und weil man keine hat oder sich auf keine einigen kann, wird dann so mit dem großen Hammer

über alles drüber gegangen. Nach dem Motto: Irgendwann muss das Virus ja mal weggehen.

08:21

Jan Kröger

Wenn wir mal auf diesen Zeitraum bis zum 10. Januar schauen, dann fällt natürlich auf, dass da die Weihnachtszeit drin liegt, in der es ja nun immer noch andere Bedingungen geben soll als im restlichen Zeitraum. Ist da schon das letzte Wort gesprochen, was Weihnachten angeht, oder ist da abzusehen, dass da auch noch was kommt?

08:39

Alexander Kekulé

Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil, wenn jemand völlig erratisch vorgeht, wie dass die Politik hier macht, dann ist es für einen Wissenschaftler wahnsinnig schwer vorherzusagen, was sie als Nächstes tun wird. Wenn ich raten müsste, aber das wäre dann wirklich raten, dann wollte man eigentlich jetzt einen Befreiungsschlag machen, nach dem Motto: Jetzt erst mal Ruhe in der Kiste. Und wir wollen aus politischen und psychologischen Gründen nicht jede Woche erneut die Diskussion vor Weihnachten. Und man wird dann an Weihnachten keine Vorschrift erlassen in dem Sinn, sondern eine dringende Empfehlung. Da wird es dann so eine Art Weihnachtsansprache geben, nach dem Motto, wir hoffen jetzt doch sehr, dass ihr euch alle daran haltet. Ihr dürft zwar mehr, aber wir empfehlen euch das und das.

09:20

Jan Kröger

Der Hintergrund, oder was zur Begründung dieses Beschlusses gestern herangezogen wurde, das sind ja auch wiederum die jüngsten Zahlen in den Berichten des Robert Koch- Instituts. Schauen wir mal für heute drauf: Rund 22.000 gemeldete neue Fälle, das ist fast genauso viel wieder wie am Donnerstag vor einer Woche. Die Todeszahlen, das ist im Moment das, worauf sich die Politik besonders richtet, da hat es gestern einen Höchststand gegeben mit 487 Todesfällen, heute mit 479 kaum weniger. Ist es gerade richtig, auf diese Todeszahlen zu schauen und daran

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festzumachen, welche Schritte man unternimmt?

Alexander Kekulé

Nein. Die die Sterblichkeit ist nur so eine Art Langzeitparameter. Das ist quasi ein Qualitätsindikator für die Gesamtpolitik. Wenn ein Land insgesamt wenig Tote hat, dann würde ich schon mal sagen – da muss man auch über eine Bilanz von Monaten ziehen oder vielleicht über die ganze Pandemie – dann hat sie es insgesamt gut gemacht. Und da muss ich leider daran erinnern, dass wir in Deutschland jetzt im weltweiten Ranking mit den Toten pro Einwohner nicht so gut dastehen. Auf der Johns Hopkins University kann man sich das jeden Tag aktuell anschauen, auf welchem Platz wird er gerade sind. Also wir sind immer auf der ersten Seite, die man aufruft. Ja, das kann man dann runterblättern zu den Ländern, die richtig gut sind. Und wir kommen immer so unter den ersten Positionen vor, weil wir eben doch auch, wie alle in Europa, da sind wir keine Ausnahme, eine hohe Sterblichkeit letztlich haben, viel höher als die Länder, die da die Best Cases sind und die das richtig gut gemacht haben.

Nein, das, wo man drauf schauen muss, ist tatsächlich die aktuellen Neuinfektionen. Weil, das ist ja das Einzige, was einen Hinweis darauf gibt, was die aktuellen Maßnahmen bringen. Und dafür interessieren sich ja alle: Müssen jetzt diese Maßnahmen sein oder nicht? Das Robert Koch-Institut hat ja dieses sogenannte Nowcasting, über das wir am Dienstag gesprochen haben. Und da sieht es eigentlich schon so aus, als würde die Kurve wieder nach unten gehen. Aber das ist ja eine statistische Vorhersagemethode, weil man ja nicht weiß, wie es wirklich jetzt ist, weil die Daten immer zwei Wochen alt sind. Offensichtlich vertraut die Politik, sonst setzte gestern diese Entscheidung nicht getroffen, dem Nowcasting des Robert Koch-Instituts nicht. Also, das ist etwas, was mich jetzt einfach wissenschaftlich ein bisschen wundert, weil da macht jetzt die obere Bundesbehörde so eine Methode, wo sie auch sehr, sehr groß angekündigt haben und genau erklärt haben, warum das jetzt toll und wichtig ist, und die Politik sagt nö, dass das bei euch jetzt langsam wieder runter geht,

reicht uns nicht. Wir verlängern jetzt. Aus meiner Sicht könnte man, wenn man jetzt sagt, okay, das Nowcasting ist also nicht zuverlässig. Wir glauben, dass das Plateau immer noch Plateau ist und wir haben keine Verbesserung bei den Neuinfektionen. Dann müsste man ja eigentlich, wenn man jetzt wissenschaftlich an die Sache rangeht, müsste man sagen okay, dann haben also unsere Maßnahmen so in dieser Weise eigentlich nichts gebracht oder nicht das Gewünschte. Da müsste man eigentlich die Maßnahmen dann ändern, weil etwas, was nicht wirkt – also so vor dem Patienten stehe, ich habe mit dem Antibiotikum gegeben und sehe das Fieber geht nicht runter, dann gebe ich ja nicht das Gleiche Antibiotikum noch einmal bis zum 11. Januar weiter, sondern dann sage ich, okay, mal gucken, ob etwas anderes besser wirkt. Aber diesen Schritt geht man auch nicht. Also man sagt, es hat nicht richtig gewirkt. Aber es war trotzdem das Richtige. Die Dosis wird nicht erhöht. Man gibt die gleiche Therapie weiter. Ich sehe sozusagen, wenn ich mal so sagen darf, das therapeutische Konzept nicht. (schmunzelt) Also bei der Visite, wenn ich da jetzt als Oberarzt oder Chefarzt dabei wäre, würde ich meinen Assistenzarzt mal fragen wir, was er eigentlich genau vorhat bei der ganzen Sache.

12:51

Jan Kröger

Ich würde gern eigentlich noch ein zweites Argument für das, was sie gerade vorgebracht haben, einbringen hier in die Diskussion. Der Blick geht ja einerseits auf die Todeszahlen, andererseits aber auch auf die Belegung der Intensivstationen. Die ist weiterhin auf einem Höchststand, keine Frage. Allerdings hat sich gestern auch Uwe Janssens geäußert. Das ist der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin und er hat sich vorsichtig optimistisch geäußert:

„Wir hoffen sehr stark, und wir sehen es in den letzten Tagen auch, dass wir in eine sehr hohe Stabilisierungsphase auf deutschen Intensivstationen eintreten. Also, die Zuwächse sind nicht mehr in dem Umfang da. Das heißt, wir kommen auf ein Plateau und das bedeutet

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irgendwann mal in 14, in 20 Tagen, wenn das so bleiben würde, dass wir dann einen leichten Rückgang der Belastung zu verzeichnen haben.“

13:41

Alexander Kekulé

Ja, das ist genau der Punkt. Also, die die wissenschaftlichen Daten, das ist jetzt sozusagen die Belegung der Intensivstation, das, was das Robert Koch-Institut sagt, klar sind die nie hundertprozentig. Also kein Wissenschaftler würde sagen, ich bin mir absolut sicher, und das muss jetzt genau so sein. Aber das sieht alles so aus, als würden wir jetzt so von der Gesamtkurve irgendwie die Biege machen, halt nicht sehr schnell. Das biegt sich sozusagen nach unten, aber nicht so schnell. Und jetzt muss man sagen entweder, das reicht uns. Dann dauert es jetzt noch Monate, bis wir in dem Bereich kommen, wo die Gesundheitsämter hinterherkommen. Wir sind aber in dem Bereich, wo die Intensivstationen nicht überlastet sind. Oder man sagt, es reicht nicht, dann müsste man sofort verschärfen. Aber da scheinen so viele Interessen zusammenzukommen in unserem föderalen System, dass man da keine einheitliche Linie hat. Vorhin haben wir den Ministerpräsidenten von Sachsen im O-Ton gehabt. Ich kann mich gut daran erinnern, wo Sachsen eines der Bundesländer war, die überhaupt nicht eingesehen haben, dass man hier irgendwas tun soll. Jetzt sind sie scheinbar die Chef-Bremser geworden oder gehören zumindest in das Feld der Chef-Bremser. Deshalb ist ja mein dringendes Plädoyer schon lange, dass man eine einheitliche, kontinuierliche Linie festlegt, die jetzt bundesweit gilt. Zum Beispiel, dass wirklich immer wenn zwei Personen oder mehr, die nicht zusammenwohnen, in einem geschlossenen Raum zusammen sind, dann hat man einfach eine Maske auf, Punkt. Dass diese Schnelltests für bestimmte Verfahren zur Verfügung stehen, und so weiter. Und dass man mit dieser einheitlichen Linie das einfach durchzieht und nicht jede Woche sich trifft, um wieder auseinander zu gehen, dass das eine Bundesland das so macht und das andere so.

15:18

Jan Kröger

Sprich auch Maßnahmen, die dann aber auch noch so sind, dass Länder wie Mecklenburg- Vorpommern oder Schleswig-Holstein, wo das Infektionsgeschehen jetzt schon wieder klar am Absinken ist, das immer noch mittragen können.

Alexander Kekulé

Ja, das ist ja dieses Smart-Konzept, was ich jetzt aktuell sogar in dem Buch besprochen habe und das erste Mal in einem Rohentwurf im März schon vorgestellt habe. Das sieht natürlich schon vor, dass auch in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern, die dann ein niedriges Infektionsgeschehen haben, die Maske natürlich trotzdem Vorschrift wäre. Weil ich einfach der Meinung bin, dass das etwas ist, was man der Gesamtbevölkerung zumuten kann. Und es hat ja dann was Präventives: Wir verhindern ja den nächsten Ausbruch in Meck-Pomm damit, weil, die Leute sozusagen schonmal in vorauseilendem Gehorsam sich an so ein paar Regeln halten, die ich für absolut zumutbar halte. Das ist ja, da haben wir schon oft darüber gesprochen, das ist ja ein kleines Paket. Das ist so ähnlich wie eine Impfung (...) für ein Bundesland. Sie impfen sich ja auch nicht erst, wenn sie krank sind, sondern vorher und durch solche anti- epidemische Maßnahmen, wie dieses Maskentragen oder auch das Registrieren, was ich ja vorgeschlagen habe von Veranstaltungen über 20 Personen, die eigentlich niemandem wehtun, haben wir eine Resilienz, wie man das nennt, also eine Art Immunität der Bevölkerung im Umgang mit dieser Krankheit, die eben gerade die Bundesländer schützen kann, wo es jetzt gerade nicht losgeht. Sonst ist dann Meck-Pomm in kurzer Zeit das Bundesland, wo die Verhältnisse dann sich so umkehren, wie im Moment gerade in Sachsen.

16:52

Jan Kröger

Apropos Impfung: Das Thema ist ja auch naheliegenderweise jetzt regelmäßig bei uns anzusprechen. Die Neuigkeit rund um den BioNTech-Pfizer-Impfstoff in den letzten zwei Tagen, das war die Notfallzulassung für diesen Impfstoff, die es gestern in Großbritannien

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gegeben hat. Da sah sich zumindest die deutsche Politik genötigt zu sagen ja, wir wollen es auch bald machen, aber eben nicht so schnell wie die Briten. Wie beurteilen Sie denn diese Notfallzulassung, die dort jetzt eingeführt worden ist?

Alexander Kekulé

Also, das ist schon wieder etwas, was ich politisch beantworten muss. Also das ist ein politisches Statement. Wir wissen alle, dass Boris Johnson, der britische Premier, massiv unter Druck steht für seine am Anfang extrem relaxte Corona-Politik, und Großbritannien ist ja nun wirklich hart geschlagen worden. Denen ging es ja viel schlechter als uns und bis heute haben die schlechtere Verhältnisse. Das hängt auch damit zusammen, dass das Gesundheitssystem dort schneller an die Belastungsgrenzen kommt. Das National Health System in Großbritannien hat nicht so viel Redundanz wie das deutsche System. Und deshalb musste er jetzt einfach aus politischen Gründen ein Zeichen setzen. Es ist ja so, also rein formal ich – vielleicht wissen das nicht alle – bis Ende des Jahres gehört ja das Vereinigte Königreich noch zur EU. Und danach könnten sie theoretisch, also ab 01. Januar, könnten sie kraft eigener Wassersuppe oder müssten sie kraft eigener Wassersuppe zulassen, weil danach die gemeinsame EU-Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA eben nicht mehr für das Vereinigte Königreich gilt. Aber jetzt aktuell ist dieser Akt, der jetzt hier am 02.12. vollzogen wurde, ja noch während der Mitgliedschaft. Und das heißt, die haben dort etwas genommen, das ist in den EU-Regularien schon immer drin gewesen, dass ein Land auch unabhängig von der Europäischen Arzneimittelbehörde eine Art Notfallkarte ziehen kann, wenn eine außergewöhnliche Gesundheitsbedrohung da ist. Da hat man eher gedacht naja, falls in Süditalien die Malaria ausbricht oder so, ja. In dieser Art hat man sich das überlegt. Und dann haben halt die Italiener ein Sonderproblem, müssen schnell handeln, und die sollen dann nicht warten müssen, bis die Europäische Agentur irgendetwas entschieden hat. Und diese Karte oder diesen Paragrafen hat jetzt Boris Johnson gezogen für die Notfallzulassung. Und das ist insofern so ein

bisschen, sage ich mal, unsolidarisch würde ich es fast nennen. Da war eigentlich die Idee von Brüssel und auch von den ganzen Staats- und Regierungschefs, dass man gesagt hat, wir sind hier solidarisch. Wir zeigen hier Solidarität. Wir streiten uns mal nicht um Masken und Schürzen, wie es am Anfang war. Wenn der Impfstoff da ist, dann wollen wir wirklich, dass es eine gemeinsame Zulassung gibt und nicht einer sich zuerst bedient. Jetzt hat das Vereinigte Königreich noch die kleine Sondersituation, dass die ja tatsächlich, muss man auch sagen, das haben die einfach gemacht, bevor die EU Verträge geschlossen hat, die UK schon bilateral bestellt hat bei diversen Firmen, u.a. eben bei Pfizer und BioNTech. Und dadurch waren die in der Sonderposition, da die ja alleine bestellt hatten, konnten sie durch diese Sonderzulassung, die sie jetzt gemacht haben, ihr bestelltes Kontingent einfach abrufen. Und das wollten die jetzt machen. Vielleicht haben sie auch gedacht, na ja, wenn dann für die ganze EU bestellt wird, wird es vielleicht nicht geliefert. Ja, der Hersteller sagt zwar, jeder kriegt sein Share, was er bestellt hat, da wird nicht geschummelt, und wir können liefern. Aber Sie wissen ja, wie das ist, wenn dann alle losrennen. Uns heißt es gibt noch 20 iPhone im Laden und dann kommen Sie als 19., und plötzlich ist keins mehr da. Das gibt es einfach. Und ich glaube so ein bisschen First come, first serve, so hat so ein bisschen der Boris Johnson gedacht. Und er hat sich natürlich profiliert.

20:38

Jan Kröger

Unsolidarisch, sagen Sie, auf der politischen Ebene. Zumindest auf der wissenschaftlichen Ebene ist das insofern solidarisch, dass wir jetzt von Großbritannien schon ein paar erste Erkenntnisse darüber gewinnen werden in den nächsten Wochen, wie das läuft mit den Impfungen?

Alexander Kekulé

Nein, das werden wir nicht. Weil, in den ersten Wochen wird da nichts Besonderes passieren. Die Verteilung, also die Logistik, ist sehr schwierig. Das ist ja dieser Impfstoff, der bei minus 70 Grad gelagert werden muss. Und dann gibt es genaue Protokolle. Der muss auch

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verdünnt werden, bevor er angewendet wird. Das ist ziemlich schwierig. Das war ja auch schon bei den klinischen Studien so, dass Pfizer-BioNTech sehr viel Wert darauf gelegt haben, dass das akribisch, richtig und genau gemacht wird. Das wird jetzt hier auch so sein. Und ich habe sogar ein bisschen Zweifel, ob das Vereinigte Königreich so viel schneller sein wird, wie der Rest der EU, weil die von der Logistik natürlich jetzt auch nicht das vorbereitet haben. Die stehen also ähnlich da wie wir. Klar, haben, den der einen oder anderen Turnhalle schon irgendwelche Impfzentren da vorgeführt. Aber die, die am perfektesten eigentlich sind mit diesem Rollout, wie man dann auf Englisch sagen würde, das sind die Amerikaner. Da hat tatsächlich der Präsident der scheidende Präsident der Vereinigten Staaten ja das Militär beauftragt, das zu machen. Und da muss man sagen das US-Militär ist in Sachen Logistik echt top. Ja, da steht kein Soldat an der Front und hat keine Munition mehr. Und die, die machen das jetzt im Moment dort, die bereiten die Verteilung des Impfstoffs dort vor. Also ich glaube, das bringt nicht viel. Wir haben ja am 11.12. haben wir ja jetzt die Sitzung von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. Da ist alles so in den Startlöchern, die Ampullen sind tatsächlich schon im Land verteilt sogar, in den USA. Und die sind fertig für die Auslieferung. Sodass man wirklich zwei Tage später anfangen kann, zu impfen. Und ich habe jetzt gehört, dass die Europäische Arzneimittelkommission am 12. Dezember sich zusammensetzen will. Und die werden da jetzt dann schon zeigen, dass sie auch schnell sind. Rein fachlich gesehen, kann man vielleicht noch Folgendes sagen, das wissen vielleicht nicht alle: Also innerhalb der EU gibt es diesen gemeinsamen Mechanismus, dass man Zulassungen macht, diese Europäische Arzneimittelbehörde EMA. Aber da gibt es natürlich ein paar Länder, die so immer so einfach traditionell mehr Personal haben, mehr Erfahrung haben und besonders gut sind, sage ich mal in dem. Und da würde ich jetzt ausnahmsweise sagen es tatsächlich die Nummer eins gewesen in der EU, die britische Behörde, die sind tatsächlich top. Die haben das sehr, sehr gut gemacht, das ist diese Madisons in Health Care Products Regulatory Agency (MHRA). Und die haben eigentlich

schon immer ich, würde mal sagen – das Paul- Ehrlich-Institut in Deutschland gehört sicherlich auch zu den Top-Behörden – aber da gibt es so zwei, drei in Europa, die das eigentlich immer ausgemauschelt haben und den Daumen gehoben oder gesenkt haben. Und weil das eben jetzt nicht so eine Abteilung dort in Großbritannien ist, wo man weiß, dass die schummeln oder Ähnliches oder dass die schlampig sind, sondern im Gegenteil, die gelten als besonders gut. Und bisher war es auch so: Wenn MHRA den Daumen gehoben hat, dann haben die anderen eigentlich auch immer automatisch genickt, weil die wussten es ist gut gemacht. Sodass ich jetzt eher annehme, dass das so ein Katalysator sein wird, dass die EMA, die Europäische Behörde, jetzt sehr, sehr schnell nachziehen wird.

23:52

Jan Kröger

Und damit dann Deutschland auch. In den nächsten Wochen wird ja noch ausgearbeitet werden müssen, wie genau das dann losgehen soll in Deutschland. Der jetzt genannte Zeitpunkt wäre Anfang Januar durch das Bundesgesundheitsministerium. Was ich mich gefragt habe, welchen Einfluss hat eigentlich noch das Infektionsgeschehen darauf, wie diese Impfungen starten können. Also nehmen wir jetzt mal an, zum Beispiel durch die Familienzusammenkünfte rund um Weihnachten gibt es wieder einen Anstieg der Fallzahlen. Zu Beginn Januar wirkt sich das aus, auch auf den Start der Impfung?

Alexander Kekulé

Das glaube ich nicht. Klar, es kann sein, selbst im schlimmsten Fall, haben wir natürlich medizinisches Personal, was krank ist. Aber der Start der Impfung wird jetzt sich nicht groß verzögern. Was ich eher interessant finde, ist: Ich glaube, wir werden, wenn jetzt dann irgendwann mal angefangen wird, zu impfen merken, dass das überhaupt nicht das Ende der Pandemie ist, sondern das ist jetzt eigentlich der Anfang eines einer neuen Phase, das kann man schon sagen. Wir werden hier munter weiter diskutieren. Ich sag mal so ein paar Sachen, die offen sind. Es gibt ja immer, man sagt ja immer so es gibt diese knowns unknowns, also die bekannten Unbekannten.

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Und dann gibt es auch noch die unknowns unknowns. Also die bekannten unbekannten Größen sind ja Folgendes: In Großbritannien ist der Impfstoff jetzt zugelassen ab 16 Jahre, ein ganz wichtiger Punkt. Bis 15 Jahre einschließlich darf auch in Großbritannien nicht geimpft werden. Warum? Weil die Studien eigentlich nur mit Erwachsenen ab 18 gemacht wurden. Und man hat dann relativ spät dazu genommen die Altersgruppe 12 bis 18. Das ist aber nur in den USA zugelassen gewesen. Aber dafür gab es nicht so viele Daten, weil man das relativ spät dazu genommen hat (...). Bisher ist es ja auch sehr schnell gegangen. Jetzt aber (zu) diesem Anlass die britische Zulassungsbehörde gesagt hat, na gut, ab 18 ist es getestet. Wir haben ganz gute Daten von 12 bis 18, die reichen uns aber nicht für eine Zulassung ab zwölf. Das stellen wir noch mal zurück, aber ab 16 können wir verantworten. So war sicherlich, dass man gesagt hat, gut auf die zwei Jahre kommt es jetzt nicht an. Aber unter 16 kommt an den Bereich, wo man ja echt Kindermedizin hat. Und da ist dieser berühmte Satz, den jeder Kindermedizinstudent schon als Erstes lernt: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Das ist so ein Standardspruch für Ärzte. Das heißt, Kinder sind wirklich anders in vielerlei Hinsicht. Und da muss man ja daran erinnern. Und unsere Hörer werden das vielleicht noch wissen, dass es ja diese unangenehme Krankheit gibt, die ganz selten auftritt bei Kindern, aber die uns allen wirklich Sorgen gemacht hat. Das ist dieses Multiorgan- Infektionssyndrom bei Kindern. Also, die haben dann (...) so einen Infektionszustand der Gefäße, was so ein bisschen an das Kawasaki- Syndrom, was wir besprochen haben, erinnert. Ganz seltene Sache, aber hängt damit zusammen, dass das Immunsystem überschießend reagiert. Und jetzt wissen wir, dass dieser Impfstoff, den wir da haben, dieser RNA-basierte, der ist, wie wir sagen, sehr stark reaktogen. Das heißt also der macht keine Nebenwirkung, sondern so eine Impfwirkung eigentlich. Der ist, der provoziert das Immunsystem sehr stark, so kann man es vielleicht sagen. Und da ist natürlich schon jetzt das Fragezeichen: Wird es möglicherweise bei RNA-Impfstoffen solche überschießenden Reaktionen bei Kindern häufiger geben als bei

anderen Impfstoffen, die jetzt ja auch demnächst auf den Markt kommen, die dann eben nicht RNA-basiert sind. Und das wird dann eine ganz interessante Frage: Was ist eigentlich der beste Impfstoff für Kinder? Und da ist es dann eigentlich üblich, mehrere miteinander zu vergleichen. Aber wenn man mehrere Impfstoffe vergleichen will, braucht man weder eine neue Studie, und das dauert wieder. Und dann brauchen Sie wieder einen Vergleichsimpfstoff. Und da brauchen Sie sehr, sehr viele Patienten. Ich sag mal 50.000- 100.000 in der Größenordnung, wenn sie zwei verschiedene Impfstoffe vergleichen wollen. Da braucht man mehr als wenn man einen Impfstoff gegen gar nix vergleicht, so wie es jetzt passiert ist. Und das finde ich sehr interessant. Das wird dann die Frage, wie machen wir die Studien? Können wir die überhaupt machen? Ist es zu verantworten, Leuten in einer Studie dann Placebo oder den schlechteren Impfstoff zu spritzen? Da ist noch ein ganz, ganz langer Weg vor uns.

28:00

Jan Kröger

Wie Sie sagten, der Anfang einer neuen Phase in der Pandemie. Schauen wir jetzt mal aus gegebenem Anlass zurück ganz an den Anfang der Pandemie. Zumindest zu dem, den wir kennen. 1. Dezember 2019, das gilt als das Datum, an dem der erste, heute noch bekannte Fall einer COVID-19-Erkrankung in Wuhan festgestellt worden ist. Rund um diesen Jahrestag scheinen so aus China die Versuche wieder zuzunehmen, diesen Ursprung der Pandemie woanders hin zu verlagern. Da haben Sie auch in den letzten Tagen einige Erfahrungen gemacht, dass man mit manchen Aussagen Freunde gewinnen kann, von denen man niemals dachte, dass man sie hätte. Deswegen bevor wir jetzt ausführlich darauf eingehen über diese jüngsten Berichte und auch Studien aus China noch einmal vielleicht zum Klarstellen – vorweg die Frage: Der Ursprung der Pandemie liegt wo?

Alexander Kekulé

Naja, das wissen wir nicht ganz genau. Aber klar ist, dass (ist) die wissenschaftliche Theorie und das einzige Schema, was er im Kopf haben,

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ist Folgendes: Es gibt Fledermäuse, die im Süden Chinas Leben, sogenannte Hufeisennasen heißen die auf Deutsch, weil die so eine lustige Nase haben, mit der sie auch Echosignale empfangen können. Besonders hübschen sind sie nicht im Gesicht, aber sind auch fliegende, nette Säugetiere. Und die haben eben Viren, die extrem ähnlich aussehen wie das Virus, was jetzt zirkuliert. Und warum glauben wir, dass von diesen Tieren ein Virus wahrscheinlich auf einen Zwischenwirt übergegangen ist. Das ist irgendein anderes Säugetier gewesen, was wir suchen dringend, und was wir nicht kennen und von dort auf den Menschen gesprungen ist. Und das ist die Theorie, wo jetzt, sage ich mal, 99 Prozent aller Wissenschaftler außerhalb Chinas daran glauben. Es gibt überhaupt kein Hinweis anzunehmen, dass es irgendwie anders gelaufen ist. Aber die Chinesen haben Gründe, sag ich mal, sich da im Moment das Problem vom Leib zu schaffen.

29:57

Jan Kröger

Schauen wir mal, Sie sagen schon 99 Prozent der Wissenschaftler außerhalb Chinas – gucken wir mal auf die Wissenschaftler in China. Nun gab es vor einigen Wochen, das waren wiederum italienische Wissenschaftler, die schon COVID-19, beziehungsweise SARS-CoV-2 im Abwasser und im Herbst 2019 gefunden haben wollten. Das wurde wiederum in China sehr intensiv aufgenommen, diese Forschung. Nun gibt es neueste Forschungen, die laut den Chinesen darauf hindeuten, dass sich das Virus schon im Sommer 2019 unter anderem in acht Ländern auf vier Kontinenten aufgehalten haben soll. Was ist von diesen Untersuchungen zu halten?

Alexander Kekulé

Ja, das wird jetzt viel zitiert. Seit gestern hat sich das haben die hochgespielt, weil auch die chinesischen Staatsmedien das publizieren. Das sind wahrscheinlich zwei Publikationen. Eine von beiden ist wirklich erschienen in so einem Journal, was ganz in Ordnung ist. Das heißt „Molecular Phylogenetics and Evolution“. Das ist ein international akzeptiertes Journal, eine Publikation aus dem November. Das ist eine chinesische Arbeitsgruppe, also

hauptsächlich die Chinese Academy of Sciences (CAS) und zusammen mit der Universität in Shanghai und einem Kollegen aus Houston, Texas USA. Die da eigentlich was entwickelt, das ist so eine neue Methode, wie sie meinen, neue Methode, wie man Abstammung von Viren untersuchen kann. Das ist jetzt vielleicht ein bisschen kompliziert zu erklären, wie das genau funktioniert. Aber im Prinzip macht man es so: Man nimmt alle festgestellten Sequenzen, also diese RNA- Sequenzen von den Viren, die man so auf der Welt gefunden hat. Die haben doch einfach ein paar Tausend genommen, die sie aus der Genbank hatten. Und dann versucht man, die so übereinander zu legen, dass man guckt, an welcher Stelle hat es denn eine genetische Veränderung gegebene, eine Mutation. Das ist so, als wenn Sie so Bücher haben, wo immer nur ein Buchstabe falsch ist, eigentlich sonst die gleiche Ausgabe. Und Sie legen dann die Texte übereinander und schauen, an welchen Stellen sind die Buchstaben nicht identisch. Dann haben die gesagt: Okay, jetzt schauen wir mal, was die wenigsten Mutationen hat, also die wenigsten Abweichungen, wenn man alles übereinander legt. Und dann haben die einfach behauptet, okay, das, was die wenigsten Abweichungen hat, muss ja logischerweise der älteste Stamm gewesen sein. Und dieser älteste, der ist nicht in China gewesen. Da haben sie gesagt, das war eins von eben diversen, ich glaube acht oder neun anderen Ländern. Da muss es gewesen sein. Und jetzt im Moment eins von diesen Ländern, wo sie es behaupten, dass es dieser älteste Stamm gewesen sein könnte, war Indien. Jetzt sagen sie ganz aktuell eben, ja in Indien, wahrscheinlich ist da das Virus hochgekocht. Das wird zumindest über die Medien verbreitet. Es gibt da auch eine ominöse Publikation, die wir ja nicht gefunden haben im Vorfeld zu diesem Gespräch. Da haben wir echt gesucht. Da gibt es nur noch eine Kurzfassung. Und chinesische Medien verweisen darauf, dass das angeblich in dem Topjournal „Lancet“ eingereicht werden sollte oder eingereicht worden ist. Aber man findet nichts mehr davon. Also diese Methode, über die man in den nächsten Tagen wahrscheinlich öfter was lesen wird, die einfach so die Sequenzen übereinanderzulegen, die ist

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erstens neu, das macht man nicht so. Und zweitens ist es extrem fehleranfällig, weil man ja, anders als bei so einem Buch, nicht weiß, wo das Virus die Virus-Sequenz ganz genau anfängt und aufhört. Und man hat immer in allen in allen Analysen, die gemacht werden, also diese Sequenzierungen, wie wir sagen, wo also der genetische Fingerabdruck genommen wird, da haben wir immer Fehler drinnen: dass mal ein Baustein fehlt, ein Buchstabe fehlt, oder ein Paar sind vertauscht oder passen nicht zusammen. Und das muss man erst abgleichen. Dadurch ist sozusagen eine Mutation keine Mutation. Weil Sie immer bei diesem Abgleichen mal einen Fehler machen können. Kommt hinzu, dass die dann schreiben – ich habe das also genau durchgelesen, wie sie das gemacht haben – da schreiben Sie dieses wichtige Abgleichen, bevor man überhaupt anfängt, diesen Stammbaum zu entwickeln, da haben die sich selber mit einem Programm, mit einem PEARL-Programm haben die sich da selber einen Algorithmus zusammengeschrieben, mit dem sie diesen Abgleich gemacht haben. Aber keiner weiß genau wie. Und dann gibt es ganz viele genetische Gründe, warum so etwas, selbst wenn man es richtig machen würde, nicht so perfekt ist. Ein Mechanismus heißt Rekombination, dass Viren manchmal sogar Stückchen untereinander austauschen können. Ein anderes Prinzip ist, das es genetische Veränderungen, also Mutationen gibt, die auch im Lauf der Zeit wieder revidiert werden können. Also da verändert sich was, und nach einer Weile springt es wieder zurück, weil es vielleicht keinen Selektionsvorteil hatte. Und es kann auch sein, dass so ein Virus dann parallel, sag ich mal mehrere parallele Veränderungen macht, die man nicht festgestellt, weil einem der der Zwischenwirt fehlt. Man hat nur Stichproben von einzelnen Blutproben, von irgendwelchen Menschen. Und da macht man eine Analyse. Und wenn's dazwischen so eine ganz lange Entwicklung gegeben hat, dann kann einem die entgehen. Also es gibt ganz viele Gründe, warum so was fehleranfällig ist. Und wenn die dann sagen ja, wir pfeifen auf die ganzen Fehler, und wir sagen aber trotzdem der mit den wenigsten Mutationen ist also ganz klar der älteste und der muss in

Indien gewesen sein. Dann haben die da wissenschaftlich echt was abgekürzt, was also keinem Doktoranden durchgehen würde bei uns. Und deshalb kann man zusammengefasst sagen: das klingt alles wissenschaftlich, was die machen. Aber das ist nicht State of the Art, wie wir sagen. Also so macht man das nicht.

35:37

Jan Kröger

Dann würde ich an dieser Stelle, wäre der Studie aufhören. Wir bleiben aber noch ein bisschen in Asien, wechseln aber das Land. Ich will noch ein bisschen weiter nach Osten schauen, nach Japan. Wir blicken dort auf die aktuelle Situation. Japan gilt ja immer als ein Vorbild dafür, wie man als demokratisches Land mit der Pandemie umgehen kann. Und auch einer Hörerin von uns ist nicht verborgen geblieben, allerdings, dass sich in Japan im Moment gerade etwas zu ändern scheint. Simone aus Freiberg hat uns angerufen:

„Was mir aufgefallen ist, dass dort die sehr guten, niedrigen Zahlen von Japan unter anderem angepriesen worden sind, wo aber doch jetzt in den letzten Wochen feststellbar ist, dass in Japan wieder eine dritte Welle im Laufen ist, sogar, weil dort die Zahlen hochgeschossene sind. Und dort doch die Bevölkerung, eigentlich so Masken tragen für die, was selbstverständlich ist. Wo ich mich dann frage, wo im asiatischen Bereich doch die Menschen auch schon eher mal so eine Epidemie erlebt haben- in welchem Zusammenhang das dann dort steht, dass da jetzt wieder eine dritte Welle aufgeflammt ist. Das verunsichert mich insgesamt.“

Also es gibt tatsächlich einen Anstieg der Fallzahlen in Japan in den letzten Wochen. Wie lässt sich das erklären?

36:52

Alexander Kekulé

Ja, da muss man ein bisschen ausholen. Also, es ist tatsächlich so, dass bei uns in Deutschland ja irgendwie in den letzten Wochen so ein Japan-Hype losgetreten wurde. Da haben verschiedene Wissenschaftler gesagt, in Japan sei alles ganz toll – die sogenannte Cluster-Strategie, die dort verfolgt

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wird. Und das ist dann auch in die Politik getragen worden und hat letztlich dabei geendet, dass man gesagt hat wir verkürzen jetzt in Deutschland die Quarantänezeit für Schüler auf fünf Tage, wenn sie sich frei testen. Nur so zum Vergleich: Die CDC, die US- Gesundheitsbehörde, hat bis gestern noch 14 Tage vertreten. Und die hat jetzt unter ganz bestimmten Bedingungen zugestimmt, dass man die Quarantäne auf zehn Tage reduzieren kann, unter bestimmten Bedingungen, zufällig genau das Gleiche, was wir hier im Podcast mal besprochen haben, aber das auf fünf Tage zu reduzieren, wie das in Deutschland jetzt ja wohl schon Standard sein soll, ohne wissenschaftliche Basis- das habe ich damals kritisiert – und da verstehe ich wirklich nicht, warum nicht, da mal die Diskussion offen geführt wird, ob man das denn so machen kann oder warum man das vielleicht dann doch so machen kann.

So, wie ist es in Japan? Die haben natürlich nicht wegen der Cluster-Strategie dort gemacht wird, solche Erfolge gehabt. Cluster- Strategie heißt, dass man die Nachverfolgung sozusagen aufgibt, außer es handelt sich um ein vermutetes Superspreading-Event, also ein Cluster, wenn mehrere Leute auf einmal infiziert wurden. Und wenn die auftreten, dann macht man auch keine Tests oder sowas, sondern man sperrt den ganzen Cluster weg. Also zum Beispiel die ganze Schulklasse für zwei Wochen. Oder kann man dann vielleicht auch nur zehn Tage machen oder in Deutschland soll es eben jetzt fünf Tage sein, und sagt es mir egal, ob da jemand infiziert ist oder nicht. Das ist dann entweder eine Isolierung oder eine Quarantäne, je nachdem. Da kann man dann auch einen anderen Ausdruck dafür erfinden, wenn man will. Und es ist so, dass gesagt wird, das machen wir jetzt in Deutschland, weil Japan war so erfolgreich, und wir wollen ja auch erfolgreich sein. Das Problem ist, wenn ich jetzt zynisch wäre, würde ich sagen, da könnte man genauso gut sagen, wir fangen jetzt an, mit chinesischen Stäbchen zu essen, weil Japan war, so erfolgreich und an irgendetwas muss es ja liegen. Also an dieser Cluster-Strategie liegt es definitiv nicht. Weil, die hat man nur erfunden, weil man einerseits eine ganz starke Priorisierung der Wirtschaft hatte, dass man

gesagt hat wir wollen nicht, dass die Wirtschaft hier die in die Knie geht. In der Hinsicht war man weniger opferbereit als die Deutschen. Das hängt auch mit der mit der finanziellen Situation des Landes zusammen. Und der Hauptgrund war: Man hatte einfach nicht die Testkapazitäten und darum haben die aus Verzweiflung gesagt, wenn wir nicht genug Testkapazitäten haben, sperren wir halt einfach alle weg, egal ob sie in Quarantäne oder Isolierung sind, also ob sie positiv waren oder nicht. Das hat nichts mit dem Erfolg in Japan zu tun. Und noch einmal zur Erinnerung: 


41:58

Jan Kröger

Ganz kurz zur Einordnung dieser dritten Welle noch: Was Sie jetzt gesagt hatten mit der hohen Positivenrate bei den Tests, ich habe mir natürlich auch die aktuellen Fallzahlen für Japan angeschaut. Die liegen am Tag immer so zwischen 2.000 und 3.000 bei einer Bevölkerung, die deutlich größer ist als die in der Bundesrepublik. Aber durch die Positivenrate können wir davon ausgehen, die Dunkelziffer ist deutlich höher.

Alexander Kekulé

Ja, genau, darum habe ich nur diese Zahl genannt, weil ich weiß auch, dass manche Leute, die jetzt auch dieses japanische Modell so toll finden, Sie wissen, dass meine Kollegen das zum Teil propagieren. Da darf man ruhig mal sagen, sind die Virologen in Deutschland an der Stelle sich nicht ganz einig, ob man sozusagen die japanische Methode hier einführen soll. Die verweisen auf genau das, was Sie gerade gesagt haben, die niedrigen Fallzahlen. Aber darum geht es ja gar nicht, wenn Sie fast nicht testen, weil sie keine Kapazitäten haben und weil auch die ganze Strategie darauf ausgelegt ist, die Leute einzukassieren und erstmal quasi in seiner Art Quarantän/Isolierung zu bringen, dann haben sie natürlich keine Positiven. Das, was wirklich zählt, ist das, was ich vorhin gesagt habe, dass ist die Positivenrate, und die deutet ganz klar auf eine Riesendunkelziffer hin, das sagen sie richtig.

43:08

Jan Kröger

Kommen wir zu den Hörerfragen. Cornelia H. hat uns geschrieben:

„Lieber Herr Professor Kekulé, Sie haben bisher geschwiegen zu dem inzwischen häufig auch von der New York Times beschriebenen Faktum, dass engmaschiges Gurgeln mit einigen gängigen desinfizierenden Mundwässern das Eindringen des Virus in die Rachenschleimhaut verhindern kann. Regelmäßiges Gurgeln könnte doch bei den maskenfreien Zusammenkünften erlaubter Personengröße eine sinnvolle zusätzliche Prävention sein.“

Oder nicht. Das ist die Frage. Vielleicht als Journalist eins vorausgeschickt, den Bericht der New York Times habe ich mir angesehen. Der hat die Überschrift allerdings: Nein, Mundspülung wird Sie nicht vor dem Coronavirus schützen. Danach wird die Diskussion durchaus noch einmal aufgenommen. Sie haben es auch gelesen. Zu welchem Schluss kommen Sie?

43:54

Alexander Kekulé

Ja, das ist der Status idem. Für unsere Hörer, die regelmäßig zuhören, das haben wir schon öfters besprochen. Status idem dem sagen die Ärzte, wenn sie meinen, es ist noch das Gleiche wie vorher. Also das ist so. Wir haben die Situation, dass wir haben bestimmte Desinfektionsmittel, denen man auch Gurgeln kann, Listerine ist ja so was, das, was weltweit vertrieben wird. Die werden angepriesen als Mittel gegen COVID-19, auch vom Hersteller. Leider. Und es ist aber tatsächlich Fakt, die können auf der Schleimhaut ganz kurzzeitig natürlich die Viren abtöten. Das können Sie auch durch Zähneputzen oder durch Seifenwasser, weil das ja Viren sind mit einer Fetthülle, die zerplatzt, wenn sie da in Seife drinnen sind. Aber das Problem ist immer: Dann warten sie eine halbe Stunde oder eine Stunde, und dann haben eben die Zellen, die

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infiziert sind, und das Virus ist ja in der Zelle drin, die haben eben dann mannigfaltig neue Viren produziert. Die produzieren ja ständig nach, sodass sie jetzt in diesem Konzept bei der Zusammenkunft quasi Gurgel-Konzerte machen könnten. Da können Sie dann nicht mehr miteinander sprechen, sondern sich gegenseitig, was vorgurgeln, es gibt der Kinder, die können das Alphabet rülpsen. Und so ähnlich können Sie es schon einmal versuchen. Ich wäre jetzt nicht ganz sicher, das hat noch keiner gemessen, wie die Viruskonzentration dann in dem Tröpfchennebel ist, den man beim Gurgeln fabriziert. Aber Spaß beiseite. Es gibt eine Ausnahme, wo es vielleicht Sinn macht, das ist tatsächlich beim Zahnarzt, weil der ja ganz kurzzeitig einen Eingriff macht. Normalerweise bohrt der nicht stundenlang, sondern ein paar Minuten. Und wenn man da kurz vorher zum Beispiel mit Wasserstoffperoxid oder irgendeinem anderen guten Desinfektionsmittel spült, ich würde meine jetzt nicht gerade den Arzt angurgeln, aber wenn man spült vorher gründlich, dann würde ich sagen, setzt man sicherlich für einen Moment die Viruskonzentration runter. Und das ist immer von Vorteil, weil ja so ein Bohrer, sie wissen ja, die schnellen Bohrer, die sogenannten Turbinen, die sind wassergekühlt. Und da entsteht da immer so ein schöner, feiner Nebel. Und da will natürlich auch der Arzt nicht, dass da Unmengen von Viren in seinem Behandlungszimmer verbreitet werden. Also so ein ganz spezieller Fall, wenn ich weiß, ich will jetzt für zehn Minuten das Herabsetzen, da hat es einen Sinn. Ich weiß jetzt nicht, ob jetzt junge Leute sich überlegen okay, wenn ich die Frau meines Lebens getroffen habe und will sie küssen, ob beide dann vorher mal gurgeln. Also es hilft jedenfalls nur ganz kurz.

Jan Kröger

Also, es wäre nur in Ausnahmefällen sinnvoll, immer seine Mundwasser dabei zu haben.

Alexander Kekulé

Das brauchen Sie nicht. Aber was ich schon immer dabei habe, das ist, glaube ich, bekannt, ganz kleines Fläschchen mit Desinfektionsmittel. Manchmal haben sie einfach irgendetwas angefasst, was, was

vielleicht eklig sein könnte, irgendeinen Türgriff oder so was. Und dann wollen sie aber jetzt partout eine Stulle aus der Hand essen hinterher. Und das ist der Moment. Wenn dann kein Waschbecken da ist, dann muss man entweder hungern oder ein bisschen Desinfektionsmittel dabei haben.

46:41

Jan Kröger

Ich muss gerade dann Autobahnparkplätze denken. Ich weiß nicht, warum. Unsere 2. Hörerfrage, die befasst sich auch mit dem Wegfahren. Und zwar ist Skifahren ja zum Politikum geworden durch die Corona- Pandemie in den letzten Wochen. Hier die Frage von Frau M.

„Wie kritisch sehen Sie den Skiurlaub zum Beispiel in Österreich, in der Schweiz in diesem Winter? Ist es riskant, in eine Gondel zu steigen, wenn alle eine Maske anhaben? Reichen FFP2-Masken vielleicht in einer Gondel, wobei die ja schon feucht werden durch Schneefall und so weiter und so fort. Ist es überhaupt möglich, sicher in einer Gondel zu fahren im Winter?“

Alexander Kekulé

Ja, das ist ein wichtiges Thema, weil es jetzt natürlich diskutiert wird. Es ist ja bekannt, dass Österreich gerne seine Skigebiete offenhalten möchte und der Rest der Europäer drängelt, zuzumachen, einschließlich Deutschland mit Bayern, die ja da auch einen erheblichen Tourismusvorteil davon hätten. Und auch mit Frankreich, die auch wunderbare Skigebiete haben. Und auch mit Italien. Ja, also es ist so rein, wenn man das ganz aus der Brille des mit Scheuklappen des Virologen anschaut: Klar kann man total sicher in der Gondel fahren. Also vor allem muss man unterscheiden zwischen Gondel und Sessellift. Also Sessellift ist völlig sicher. Bei der Gondel kommt es einfach darauf an. Wie viele Personen sind da drinnen? Und wie gut ist die belüftet. Und man kann natürlich in diesen Gondeln alle Fenster aufreißen, die fahren zum Teil ja nicht sehr lange. Also auf die Zugspitze geht es, glaube ich, in elf Minuten rauf. Und viel länger sind die anderen auch nicht. Wenn man dann sagen, okay, man besitzt die nur zu einem Viertel,

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dann könnte man das Gondel Problem natürlich lösen. Meines Erachtens bräuchte man da gar nicht die FFP2-Masken, sondern wenn der jeder Mund-Nasen-Schutz hat, und wenn es notfalls das Vlies ist, was man sowieso über im Gesicht hat beim Skifahren, dann wird das wahrscheinlich verhindern, dass es einen Ausbruch gibt. Also ich denke immer in der Dimension entweder Ausbruch oder Einzelinfektion. Und da muss man natürlich fairerweise sagen, mit so einer Maßnahme sind jetzt Einzelinfektionen nicht sicher auszuschließen. Wenn einer direkt neben einem steht und hustet in seine Maske rein und kommt um die Ecke einem dann doch irgendwie was in die Lunge. Dann kann mal so eine Einzelinfektion stattfinden. Frage ist nur, soll man wegen Einzelinfektionen die ganzen Skigebiete zumachen. Oder wäre es nicht vielleicht vernünftig, dass die Leute, die sagen, dass es mir aber zu unsicher, dann entweder nicht mit der Gondel fahren oder eben genau diese FFP2-Maske in der Gondel anziehen. Letzteres würde ich wahrscheinlich machen. Ich bin ja schon über 60. Aber ja, es ist möglich, ein Skigebiet, wenn man nicht die volle Besetzung hat, natürlich sicher zu betreiben.

Jan Kröger

Ich weiß jetzt nicht, ob sie Skifahrer sind. Aber würden Sie diesen Winter fahren gehen?

Alexander Kekulé

Ich habe Skier und ich fahre Ski. Meine Freunde, die mich auf Skiern sehen würden, würden nicht sagen, dass ich Skifahrer bin. Weil das nicht wirklich das ist, womit ich irgendwie reüssieren kann. Ich würde dann Skifahren gehen, wenn ich das Gefühl habe, dass der Skiort ein gutes Sicherheitskonzept hat. Die Skiorte haben ja auch den Vorteil, dass die zum Teil oder meistens so sind, dass man nur durch das eine oder andere Tal dorthin kommt. Das heißt, man könnte sogar so weit gehen, so für so einen Skiort Voraussetzungen für den Zutritt zu schaffen. Zum Beispiel zu sagen, wer hier Urlaub machen will, der braucht einen negativen PCR-Test. Und wer den nicht dabei hat, kriegt quasi am Ortseingang im Tourismuszentrum ein Schnelltest verpasst. Und da kann man relativ

sag ich, mal, strenge Regelungen treffen, weil die ja so gut abgrenzbar sind. Das ist ja nicht wie die Fußgängerzone in der Großstadt. Und man müsste natürlich auf jeden Fall die Zahl der Touristen deutlich reduzieren von dem, was Maximalkapazität ist. Man müsste auch das Après-Ski, da sind ja die Infektionen zustande gekommen, mehr oder minder abschaffen. Zumindest alles, was Indoors ist. Ich persönlich, um da ins Detail zu gehen, ich bin der Meinung, draußen Glühwein trinken, solange nicht alle besoffen sind, ist eigentlich gar kein Thema. Warum sollte es nachteilig sein? Und wir müssen uns jetzt nicht von diesem Virus komplett die gute Laune verderben lassen. Aber klar, man müsste irgendwie so ausartende Festivitäten wie Jodelmusik in den Kellern natürlich weglassen. Und es ist auch so, dass man rechnen muss, ob sich das für die Skiorte dann noch lohnt. Also wenn da so ein fieser Virologe und Epidemiologe mal mit dem Rotstrich durchgegangen ist, dann müssen die halt hinterher sagen okay, also, jetzt wollen wir es dann doch nicht mehr machen. Weil das lohnt sich für uns finanziell nicht. Das gilt ja auch für die Hotels. Die müssen dann ähnlich strenge Auflagen erfüllen wie die, die jetzt noch offen haben. Es gibt auch jetzt Hotels, die offen haben, und da kann es natürlich sein, dass dann so ein Touristenhotel sagt, ne da machen wir lieber gleich zu.

51:22

Jan Kröger

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 128. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann wieder zu einem Hörferfragen SPEZIAL. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Sehr gerne, Herr Kröger, bis dann.

Jan Kröger

Und wenn sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns. Die Adresse lautet: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das Ganze vertiefen möchte, alle wichtigen

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Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge auf mdraktuell.de

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 01.12.2020 #127: Die Impfstoffe. Was wissen wir und was nicht

Jan Krüger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Link-Tipp: Die Studie aus Argentinien zu einer Blutplas- ma-Therapie bei Covid-19 ist in englischer Sprache hier abzurufen:

https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/N EJMoa2031304?query=TOC

[0:00:11] Jan Krüger Alexander Kekulé Dienstag, 1. Dezember 2020.

Die Europäische Arzneimittelagentur hat gut zu tun in diesen Tagen. Sowohl Biontech und Pfi- zer als auch das US-Unternehmen Moderna haben für ihre Impfstoffe eine sogenannte bedingte Marktzulassung in der EU beantragt. Was heißt das? Welche Schritte sind noch nö- tig, bis sie zum Einsatz kommen werden. Da- rauf wollen wir schauen.

Wenn es um die Behandlung von Covid-19 geht, dann liegt so manche Hoffnung auf einer Blutplasma-Therapie. Eine neue Studie dazu hat nun Ergebnisse vorgelegt, die nicht wirklich ermutigend sind. Wir schauen uns die Studie näher an.

Und außerdem geht es um die Frage, wie gut lässt sich das Weihnachtsfest in der Familie absichern, wenn man kurz zuvor Schnelltests macht?

Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Krüger, Reporter und Moderator beim Nach- richtenradio MDR aktuell. In dieser Woche vertrete ich Camillo Schumann, den Sie ja sonst an dieser Stelle hören. Jeden Dienstag, Don- nerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemio- logen, Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Krüger.

Jan Krüger

Herr Kekulé, in gewohnter Weise schauen wir zu Beginn der Woche in unserer ersten Ausga- be auf die aktuellen Fallzahlen. Heute haben die Gesundheitsämter dem Robert Koch- Institut 13.604 neue Corona-Infektionen ge- meldet. Das sind genau 50 mehr als am Diens- tag vor einer Woche. Und binnen eines Tages sind 388 neue Todesfälle gemeldet worden, also ungefähr in dem Bereich vom dem Höchststand mit 410 Todesfällen, der am ver- gangenen Mittwoch erreicht wurde. Wenn man jetzt die ganzen Schicksale, die dahinter stehen natürlich außer Acht lässt, und nur auf die Zahlen schaut. Das sieht aus wie der beste Beleg für reine Stagnation?

[0:01:55] Alexander Kekulé Ja, bei den Todesfällen gibt es eine Stagnation. Das ist quasi das Plateau, was wir vorher bei den Neuinfektionen gesehen haben. Meine Hoffnung ist natürlich, dass das demnächst runtergehen wird. Genauso wie die Neuinfek- tionen ja langsam die Biege nach unten ma- chen. Dafür macht das Robert Koch-Institut ja immer das sogenannte Now Casting, quasi eine Wettervorhersage für heute. In dem Sinn, dass man aus den in der Vergangenheit aufgenom- menen Daten, die sind ja immer etwa zehn bis 14 Tage alt, quasi hochrechnet, welchen Status heute die Neuinfektionen hätten. Das Verfah- ren ist eigentlich ganz gut. Das hat sich im Lauf der Zeit auch weiter optimiert. Da ist mein Eindruck, dass man da schon ein bisschen glauben kann, was dort veröffentlicht wird.

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Und da sieht man relativ deutlich im Now Cas- ting des Robert Koch-Instituts, dass die Kurve wieder nach unten geht. Also nicht nur auf einer Höhe stagniert. Sondern dass die Neuin- fektionen täglich nach unten gehen jetzt lang- sam. Wir sehen da sicherlich auch schon vor Effekte zu dem aktuellen Lockdown, der jetzt in Kraft getreten ist.

Jan Krüger

Also wenn man etwas genauer hinschaut, schon durchaus ein positiver Effekt, sagen Sie.

Alexander Kekulé

Ja, das würde ich schon sagen. Also ich bin da optimistisch, natürlich immer optimistisch. In der Lage kann man es gar nicht anders sein. Aber ich bin hier auch begründet optimistisch, dass wir hier diese Welle wirklich einfangen können. Ich gucke auch so ein bisschen auf die anderen Länder, die zum Teil schneller mit einem etwas konsequenteren Lockdown rea- giert haben. Hier hat man in Deutschland ein bisschen später nachgesteuert aus verschiede- nen Gründen. Und ich gehe davon aus, dass das, was woanders gelungen ist, auch bei uns funktionieren wird. Nämlich dass wir Richtung Weihnachten doch eine deutliche Senkung der Infektionszahlen hinbekommen.

[0:03:42] Jan Krüger Das große Thema an diesem Tag, das sind die Beantragungen, die bei der EU eingegangen sind. Also einmal Biontech und Pfizer und auf der anderen Seite Moderna. Beide haben ei- nen Impfstoff vorgelegt und legen den nun vor zur bedingten Markt-Zulassung in Europa. Was genau kann man davon erwarten?

[0:04:02] Alexander Kekulé Ja, das ist das angekündigte Verfahren. In den USA ist ja schon die sogenannte Notfallzulas- sung beantragt worden von diesen beiden Firmen. Dort heißt es Notfallzulassung. Bei uns ist es dann die bedingte Zulassung. Aber das ist technisch eigentlich das Gleiche. Wir sagen da auch in Europa Rolling Review dazu. Das heißt, es werden von den Herstellern ständig die Daten aus den klinischen Studien schon mal parallel der Zulassungsbehörde ... Das ist diese

europäische Behörde EMA immer zugespielt. Und die werfen einen kontinuierlichen Blick drauf, sodass man dann, wenn die Daten voll- ständig sind und formal der Antrag gestellt wurde, wie es jetzt passiert ist. Dass man dann sagen kann: Okay, jetzt trommeln wir die Ent- scheidungskomitees zusammen. Die geben eine formale Einschätzung ab, und danach kann man relativ schnell zulassen. In Europa funktioniert es dann so, dass dieses Komitee - so habe ich das jetzt gerade aktuell auch nur gehört in den Nachrichten – dass sich das Ko- mitee am 11. treffen will. In Amerika ist es ja am 10. Dezember schon angesagt worden. Normalerweise bedeutet es dann, dass man entweder am gleichen Tag oder am nächsten Tag eine Entscheidung hat. Wenn die, was hier praktisch mit Sicherheit zu erwarten ist, den Daumen hoch halten. Dann muss in Europa allerdings erst die Europäische Kommission formal die Zulassung aussprechen. Das ist et- was komplizierter als in USA. Aber ich habe gehört, dass die auch schon quasi in den Start- löchern stehen, sodass wir dann tatsächlich wahrscheinlich Ende der 2. Dezemberwoche schon eine Zulassung in Europa haben könn- ten.

[0:05:40] Jan Krüger Und das ist dann alles auch sozusagen mit rechten Dingen zugegangen. Dass es so schnell gegangen ist. Da gibt es ja doch durchaus im- mer wieder Kritik daran, dass es gerade so schnell geht und da eventuell die Sorgfalt da- runter leidet.

[0:05:51] Alexander Kekulé Man muss hier besonders sorgfältig sein. Ein- fach, weil das experimentelle Impfstoffe sind. Nicht das übliche, was unsere Kinder so bei den regelmäßigen empfohlenen Impfungen bekommen. Das ist ja komplett neuartig. Diese RNA-Impfstoffe. Das wissen aber die Zulas- sungsbehörden auch. Deshalb hat man ja auch eine relativ große Zahl von Studienteilnehmern gehabt. Das waren also bei der bei der Bion- tech-Pfizer Studie etwa 45.000 insgesamt. Davon hat allerdings nur die Hälfte natürlich den Wirkstoff bekommen und die andere Hälf- te ein Placebo. Und bei der Moderna Studie

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war es etwas weniger. Um die 30.000 Teil- nehmer. Aber zusammengenommen haben wir dann so 30-35.000 Menschen auf der Welt, die diese Messenger RNA-Impfstoffe, diese ganz neuen Impfstoffe schon bekommen haben. Die nehmen sich nicht viel. Also zwischen Biontech und Moderna. Da ist kein großer Unterschied von der Formulierung des Stoffs, der da drin ist. Und man lässt ja eben jetzt notfallmäßig zu in den USA. Oder bei uns eben mit Auflagen. Und das bedeutet eigentlich genau das Glei- che. Dass eine Verpflichtung besteht, dass jeder, der geimpft wurde, registriert wird. Und dass auf jeden Fall eine hohe Vigilanz erzeugt wird, wie wir sagen. Also das genau beobach- tet wird, was passiert eigentlich mit den Ge- impften? Und wenn die irgendwelche Neben- wirkungen zeigen, wird es sofort gemeldet und ausgewertet. Und man ist sozusagen parat mit dem roten Knopf oder in heutigen Medienzei- ten würde man sagen mit dem Buzzer, um bereit zu sein, um alles wieder zu stoppen für den Fall, dass irgendwo mal was ganz Heftiges auftritt. Ich glaube das nicht. Also es ist von der Biologie her ist nicht zu erwarten, dass wir irgendeine total gruselige Nebenwirkung be- kommen. Sonst hätte man die wahrscheinlich schon in diesen ersten Studien, die relativ gründlich waren, gesehen.

[0:07:45] Jan Krüger Beide haben ja eine Wirksamkeit vorgelegt von deutlich über 90% in ihren bisherigen Studien. Beides RNA Impfstoffe. Das haben Sie auch schon gesagt. Der wesentliche Unterschied war bisher, dass Biontech - das ist dieser Impf- stoff mit den riesigen Kühlschränken.

[0:08:01] Alexander Kekulé Ja, dabei bleibt es wahrscheinlich. Der muss im Prinzip bei minus 70 Grad gelagert werden. Ehrlich gesagt verstehe ich es biologisch nicht so ganz, weil die ja sehr, sehr ähnlich sind. Es kann sein, dass die einfach, sage ich mal stra- tegisch, am Anfang den Fehler gemacht haben, dass die das gemacht haben, was man bei RNA ganz allgemein im Labor macht. Da sagt man einfach, das muss bei -70 bis -80 gelagert wer- den, weil es eine empfindliche Substanz ist. Und die nicht schnell genug umgestellt haben

auf einen anderen Prozess. Und man darf na- türlich hier den Prozess nicht ändern. Also wenn man das bisher so gemacht hat und vor allem in den Studien immer so gemacht hat, dann wäre das relativ aufwendig, das zu än- dern. Es kann aber auch sein, dass es tatsäch- lich an der Struktur der RNA selber liegt. Das ist ja so ein Molekül, was man sich so als Faden vorstellen kann. Und da ist ja die genetische Information darauf programmiert, aus der die Zelle dann dieses Spikes-Protein produzieren kann. Also diese herausstehenden Proteinen- Ausläufer, die an diesem Virus dran sind. Das Virus hat kleine Stachel außen. Darum heißt es ja auch Corona Virus. Und dieses Spikes wer- den quasi künstlich von der Zelle hergestellt. Von den menschlichen Zellen nach der Imp- fung. Und diese RNA, dieser lange Faden, der kann sich je nachdem, wie der dann im Einzel- nen zusammengebaut wurde - und das ist na- türlich Staatsgeheimnis der beiden Hersteller -. der kann sich ein bisschen anders falten. Und je nach Faltungsstruktur dieser RNA ist die dann auch unterschiedlich stabil. Andere Vari- ante wäre, dass dieses kleine Lipid-Bläschen, dieses Fett-Bläschen, in das das eingeschlossen wird, damit man es besser verabreichen kann und in die Zellen bringen kann. Dass das von der Formel ein Unterschied hat und dadurch die Temperaturabhängigkeit kommt. Das halte ich aber für weniger wahrscheinlich. Also wahrscheinlich liegt es tatsächlich an der RNA selber. Falls da überhaupt tatsächlich unter- schiedliche Haltbarkeiten des Wirkstoffs selber sein sollten.

Jan Krüger

Aber wir so einen richtigen Rückschluss, dass Sie jetzt sagen, dieser hier ist besser als der andere, der lässt sich aus den vorhandenen Daten nicht ziehen?

Alexander Kekulé

Nein, das kann man so auf gar keinen Fall sa- gen. Das wird sicher so sein, dass im Lauf der Studie dann rauskommt ... Bei dem einen wer- den irgendwelche Nebenwirkungen schneller gemeldet als beim anderen. Da kann ich nur davor warnen, dann übervorsichtig zu sein. Was da so gemeldet wird. Das kann ganz viele Gründe haben. Wenn wir dann erst mal 100.000 und Millionen von Probanden oder

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dann nicht mehr Probanden, sondern von Per- sonen haben, die geimpft wurden. Da kommt dann immer so alles Mögliche zusammen. Der eine hätte an dem Tag sowieso plötzlich eine Lähmung gehabt und hätte ins Krankenhaus gemusst. Es gab es aber eine Woche vorher eine Impfung. Dann wird es natürlich sofort in den Zusammenhang gesetzt. Da müssen wir uns darauf einstellen, dass das auch bei dem einen oder anderen Revolverblatt auch Schlag- zeilen produzieren wird, wenn irgendwelche verdächtigen Zusammenhänge erzeugt wer- den. Das Problem, ich sehe eher ein anderes Problem. Wir wissen nicht ganz genau, wie gut das wirkt. Erstens bei Kindern bisher. Da gab es ja noch keine .. In den Studien wurden die un- ter 12 Jahren ja bisher nicht eingeschlossen. Wir wissen auch nicht. Das wird ja oft zitiert. Wie lange der die der Impfschutz anhält. Da bin ich eigentlich entspannt, weil ... Ich sag mal so, drei Monate wird es auf jeden Fall halten und wird dann langsam schwächer. Das reicht auf jeden Fall, um diese Pandemie erst mal zu unterbrechen. Und was im nächsten Jahr ist, mein Gott, da wird man im schlimmsten Fall noch einmal neu impfen müssen. Ich glaube es gar nicht wirklich. Also dann im übernächsten Jahr 2022. Aber die entscheidende Frage, die im Raum steht an der Stelle, ist tatsächlich, ob die Menschen, die geimpft wurden, ob die hinterher das Virus noch weitergeben können. Klar ist bei den Studien bisher, dass auf jeden Fall jeder, der geimpft wurde, keine Symptome mehr zeigt. Aber man hat nicht festgestellt oder untersucht bei den Studien, ob auch diese RNA des Virus noch da ist. Das heißt also, es wäre rein theoretisch möglich, dass jemand, der geimpft wurde, zwar selbst nicht mehr krank geworden ist, aber irgendwie das Virus noch ausscheidet. Sodass wir nicht genau wis- sen, wie stark quasi die Impfung dann die Epi- demie dämpft. Weil es kann sein, dass die Menschen weniger krank werden, aber es trotzdem noch eine Weiterverbreitung gibt. Das ist ein theoretisches Risiko. Das wird von verschiedenen Fachleuten, auch dem Vorsit- zenden der Ständigen Impfkommission in den Raum gestellt. Hat ein Kollege von der Har- vard-Universität vor einigen Wochen schon mal in einem Artikel sehr prominent bespro- chen. Ich selber glaube, dass das extrem un- wahrscheinlich ist. Da malt man sehr den Teu-

fel an die Wand, wenn man sagt, die Leute werden zwar nicht mehr krank, aber sie kön- nen eventuell das Virus weitergeben. Das hie- ße ja, dass das Virus sich irgendwie auf der Schleimhaut vermehrt, abgegeben werden kann, aber trotzdem keine großen Symptome macht. Das halte ich für eine theoretische Dis- kussion. Aber die ganze Welt spricht über diese Möglichkeit. Und deshalb wissen wir formal noch nicht genau, ob wir mit diesen Impfstof- fen tatsächlich die Epidemie dann unterbre- chen können.

[0:12:59] Jan Krüger Das ist also alles etwas, was wir noch sehen müssen. Was ja durchaus beeindruckend sind, erst mal auf den ersten Blick. Das sind die Zah- len. In welchem Umfang da die Impfdosen von der EU-Kommission schon bestellt worden sind. Bei Biontech sind es 300 Millionen Dosen. Bei Moderna waren es 160 Millionen Dosen. Aber wie lange dauert es noch, bis die alle zur Verfügung stehen?

[0:13:22] Alexander Kekulé Das wüsste ich auch gerne. Es ist auf jeden Fall so, dass wir hier in Europa mal davon ausgehen können, dass nur der Pfizer-Biontech-Impfstoff zur Verfügung steht. Moderna muss man sa- gen. Zum Vergleich noch mal was das über- haupt für Firmen sind. Das ist eine kleine But- ze, wie man sagen würde, bis vor kurzem ge- wesen sind. Biotech-Firma ist eine von vielen, die in der Nähe von Boston im Zusammenhang mit den dortigen Universitäten gegründet wurde und die eben diese Methode hat. Die dann sehr, sehr viel Geld bekommen hat von der Operation Warp Speed in den USA, diesem Förderprogramm für Impfstoffe, insbesondere um das zu entwickeln. Und hat das also ganz toll geschafft, das auf die Beine zu stellen. Aber das ist eine Firma, die tatsächlich hier ange- wiesen ist auf Contracters, also auf Leute, mit denen sie Verträge gemacht haben, die dann die Herstellung machen, die Distribution ma- chen, die Qualitätskontrolle machen und all das. Und das ist schon eine enorme Leistung für Leute, die so etwas noch nie gemacht ha- ben und wohl auch im Management nur teil- weise Erfahrung damit haben. Das heißt, hier

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ist ein ganzes Netzwerk sozusagen, was am Laufen sein muss, damit das Ergebnis raus- kommt. Und ja, die haben natürlich mehrere Fabriken in den USA, mit denen sie das jetzt zusammen machen. Das ist eine Firma, die liegt eigentlich in der Schweiz, die macht das als Service für Moderna. Und die hat eine rie- sen Einrichtungen in Boulder Colorado, wo dann der Hauptstadt dieser Herstellung des Impfstoffs passieren soll. Das heißt aber letzt- lich wird der Moderna-Impfstoff, ist meine Vermutung, wird in den USA erstmals zur Ver- fügung stehen. Und dieses Jahr werden wir da höchstwahrscheinlich nichts bekommen. Dann der andere eben. Pfizer-Biontech. Da ist es so. Die haben ja eben, weil Biontech in Deutsch- land insgesamt zwei Werke hat. Die haben in Mainz, da ist die zentrale Niederlassung, vor kurzem auch in Marburg was gekauft. Da weiß niemand genau, wann die am Start sind hier. Pfizer hat auch noch eine Fabrik in Belgien, die die eher traditionell haben. Damit sind es dann drei in Europa. Und die sollen den europäi- schen Markt bedienen. Wie weit die in der Herstellung sind. Also ob die im Prozess schon so weit sind, dass da wirklich überhaupt was in großer Menge produziert werden kann, so in Millionen-Maßstab. Das ist bisher nicht be- kannt gewesen. Man kann nur dazu sagen die- se Scaling up, wie man das in der Pharmain- dustrie nennt. Also quasi vom Labormaßstab über den Maßstab, den man braucht, um so eine klinische Studie mit ein paar zigtausenden Leuten zu bedienen. Bis hin zu dem Maßstab, dass man Millionen und Milliarden von Dosen herstellt ... Das ist eine eigene Wissenschaft für sich. Das ist wahnsinnig kompliziert. Da braucht man Experten für. Da kann viel schief- gehen auf der Strecke. Und in den USA hat sich Pfizer dazu entschieden, von seinen insgesamt vier Fabriken, die sie da haben, drei dafür ein- zusetzen. Dass ist dann so, dass der erste Schritt bei dieser Messenger RNA Produktion. Da braucht man ja immer eine DNA-Vorlage. Die wird dann kopiert und aus der Kopie .... Diese Kopie ist dann der eigentliche Impfstoff. Das teilen die so ganz witzig auf. Die fangen erst mal an mit ihrer Fabrik in St. Louis, in Mis- souri machen die das erste Produkt, diese line- are DNA. Dann verfrachten sie alles weiter nach Endeavour. Das ist nördlich von Boston in Massachusetts. Sie machen da diese Messen-

ger-RNA, den eigentlichen Impfstoff, die aktive Substanz daraus. Und dann wird es wieder nach Michigan transportiert. Irgendwo zu den Großen Seen im Mittleren Westen. Da wird es dann in diese Mini-Lipid-Partikels verpackt, in diese kleinen Fett-Bläschen und dann in Am- pullen abgefüllt, sterilisiert und versandt. Das heißt, sie haben sich so eine Art Fließbandprin- zip ihrer großen Fabriken in USA überlegt. Wie das in Deutschland und Belgien dann funktio- nieren soll, ist völlig unbekannter. Da bis jetzt nichts da. Und ich habe keine Ahnung, ob die Impfstoffe, die hier für Deutschland angekün- digt werden von unseren Politikern. Ob die tatsächlich made in Europa sein werden oder ob die vielleicht aus den USA importiert wer- den. Das müsste man dort mal nachfragen.

[0:17:37] Jan Krüger Sie haben ja schon viel davon geredet, dass Pfizer für diese ganze Entwicklungen in den USA verantwortlich ist. Welchen Anteil hat dann Biontech gerade im Hinblick darauf, dass das eben der europäische Teil dieser Zusam- menarbeit ist?

[0:17:51] Alexander Kekulé Biontech hat es eigentlich entwickelt. Also die haben ja überhaupt das Prinzip entwickelt. Es sind, wenn man so will, die Erfinder. Nicht des grundsätzlichen Impfprinzips, aber dieses kon- kreten Impfstoffs. Und Pfizer ist letztlich der sehr starke Partner. Das war eine der schlaus- ten Entscheidungen dort von dem Ugur Sahin. Das ist ja der Chef von Biontech. Dass der ... Das ist ja inzwischen allgemein bekannt. ... den Albert Bourla, den Pfizer-Chef, frühzeitig ange- rufen hat und gesagt: Lass uns was zusammen machen. Alle die, die da später dran waren und nicht so einen Riesen wie Pfizer im Rücken haben. Die haben es natürlich in der jetzigen Phase ein bisschen schwerer. Das muss man ganz klar sagen. Und trotzdem ist eben dann umgekehrt für uns die Frage, wieviel Produkti- on macht Pfizer-Biontech dann am Schluss in Europa? Weil der Erfindungsteil ist sozusagen erledigt. Da kann man einen Haken dahinter machen. Die klinischen Studien sind zumindest als Pre-Marketing, also bis die Zulassung kommt, auch abgeschlossen. Da gibt es dann

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weitere Studien, die später laufen. Aber das wird Biontech nicht selber machen. Und der Hersteller hatte gesagt, dass sie bis Jahresende 50 Millionen herstellen wollen. Weltweit 50 Millionen Dosen. Heißt, das genügt für 25 Mil- lionen Personen. In den USA wird kontinuier- lich gesagt, dass etwa 20 Millionen Dosen nach Amerika gehen. Sogar 25 liest man zum Teil. Das heißt, die andere Hälfte wäre für den Rest der Welt. Und da sind da eben viele, die schon Verträge geschlossen haben. Ich habe es glau- be ich schon mal gesagt zum Beispiel das Ver- einigte Königreich hat Verträge. Japan, Kanada, die haben einzelne Verträge. Und dann kam die EU mit ihrer Unterschrift. Sodass ich jetzt mal davon ausgehen. Naja, wenn wir raten müsste, würde man sagen, also mehr als 20-bis 30 Millionen Dosen haben wir auf keinen Fall in der EU in diesem Jahr. Eher darunter. Und das heißt. Es wird hier eher, wenn man es dann wieder runterbricht auf Europa und dann auch den Anteil abzieht, den die EU ja versprochen hat, der COVAX-Initiative. Das soll weltweit 20 Prozent an die Entwicklungsländer gehen. Da bleibt dann nicht mehr so viel übrig, was wir in Deutschland machen. Trotzdem wird es natür- lich eine wichtige Maßnahme für die Alten- heime sein, weil wird dort ganz gezielt ältere Menschen in besonders hohes Risiko haben. Und die erstmal schützen können.

[0:20:14] Jan Krüger Sie haben eben schon den Ball so ein bisschen weitergegeben. Natürlich an die handelnde Politik. Wenn es dann um die Frage geht, wie dieser Impfstoff dann verteilt wird. Der Bun- desgesundheitsminister Jens Spahn hat sich heute dazu geäußert. Er rechnet damit, dass es im Januar mit Impfungen losgeht und auch über den weiteren Verlauf hat er ein bisschen einen Einblick gewährt im Interview mit dem Deutschlandfunk.

[0:20:35] Jens Spahn Wir werden zu Beginn ja vor allem in den Impf- zentren und mit mobilen Teams auch impfen müssen. Deswegen, weil wir erstens priorisie- ren müssen. Wir haben am Anfang nicht für alle gleichzeitig einen Impfstoff. Und weil ins- besondere bei Biontech bei minus 70 Grad be-

sondere Anforderungen an die Logistik, an die Lagerung kommen. Da ist mein Ziel gleichwohl. Wenn Zug um Zug weitere Impfstoffe kommen, die auch von der Lagerung und der Menge her geeignet sind für die Arztpraxen. Das wir dann ab Frühjahr, Frühsommer auch in den Arztpra- xen impfen. Die Ärzte unter Stress. Aber schaf- fen es alle in den Praxen, über 20 Millionen Menschen Grippe zu impfen. Das heißt also, wenn es einmal da drin ist im normalen System sozusagen, dann schaffen wir auch große Zah- len. Und da wollen wir dann auch Richtung Frühsommer hin.

[0:21:20] Jan Krüger Sagt der Bundesgesundheitsminister. Der 2. Teil lässt fast noch ein bisschen mehr aufhor- chen, als die Impfzentren, von denen er zu Beginn spricht. Nämlich die Verteidigung der Arztpraxen, die er so gleichsetzt mit der Grip- peschutzimpfung, die parallel immer noch in manchen Praxen stattfinde. Ist dieser Vergleich tauglich?

[0:21:37] Alexander Kekulé Naja, es ist eine andere Jahreszeit. Wenn er sagt Frühsommer. Da muss man daran erin- nern, dass der Sommer am 20. Juni beginnt. Also Frühsommer wäre dann die 2. Junihälfte von der er gesprochen hat. Das passt natürlich im Blick des Beobachters nicht so unbedingt dazu, dass überall in Deutschland diese riesi- gen Impfzentren hochgezogen werden. Wo jeweils mehrere Tausend Personen am Tag geimpft werden sollen. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das funktionieren wird. Weil es ist ja ganz klar, man sagt, die Risikogruppen zu- erst. Aus meiner Sicht wäre da die allererste Priorität ... Das hat der Minister aber auch in einem Nebensatz gesagt. Dass es mobile Ein- satzgruppen gibt, die in die Altersheime fah- ren. Wo wir einfach wissen, alt sein Plus im Altersheim ist das höchste Risiko, was man überhaupt haben kann. Und noch mal zur Er- innerung. Wir haben in Deutschland nach wie vor ... Aktueller Stand von RKI-Bericht gestern. ... weiterhin massive Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Das heißt, da müssen wir ran. Da müssen wir ans Personal ran. Da müssen wir vor allem die Insassen ... Und da sehe ich

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jetzt nicht, wie die alle im Rollstuhl in diese Impfzentren gefahren werden. Sondern ich würde wirklich sagen, das sollen die mobilen Einsatz-Truppen dort machen, wenn man die mal so nennen darf. Da kann dann das nächste, was geplant ist. Das tatsächlich Personen an- geschrieben werden sollen, die dann, aus wel- chen Gründen auch immer, zu diesen Zuerst- zu-Impfenden gehören. Also dann stelle ich mir vor, dass zum Beispiel medizinisches Personal angeschrieben wird. Da ist überhaupt nicht transparent bisher, wer diese Briefe schreibt, wie das ausgesucht wird, wer dazugehört. Wie ist es zum Beispiel bei jemandem wie mir? Ich bin ja hauptsächlich im Labor tätig. Ich muss nur relativ selten auf die Station und da Visiten mitmachen. Bin ich dann sozusagen schon jemand, den man anschreiben würde? Oder würde man überhaupt alle Ärzte anschreiben? Alle Pfleger, alles Pflegepersonal. Dafür wird der Impfstoff auf keinen Fall reichen. Und wenn man aber umgekehrt nur die Leute auf den Intensivstationen impft, die tatsächlich Patienten mit Covid-19 behandeln bzw. Pfleger impft, die im Altenheim pflegen. Dann weiß ich nicht genau, ob das sinnvoll ist, solche Zentren dafür einzurichten. Weil das Personal im Kran- kenhaus. Das ist ja das Einfachste von der Welt, den zum Betriebsarzt einzubestellen, der ja im Krankenhaus vorhanden ist. Und auch bei den Pflegeheimen gibt es üblicherweise eine gesundheitliche Überwachung der Bedienste- ten. Die müssen aus verschiedenen Gründen natürlich überwacht werden. Das ist ja ganz klar. Und über diesen Weg könnte man die natürlich auch impfen, statt die da irgendwo antreten zu lassen bei Schneesturm in irgend- einem Zelt, was vor der Stadt aufgebaut wur- de. Daher verstehe ich noch nicht ganz, wie es funktionieren soll. Aber ich gehe davon aus, dass wir definitiv die Sterblichkeit wahrschein- lich ab Januar-Februar schon senken werden, weil es einfach weniger Todesfälle gibt. Dadurch, dass die Hochrisikopatienten dann hoffentlich langsam durchimmunisiert werden. Und alle anderen, das wird einfach noch eine Weile dauern. Da müssen wir uns in Geduld üben. Und natürlich auch, weil wir nicht wirk- lich wissen, ob es dann weiter infektiös ist und auch politisch das nicht unterscheiden können. Wir müssen alle weiter die Maske tragen und weiter diese Schutzmaßnahmen ergreifen,

auch wenn ein Teil der Bevölkerung geimpft ist. Das wird dann besonders interessant, wie man das kommuniziert, wenn sich dann viel- leicht der eine oder andere Corona-Gegner heimlich hat impfen lassen. Und dann sagt er jetzt will ich nur, er will wirklich keine Maske mehr aufsetzen. Das ist dann besonders inte- ressant, wenn man so eine heterogene Popula- tion hat. Ein Teil ist geimpft und sagt, ich habe es aber doch schon gehabt. Die Dritten wollen sowieso keine Masken aufziehen. Aber alle miteinander müssen sich weiterhin schützen. Das wird dann noch sportlich, und ich hoffe, dass der Sommer uns dann rettet.

[0:25:27] Jan Krüger Was Corona-Gegner jetzt tatsächlich geplant haben, da habe ich jetzt noch mit keinem ge- sprochen. Ich habe mit meiner Frau gespro- chen. Die ist Ärztin. Da sind zwei Vorbehalte spürbar. Das eine ist: Wer drängelt sich jetzt sozusagen aus der Ärzteschaft wirklich darum, diesen Impfstoff als erster zu bekommen. Sie hatten ja auch schon ein gewisser Reservie- rungen vorgetragen nach einer der letzten Folgen. Und die andere ist, wer sind wiederum diejenigen Ärzte, die den Impfstoff verabrei- chen?

[0:25:57] Alexander Kekulé Ja, das sind zwei verschiedene Sachen. Also erstens habe ich, das muss ich vielleicht noch einmal richtig stellen. Ich habe natürlich ge- sagt, ich will nicht unter den ersten 100.000 sein. Einfach, wenn Sie eine Nebenwirkung 1: 10.000 haben. Dann haben Sie bei 100.000 das noch nicht festgestellt, ob die Nebenwirkung auftritt oder nicht. Ich habe aber auch kein ... Und das ist vielleicht ganz wichtig für die Hö- rer, sich das auch selber mal zu überlegen. Ich habe einfach auch kein Risikoprofil. Also, da muss jeder selber wissen, was ist schlimmer. Oder, wo gehe ich das größere Risiko ein? Kann ich mich in meinem Alltag vor Covid-19 gut schützen, wenn man einen Beruf hat, wo man sagt, das kann ich machen. In meinem Fall ist es so, dass ich persönlich sowieso seit Feb- ruar maximale Sicherheitsmaßnahmen ergreife mit meiner ganzen Familie. Wenn man sagt, das mache ich jetzt noch zwei Monate länger,

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dann muss man sich auch nicht in der Schlange vordringen. Wenn man sagt ich bin Risikopati- ent, weil ich vielleicht irgendwelche Grunder- krankungen habe oder aufgrund des Alters oder, was aus meiner Sicht genauso wichtig sein kann, ich kann mich einfach nicht perfekt schützen, weil ich als Pfleger im Krankenhaus vielleicht unmittelbar mit Risikopatienten oder mit Personen, die infiziert sein könnten, zu tun habe. Dann ist natürlich die Entscheidung ganz klar. Da muss man versuchen, so früh wie mög- lich den Impfstoff zu bekommen.

Ich höre dann manchmal von Wissenschafts- journalisten. Die sagen dann in irgendwelche Kameras, ja, ich würde auf jeden Fall versu- chen, mich zuerst impfen zu lassen. Da bin ich jetzt eher der Meinung, dass man denen den Vortritt lassen sollte, die jetzt tatsächlich die genannten Risikogruppen sind.

Wer macht die Impfung? Ja, das ist die große Frage. Wer es in diesen Impfzentren macht? Da gibt es natürlich schon Aufrufe. Und es wurden auch schon ... Es haben sich auch schon ganz viele Ärzte gemeldet, bereiterklärt, in diesen Impfzentren da mitzuwirken. Klar ist, dass auch dort natürlich irgendwie das von Ärzten gemacht werden muss. Und die fehlen dann unter Umständen in den Praxen oder im Krankenhaus. Ich habe auch schon Berichte gehört von Krankenhäusern. Die haben also einen Impfzentrum aufgezogen. Und dann hat er Leiter dort aber gesagt, jetzt haben wir das Impfzentrum. Aber wer da impfen wird, wissen wir nicht genau, weil wir unser Personal ei- gentlich dringend an anderer Stelle brauchen. Ich glaube aber insgesamt ... Das wird natürlich irgendwie eine improvisierte Aktion ... Da wer- den wir die Kühlschränke beibringen müssen. Dann müssen wir dieses Trockeneis irgendwie haben. Da wird auch viel mal schiefgehen und vielleicht in dem einen oder anderen Impfzent- rum mittags um zwei Schluss sein, weil plötz- lich keinen Arzt mehr da ist. Aber insgesamt glaube ich, kriegen wir das in Deutschland her- vorragend hin. Das ist ja eine leichte Übung. Und da hat der Bundesgesundheitsminister was Wichtiges gesagt. Jedes Jahr werden um die 20 Millionen Menschen gegen Grippe ge- impft. Wenn wir dieses Jahr 40 Millionen ge- gen Covid-19 impfen, dann sind wir schon weit

im grünen Bereich für die Pandemiebekämp- fung. Natürlich haben wir dann noch nicht diese formale mathematisch-theoretische Herden-Immunität. Dafür bräuchten wir Zwei- drittel Immunisierte. Aber wenn die Hälfte der Bevölkerung ungefähr geimpft wäre. Dann ist das Virus schachmatt. Das kriegen wir hin. Ja, das wird bis zum nächsten Sommer. Der einzi- ge Faktor, den ich sehe. Wo wir wirklich uns auf Überraschungen gefasst machen müssen, ist, dass wir nicht wissen, wie schnell die Her- steller nachkommen. Es gab gerade bei Impf- stoffen immer wieder in den letzten Jahren auch Engpässe. Bei denen, die die Kinder ja bekommen, regelmäßig. Dass dann plötzlich ein Hersteller ausgefallen ist, in einer Fabrik hat was nicht funktioniert, die Chargen waren nicht steril. Dann gab es plötzlich wirklich einen weltweiten Impfstoffmangel. Und hier ist es natürlich auch möglich. Aber wenn man sich bei diesem Produktionsprozess ... Ich hab's ja vorher mal kurz vorstellt. Da werden also Milli- onen von Dosen in so einer Fabrik hergestellt. Und da muss jetzt zum Beispiel diese RNA, die da hergestellt wird als Impfstoff. Die muss von dem Zwischenprodukt DNA, was man eben unterwegs mal hat und von diversen Proteinen aufgereinigt werden. Da gibt es Reinigungs- schritte zwischendurch. In diesen Reinigungs- anlagen. Das sind meistens so chromatografi- sche Säulen, durch die man das laufen lässt. Also so quasi eine Art Riesenfilter. Da kann einfach mal was schiefgehen. Da leuchtet eine rote Lampe auf. Da muss die Apparatur abge- schaltet werden. Es dauert eine Woche, bis man sie wieder richtig gestartet hat. Und in der Zeit wird nichts produziert. Darauf müssen wir uns einfach einstellen und ein bisschen Geduld haben. Wenn das wie am Schnürchen klappt sowie die Entwicklung des Impfstoffs. Dann hat die Welt wirklich etwas ganz Großartiges ge- leistet. Aber gerade bei Moderna, was ja auch auf so ein Netzwerk angewiesen ist. Da würde ich sagen, das wäre fast ein Wunder, wenn da nicht irgendwo an der einen oder anderen Stelle mal was quietscht.

[0:30:45] Jan Krüger Nehmen wir mal an auf. Mehr als gequietscht hat es bei einem anderen potenziellen Impf- stoffhersteller, nämlich bei AstraZeneca. Auch

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die hatten ja in den letzten Wochen ihre Studie vorgelegt, mit einer gut 70-prozentigen Wirk- samkeit. Im Hinterkopf behalten habe ich na- türlich noch, das ist ein anderer Impfstoff, nicht diese RNA Basis. Nun musste AstraZene- ca zu geben. Da gab es einen mittelschweren Rechenfehler bei dieser Studie. Den möchte ich jetzt gerne nochmal genau mit Ihnen auf- dröseln. Was genau haben die da falsch ge- macht?

[0:31:15] Alexander Kekulé Ja, das hat mich ziemlich frustriert. Wie es gelaufen ist und auch, was passiert ist. Erstens das muss man vorwegschicken, dass ist tech- nisch gesehen, ein anderer Impfstoff in soge- nannter Vektor-Impfstoff. Der hat ein anderes Risikoprofil. Da muss man vielleicht noch einen Ticken genauer auf die Nebenwirkungen schauen. Leider ist die Studie von AstraZeneca ja auch mal angehalten worden. Zwischen- durch, weil man eine Nebenwirkung hat, die man nicht einordnen konnte und ist aber dann wieder gestartet. So dass AstraZeneca einfach ein bisschen hinterher war hinter den Wett- bewerbern, die wir gerade besprochen haben. Und offensichtlich haben sie sich da besonders bemüßigt gefühlt, als dann die Erfolgsmeldun- gen kamen, eben von Biontech und Moderna. Dann zu sagen, wir sind aber auch so weit. Und haben dann letzte Woche Montag bekanntge- geben, dass sie eine 70- prozentige Wirkung haben. Das haben Sie gerade schon gesagt. Das wurde aber folgendermaßen zusammenge- rechnet. Das hat man dort auch gesagt. Ein Teil der Studienteilnehmer hatte eine 90- prozentige Wirkung bei einer anderen Dosie- rung. Und kam bei einer etwas schlechter funktionierenden Dosierung waren es 62 Pro- zent. Und daraus haben die, das ist so weit okay. Sie haben einen statistischen Mittelwert von 70 gemacht. Es ist nur so, dass dann nach und nach rauskam, das da das folgendermaßen war. Die, wo es besser gewirkt hat, die haben zuerst eine halbe Dosis bekommen und einen Monat später die volle Dosis. Und die, die, wo es schlechter gewirkt hat. Die haben zweimal eine volle Dosis bekommen. Das heißt also weniger hilft hier mehr. Das käme sonst nur aus der Homöopathie. Und da haben natürlich die ganzen Fachleute gesagt, was soll denn das

jetzt? AstraZeneca hat es zuerst gar nicht er- klärt. Und erst am nächsten oder übernächsten Tag kam raus, dass sich echt krass jemand ver- rechnet hatte bei dem Zusammenmixen der Ampullen für diese Studie. Da sag ich jetzt mal, also mir gefällt es gar nicht, wenn sich bei ei- nem großen Pharmakonzern Leute verrechnen und dann die falsche Konzentration in der Am- pulle ist. Wie auch immer. Zum Glück war es nicht zu viel, sondern zu wenig in dem Fall. Und dann aber auch noch, das zu verschwei- gen, um nicht zu sagen zu verheimlichen, das war schon mal ziemlich krass. Dann hat dann erst nochmal einen Tag später der Chef von dieser Operation Warp Speed in den USA. Der heißt Moncef Slaoui, das ist quasi ein unab- hängiger Beobachter der Angelegenheit. Der hat dann damit rausgerückt, dass er gehört hat, dass bei der besser wirksamen Dosis, wo es angeblich 90 Prozent wirksam war, also genauso gut wie die Konkurrenz ungefähr. Da waren keine Leute über 50 dabei. Also, das wurde an Menschen bis zu 50 Jahren gemacht. Und die entscheidende Altersgruppe sind na- türlich die Alten, wo wir wissen wollen, ob es da auch wirkt. Das heißt also, auch das hatte AstraZeneca und Oxford, das ist ja mit der Uni- versity of Oxford gemeinsam, muss man sagen unterschlagen, einfach diese Information. Und wenn man dann auf die harten Zahlen guckt, sieht es auch nicht so toll aus. Nämlich diese 0,5 plus 1 Dosierung, also diese Optimale, wie sie das nennen, mit der angeblichen 90- prozentigen Wirksamkeit. Das haben etwas weniger als 2800 Probanden gekriegt. Wir ha- ben jetzt vorhin die Zahlen bei den anderen gehört. Also 2800 ist echt wenig. Und da ist dann auch noch rausgekommen, dass es hier ... Das für diese Zahlen gepoolt wurde, also zu- sammengelegt wurden: Studien, die in Groß- britannien und in Brasilien gemacht wurden. Das ist soweit normal, dass man mehrere Stu- dienzentren hatte. Aber dann kam eben raus, dass die unterschiedliche Studienprotokolle hatten. Also in Brasilien und dem Vereinigten Königreich wurden nicht exakt die gleichen Studienprotokolle verwendet. Und das ist ei- gentlich extrem unüblich, um es mal vorsichtig zu sagen. Weil wenn man so Mittelwerte macht. Auch diesen Mittelwert aus den 62 und 90. Für die, die jetzt damit rechnen und sagen, der Mittelwert ist doch gar nicht 70. Das liegt

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an der Zahl der Teilnehmer. Bei den 62 Prozent waren es mehr Teilnehmer. Und deshalb kommt dann tatsächlich der richtige Wert bei 70. Das ist so etwas, das kann man schon mal machen. Aber dann müssen exakt die Protokol- le und die Bedingungen gleich sein. Sie können ja nicht sagen, ich vergleiche jetzt mal das Ein- kommen von Bankern und Leuten, die Lehrern und sage, der Mittelwert ist so und so. Son- dern der Mittelwert hat dann keine Aussage- kraft, wenn man verschiedene Populationen vergleicht. Und hier ist es bei den Studien auch so. Und dann haben die Leute natürlich gesagt: Nein, das stinkt alles zum Himmel. So geht es nicht. Und erst nach der öffentlichen Kritik, auch von vielen meiner Kollegen in den USA. In Deutschland komischerweise hat sich keiner so recht gerührt. Da haben die jetzt angekündigt, dass sie die Studie erweitern wollen bzw. noch eine weitere Studie mit dieser angeblich opti- malen Dosierung machen wollen. Ich habe so ein bisschen Angst. Das ist ja ein britisches ... Nationalstolz ist hier getroffen. University of Oxford. Es gingen Gerüchte um, dass das Dow- ning Street Ten, also der Regierungssitz des Premierministers in London, dass die schon dafür plädiert haben, dass der Union Jack, also die britische Nationalflagge, auf die Ampullen gedruckt wird. Kein Witz. Das war das war wohl. Die Absicht. Haben uns mehrere Zeitun- gen bestätigt. Und jetzt ist es ja so. Wir alle wissen, dass das Vereinigte Königreich zum 31.12. aus der EU austritt. Und die haben die Möglichkeit, bei besonderen gesundheitlichen Notlagen eine Sonder-Zulassung zu machen, die dann nur für UK gilt. Das könnten sie ab sofort machen. Und so ein bisschen besteht jetzt die Befürchtung, dass jetzt Boris Johnson, der ja auch auf der Suche nach Erfolgen ist, der britische Premier. Dass der jetzt eine britische Sonderzulassung macht für diese nationale Großleistung und dadurch im Grunde genom- men AstraZeneca hier bisschen aus der Pflicht lässt. Ich finde, man muss denen jetzt wirklich sagen. Passt mal auf Leute, ihr müsst, wenn ihr diese 90 Prozent Wirksamkeit in den Raum stellt, müsst ihr einfach auch eine weitere Stu- die machen. Und das wird schwierig, weil na- türlich keiner bei so einer echten, kontrollier- ten Studie jetzt Placebo haben will. Wenn es, wenn was zugelassen ist.

[0:37:21] Jan Krüger Würden Sie im Nachhinein sagen, da hat ein großes Pharmaunternehmen einfach so gear- beitet wie jetzt die Biochemie AG an der Schu- le um die Ecke. Oder ist da irgendwie schlech- ter Absicht dahinter?

[0:37:32] Alexander Kekulé Nein, schlechte Absicht nicht. So krass ist es nicht. Es ist so. Man muss dazu sagen, Astra- Zeneca ist ja kein Profi bei der Impfstoffher- stellung. Also, die machen das nicht so. Da ist keiner so der Big Player in dem Bereich. Und die haben sich zusammengetan mit dem Jen- ner Institut, was zur Oxford University gehört. Adrian Hill ist dort ein sehr eloquenter, super- intelligenter, aber genauso ehrgeiziger Mann, der das Projekt leitet. Und die sind halt einfach beseelt gewesen davon, dass sie hier so ein tolles Produkt haben. Die wurden auch, muss man zur Erinnerung sagen, am Anfang ge- hyped. Also in der Historie war es so, dass die- ser Oxford-Impfstoff eigentlich immer als gro- ße Nummer eins gehandelt wurde. Der hat übrigens auch Vorteile. Erstens wird so ein Impfstoff schneller sehr großer Menge produ- ziert, weil das ja quasi ein Virus ist, was sich vermehrt in der in der Zellkultur, um diesen Impfstoff herzustellen. Das geht schneller. Und zweitens ist es viel billiger als diese RNA- Impfstoffe. Das heißt also, wahrscheinlich kos- tet er nur ein paar Dollar pro Schuss und ist damit höchstens ein Fünftel so teuer wie die Konkurrenz. Und es ist auch so, dass man den tatsächlich ziemlich lange im Kühlschrank la- gern kann. Also mehrere Wochen auf jeden Fall. Und das ist für die Entwicklungsländer wichtig. Jetzt hab ich so ein bisschen die Be- fürchtung, dass es dann so eine zweigeteilte Welt wieder geben wird. Also hier in Europa. Wenn Sie die Wahl haben, wollen Sie jetzt was haben, was 62 Prozent wirkt oder was, was 95 Prozent wirkt. Da ist die Antwort einfach. Und dann wissen wir auch alle, dass es diese Kon- flikte gab oder diese dicken Fragezeichen bei AstraZeneca. Das heißt, sie produzieren eigent- lich jetzt vielleicht fürs Großbritannien, aber eben dann letztlich für die Dritte Welt, für die noch nicht so weit entwickelten Länder. Und das ist eigentlich schade, wenn man dann sagt,

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ihr kriegt das, was zu 60 Prozent wirkt. Und wir nehmen das, was 95 Prozent wirkt. Es hängt natürlich auch mit der Lagerung im Kühl- schrank zusammen und den Preis. Aber ich glaube, so eine Entwicklung wäre traurig, wenn es in diese Richtung gehen würde.

[0:39:31] Jan Krüger Nun haben wir viel über den Impfstoff gespro- chen, natürlich heraus guten aktuellen grün- den oder auch aus schlechten Gründen wie im Fall von AstraZeneca. Was so ein bisschen in den letzten Wochen unter dem Radar läuft, neben der Impfstoffentwicklung, ist die Be- handlung der Krankheit Covid-19 selber. Da wurde in den letzten Monaten immer auch mal wieder Hoffnung gelegt in die Therapie mit Rekonvaleszenten-Plasma, sprich Antikörper aus dem Blut von jemandem, der Corona über- standen hat. Das geht an jemanden, der jetzt erkrankt ist. Und da gibt es nun eine neue Stu- die aus Argentinien, die bei einem Vergleich zwischen einer Gruppe oder einer Kontroll- gruppe, sagt man ja, glaube ich, und einer Pla- cebo-Gruppe, da keinen signifikanten Unter- schied festgemacht hat. Was heißt das nun für diese Hoffnung?

[0:40:17] Alexander Kekulé Ja, dieses Convaleszenten-Plasma. Das ist ei- gentlich eine Sache, auf die ich auch einmal stand. Ich finde, das ist so naheliegend. Das hat man ja schon bei der Pest gemacht, nicht im Mittelalter sondern dann in der Neuzeit. Da gab es auch noch Pest. Dass man Blut genom- men hat von Menschen, die wieder gesund geworden waren und dann das infundiert hat in Personen, die aktuell krank waren. Weil man gesagt hat, da muss irgendetwas drinnen sein. Heute würde man sagen Antikörper, was schützt und heilt. Das ist so frustrierend. Das funktioniert praktisch nie. Wir haben das bei Ebola versucht und in tausend anderen Situati- onen. Hier ist es ein weiterer Versuch, wo viele daran geglaubt haben, auch in Deutschland. Aber komischerweise, wenn man jemanden, der gesund ist, der massenweise Antikörper gegen dieses Virus hat. Und wenn man dessen Plasma als Infusion jemanden gibt, der gerade akut krank ist. Hier noch einmal weiter bewie-

sen, ist es so, dass man keinen Unterschied sieht. Die haben in Buenos Aires gerade 228 Personen gehabt, diese behandelt haben, und da haben sie 105 Personen, ungefähr der Hälf- te, ein Placebo gegeben, um das zu verglei- chen. Das nennt man dann eben kontrollierte Studien. Und da ist rausgekommen kein Unter- schied.

Es gibt so eine ähnliche Studie, die gemacht wurde schon vor einiger Zeit. Eine kontrollierte Studie war in Indien. Da hat man auch unge- fähr 230 Personen behandelt und genauso viele mit Placebo. Das ist im Oktober veröffent- licht worden. Da war auch kein Unterschied zu sehen.

Und es gibt zwei größere, wie wir sagen: Be- obachtungsstudien. Also, die nicht von vornhe- rein kontrolliert werden. Nach dem Motto: Du kriegst Placebo. Du kriegst den echten Wirk- stoff. Sondern wo man einfach anschaut, wie therapiert wurde und versucht, statistisch aus- zuwerten. Gab es da irgendeinen Unterschied? Je nachdem zum Beispiel, wie viele Antikörper vorhanden waren in diesem Plasma. Das ist individuell unterschiedlich. Der eine hat mehr, der andere weniger. Und auch bei diesen vor- herigen sogenannten Beobachtungsstudien mit vielen tausend Teilnehmern ist nichts raus- gekommen. Sodass wir eigentlich sagen müs- sen, unterm Strich super tolle Idee. Ich war wahrscheinlich nicht der einzige, der dran ge- glaubt hat. Aber irgendwie. Aus Gründen, die wir nicht kennen, funktioniert es nicht. Wenn man jemanden der Covid19 hat, das Plasma von jemandem infundiert, auch wenn da noch so viele Antikörper drinnen sind von einem Geheilten, dann wird er nicht schneller gesund. Und auch die Sterblichkeit ist genau die glei- che.

[0:42:45] Jan Krüger Das heißt, Ihre Hoffnung ist jetzt ganz weg. Es gibt ja auch noch Studien dazu, die in Deutsch- land laufen. Oder sagen Sie jetzt mal beobach- ten, was da rauskommt.

[0:42:54] Alexander Kekulé

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Also, ich muss sagen. Also ich kenne jetzt vier Studien: zwei Beobachtungsstudien und zwei kontrollierte Studien. Da ist jeweils der Effekt null. Ich sage mal ein Beispiel: Sterblichkeit bei der einen, die gemacht wurde. 10,96 Prozent mit der Behandlung gegen 11,43 Prozent beim Placebo. Das ist kein Unterschied. Und da sage ich, das lohnt sich eigentlich nicht mehr. Klar werden die Studien noch gemacht. Es gibt ja auch noch Studien mit Remdesivir weiterhin. Es gibt Studien massenweise mit Hydroxychlo- roquin, wo wir auch wissen, das wirkt nicht. Solche Studien werden abgeschlossen, weil es natürlich wichtig ist, die wissenschaftliche Evi- denz wirklich sauber zu haben für die Bücher und für die Ewigkeit. Aber ich würde jetzt sa- gen, das Instrumentarium der Intensivmedizin, um die Menschen zu retten. Und leider brau- chen wir das ja in Deutschland weiterhin. Die- ses Instrumentarium ist jetzt nicht durch diese Plasmatherapie bereichert worden.

[0:43:52] Jan Krüger Kommen wir zu den Hörer-Fragen. Da wirft so langsam tatsächlich Weihnachten seine Schat- ten voraus. Also die Politiker, die ja schon seit Wochen von Weihnachten gesprochen haben, haben da durchaus einen Nerv getroffen. Da geht es häufig um die Frage: Wie können wir richtig ein Weihnachtsfest abhalten? Die erste Mail dazu, die kommt von Herrn K. Der schreibt das folgendermaßen: „Ab und zu tref- fen wir ein Paar aus einem anderen Haushalt, aus Sicherheitsgründen immer in Decken ein- gepackt und mit Heiß-Getränk auf der über- dachten Terrasse. Nun hat uns etwas verunsi- chert. Ist das überhaupt so sicher? Wenn man sich in der derzeitigen Wetterlage ähnlich kühl wie in einem Schlachtbetrieb draußen in 1,5 m Abstand ohne Maske trifft. Ist derzeit gegebe- nenfalls auch draußen eine Ansteckung mög- lich? Auch in Hinsicht auf Weihnachten? Die Frage, da wir uns auch so mit den Schwiegerel- tern treffen wollten. Da ist sicherlich noch die Erinnerung an den Ausbruch bei Tönnies da.

[0:44:45] Alexander Kekulé Da hat jemand gut mitgedacht. Also erstens muss man sagen, es ist so, dass es einfach bis heute keinen Cluster gibt oder keinen Super-

spreading-Ereignis mit Influenzaviren oder auch mit anderen Erkältungsviren oder aktuell mit diesem Covid19 im Sars-Cov-2-Virus. Da gibt kein Ereignis, wo einer es geschafft hat, so wie bei Tönnies in der Kühlkammer mehrere andere anzustecken. Deshalb bin ich sehr op- timistisch, dass diese Methode die da gewählt wurde. Ich hab was von 1,5 Meter Abstand auch noch gehört. Und dann auch noch im Freien. Dass das extrem sicher ist. Biologisch muss man dazu sagen: Es ist ja so, dass das sehr, sehr schnell, was man ausatmet, gerade in der kalten Luft draußen extrem schnell sich verdünnt. Das liegt auch an der Konvektion. Also erstens atmet man das aus. Es verteilt sich. Aber dann ist es ja bekanntlich so, dass warme Luft aufsteigt. Das heißt also, es kommt sofort zu einer Durchmischung, sodass ich nicht davon ausgehe, dass irgendwie eine in- fektiöse Wolke es schafft in hoher Konzentra- tion bis zum nächsten zu gehen. Daher würde ich sagen, erst einmal Entwarnung.

Andererseits ist es so. Der Gedanke ist natür- lich jetzt für einen Wissenschaftler. Die haben ja immer Spaß, sich Worst-Case-Szenarien zu überlegen. Ganz interessant dass man sagt: Ja, Kühlkammer. Moment mal, die Kälte könnte schon dem Virus irgendwie nutzen. Und es wäre ja nicht auszuschließen, dass je nachdem, wie gerade die Luftfeuchtigkeit in der Gegend ist. Dass man irgendwie Bedingungen schafft, die jetzt schon ähnlich sind wie eine Kühlkam- mer. Bei Tönnies zum Beispiel. Da würde ich sagen, das wäre mal eine echt nette Doktorar- beit das nachzuforschen. Da gibt es keine Da- ten darüber. Es ist einfach nicht bekannt. Das hat bisher keiner gemacht. Ich kann da noch einmal sagen, dass bis hier so das Paradigma ist, was wir alle haben. Von der Grippe noch, dass wir sagen, das Optimale für eine Virusver- breitung ist eine vor allem trockene Luft, weil man kleine Tröpfchen ausatmet. Und nach einem Ausatmen verdunstet die Feuchtigkeit. Wenn die Luft sehr trocken ist, also wenn die absolute Luftfeuchtigkeit ... Auf die kommt es an. Antrocknen, gering ist. Und dann hat man solche Infektions-Kerne oder Tröpfchenkerne sagen wir dazu, die dann besonders weit flie- gen können und noch ansteckend sind. So was bildet sich rein physikalisch theoretisch jetzt unter den Bedingungen im Freien eher nicht,

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sondern dass ist der Klassiker im geschlosse- nen Raum im Winter mit der trockenen Raum- luft. Aber bei Tönnies wissen wir nicht genau, wie trocken die Luft wirklich war. Und daher: Ja, das wäre mal eine interessante Untersu- chung. Aber bitte wegen so einer extrem hypo- thetischen Möglichkeit, die wissenschaftlich, akademisch interessant ist. Da würde ich jetzt nicht die Empfehlung ändern, weil die Epide- miologie eindeutig ist. Es gab bisher keine Aus- brüche unter diesen Bedingungen

[0:47:37] Jan Krüger Also eine ausführliche Antwort für Herrn K. und eine Anregung für alle, die demnächst an der Uni Halle-Wittenberg eine Doktorarbeit einreichen. Auch die 2. Frage die beschäftigt sich mit Weihnachten bzw. der Frage: Wie kann man Weihnachten sicher machen? Da hat uns der Anruf von Frau M. aus München er- reicht.

[0:47:55] Zuhörerin Es wird jetzt immer wieder gesagt wenn man an einen Schnelltest kommt und am 23.12. testet, dann wäre die Gefahr, seine Großeltern in den Weihnachtstagen anstecken, nicht mehr gegeben. Aber es ist doch wohl richtig, dass der Schnelltest nur für einige Stunden, höchs- tens zehn Stunden aussagekräftig ist und da- nach ebenfalls man frisch infiziert ist, sich dann doch das Virus repliziert und man wieder an- steckend ist. Ich meine, das sollte noch mal geradegerückt werden, denn ich höre, dass jetzt überall: Dass ein Test am 23. grünes Licht für Weihnachten gibt.

[0:48:35] Alexander Kekulé Die Schnelltests sind tatsächlich nicht so emp- findlich wie die PCR. Das hat Vorteile, weil man Leute nicht falsch positiv testet, die gar nicht mehr infektiös sind. Aber die Hörerin hat voll- kommen recht, der ich würde eigentlich emp- fehlen, wenn man es machen kann, den Schnelltest am gleichen Tag zu machen und so meine Empfehlung. Das werde ich natürlich öfters auch gefragt im professionellen Umfeld. Die heißt, dass man einem negativen PCR Test 48 Stunden vertrauen kann. Das entspricht

auch sehr genau den Empfehlungen des Ro- bert Koch-Instituts und dass man einem Anti- gen-Schnelltest am gleichen Tag vertrauen kann. Also wenn man da einmal drüber schläft, kann es tatsächlich sein, das am nächsten Tag dann jemand, der sich schon angesteckt hatte und vorher negativ war im Schnelltest, dass der dann positiv wird. Aber das Wichtigste ist ja eigentlich was anderes. Wir haben es ja hier nicht mit anonymen Personen zu tun, wie bei einer Sitzung in einem in dem Unternehmen oder so. Sondern wir wissen wirklich, das sind unsere Verwandten. Das sind Leute, die auch eine hohe Verantwortung für ihre Familienmit- glieder haben. Und deshalb ist das Verhalten vor Weihnachten das Entscheidende. Wenn ich mich die letzten sieben Tage, sage ich mal, vor dem 24.12. so verhalten habe, dass ich versu- che, wirklich Infektionsquellen zu meiden. Das heißt im schlimmsten Fall sogar, wenn ich zum Einkaufen mit FFP2-Maske gehe, wenn der Laden wirklich voll ist. Und wenn ich das Glei- che in der U-Bahn mache. Und wenn ich natür- lich keine Leute treffe, von denen ich weiß, dass sie Party-People sind und sich nicht an die Regeln halten. Dann würde ich sagen, das ist eigentlich die allerwichtigste Maßnahme, dann brauche ich schon fast keinen Schnelltest. Plus natürlich, dass jemand, der irgendetwas wie Symptome verspürt, zu dem Zeitpunkt oder kurz vorher. Dass der natürlich bitte nicht kommen soll. So tragisch das ist und so lecker dann das Weihnachtsessen sein mag, was man verpasst. Wer also Halsschmerzen am Morgen hat oder am Tag vorher irgendwie gehustet hat und geschnupft hat, der soll irgendwie lieber gar nicht kommen. Da würde ich mich dann vielleicht auch gar nicht mehr auf diesen Schnelltest verlassen. Wenn jemand Krank- heitssymptome zeigt, dann schlägt das sozusa- gen das negative Testergebnis. Und das heißt dann, zuhause bleiben und Weihnachten per Zoom feiern. Vielleicht kann man ja noch eine Keule von der Gans vorbeibringen bei dem Armen. Aber so würde ich da eher verfahren. Der Schnelltest ist nur noch so eine zusätzliche Sicherheit. Am Tag vorher ist besser als gar nicht. Klar am 24.12. das von einem Arzt ge- macht zu bekommen, ist natürlich nicht so einfach. Und 23.12. ist auch gut. Aber heißt eben eigentlich nur, dass man an diesem einen

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Tag dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht Covid-ansteckend ist.

[0:51:16] Jan Krüger Also, es kommt sehr auf den Einzelfall an. Und wenn ich mir eins zu Weihnachten wünschen darf, dann bitte nicht Zoom einschalten an diesem Tag nach dem Ablauf in diesem Jahr. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 127. Vielen Dank, Herr Kekulé.

Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Sehr gerne. Bis dahin, Herr Krüger.

Jan Krüger

Und wenn Sie eine Frage haben. Dann schrei- ben Sie uns. Die Adresse dafür ist MDRAktuell-Podcast/mdr.de oder rufen Sie uns an: Kostenlos unter 0800 322 00..

Kekulés Corona-Kompass gibt es auch als aus- führlichen Podcast auf MDRAktuell.DE, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Und wer das ein oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte. Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen finden Sie unter jeder Folge auf MDRAktu- ell.de.

MDR Aktuell: Kekulés Corona-Kompass

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 28. November 2020 #126 SPEZIAL: Hörerfragen Spezial

Camillo Schumann, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Wie groß ist die Infektionsgefahr im Schlafwagen der Bahn?

Könnte sich das Sars-CoV-2 Virus mit dem Vogelgrippe-Virus kreuzen und so noch gefährlicher werden?

Wird vor einer Impfung auf Antikörper getestet?

Wann können wir wieder ein normales Leben führen?

Damit herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.

Camillo Schumann

Herr Müller hat geschrieben: „Die Politik behauptet, die Durchimpfung der 80 Millionen Einwohner Deutschlands würde logistisch gesehen ein bis zwei Jahre dauern. Bei der diesjährigen Grippeschutzimpfung wurden mehr als 20 Millionen Dosen hierzulande in knapp drei Monaten verbraucht. Wenn man den Meldungen glauben darf, dass der Grippeschutz-Impfstoff jetzt knapp ist. Wo also ist das Problem? Viele Grüße, Herr Müller.“

[0:01:02]

Alexander Kekulé

Ich glaube nicht, dass es so lange dauert. Und ich muss auch sagen, dass die Politik in

Deutschland im Gegenteil sagt, dass die ... 83 Millionen ist aktuell die Zahl Bundesbürger. ... dass die im Prinzip demnächst Schlange stehen können mit hochgekrempelten Ärmeln. Ich bin jetzt eher der Meinung, dass die Politik das Ganze zu sportlich darstellt. Weil jetzt werden schon Impfzentren aufgebaut. Das Rote Kreuz übt, wie man eine Spritze hält und so was. Da muss man sich vor Augen halten. Dieses Jahr werden die erstmal wenige Dosen verimpft, und zwar an die Risikogruppen, die haupt- sächlich im Altersheim sind. Da braucht man keine Impfzentren für. Und dann wird es nächstes Jahr irgendwie losgehen. Und ich glaube schon, dass ... Wir brauchen ja so eine Immunität von etwa 50 Prozent, damit wir einen deutlichen Effekt haben bei den Infek- tionszahlen. Ich glaube schon, dass wir das bis nächsten Sommer schaffen werden. Vielleicht wird es Juli oder so was. Aber ich glaube schon, dass wir nächsten Sommer soweit sind, sofern der Impfstoff fließt, dass wir einen deutlichen Effekt bei den Infektionsraten sehen.

[0:02:02]

Camillo Schumann

Man muss ja auch dazu sagen das ist ja, dass das ein abgestumpftes im Verfahren ist, wie Sie es gerade eben angesprochen haben. Zuerst die alten Risikogruppen, möglicherweise auch medizinisches Personal. Das hat der Ethikrat ja festgelegt. Man muss dazu sagen, dass sie Impfdosen ja dann auch vorhanden sein werden. Sind Sie denn optimistisch, dass dann ausreichend dasein werden bis nächsten Sommer?

[0:02:22]

Alexander Kekulé

Ja, Sie sprechen es genau an. Das ist so ein bisschen meine Frage. Das weiß keiner. Die Hersteller haben sich nicht geoutet, und ich kenne ich kenne natürlich die Leute auch von der Herstellerseite ein bisschen selbst. Wenn man die fragt, sagen die nicht: „Jawohl, ihr kriegt so und so viel Dosen.“ Deshalb würde ich dafür plädieren, sich natürlich darauf vorzu- bereiten. Wenn der Impfstoff kommt, ist es toll. Dann muss der verimpft werden. Aber sicherlich werden die ersten Millionen in den

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Altersheimen und Pflegeheimen verimpft, dann kommt das medizinische Personal, und erst dann braucht man diese riesigen Impf- zentren mit Massendurchsatz 5000 pro Tag, was da gesagt wurde und Ähnliches. Sodass man eigentlich da jetzt nicht so auf die Tube drücken müsste. Aber politisch. Das ist gar nicht kritisch gemeint, ist doch klar. Die Politik verlangt jetzt der Bevölkerung in einem weiteren Lockdown einiges ab. Und da will man natürlich das Licht am Ende des Horizonts möglichst plastisch darstellen. Und deshalb gibt es diese Fotos von Politikern oder diese Aufnahmen von Politikern in diesen Impfzentren.

[0:03:22]

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen, ihre Familie hat Covid19 durchgemacht. Und nun möchte sie wissen, wer von ihren Kindern das Virus in die Familie eingeschleppt hat. Sie hat sich die Testergebnisse ihrer beiden Söhne und ihres Mannes und ihre eigenen sehr genau angesehen. Deshalb hat sie folgende Frage:

[0:03:40]

Zuhörerin

Wir haben aus dem Labor die CT-Werte erhalten. Und da ist zu erkennen, dass mein Großer die höchsten CT-Werte somit die geringste Viruslast hatte. Und danach mein kleiner, dann ich und dann mein Mann. Kann ich denn jetzt anhand dieser ableiten, dass tatsächlich mein Großer die Erkrankung mitgebracht hat aus der Schule wahrscheinlich? Oder passt das überhaupt nicht zusammen?

[0:04:03]


Amplifikationszyklen CT

Alexander Kekulé

Man kann bei sowas natürlich schon ein bisschen Kaffeesatz lesen machen. Aber dazu müsste ich jetzt ganz genau wissen, an welchem Datum was gewesen ist und wie der Kontakt untereinander war. Weil die CT-Werte, die steigen ja an. Also wenn ich jetzt ... Rein theoretisch ... Der Idealfall ist: Ich werde infiziert und am Tag fünf, das ist sozusagen der typische Tag dafür, bekomme ich Symptome. Merke irgendetwas. Kratzen im Hals oder so was. Und dann ist man typischerweise an diesem ersten Tag und vielleicht noch einen halben Tag vorher am stärksten ansteckend. Das ist ja das Gemeine hier, dass das Maximum der Ansteckungsfähigkeit, Also auch der kleinste CT-Wert heißt dann die höchste Viruskonzentration im Hals. Das hat man ganz am Beginn und vielleicht noch kurz vor Beginn der Symptome. Und wenn man das bei der ganzen Familie hat, vielleicht über verschiedene Tage. Dann kann man das schon übereinander legen und überlegen, wer wahrscheinlich der erste war. So ganz perfekt ist es natürlich nicht vergleichbar. Aber man kann so eine Daumenpeilung machen. Aber ohne Datum und ohne genau zu wissen, wer mit wem Kontakt hatte, ist es von hier aus nicht möglich.


Camillo Schumann

Vielleicht noch ein, zwei Worte zum CT-Wert. Wer das so noch nie gehört hat.


Alexander Kekulé

[0:06:47]

Camillo Schumann

Zumindest ist das ein Indiz. Und jeder, der sein Testergebnis hat, kann einmal auf diesen Wert schauen und dann selber für sich einschätzen, wie gefährlich in Anführungszeichen die Aussagekraft dieses Tests wirklich ist?

[0:06:59]


Alexander Kekulé

Ich glaube schon, dass man das bisschen nachvollziehen kann. Weil das wissen übrigens die Gesundheitsbehörden auch nicht. Genau das ist so, was vielleicht eine ganz interessante Umfrage wäre, die man starten könnte. Weil die Menschen wissen zum Teil ganz genau, wo sie sich infiziert haben. Die haben oft eine ganz konkrete Vorstellung. Ich treffe natürlich sehr oft Menschen, die die Krankheit durchgemacht haben oder gerade durchmachen. Und ich frage immer: „Wo haben Sie sich angesteckt?“ Weil mich das einfach interessiert, ob man das weiß. Und die meisten sagen: „Entweder da oder da.“ Die haben relativ konkrete Vorstel- lungen, wo es wohl gewesen sein sollte. Und wenn man das natürlich jetzt rein theoretisch mit dem CT-Wert irgendwie korrelieren kön- nte. Also der Einzelfall, sagt gar nichts. Aber wenn Sie tausend Werte hätten, 


Camillo Schumann

Gibt es denn so ein System hat, wo man eindeutig sagen kann, ab diesem Wert ist man infektiös?


Alexander Kekulé

[0:09:06]

Camillo Schumann

Herrn N. aus Österreich, aktuell in Rumänien, hat eine Mail geschrieben. „Wie schätzt Herr Kekulé das Reisen mit dem Schlafwagen ein? Ich habe in Rumänien einen Zweitwohnsitz, würde aber gern wieder einmal nach Hause, nach Wien, fahren. Ich nehme mir natürlich einen Schlafwagen, Einzelabteil. Allerdings ist die Lüftung nicht abstellbar. Ich vermute, dass bei den alten rumänischen Wagen die Luft ungefiltert zwischen allen Abteilen verteilt wird. Das Fenster kann man nur zwei Fingerbreit kippen. Und FFP2 Maske für 17 Stunden inklusive schlafen ist nicht wirklich eine Option? Ich nehme an, das ist keine gute Option mit dem Schlafwagen. Schöne Grüße aus Rumänien.“

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Alexander Kekulé

Na also jetzt muss ich ganz ehrlich sagen. Also mit der Lüftungstechnik rumänischer Schlafwagen bin ich nicht vertraut. Ich habe mich lange mit Lüftung von Flugzeugen ... Also wenn Sie mich von europäischen Flugzeugbau könnte ich Ihnen einiges erzählen. Aber von Schlafwagen und dann auch noch rumänisch. Das würde ich versuchen, wenn ich jetzt selber reisen wollte und müsste. Das kann man schon rauskriegen. Das ist meistens im Internet irgendwo dokumentiert. Oder man müsste halt dann mal gucken, wer der Hersteller ist. Das sind gar nicht so viele. Und einfach fragen, ob das stimmt, dass die Lüftung von Abteil zu Abteil geleitet wird. Mein persönlicher Ver- dacht ist, dass selbst in Rumänien die Schlaf- wägen so gebaut sind, das man eigentlich schon Abteilweise einen Luftansauger hat. Sonst würden Sie ja immer die Abluft vom Vorabteil bekommen. Und da gäbe es dann irgendwann mal Beschwerden. Je nachdem wer im Nachbarabteil ist.


Camillo Schumann

Das stinkt ja irgendwann.


Alexander Kekulé

Da gibt es ja auch Leute, die haben dann ihren Campingkocher dabei und so etwas. Die machen sich eine leckere Bohnensuppe oder so. Nicht nur in Rumänien. Das gibt es mitten in Deutschland natürlich auch. Und spätestens, wenn so etwas passiert, dann beschwert sich der Nachbar. Und ich weiß das. Früher ... Ich bin ehrlich gesagt, lange nicht mehr Schlaf- wagen gefahren. Aber früher habe ich mich so als kleiner Junge ... Da hatte ich diese Eisenbahnanlage, wo man die so richtig in Miniatur hatte. Und der Schlafwagen, den ich hatte. Der hatte wirklich über jedem Abteil oben einen Ansaugstutzen für die Lüftung. Aber ich weiß nicht, ob das in Rumänien jetzt aktuell auch noch so ist.

[0:11:06]

Camillo Schumann

Wir haben eine Mail erhalten von einem Herrn, der seinen Namen hier im Podcast nicht hören möchte. Kein Problem. Seine Frage: „Besteht die Möglichkeit einer Kreuzung des Sars-CoV-2 Virus mit dem humanen Influenzavirus? Oder mit dem aktuell in Deutschland auftretenden Vogelgrippe-Virus H5N1? Und bestünde dann auch die Gefahr einer erneuten bzw. anders gearteten Epidemie, Pandemie, bei der die neuen Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 bzw. gegen die saisonalen Influenzaviren versagen würden. Viele Grüße.“


[0:11:38]

Alexander S. Kekulé

Wir haben ja erstens Influenzaviren, die ... Das ist eine eigene Virusart sozusagen. Und bei den Influenzaviren unterscheiden wir wieder solche, die typischerweise bei Menschen vor- kommen. Das können Pandemie-Viren sein. Oder aktuell haben wir ja nur saisonale Viren. Und dann gibt es welche, die typischerweise bei Vögeln vorkommen. Die heißen dann eben Vogelviren oder aviäre Influenzaviren. Die alle können sich untereinander kreuzen. Also die Influenzaviren haben die Besonderheit, dass sie ihr genetisches Material austauschen können. Weil das quasi so in einzelnen Kassetten in diesem Virus drinnen ist. Und die können diese Kassetten untereinander tauschen. Aber dieses ganze Programm gilt nur für Influenzaviren. Das können die nicht mit dem Coronavirus machen. Das ist davon völlig unabhängig.

Worauf man achten muss, ist, dass natürlich eine Doppelinfektion. Zwei Viren auf einmal. Das ist selten eher. Aber wenn man sowas hat, da wissen wir, dass Doppelinfektion zwischen Corona und Influenza dann zu besonders schweren Erkrankungen führen. Aber dass die sich dann kreuzen untereinande, das geht nicht. Das ist so wie, was weiß ich, Pferd und Katze oder so. Das sind verschiedene Tierarten. Die können sich nicht miteinander kreuzen.

Und konkret muss man noch einmal sagen das Vogelgrippe-Virus H5N1, was da angesprochen wurde. Das ist zurzeit in Deutschland, zumindest nach dem, was ich weiß, nicht unterwegs. Also auch nicht bei Vögeln. Es gibt immer wieder Ausbrüche. In Asien natürlich. Und auch leider ein Überspringen immer mal wieder sogar auf den Menschen. Und auch in anderen Ländern. In Nordafrika haben wir das

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manchmal. Aber zurzeit müssen wir in Deutschland davor keine Angst haben.

[0:13:15]

Camillo Schumann

Herr N. hat gemailt. „In einer australischen Studie konnte gezeigt werden, dass Sars-CoV-2 auf glatten Oberflächen bis zu 28 Tage lang infektiös bleibt. Damit hatten wir nach den bisherigen Informationen ja nicht gerechnet. Wie es das einzuordnen? Wirft das nicht einige Annahmen und Aussagen über den Haufen? Oder ist das überhaupt nicht schlimm? Vielen Dank für die Informationen. Herr N.“

[0:13:38]

Alexander Kekulé

Ja, das ist tatsächlich so eine Diskussion, an der sich auch Fachleute beteiligen. Einige sagen, wenn man so ein Virus unter Laborbe- dingungen sehr, sehr lange auf einer glatten Oberfläche ... Muss dann die Luftfeuchtigkeit auch stimmen und so. Wenn man das sehr lange halten kann. Dass das ein Gefahrensignal sei. Vor allem werden solche Zahlen natürlich publiziert und verbreitet dann immer von den Herstellern von Desinfektionsmitteln. Die dann sagen: „Schaut mal her. Ihr müsst also unsere Produkte kaufen.“ Praktisch gesehen ist es so, dass wir einfach wissen, dass diese Schmier- infektion über Oberflächen bei dem aktuellen Covid19 eine ganz geringe und nachgeordnete Rolle spielt. Wahrscheinlich liegt es daran, dass unter normalen Umständen ... Was jetzt außerhalb des Labors passiert. Da ist immer irgendetwas dabei ist, was das Virus inaktiviert. Das Virus wird inaktiviert zum Beispiel durch sehr raue Oberfläche oder durch Chemikalien, die auf der Oberfläche sind oder irgendwelche biologischen Substanzen. Ich sage mal zum Beispiel: Auf Tierhaaren hält sich das nur ganz kurz. Oder Sonneneinstrahlung oder Licht aller Art. Das ist ein Killer für das Virus. Austrock- nung und wenn die Luftfeuchtigkeit nicht stimmt. Und klar im Labor, wenn man das ganz optimal macht. Ohne Licht, richtige Luft- feuchte, richtige Temperatur und glatte Oberfläche. Ohne Störfaktoren. Dann kann man so ein Tröpfchen mit einem Virus eine ganze Weile halten. In der realen Situation

müsste das, sage ich immer, schon ein ganz schön massives Projektil sein, was jemand ausgehustet hat und was dann irgendwo gelandet ist, damit sich das zwei-drei Tage lang hält. Der normale winzige Tropfen, der beim Sprechen und Husten auch entsteht. Der ist in kürzester Zeit nicht mehr infektiös. Jedenfalls ist die Dosis nicht mehr so hoch, dass man damit im realen praktischen epidemiologischen Zusammenhang eine Infektion auslöst.

[0:15:30]

Camillo Schumann

Schulen sind eines der großen Themen in der Pandemie. Einige Eltern halten von der Maskenpflicht im Unterricht nichts und besorgen für ihre Kinder ein ärztliches Attest, um sich von der Maskenpflicht zu befreien. Möglicherweise auch aus gesundheitlichen Gründen, wie auch immer. Diese Lehrerin hat deshalb folgende Frage:

[0:15:45]

Zuhörerin

Ich bin Lehrerin an einer privaten Schule. Ich bin tätig in unterschiedlichen Klassen als Fachlehrerin. Und ich habe mit mindestens fünf Schülern pro Klasse zu tun, die eine Masken- Befreiung haben mit einem ärztlichen Attest. Wie gehe ich damit um? Zum Beispiel im Fachunterricht „Kochen, Soziales“. Danke,

[0:16:10]

Camillo Schumann

Also fünf pro Klasse ist eine ganze Menge.

Alexander Kekulé

Ja, das ist natürlich ideologisch. Das muss man sagen, ohne jetzt den einzelnen anzugreifen. Wir kennen ja auch alle die Bilder, von der Demonstration von Maskengegnern, die vor einigen Tagen starten sollte. Die dann abgeblasen wurde, weil der Anführer der Demonstration ... Ich habe jetzt den Namen vergessen. Der hatte selbst keine Maske auf und kam mit einem ärztlichen Attest daher. Und da hat dann die Polizei gesagt: „Nichts. Das erkennen wir nicht an.“ Und daraufhin ist

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die ganze Demonstration nicht zustande gekommen. Das ist leider so, dass ärztliche Kollegen ... Da ärgere ich mich natürlich schon drüber, weil das ja meinen Stand letztlich betrifft. Dass die sich für solche Gefälligkeits- atteste hinreißen lassen. Das ist ganz selten, dass man wirklich einen medizinischen Grund hat. Das muss man ganz klar sagen. Selbst Asthmatiker vertragen diese Masken. Und wir haben ja im Krankenhaus schon seit vielen, vielen Jahren die Situation, dass das Personal in allen möglichen Situationen - nicht nur beim Operieren - diese einfachen OP-Masken im Gesicht hat. Und im beim medizinischen Personal gibt es ja auch Leute, die Asthma haben. Die Ausschläge haben, Akne, Allergien. Was es so alles gibt. Und die Fälle, wo einer wirklich sagt: „Ich kann die Maske medizinisch nicht tragen.“ Das ist so wahnsinnig selten. Ich selber habe noch nie so eine Situation erlebt. Dass es sich jetzt plötzlich so häuft. Dass so ganz viele Schüler plötzlich diese knallharten Indikationen haben, wie wir sagen. Das riecht natürlich sehr stark nach Gefälligkeits- gutachten. Da meine ich ist der Lehrer einfach hilflos. Oder die Lehrerin in dem Fall. Das muss die Schulleitungen und muss das Kultus- ministerium bestimmen. Wir haben bei Sport- veranstaltungen zum Beispiel die Situation, dass dann in den Statuten zum Teil knallhart drinnen steht: „Wer keine Maske tragen kann aus medizinischen Gründen, der darf halt nicht kommen.“ Das ist natürlich bei der Schulpflicht schwieriger. Da muss man vielleicht einführen die Regel ... Wenn man merkt, dass überbordet. Dass diese Masken, die ärztlichen Atteste ... Dass die dann zum Beispiel vom Schularzt oder vom Amtsarzt regelmäßig überprüft werden. Da kann man ja schon einen Teil wieder aus dem Verkehr ziehen. Und jetzt kann ich mal so sagen, wenn der Arzt weiß, der Hausarzt weiß: „Was ich da aufschreibe, wird hinterher vom Amtsarzt überprüft.“ Dann überlegt er sich das zweimal, ob er das jetzt wirklich jedem Schüler in die Hand drückt.

[0:18:33]

Camillo Schumann

Was die Perspektive auch der Lehrerin ... Was sie machen kann. Wie sie damit umgehen soll. Das war das eine, dass man das vielleicht auch

noch mal an der Schulleitung bespricht. Und was kann sie für sich ganz persönlich machen neben der Maske?

[0:18:44]

Alexander Kekulé

Für sich persönlich kann sie nur selber eine Maske anziehen. Und wenn sie ganz auf Num- mer sicher gehen will. Dann muss man natür- lich sein eigenes Risiko so ein bisschen im Auge haben. Da plädiere ich ja immer dafür, dass jeder selber so ein bisschen überlegt, was er in die Waagschale wirft. Also wenn diese Lehrerin jetzt mit ihrer schwerkranken Mutter zusammenlebt oder ähnliches, hat sie eine andere Situation, als wenn sie selber jung und fit ist und niemanden anstecken kann. Aber im Extremfall würde man dann empfehlen, in solchen Klassen selbst eine FFP2-Maske zu tragen.

[0:19:13]

Camillo Schumann

Weil wir gerade an den Schulen sind. Diese Lehrerin hat auch angerufen. Und sie berichtet, dass an ihrer Schule CO2- Messgeräte in den Klassenräumen aufgestellt werden. Und dazu hat sie folgende Frage:

[0:19:24]

Zuhörerin

Was korreliert da miteinander? Schlagen CO2- Messgeräte, also ungünstige CO2- Konzentrationen für das Wohlbefinden, die Konzentration usw. Also die Konzentrations- fähigkeit. Korreliert das mit dem, wo wir aufmerksam sein müssen über die Infektions- gefahr? Korreliert das überhaupt? Oder ist das nicht so?

[0:19:44]

Camillo Schumann

Also hängt die schlechte Luft unmittelbar mit der Infektiosität zusammen?

Alexander Kekulé

Ja, da geht es bei dieser ... An dieser Stelle geht es ja nur um die aerogenen Infektionen. Also um das, was die Basis für Superspreading ist.

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Das sind diese Infektionen, die dadurch entstehen, dass jemand beim Ausatmen, Sprechen, Singen so einen feinen Nebel erzeugt, den man nicht sieht. Wo diese Viren mit drin sind. Und der steht quasi im Raum wie Nebel oder Zigarettenrauch und verteilt sich langsam. Er wird auch durch die Luftzirkulation im Raum verteilt. Und dann kann der eben die anderen Schüler oder den Lehrer anstecken auf diese Weise. Vor allem, wenn jemand keine Masken hat natürlich. Das korreliert tat- sächlich. Also die Wahrscheinlichkeit, dass sich sowas bildet. Das ist jetzt nicht 1:1. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bildet. Das korreliert einfach mit der Länge der Zeit, die die Menschen im Raum waren. Also man könnte auch sagen, so und soviel Personen waren über so und soviel Stunden in einem Raum mit so und soviel Kubikmeter. Da könnte man eigentlich einen ganz einfachen Dreisatz draus machen und ausrechnen, wie viele Minuten man konsequent lüften muss. Statt dieses Dreisatzes haben schlaue Hersteller gesagt: „Na gut. Vielleicht kann der Lehrer nicht so richtig rechnen, verdienen wir ein bisschen Geld und verkaufen ihm ein CO2- Messgerät.“ Das macht eigentlich nichts anderes als Nachmessen, wieviel Luft schon verbraucht wurde. Weil wir ja beim Einatmen bekanntlich Sauerstoff verbrauchen und beim Ausatmen CO2, Kohlendioxid erzeugen. Und wenn das angestiegen ist, das heißt dann, dass eine bestimmte Zahl von Personen über eine bestimmte Zeit in einem begrenzten Volumen einfach ein- und ausgeatmet hat. Könnte man ganz genauso über die Personenzahl, über die Zeit und die Kubikmeter Raum machen. Aber so ein Messgerät. Na gut, es ist eine schöne Ampel. Die geht dann auf Rot. Und dann weiß man, dass man wieder die Fenster aufmachen muss. Und ja, das korreliert bis zum gewissen Grad mit der Infektionsgefahr. Ob das jetzt das Gelbe vom Ei ist? Also aus meiner Sicht ist diese Installation in den Schulen ... Es ist auch so ein bisschen was, was zur Beruhigung gemacht wird. Weil, wie gesagt, die Lehrer wissen doch inzwischen wann die Luft schlecht ist und man die Fenster aufmachen muss, weil sich keiner mehr konzentrieren kann. Da wären meines Erachtens regelmäßige Luftwechsel, die quasi nach der Uhr gestellt werden, sogar zuverlässiger als diese CO2-Ampeln.

[0:21:57]

Camillo Schumann

Frau H. aus Leipzig hat geschrieben: „Wird vor einer Impfung getestet, ob der jeweilige Patient schon Antikörper gegen Sars-CoV2 hat. Wenn ja: wird bei positiven Tests die Menge des Impfstoffs dann angepasst oder ge- gebenenfalls überhaupt nicht geimpft? Wenn nein: wäre es schädlich, wenn ein Patient, der Antikörper aus einer gegebenenfalls unbe- merkten Infektion hat, geimpft wird? Viele Grüße.“

[0:22:22]

Alexander Kekulé

Das ist eine sehr kluge Frage. Interessanterweise, dass das jemand aus unserer Hörerschaft stellt, aber im politischen Raum nicht so diskutiert wird. Da müssen wir vielleicht noch einmal ausführlich über die möglichen Nebenwirkungen von Impfungen sprechen. Es ist in der Tat so, dass die bis- herigen Studien mit den Impfstoffen natürlich mit Leuten gemacht wurden, die fast aus- nahmslos keine Antikörper hatten. Einfach weil man das in Regionen gemacht hat, wo die Menschen sich gerade noch frisch infiziert haben mit dem Virus. Da war quasi so eine exponentielle Funktion im Gange. Deshalb sind die getestet an Personen, die noch keinen Kontakt hatten zum größten Teil mit diesem Virus. Und was passiert jetzt, wenn man Leute impft, die schon Kontakt hatten? Die also tatsächlich dann aktive Antikörper im Blut haben. Und die Immunzellen haben in kürzester Zeit eine von so einem Impfstoff quasi befallene Zelle oder von so einem Impfstoff angesprochene Zelle, die das dann vernichten würden, weil die ja schon voraktiv sind. Das ist ein wenig wie Hunde, wie eine Rotte scharfe Hunde, die schon auf die Witterung gesetzt wurden. Und wenn man dann natürlich wieder kommt mit dem gleichen Lumpen, mit dem man sie scharf gemacht hat. Dann springen die sofort los. Und da weiß man nicht, was passiert. Ganz ehrlich gesagt, das ist eine der Richtungen, wo man einfach die Frage stellen muss ... Ohne da den Teufel an die Wand zu malen. Man muss die Frage stellen: Wird es da in Zukunft

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möglicherweise Nebenwirkungen geben? Oder wird es die nicht geben? Rein medizinisch gesehen? Aus den bisherigen Erfahrungen ist es nicht so wahrscheinlich, dass es die geben wird. Aber das muss eben jetzt erst in den nächsten Monaten beobachtet und genau untersucht werden. Und da wird man dann entscheiden ... Genau die Frage, die hergestellt wird. Ist es notwendig, vorher ein Antikörper- test zu machen? Ich hoffe natürlich sehr, dass es nicht notwendig ist. Das würde man nur dann machen, wenn man vorher sieht, ob es da tatsächlich Nebenwirkungen gibt. Oder häufigere Nebenwirkungen bei solchen, die schon mal die Infektion durchgemacht hat. Man würde damit die Sache viel, viel komplizierter machen. Ist die Frage, ob es logistisch dann alles irgendwie so über die Runde geht, wie es soll. Wenn man sagen müsste wir, wir impfen nur Personen, die mit Sicherheit noch keinen Kontakt hatten mit Sars-CoV-2.

[0:24:33]

Camillo Schumann

Frau B. aus Regensburg hat gemailt: „Es würde mich interessieren, ob die Impfung das Allein- glückselig-Machende ist. Wie lange denken Sie, Herr Kekulé, wird es dauern, bis wir in Deutschland wieder ein normales Leben führen können?“ Das ist doch eine schöne Ausstiegsfrage.

[0:24:51]

Alexander Kekulé

Ja. Wie lange? Darf ich die Frage umformulieren in: Wie lange, glauben Sie, dass wir noch brauchen? Es weiß ja keiner wirklich. Ich habe jetzt gerade zum Beispiel ein Beispiel gesagt, wo noch was schiefgehen könnte bei den Impfungen. Ich glaube nicht daran, dass etwas schiefgeht. Aber also mein optimistisches Szenario sieht so aus: Wir fangen jetzt erst mal an. Wahrscheinlich dieses Jahr noch. ... mit vielen Kameras außen rum den Ersten in Deutschland zu impfen. Und das wird aber dann Anfang Januar weitergehen in den Altenheimen und in den Risikogruppen und in dem medizinischen Personal haupt- sächlich und in dem Pflegepersonal. Und dann

werden wir wahrscheinlich, realistisch gesehen, so im ganz großen Stil impfen so ab April, schätze ich mal. Kann sein, dass das bisschen früher ist. Aber es muss ja auch der Impfstoff dann da sein, dass es sich lohnt, in diesen Riesenzentren zu arbeiten. Und dann würde ich sagen, impfen wir munter auf vollen Touren bis in den Sommer hinein. Wir überzeugen parallel in riesigen PR-Aktionen die ganzen Kritiker, dass die Impfung wirklich gut ist. Und dann wird es so sein, dass uns ja auch der Sommer hilft. Das heißt also, die warme Jahreszeit wird dazu führen, dass das Virus wieder verschwindet, wie es dieses Jahr im Sommer auch weitgehend zurückgegangen ist. Und parallel haben wir ja die Impfungen, die weiterlaufen. Und wenn man das dann über den Sommer weitermacht und dann munter bis zum Herbst impft, also nächsten Oktober, sage ich mal. Dann wäre meine Hoffnung und auch meine Vermutung, dass wir im nächsten Herbst keine weitere Covid-19-Welle mehr haben werden. Also dass es dann keine neue, schwere Welle gibt. Klar werden wir einzelne eingeschleppte Infektionen haben. Ausbrüche bei irgendwelchen Impfkritikern, die keine Lust hatten, sich zu impfen. Oder bei Leuten, die aus dem Ausland vielleicht gekommen sind, wo es keine Impfmöglichkeit gibt. Aber ich glaube, dass wir nächsten Herbst, das ist meine Hoffnung, nicht noch einmal über Lockdowns oder Ähnliches diskutieren müssen.

[0:26:39]

Camillo Schumann

Wir sind gespannt. Ihr Wort in den Impfhersteller-Ohren. Wir sind gespannt.

Alexander Kekulé

Das war jetzt optimistisches Szenario. Wir müssen es uns doch auf irgendwas freuen, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Selbstverständlich. Jetzt kommt erst einmal Weihnachten.

Alexander Kekulé

Und wir überlegen uns dann, was wir als nächstes für einen Podcast machen. Das ist ganz wichtig. Weil dann will er uns keiner mehr hören.

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Camillo Schumann

Vermutlich. Das war Ausgabe 126 Kekulés Corona-Kompass Spezial nur mit Ihren Fragen. Herr Kekulé, vielen Dank. Nächste reguläre Ausgabe dann am Dienstag, den 1. Dezember. Bis dahin bleiben: Sie gesund. Und Ihnen und unseren Hörern einen schönen ersten Advent.

Alexander Kekulé

Gern. Bis dann. Tschüs.

Camillo Schumann

Alle Spezial-Folgen und alle Ausgaben „Kekulés Corona-Kompass“ zum Nachhören auf MDRAktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen zum Nachlesen auf MDRAktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 26.11.2020 #125: Zweifel an den neuen Corona-Regeln

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Studien-Hinweis:: SARS-CoV-2-Übertragung zwischen amerikanischen Rekruten während der Quarantäne: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM oa2029717?query=WB

Camillo Schumann

Donnerstag, 26. November 2020. Die neuen Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern im Realitätscheck. Dann: Noch nie sind so viele Menschen an einem Tag im Zu- sammenhang mit Covid-19 gestorben. Zieht der Sturm am Horizont erst auf? Und: Kann ich nach einer Impfung auf die Maske verzichten?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Modera- tor bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag ha- ben wir einen Blick auf die aktuellen Entwick- lungen rund ums Coronavirus. Und wir beant- worten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Viro- logen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Und wie Sie schon hören, liebe Hörer, wir sind per Telefon verbunden. Aufgrund von techni- schen Problemen machen wir das Ganze am Telefon. Aber das soll uns ja nicht aufhalten. Herr Kekulé, ein kurzer Blick aufs Infektionsge-

schehen in Deutschland. Die Gesundheitsäm- ter haben 22.268 neue Corona-Infektionen innerhalb von 24-Stunden gemeldet. Das sind 300 weniger als am Donnerstag vor einer Wo- che, aber rund 400 mehr als vor zwei Wochen. Der Abwärtstrend scheint nach diesen Zahlen jetzt noch nicht eingesetzt zu haben. Schaut man sich aber R-Werte, die 4- und 7-Tage-R- Wert an, gibt es zumindest einen leichten Hoffnungsschimmer. Was meinen Sie?

[0:01:21]

Alexander Kekulé

Ja, das ist das Phänomen, das man in der Situa- tion ist, dass man eine Maßnahme, die man einmal ergriffen hat, einen bestimmten Effekt hat. Das habe ich mal verglichen mit dem Steuern von einem Schiff, wo man eine be- stimmte Position einschlägt, und dann be- kommt man einen bestimmten Kurvenradius. Und wenn man eine engere Kurve fahren will, dann muss man noch einmal steuern. Sie ha- ben den Effekt der Maßnahmen, die durch den Lockdown light eingetreten ist. Den haben wir jetzt erreicht. Mehr ist sozusagen nicht. Um mehr zu erreichen, müsste man stärker brem- sen. Wir haben jetzt eine Situation, wo eine bestimmte Zahl von Personen die Krankheit immer weiterträgt. Und das wird sich, wenn man jetzt keine Maßnahmen ergreift, nicht ändern. Das würde auf diesem Niveau einfach bleiben. Das heißt jetzt neuerdings „Seitwärts- trend“. Und diesen Seitwärtstrend, oder Stag- nation, kann man nur durchbrechen, wenn man neue Maßnahmen ergreift.

[0:02:23]

Camillo Schumann

Aber wenn man sich die R-Werte anschaut, die ja tendenziell in den letzten Tagen so nach unten gehen, ist das ein Fingerzeig?

[0:02:44]

Alexander Kekulé

Das ist ganz normal, dass das R langsam sinkt. Das kann man sich so vorstellen, als wenn man bei einem Auto leicht auf die Bremse tritt. Dann wird das Auto auch langsamer. Das ist ja

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klar. Oder auch wenn es einfach nur vom Gas runtergeht, dann wird das Auto ja auch lang- samer. Und da könnte man wahrscheinlich dann, wenn man ganz gut in Physik war, ir- gendwie ausrechnen, an welcher Stelle das Auto irgendwann zum Stehen kommen würde eines Tages. Aber, das weiß wahrscheinlich jeder, dass das sehr, sehr lange dauert. Und wir haben es ja nicht mit einem Auto zu tun, sondern eher mit so einer Art Hochseetanker. Das heißt, es dauert lange, bis es dann zum Stehen kommt. Ich würde sagen, wenn man so weitermacht, wahrscheinlich April oder so was, mal so grob geschätzt. Und um einen früheren Punkt unter diese Marke zu stellen, das wäre in diesem Fall unter 50 pro 100.000 Menschen, müssen wir stärker bremsen. Das würde dann sozusagen eine schnellere Verringerung von R bedeuten.

[0:03:32]

Camillo Schumann

Gestern gab es mal wieder einen traurigen Rekord: 410 neue Todesfälle im Zusammen- hang mit dem Coronavirus innerhalb von 24- Stunden. Der bislang höchste Stand war Mitte April mit 315 Toten, von gestern zu heute, Donnerstag, fast 390 gemeldete Tote. Der Leiter der Intensivmedizin am Uniklinikum Leipzig, Sebastian Stehr, hält die Coronalage in Sachsen für sehr besorgniserregend. Von den zehn Landkreisen mit der höchsten Inzidenz bundesweit liegen vier in Sachsen. Das sei aus intensivmedizinischer Sicht als sähe man am Horizont einen Sturm aufziehen. Und der Prä- sident der Deutschen Krankenhausgesellschaft vermutet, dass wir im Laufe des Dezembers voraussichtlich 5.000 bis 6.000 Intensivpatien- ten haben. Herr Kekulé, wenn man das so hört, schließen Sie sich der Einschätzung an: Der Sturm zieht erst noch auf?

[0:05:00]

Alexander Kekulé

Das ist immer die Frage, aus welcher Perspek- tive man sich das ansieht. Wenn Sie an einer bestimmten Stelle stehen und sehen die dunk-

len Wolken anziehen, dann sagen Sie, da zieht ein Sturm auf. Meteorologen machen es des- halb so dass sie nicht von dem Punkt aus eine Vorhersage machen wollen. Sondern von vie- len Punkten, die weiter weg liegen das Wetter- geschehen beobachten. Da muss man sagen, die vorgelagerte Entwicklung ist das Thema: Wie viele Neuinfektionen haben wir. Das ist ein trivialer Effekt, dass man sagt: Die Neuinfekti- onen, die wir jetzt hatte und wo es jetzt zu einem Anstieg kam, ziehen zeitverzögert auch Todesfälle nach sich oder schwere Erkrankun- gen, vor allem weil wir nach wie vor das Thema Ausbrüche in Altenheimen nicht im Griff ha- ben. Deshalb ist es so: Man sieht jetzt die nachgelagerte Welle der schwere Erkrankun- gen, die immer hinterherläuft hinter den Neu- infektionen. Da wird es zeitverzögert genau zu diesem Effekt kommen. Das wird jetzt noch einmal ansteigen. Auf welche Werte das kommt, kann ich nicht sagen. Aber dadurch, dass wir mit den neuen Maßnahmen ab sofort noch einmal stärker bremsen, wird diese Welle von Schwererkrankungen wieder abflachen.

[0:05:41]

Camillo Schumann

Trotzdem müssen wir uns dann in den kom- menden Tagen und Wochen möglicherweise auf noch höhere Todeszahlen als die 410 ein- stellen.

[0:05:47]

Alexander Kekulé

Ja, das glaube ich schon. Ich glaube nicht, dass damit schon der Gipfel erreicht ist, weil das dank der guten Intensivmedizin sehr verzögert ist. Und es ist so, dass auch die Sterblichkeit, wenn man Covid19 bekommt, seit dem Som- mer ungefähr deutlich gesunken ist durch ver- besserte intensivmedizinische Maßnahmen.

[0:06:10]

Camillo Schumann

Damit der Sturm dann nicht so heftig wird, haben Bund und Länder gestern spätabends nun Beschlüsse gefasst, wie es nach 30. No-

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vember weitergeht. Wir hören mal kurz die Kanzlerin:

[0:06:21]

„Wir brauchen noch einmal eine Kraftanstren- gung. Geduld, Solidarität, Disziplin werden noch einmal auf eine harte Probe gestellt.“

[0:06:31]

Camillo Schumann

Diese Kraftanstrengung sieht folgendermaßen aus wenig überraschend: Die aktuellen Maß- nahmen werden bis zum 20. Dezember verlän- gert und dabei auch verschärft. Restaurants, Theater und Freizeiteinrichtungen bleiben geschlossen. Private Zusammenkünfte sind nur zwischen zwei Haushalten und maximal fünf Personen erlaubt. Weihnachten und Silvester wird, wie auch erwartet wurde, eine Ausnah- me gemacht. Dann sollen Treffen im engsten Familien oder Freundeskreis möglich sein bis maximal zehn Personen Kinder bis 14 Jahren sind ausgenommen. Für wie gefährlich halten Sie die Zeit zwischen Weihnachten und Neu- jahr? Könnte uns diese Lockerung bei den In- fektionszahlen stark zurückwerfen, oder ist dieser Zeitraum von zehn Tagen kalkulierbar?

[0:07:50]

Alexander Kekulé

Das letzte Wort war das entscheidende. Wie kalkulierbar ist es? Ich habe mich ehrlich ge- sagt gestern auch gefragt. Ich bin ja sehr dafür – und das fehlt ja leider hier – eine Lang- zeitstrategie zu haben, oder eine mittelfristige, bis die Impfstoffe halt halbwegs wirken. Ob man am 25.11. schon so eine gravierende Lo- ckerung erlauben kann, und dann auch kalku- lieren kann, daran habe ich Zweifel. Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Wäre ich in der Lage gewesen wäre,, wüsste ich als Politiker ehrlich gesagt nicht, wie stark der 2. Bremseffekt dann sein wird, weil es einfach ganz extrem davon abhängt, ob die Bevölkerung mitmacht. Und wenn die Bevölkerung mitmacht und wenn das alles so funktioniert, wie man sich das vorstellt, dann sind die Maßnahmen sind – mit einer Ausnahme bei den Schulen – da sollten wir

gleich noch mal drüber sprechen – adäquat und richtig. Und da waren sie auch notwendig. Aber jetzt zu sagen: zehn Haushalte dürfen sich treffen, heißt ja zehn Personen von den Haus- halten her unbegrenzt, plus noch Kinder in beliebiger Zahl, da muss ich einfach sagen: Das ist schon mutig, jetzt schon zu sagen, wir wer- den bis dahin diese Bremse haben. Das Bild vom Tanker, der abgebremst wird, hat einen gravierenden Unterschied zur epidemischen Lage. Da hinkt das Bild sozusagen, nämlich insofern, als die epidemische Lage nicht mit den einfachen physikalischen Formeln vorher- sagen kann, weil das Verhalten der Menschen hier entscheidend ist.

[0:09:09]

Camillo Schumann

Es gibt ja jetzt zwei auch Informationen, die ich persönlich auch noch nicht richtig einschätzen kann. Zum einen wird diese Ausnahme an Weihnachten und Silvester gemacht oder in dem Zeitraum dazwischen. Auf der anderen Seite sagen Bund und Länder wir wollen uns am 14. Dezember noch mal treffen, um mög- licherweise über Verschärfungen zu sprechen. Meinen Sie, ob dann Weihnachten ins Wasser fällt oder ob man das kategorisch ausschließt?

[0:09:32]

Alexander Kekulé

Ich würde sagen, am 14. Dezember droht der Grinch noch einmal vorbeizukommen. Es ist schon mal das gesagt worden, und das ist eine große Schwäche – politisch gesehen – an dem gestrigen Beschluss, dass die Länder viele Op- tionen weiterhin haben, das in die eine oder andere Richtung auszulegen. Es ist in vielen Teilen einen Plan für einen Plan, den man ver- abschiedet hat. Und die Hoheit bleibt bei den einzelnen Bundesländern. Und da ist ein ge- wisses Zerfallen der Vorschriften in den Bun- desländern vorprogrammiert. Ich bin ziemlich sicher, dass es so sein wird, dass einige Bun- desländer sagen, diese Ausnahmeregeln nut- zen, wenn sie denn gehalten werden bis Weih- nachten. Ich hoffe mal, dass sich die Deutschen vernünftig verhalten. Dann wird es dabei blei-

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ben, dass man Weihnachten feiern kann wie geplant, also mit diesen zehn Haushalten, zehn Personen. Und das ist schon gravierend. Das ist sehr mutig. Und theoretisch könnten Sie das bei den Familienfeiern unterschiedlich ma- chen. Wenn ich mich jetzt an meine Familie erinnere, wie wir das früher gemacht haben, da hatten wir am 24.12. einen Teil der Familie eingeladen, am 25.12. einen anderen Teil und am 26.12. wieder einen anderen Teil. Das ma- chen wir dieses Jahr nicht so. Aber rein theore- tisch könnten sie ja quasi an jedem Weih- nachtsfeiertag zehn Personen aus zehn Haus- halten einladen. Das heißt, dass es trotzdem bei der Weihnachtsregelung bleibt, aus psy- chologischen Gründen. Aber ich bin zum Bei- spiel sicher, dass der bayerische Ministerpräsi- dent sagen wird, dass nach Weihnachten Schluss damit ist. Spätestens am 27.12. zieht dann wieder das alte Regimen an. Und man wird auf keinen Fall in den Hotspots, da gehört ja Bayern dazu, an Silvester so eine ähnliche Lösung laufen lassen.

[0:11:30]

Camillo Schumann

Kurz noch nachgefragt: Sachsen-Anhalt, weil es gerade angesprochen haben will, will da aus- scheren. Ministerpräsident Reiner Haseloff hat kurz nach der Videokonferenz der Regierungs- chef angekündigt, auf die Einschränkung auf maximal zwei Haushalte verzichten zu wollen. Er findet, das entspräche nicht der Lebensreali- tät vieler Menschen. Ist das berechtigt oder grob fahrlässig?

[0:11:55]

Alexander Kekulé

Die Einschränkung zweier Haushalte, die jetzt auf fünf Personen reduziert wurde, gilt ja zu- nächst mal bis Weihnachten, soll dann an Weihnachten kurz eine Ausnahme geben und dann in den meisten Bundesländern wieder anziehen. Ich glaube, wenn man diese Pande- mie mit einem halbwegs einheitlichen Konzept bekämpfen will – und das ist ja hier die Idee gewesen dieser ganzen Veranstaltung gestern –, dann müssen sich eben alle Bundesländer

daran halten. Es ist sinnvoll ist zu sagen, wir wollen auch diejenigen, die im Moment noch nicht so hohe Fallzahlen haben, unter das Schutzschild stellen, weil wir wissen, dass ge- rade die Menschen oder die Regionen, wo momentan wenig los ist, am meisten gefährdet sind für einen völlig neuen und unvorhergese- henen Ausbruch. Das haben wir in Italien ge- sehen. Nachdem zunächst Norditalien so schwer betroffen war, hat es in der 2. Welle eben Süditalien erwischt, weil die die strikten Maßnahmen auch gar nicht gewohnt waren in der Bevölkerung. Daher bin ich schon dafür, dass man eine einheitliche Lösung hat. Da bin ich nicht der einzige. Das war ja die Ansage der Ministerpräsidenten, dass sie gesagt haben, wir einigen uns jetzt auf ein bundesweites Konzept. Das sollte sogar, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, so etwas wie eine mittel- fristige Strategie beinhalten. Und jetzt zerfällt es schon, wie ich mitbekomme, an der Zeit bis Weihnachten.

[0:13:33]

Camillo Schumann

Da wird möglicherweise jeder sein eigenes Süppchen kochen in den Bundesländern. Was auch noch eingeführt wurde, war eine 2. rote Linie. Wir kennen ja schon die Inzidenz-Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Für Gebiete mit besonders hohen Corona-Infektionszahlen sollen nun zusätzliche Beschränkungen gelten, ab einer Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Dieser Punkt wurde heftig diskutiert gestern. Z.B. gilt diese neue Grenze für weitere Maßnahmen an den Schu- len. Was halten Sie von dieser neuen Grenze?

[0:14:10]

Alexander Kekulé

Es gibt ja diese Corona-Ampel. Zuletzt wurde gesagt: Ab 50 steht die Ampel auf Rot. Das war eine Ampel für die Ministerpräsidenten und nicht für die Bevölkerung. Und die sind ja dann munter bei Rot drübergefahren, sobald die Ampel da war. Das erinnert mich an meine Jugend, wo meine Mutter manchmal gesagt

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hat, wenn ich auf dem Beifahrersitz saß und sie ist dann bei Rot über die Ampel gerauscht, im letzten Moment. Dann habe ich als Sohn ge- sagt, Mami, das war aber rot. Und dann hat sie gesagt, ja, aber noch nicht dunkelrot. Und jetzt hat man eben so eine Art Dunkelrot einge- führt, weil man sowieso dauernd bei Rot drüberfährt. Das ist 1.vom Konzept nicht über- zeugend. Und 2. meine ich auch rein epidemio- logisch ist 50 schon hoch, so dass die Gesund- heit Ämter wirklich am Anschlag sind. Der Kanzleramtsminister Braun hatte es mal ausge- rechnet, dass man eigentlich in der Größen- ordnung von 30 pro 100.00 die Belastungs- grenze der Gesundheitsämter hat. Das ist dann politisch hochgesetzt worden auf 50. Und wenn man jetzt sagt 200, da weiß ich gar nicht mehr, was das für eine Grenze sein soll. Da ist man in dem Bereich, wo die Gesundheitsäm- ter, wenn man dann die 200 wieder erreicht hat, eigentlich gar nichts davon haben. Man hat dann sozusagen Chaos A gegen Chaos B getauscht. Das heißt, man muss weiterrei- chende Maßnahmen machen. Das wurde ja von vornherein mal im Sommer so beschlos- sen. Man muss die spätestens bei diesem 50 wirklich zünden und sagen, wir machen die dann so konsequent, bis wir wieder unter 50 sind, oder das Gesamtkonzept stürzen und sagen, okay, dann geht es eben nicht mehr um die Nachverfolgung.

Vielleicht sehe ich das auch zu wissenschaft- lich. Aber ein Wissenschaftler will immer ein Konzept sehen. Aber aus meiner Perspektive ist es so: Es fehlt einfach jemand, der mal sagt, Folgendes ist unser Ziel und so wollen wir es erreichen. Das sind unsere Grundannahmen: zum Beispiel ab wie viel Abstand gibt es wirk- lich eine Infektion, oder wie viele Personen dürfen in Raum zusammen, oder wie oft müs- sen die Luftwechsel sein. All diese Basis- Parameter kennt man nicht im Detail, klar. Aber ich würde mir wünschen, dass man sagt, das ist unsere Arbeitskonzept, so ist unser Arbeitshypothese, und auf der machen wir jetzt folgende Regeln. Dann hätte das Ganze Hand und Fuß. Aber ich hier sehe das nicht,

dass da irgendwie ein wissenschaftliches Kon- zept als Grundlage vorhanden wäre.

[0:16:54]

Camillo Schumann

Das Ziel hat die Kanzlerin und Ministerpräsi- denten Jahr ausgegeben: einen Inzidenzwert von 50 in Deutschland. Aktuell wind wir bei 140. Das sind ja, wenn wir mal ehrlich sind, Notfallmaßnahmen, um jetzt durch eine sehr heiße Zeit und wahrscheinlich die angespann- teste Zeit, den Winter, zu kommen und danach dann sozusagen das langfristige und mittel- und langfristige Konzepte umzusetzen. Geht es im Moment vielleicht auch gar nicht anders?

[0:17:21]

Alexander Kekulé

Ich glaube, dass es schon anders ginge, wenn ich jetzt vom Konzept her anschaue. Wir wer- den nicht bis Weihnachten oder Neujahr auf die 50 kommen. Und es ist ja mein Vorschlag, dass wir ab nächstem Jahr mit einem kontinu- ierlichen Konzept weitermachen. Da habe ich einen konkreten Vorschlag gemacht, der übri- gens fachlich basiert ist, wo man nachlesen kann, auf welchen Annahmen er beruht.

Wir haben jetzt die Situation, dass wir irgend- wie über die Runden kommen müssen. Trotz- dem ist die Frage, was man strategisch oder vom Mechanismus her einsetzt oder imple- mentiert. Das erinnert mich so ein bisschen an die 2°C bei der Klimaerwärmung. Wenn Sie merken, Sie kommen nicht richtig hin, dann haben Sie plötzlich ein 3°C-Ziel. 4°C kommt dann vielleicht als nächstes.

In der Zeit der saufen trotzdem ganze Insel- gruppen und halbe Länder deswegen ab. Das muss man meines Erachtens sagen, wenn man jetzt die diese Schwelle reißt von 50. Da muss man entweder sagen, wir haben uns geirrt. Die Gesundheitsämter können doch 200 nachver- folgen. Das wäre kompletter Unsinn. Oder man muss sagen, es kommt uns jetzt doch nicht mehr so auf die Nachverfolgung durch die Ge- sundheitsämter an. Oder man muss erklären, warum man erst ab 200 eigentlich eingreifen

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muss, um dann irgendwann mal im Februar oder März vielleicht die 50 zu erreichen.

Aber ich sehe da kein Konzept. Und ich muss sagen, es ist jetzt extremes Fahren nicht ein- mal mehr auf Sicht, sondern mit geschlossenen Augen.

[0:18:52]

Camillo Schumann

Thema Schulen, weil Sie es angesprochen ha- ben: Die Schulen sollen offen bleiben, und weitgehende Maßnahmen für die Unterrichts- gestaltung sollen bei einem Infektionsgesche- hen mit einer Inzidenz oberhalb von 200 Neu- infektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche schulspezifisch umgesetzt werden. Genauso heißt es in dem Beschluss. Ein sogenannter Hybrid-Unterricht wird auch nicht verpflich- tend, sondern nur als Beispiel für mögliche Zusatzmaßnahmen genannt. Und außerdem sollen solche Maßnahmen auf Schüler ab der 8. Klassen – ausgenommene Abschlussklassen – beschränkt bleiben. Wie hört sich das für Sie an?

[0:19:25]

Alexander Kekulé

Das ist meines Erachtens als Generalansage zu wenig. Das kommt jetzt sehr darauf an, wie die Bundesländer das umsetzen. Und meine große Hoffnung ist, dass in den Bundesländern, wo das Infektionsgeschehen aktuell bedrohlich ist, das mit dem Hybrid-Unterricht konsequent umsetzen. Ab der 8. Klasse ist auch ein biss- chen spät, meines Erachtens. Wir wissen nicht, was im Alter zwischen zehn und 14 passiert. Das hätte man möglicherweise so machen sollen, dass man gleich nach der Grundschule mit dem Hybrid-Unterricht anfängt. Und das andere war ja noch völlig offen, nämlich die Frage, wann die Weihnachtsferien beginnen sollen. Da hört man ganz unterschiedliche Din- ge. Eine Woche wäre sinnvoll gewesen, also eine Woche vor Weihnachten wirklich Schluss zu machen in den Schulen.

[0:20:14]

Camillo Schumann

Die Weihnachtsferien sollen in diesem Jahr fast überall gleichzeitig am 19. Dezember begin- nen. Bis auf Bremen und Thüringen sollen die Ferien überall an diesem Tag beginnen. Die beiden Länder haben sich eine länder- individuelle Regelung hinsichtlich des Ferien- beginns vorbehalten. Mit dieser Maßnahme soll dann die Zahl der Kontakte direkt vor den Feiertagen und damit er auch der Anste- ckungsgefahr im Familienkreis verringert wer- den. Also der 19.12. ist schon ziemlich in Stein gemeißelt.

[0:20:40]

Alexander Kekulé

Das sind fünf Tage. Das ist einfach die Frage, was man die Zeit vorher macht. Ich würde den Appell loswerden wollen an dieser Stelle, dass jeder, der irgendwie die Möglichkeit dazu hat, bereits vorher in eine private Quarantäne geht. Also eine Woche sollte man sich irgendwie ermöglichen, sofern man jetzt die ältere Gene- ration an Weihnachten mit dabei haben will. Da reichen die fünf Tage nicht aus, wenn ich mir vorstelle, dass da noch Abschiedsrituale in der Schule stattfinden und ähnliches.

Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, warum man den Hybrid-Unterricht nicht ab sofort einfach macht und umgekehrt sagt, wir haben Hybrid-Unterricht als Empfehlung vom Bund. Und dort, wo es an bestimmten Brennpunkt- schulen aus pädagogischen Gründen oder aus technischen Gründen nicht geht, dort macht man es halt dann nicht. Denn was nicht geht, das geht nicht. Aber warum man in den Berei- chen, wo der Hybrid-Unterricht möglich wäre – und das sind ja häufig einzelne Schulen, wo das geht –, warum man dort sagt, das soll erst ab einer Inzidenz von 200 überlegt werden, kann ich nicht nachvollziehen. Das wäre eine zusätz- liche Maßnahme gewesen, die nicht vielen wehgetan hätte und die viel gebracht hätte.

[0:22:02]

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Camillo Schumann

Sie haben die Selbstquarantäne angesprochen: Es gibt neue Quarantäneregelung für Schüler. Positiv getestete Schüler sollen gemeinsam mit ihren Mitschülern – in der Regel ist es die ge- samte Klasse – sofort in eine fünftägige Qua- rantäne geschickt werden. Die Tage am Wo- chenende zählen auch mit. Und die betroffe- nen Schüler sollen nach fünf Tagen Quarantä- ne einen Schnelltest machen. Wer negativ ist, darf wieder in die Schule. Wer positiv ist, soll alle drei Tage erneut getestet werden, bis der Test negativ ist. Lehrer sollen dem Beschluss zufolge wegen des zeitlich befristeten und anders strukturierten Kontakts nicht in diese ClusterIsolation einbezogen werden. Und offen ist auch noch, ob sie überhaupt genügend Schnelltest für dieses Vorgehen ergibt. Wie bewerten Sie diese Quarantäneregelung?

[0:23:32]

Alexander Kekulé

Wenn es bei den ganzen Maßnahmen, die ich im Großen und Ganzen für richtig halte, bleibt, ist das gut. Das ist ja alles richtig, hat nur zu viele Schlupflöcher. Wenn es eine Maßnahme gibt, die mir epidemiologisch Angst macht, dann ist es genau das. Da haben sich Fachleute durchgesetzt, die das vor einiger Zeit vorge- schlagen haben. Ich habe mit den Protagonis- ten, die die 5 Tage vorgeschlagen haben, eine allgemeine Quarantäne, die auch mal Abkling- zeit genannt wurde in Anlehnung an einen Kernreaktor und danach Antigen-Schnelltests. Ich habe mit den Leuten auch telefoniert, aber wir sind da fachlich überhaupt nicht zu einer Einigung gekommen, denn es ist letztlich so: Man kann sagen, die Inkubationszeit dieser Erkrankung, also die Zeit zwischen Ansteckung und dem ersten Auftauchen von Symptomen oder auch Positiv-werden des Tests – das ist ja fast der gleiche Tag – beträgt bis zu 14 Tage. Der Median, also der mittlere Wert, sind fünf Tage, plus/minus zwei. D.h., im Zeitraum zwi- schen drei und sieben Tagen nach der Infekti- on infiziert sich nur die Hälfte allerCovid19- Patienten. Alle anderen infizieren sich entwe- der vorher – das ist aber nur ein ganz kleiner

Teil – und die meisten eben nach diesen fünf Tagen. Und wenn man sich vorstellt, dass Kin- der, wenn es einen positiven Fall gibt, für fünf Tage zu Hause sind, und dann werden sie auch nur durch einen Schnelltest, der ja wiederum geringe Konzentrationen des Virus übersieht, überprüft, dann verlieren Sie ja noch mal Fälle. Das heißt, wir kommen in eine Lage, wo wir eine gefährliche Situation haben: Dass Kinder nach fünf Tagen getestet werden, sind negativ, kommen wieder zurück und haben erst nach sieben Tage ihre erste positive PCR, oder dann eben nach neun Tagen den positiven Schnell- test vielleicht. Und die sitzen einfach munter in der Schule. Klar ist, dass das nicht für die ganz Kleinen gilt, sondern wir sprechen von einer Altersgruppe von zwölf Jahren, wo wir wissen, dass die genauso infektiös wie Erwachsene sind und vom Sozialverhalten besonders ris- kant. Dass man da diese Maßnahme ergriffen hat, kann ich wissenschaftlich absolut nicht nachvollziehen.

[0:25:26]

Camillo Schumann

Und was halten Sie davon, dass die Lehrer nicht in dieser Cluster-Isolation einbezogen werden?

[0:26:20]

Alexander Kekulé

Ich sehe da ganz klar den politischen Grund: Wenn Sie die Lehrer auch mit nach Hause schi- cken, ist die Schule ruckzuck zu. Es gibt epide- miologisch nur folgende Überlegung. Und da fehlt völlig die Struktur. Entweder ich sage, es kann in der Schule zu Superspreading kom- men. Und wenn ein Superspreading da ist, muss ich die ganze Klasse nach Hause schicken. Da darf ich nicht mehr fragen, wer rechts und links von dem infizierten Fall war und sich an- gesteckt hat. Da gilt das für die ganze Klasse. Da kann sich trotz Maskentragens in der letz- ten Ecke jemand infiziert haben. Wenn das so ist, das ist ja die Annahme, schicke ich die gan- ze Klasse heim. Das ist ja hier die Basis. Warum soll dann der Lehrer, der vorne steht, den alle face-to-face anschauen – die Schüler schauen

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sich ja nicht die ganze Zeit gegenseitig an, aber hoffentlich auf den Lehrer. Schaut mal alle her, sagtauchderLehrergerne- warumsollaus- gerechnet der nicht infiziert werden, bloß weil er einen Meter weiter weg steht? Dann reden wir aber von Tröpfcheninfektionen. Sie merken schon: Für einen Fachmann ist es so: Ich will wissen, was da das Konzept dahinter ist, wieso den Lehrer rauslassen, wenn ich von einer Art aerogenen Infektion ausgehe. Da fällt mir nur ein: Na gut, wir wollten halt nicht alle Schulen zu machen, also gilt es nicht für den Lehrer.

Ich kann vielleicht noch einmal etwas zu diesen fünf Tagen sagen. Es gibt eine ganz aktuelle Studie, die gerade veröffentlicht wurde in ei- nem der renommiertesten Journale, die wir haben. im New England Journal of Medicine. Die ist am 11.11. veröffentlicht worden. Da hat man bei einigen tausend Rekruten im amerika- nischen Militär ein Experiment gemacht. Man hat die erst zwei Wochen lang in eine häusli- che Quarantäne geschickt und dann zwei Wo- chen lang unter Aufsicht in so einem Marine- College beaufsichtigt. Die haben versucht, ein bisschen Social Distancing zu machen, Masken zu tragen und so weiter. Aber klar, junge Rek- ruten sind nicht perfekt darin. Dann hat man die systematisch alle paar Tage mit der PCR untersucht und geguckt, wie stecken die sich gegenseitig an? Man wusste, wie viele vorher infiziert waren. Ein paar haben da Infektionen reingetragen. Und dann hat man genau ver- folgt, wie die Ansteckungen waren und was dabei herausgekommen ist. Das ist die bisher am besten kontrollierte Studie. Weil niemand so genau kontrolliert wird wie Rekruten beim Militär. Was dabei herausgekommen ist, ist, dass ein Teil erst am 14 Tag überhaupt positiv geworden ist. Das Ergebnis dieser Studie war, dass man gesagt hat, passt mal auf, selbst die 14 Tage könnten nicht ausreichen als Quaran- tänemaßnahme, weil einige eben erst nach zwei Wochen noch positiv werden und dann andere anstecken können. So ist die wissen- schaftliche Faktenlage. Und vor diesem Hinter- grund zu sagen wir verkürzt das in Deutschland als einziges Land der Welt auf fünf Tage und

danach einen antigenen Schnelltest. Da würde ich gerne mal die wissenschaftliche Datenlage sehen und das Papier sehen, wo einer es ge- wagt hat, als Fachmann das aufzuschreiben. Und das muss man doch da mal diskutieren. Da kann es doch nicht sein, dass zwei/drei Leute den Ministerpräsidenten so als Hintertür an- bieten und das dann politisch beschlossen wird.

[0:28:58]

Camillo Schumann

Aber ist es denn auf Kinder und Jugendliche anwendbar?

[0:29:03]

Alexander Kekulé

In dem Fall waren das Jugendliche, also Rekru- ten. Na ja, sagen wir, junge Menschen, das sind junge Menschen, keine Schüler. Aber es gibt absolut keinen Anlass anzunehmen, dass zwi- schen 22-jährigen bis 25-jährigen Marine- Rekruten und 17-jährigen oder 15-jährigen Schülern an einer weiterführenden Schule epidemiologisch ein Unterschied wäre. Das einzige, wo wir ein bisschen den Verdacht ha- ben, dass es anders sein könnte, sind Grund- schüler und Kita-Kinder, weil es da merkwürdi- gerweise kaum zu Ausbrüchen kommt. Aber bei weiterführenden Schulen haben wir auf der ganzen Welt Ausbrüche. Und da gibt es keinen Grund, davon auszugehen, dass es bei uns nicht so ist.

[0:29:47]

Camillo Schumann

Kommen wir noch kurz zum Einzelhandel. Dort gelten die Maskenpflicht vor und im Laden und eine Beschränkung der Fläche je Kunde bis 800 Quadratmeter. Die die Zahlen kennen. Das kommt einem bekannt vor. Bis 800 Quadrat- metern Verkaufsfläche je zehn Quadratmeter pro Kunde und bei Geschäften ab 800 Quad- ratmetern müssen 25 Quadratmeter je Kunde zur Verfügung gestellt werden. Der Handels- verband HDE kritisiert das Ganze. Es gäbe kei- nen sachlichen Grund, diese 800-Quadrat- meter-Regel zu erlassen und befürchtet auch

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der Warteschlangen vor den Geschäften und in den Innenstädten. Wie sehen Sie diese Rege- lung?

[0:30:28]

Alexander Kekulé

Das war dringend überfällig, dass man das begrenzt. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich wusste gar nicht, dass es da noch Schlupflö- cher gibt. Ich habe mir aber wirklich Sorgen gemacht wegen Black Friday. Das ist ja schon morgen. Wenn ich mich erinnere, wie Black Friday in vielen Kaufhäusern aussieht – die machen die Türen auf und die Menschenmas- sen stürmen das Kaufhaus, weil dann die Billig- angebote zur Verfügung gestellt werden. Dass das bis morgen hoffentlich schon implemen- tiert wird, dass morgen die Leute nicht im Kaufrausch in die Kaufhäuser kommen. Das war der allerletzte Moment, um so etwas ein- zuziehen. Ich verstehe natürlich den Einzel- handel, dass die gerne viele Kunden im Laden haben, und sie es nicht abschreckt, wenn sie im Nieselregen vor der Tür stehen. Klar, das ist für die schlecht. Aber hier kann man sagen, das war untragbar. Auch wenn man die Situation der letzten Tage in den Kaufhäusern gesehen hat. Und darauf stellen ja die 800 Quadratme- ter ab. Die haben – damals wie heute – den Hintergrund, dass man Shoppingmalls und Kaufhäuser mit abgreifen will. Die haben ja viele Flure außen. Die haben ja viele Bereiche, wo gar nicht verkauft wird. Und deshalb drängt sich die Kundschaft vor dem Wühltisch. Und wenn Sie das Ganze auf die Grundfläche ver- rechnen würden, da würden Sie ja viel zu viele Leute hereinlassen. Die drängen sich ja nicht auf dem Flur. Andererseits dann zu sagen ja, gut, wir nehmen nur die Fläche bis zu fünf Meter Abstand von allen Verkaufsregalen, wäre wahrscheinlich die akademisch richtige Lösung gewesen. Das ist etwas, was die Ge- schäfte natürlich ohne Gutachten auf die Schnelle nicht hinbekommen hätten. Darum hat man jetzt gesagt, okay, wir wollen, dass in großen Geschäften, weil die viele Leerflächen

haben, sich das nicht drängt. Da nahm man diese 800 Quadratmeter.

Der andere Punkt: Diese Shoppingmalls oder auch größeren Kaufhäuser haben erfahrungs- gemäß Kundschaft, die von weiter weg kommt. Da wissen wir, dass der Einzugsbereich dann größer ist als beim Tante-Emma-Laden neben- an, sofern so etwas noch gibt. Und da ist es so, dass der große Einzugsbereich epidemiologisch bedenklich ist, weil die Leute dann die Infekti- on über größere Strecke hin- und hertragen.

[0:33:03]

Camillo Schumann

Also Daumen nach oben für diese Regelung Mitte Dezember treffen sich Bund und Länder wieder. Dann könnte der Teil-Lockdown er- neut verlängert werden, wenn die Fallzahlen nicht deutlich sinken. Das ist leider nicht ab- sehbar. Die Kanzlerin hat ja auch gesagt: der Status quo bleibt bestehen, vermutlich auch deutlich nach Weihnachten und über Neujahr hinaus. Also das Konzept, das wir gerade eben besprochen haben, könnte die Mittelfrist- Lösung sein, oder?

[0:33:30]

Alexander Kekulé

Ja, das ist letztlich eine Art weiterer Lockdown, das ist jetzt nicht mehr light, sondern semi- light oder so, deutlich verschärft. Was beson- ders abstrus ist, darf ich zum Schluss noch sagen, ist, dass das Maskentragen im Freien auch angeordnet wird. Das ist jetzt nun eine Anordnung, wo man am allerwenigsten elf wissenschaftliche Daten für hat? Und ja, diese Lösung, die jetzt ausgehandelt wurde, bleibt uns noch eine Weile erhalten. Gestern bei diesem Meeting sah man ja: Obwohl der Druck enorm hoch war, sich zu einigen – es gab ja noch nie so eine MPK, also Ministerpräsiden- tenkonferenz, wo so ein hoher Druck im Vor- feld aufgebaut wurde –, und selbst da ist es eigentlich nur zu so einer Lösung gekommen, wo jeder weiterhin irgendwie machen kann, was er will. Ich glaube nicht, dass die sich vor Weihnachten dann auf plötzlich auf ein mittel-

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fristiges Konzept einigen werden. Das wird jetzt erstmal so weitergehen, sofern man nicht ganz grundsätzlich die Strategie umstellt. Das ist meines Erachtens erforderlich.

[0:34:37]

Camillo Schumann

Da kommen wir noch zu einer Hörerfrage. Herr W. hat uns eine Mail geschrieben:

„Hallo, Herr Kekulé, sehe ich es richtig: Wer sich impfen lässt, wird dann ohne Maske durch die Straßen gehen können, der ohne Impfung weiter mit? Ich sehe darin ein großes Problem im Alltag. Wie wird das dann in Büros zum Beispiel gehandelt? Da könnte ja jeder sagen, er ist geimpft und braucht keine Masken mehr. Viele Grüße.“

[0:35:00]

Alexander Kekulé

Das ist eine gemeine Hörerfrage. Die Hörer werden immer schlauer. Es ist klar, das ist ein Riesenproblem. Wie fädeln wir eigentlich diese Impfungen ein? Wir haben da verschiedene Populationen. Und wir haben Leute, die sind immun durch die Durchseuchung. Und es gibt solche, die sind geimpft. Da kann man es schön dokumentieren. Und es gibt die armen Men- schen, die noch gar nichts haben oder es gar nicht wissen. Da braucht man ein gutes Kon- zept dafür. Da müssen wir noch einmal aus- führlicher drüber sprechen. Meines wäre, dass man letztlich sagen muss, bis die Her- denimmunität in dem Bereich ist, dass wir sagen: Wir sehen, dass die Fallzahlen so in den Keller fallen, dass das ist wirklich absurd wird, weiterhin Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Bis dahin müssen wir eigentlich für alle die epide- mischen Maßnahmen gelten lassen. Aber diese Diskussion, die muss erst noch geführt werden. Das ist vollkommen richtig.

10 [0:35:54]:

Camillo Schumann

Aber wir haben damit heute den Auftakt ge- macht. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 125. Vielen Dank, Herr Kekulé.

Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann wie gewohnt zu einem „Hörerfragen Spezial“.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie an: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 24.11.2020 #124 (audio): Impfstoff und Situation 

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Dienstag, 24. November 2020. Der Plan der Bundesländer für die Festtage steht. Wie ist er zu bewerten? Dann: Infektio- nen und Schnelltests. Wie ist die Lage in den Pflegeheimen wirklich? Außerdem: Sollten Menschen mit Corona auf das Mülltrennen verzichten? Und: Reicht für ein sicheres Test- ergebnis nur ein Rachenabstrich? Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Modera- tor bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag ha- ben wir einen Blick auf die aktuellen Entwick- lungen rund um das Coronavirus. Und wir be- antworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Ale- xander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wie immer zu Beginn der Sendung ein Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen stand. Heute wurden 13.554 neue Corona-Fälle gemeldet, rund 900 weniger als letzten Dienstag und rund 1.800 weniger als am Dienstag vor zwei Wochen. In der Beschlussvorlage der Länder für das Treffen mit der Kanzlerin morgen steht: Das Helmholtz-Institut hat aus den ermittelten

Daten feststellen können, dass durch die Maß- nahmen die Kontakte um 40 Prozent reduziert worden sind. Dies hat das exponentielle Wachstum gebremst. Die erhoffte Trendwende konnte im November aber noch nicht erreicht werden. Bisher ist lediglich ein Seitwärtstrend zu beobachten. Beobachten Sie den auch?

[0:01:34]

Alexander Kekulé

Ja, wenn man das so nennen möchte. Seit- wärtstrend ist ein lustiger Ausdruck, den Sie da verwenden. Das heißt, es stagniert eigentlich. Das Wort Stagnation ist an der Börse nicht beliebt, und deshalb sagt man dort wohl eher Seitwärtstrend. Wir haben die Situation, dass es einfach nicht gereicht hat. Und man muss sich das quantitativ vor Augen führen: Wenn wir jetzt 15.000 Fälle pro Tag haben, die ent- deckt werden mit einer fünffachen oder zehn- fachen Dunkelziffer. Irgendwo in dem Bereich wird die liegen, eher bei zehnfach. Dann haben wir also ungefähr 100.000 Personen, die jeden Tag neu entdeckt werden. Und die stecken alle munter weitere Menschen an, und zwar wenn R bei 1 liegt, genauso viele wie vorhanden sind. Das heißt also, wir haben pro Tag 100.000 Neuinfizierte. Und das ist schon sehr vorsichtig gerechnet. Daher würde ich davon ausgehen, dass das lange nicht reicht, um die Epidemie abzubremsen. Unser Ziel muss ja sein, dass es noch Menschen gibt, wo sie es lohnt zu imp- fen, wenn ich das mal so zynisch sagen darf, bevor der Impfstoff kommt. Und nicht, dass wir uns hier munter selbst durchimmunisieren.

[0:02:50]

Camillo Schumann

Die 7-Tage-Inzidenz ist seit einigen Tagen kon- stant bei rund 140. Sachsen-Anhalts Minister- präsident Reiner Haseloff bewertet die Situati- on so:

„Der Anstieg ist gebrochen, aber nicht zum Stillstand gekommen komplett, beziehungswei- se ein einen Rückkehren auf Inzidenzzahlen von 50 pro 100.000 über 7 Tage ist in den nächsten Monaten ganz schwer zu erreichen. Und des- wegen müssen wir auch sehen, wie wir mit

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diesem Level, was wir jeweils erreicht haben, so umgehen, dass wir vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Intensivkapazitäten das System nicht überfordern.“

[0:03:27]

Camillo Schumann

Herr Haseloff sagt sinngemäß: Mit diesem Stand der Neuinfektionen müssen wir jetzt erst einmal leben, für weitere Monate sogar. Sehen Sie das auch so? Sind über den Daumen gepeilt zwischen 10.000 und 20.000 täglichen Neuin- fektionen. Ist das jetzt das neue „Normale“?

[0:03:41]

Alexander Kekulé

Ich war jetzt da gerade überrascht, was ich gehört habe. Und ich glaube, 1:1 hatte er das so nicht gemeint. Es wäre ja nicht sinnvoll, jetzt vor Weihnachten noch einmal richtig auf die Bremse zu treten - das haben die Länder ja vor -, wenn man zugleich der Meinung ist, man kann es sowieso nicht ändern. Ich glaube schon, dass das Ziel sein muss, innerhalb von Wochen in einen Korridor zu kommen, wo die Zahl der Neuinfektionen deutlich gesenkt wird. Alles andere wird nicht funktionieren, weil wir nicht nur den einen Faktor haben, den der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt gerade genannt hat, nämlich die Überlastung der In- tensivkapazitäten. Das ist nur die letzte Linie der Verteidigung, die nicht gebrochen werden darf. Sondern weiter vorgelagert haben wir noch die Linie, dass die Gesundheitsämter irgendwie wieder mit der Nachverfolgung zu- rechtkommen sollen. Und dafür ist ja diese Inzidenzschwelle von 50 pro 100.000 Men- schen mal erfunden worden ist. Ich glaube, wir müssen in einen Bereich kommen, wo die Nachverfolgung irgendwie noch einen Sinn macht. Wir können nicht und sozusagen ganz mit dem Rücken an die Wand stellen und sa- gen, jetzt geht es nur noch um die Intensivka- pazitäten. Das wäre mir zu passiv in der Situa- tion.

[0:04:56]

Camillo Schumann

Morgen ist es dann soweit, morgen entschei- den die Länder zusammen mit der Kanzlerin, wie es nun weitergehen soll. Noch einmal Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Ha- seloff:

„Entscheidend sind die nächsten drei Wochen nach dem30.11.2020, wo die Verordnungen ja überall auslaufen. Dann wird es noch mal ein Regime geben für die Weihnachtstage, inklusi- ve möglicherweise für Silvester und Neujahr. Das muss dann noch mal abgeglichen werden mit den dann anstehenden Zahlen. Und dann müssen wir sehen, wie wir dann in den Januar hineingehen und das Ganze korrespondieren lassen. Auch mit den Ferienregelungen.“

[0:05:28]

Camillo Schumann

Die Vorschläge der Länder sind jetzt bekannt. Die Maßnahmen, die jetzt schon gelten, die werden bis 20. Dezember verlängert, also Ho- tels und Gaststätten bleiben geschlossen. Und die Maskenpflicht wird erweitert, sie gilt künf- tig auch vor Einzelhandelsgeschäften und auf Parkplätzen. Und die Bevölkerung wird außer- dem noch aufgerufen, die Weihnachtseinkäufe möglichst unter der Woche zu tätigen. Bis zum 20. Dezember bleibt also erst einmal alles wie gehabt: keine Lockerung, nur einzelne Ver- schärfungen. Ist das ein richtiger Plan?

[0:05:59]

Alexander Kekulé

Man konnte jetzt nichts lockern in der Situati- on, das ist ganz klar. Ich bin ja bekanntlich nicht dafür gewesen, die Gaststätten so pau- schal zu schließen und die Hotels. Man hätte das auch anders machen können. Ich war für eine selektive Variante. Aber in der jetzigen Situation sie wieder zu öffnen und zu sagen: Jetzt machen wir quasi doch den anderen Plan, wäre jetzt psychologisch das falsche Signal. Deshalb kann man in der Situation jetzt nicht sagen, wir machen wieder auf. Das wäre zu kompliziert zu erklären. Das muss man in dem

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Fall fairerweise sagen. Daher müssen wir wei- termachen. Aber zum Beispiel der Vorschlag, jetzt im Freien vor den Geschäften Masken vorzuschreiben ist wieder so ein Ding. Da schreibt man wieder Sachen vor, wo viele Menschen wissen, dass sie keinen Effekt haben und nicht sinnvoll sind. Außer man würde da- zuschreiben, ihr dürft im Freien jetzt wieder auf Tuchfühlung zueinander geben. Aber es gibt ja noch die Regel, dass man 1,50 m Ab- stand hält. Und daher meine ich, dass da die Konsistenz fehlt, die klare Linie, wo ich sehe: Das und das wissenschaftliche Konzept haben die zugrunde gelegt und auf der Basis als Ar- beitsgrundlage wird entschieden. Und im Freien noch einmal die Maskenpflicht zu er- weitern, halte ich für weder medizinisch ange- zeigt noch für psychologisch sinnvoll. Wenn ich mir das vorstelle, wenn es da schneit oder regnet, man muss ja wahrscheinlich bei uns eher mit Regen rechnen im Winter, dann stehe ich mit meiner Maske draußen und die wird vollgeregnet. Dann habe ich diesen Podcast gehört und weiß deshalb, sobald die Maske nass ist, muss ich sie wechseln. Da ist jetzt die Frage: Wechsle ich sie nach einer Sekunde oder alle vier Sekunden? Je nachdem, wann ich sie als nass bezeichne, wahrscheinlich reichen schon fünf Wassertropfen. Da hat jemand nicht sehr weit gedacht. Und das ist Aktionis- mus. An anderen Stellen sind die Vorschläge vernünftig. Aber mit den Masken im Freien, da gehe ich absolut nicht mit.

[0:08:03]

Camillo Schumann

Da gehen wir jetzt mal die Vorschläge der Län- der für die Festtage durch. Vom 23. Dezember bis 1. Januar können Treffen eines Haushaltes mit haushaltsfremden, Familienmitgliedern oder haushaltsfremden Menschen bis maximal zehn Personen möglich sein, sonst nur fünf. Weihnachten und Silvester dürfen sich zehn Personen treffen. Was sagen Sie dazu?

[0:08:29]

Alexander Kekulé

Na ja, das kommt halt auf die Familiengrößen an. Ich glaube, der allgemeine Appell wäre ich hier genauso gut gewesen, wenn man gesagt hätte, möglichst wenige. Und wenn es geht, auch darauf verzichten, mehrere Generationen einzuladen. Also die die Kinder, die ins Gymna- sium gehen oder die Studenten zusammen mit den sehr alten Großeltern. Das ist ja nicht in jeder Familie so, dass man das ganze Spektrum hat. Und nicht alle Familien treffen sich so vollständig. Das über einen Kamm zu scheren, ich weiß nicht, ob das viel bringt. Denn für die eine Familie sind zehn Personen schon viel, die sagen, das schaffen wir sowieso nicht. Die an- dere Familie hat vielleicht viele Kinder für deutsche Verhältnisse. In meinem Fall zum Beispiel ist ja bekannt, dass ich fünf Kinder habe. Ich schaffe es dann allein mit den Kin- dern mit zwei anderen Familienangehörigen würde es vielleicht dann auch schon auf zehn schaffen. Da ist es aber unkritisch, weil so viele Kinder dabei sind. Das hätte ich eher differen- ziert und als Empfehlung herausgegeben, zu- mal ich glaube, dass man sich bei Weihnachten sowieso nicht so viel reinreden lassen wird. Grundsätzlich ist es so, dass es sinnvoll ist, vor Weihnachten noch mal zu bremsen. Das wird ja jetzt gemacht, um dann an Weihnachten ein bisschen mehr Freiheiten zu haben.

[0:09:58]

Camillo Schumann

Wie ist es denn aus epidemiologischer Sicht? Spielen Werte unter zehn Personen überhaupt eine Rolle? Sind es unter 15 oder unter 20 Menschen? In Ihrem Konzept waren es bis zu 20 Menschen.

[0:10:10]

Alexander Kekulé

Es ist so das Konzept, wovon ich spreche, darf man nicht durcheinander bringen mit anderen Empfehlungen. Es ist das, was hier auch übri- gens wieder fehlt und was ich jetzt in einem Buch veröffentlicht habe. Ein Konzept, was man langfristig angehen kann, wo man wirklich sagt, das ist jetzt ein steady state, ein kontinu-

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ierlicher Zustand, bis dann irgendwann mal die Impfstoffe kommen. Das ist nicht das Konzept, um jetzt eine Welle zu brechen.

Jetzt im Moment brauchen wir tatsächlich erst einmal den Lockdown. Da ist es sinnvoll, klei- nere Zahlen zu machen. Ich hatte vorher schon angeregt, dass man von zehn auf fünf Kontak- ten pro zwei Haushalte heruntergeht in der Normalsituation. Und dem ist ja jetzt auch gefolgt worden. Aber ich glaube, dass es nicht sinnvoll ist, konkret für Heiligabend Vorschrif- ten zu machen. Da hätte ich keine Zahl reinge- schrieben.

Epidemiologisch gesehen muss man sagen: Wir haben zwei Dinge, die wir verhindern wollen. Dass eine ist individuell auf der familiären Ba- sis. Wenn alte Menschen dabeisitzen oder andere mit besonders hohem Risiko, will man deren Infektion verhindern. Das kann man aber auch anders machen. Wenn ich einen 17- Jährigen habe, wo ich weiß, der hat sich die letzten Wochen mit seinen Kumpels getroffen und da ist ein hohes Infektionsrisiko. Und weil wir in der Großstadt leben, muss ich die Groß- mutter oder den Großvater an Heiligabend ein bisschen abseits setzen. Und die sollen sich nicht gerade eng umarmen an dem Tag und notfalls kann man ja auch einen Teil des Weih- nachtsgeschehens mit Maske betreiben. Ich glaube, da gibt es viele individuelle Lösungen, die besser sind, als zu sagen: 20 Personen. Das Zweite, was wir verhindern wollen, ist immer das Superspreading. Und da ist es so, dass man sagen muss, wenn es zum Superspreading bei so einem Familienfest käme, dann ist eine Per- sonenzahl von zehn bis 20 rein epidemiolo- gisch für die Gesamtbevölkerung zunächst einmal kein Problem, sofern nicht alle Deut- schen zugleich an Weihnachten das machen. Dann wäre es eine Riesenkatastrophe. Aber deshalb gibt es in der Tat – und ich glaube, das liegt dem zugrunde – eine gewisse Anzahl von Personen, wo man sagen kann, da drunter ist das Risiko epidemiologisch nicht so relevant. Und das war eben immer im Dauerkonzept diese Zahl von 20. – Jetzt hat man hier die Zahl

von zehn genommen. Da gibt es ja diese Se- condary-attack-Rate, also die Frage: Wie viel Personen steckt einer bei so einem Super- spreading in der Situation an? Und da wissen wir, dass das selten über 50 Prozent geht. Das wäre eine krasse Ausnahme. Wenn es mehr als 50 Prozent sind. Bei den zehn Leuten an Weih- nachten, wenn ein Superspreader dabeisitzt, würde der wahrscheinlich dann fünf anstecken im Höchstfall. Und da „sagt“ die Statistik, die da in Braunschweig gemacht wurde: Okay, das können wir noch verkraften.

[0:13:06]

Camillo Schumann

Und damit dann die Oma etwas näher bei der Familie sitzen kann, sollen sich die Menschen vor den Feiertagen in eine möglichst mehrtägi- ge häusliche Selbstquarantäne begeben. Dies kann – das steht dann auch in der Beschluss- vorlage – durch gegebenenfalls vorzuziehende Weihnachtsschulferien ab dem 19.12.2020 unterstützt werden. Was sagen Sie dazu?

[0:13:37]

Alexander Kekulé

Kommt Ihnen wahrscheinlich bekannt vor, nehme ich doch mal an. Ich hatte ja gefordert, die Ferien sieben Tage vor Weihnachten be- ginnen zu lassen. Der 19.12. ist jetzt hier vor- geschlagen.Dasist wenigeralsdieWoche. Aber das ist besser als nichts, muss man ganz klar sagen. Man sieht also, wie Politik dann agiert. Der Epidemiologe sagt: Wir brauchen eine Woche. Die Politik sagt: Der 19.12. ist der Samstag. Da lassen wir uns dann einfach da fangen wir an, wo es organisch ist. Es ist weni- ger wirksam, als wenn man es länger gemacht hätte. Und ich habe so ein bisschen das Prob- lem, dass das ja jetzt erst mal so der Appell an die Bundesländer ist. Für die Eltern ist es viel einfacher, wenn offiziell Ferien sind und man nicht sagen muss, das Kind ist krank und kommt deshalb nicht in die Schule. Das wird man dann sehen, wie der endgültige Beschluss aussieht. Mir wäre sehr daran gelegen, dass das einheitlich ist. Denn das ist ein sehr wirk- sames Instrument. Für die Familien, die über-

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haupt die Situation haben, dass sie jemand in der Familie schützen müssen, ist das ein Glück. Das hat nicht jeder, dass da alle Generationen zusammen sind.

Und was mir fehlt, ist die Empfehlung, dann auch noch Tests zu machen. Das ist ja eine weitere Stufe, die man einziehen kann, zumin- dest in den Familien, wo ältere Menschen mit am Tisch sitzen, dass man solche Schnelltests an dem Tag macht. Da muss man sagen: Wieso ist der Tisch leer, obwohl die Tests ja seit März zur Verfügung stehen?

[0:15:14]

Camillo Schumann

Aber wenn wir jetzt mal die fünf Tage nehmen und wir uns am Samstag alle brav in Selbstqua- rantäne begeben, keinen treffen und nur noch das Nötigste tun, und ich keine Symptome habe kurz vor dem 24.12., dann kann ich doch am 24. zu meiner Familie fahren?

[0:15:34]

Alexander Kekulé

Da ist jetzt das Stichwort Inkubationszeit ge- fragt. Da gibt es leider zwischen den Fachleu- ten, die sich öffentlich äußern in Deutschland offensichtlich unterschiedliche Positionen. Ich lese es dann auch in den Vorschlägen der Mi- nisterpräsidenten, dass man dem einen oder dem anderen gefolgt ist. Die grundsätzliche Inkubationszeit, die normale Inkubationszeit, wenn ich es mal so sagen darf, sind fünf nor- male Tage.

Aber was heißt fünf Tage normalerweise? Das heißt, dass man mathematisch gesehen von allen in Inkubationszeiten, die man gesehen hat, also die Zeiten zwischen Ansteckung und Auftreten der Symptome, dass man den mittle- ren Wert nimmt, also nicht den Mittelwert, sondern den mittleren Wert, den Median. Der Median ist fünf Tage, aber plus/minus zwei Tage, also ein Zeitraum zwischen drei und sie- ben Tagen. Da sind wir jetzt schon mehr als fünf. Zwischen 3 und 7 Tagen zeigen 50 Pro- zent der Infizierten, also die Hälfte von allen, die ersten Symptome. Das ist damit gemeint.

Das heißt also, die andere Hälfte zeigt die Symptome tendenziell später, denn viel schnel- ler als drei Tage geht es eigentlich kaum, gibt es schon mal, aber selten. Also die meistenzei- gen sie später. Was heißt das? Das heißt, wenn Sie 14 Tage Inkubationszeit nehmen – und das ist ja der Grund, warum die Quarantäne 14 Tage ist, die Quarantäne-Anordnung – dann haben Sie die Situation, dass noch welche durch die Lappen gehen, die noch ein bisschen länger als 14 Tage brauchen. Wenn Sie das verkürzen auf zehn Tage – und diesen Vor- schlag gab es ja von einigen meiner Kollegen, wo ich nicht mitgehen, dass man das einfach so verkürzt –, dann haben Sie in der Größen- ordnung von fünf bis zehn Prozent, die Ihnen durch die Lappen gehen. Also Leute, die später noch positiv werden. Wenn Sie das jetzt auf fünf Tage verkürzten – wie das hier offensicht- lich gedacht ist und wo ich auch weiß, dass einige so argumentieren und die Quarantäne- zeit auf fünf Tage verkürzt werden soll –, dann kommen Sie in eine Situation, wo Sie rein sta- tistisch gesehen über die Hälfte der Fälle eben nicht mehr erwischen. Deshalb stimmt es eben nicht, dass man fünf Tage in Heimquarantäne macht und dann entspannt Weihnachten fei- ert. Selbst bei denen, die dann noch sympto- matisch werden hinterher, hat man über die Hälfte gar nicht erfasst, also über die Hälfte werden dann doch noch positiv. Und wir wis- sen ja auch, dass ein erheblicher Teil der Men- schen gar keine Symptome kriegt oder so schwach, dass das nicht bemerkt. Das heißt also, es könnte auch ein Asymptomatischer dann an Weihnachten mit dabei sein. Die wür- den sie nur entdecken, wenn Sie den Test ma- chen.

Camillo Schumann

Aber in dem Fall könnte der Appell von diesem Podcast ausgehen: fünf Tage Minimum! Aber wenn Sie es können, dann machen Sie es doch ein paar Tage länger vorher.

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Alexander Kekulé

Unbedingt. Ja, das ist immer schwierig, wenn man eine Schulpflicht hat. Das ist ja ein Rechtsbruch. Und wir wissen, dass einige Bun- desländer sich nicht zu schade waren, in den Sommerferien – jetzt nicht diesen Sommer, sondern in den letzten Sommern – sogar die Polizei an die Flughäfen zu schicken, um zu gucken, wer wegen eines billigeren Fluges die Kinder einen Tag vorher aus der Schule ge- nommen hat. Da gab es dann Strafen für so was. Offensichtlich haben wir viele Polizeibe- amte extra in Deutschland. Und wenn man so etwas in Erinnerung hat, muss man auf keinen Fall empfehlen, ein Kind früher aus der Schule zu nehmen. Aber bei denen, die keine schul- pflichtigen Kinder haben, ist es so, dass man sagen muss: Kinder, Kita oder ähnliches min- destens auf die sieben Tage vorher zu schlie- ßen. Diese Empfehlung, die ich ja gegeben hatte, war schon ein Kompromiss zwischen dem, was virologisch sinnvoll ist und dem, was für die Bevölkerung zumutbar ist.

[0:19:27]

Camillo Schumann

Das muss dann jeder für sich selber entschei- den. Das ist er nur ein Appell, einen Hinweis, wie sich jeder verhalten kann. Wie die Gestal- tung am Ende aussieht, kann ja jeder für sich persönlich entscheiden.

Die Firmen sollen, wo es geht, vom 23. De- zember bis 1. Januar geschlossen bleiben. Die Länder bitten die Arbeitgeber um Betriebsferi- en oder um weitreichende Homeoffice- Lösungen. Das ist ein relativ langer Zeitraum direkt zwischen den Jahren und in der Weih- nachtszeit. Ist das eine gute Lösung?

Alexander Kekulé

Ich glaube, das machen die Firmen sowieso nach dem Motto: Was können wir noch emp- fehlen, was keinem so richtig weh tut und was nach Aktion aussieht. Also die Firmen machen das doch sowieso, weil zwischen Weihnachten und Neujahr vielerorts runtergefahren wird. Und die Homeoffices sind jetzt in den letzten Monaten schon maximal ausgereizt. Man

könnte sagen: die Zitrone ist da ausgequetscht mit dem Homeoffice. Ich glaube, das jetzt noch weiter auszureizen, wird nicht richtig funktio- nieren. Ich glaube, es ist eher notwendig und da fehlt es eigentlich schon länger, dass wir über die Arbeitgeber-Aufgaben – der Arbeitge- ber hat ja eine Schutzverpflichtung seinen Ar- beitnehmern gegenüber – dass er klare Vorga- ben macht, wie die Infektionen zu verhindern sind am Arbeitsplatz, sofern eben kein Home- office möglich ist. Und ich glaube, da ist noch sehr viel Luft. Ja, es gibt ja viele Arbeitsplätze, wo die Leute einfach keine Masken tragen. Und ich glaube, da könnte man noch einiges nachschärfen und auch klarere Regeln schaf- fen. Dass die Arbeitgeber wissen, das und das muss ich machen und das und das brauche ich nicht.

[0:21:18]

Camillo Schumann

Thema Silvester: Die Ministerpräsidenten der Länder wollen Silvesterfeuerwerk auf belebten öffentlichen Plätzen und Straßen untersagen, um größere Gruppenbildung zu vermeiden und die örtlich zuständigen Behörden bestimmen dann die Betroffenen, Plätze und Straßen. Ein Verkaufsverbot soll es aber nicht geben.

[0:21:36]

Alexander Kekulé

Okay, also mit dem Böllerverbot provozieren Sie mich jetzt. Ich versuche es mal ganz vor- sichtig. Ich bin gegen das Böllerverbot. Wenn man das Böllern verbietet, muss man klare Fakten dafür haben. Entweder muss man sa- gen, die Stickoxide sind so hoch, dass das Ge- sundheitsschäden hat. So eine kurzzeitige Be- lastung ist zwar echt ekelhaft, das kann ich bestätigen, wenn man da drinnen steht. Aber das ist für Leute, die sonst gesund sind, keine, kein gesundheitliches Problem. Oder man muss sagen, man findet die Geldverschwen- dung fürchterlich. Ich finde es sinnvoller, wenn die reichen Staaten das Geld anderweitig aus- geben. Das würde ich irgendwie noch verste- hen. Und ich glaube, dass viele Leute aus dem

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Grundaussagen: Wir böllern lieber nicht, weil das so eine offensichtliche Verschwendung ist, die man da macht. Aber dass man dann sagt: jetzt haben wir wieder ein neues Argument. Jetzt ist es Covid19, weswegen nicht geböllert werden darf, und dass sich dann auch noch die Ministerpräsidenten sich dieser Diskussion annehmen und die großen Parteien – da sind wir in Deutschland so dermaßen auf dem fal- schen Dampfer. Wir müssen bei diesem Thema müssen wir einfach sachlich bleiben. Und da muss man sagen, weil jemand im Park oder vom Balkon Böller verschießt, ist das nun defi- nitiv keine Covid19-Infektionsgefahr. Auf den Plätzen, gut, wenn die sich wirklich drängeln, da mögen die Aufsichtsbehörden zum Teil Erfahrungen gemacht haben. Ich weiß aber, dass in den letzten Jahren in den Großstädten, Wo ich einen Überblick habe – das wäre Berlin, München und Halle an der Saale – da ist es so, dass man die Orte, wo bekannt war, dass sich Leute betrunken treffen und dann gegenseitig mit Raketen beschießen, zum Teil über die Straße, da hat man das doch längst verboten. Das ist alles schon gesperrt und unter Kontrol- le. Dass jetzt diese Böller Diskussion damit reingemischt wurde und dass das keiner früh- zeitig gestoppt hat, zeigt, wie sehr man im Nebel stochert. Das muss ein Ende haben. Wir müssen sachlich bleiben.

[0:23:57]

Camillo Schumann

Apropos sachlich: Ich glaube, der Hintergrund ist jetzt weniger die Infektionsgefahr, sondern dass man durch Verletzungen, die durch Silves- terraketen, Böller etc. entsteht, auch die Kran- kenhäuser und das medizinische Personal nicht noch zusätzlich belasten möchte.

[0:24:11]

Alexander Kekulé

Jedes absurde Argument braucht eine Schein- begründung, und das ist nun wirklich lange genug Notarzt. Und in der Zeit, wo ich noch keine Familie hatte, immer verdonnert, an Silvester zu fahren und an Weihnachten auch.

Klar gibt es mal den einen oder anderen, der sich mit dem Böller verletzt hat. Aber ich wür- de mal so sagen, da sollte man mal eine Um- frage bei den Nothilfen machen. Das geht ja noch bis dahin. Ich würde mal sagen aus dem Bauch heraus: 98 Prozent sind Alkohol. Und auf jeden Fall unter zwei Prozent sind die klas- sischen Böller-Verletzungen, wo sich einer wehgetan hat. Und wenn jetzt an Silvester – das wird ja leider kommen – die ganzen Silves- ter-Partys ausfallen, dann sind die Nothilfen und die Rettungssanitäter, die in den Groß- städten früher doppelt und dreifach besetzt waren an Silvester, weil man wusste, die wer- den Däumchen drehen und sich freuen, wenn sie mal ausrücken dürfen für irgendetwas. Ich sehe jetzt überhaupt nicht, warum man zur Schonung in dieser Nacht voraussichtlich im historisch niedrig genutzten Kapazitäten der der Sanitäter und der Nothilfen jetzt, auch noch die Leute, die sich irgendwie die Finger verkokelt haben, die nicht mehr einliefern darf. Und die Sanitäter machen das ja seit Monaten. Und die wissen, wie man Patienten transpor- tiert. Da hätten wir ja schon längst Covid-19- Ausbrüche unter den Rettungssanitätern und in den Nothilfen. Das ist ja nicht der Fall.

[0:25:49]

Camillo Schumann

Tja, also sehr kritisch gesehen, das Böllerverbot an einigen belebten Straßen und Plätzen gese- hen von Professor Kekulé. Morgen also die Entscheidung der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin. Noch einmal kurz nachgefragt: Was würden sich von dem Treffen noch wünschen?

[0:26:05]

Alexander Kekulé

Toll wäre es, wenn die Kanzlerin Einheitlichkeit in das Entwurfspapier reinbringen könnte. Das ist auch ein bisschen ihrer Aufgabe, das dann zu dirigieren, damit nicht jedes Bundesland die Dinge so auslegt, wie es will. Wir waren ja schon bei der roten Ampel für die Ministerprä- sidenten, die eigentlich den Zweck hatte, die die Ministerpräsidenten bei bestimmten Schwellenwerten bei Rot zum Stoppen zu brin-

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gen. Die fahren jetzt alle munter über die Am- peln rüber. Wenn ich Herrn Hasselhoff vorhin richtig verstanden habe, sagt er, dass er auch die nächsten Monate über die rote Ampel fah- ren will. Da wäre es gut, wenn im Winter eine Einheitlichkeit einkehrt. Das wäre ein tolles, starkes Signal, wenn man sagt, wir haben jetzt wissenschaftliche Fakten. Und wo ich am meis- ten Bauchschmerzen habe, ist, wenn irgend- welche Leute sagen, Quarantäne verkürzen auf fünf Tage. Und das in dem Fall sogar ohne Test. Das ist ein Signal in die falsche Richtung. Diese Erkrankung hat einfach bis zu 14 Tage Inkuba- tionszeit. Und das kann man nicht politisch wegdiskutieren.

Camillo Schumann

Haben Sie noch Lust auf Weihnachten?

Alexander Kekulé

Ich schon. Also ich persönlich muss ja sagen, ich habe ja glücklicherweise die Situation, dass ich eine Riesenfamilie habe. Wenn wir alle zusammen sind, kommen wir in diesen Zehner- Bereich rein. Es gibt auch schon Familienmit- glieder, die angekündigt haben, sie wollen nicht kommen, weil sie so viel Angst haben. Hoffentlich nicht, weil sie diesen Podcast ge- hört haben. Aber die haben so viel Befürch- tung, dass sie überhaupt nicht kommen wol- len. Und wir haben ja die Schnelltests. Und wenn sie diese ganze Kombination haben, also vorweihnachtliche, wenn ich sagen darf, so eine Art Selbstquarantäne – also das ist keine echte Quarantäne, aber Vermeidung gefährli- cher Kontakte: dass man da bewusster ist, zum Beispiel, dass man beim Einkaufen, wenn es jetzt voll wird, wirklich eine FFP2-Maske auf- zieht und nicht mehr so eine normale, die viel- leicht schief im Gesicht sitzt, plus die Schnell- test, plus unter zehn Personen –, dann kann man das wirklich entspannt und sicher gestal- ten. Und ich glaube, wir sollten uns jetzt nicht alle verrückt machen lassen und alles kaputt- machen lassen von diesem Virus. Irgendwo

muss man auch mit der ganzen Situation leben können.

[0:28:11]

Camillo Schumann

Jetzt gehören sie ja zu einer privilegierten Kas- te in diesem Land. Weil sie die Schnelltests angesprochen haben: die gibt es ja nicht für die breite Masse, ohne dass man das dann genauso durchführen kann wie Familie Kekulé beispielsweise.

[0:28:23]

Alexander Kekulé

Ja, das können alle Ärzte kaufen. Und das kennt ja jeder. Wahrscheinlich hat jeder ein Arzt, der das einem besorgt. Das gibt es in der Apotheke, wenn man den Arztausweis auf den Tisch legt. Der einzige Nachteil ist: Man muss es selbst bezahlen. Ja, das kostet pro Test elf Euro zurzeit. Ob man das investieren will, muss jeder selber wissen. Das hängt auch ein biss- chen davon ab, wie die familiäre Situation ist, ob man überhaupt Risikopersonen am Tisch sitzen hat. Aber wie gesagt, also alle Ärzte sind privilegiert, und wir haben ja sehr viele Ärzte in Deutschland, die einem da helfen können,

[0:29:01]

Camillo Schumann

Kommen wir zum nächsten Thema. Und das ist ein Thema, über das wir sehr häufig gespro- chen haben: die Situation in den Pflegeheimen und wie wir mit der Pandemie zurechtkom- men, das entscheidet sich ja vor allem auch in den Pflegeheimen. Und dort leben ja die Men- schen, die das höchste Risiko haben, nach ei- ner Sars-CoV-2-Infektion auch zu sterben. Schaut man sich die Lageberichte des Robert- Koch-Instituts an, dann stellt man ziemlich schnell fest, dass die Ausbrüche in den Alten- heimen nach wie vor sehr häufig sind und auch weiter zunehmen. Allerdings gibt es keine offi- zielle Statistik. Die Kollegen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung haben lange recherchiert und viele Zahlen zusammengetragen. Wirklich

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eine hervorragende Recherche! Und da wollen wir mal kurz darauf eingehen. Rund 12.000, Alten- und Pflegeheime gibt es in Deutschland. In weit mehr als 1.000 Alten- und Pflegehei- men bundesweit gibt es ab Corona-Fälle. Demnach ist etwa jedes fünfte Heim in Rhein- land-Pfalz und Hamburg etwa jedes sechste in Nordrhein Westfalen und etwa jedes zehnte in Brandenburg betroffen. In Hessen haben 200 von gut 800 Pflegeeinrichtung Corona- Infektionen gemeldet, also jedes vierte Heim. Und die tatsächliche Gesamtzahl der Betroffe- nen Heime liegt wahrscheinlich noch wesent- lich höher. Länder wie Berlin und Bayern ha- ben überhaupt keine Angaben gemacht. Wenn Sie diese Zahlen zu hören, was sagen Sie dazu?

[0:30:19]

Alexander Kekulé

Das ist schockierend. Das kann man nicht an- ders sagen. Wir haben ja schon ein paar Mal darüber gesprochen über die Situation. Aber dass es so krass ist, wie es jetzt dort offensicht- lich recherchiert wurde, hätte ich auch nicht geahnt. Das Problem ist, dass wir hier eine bekannte Situation haben. Ich kann es nur noch einmal sagen, wenn sie die Altersgruppe über 70 nehmen – gerade bei Heimbewohnern ist es noch schlimmer, aus verschiedenen Gründen –, dann haben sie eine Sterblichkeit, die im Bereich von über zehn Prozent liegt. Und in den meisten Ländern ist es so, dass der Anteil der 80 plus-Menschen mehr als 90 Pro- zent der Todesfälle ausmacht. Und jetzt wurde offensichtlich die Verantwortung zwischen Bund und Ländern hin- und hergeschoben. Es liegen noch einmal die Zahlen auf dem Tisch, es gibt immer noch kein Konzept und die Tests sind nicht da. Also ich habe zum Glück kein Angehörigen im Heim. Aber sonst würde ich da wirklich verzweifeln in der jetzigen Situation.

[0:31:22]

Camillo Schumann

Statistik ist genau das Stichwort. Obwohl es ja so aussieht in den Pflegeheimen, gibt es bis heute keine ständig aktualisierte Übersicht

über das Infektionsgeschehen in Alten und Pflegeheimen. Auch das Gesundheitsministeri- um und der Pflegebevollmächtigte der Bundes- regierung verfügen offenbar nicht über ein genaues Lagebild. Was sagt es eigentlich aus?

[0:31:44]

Alexander Kekulé

Das geht ja sogar einen Schritt weiter als kleine Ergänzung: Es ist so, dass auf den Berichten des Robert-Koch-Instituts immer dabeisteht, dass nur über einen Teil der Infektionen über- haupt berichtet wird. Ob das im Zusammen- hang mit Gemeinschaftsunterkünften im wei- testen Sinne passiert ist. Ich meine, es war ein Drittel ungefähr. Davon wird es ja letztlich ausgerechnet. Zwei Drittel der gemeldeten Fälle sind so, dass das Robert-Koch-Institut gar nicht reingucken kann, ob das in einer Gemein- schaftsunterkunft ist. Und dann ist ein Riesen- unterschied, ob sie ein Asylbewerberheim ha- ben, wo es fast keine schweren Erkrankungen gibt oder ob sie ein Altersheim haben.

Ja, was sagt das über die Situation aus? Ich habe vor vielen Jahren mal einen Vortrag ge- halten, was wir für eine Pandemie brauchen: Vier C. Diese vier C sind: Wir brauchen ein Kon- zept, das war auf Englisch, da schreibt man Konzept mit C. Wir brauchen Kommunikation über dieses Konzept. Das heißt, die Bevölke- rung muss verstehen, auf welcher Basis Ent- scheidungen getroffen werden. Und dann brauchen wir2 Cs, die ich aus dem Militär ge- klaut habe. Das ist Command and Control, das heißt, wir müssen Anordnungen treffen. Die müssen bis ins letzte Glied funktionieren, also im Bund sozusagen von am besten von Berlin bis zu den Gesundheitsämtern und den Ge- meinden. Und Control ist der Punkt, worauf es hier ankommt. Das heißt, ich brauche Instru- mente, um zu überprüfen, ob das funktioniert, was ich da gemacht habe. Beispiel: ein Soldat – Entschuldigung, der Vergleich mit dem Krieg ist immer billig - aber ein Soldat, der eine ein Geschütz abfeuert und keine Kontrolle hat, ob er getroffen hat oder nicht, wird nie weiter- kommen. Und hier ist es ebenso. Wir feuern

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irgendwie blind im Nebel. Es werden ja auch immer gerne das Bilder vom Navigieren im Nebel oder dem Fahren auf Sicht gebraucht. Und wir wissen überhaupt nicht, ob die Maß- nahmen greifen und ergreifen dann ständig neue Maßnahmen, weil wir das Ergebnis nicht überprüft haben. Dafür ist es eben absolut notwendig. Da bin ich sicher, dass die Ver- zweiflung ähnlich beim Robert-Koch-Institut ist, weil die ja die Daten nicht bekommen. Es ist absolut notwendig, dass wir uns einen Überblick über die Lage verschaffen und zwar möglichst in Echtzeit. Und dann müssen wir möglichst genau sehen, welche unserer Maß- nahmen hat welchen Effekt gehabt. Das Ro- bert-Koch-Institut ist in der Hinsicht ein Tiger, dem man die Zähne gezogen hat, weil es nicht sieht, welche Empfehlungen welchen Effekt hatten.

[0:34:14]

Camillo Schumann

Gut, dass es Journalisten gibt, die zum Hörer greifen und recherchieren und sich mit vielen Menschen unterhalten. Zum Beispiel hatte das Gesundheitsministerium Mitte Oktober ver- sprochen, dass Alten- und Pflegeheime die sogenannten Schnelltests mit bis zu 20 Tests pro Bewohner und Monat großzügig nutzen könnten. Tatsächlich aber zeigen sich bislang erhebliche Mängel in der Umsetzung dieser Strategie. Bevor die Tests eingesetzt werden dürfen, müssen die Pflegeheime Testkonzepte erarbeiten. Und die wiederum muss das lokale Gesundheitsamt genehmigen, damit die Tests später von den Krankenkassen auch erstattet werden. So ist dann der bürokratische Weg. Und genau auf diesem Weg kommt es eben nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeut- scher Zeitung oftmals zu erheblichen Verzöge- rungen. Die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen befragt aktuell Einrichtungs-Mitarbeiter in ganz Deutschland, ob sie die Schnelltests auch schon einsetzen. Ein erstes Zwischenfazit lau- tet: Keine fünf Prozent der Einrichtungen, die geantwortet haben, gaben an, diese Schnell-

tests bereits anzuwenden. Die Schnelltests scheinen echt zu verpuffen im Moment.

[0:35:19]

Alexander Kekulé

Die kam ja viel zu spät. Wie gesagt, die waren seit März verfügbar, und man hat im Oktober eben jetzt gesagt, dass man die bezahlen möchte. Mitte Oktober wurde es vom Bundes- gesundheitsministerium gesagt. Weil man aber weiß, dass die Heime mit so etwas überfordert sind – die sind ja vom Personal her knapp und so ein Pflegeheim kann jetzt nicht ein Corona- Konzept erarbeiten – man sieht ja, dass selbst die Ministerpräsidentenkonferenz es nicht ganz einfach hat mit dem Thema. Und deshalb war es nach meiner Erinnerung doch der Vor- schlag oder die Ankündigung, dass das Bun- desgesundheitsministerium eine Art Rahmen- konzept vorlegen wollte, nach dem sich dann alle richten können. Wenn ich jetzt im Zusam- menhang mit dieser Studie, die sie gerade er- wähnt haben, vom gleichen Ministerium höre, dass die auf Ansprache mitgeteilt haben, sie seien gar nicht zuständig, sondern das sei Zu- ständigkeit der Länder, dann beißt sich die Katze in den Schwanz. Ich glaube, wir brauchen bei solchen Fragen ein gutes Rahmenkonzept, das mit den Bundesfachleuten abgesprochen ist und wo auf der Ebene einfach das meiste Know-how zusammengezogen werden kann. Und dieser Rahmen muss dann als Vorschlag – klar, wir haben ein föderales System, d.h. für die Gesundheit sind bekanntlich die Länder zuständig – an die Länder gehen. Das hätte man von Anfang an sehen können, dass es von den vier Cs das allererste und 2te C sind, die man braucht: Konzept und Kommunikation, das braucht man von Anfang an. Und da kann man jetzt nicht sagen, wir haben im Oktober zwar angekündigt, dass wir ein Konzept ma- chen. Jetzt haben wir es wohl nicht gemacht. Und deshalb bekommen die da nicht klar und kriegen ihre Anträge nicht durch. Aber wir sind ja gar nicht zuständig. Man muss in der Phase schon mal fragen. Wir haben 14.112 Verstor- bene, Stand gestern, kann man in der Lage

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eigentlich als Politiker ständig sagen: Wir ha- ben es so toll gemacht?

[0:37:18]

Camillo Schumann

Diese Frage können wir Herrn Spahn auch mal weitergeben. Vielleicht hat er ja mal Lust, sich im Podcast dazu zu äußern, wie das alles so gelaufen ist. Und wir bleiben bei Jens Spahn und kommen zum nächsten Thema: Impfun- gen. Und da hat Herr Spahn gestern Folgendes gesagt:

„Wenn wir gemeinsam diesen harten, schwie- rigen Corona-Winter hinter uns gebracht ha- ben, wird auch die Bereitschaft steigen, eben dieses Impfangebot anzunehmen und sich imp- fen zu lassen. Wir jedenfalls wollen zügig, so- bald ein Impfstoff verfügbar ist, mit diesem Impfangebot beginnen. Es gibt begründeten Anlass, auch dort dafür anzunehmen, dass wir spätestens Anfang nächsten Jahres mit dem Impfen beginnen können. Vielleicht sogar schon Ende diesen Jahres, sodass insgesamt aus meiner Sicht eben die wichtige Botschaft in diesen schwierigen Tagen ist: Es gibt einen Weg raus, und wir sind bei diesem Weg auf einem guten Weg.“

[0:38:14]

Camillo Schumann

Und es gibt ja auch begründeten Anlass, dass die Impfung auch bei älteren Menschen gut wirkt.

Alexander Kekulé

Richtig, das ist eigentlich eine der positiven Nachrichten. Also die eine ist, dass diese RNA- Impfstoffe, die ja wirklich experimentell sind oder experimentell waren, dass die tatsächlich eindeutig wirken. Das ist ja schon mal toll, dass sich das die Leute quasi am Reißbrett ausge- dacht haben und funktioniert. Das ist ja über- haupt nicht trivial. Und Nummer zwei ist, dass man dort schon relativ umfangreich alte Men- schen mit reingenommen hat in die Studien. Kinder übrigens nicht unter zwölf Jahre, aber alte Menschen. Und bei den Alten ist es ein-

fach so, dass es keine Unterschiede in der Wirksamkeit gibt. Gut, das sind jetzt nicht so viele Fälle, die man hat. Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass wir da bei allen Studien zusammen vielleicht 50.000 Menschen in den Studien drinnen hatten. In der Größen- ordnung, die Zahlen sind inzwischen vielleicht bei 60.000, und ich spreche jetzt von den Messenger-RNA-Impfstoffen. Und die Hälfte davon hat den Impfstoff bekommen. Aber nur einige hundert sind ja krank geworden oder haben sich infiziert in diesen Studien, und da- von dann wiederum in der Größenordnung von 90 Prozent. Eben von den nicht Geimpften, sodass man diese Wirksamkeit von 90-95 Pro- zent errechnen konnte. Aber diese wenigen, die erkrankt sind, bedeuten auch umgekehrt, dass man diese Schutzwirkung, wenn man die jetzt auf eine Untergruppe berechnet, also nur die Personen, sage ich mal über 60 oder 70, dann wird die Aussagekraft rein statistisch gesehen, schwächer, aber trotzdem, auch wenn es jetzt noch nicht in Stein gemeißelt ist. Es sieht so aus, als gäbe es keinen Unterschied bei den Alten. Das ist die wichtige Informatio- nen, sodass die Möglichkeiten, das hier Prob- leme mit der Wirksamkeit auf auftreten bei den Impfstoffen aus meiner Sicht sehr gering sind.

Camillo Schumann

Möglicherweise ist der Impfstoff dann die Lö- sung für die älteren Menschen auch in den Alten- und Pflegeheimen. Also ist die Impfung schneller als das Rahmenkonzept.

Alexander Kekulé

Das wäre so ähnlich wie bei der Corona-App. Ich erinnere mich, was der Bundesgesund- heitsminister gerade im O-Ton gesagt hat. Das erinnerte so ein bisschen daran, wie er die App damals angekündigt hat. Nach dem Motto: Wir müssen jetzt ein paar von unseren individuel- len Informationsrechten abgeben. Dafür krie- gen wir mehr Freiheiten. Und jetzt heißt es: Wir müssen an Weihnachten einen harten Winter überstehen, dann werden wir verste- hen, warum der Impfstoff so wichtig ist. Das

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war ein Seitenhieb auf die Impfkritiker. Hoffen wir, dass das alles so funktioniert. Ich warne aber davor, jetzt zu glauben, dass wir im Januar jetzt schon munter anfangen zu impfen. Und dass es jetzt nur noch darum geht, Silvester zu überstehen. Es werden Impfungen beginnen, vielleicht schon dieses Jahr. Die Impfzentren werden ja schon munter aufgebaut. Das ist auch ein psychologisches Signal, was hier ge- sendet wird. Aber bei 50 Millionen Impfdosen, die zum Beispiel Pfizer mit Biontech zusammen herstellt weltweit, damit kann man 250 Millio- nen impfen. Und wenn die amerikanische Presse richtig liegt – in der Washington Post steht, dass die Hälfte davon reserviert ist für die USA – macht also dann noch 125 Millionen. Dann gibt es mehrere Länder, die schon lange Zeit Verträge haben, zum Beispiel das Vereinig- te Königreich Kanada und meines Wissens noch zwei oder drei andere. Die werden auch dann erstmal bedient, und danach hat der erst die EU geordert. Und das würde wiederum auf alle EU-Staaten verteilt. Dann kommt noch die grundsätzliche Frage, wie ist es mit Entwick- lungsländern? Dürfen sich jetzt die Reichen einfach so bedienen, weil sie das Geld gerade haben? Die EU ist ja auch bei einer internatio- nalen Kampagne beteiligt, wo alle Länder, die da mitmachen, gesagt haben: Wir schmeißen die Impfstoffe in einen großen Topf, und es wird ein bestimmter Anteil davon auch an die Entwicklungsländer verteilt. Und durch dieses Verteilungssystem wird also das, was da zur Verfügung steht, noch mal kleiner. Und jetzt gehe ich noch einmal zurück. Der eine Herstel- ler, Pfizer, der als erster jetzt rauskommen wird, hat mit der Produktion begonnen und gesagt, 50 Millionen schafft er dieses Jahr noch, wenn es gut geht, das ist schon eine Reduktion. Früher war ja mal von 100 Millio- nen die Rede, jetzt hat man es auf 50 Millionen reduziert. Und ich hoffe, dass das stimmt. Also der Albert Bourla, der Pfizer-Chef, hat es jetzt noch einmal bestätigt, dass er das wohl hin- kriegt. D.h. aber nicht, dass wir uns alle in Deutschland dann munter Ende des Jahres mit hochgekrempelten Ärmeln schon irgendwo anstellen dürfen, sondern da werden ganz

selektiv wahrscheinlich in Altersheimen, Risi- kogruppen geimpft. Und das ist sehr, sehr gut. Das ist sehr wichtig. Das wird auch schnell die Sterblichkeit beeinflussen. Davon gehe ich aus. Aber es wird die Infektionszahlen nicht beein- flussen. Und dann werden wir in der interes- santen Situation sein, dass wir wissen, es kön- ne nicht mehr so viele Menschen sterben, weil wir nach und nach die Risikogruppen immuni- siert haben. Aber wir fangen ja nicht mit den Personen an, die das höchste Übertragungsri- siko haben. Ich sag mal so: die Jungen, die Party machen, Entschuldigung, ist ein Vorur- teil, aber ein Teil davon ist in dieser Gruppe. Aber diejenigen, wie auch immer wir diese sozial besonders aktiven Teile der Gesellschaft nennen, die werden wir nicht als erstes imp- fen. Und deshalb wird es weiterhin hohe Infek- tionszahlen geben. Und da ist dann eine inte- ressante Frage, wie wir damit gesellschaftlich umgehen. Wenn wir weiterhin 15.000 Fälle oder ähnliches am Tag haben, aber eigentlich wissen, dass die Risikogruppen besser ge- schützt sind, auch dafür brauchen wir einen Plan. Und das ist ein Teil dieser mittelfristigen Strategie, die meines Wissens für Morgen an- gekündigt wurde. Aber ich habe jetzt in diesem Papier, was seit kurzem zirkuliert, als Entwurf noch nichts gesehen, was jetzt über Silvester deutlich hinausgeht.

[0:44:19]

Camillo Schumann

Wir sprechen ja gerade über Impfstoffe. Und eine Firma, die möglicherweise gar nicht so viele Menschen auf dem Zettel haben, ist IDT Biologika aus Dessau in Sachsen-Anhalt. Diese Firma forscht auch an einem Corona-Impfstoff. Gestern gab es hohen Besuch von Ministerprä- sident Reiner Haseloff und Bundesgesund- heitsminister Jens Spahn. Er setzt auf IDT und hat schon mal 5 Millionen Dosen geordert. Wir hören mal rein:

„Dessau ist ein Ort, den viele kennen auf der Welt, vielleicht manchmal sogar mehr, als wir alle in Deutschland ahnen. Und auch die Firma

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IDT hat so eine Lösung gefunden für uns, für diese Krise, für den Umgang damit. Sie forscht an einem Impfstoff, zusammen mit Partnern aus der Forschung, der, wenn alles gut geht, im nächsten Jahr zur Zulassung und auf den Markt kommt. IDT steht damit in einer Reihe von dann insgesamt gleich drei deutschen Firmen, die aussichtsreich Corona-Impfstoffe entwickeln Curevac, Biontech und eben IDT.“

[0:45:19]

Camillo Schumann

Aber IDT forscht ja nicht an derselben Art Impfstoff wie Biontech und Curevac? Was macht IDT anders?

Alexander Kekulé

Das ist ein Vektor-Impfstoff offensichtlich. Der geht dann eher in die Richtung des Impfstoffs, der vom Oxford Jenner Institut gemacht wird zusammen mit Astra Zeneca. Auch so ähnlich wie der russische Impfstoff, der schon seit einiger Zeit zugelassen ist in Russland. IDT ist einer von vielen Playern, die mit vielen Mitteln, in dem Fall Steuermitteln, finanziert wurden, auch zusammen mit vielen virologischen Insti- tuten in Deutschland sehr viel Geld bekommen haben. Es ist ein bisschen tragisch dadurch, dass die großen Firmen einfach so weit sein. Ja, es gibt jetzt die Pfizer-Leute und dann auch noch AstraZeneca zusammen mit Oxford. Die sind einfach weit, von den Chinesen ganz zu schweigen. Die haben schon länger ihre Impf- stoffe unterwegs. Das ist jetzt eine fast verlo- rene schwierige Lage, weil die neuen Studien neue Phase-drei-Studien auflegen. In der jetzi- gen Lage ist problematisch. Da müssen Sie noch einmal über 40.000 Leute rekrutieren, von denen die Hälfte keinen Impfstoff be- kommt, sondern Placebo. Und wir sehen jetzt schon in den USA, wo die Pfizer und Moderna- Studien gelaufen sind, das Problem, dass die Leute, die in den Studien sind, sagen, sobald es jetzt zugelassen wird – und das wird Mitte nächsten Monats sein in den USA –, wollen wir nicht mehr Studie sein. Wir wollen jetzt das richtige Zeug haben und nicht irgendwie ein

Placebo kriegen. Und das Gleiche gilt, wenn jetzt dann IDT oder an eine andere Firma sagt Anfang nächsten Jahres ja, jetzt werden wir so weit mal eine Phase-drei-Studie zu machen. Ehrlich gesagt war es auf jeden Fall gut, dass das auch der Bund große Investitionen getätigt hat. Er hat auf jeden Fall die deutsche Virologie toll gefördert. Und es ist so, dass wir hier wis- senschaftlich auf jeden Fall etwas von hatten. Es wird aber auch so sein, das nicht alle, die irgendwie am Start waren, dann auch über die Ziellinie laufen.

[0:47:26]

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz das eine sind ja die mRNA-Impfstoffe. Und das ist ja jetzt ein Vek- tor-Impfstoff, an dem IDT Biologika forscht und dann möglicherweise auch liefern kann. Aber ist es nicht gut, noch auf eine Alternative zu setzen?

[0:47:43]

Alexander Kekulé

Ich war immer dafür, dass man das parallel macht. Wir haben ja letztlich fünf verschiedene Methoden, wie man Impfstoffe herstellen kann. Da gehe ich jetzt nicht noch einmal da- rauf ein. Und hier ist ein Vektor-Impfstoff. Das ist also das Gleiche, wie das wo AstraZeneca mit Jenner gerade letzte Woche die Daten veröffentlicht hat, die auch sehr vielverspre- chend aussehen. Die Studie ist ja zwischen- durch unterbrochen worden, und deshalb sind die nicht ganz so schnell wie Moderna und Pfizer. Es ist ja auch so, dass der Gamaleja- Impfstoff aus Moskau ein Vektor-Impfstoff ist. Und auch in China gibt es einen von den vielen, die sie gemacht haben, das ist auch ein Vektor- Impfstoff. Das heißt also, es gibt jetzt schon einen richtig zugelassenen Impfstoff aus Russ- land. Es gibt einen, der ganz kurz vor der Zulas- sung steht aus Oxford. Es gibt einen in China, der dort verwendet wird. Ob da die Zulassung offiziell erteilt wurde, weiß ich gar nicht genau. Und jetzt kommt der nächste Vektor-Impfstoff. Ich glaube, das ist ein ganz gemeines Rennen. Aber hier ist es ja so: The winner takes it all.

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Wenn man als erster oder als einer der ersten drei über die Ziellinie ist, dann stehen die gan- zen weltweiten Produktionskapazitäten auf stand-by. Und das ist auch richtig so gemacht worden, dass man einmalig in der Mensch- heitsgeschichte gesagt hat, wir machen Ent- wicklung, und parallel bauen wir schon die Fabriken für die Herstellung. Und parallel be- reiten wir die Zulassung so vor, sodass sich am Schluss ein Komitee trifft und das am nächsten Tag ausgeliefert werden kann. Das ist ja un- glaublich, diese Vorbereitung. Aber das heißt zugleich, wenn jetzt drei Firmen, sage ich mal, und damit rechne ich einfach mal RNA und einmal AstraZeneca mit dem Vektor-Impfstoff, wenn die sozusagen da durchbrechen, wird alle Produktionskapazitäten da drauf gesetzt, dann werden die Zulassungskapazitäten auf- gebraucht. Das ist ja auch eine irre Arbeit für die Behörden das dann weiter zu verfolgen. Das muss ja nach der Zulassung weiter kontrol- liert werden, nach der Notfallzulassung oder vorläufigen Zulassung weiter kontrolliert wer- den. Und in so einer Situation sagen: Hallo, ich hätte da auch noch was, ich glaube, das wird schwierig, um es mal diplomatisch auszudrü- cken. Aber trotzdem, wie gesagt, wissenschaft- lich war das ein Gewinn. Und es war auch rich- tig, dass das sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern mal einfach gesagt hat, wir setzen einfach auf jedes Pferd. Und dass diese mRNA-Impfstoffe jetzt so erfolgreich waren, da muss man sagen, das hat ja keiner vorher un- terschreiben können. Es hätte sein können, dass das komplett schiefgeht und wir diese Alternativen alle brauchen.

[0:50:07]

Camillo Schumann

Wir sind gespannt, wie IDT Biologika in diesem Rennen abschneiden wird. Aber es ist vielleicht auch ganz gut, dass man auch noch Nachschub hat für vielleicht für andere Bevölkerungsgrup- pen. Man weiß ja nicht, wie sie sich entwickelt, dass sozusagen die gesamte Bevölkerung zu impfen hat. Möglicherweise gibt es auch noch Nebenwirkungen. Also, vielleicht gibt es noch einen Knick bei den mRNA-Impfstoffen.

[0:50:37]

Alexander Kekulé

Ich würde nicht sagen, dass es ausgeschlossen ist, dass bei dem mRNA-Impfstoff noch etwas schiefgeht. Und das wäre die Stunde der Alter- nativen. Schiefgehen ist aber inzwischen nur noch ein ganz schmaler Horizont. Jetzt rede ich schon wie ein Analyst an der Börse. Das Szena- rio, was man sich vorstellen könnte, halte ich für unwahrscheinlich. Aber das sieht folgen- dermaßen aus: Wir haben bei den Studien bisher Menschen immunisiert, die zum aller- größten Teil vorher kein Covid19 hatten. Das liegt einfach an der Epidemiologie. Jetzt wird es so sein: Wenn man Massenimpfungen ver- anstaltet, dass man auch Leute impft, die, oh- ne es zu wissen, in dem Fall in der Regel wahr- scheinlich vorher schon mal Covid19 hatten, die also schon infiziert waren. Und da wissen wir nicht ganz genau, wie diese Impfstoffe dann wirken. Rein theoretisch dürfte es kein großes Problem machen. Aber weil es eben experimentell ist, muss man das ganz genau beobachten, was passiert. Wenn ich eine gro- ße Zahl von Menschen impfe, die eigentlich schon Antikörper und Immunzellen gegen das Virus haben, da ist die Reaktion definitiv eine andere. Und wenn ich so einen mRNA- Impfstoff habe, ist es noch nie ausprobiert worden. Und deshalb wird es die nächste inte- ressante Phase sein, die man beobachten muss. Aber die Chance, dass das so dermaßen schiefgeht, dass man sagt, wir müssen die mRNA-Impfstoffe doch einstampfen, sehe ich als extrem gering an.

[0:52:04]

Camillo Schumann

Da machen wir an dieser Stelle einen Cut und kommen zum nächsten Thema. Wenn wir Deutsche etwas gut können, dann ist es ja Müll trennen. Das machen Sie hoffentlich auch.

Alexander Kekulé

Selbstverständlich. Und wenn ich mal aus Ver- sehen einen Joghurtbecher in die falsche Ton-

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ne werfen würde, würde ich es niemandem sagen.

Camillo Schumann

Aha, so einer sind Sie. Und ausspülen muss man einen Joghurtbecher auch.

Alexander Kekulé

Das ist die Frage, ob das ökologisch sinnvoll ist, wenn ich da wieder Seife reinmache.

Camillo Schumann

Aber jedenfalls in Zeiten von Corona soll auf dieses Mülltrennen verzichtet werden. Wa- rum? Susanne Zoll von der Stadtreinigung Leipzig erklärt es:

„Also private Haushalte, die wirklich mit dem Coronavirus infiziert sind. Sie nehmen einfach eine verschließbare Tüte. Und dort kommt Pa- pier, Pappe, Plastik und dann normale Restab- fall in diese Tüte hinein. Nehmen Sie bitte eine reißfeste Tüte und stopfen sie das in den Rest- müll. Das ist einfach zum Schutz vor für die anderen Nutzer, die ebenfalls die gleiche Rest- mülltonnebenutzen.Und auch,umunsere Müllwerker nicht zu gefährden.“

[0:53:07]

Camillo Schumann

Ist das aus virologischer und epidemiologischer Sicht eine sinnvolle Maßnahme, Müll jetzt nicht mehr zu trennen für Corona Haushalte?

Alexander Kekulé

Da kommt es darauf an, ob man in Quarantäne hat oder Isolierung ist. Der wichtige Unter- schied ist hier. Die Dame hat gerade gespro- chen von Personen, die infiziert sind. Das wäre eine Isolierung. Da ist es in der Tat so. Wenn jemand nun wirklich infiziert ist, sollte man alle Ausscheidungen, alles, was irgendwie am Jo- ghurtbecher oder sonst so hinterlassen hat, schon eher in der Plastiktüte lassen und dann nicht noch mal händisch irgendwie umsortie- ren. Da ist die Empfehlung richtig.

Bei Quarantäne ist man viel großzügiger, zum Teil sind halbe Schulen in Quarantäne, weil irgendwo ein Kind infiziert war. Und jetzt ist die Frage: Muss man bei Quarantäne auch so streng sein? Wir wissen ja, dass über Schmier- infektionen wenig übertragen wird. Und das heißt also, das ist dort so eine Kann-Regelung aus meiner Sicht. Insgesamt muss man aufpas- sen, dass wir nicht jetzt anfangen zu überregu- lieren aufgrund von fiktiven Übertragungswe- gen, die in der Praxis keine große Rolle spielen. Wir wissen ja auch: Leute, die den Müll ab- transportieren, mit diesen Tonnen dann um- gehen. Also in der Regel werden die jetzt nicht händisch darin herumwühlen und sich die möglichen Viren auf die Schleimhäute bringen. Und dann ist es grundsätzlich so, dass es mei- nes Wissens eine Regelung, die in Sachsen vorgeschlagen wurde, so etwas wäre schon gut, wenn da vom Bund einfach und vom Ro- bert-Koch-Institut einfach eine klare Empfeh- lung wäre, die bundesweit gilt. Dann hätte man die auch gut wissenschaftlich begründet.

Camillo Schumann

Wir kommen an dieser Stelle zu den Hörer- Fragen. Dieser Herr hat angerufen und will Folgendes wissen:

„Ich hätte gern gewusst, auf welcher Basis eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt wird. Zumal ja für die Fallzahlen der PCR-Test zugrunde gelegt wird, und der keine Infektionen feststellen kann, wie wir alle wis- sen. Zumal dieser PCR-Test einen CT-Wert zugrunde legt von über 40, was völlig unsinnig ist, wie wir auch alle wissen. Was rechtfertigt dann überhaupt noch die Maßnahmen?“

Alexander Kekulé

Das war offensichtlich ein Corona-Kritiker, der sich da unter die Hörer hier gemischt hat.

Das ist nicht richtig, dass der PCR-Test keine Infektion feststellen kann. Das steht immer auf den Flugblättern der Corona-Kritiker drauf. Und es ist auch nicht richtig, dass der PCR-Test unsinnig wäre, weil er besonders empfindlich ist. Es ist eine lange Diskussion, die wir geführt haben, dass also mehrere Falschbehauptungen in diesem kurzen Statement gewesen.


Die Frage dann, wie die wird die epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt. Das ist ja ein Thema, was politisch extrem im Bundestag diskutiert wurde. Die AfD hat ja auch gesagt, und darauf spielt ja ein bisschen diese Frage an, dass das so eine Art Ermächtigungsgesetz wäre. In dem Moment, wo diese Lage festgestellt wurde, gibt es Ermächtigungen, die ein bisschen an die Situation zu Beginn des dritten Reiches erinnern.


Es ist so, dass die epidemiologische Lage von nationaler Tragweite einfach bedeutet, dass man eine gefährliche Erkrankung hat, die sich über die Bundesländer hinaus ausbreitet und wo eine Zusammenarbeit auf Bundesebene notwendig ist. Um dieser Situation Herr zu werden. Wie das im Einzelnen dann definiert ist, hat man absichtlich relativ offen gelassen, weil wir nicht wissen, wie das nächste Virus oder das nächste Bakterium aussehen wird. Aber ich bin da ganz zuversichtlich, dass die doch sehr zahlreichen Mitglieder des Deut- schen Bundestags – und sieht ja auch nicht so aus, als würden das viel weniger werden in Zukunft -, dass die dann irgendwie zu einem Ergebnis kommen, was vernünftig und im Sinne des Volkes ist. In gewisser Weise ist das angelehnt an den Public Health Emergency of International Concern, also den internationalen Gesundheitsnotfall der WHO. Und so etwas Ähnliches wird dann in Deutschland festge- stellt. Ich glaube, das kann man schon machen. Und das ist durchaus sinnvoll, so eine Sperre einzubauen, bevor die Exekutive irgendwelche Maßnahmen anordnen kann.

[0:57:17]

Camillo Schumann

Wir haben eine Mail von Herrn B. erhalten:

„Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe mich in Augsburg bei einem offiziellen Corona Testzentrum auf Corona testen lassen. Es wurde aber nur ein Rachenabstrich gemacht. In den Medien wird für ein sicheres Testergebnis immer der Nasen-Rachen-Abstrich empfohlen. Hat der Betreiber der Teststation nur Kosten sparen wollen? Oder kann ich mich auf das Negative Testergebnis verlassen? Mit freundlichen Grüßen, Herr B.“

[0:57:43]

Alexander Kekulé

Wenn man den Rachenabstrich richtig macht, dann ist das ähnlich zuverlässig wie der Nasen- Rachen-Abstrich. Man kommt in beiden Fällen ja in den Rachen. Einmal durch die Nase, einmal durch den Mund. Aber in der Tat kann man, wenn man durch den Mund reingeht, irgendwie an der Zunge vorbei. Und dann muss man ganz hinten an der hinteren Rachenwand möglichst viel Secret an den Tupfer bekommen. Das hängt dort eher davon ab, dass der Proband wirklich mitmacht. Bei der Nase kann man sich schlecht wehren. Wenn dann ein Tupfer drinnen ist, dann kommt er an sein Ziel. Und deshalb ist es mit der Nase sozusagen in der Gesamtstatistik zuverlässiger. Und im Ein- zelfall kann man beides machen. Ich weiß, dass an den Teststationen ganz ehrlich gesagt, auch aus eigener Erfahrung. Ich habe das auch schon mal machen müssen, dass da zum Teil ein bisschen husch-husch geht. Und es ist halt wichtig beim Rachenabstrich, dass man bei Leuten mit einem starken Würgereflex, da hinten rankommt. Und wenn man hinten nicht rankommt, dann muss man einfach dann so konsequent sein und sagen okay, dann machen wir es durch die Nase. Dass das bei diesen Sta- tionen nicht überall perfekt gemacht wird, ist klar. Wir haben hier ein epidemiologisches Instrument und keines, was vergleichbar ist mit der Situation, in der Klinik oder Arzt einfach wissen muss und wissen will, ist der Patient positiv, ja oder nein. Der macht es dann gründ- licher.

[0:59:01]

Camillo Schumann

Aber das Testcenter hat sich an alle Vorgaben gehalten. Das ist eine offizielle Variante, den Test durchzuführen. Also man hat da jetzt nicht irgendwie Schmalhans gemacht, um sich vielleicht noch etwas dazuzuverdienen.

Alexander Kekulé

Nein, damit hat das gar nichts zu tun. Das ist mehr so Psychologie, wissen Sie, denn viele mögen das komischerweise auch nicht durch die Nase. Deshalb bin ich dafür, dass nicht so päpstlich zu sehen bei den epidemiologischen Tests. Also wie gesagt, bei den Tests von Per- sonen, die kein konkretes Risiko haben und die auch keine Symptome haben, in diesem Fall, glaube ich, ist es besser, dass durch den Ra- chen zu machen, als jetzt viele Probanden zu verlieren, weil sie sich weigern, Nasenabstriche zu machen.

[0:59:43]

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 124.

An dieser Stelle mal ein großes Dankeschön an die vielen Hörer, die wegen des neuen Buches von Professor Kekulé eine Mail geschrieben haben.

In der Ausgabe 122 haben wir Sie aufgerufen, sich bei uns zu melden, wenn Sie eines haben wollen. An die fünf schnellsten geht in diesen Tagen ein Buch von Professor Kekulé auf die Reise.

Dann sage ich an dieser Stelle vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Gerne, ich danke Ihnen, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie an: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 21. November 2020 #123 SPEZIAL: Hörerfragen Spezial

Camillo Schumann, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass

Camillo Schumann

Sollten Risikogruppen auch Schutzbrillen tragen?

Was bringt ein Rauchverbot in der Öffentlichkeit?

Woher weiß man, dass sich Kinder infizieren?

Wieso finden Demos statt, wenn sich nur Personen aus zwei Hausständen treffen dürfen?

Damit herzlich willkommen wieder zu einem „Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial“ nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen, Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander S. Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Frau B. hat uns eine Mail geschrieben. „Wir im Kollegenkreis fragen uns, woher bekannt ist, dass so viele Kinder infiziert sind, obwohl die meist ja keine Symptome zeigen. Außerdem, woher die Ergebnisse kommen, dass so viele Jugendliche und junge Erwachsene Covid haben, aber symptomlos sind. Werden diese Gruppen durch Massentest identifiziert? Oder sind das Hochrechnungen? Zumal für breit gestreute Tests Mittel und Kapazitäten, fehlen. Viele Grüße.“

Alexander S. Kekulé

Ja, das erste. Woher weiß man es bei den Kindern? Das sind serologische Untersuchungen. Das heißt also, man merkt es tatsächlich nicht, wenn Ausbrüche in Schulen, also Grundschulen und Kitas sind. Da reden wir jetzt von Kindern, die unter zehn Jahre alt sind. Sondern man macht dann hinterher Blutuntersuchungen. Man nimmt Blut ab von den Kindern und von anderen im Haushalt, die sich infiziert haben, zum Teil aufgrund von Ausbrüchen, dass dahinter das Gesundheitsamt kommt und das macht. Zum Teil aber auch in der Weise, dass man es richtig als Überwachungs-Studie macht. Also dass man mal sehen will, was in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe los ist. Und da hat man eben festgestellt, dass Kinder durchaus auch infiziert werden. Da gibt's jetzt keinen Hinweis darauf, dass Kinder weniger oft infiziert werden als Erwachsene aufgrund dieser Blutuntersuchungen, wo man Antikörper testet.

Camillo Schumann

Also Blutuntersuchung. Und da gibt es ja auch manchmal die eine oder andere Überraschung. Hat ja die Studie in München auch bewiesen.

Alexander S. Kekulé

Ja, da hat sich in München die Studie ... Ich fand die wirklich sehr interessant. Und da haben die eben das Testverfahren verfeinert und haben festgestellt, dass bei diesen Kindern und zwar einschließlich der Grundschüler sechsmal so viele infiziert waren, wie eigentlich offiziell bekannt war. Das heißt natürlich nicht, dass Kinder sechsmal so infektiös wären wie Erwachsenen. Das muss man noch mal sagen. Da gibt es einfach die Dunkelziffer, mit der wir ja alle gerechnet haben. Ist doch klar, dass wir mit diesen PCR- Tests nicht hundert Prozent erfassen. Und wenn man eben das mal richtig statistisch durcharbeitet und so mehrere Schulen untersucht, dann sieht man eben, dass eben die Kinder durchaus infiziert werden. Erstaunlicherweise, das ist ja virologisch super spannend. Da wird sicher in Zukunft mal ein dickes Kapitel in den Lehrbüchern stehen, aber

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sie erstaunlicherweise epidemiologisch keine große Rolle spielen.

Bei den jungen Erwachsenen ist das so. Die haben ja durchaus Symptome, häufig leichte Symptome. Aber das wird ja dann festgestellt. Und da ist es anders als bei den Grundschülern und Kita-Kindern. Da wissen wir einfach positiv weltweit, dass die ganz massive Treiber von Ausbrüchen sind. Das ist ja der Grund, warum ich sage, wir müssen ab der Sekundarstufe vor Weihnachten zu machen. Die sind wirklich Treiber von Ausbrüchen. Und da ist es dann einfach, dass festzustellen. Wenn man sieht, dass jetzt im amerikanischen College oder so plötzlich ganz viele krank sind. Ja klar, dann testet man alle durch. Und dann stellt man fest, dass zum Teil 80 Prozent infiziert sind. Und solche Zahlen kommen da raus. Darum wissen wir das einfach ganz konkret von Ausbrüchen bei den Älteren. Bei den Jüngeren habe ich es gerade gesagt, da ist es eher so indirekt.

Camillo Schumann

Herr U. hat angerufen.

Herr U.

Man darf sich ja nur mit maximal zehn Leuten treffen. Mit zwei verschiedenen Haushalten. Wie können dann die Gerichte Demonstrationen genehmigen, wo sich Hunderte von Leuten treffen? Die sind weder nur zehn Personen und auch nicht aus nur zwei Haushalten. Ich kann da schon verstehen, dass sich da ein Teil der Bevölkerung verarscht fühlt.

Alexander S. Kekulé

Das wird man wahrscheinlich nicht nur im Saarland so formulieren. Das ist, glaube ich, bundesweit übliche Formulierung, wenn man etwas nun gar nicht mehr versteht. Das hängt natürlich mit dem Demonstrationsrecht zusammen. Das ist ja eine juristische Frage an der Stelle. Es gibt so ein paar Säulen des Rechtsstaatsprinzips und eine Säule ist, dass der Bürger seine Meinung sagen darf. So ähnlich wie Pressefreiheit oder Meinungsfreiheit ist das. Hier müssen die Gerichte dann letztlich abwägen. Wie groß ist die Infektionsgefahr, wenn sich Leute sich im

Freien treffen? Da werden ja nach dem Versammlungsrecht, was wir sowieso haben, - da werden Auflagen gemacht. Solche Auflagen für Versammlungen im Freien. Die sind zum Beispiel deshalb wichtig, weil große Menschenmengen unter Umständen dann ein Sicherheitsrisiko darstellen können. Dass jemand zusammengedrückt wird. Da gibt es zum Beispiel dann auch Regeln, dass man keine Messer dabei haben darf. Und so gibt es die Regel, dass man bei großen Versammlungen, auch bei Demonstrationen, Masken aufsetzen muss. Sofern das lokal angeordnet wird. Und 1,5 Meter Abstand. Das kann man auch anordnen. Ja, und mit der Vorgabe wäre die Versammlung ja dann sicher im Freien. Und zwar mehr als sicher. Ich glaube, dass selbst ohne Maske die Leute sich, wenn sie den Abstand halten, nicht anstecken würden. Sodass aus Sicht des Juristen die Arbeit getan ist und alles in Ordnung ist. Dass die Leute sich natürlich dann, und das meint der Hörer natürlich, dass die sich nicht daran halten. Dass die da kuscheln und auf Tuchfühlung miteinander gehen. Das ist ein Punkt. Da sagt der Jurist, ja, ich habe es ja anders angeordnet. Wenn es dann anders passiert, da muss die Polizei eben die Versammlung auflösen. So funktioniert es einfach. Aber von vornherein so pauschal zu verbieten, wenn es darum geht, sozusagen die Meinung zu äußern und es ja möglich ist, wenn man Abstand einhält und vielleicht sogar zusätzlich die Maske auf hat. Das würde unserem Rechtsstaatsprinzip zuwider laufen.

Camillo Schumann

Frau O. hat uns geschrieben. „Ich hatte im Frühjahr im Verwandtenkreis folgenden Fall. Die über 90-jährige Mutter wurde ins Krankenhaus eingewiesen und wurde auf der Intensivstation behandelt. Nach ein paar Tagen wurde ihre Tochter darüber informiert, dass sie sich auf das Ableben ihrer Mutter einstellen muss. Es wurde ihr aber nicht gestattet, die Mutter zu besuchen und ihr Beistand in den letzten Stunden zu leisten. Begründet mit Corona-Regelung. Weder Mutter noch Tochter waren Corona-infiziert. Erst ein Anruf bei einer höheren Instanz ermöglichte es der Tochter, die Mutter in den letzten Lebensstunden zu begleiten. Wie schätzen Sie aus Virologen-Sicht

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eine solche Situation ein? Gibt es für derartige Situationen rechtliche Rahmenbedingungen? Welche Optionen haben Angehörige in einer solchen Konfliktsituation? Viele Grüße, Frau O.“

Alexander S. Kekulé

Und das ist wirklich schwierig. Leider treiben die Infektionsschutzmaßnahmen auch Blüten. Das muss man so sagen. Das ist aber übrigens nicht nur in Deutschland so. Wir haben ja hier in diesem Podcast auch gesagt, wir werden demnächst mal die schlimmsten Auflagen prämieren jede Woche. Und es ist tatsächlich so, dass es sehr großen Unsinn gibt. Und in diesem Fall ist es natürlich nicht nur ein Unsinn, sondern wirklich menschlich tragisch, was da passiert. Ich weiß, dass das kein Einzelfall ist. Ähnliche Situationen gibt es im Krankenhaus, im Altenheim und sonst wo. Man könnte selbstverständlich, dass virologisch sicher gestalten durch eine Schutzmaske, FFP2- Maske, durch Schnelltests und diese Maßnahmen. Und am Ende des Tages ist es ja auch so ein bisschen eine private Entscheidung, wenn jetzt ein Familienangehöriger im Sterben liegt. Den zu infizieren ist ja nun völlig ungefährlich. Also das würde ich mal sagen, soll nicht zynisch klingen. Aber das wäre ja irrelevant, jemanden, der im Sterben liegt, zu infizieren. Und andersherum meine ich, muss ein jüngerer Mensch dann auch sagen können, das nehme ich in Kauf dafür, dass ich mich von meiner Mutter zum Beispiel verabschieden kann. Dieses Risiko. Sodass ich sagen würde, wenn man jemanden ins Krankenhaus hineinlässt mit einer FFP2- Maske. In dem Fall ausdrücklich ohne Ausatem-Ventil. Und dann quasi, ohne dass er irgendetwas anfasst. In einer Art Babbel dann zu dem Krankenzimmer bringt, wo der Angehörige ist. Dort sich verabschieden lässt und dann dafür sorgt, dass der auf dem Rückweg auch nicht Kontakt zu anderen Patienten hat oder irgendwelche Türklinke anfasst. Dann ist das infektiologisch absolut sicher. Und ich finde es eigentlich schade, dass es da noch keine Präzedenzurteile gibt. Aber das liegt eben daran, dass jedes Gericht einen anderen Sachverständigen hat. Und wenn Sie dann einen anderen Sachverständigen haben. Der sagt dann nein. Jemand, der Covid-19-

Verdacht haben könnte, der darf auf keinen Fall ins Krankenhaus. Und ob diese allgemeinen Regelungen, die in manchen Krankenhäusern und auch in Altenheimen bestehen, ob die sinnvoll sind oder nicht, das ist noch nicht gerichtlich überprüft. Und es wird auch ein längerer Weg. Wahrscheinlich ist die Epidemie zu Ende, bevor das end- richterlich sozusagen ausgeurteilt ist.

Camillo Schumann

Die Antwort auf die Frage, welche Optionen Angehörige in so einer Konfliktsituation haben - ich würde vorschlagen, einfach diesen Podcast 123 der Heimleitung vorspielen.

Alexander S. Kekulé

Ich meine, jetzt kann man schon ganz konkret werden. Es ist so, dass im privaten Bereich ... das kommt darauf an, wer der Träger ist des Heims. Man kann natürlich beim Gericht versuchen, eine einstweilige Verfügung oder eine einstweilige Anordnung zu bekommen. Je nachdem, ob es ein öffentlich-rechtlicher oder ein privater Träger ist. Aber da ist eben das Problem, dass das auf den Richter ankommt. Wenn der Richter regelmäßiger Hörer dieses Podcasts ist. Vielleicht versteht er das vielleicht auf Anhieb oder wenn er sich anderweitig schlau gemacht hat. Und wenn der Richter jetzt sagt, da habe ich gar keine Ahnung von, wie soll ich da innerhalb von 24-Stunden eine Einstweilige raushauen? Außerdem habe ich sonst so viel zu tun. Dann wird man eben abgeschmettert. Das ist leider so. Das ist auch in ganz vielen anderen Bereichen so. Die Gerichte sind sowieso schon überfordert, dass sie alle möglichen Dinge in Deutschland klären müssen, weil die Menschen untereinander scheinbar das kaum noch hinkriegen, sich zu einigen.

Camillo Schumann

Diese Dame aus Berlin hat angerufen, es geht um das Thema Rauchen und Corona.

Zuhörerin

Nun habe ich gelesen, dass in der Türkei auf öffentlichen Plätzen und an Bushaltestellen, auf Straßen nicht mehr geraucht werden darf. Wegen Corona. Da frage ich mich, weshalb

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darf man in Deutschland noch überall rauchen?

Camillo Schumann

Und die anschließende Frage, ist es überhaupt sinnvoll?

Alexander S. Kekulé

Rauchen ist nicht sinnvoll. Aber das wollten Sie nicht wissen. Rauchen ist nicht sinnvoll, sag ich mal als Mediziner. Und das kann man nicht oft genug unterstreichen. Rauchen ist volksgesundheitlich gefährlicher als Corona.

Camillo Schumann

Ich konkretisiere. Wie sinnvoll ist Rauchverbot wegen Corona.

Alexander S. Kekulé

Aber andererseits hat natürlich der Arzt immer ein Herz mit seinen Patienten. Wenn einer nun mal Raucher ist, dann ist er nun mal Raucher. Das ist so wie ein schwer Übergewichtiger. Was sollen Sie den Leuten da sagen? Und da würde ich sagen, lassen Sie den einfach rauchen, wenn er im Freien steht. Also es gibt keinen Grund, im Freien wegen Corona das Rauchen zu verbieten. Indirekt ist es natürlich so, Leute, die jetzt chronische Raucherschäden haben - COPD ist da diese chronische Lungenerkrankung - um die dann immer geht. Die ist natürlich ein Risiko, ein stark erhöhtes Risiko für Covid-19. Also die Menschen, die das bekommen, die könnten dann eher daran sterben. Aber dieser Weg ist so indirekt, dass ich ganz sicher bin, dass die in der Türkei da nicht dran gedacht haben. Sondern die meinen wahrscheinlich, dass man irgendwie durch die Berührung der Zigarette oder keine Ahnung, ob die die Zigaretten untereinander austauschen oder so. Also vom Gegenseitig- Feuer-geben steckt man sich jedenfalls nicht an. Die Maßnahme kommt in unser Kuriositätenkabinett.

Camillo Schumann

Sehr schön. Die Sammlung wird immer größer. Diese Dame hat angerufen. Sie hat Freunde in Frankreich, und dort wurden ja die

Infektionszahlen erst einmal reduziert. Deshalb hat sie folgende Frage:

Zuhörerin

Man sieht eben in Frankreich, wenn man sich die Neuinfektionen anguckt, tatsächlich einen ganz, ganz klaren Cut um den 9. November, also so von vor einer Woche. Wäre das nicht eine Lockdown-Option für Deutschland, die effizienter wäre, als das, was wir jetzt haben und eben auch klarer. Also einfach wer zur Schule muss und wer zur Arbeit muss, darf das Haus verlassen und alle anderen eben nur eine Stunde im Umkreis von einem Kilometer um das eigene Haus herum wurde. Würde man damit nicht effizienter Risikogruppen schützen?

Camillo Schumann

Aber inzwischen sind die Zahlen in Frankreich wieder spürbar angestiegen. Bars und Restaurants dürfen frühestens am 15. Januar 2021 wieder öffnen. Also die französischen Maßnahmen sind eher wenig zielführend, oder doch?

Alexander S. Kekulé

Naja, das ist die grundsätzliche Frage, die man sich in Frankreich und in Deutschland stellen muss. Vor allem wenn jetzt nächste Woche die Ministerpräsidenten wieder überlegen, wie es weitergehen soll. Soll der Staat, wenn es nicht funktioniert, wenn die Bürger sich nicht so recht daran halten - und das ist ja unser Problem hier und ganz massiv übrigens auch in Frankreich, die sind noch renitenter als die Deutschen - soll der Staat dann, wenn die Bürger sich im Einzelnen nicht daran halten, die Daumenschrauben anziehen oder soll er auf Vernunft setzen? Was wir kontrollieren können oder was der Staat kontrollieren kann, ist doch letztlich immer nur der öffentliche Bereich. Darum gibt es ja so wahnsinnig viele absurde Regeln, irgendwo Masken im Freien zu tragen und Ähnliches, weil man das da halt anordnen und überwachen kann. Die Infektionen finden aber im Privaten statt. Mal abgesehen von den ganzen Ausbrüchen in Heimen die, die wir natürlich in Frankreich wie in Deutschland haben, wo der Staat zuständig wäre. Und deshalb glaube ich, es bringt nichts, so radikale Maßnahmen zu ergreifen. Außer

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man macht es eben dann total. Das ist dann die Methode Wuhan, das chinesische Verfahren. In Frankreich haben die das versucht. Dass man sagt, okay, dann verbieten wir überhaupt aus der Wohnung zu gehen. Dann können die sich ja auch nicht immer heimlich privat treffen. Das ist so ein bisschen wie die Idee, wir verbieten alle Gaststätten. Dann ist das Nachtleben auch auf Null heruntergefahren. Also sozusagen so eine Art echter klassischer Lockdown im Sinne von Zuhause-bleiben. Ich weiß nicht, ob wir in Deutschland das ... wir müssten versuchen, das irgendwie zu verhindern. Natürlich gibt es solche Ultima Ratio Ideen. Aber das wäre eine derartige Bankrotterklärung, dass wir ein Jahr nach Beginn dieser Pandemie immer noch keine Alternativen haben zu dem Wuhan- Modell. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das nicht machen müssen. Und Frankreich, wie Sie es richtig sagen, hat es irgendwie versucht. Aber die Bürger halten sich nicht daran. Das erhöht nur den Widerstand.

Camillo Schumann

Frau H. hat eine Mail geschrieben. „Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, der Bremer Senat hat kostenlos Masken an alle über 65- Jährige verteilen lassen und öffentlich versichert, alle Masken seien geprüft und sicher, auch wenn sie kein CE-Zeichen mit einer vierstelligen Nummer tragen. Ich hatte bisher KN95-Masken in der Apotheke gekauft, die laut Aufdruck auf der Verpackung CE- geprüft waren. Ich möchte den Aussagen unserer Gesundheitssenatorin gern Glauben schenken. Jedoch bin ich irritiert über den Aufdruck „non medical“ auf der Verpackung meiner jetzt erhaltenen Maske. Weder der Sprecher der Senatspressestelle noch meine Apothekerin oder ein Arzt konnten mir erklären, was es mit diesem Vermerk auf sich hat. Vielleicht haben Sie eine Erklärung. Ich bedanke mich. Viele Grüße. Frau H.“

Alexander S. Kekulé

Das ist so, dass wir für medizinische Masken in Europa eine Norm haben. Da gibt es so eine DIN ISO nach der die geprüft werden. Und wenn die ganz genau nach dieser Norm geprüft wurden, dann kosten sie einfach mehr, weil der Hersteller dann hohe Kosten für die

Qualitätssicherung hat. Und deshalb sind zum Beispiel Masken, die im Grunde genommen ganz genauso FFP2-Masken oder auch N95- Masken sind, das ist das Gleiche, die man im Baumarkt kauft, gegen Staub. Die sind wesentlich billiger. Ich weiß nicht, ob sie noch billiger sind. Aber die waren vor der Pandemie wesentlich billiger. ... als wenn Sie das gleiche Produkt medizinisch kaufen. Zum Teil sind die vom gleichen Fließband gekommen. Nur eben die Qualitätssicherung war in einem Fall nach DIN ISO und im anderen Fall irgendwie. Ich glaube, wenn der Senat sagt, sie haben das hier sichergestellt, und ich nehme an, die sagen das nicht so ins Blaue, dann wird man dem schon glauben dürfen. Weil das ist eben genau so. Wenn die zum Beispiel wissen, es kommt aus der gleichen Maschine, wo auch die medizinischen Masken produziert werden, dann würde ich mal davon ausgehen, dass das zu verantworten ist, solche Masken im Alltag zu benutzen. Und ja, da steht „non medical“ drauf, weil eben diese Norm nicht erfüllt ist.

Camillo Schumann

Die Antwort auf die jetzt kommende Frage, die fiel schon. Aber diese Frage haben viele.

Zuhörerin

Ich würde erstens gerne wissen, ob FFP2 und KN95 identisch ist. Wenn man manchmal das und manchmal das drauf liest. Und zweitens, wie lange darf man eine Maske tragen? Beide Sorten. Sowohl FFP2 als auch diese ganz normalen. Mit wie lange meine ich nicht, wie viele Tage, sondern wie viele Stunden oder wie oft, wenn es nur viertelstundenweise ist?

Alexander S. Kekulé

Ja also N95, ist das Gleiche wie FFP2 oder KN95. Das heißt letztlich, dass von einer bestimmten Partikelgröße, 95 Prozent im Versuch abgehalten werden. Und die FFP3- Maske geht dann, glaube ich, 99 Prozent. Das sind so Standards, mit denen das getestet wird. Da nimmt man Partikel einer ganz bestimmten Größe und guckt, wie viel geht dadurch? Wie viel wird da abgehalten? Daher ist es die gleiche Maske. International sagt man N95 und in Europa FFP-2. Das ist der Standard.

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Das andere ist die Frage, wie lange kann ich eine Maske tragen? Ja, da muss man ein bisschen unterscheiden. Also die, die echte filtrierende Masken sind. Eben diese FFP- Masken. Da ist es so, dass die, wenn man die eine Weile trägt, dicht werden, weil einfach die Partikel da drinnen hängen bleiben in diesem engen Gewebe. Und das merkt man dann, dass die durch Feuchtigkeit oder auch durch trockene Partikel im Laufe der Zeit immer schwergängiger werden. Da gibt es zwei verschiedene Effekte. Das eine ist, dass es mit dem Atmen unangenehmer wird. Und das andere ist, dass man merkt, dass zunehmend vor allem beim Ausatmen die Luft nicht mehr durch die Maske rausgeht, sondern an der Backe oder neben der Nase vorbei. Dass man quasi neben die Maske bläst. In dem Moment, wo man merkt, man atmet quasi teilweise einer Maske vorbei oder man kann nicht mehr richtig schnaufen damit, in dem Moment muss man die Maske wechseln. Also bei mir persönlich kann ich sagen, so eine FFP2-Maske nach zwölf bis 24-Stunden. Irgendwo in dem Bereich kann man die tragen. Insgesamt. Dann ist bei mir jedenfalls Schluss. Dann merke ich, dass ich mit denen nicht mehr richtig atmen kann.

Das andere ist dieser normale Mund-Nasen- Schutz- also das, was man gemeinhin als OP- Masken bezeichnet. Da ist es so, die kann man im Prinzip beliebig lang tragen, weil - da bleibt nicht so viel Zeug hängen. Die wird keiner so schmutzig kriegen, dass man nicht mehr durchatmen kann. Da ist es dann eher ein hygienisches Thema, weil man ja beim Ausatmen ständig auch kleine Speichelpartikel hat, die dran hängen bleiben, sodass die Maske irgendwann mal unappetitlich wird. Und alle Masken müssen natürlich gewechselt werden, wenn sie feucht sind. Das ist ganz klar. Sodass ich sagen würde, eine OP-Maske kann man auf jeden Fall auch einen ganzen Tag oder zwei Tage tragen. Und danach, wenn man will, natürlich auch waschen. Wenn man nicht genug hat, kann man die waschen. Und medizinisch gibt es keine Begrenzung. Also, das muss man selber sehen. Wenn man anfängt, Pickel davon zu kriegen oder Luftnot oder sonst was. Ehrlich gesagt, Ärzte im Krankenhaus, die können sich da nicht

beschweren. Die müssen es zum Teil den ganzen Dienst über anhaben. Da ist man Kummer gewöhnt mit der Maske. Ich fürchte, das wird in der allgemeinen Bevölkerung auch so sein, dass wir uns ein bisschen dran gewöhnen müssen.

Camillo Schumann

Herr R. hat geschrieben. „Sehr geehrter Herr Kekulé. Im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen gibt es gelegentlich auf Videos zu sehen, das Ärzte und Personal bei der Betreuung von Patienten nicht nur Gesichtsmasken tragen, sondern überdies auch Schutzbrillen. Dazu zwei Fragen. Erstens: Was weiß oder vermutete man über die Übertragung des Virus Sars-CoV-2 über die Augen? Und ist es daher für jemanden aus der Risikogruppe, dem sie mittlerweile auch schon bei Einkäufen FFP2-Masken empfohlen haben, zusätzlich zu empfehlen, auch die Augen gegen das Übertragungsrisiko zu schützen? Vielen Dank für Ihre Antwort. Viele Grüße Herr R.“

Alexander S. Kekulé

Dieser zusätzliche Schutz der Augen für eine Risiko-Gruppe, so im Alltag. Beim Einkauf zum Beispiel. Das würde ich jetzt nicht für notwendig erachten. Ich weiß, dass es manche machen. Man sieht manchmal tatsächlich ältere Herrschaften beim Einkaufen, die zusätzlich zur Maske noch ein Gesichtsschild tragen. Warum braucht man das dort nicht? Und warum braucht man es im Krankenhaus? Im Krankenhaus hat man ja so Prozeduren mit dem Patienten, wo wirklich das Virus einem ins Gesicht gesprüht wird regelrecht. Ich sag mal zum Beispiel, wenn man bei so einem Beatmungsgerät die Schläuche sauber macht oder so. Wenn Sie da diesen Sauger rausziehen, dann kommt Ihnen eine Ladung Sekret quasi entgegengesprüht. Das verteilt sich im Raum, und das kriegt man auch sozusagen direkt ab. Da ist es so, dass wir davon ausgehen, dass ein Treffer auf den Schleimhäuten der Augen zur Infektion führen könnte. Meines Wissens ist das, obwohl diese Pandemie nun schon länger besteht, noch nicht eins zu eins wirklich klar bewiesen worden. Aber wir kennen das von so vielen anderen Viren, dass die auch über die Augenschleimhaut eindringen können, dass

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das unsere Arbeitshypothese ist, dass es hier auch so ist. Ich weiß nicht, ob es endgültig bewiesen wurde. Ich habe zumindest keine Studie gesehen. Ein ähnlicher Effekt ist, wenn man das kennt vom Zahnarzt. Der bohrt mit seiner Turbine und wie wir alle wissen, das ist ein wassergekühlter Bohrer ist und die Assistentin saugt das überflüssige Wasser ab. Aber es gibt doch immer so einen Sprühnebel, der da entsteht. Und beim Ausatmen transportiert man den Richtung Gesicht des Arztes. Und natürlich hat er deshalb ein Schild noch einmal zusätzlich vor dem Gesicht. In so eine Situation begibt sich ja keine normale Risikoperson. Die wird jetzt nicht face-to-face mit einem infektiösen, der quasi spuckt, auf einen Meter Abstand stehen und da auch noch verharren. Also, das würde ich nicht empfehlen. Und wenn man das irgendwie vermeiden kann, braucht man keinen Gesichtsschutzschild im Alltag.

Camillo Schumann

Das war Ausgabe 123 Kekulés Corona-Kompass Spezial. Nur mit Ihren Fragen. Herr Kekulé, vielen Dank. Die nächste reguläre Ausgabe dann am Dienstag, 24. November. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.

Alexander S. Kekulé

Sie auch, Herr Schumann! Vielen Dank.

Camillo Schumann

Alle Spezial-Folgen und alle Ausgaben Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell - Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 19.11.2020 #122: Der Plan für ein normales Leben

Camillo Schumann, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Linktipp:

Aktueller RKI-Bericht

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neua rtiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt. html

Nachtrag zum Podcast #121

Studie: Was Handydaten über die Ausbreitung des Virus verraten: https://www.nature.com/articles/s41586-020- 2923-3

Covid-19 Mobility Monitor:

https://www.covid-19- mobility.org/de/mobility-monitor/

Camillo Schumann

Donnerstag, 19. November 2020.  Trotz des Lockdowns steigt die Zahl

der Neuinfektionen leicht. Wie kann

das sein?  Der Bundestag hat Änderungen des

Infektionsschutzgesetzes beschlossen.

Ist das Gesetz damit pandemie-sicher?  Ende des Monats beginnt die Weih-

nachtszeit. Wie kann Weihnachten trotz Corona einigermaßen normal stattfinden?

Die Politik erarbeitet derzeit eine Langfriststrategie. Wie kann ein normales Leben unter Pandemie- bedingungen aussehen? Ein Vorschlag aus dem neuen Buch von Professor Kekulé.

Sollten Unternehmen zur Pandemie- bekämpfung stärker in die Pflicht genommen werden?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus und beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Mittlerweile Tag 18 des Lockdown light in Deutschland. Wir schauen uns wieder die aktuellen Zahlen an. 22.609 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden, Stand heute. Zum Vergleich: Vor einer Woche am Donnerstag waren es 21.866. Also rund 1000 weniger. Die Woche davor 19.990, und die Woche davor 16.774. Herr Kekulé, schaut man sich nur diese Zahlen an, dann könnte man zu dem Schluss kommen, der Lockdown wirkt sich fast nicht aus.

Alexander Kekulé

Ja, das sieht so aus. Aber man muss eben sehen, dass so ein Anstieg um 1000-2000 Fälle pro Woche bei den Neuerkrankungen keine so dramatische Situation ist, wie wir es vorher hatten. Vorher haben sich die Neuerkrank- ungen ja nahezu verdoppelt alle paar Wochen. Es ist nach wie vor ein deutlicher Effekt zu sehen. Man sieht es auch im aktuellen Bericht des Robert Koch-Instituts, wo sie sich ja immer die Mühe machen, dieses Nowcasting zu machen. Also zu gucken, wie ist wohl bis zum heutigen Tage die Entwicklung zu erwarten, wenn alles eingetrudelt ist, was an Fällen noch im Meldeprozess ist. Da sieht man sehr deut- lich, dass es eine Bremse gibt. Der Lockdown hat deutlich abgebremst. Die Beschleunigung, wenn man so sagen will, ist weniger geworden. Aber es gibt immer noch einen leichten Anstieg.

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[0:02:38]

Camillo Schumann

Professor Wieler, Präsident des Robert Koch- Instituts, hat zur Entwicklung der Zahl der Neuinfektionen heute Folgendes gesagt:

"Ich bin Rheinländer, von daher bin ich sowieso prinzipiell Optimist. Tatsache ist ja, dass die Maßnahmen wirken. Das sehen wir daran, dass die Fallzahlen nicht mehr steigen. Wir sehen ein Plateau. Das heißt also, sie steigen nicht mehr. Das ist einfach schon mal ein guter Trend, eine gute Beobachtung. Ich gehe davon aus, dass sie demnächst auch noch fallen. Aber diese Trendwende sehen wir noch nicht momentan. Wir sehen das immer mit einer Verzögerung von etwa zwei Wochen. Ich bin sehr optimistisch, dass wenn wir nächste Woche hier sitzen, die Zahlen runter gegangen sind. Aber versprechen kann ich das niemandem. Ich bin aber optimistisch, dass es so ist."

[0:03:22]

Camillo Schumann

Herr Kekulé, nach 18 Tagen freuen wir uns über ein Plateau. Geben wir uns da mit wenig zufrieden?

Alexander Kekulé

Wenn man wenig bremst, dann dauert es einfach länger, bis was passiert. Das ist ganz klar. Wenn Sie beim Auto die Bremse voll reinhauen, merken Sie sofort einen Effekt, die negative Beschleunigung sozusagen. Und hier ist dieser Effekt etwas sanfter. Ich sehe es genauso wie Herr Wieler, abgesehen davon, dass ich kein Rheinländer bin. Ich wusste das bei ihm nicht, obwohl ich ihn schon sehr lange kenne. Aber ich glaube, in seiner Lage muss man wirklich Optimist sein. Anders geht es nicht. Wir alle in Deutschland müssen da dran glauben, dass das einen Effekt hat. Und das ist nicht nur ein Land dran glauben. Es ist logisch. Wenn man sieht, anhand der Zahlen, dass die Beschleunigung zurückgeht, dann ist es klar, dass die Geschwindigkeit abnimmt. Oder andersherum gesagt, wenn die zweite Ab- leitung der Funktion quasi gegen Null geht, ist es völlig klar, dass die Zahlen wieder sinken müssen. Das ist mathematisch vorhersehbar. Das Einzige, was das jetzt konterkarieren könnte, ist, wenn wir uns in der nächsten Zeit

anders verhalten. Also wenn die Bevölkerung mit Blick Richtung Weihnachten eben trotz Lockdown das Ganze lockerer sieht. Oder der Lockdown aufgehoben wird und dadurch die Fallzahlen wieder hochgehen.

[0:04:39]

Camillo Schumann

Auch über Weihnachten und die Zeit danach wollen wir dann noch sprechen, hier im Podcast. Die Lage in den Krankenhäusern scheint sich nicht weiter zu verschärfen. Seit einigen Tagen hat sich die Zahl der Menschen, die mit Covid-19 auf Intensiv liegen, nicht stark verändert. Aktuell liegt die Zahl bei rund 3590. Davon rund 2000 Menschen, die beatmet werden müssen. Dort scheint ebenfalls so ein Plateau erreicht worden zu sein. Ist das die eigentlich gute Nachtricht?

Alexander Kekulé

Das kann ich so nicht bestätigen. Die Fälle auf der Intensivstation hinken immer deutlich hinterher. Vor allem, wenn man es mit vielen leichten Infektionen zu tun hat, dann verlaufen die typischerweise so, dass man in den allermeisten Fällen keine Probleme hat. In manchen Fällen sind die Leute eine Woche oder zwei Wochen lang krank. Aber in den wenigen Fällen, um die wir uns Sorgen machen müssen, ist es so, dass die sich in der ersten Woche ganz wohlfühlen. Nach einer Woche ungefähr bekommen sie plötzlich so eine zweite Phase von der Erkrankung, wo es ihnen deutlich schlechter geht. Wegen dieser Ver- zögerungseffekte würde ich jetzt bei den Intensivstationen keine Entwarnung geben. Wir haben seit Mitte Oktober bis jetzt, also im letzten Monat, einen Anstieg von 655 auf die genannten 3561. Das ist ein Anstieg um das 5,5-fache. Das ist als solches schon beunruhig- end. Also da muss man hoffen, dass wir recht- zeitig und stark genug gebremst haben. Ich würde sagen, ja, wir haben rechtzeitig ge- bremst. Und ich würde auch sagen, für die Intensivstationen war das fürs Erste ausreich- end, dass wir keine Überlastung bekommen. Solche Situationen, wie sie in Italien am Anfang beobachtet wurden, aber zuletzt auch in einigen Regionen Frankreichs und übrigens ganz aktuell auch in den USA. Solche Situationen werden wir wohl durch den

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Lockdown jetzt abgebogen haben für Deutschland.

[0:06:36]

Camillo Schumann

Wenn ich es richtig verstanden habe, vermuten Sie, dass sich auf den Intensiv- stationen die Lage noch ein wenig verschlimmern wird.

Alexander Kekulé

Ja, ich glaube, das zieht jetzt nach. Durch die Verzögerung ist damit zu rechnen, dass die Intensivbelastungen noch ein bisschen ansteigen oder zumindest auf dem hohen Niveau eine Weile bleiben. Es ist jetzt schon so, dass die Krankenhäuser zum Teil wieder Pläne entwickeln, wie man Operationen verschieben kann und Ähnliches. Das ist nicht auszu- schließen, dass wir so was in den nächsten Wochen noch mal machen müssen. Aber wir werden nicht in diese klassische Situation kommen, die wir vermeiden wollen, was für Triage nennen. Dass ein Teil der Patienten dann nicht adäquat behandelt werden kann. Da sind wir in Deutschland auf einem guten Weg. Auch deshalb, weil wir am Ende des Tages ziemlich große Überkapazitäten im Krankenhausbereich haben.

[0:07:26]

Camillo Schumann

Im Lagebericht des Robert Koch-Instituts von gestern steht auch, dass sich der Rückstau an PCR-Proben in KW 46, also letzte Woche, im Vergleich zu den zwei vorangegangenen Wochen deutlich reduziert hat. Rund 100.000 Proben standen im Stau. Die sind jetzt größten- teils ausgewertet. Hat das irgendeinen Einfluss auf die Fallzahlen?

Alexander Kekulé

Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Zumindest nicht in der Weise, dass man daraus lesen könnte, dass die Lage gefährlicher oder weniger gefährlich geworden wäre. Die meisten Labor, die die Möglichkeit dazu haben, zum Beispiel Universitätslabore, die machen das so: Wenn sie nicht alle Proben abarbeiten können, dann schauen die, wer ist der Ein- sender. Das heißt zum Beispiel, von Intensiv- station eingesandte Proben oder auch von der

Notaufnahme oder solche Dinge werden tendenziell bevorzugt behandelt und kriegen schneller das Ergebnis. Und so eine Drive-In- Station, die also im Prinzip symptomlose Men- schen untersucht, da wird man eher sagen: "Das legen wir zur Seite, wenn wir überlastet sind." Ich weiß nicht, ob alle das so machen wie die Universitätskliniken. Aber dann wären das, wenn überhaupt eher Proben, wo wir keine schweren Fälle erwarten würden.

[0:08:55]

Camillo Schumann

Also es wird priorisiert. Da wo es salopp gesagt um Leben und Tod geht, das wird eher abgearbeitet, als wenn jemand testen will, ob er sicher in den Urlaub fahren kann.

Alexander Kekulé

Genau so, sofern es möglich ist. Das weiß man ja oft als Labor leider nicht. Das ist so eine Krankheit der Einsender, über die wir uns alle Jahre wieder als Laborärzte aufregen müssen. Unsere Einsender kreuzen an, was sie haben wollen. Das gilt nicht nur für Covid-19. Aber sie schreiben nicht dazu, was der Patient genau hat. Da sind immer auf diesen Zettel, die man da ausfüllen soll, schöne Felder, wo man Angaben zur Klinik machen soll und was der für Symptome hat und solche Sachen. Damit der Laborarzt ein bisschen mitdenken kann. Das wird aber in der Eile oft unterlassen. Da macht man nur das Kreuzchen, sodass die Laborärzte oft nicht wissen, wie eilig es ist. Aber man kann so ein bisschen nach den Einsendern sortieren, weil man weiß schon, von wo die Probe kom- mt. Wir zum Beispiel in Halle, wenn wir natür- lich eine Probe aus unserem eigenen Klinikum geschickt bekommen, wo wir wissen, es ist eine Station, die typischerweise Lungenkranke behandelt, dann würden wir das vorziehen, wenn wir einen Engpass hätten.

[0:10:02]

Camillo Schumann

Schauen wir uns die Tests noch ein bisschen detailliert an. Die Anzahl hat in der vergang- enen Woche im Vergleich zur Vorwoche um über 200.000 abgenommen. Es wurde also deutlich weniger getestet. Insgesamt wurden in Kalenderwoche 46 1,38 Millionen Tests gemacht. Und jetzt kommt es: Die Positiven-

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quote ist von 7,9 auf 9 Prozent gestiegen. Jetzt hat das Robert Koch-Institut wegen der Über- lastung der Labore am 11. November, also Mitte der vergangenen Woche, die Test- strategie geändert. Es sollen nur noch Menschen mit eindeutigen Symptomen ge- testet werden. Nur ein Schnupfen oder Hals- schmerzen, das reicht nicht mehr aus, um getestet zu werden. Ist durch diese veränderte Teststrategie der Anstieg der Positivenquote zu erklären. Was meinen Sie?

Alexander Kekulé

Das ist sicher ein Teil des Grundes. Ich glaube, das liegt schon zum Teil daran. Man muss sagen, eindeutige Symptome ist das eine, und das andere ist, wenn jemand Kontakt zu einem Covid-Patienten hatte. Das gehört auch noch zur Strategie dazu. Aber auch dann ist natürlich die Wahrscheinlichkeit höher als bei der Durchschnittsbevölkerung, dass die Probe positiv wird. Trotzdem muss man unterm Strich sagen, auch wenn dieser Effekt eine Rolle spielt, eine Positivenquote von 9 Prozent ist wirklich absolut alarmierend. In den Vereinigten Staaten ist heute rausgekommen, dass New York City jetzt die Grundschulen schließen wird, also alle Schulen schließen wird. In anderen Bundesstaaten der USA sind sie ja schon zu. Und zwar deshalb, weil dort die Positivenquote aktuell über 3 Prozent gestieg- en ist. Bei denen ist auch die Teststrategie so, dass man nicht lauter Symptomlose testet. Da haben die gar nicht die Kapazitäten dafür. 9 Prozent ist schon satt, das muss man klar sagen. Fast jeder Zehnte, der zum Test geht, ist positiv. Das lässt einfach auf eine hohe Dunkel- ziffer schließen. Man hat die anderen nicht mehr getestet aus Kapazitätsgründen. Da kann man lange noch mal drüber reden, warum die Kapazitäten so gering sind. Aber man hat sie eben nicht getestet. Das heißt nicht, dass die deswegen alle negativ sind. Sondern wir müssen davon ausgehen, dass wir eine vielleicht nicht so hohe Prozentquote, aber vielleicht fünf Prozent hätten in der Gesamtbevölkerung, wenn wir anfangen würden zu testen. Das ist viel zu hoch. In diesem Bereich ist man sich sozusagen nicht mehr sicher. Da kann man damit rechnen, dass vielleicht jeder Fünfhundertste, der einem begegnet auf der Straße, infiziert ist oder noch

häufiger. Für die USA wurden solche Zahlen gerade gemacht. Da gibt es Regionen in der USA, da hat man ausgerechnet, wenn sich zehn Leute treffen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Infektion kommt, inzwischen schon in der Größenordnung von 10 bis 30 Prozent. Also richtig satt. Wir steuern auf einen ähnlichen Zustand zu.

Camillo Schumann

Aber das wäre dann die Vorstufe zur Durchseuchung, oder?

Alexander Kekulé

Ja, das dauert natürlich dann noch länger. Richtig. Wenn man jetzt zynisch wäre, könnte man sagen, wir müssen aufpassen, dass wir nicht bevor der Impfstoff kommt, in die Durchseuchungslage kommen. Dann können wir den Impfstoff uns sparen. Übrigens, für die Vereinigten Staaten gilt das tatsächlich. Das wird dort noch nicht so offen diskutiert. Aber wenn man sich die aktuellen Zahlen anschaut, ist es so, dass fast 40 Prozent der Amerikaner in einer aktuellen Umfrage gesagt haben, sie wollen trotzdem Thanksgiving feiern. Mit den Zahlen, die ich gerade genannt habe, der Wahrscheinlichkeit, dass es bei solchen Feiern – und das sind nicht 4-5 sondern eher 20 Leute, zu Ausbrüchen kommt, haben die eine faire Chance, bis Januar irgendwann mal so eine Durchseuchung zu haben. Da muss man sich fragen, wie man überhaupt noch impft. Da würde man vielleicht die Impfstrategie dahin- gehend ändern, dass man vorher einen Anti- körpertest macht und erst einmal schaut, wer die Impfung noch braucht. Da sind wir in Deutschland zum Glück weit davon entfernt. Zum Glück, es hat gute und schlechte Seiten. Das ist halt so. Wenn wir wenig immune Personen in Deutschland haben, müssen wir weiter vorsichtig sein. Das wäre auch immer mein Appell, sich nicht bequem zurückzu- lehnen, sondern das gerade in der jetzigen Phase weiter ernst zu nehmen.

[0:14:05]

Camillo Schumann

Wegen der veränderten Teststrategie: Eine Tierärztin hat uns geschrieben. Sie schreibt: "Warum wird ein Zwölfjähriger mit massiver Bronchitis und Schnupfen von zwei Ärzten

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nicht auf Corona getestet? Mit der Aussage, das sei nur eine Erkältung. Der Junge geht damit nicht in die Schule, sondern zu den Großeltern. Meines Wissens kann ich äußerlich eine Erkältung nicht von Corona unter- scheiden. Schon gar nicht bei Kindern. Wo ist da der Sinn?"

Die Frage können Sie nach der Sinnhaftigkeit schwer beantworten. Aber bewerten können Sie es.

Alexander Kekulé

Solche Sachen hören wir ständig und an allen Ecken Deutschlands. Das Kind hatte hier Schnupfen und Bronchitis. Bei einem Kind, was nur Schnupfen hat, da muss man überlegen, was man macht, wenn es sonst völlig gesund ist. Dann muss man fairerweise sagen, ein Kind mit Schnupfen könnte innerhalb der nächsten Tage durchaus auch Covid-19 entwickeln. Das wissen die Eltern vorher nicht. Ohne Test schon gleich gar nicht. Aber wenn es hier so ist, dass man Bronchitis und Schnupfen hat, dann hat man von vornherein eigentlich alle Kriterien für Covid-19-Verdacht zusammen. Man kann so ein Kind sowieso nicht mehr in die Kita schicken. Da kann man nur noch einmal appellieren, dass das wirklich alle ernst nehmen. Ja, ich wäre dafür, das zu testen.

Die Frage ist letztlich, wie geht man als Staat mit diesem Thema um? Es gibt zu wenig Tests. Diese PCR werden von Laboren gemacht, die ökonomisch denken müssen. Das kann man keinem Labor übel nehmen, dass die sagen: "Wir können nicht einfach zehn mehr Leute einstellen dafür. Wo wir nicht wissen, wie lange wir die dann halten können." Und wo wir im Moment in einer Situation sind, dass die Preise ganz massiv eingebrochen sind für die PCR. Das waren früher mal über 200 Euro. Jetzt werden da 40 Euro oder so was in der Größen- ordnung aufgerufen. Von Großabnehmern jedenfalls. Das ist an der Grenze, wo es sich nicht mehr rentiert, weil die Reagenzien ja sehr teuer sind. Die sind nach wie vor teuer, weil da ist der Bedarf groß. Die Hersteller haben kein Interesse, jetzt, wo viel gebraucht wird, die Preise zu senken. Das heißt, marktwirtschaft- lich funktioniert es aus meiner Sicht nicht. Da müsste der Staat ein bisschen dirigistisch eingreifen und sagen: "Wir müssen den Laboren unter die Arme greifen, dass sie Geld

kriegen." Damit sie Personal einstellen, dass sie diese Tests machen und dass wir wirklich als Staat dafür sorgen, dass die PCR-Kapazitäten hochgefahren werden. Also nicht nur zuschau- en, wie es jetzt ist. Aktueller RKI-Bericht: Wir hätten theoretisch 2 Millionen pro Woche. Gemacht wurden 1,38. Da muss man natürlich fragen, da sind 0,62 nicht gemacht worden. 620.000 Tests hätte man mehr machen können. Das steht im Kontrast zu diesen 100.000, die da im Rückstau waren. Das heißt, es ist im Grunde genommen offensichtlich ein logistisches Problem gewesen.

Vielleicht noch eins hinterher. Das steht auch im RKI-Bericht und die Journalisten schreiben das ab. Es wird so oft gesagt, dass das Verbrauchsmaterial knapp wäre. Also für diese PCR-Tests. Da muss man zwei Sachen dazu sagen. Das eine ist, da steht: "Selbst Pipetten- spitzen sind knapp." Es ist so, dass sind ganz spezielle Spitzen, die in den Vollautomaten gebraucht werden. Weil die Vollautomaten zum Beispiel von der Firma Roche so gebaut sind, dass man nur deren eigene Pipetten- spitzen verwenden kann und nichts Fremdes. Das ist sogar mit Barcodes gemacht, dass man auf keinen Fall auf die Idee kommt, irgend- etwas von einem Wettbewerber zu kaufen. Diese Pakete, die man da einkauft, da ist von Herstellerseite das Problem: Einerseits liefern sie diese Sachen. Sie wollen, dass man nur von diesem Hersteller abhängig wird. Andererseits ist es so, dass da diese speziellen Spitzen, die in der Maschine drinnen sind, zurzeit Liefer- schwierigkeiten haben. Die normale Allerwelts- Labor-Pipettenspitze hat natürlich keine Lieferschwierigkeiten.

Oder ein anderes Thema, und da wird immer geschrieben ... Ich zitiere das, weil ich das jede Woche im RKI-Bericht lese. "Verbrauchs- materialien und Reagenzien werden in Laboren nur für kurze Zeit bevorratet (unter anderem wegen begrenzter Haltbarkeit bestimmter Reagenzien)." Da entschuldigt das RKI so ein bisschen die Labore. Aber Fakt ist, dass diese Sachen ein halbes Jahr haltbar sind. Mindestens. Einige länger. Und bevorratet wird, das kann man aus den gleichen Berichten entnehmen, in der Größenordnung von vier bis sechs Wochen maximal. Das ist nicht der Grund. Man könnte für ein halbes Jahr theoretisch sich Vorräte einlagern. Sicherlich

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gibt es dann Rückfragen bei der Firma, weil die nicht für ein halbes Jahr auf Anhieb liefern können. Aber diese Begründung, die da wie gebetsmühlenartig jede Woche wieder drin steht in den Berichten, dass die Pipetten alle sind und dass die Reagenzien nicht haltbar seien, das kann nur bei einem Teil der Labore die Sache beantworten. Man könnte durch eine konzertierte bundesweite Aktion auf jeden Fall diese Kapazitäten weiter hoch- fahren. Ich erinnere noch mal daran, dass Herr Streeck und andere schon im April gesagt haben, wir müssen auf 500.000 am Tag kommen. Jetzt sind wir bei 2 Millionen die Woche. Da ist noch deutlich Luft nach oben.

[0:19:49]

Camillo Schumann

Diese Teststrategien, die wir jetzt haben, die hatten wir schon mal zu Beginn der Pandemie. Also wirklich nur Symptome, Verdachtsfälle und wenn man Kontakt hatte. Wie müssen wir künftig die Zahlen der Neuinfektionen lesen und interpretieren? Die waren in den vergangenen Monaten ein bisschen anders.

Alexander Kekulé

Wir müssen künftig eine Riesendunkelziffer obendrauf schlagen. Wie groß die genau ist, wissen wir nicht. Wir haben aus der Anfangs- zeit Berichte gehört. Zum Beispiel diese eine Studie in München, wo bei den Kindern noch mal nachgetestet wurde. Man hat festgestellt, es waren in Wirklichkeit sechsmal so viele Kinder infiziert, wie damals gemeldet wurden. Das war irgendwann im Frühjahr, auf was sich das bezogen hat. Da hatte ich immer vermutet, das ist zehnmal so viel. Jetzt kam in der Studie sechsmal so viel raus kam. Ich schätze, wir müssen in der Größenordnung denken. Ob das jetzt sechsmal oder zehnmal oder zwölfmal ist. Aber so ist ungefähr der Faktor zwischen den Infektionen, die als Neuinfektionen gemeldet werden, und denen, die tatsächlich stattfinden. Das muss man dann auf die sozial aktiven Bevölkerungsgruppen runterrechnen. Es sind nicht 83 Millionen, die betroffen sind. Sondern ganz viele Menschen halten sich zurück und nehmen letztlich zurzeit ganz bewusst nicht so intensiv am sozialen Lebenteil. Aber die, die munter die Viren austauschen, sind eine Teilpopulation. Und in dieser Teilpopulation

haben Sie dann eine echt faire Chance, sich zu infizieren, wenn Sie mit denen Kontakt haben. Und deshalb glaube ich, müssen wir mit diesem Bewusstsein rausgehen, dass wir eine epidemische Lage haben. Das hat sich insofern vom Sommer verändert. Wo jeder einzelne, wenn er Kontakt mit anderen hat, inzwischen ein reales Infektionsrisiko hat. Das war im Frühjahr vielleicht gar nicht mal so sehr, weil wir da nicht so viele fein verteilt Infektionen hatten, sondern da war es eher so in Clustern. Heute ist es so, dass wir zumindest in den Großstädten, in der U-Bahn oder so damit rechnen müssen, dass in jeder vollbesetzten U-Bahn paar Leute sind, die infektiös sind im Moment.

[0:21:51]

Camillo Schumann

Womit wir bei den Maßnahmen wären. Der Bundestag hat gestern Änderungen im Infektionsschutzgesetz beschlossen. Vorangegangen war eine ziemlich heftige Diskussion im Parlament und vor dem Reichstagsgebäude. Da gab es eine Demonstration. Anlass war, dass immer mehr Gerichte die Maßnahmen der Bundesländer kassiert hatten. Dass die Gerichte die gesetzliche Grundlage im Infektionsschutz- gesetz nicht gesehen haben. Das wurde jetzt nachgebessert, konkretisiert. Also vom Abstandsgebot über Maskenpflicht bis zur Untersagung von Kultur- und Sportverans- taltungen gibt es nun in § 28a 17 Punkte, die schon allgemein bekannt sind, jetzt aber auf sauberen juristischen Füßen stehen. Die Maßnahme sind jetzt juristisch wasserdicht einigermaßen. Ist das ein richtiger Schritt?

Alexander Kekulé

Ja, das war lange überfällig. Und es ist auch gut, dass das gemacht wurde. Es gab auch Kritik, dass es so lange nicht gemacht wurde. Ich möchte an der Stelle tatsächlich die Politik in Schutz nehmen. Es ist so, diese Liste zusammenzustellen ist nicht trivial. Man macht eine gesetzlich vorgegebene Liste. So was wollen Verwaltungsgerichte haben, weil sie sich dann leichter daran abarbeiten können. Aber diese Liste soll natürlich gerade deshalb halbwegs vollständig sein.

Und das hat sich erst im Lauf der Zeit gezeigt,

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welche Maßnahmen man zusätzlich noch anordnen sollte, was sinnvoll ist. Und deshalb ist das Projekt jetzt erst so weit gereift gewesen, dass man das in einem Bundesgesetz gießen kann. Da ist dieser §28a Infektions- schutzgesetz entstanden. Ich glaube, es ist sehr sinnvoll, dass das so ist. Wir hatten es schon mal besprochen. Das Problem ist: Wenn sich Virologen und Epidemiologen Gedanken machen, dann sich das RKI Gedanken macht, am Schluss die Politik sich wirklich den Kopf zerbricht, was die beste Maßnahme ist und dass dann erlässt. Und am Schluss kassiert das ein Verwaltungsrichter, der naturgemäß nicht diesen ganzen Apparat hat, um seine Entscheidung zu begründen. Dann ist es einfach schade, weil man von der Qualität der Entscheidung einen Schritt zurück macht. Das ist hier ausgebessert worden. Ich glaube, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich mal glücklich darüber sind, dass sie hier was Konkreteres an der Hand haben.

[0:24:11]

Camillo Schumann

Aber wenn man sich die Maßnahmen im Detail anguckt, die jetzt im Gesetz stehen, dann ist es ein sehr auf Corona zugeschnittenes Gesetz. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, das ist ein auf Corona zugeschnittenes Gesetz. Das ist meines Wissens auch erst im letzten Moment noch einmal geändert worden. Der §28a hat jetzt die neue Über- schrift bekommen "Besondere Schutzmaß- nahmen zur Bekämpfung des Coronavirus Sars- CoV-2". Das ist jetzt ein extra Corona- Paragraph, eine Lex Corona sozusagen. So finde ich das auch in Ordnung, weil der sozusagen nur für diese eine Pandemie gemacht wurde. Deshalb ist er so besonders speziell im Moment. Man kann ein paar juristische Sachen noch einwerfen. Das ist nicht so typisch unser Podcast. Aber es ist ein gewisses Problem aus meiner Sicht an dieser Struktur, die man da gewählt hat, dass das alte Konzept, das ist immer noch so im Infektions- schutzgesetz drinnen ... Da gibt es diesen berühmten Paragraph 5 Absatz 1. Da wird festgestellt: eine epidemische Lage von nationaler Tragweite. Diese Feststellung macht

der Deutsche Bundestag. Und er kann auch irgendwann sagen: "Die Lage ist zu Ende". Dann ist der Spuk vorbei. Während diese Lage vorhanden ist, gibt es sehr, sehr weitgehende Vollmachten für die Exekutive. Da hätte ich mir gewünscht, dass dazwischen - sozusagen zwischen On and Off - irgendwo noch eine weitere Eingriffsmöglichkeit des Gesetzgebers ist. Es war letztlich der Souverän in unserem Staat die Entscheidungen treffen soll. Und das quasi zwischen Beginn der Epidemie und Ende der Epidemie der Bundestag oder auch die Landesparlamente zunächst mal nichts mitzu- bestimmen haben, das sehe ich als juristisch und auch staatstheoretisch eher wackelig an. Da bin ich gespannt, ob das hält vor den Gerichten. Aber das ist jetzt keine epidemiologische Frage. Für einen Virologen ist einfach nur wichtig, dass die richtige Ent- scheidung getroffen wird. Da kann ich vielleicht sagen, die Exekutive tendiert immer so ein bisschen dazu ein, zwei Experten sich zur Hand zu nehmen und auf Basis derer Empfehlungen zu entscheiden. Sobald man die Legislative mit drinnen hat, wird der Prozess aufwendiger. Aber natürlich werden dann mehr Stimmen von Fachleuten gehört. Das hätte ganz sicher am Anfang dieser Epidemie große Vorteile gebracht. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass es eine Art Zwischenstopps gibt. Dass das Parlament auch mal sagen kann: "Okay, jetzt habt ihr das und das beschlossen. Ihr seid zwar dazu ermächtigt. Das sind Verordnungs- ermächtigungen. Aber wir finden, das geht doch zu weit, und wir wollen noch mal so eine Art Vetorecht haben."

Das hätte ich wahrscheinlich aus demo- kratischen Gründen mit eingebaut. Das hätte epidemiologisch den Vorteil gehabt, dass letztlich auch Leute, die keine Fachleute sind, konkret Leute außerhalb des RKI, haben nach dem neuen Gesetz nichts mehr zu sagen.

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz vergeht da wertvolle Zeit.

Alexander Kekulé

Na ja, nicht, wenn sie es als Vetofunktion einführenden. Ich hoffe, dass die Volks- vertreter klug sind. Die würden sich schon überlegen, wann sie dann dieses Veto ziehen.

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Man muss sich auch überlegen, ob das dann sozusagen aufschiebende Wirkung hat oder nicht. Man könnte sagen, es gibt eine Nachprüfungsmöglichkeit ohne aufschiebende Wirkung. Dann könnte die Exekutive, wenn Gefahr im Verzug ist, die Verordnungen erlassen. Und die Parlamente könnten trotzdem sich das im Prozess noch einmal anschauen. So eine epidemische Lage von nationaler Tragweite ... Jetzt geht es hier konkret um diese Pandemie. Die kann zwei Jahre dauern. Dann hat in der ganzen Zeit das Parlaments nichts mehr zu melden. Das ist für mich von Nachteil. Gerade dadurch, dass es jetzt in ein Gesetz gegossen ist, ist es umge- kehrt. Sodass die Verwaltungsrichter sich diese Frage nicht mehr stellen müssen, ob da mehr Beteiligung notwendig gewesen wäre. Weil Gesetz ist Gesetz. Die Richter haben nicht den Auftrag, das Gesetz neu zu schreiben, sondern sie legen es aus.

[0:28:26]

Camillo Schumann

Noch kurz nachgefragt, weil Sie gesagt haben "Lex Corona". Vielleicht kommt Sars-CoV 3 oder irgendein anderes Virus. Da müsste man ja wieder ans Infektionsschutzgesetz ran, wenn man sich mit dieser Überschrift so festlegt und mit den Maßnahmen.

Alexander Kekulé

Ja, das ist so. Aber ich finde es ganz gut, dass sie sich jetzt festgelegt haben, weil dadurch die Gefahr weg ist. Es gab viel Kritik. Es gab Leute, die völlig absurd von einem Ermächtigungs- gesetz gesprochen haben. Das ist völlig abwegig. Das Gegenteil ist der Fall. Die Exekutive wird eher an die Kandare gelegt. Aber ja, für die Zeit danach bringt es nicht viel. Ich würde mir sehr wünschen, dass man, wenn das alles vorbei ist, sich noch mal zusammen- setzen und sagt: In dem speziellen Fall brauchten wir das jetzt genau so. Können wir nicht generisch, also sozusagen unabhängig von dem konkreten Fall, das Infektions- schutzgesetz so machen, dass es auch für die nächste Pandemie oder für den nächsten Infektionsnotfall, der ganz anders aussehen könnte, auch gewappnet ist. Nicht, dass man dann wieder in die gleiche Schleife kommt wie diesmal und den

Ereignissen hinterherläuft. Ich denke da ganz praktisch. Beim nächsten Mal ist es ein Durchfallerreger. Dann haben Sie ganz andere, der vielleicht fäkal-oral übertragen wird. Dann müssen Sie über Trinkwasser, Kontrolle und sowas nachdenken. Dann wird plötzlich das Handy desinfizieren wirklich wichtig. Oder dann darf man sich wirklich nicht mehr die Hände geben, weil es extrem gefährlich ist, dabei Übertragungen zu machen.

Vielleicht noch eine Sache, die ich ganz gut finde. Da hat es mal jemanden gegeben, der in diesem Podcast die Frage gestellt hat, warum tierärztliche Labor nicht diese Untersuchungen machen dürfen. Und scheinbar hat man im Bundestag das erhört. Eine Hörerin hatte das damals gefragt. Das wurde von den Medien wenig publiziert, aber es ist so, das jetzt auch der Arztvorbehalt fällt. Das heißt, Tierärzte dürfen ab sofort, wenn Not am Mann ist, diese Untersuchungen machen. Und es gilt auch für die MTAs, also Tiermedizinisch ausgebildete Veterinäre. MTAs dürfen jetzt auch diese Untersuchungen machen. Das ist mehr als sinnvoll. Eben auch im Sinne von Kapazitäten rekrutieren für die Labore. Was ich jetzt ein bisschen schade finde, ist, dass man die Antigen-Schnelltests in den Apotheken über- haupt nicht auf dem Schirm hat. Wenn man jetzt schon den Bundestag und den Bundesrat zusammenruft und dem Bundespräsidenten quasi einen Eiltermin abverlangt, hätte man sagen können, dass man die Abgabe der Antigen-Schnelltest an jedermann in Apotheken bei der Gelegenheit auch gleich regelt. So weit wollte man nicht gehen.

Camillo Schumann

Ein Abwasch, wenn er schon mal da sitzt.

Alexander Kekulé

Wenn er schon mal da sitzt, ja. Das sehe ich aber ganz pragmatisch. Vor Weihnachten werden die nicht noch mal so ein großes Ding durchziehen.

[0:31:07]

Camillo Schumann

Möglicherweise nicht. Mit diesem konkretisierten Infektionsschutzgesetz will die Politik vermeiden, dass Gerichte die Maß- nahmen wieder kassieren. Auch die Akzeptanz

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der Maßnahmen in der Bevölkerung nimmt weiter ab. Denn man muss es sagen, an der Sinnhaftigkeit der aktuellen Maßnahmen zweifeln zunehmend mehr Menschen. Das hat eine Allensbach-Umfrage im Auftrag der FAZ ergeben. 63 Prozent der Befragten gaben an, die Arbeit der Koalition in Berlin ist gut oder sogar sehr gut. Im August lag der Wert noch bei 78 Prozent. Die Zahl der Kritiker der Corona-Maßnahmen hat deutlich zugenom- men. Im vergangenen Vierteljahr stieg der Anteil von 15 auf 28 Prozent. Die Menschen zeigen immer weniger Verständnis, auch für regionale Unterschiede. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Es sind ja die Menschen, die für den Erfolg der Maßnahmen von ent- scheidender Bedeutung sind. An welchem zeitlichen Punkt in der Pandemie stehen wir jetzt?

Alexander Kekulé

Ich glaube, das ist jetzt der Knackpunkt schlechthin. Wir sind einerseits von der Epidemiologie in der Situation, dass es ein diffuses Geschehen ist, wie das Robert Koch- Institut das nennt. Das heißt, wir haben eine Art Hintergrundrauschen. In dieser Lage kommt es darauf an, wie der Einzelne sich verhält. Es geht nicht mehr so sehr um die Top- Down staatlichen Maßnahmen. Zweitens ist es so, dass wir aus der Psychologie wissen, dass staatliche Maßnahmen eben eher einmalig wirken. Kurzfristig wirken. Sozusagen der Zwang wirkt einmal, wenn man schnell macht. Wie auch am Anfang. Aber dann muss sozu- sagen in der Etappe nachfolgen, auch im Verständnis der Bevölkerung. Das heißt, wir brauchen die Menschen aus virologischen Gründen, weil es eben fein verteilt ist. Da kann sich jeder selber schützen. Wir wissen aber auch psychologisch, dass die reine Anordnung, ohne dass Verständnis dabei ist, nicht mehr reicht. Mit der bevorstehenden Kälteperiode und mit Weihnachten noch dazu gibt es jetzt sozusagen ein Doppel-Whopper an Belastung für das ganze System.

Virologisch ist es so, im Winter, wenn es kalt wird, blüht dieses Virus erst mal so richtig auf. Das heißt, wir haben es fast mit dem anderen Erreger zu tun, der gefährlicher ist. Und ich glaube, dass für die deutsche Bevölkerung, ob man jetzt religiös ist oder nicht, Weihnachts-

zeit, dann hinterher Silvesterpartys und so weiter, die wichtigsten Ereignisse im Jahr sind. Da habe ich die Befürchtung, dass das noch weiter auseinander driftet, wenn die Konferenz der Ministerpräsidenten nächste Woche nicht zu einem ganz deutlich nachvollziehbaren, klaren Konzept führt. Dass der Wildwuchs, der entstanden ist, der kleiner und großer Unsinn, den die Maßnahmen so mitgebracht haben, dass der mal abgebaut wird. Sondern dass jeder versteht: Das ist jetzt sinnvoll. Das ist der Kern, um den es geht. Und das müssen wir jetzt machen, obwohl Weihnachten und Silvester vor der Tür stehen.

[0:34:09]

Camillo Schumann

Sie haben es schon angesprochen. Ende des Monats, am 29. November, geht es los. Erster Advent, die Weihnachtszeit. Für die meisten Menschen die wichtigste und schönste Zeit im Jahr.

Wir haben eine sehr bewegende Mail von Frau V. bekommen:

"Weihnachten rückt näher. Die ganze Familie, wir sind mittlerweile über zehn Leute mit meinen Geschwistern und deren Partnern und Kindern, trauert jetzt schon, weil wir uns dieses Jahr nicht treffen werden. Ich habe in einem Beitrag gesehen, dass es in Barcelona eine Schnelltest-Strategie gibt, die ein nahezu normales Beisammensein ermöglicht. Könnte man mit den aktuell verfügbaren Schnelltests ein Familientreffen aus Ihrer Sicht verant- worten? Immer vorausgesetzt, man kommt an diese Tests irgendwie als Privatperson heran. Was kann man tun, um die Politik zu bewegen, der Gesellschaft diese Möglichkeit zugänglich zu machen? Wir sind verzweifelt! Herzliche Grüße, Frau V."

Alexander Kekulé

Das Weihnachtsthema ist schwierig. Ich glaube, die Politiker haben das vor Augen. Keiner will der Grinch sein, der Weihnachten der Bevölkerung verdirbt. Zumindest nicht zugeben, dass er der Grinch ist. Aber wenn es verdorben wird, dann deshalb, genau wie die Hörerin gesagt hat, weil man möglicherweise die Schnelltests nicht schnell genug beige- bracht hat. Da ist ja sehr, sehr spät der

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Groschen gefallen, dass die wichtig sind. Ich glaube, es ist schon noch möglich. Nach der jetzigen Lage sind diese Schnelltests zumindest in den Apotheken noch nicht knapp. Ich habe so gerüchteweise gehört, dass drüber nachgedacht wird, dass die Bundesregierung die Schnelltest aufkaufen will, weil sie nicht genug PCRs für die Altenheime und die Krankenhäuser haben. Das ist aber nur ein Gerücht. Wenn das so sein sollte, könnte es sein, dass sich die Bundesregierung zuerst bedient und dann die Vorräte in den Apo- theken nicht mehr vorhanden sind. Ich habe das von einem Apotheker gehört. Im Moment können Ärzte durch Vorlage des Arztausweises sich eine Kiste Schnelltests von Roche kaufen. Da kostet einer 11 Euro. Es gibt natürlich auch andere Wettbewerber. Ich mache jetzt keine Werbung für eine Firma. Das geht ratzfatz und hat die bekannten Nachteile. Den Schnelltest wird man sicherlich nicht anwenden wollen, wenn man im Krankenhaus jemanden unter- sucht. Und den halte ich für bedenklich, wenn das jemand ist, der dann dadurch vielleicht für eine Woche lang freigegeben wird als Pfleger im Altersheim. Man muss bei dem Schnelltest immer dazu sagen, der ist zuverlässig oder ausreichend zuverlässig, wenn man auf den gleichen Tag sieht. Also ganz konkret bei der Weihnachtsfeier: Alle, die kommen, müssen eben am Anfang erst mal in ein separates Zimmer und jeder kriegt einen Abstrich, bevor es weitergeht. Wenn man das so macht, quasi unmittelbar, dann fängt man schon die aller- meisten möglichen Infizierten ab. Ich empfehle zusätzlich so eine Art freiwillige Quarantäne vorher zu machen. Ich würde es nicht als Quarantäne bezeichnen. Aber dass man sich einfach zurückhält mit Risikokontakten in der Woche vor Weihnachten. Mit dieser Kombination machen wir das übrigens in meiner Familie auch. So kann man sich natürlich halbwegs absichern. Ich bin jetzt gespannt, wenn die Leute versuchen, die Schnelltest zu bekommen über ihre Ärzte, ob die dann reichen oder nicht. Das ist die Frage. Das kann ich nicht beantworten.

[0:37:33]

Camillo Schumann

Es sieht ja erst mal nicht danach aus, als würde es bis Weihnachten die Schnelltests für jeder-

mann in der Apotheke geben. Deswegen die Frage: Wie können wir Weihnachten retten? Wie könnte so eine kurzfristige Strategie aussehen, die vielleicht nicht besonders schön, aber dafür wirkungsvoll wäre?

Alexander Kekulé

Das eine ist, was die Menschen machen können. Das andere ist die Frage, was die Politik machen kann. Dann muss man erst einmal mit der Politik anfangen. Weil Sie vorhin erwähnt haben, wie die nächsten Wochen weitergehen ... Ich gucke noch auf ein ganz anderes Ereignis, was vielleicht für Sie und mich nicht so das wichtigste im Jahr ist. Das ist der Black Friday nächste Woche. Da ist großer Showdown beim Shopping. Ich weiß aus gut informierten Kreisen, dass es da drunter und drüber geht in den Einkaufsläden. Ohne dem Einzelhandel den Spaß nehmen zu wollen und all denen, die schon auf die Schnäppchen für Weihnachten schielen. Man wird das nicht machen können, dass man jetzt Millionen von Menschen alle an einem Tag in den Kauf- häusern rumturnen lässt, um sich die billigen Angebot zu holen. Ich glaube, das ist etwas, wo die Politik mal drüber nachdenken sollte. Selbst mit Masken ist das eine Sache, die aufgrund der Personendichte gefährlich wird. Man müsste mindestens Vorschriften machen, dass die Personenzahlen in den Kaufhäusern begrenzt werden. Wenn ich auf die Bilder vom letzten Jahr gucke. Aber das mal außen vor. Was könnte man machen von der politischen Seite? Erstens bin ich definitiv dafür, dass wir die Schulen, die Sekundarstufe, ab sofort in den Wechselunterricht schicken. Ich hoffe, dass das nächste Woche passiert. Damit eben diese vorweihnachtliche "Quarantäne" funktioniert, würde ich eine Woche vor Weihnachten die Sekundarstufen schließen. Ich würde die Grundschulen und Kitas sehr schweren Herzens offen lassen. Und zwar deshalb, weil die Epidemiologie hier anders aussieht als die Virologie. Virologisch wissen wir, die Kinder sind im Prinzip empfänglich und müssten irgendwie auch infektiös sein. Aber wir haben bisher keine Hinweise auf massive Ausbrüche durch Kita-Kinder und Grundschulkinder. Später natürlich schon. Deshalb würde ich sagen, das Risiko gehen wir jetzt als Gesellschaft mal ein, dass wir das

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offen lassen bis Weihnachten. Ich würde sagen unter strengsten Auflagen in dieser Situation die Grundschulen und Kitas bis Weihnachten offen lassen, sofern wir nicht irgendetwas anderes plötzlich bemerken.

Camillo Schumann

Strengste Überwachung. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Alexander Kekulé

Erstens muss es so sein, dass alle Eltern wissen, wenn ein Kind irgendwie Erkältungs- symptome hat, wenn es auch noch so ärgerlich ist, muss es zu Hause bleiben. Da gibt es kein Wenn und Aber. Das müssen auch die Kitabetreuer und Grundschullehrer wissen. Das Zweite ist, dass wir mehrere Grundschulen und Kitas nehmen müssen und die als Kanarien- vögel quasi kontinuierlich überwachen müs- sen. Da müssen wir gucken, wie es in bestim- mten Brennpunktschulen eben ist. Haben wir dort einen Anstieg von Infektionen? Ja oder nein? Dann müssen die Kinder in so einer Grundschule exemplarisch abgestrichen werden, einmal die Woche. Um zu sehen, ob es dann Infektionsgeschehen gibt oder nicht. Es kann sein, dass es das, aus welchen Grün- den auch immer, immunologisch bei Kindern vielleicht doch so ist, dass das eine Über- raschung ist. Dass sie das Virus zwar ab- kriegen, aber nicht im großen Stil weitergeben. Bei Kindern ist es jetzt so, die scheiden besonders stark dieses Virus auch im Stuhl aus. Das machen Erwachsene auch. Aber bei Kindern ist dieser Effekt bei diesen Viren besonders deutlich. Das heißt nicht, dass der Stuhl super infektiös wäre. Das ist kein wichtiger Infektionsweg. Aber das ist eine Möglichkeit, das nachzuweisen. Wir haben diese tollen Studien in Italien gehabt. Das haben die festgestellt, dass schon im September 2019 im Abwasser von Großstädten in Norditalien zum Beispiel dieses Virus vor- handen war. Genauso kann man das auch mit Schulen machen. Da nimmt man die Abwas- serleitung der Grundschule. Dann nimmt man bundesweit 50 Grundschulen als Kanarienvögel und schaut sich einmal die Woche die Abwas- ser an. Wenn wir da feststellen, da ist massen- weise das Virus im Abwasser, dann wissen wir, da laufen infizierte Kinder rum.

Das kann man machen, also offen lassen aufgrund des sekundären Schadens, der entsteht. Wenn kleine Kinder zu Hause sind, müssen die Eltern sie betreuen. Im Gegensatz zu Älteren. Und auch pädagogisch ist es schlechter bei Kindern. Aber mit dieser strengen Kontrolle, würde ich sagen, lassen wir die Grundschulen und Kitas bis Weihnachten offen. Ich sage es ganz ehrlich, ich habe ein bisschen kalte Füße dabei. Aber ich würde das an der Stelle als Kompromiss sehen.

Camillo Schumann

Sie haben jetzt über die Schulen und Kitas gesprochen. Aber wie wäre sozusagen das Konzept für den Rest der Bevölkerung?

Alexander Kekulé

Sonst ist es so, dass wir bis Weihnachten die Möglichkeit haben müssen, erstens die Maskenpflicht wirklich konsequent am Arbeits- platz und in Situationen, wo wenn mehr als zwei Haushalte zusammen sind oder ab zwei Haushalte in geschlossenen Räumen. Da müssen wir konsequent Masken haben in allen Situationen.

Das Robert Koch-Institut berichtet auch weiterhin von Ausbrüchen am Arbeitsplatz, in häuslichen Situationen, aber eben weiterhin auch in Altersheimen und sogar Kranken- häuser. Da müssen wir einen Ticken, nach- legen, um da konsequent die Fallzahlen runterzufahren. Das andere wird wahrscheinlich nächste Woche beschlossen. Es gibt die Empfehlung, dass man sich im Moment maximal zu zehnt mit Personen aus zwei Haushalten trifft. Es ist leider auch sinnvoll, dass wir diese Gruppen- größe auf fünf Personen runterfahren. Reduktion der Gruppengrößen, die sich treffen können, also eine kleine Verschärfung des Lockdowns an der Stelle. Da muss man immer dazu sagen, die allermeisten, ich schätze 80 Prozent plus, halten sich sowieso schon da dran. Die machen das auch konsequent und würden nicht auf die Idee kommen, sich zu zehn zu treffen. Und die wenigen, die sich nicht daran halten, denen ist es auch egal, wenn die Bundesregierung sagt, ab jetzt gilt fünf Personen statt zehn. Das heißt, es wird einen schwachen Effekt haben, weil man einen Teil der Bevölkerung

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nicht mehr erreicht mit so was. Aber wo wir was tun können, ist immer am Arbeitsplatz. Dass die Boten, die Pakete bringen an Weihnachten, konsequent die Masken aufhaben. Diese Dinge, wo man als Staat was machen kann, dann muss man eingreifen. Und einfach die Ansage: Wir bauen ab sofort die PCR-Kapazitäten aus und wir bauen auch die Antigentest-Möglichkeiten aus, wie es halt geht, was wir halt kriegen. Und dann müssen wir sehen, wie viel wir bis Weihnachten haben. Vielleicht können die meisten Haushalte dann halbwegs normal feiern.

Camillo Schumann

Was heißt dann "halbwegs normal"?

Alexander Kekulé

Halbwegs normal heißt für mich, wenn man vorher eine private Quarantäne gemacht hat, Risikokontakte reduziert hat, dass man dann ab dem Zeitpunkt mit einer reduzierten Personenzahl trotzdem Weihnachten feiern kann. Und wenn man Glück hat, hat man auch noch einen Test vorher.

Ich sag mal ein Beispiel. Ich habe einen 19-jährigen Sohn, der studiert im Ausland. Der ist an einer Universität, wo er eine relativ hohe Infektionsgefahr hat. Da kann man sagen, was man will. Ein 19-Jähriger bzw. jemand an der Uni ist in einer anderen Situation als jemand, der irgendwo im Homeoffice sitzt. Da wird es dann so sein, der kommt eine Woche vor Weihnachten zurück und hat eben keine Kontakte mehr mit seinen Kommilitonen vorher. Wenn man in der Familie sich so in der Weise abspricht, dann kann man das Risiko deutlich reduzieren. Das Problem ist bei den Kindern und das muss man noch mal wiederholen. Jemand unter zwölf, da dürfen wir nicht damit rechnen, dass die symptomatisch werden, wenn sie positiv sind. Ein 20-Jähriger wird schon irgendetwas merken, höchstwahrscheinlich, wenn er Covid kriegt. Wir wissen, einige sind asymptomatisch, aber die meisten haben doch irgendwie Symptome. Und bei Kindern müssen wir damit rechnen, dass die komplett asymptomatisch sind. Wir wissen nicht, wie infektiös kleinere Kinder sind.

[0:45:53]

Camillo Schumann

Also eine Woche vor Weihnachten Privat- Quarantäne. Und dann kann man zumindest am 24. ...

Alexander Kekulé

In einer normalen Besetzung, die unter Umständen reduziert ist. Das muss jeder selber wissen. Zusätzlich würde ich die Antigen-Tests empfehlen, wenn man einen kriegt.

[0:46:11]

Camillo Schumann

Wie aber eine mittel- und langfristige Strategie aussehen könnte, also für die Zeit nach Weihnachten und Silvester, das beschreiben Sie in Ihrem neuen Buch: "Corona-Kompass. Wie wir mit der Pandemie leben und was wir daraus lernen können", so der Titel. Kurz zusammengefasst, der Staat bekommt seine Bereiche, für die er verantwortlich ist und der Bürger auch. Und in diesem Zusammenspiel könnte ein normales Leben wieder möglich sein, ohne dass das öffentliche Leben ständig runter- und hochgefahren werden muss.

Alexander Kekulé

Ich habe mich mal hingesetzt und überlegt, wie kann man von diesem Bremsen und Beschleunigen wegkommen? Immer Lock- down, dann wieder Lockerung und zurück in einen kontinuierlichen Dauerzustand, der Modus Vivendi. Da ist die Idee, im Kern eine Gruppe besonders zu schützen. Es sind die Altenheime und die Menschen, die privat leben und ein besonders hohes Risiko haben, also besonders die Alten. Dann in der nächsten Ebene öffentliche Bereiche zu definieren, die quasi essenziell sind. Essenzielle Lebensbereiche. Dazu zählt natürlich, wenn man zum Einkaufen geht, wenn man zum Arzt geht, wenn man mit öffentlichen Verkehrs- mitteln fährt, in die Kirche und solche Dinge. Da bin ich der Meinung, dass der Staat dafür sorgen muss, dass das sicher ist. Er muss allen Menschen, auch wenn sie sich nicht besonders schützen wollen, die Möglichkeit zur Teilhabe an diesen Dingen geben. Das heißt, da muss es Regeln dafür geben.

Und dann habe ich auch einen großen äußeren Bereich, wo ich der Meinung bin, da müssen

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sich die Bürger selber kümmern. Da bin ich sehr dafür, die Verantwortung dem Bürger zurückzugeben. Ab einer Grenze, die nicht mehr gefährlich ist für Superspreading- Ereignisse, wo sich relativ wenige Leute treffen, vielleicht sogar im Freien. Das soll sich der Staat mit Maßnahmen möglichst zurück- halten. Sodass man auch sieht, diejenigen, die vielleicht jünger sind und nicht besonders viel Angst vor Covid-19 haben, die werden nicht genötigt, sich über alle Maßen zu schützen.

Camillo Schumann

Wie könnte so ein normaler Alltag für den normalen Bürger in Selbstverantwortung aussehen?

Alexander Kekulé

Die Regelung wäre dann so, dass immer dann wenn es diese essenziellen Bereiche sind, muss man eine Maske tragen. Das ist die schlechte Nachricht für die Masken-Gegner. Es wäre so, dass wir immer, wenn wir in öffentlichen Bereichen sind, also Verkehrsmittel, Behörden, Kirche oder so, da ist Maskenpflicht. Das sind die wichtigsten Ausbrüche, wo man sich nicht dagegen wehren kann. Es wäre so, dass alle Veranstaltungen, die mehr als 20 Personen haben ... Ich habe 20 einfach mal so geschätzt, epidemiologisch gerechnet. Das ist eine vernünftige Zahl, kann man aber rauf oder runter setzen. Aber ab einer Schwelle von ungefähr 20 Personen wäre es so, dass folgendes gilt: Wenn man solche Veran- staltungen macht, muss der Veranstalter die Personen erstens registrieren. Also auf einen Zettel schreiben, wen er da eingeladen hat, am liebsten mit einer kleinen App, wenn es so etwas gäbe. Zweitens muss er sich ent- scheiden, ob er die Leute unmittelbar vorher testet oder PCR-Tests verlangt oder Schnell- tests macht. Oder wenn er nicht testet oder nicht testen kann, muss er Masken verordnen den Leuten. Dann muss man bei der Veranstaltung Masken haben. In den meisten Fällen wird natürlich ein Antigen-Test das bessere Mittel sein. Das heißt ganz praktisch: Wenn ich ins Restaurant gehe und in einem Raum mehr als 20 Personen sitzen, dann muss ich einen Antigen-Test haben. Weil die Maske kann ich nicht aufsetzen. Und es wird registriert, dass ich da bin. Wenn der

Restaurantbesitzer sagt, da mache ich nur 19 pro Saal und mache sozusagen die Gruppen- größe kleiner. Vielleicht auch, weil ich eine kleine Gaststätte habe. Dann fällt er in diesem Konzept komplett aus dem Radar raus. Dann kann er das machen, wie er will.

Und weil ich sage, wir konzentrieren uns bei den staatlichen Eingriffen, wo der Staat zu einer Art Wächteramt hat, eben auf den Bereich, wo Superspreading infrage kommt. Also diese Ansteckung ganz vieler Personen auf einmal. Das ist bei unter 20 Personen, vor allem, wenn es vielleicht nicht im geschlossenen Raum ist, keine Gefahr. Da können Sie einen anstecken oder zwei. Aber da verursachen Sie kein Superspreading.

Camillo Schumann

Setzt aber eine gewisses Maß an Neuinfek- tionen auch voraus. In der jetzigen Situation schwierig.

Alexander Kekulé

Ich habe das mal gerechnet mit täglichen Neuinfektionen unter 10.000. Jetzt, wo wir deutlich darüber sind, müssten wir erst mal reinbremsen in dem Bereich, Deshalb ist das ganz bewusst zum Beispiel ab Januar eine Möglichkeit. Dafür müsste auch die Strategie der Bundesregierung mal ganz offen gesagt werden. Dass die sagen: "Wir wollen die Schnelltests für jedermann und wir wollen die PCR-Kapazitäten hochfahren." Das müsste erst mal gesagt werden. Dann dauert es auch ein bisschen, bis das umgesetzt ist. Ich glaube, das Wichtige daran ist, dass wir bei der Strategie, die ich da vorschlage, zurückgehen auf so eine persönliche Resilienz. Die Menschen sind als Schwarm quasi selber intelligent sind und entscheiden selber nach ihrem eigenen Risiko, was sie machen. Jemand, der ein besonderes Risiko hat, weil er alt ist oder weil er vielleicht stark übergewichtig ist und sagt, ich will mich jetzt besonders schützen. Da ist die Sterblichkeit ja hoch bei Covid-19. Der wird sich FFP2-Masken zulegen und auf diesem Weg sich besonders schützen. Das Gleiche gilt natürlich für Altersheime. Jemand, der jünger ist, wird dazu nicht genötigt. Wenn jemand aber sagt: "Ich habe ein Risiko und habe trotzdem absolut keine Lust, eine FFP2-Maske aufzusetzen, das ist mir zu unbequem. Ich will

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mit einem normalen Mund-Nasen-Schutz einkaufen gehen." Dann muss der Staat diese Leute auch teilhaben lassen und dort schützen. Deshalb ist die Idee, dass man die Bereiche, wo jeder hin muss, und wo man es auch als Staat ermöglichen muss, diese essenziellen Bereiche, da gibt es klare Vorschriften, sofern es im Innenbereich ist. Bei den anderen Bereichen gibt es dann sicherlich so eine marktwirtschaft- liche Steuerung nach einer Weile. Wenn Sie jetzt eine Gaststätte haben ... Sagt einer wirklich: "Wir haben nur 19 Leute und wir machen alles ohne Kontrolle." Dann werden bestimmte Leute da nicht mehr hingehen. Ganz klar. Das wird so ähnlich sein wie eine Raucherkneipe. Da geht auch nicht jeder hin. Da werden die sagen: "Nö, da gibt es keine Kontrolle, da gibt es keine Testpflicht. Da gehe ich nicht hin." Ähnlich vielleicht auch bei Fitnessstudios. So wird sich das herausmendeln, dass die die Bereiche, wo der Bürger selbst entscheidet, wahrscheinlich so laufen werden, dass es Qualitätskriterium sein wird, wenn man guten Infektionsschutz hat. Und die Bereiche, wo es 20+ ist, da schreibt der Staat das dann richtig vor.

Camillo Schumann

Und wie sieht es mit der Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten aus? Spielt das eine Rolle in Ihrer Strategie?

Alexander Kekulé

Ja, das ist ganz entscheidend. Wir müssen die Möglichkeit haben, viel schneller zu sein, als es bisher ist. Sie ahnen es, das ist das Smart- Konzept in neuer Version. Da ist die schnelle Reaktionszeit der Nachverfolgung ganz wichtig. Die funktioniert jetzt auf der Basis, dass wenn sich 20+ treffen ... Der Veranstalter macht eine Liste oder nimmt so eine App, wie man die auch benutzt, um sich in Kneipen anzumelden. Da gibt es auch schon Registrierungspflicht und eine ganz simple App, wo man auf einen Knopf drückt, dann ist registriert, dass man da in der Gaststätte war. So was kann man natürlich auch privat nutzen. Und dadurch, dass es diese Liste gibt, würden dann die Teilnehmer, wenn sie hinterher positiv sind, die Gruppe warnen, in der sie waren vorher. Der große Vorteil ist, dass das letztlich eine private Warnung ist. Ja, ich war auf einer Hochzeit, da kenne ich doch

das Brautpaar und die Leute dort. Natürlich will ich die warnen. Ich war jetzt irgendwo als junger Mensch, vielleicht im Fitnessstudio. Da kenne ich auch die anderen, die sich da fit machen. Und natürlich habe ich Interesse daran, meine Freunde oder die anderen, die in einem Fitnessclub sind, zu warnen. Das Gleiche gilt für Sportvereine. Selbstverständlich wäre das gleiche Prinzip auch für Vorlesungen und so. Wo der Lehrer oder der Professor quasi zuständig wäre für diese Listen. Aber die Warnung funktioniert da auf der privaten Ebene, wenn Sie so wollen. Das heißt, es ist eine Warnung an Leute, die ich irgendwie indirekt kenne. Dadurch geht es viel schneller. Und ich glaube, das hat eine viel höhere Compliance. Da werden viel mehr Leute mitmachen, weil man zu diesen Leuten einen Bezug hat und das nicht so was Anonymes ist, als wenn das Gesundheitsamt anruft und irgendwelche Fragen stellen.

[0:54:56]

Camillo Schumann

Also eine Strategie mit einer hohen Eigenverantwortung. Und wenn Sie, liebe Hörer dieses Podcasts, Ihre persönliche Corona-Strategie entwickeln und dazu im neuen Buch von Professor Kekulé nachlesen wollen, dann schreiben Sie uns einfach. Fünf Exemplare gibt es für die Hörer dieses Podcasts. Schicken Sie uns einfach eine Mail mit dem Betreff "Buch" und Ihre Adresse an: mdraktuell-podcast@mdr.de

Die fünf schnellsten Hörer bekommen ein Exemplar. Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Herr M. aus Frankenberg hat angerufen:

"Bei einer normalen Grippe, Influenza sterben jährlich bis zu 25.000 Menschen. Obwohl es da eine fast kostenlose Vierfach-Impfung gibt. Also ohne diesen Impfstoff wie bei Corona, würden weit über 30.000 Menschen bei der normalen Grippe sterben. Warum gibt es da nicht diese Panikmache und Hysterie wie bei Corona?"

Alexander Kekulé

Das ist eine der Gretchenfragen der ganzen Pandemie gewesen. Genau die Position hatte der Leiter des Robert Koch-Instituts am Anfang. Er hat gesagt: "Die normale Grippe ist

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schlimmer." Das Problem ist, man muss das im Verhältnis sehen. An der normalen Influenza infizieren sich sehr, sehr, sehr viele Menschen. Damals, als es diese über 25.000 Todesfälle gab, gab es nach meiner Erinnerung über 10 Millionen Infektionen. Im Verhältnis zur Zahl der Infektionen ist es so, dass die Grippe mindestens um den Faktor zehn weniger tödlich ist. Vor allem bei den älteren Menschen, es geht um die älteren Alters- gruppen. Sodass wir definitiv sagen müssen, und das ist weltweit die Diskussion gewesen, dieses Covid-19 ist, wenn man das einfach laufen lässt, eine sehr, sehr tödliche Erkrankung. Wesentlich tödlicher als die normale Grippe.

[0:56:55]

Camillo Schumann

Herr H. hat geschrieben:

"Die Bundesregierung diskutiert über neue Restriktionen, unter anderem im privaten Bereich. Tagtäglich nehme ich wahr, wie Menschen mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Arbeit pendeln, Ingenieure auf Dienstreisen sind, Angestellte in vollen Büros sitzen oder Beamte in vollen Zügen durch die Republik fahren. Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft eben. Deshalb meine Frage: Da wir 75 Prozent unserer Infektionen nicht nachverfolgen kön- nen, wäre es nicht denkbar, dass die Wirtschaft maßgeblich zum Infektionsgeschehen beiträgt? Und ist es nicht viel wirkungsvoller, die Unter- nehmen mehr in die Pflicht zu nehmen? Viele Grüße."

Alexander Kekulé

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Unternehmen muss man in die Pflicht nehmen. Da ist noch ein weißer Fleck auf der Landkarte. Terra Incognita sozusagen. Weil wir nicht genau wissen, wie das in den verschiedenen Betrieben gehandhabt wird. Es gibt Betriebe, die ganz, ganz streng sind und wo Sie, wenn Sie reinkommen, sich die Hände desinfizieren. Dann müssen Sie Masken aufsetzen. Dann sind die Mitarbeiter kohortiert, dass man weiß, wenn man Ausbruch ist, wer mit wem Kontakt hatte. Da wird die Kantine im Schichtbetrieb belegt und Ähnliches. Da haben sich viele

Betriebe im öffentlichen Bereich und auch im privaten Bereich extrem viele Gedanken gemacht, auch viel Geld ausgegeben. Da glaube ich, geht es auch sicher zu. Und dann gibt es eben andere. Da sehen Sie drei Handwerker nebeneinander in irgendeinem Bus fahren oder irgendwelche Maler, die zu fünft im Raum stehen und die Wände streichen. Das habe ich kürzlich mal gesehen. Da hat natürlich keiner einen Mundschutz auf. Ich bin mir ganz sicher, dass sie nicht alle im gleichen Haushalt wohnen. Das heißt also, da könnte man in vielen Bereichen noch einiges nachschärfen. Ich glaube, da ist es vom Verordnungsgeber auch noch Luft drin, dass man das nachzieht. Im beruflichen Umfeld, wo der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, das zu kontrollieren, das ist eigentlich eine komfortable Situation, dass man dort sich wenigstens an die Regeln hält.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 122. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen- Spezial. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann. Tschüss.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 300 22 00. "Kekulés Corona-Kompass" als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell - Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 17.11.2020 #121: Weihnachtsferien eine Woche vorziehen

Camillo Schumann, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Dienstag, 17. November 2020. Ja, es bleibt erst einmal alles, wie es ist. Der Corona-Gipfel im Kanzleramt ohne Ergebnisse, dafür nur mit Empfehlungen. Entscheidung soll es erst nächste Woche geben.

Aber haben wir die Zeit? Wie könnte eine langfristige Lösung für die Schulen aussehen?

Dann: Was Standortdaten von Handys über die Akzeptanz der Maßnahmen und die Ausbreitung des Virus verraten.

Kurz nach der deutschen Firma Biontech hat das US-Unternehmen Moderna offenbar einen hochwirksamen Impfstoff entwickelt. Welcher ist besser?

Und: Wären Massentests wie in der Slowakei in Deutschland eine geeignete Maßnahme?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann, willkommen zurück.

Camillo Schumann

Wir werfen einen Blick auf die aktuellen Zahlen. Stand heute 14.419 Neuinfektionen laut RKI. Zum Vergleich: Vor einer Woche am Dienstag waren es 15.332. Die 7-Tage-Inzidenz so um die 140. Aber wir wollen uns ja wieder bei 50 nähern. Herr Kekulé, zwei Wochen Lockdown light sind rum und ja, so kaum spürbare Veränderungen. Sie hatten vermutet, dass die Maßnahmen recht schnell zu sinkenden Zahlen führen werden. Tun sie aber offenbar nicht. Oder?

Alexander Kekulé

Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis der Maßnahmen. Ich hatte vermutet, dass der Effekt schnell zu sehen ist. Und das meine ich, ist jetzt das, was es ist. Mehr werden wir nicht herausquetschen können. Das ist manchmal ein Missverständnis. Man denkt, je länger man die gleichen Maßnahmen durchhält, desto stärker wird der Effekt. Davon ist eigentlich epidemiologisch kaum auszugehen. Da gibt es sicherlich irgendwelche Nachzügler. Aber letztlich ergreift man Maßnahmen. Die reduzieren die Infektionsquote, wenn man so will, pro Tag, pro Stunde, pro Woche. Mit dieser Reduktion hat man ein anderes Bild, etwa 14 Tage später. Und das ist das Bild, was wir jetzt haben mit diesen Maßnahmen. Das wird sich jetzt vielleicht noch geringfügig nach unten bewegen. Aber nicht groß verändern, wenn wir weiter nichts tun.

[0:02:32]

Camillo Schumann

Also 1000, 2000 weniger pro Woche im Vergleich zum Tag der Vorwoche ist dann okay?

Alexander Kekulé

Nein, das ist einfach der Effekt, der eingetreten ist. Wahrscheinlich wird es noch ein bisschen mehr werden, die nächsten Tage. Aber wie leider schon vermutet, ist dieser Lockdown light nicht besonders effektiv. Im Vergleich zu dem, was im Frühjahr passiert ist, kann man das jetzt nicht als Lockdown bezeichnen. Es ist

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ein zartes Treten auf die Bremse gewesen. Und das Ergebnis sieht man jetzt.

[0:03:04]

Camillo Schumann

Gestern Abend hat sich die Kanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Minister- präsidenten der Länder getroffen. Per Videokonferenz. Ziel war, so eine Bilanz der ersten zwei Wochen zu ziehen. Wegen der kaum sinkenden Infektionszahlen hatte das Kanzleramt weitere und auch wesentlich striktere Maßnahmen vorgelegt. Die Länder waren vehement dagegen. Es gab Streit, so war zu hören. Und so hörte sich das nach dem Treffen an:

Angela Merkel

"Darüber gab es durchaus auch ein bisschen unterschiedliche Vorstellungen. Ich hätte mir auch vorstellen können, dass wir im Bereich der Kontakte heute schon Beschlüsse gefasst hätten, die dann auch rechtlich umgesetzt werden."

Manuela Schwesig

"Ich bin gegen eine Salamitaktik, sondern für ein Gesamtkonzept, das den Bürgerinnen und Bürgern, auch der Wirtschaft eine Perspektive für Dezember und Januar gibt."

[0:03:50]

Camillo Schumann

Die Kanzlerin hätte gern die Daumenschrauben jetzt schon angezogen. Die Länder in Form von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig wollen noch eine Woche warten und erst am 25. November einen Plan für Dezember und Januar besprechen. Bis dahin vergehen dann wieder fast zehn Tage. Wie bewerten Sie das aus epidemiologischer Sicht? Noch mal zehn Tage, um den Menschen dann die bittere Pille zu verabreichen? Haben wir diese Zeit?

Alexander Kekulé

Die Epidemie verläuft eben exponentiell. Das ist ein altes Thema. Ich nehme an, dass die Bundeskanzlerin des vor Augen hat. Aus virologischer Sicht kann man nur ganz trocken sagen, das Virus wartet nicht auf die Politik. Das macht einfach weiter. Und das ist hier eine

politische Entscheidung gewesen. Ich habe von außen den Eindruck, dass im Moment die Politik das macht, was ja Wissenschaftler immer gefordert haben im Frühjahr. Dass wir gesagt haben: "Letztlich müsst ihr die Entscheidungen treffen. Wir können nur die Daten liefern."

Jetzt ist das Pendel so ein bisschen in die andere Richtung ausgeschlagen. Offensichtlich hält sich die Wissenschaft doch deutlich zurück bei konkreten Empfehlungen, auch bei der Interpretation der Daten. Und jetzt, wenn man einen Abend Nachrichten hört oder fernsieht, kriegt man zehn verschiedene Interpretationen der gleichen Daten durch verschiedene Politiker. Je nachdem, wie es ihnen am besten in den Kram passt. Das tut natürlich einem Naturwissenschaftler irgendwo weh. Und ich vermisse die Rolle des Robert Koch-Instituts. Das hätte genau die Aufgabe, die Pandemie zu erklären. Zu erklären, was jetzt los ist. Die Fragen zu beantworten, die wir uns hier letztlich stellen. Und damit dann eine relativ klare Ansage, zumindest von einer Faktenlage, an die Politik zu machen.

[0:05:33]

Camillo Schumann

Diese zwei Wochen, da wollte man Bilanz ziehen. Die Möglichkeiten: verschärfen, lockern oder gar nichts machen. Man hat sich jetzt für gar nichts machen entschieden. Wofür hätten Sie sich entschieden?

Alexander Kekulé

Auf jeden Fall für verschärfen. Das muss ich so sagen. Ich hoffe, ich werde nicht gesteinigt dafür. Aber wir müssen erstens sehen: Eine Woche Unterschied macht enorm viel.

Wenn wir im Frühjahr eine Woche früher den Lockdown gemacht hätten, hätte das weltweit wahrscheinlich Zehntausende von Toten verhindern können. So sind die Dimensionen. Und jetzt ist eine Woche auf jeden Fall einige Zehntausend Infektionen mehr oder weniger. Das andere ist, dass die Stimmungslage auch nicht besser wird in der Woche. Sondern wir haben weiterhin das Problem, dass wir nicht genau wissen, was wir mit den Schulen machen sollen. Wir haben weiterhin die Situation, dass die Gaststätten geschlossen sind. Obwohl es zumindest bei einem Teil der

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Gaststätten keine klare Evidenz dafür gibt. Und dann kommt ja ... Fast hätte ich gesagt, dann droht noch Weihnachten und Neujahr. Da haben wir auch kein Konzept.

Wenn ich mich wiederhole, muss ich mich entschuldigen. Aber wir brauchen ein kontinuierliches Konzept der Politik, was so eine Art Steady State, also etwas Dauerhaftes mit bewirkt, quasi eine Art Modus Vivendi, mit dem Virus. Und nicht auf und ab, und mal bremsen und dann wieder locker lassen, wie es politisch opportun ist.

[0:06:58]

Camillo Schumann

Da wären wir vertiefend auch noch darauf eingehen. In diesem und auch im kommenden Podcast. Es gab ja keine rechtsverbindlichen Beschlüsse, wie es die Kanzlerin gern gehabt hätte. Es gab Appelle, wie sich die Menschen ab sofort verhalten sollen.

Angela Merkel

"Auf private Feiern ist gänzlich zu verzichten. Private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten sollen auf einen festen, also immer den gleichen, weiteren Hausstand beschränkt werden. Und das schließt auch Kinder und Jugendliche in den Familien ein."

[0:07:29]

Camillo Schumann

Wie gesagt, das ist ein Appell, nicht rechtsverbindlich. Aber was meinen Sie? Nähert man sich mit diesem Appell nicht auch so langsam der Wurzel des Übels? Also diesen privaten Zusammenkünften in privaten Feiern?

Alexander Kekulé

Ja, sicher, der Appell geht in die richtige Richtung. Ich nehme an, dass die Bundeskanzlerin das eher in Gesetz gießen wollte, und es eben dann als Appell losgeworden ist. Daran können die Ministerpräsidenten sie nicht hindern. Das mit den privaten Feiern und einem weiteren Haushalt ist ein Modell aus Kanada. Das heißt dort Double Bubble, Doppel-Blase. Auf der Atlantikseite Kanadas hat man sich für dieses Modell entschieden. Das funktioniert dort eigentlich ganz gut, zumindest in ländlichen

Regionen. Trotzdem ist es so, dass es enorme Probleme macht. Das haben die dort schon länger. Stellen Sie sich eine Familie vor mit zwei Kindern. Die sind dann typischerweise in unterschiedlichen Schulklassen, wenn es nicht Zwillinge sind. Die haben unterschiedliche Freunde. Jetzt ist die Frage, wessen Kindes Freundeskreis könnte jetzt in die Double Bubble rein? Oder eher die Freunde von Papa oder die von der Mama? Und so weiter.

Das ist echt schwierig, einen weiteren Haushalt für alle zusammen auszuwählen und deshalb eine sehr theoretische Idee. Rein epidemiologisch nimmt man jemand anders quasi in seine Risikogemeinschaft mit auf. Man sagt okay, wir teilen uns jetzt das Risiko. Wenn einer von uns was falsch macht, dann schlägt es unter Umständen auf alle durch. Ich glaube, das ist theoretisch und praktisch nicht so richtig umsetzbar bei uns.

[0:09:08]

Camillo Schumann

Hat wahrscheinlich auch den Charakter, dass sich jeder jetzt ein bisschen am Riemen reißen soll und dreimal überlegen, mit wem man sich trifft oder nicht. Sozusagen an das Gewissen der Menschen wird da ein bisschen appelliert?

Alexander Kekulé

Die Treffen sind eins. Und ich glaube, die Politik hat noch viele andere Dinge, die sie im Grunde genommen ... Wenn man das ein bisschen systematisch aufdröselt, die Politik müsste kurzfristig und langfristig was tun. Kurzfristig bin ich der Meinung, dass man in Sachen Schulen was tun müsste. Aber auf jeden Fall hätte man bei der Maskenpflicht noch einmal ganz konkret ein paar Hinweise geben können. Wenn man heutzutage in verschiedenen Städten Deutschlands Taxi fährt, dann hat mal der Taxifahrer eine Maske auf, mal nicht. Mal muss der Gast eine aufhaben, mal nicht. Wenn Sie in Geschäften sind, beim Einkaufen, haben manchmal alle Verkäufer Masken auf dem Gesicht haben. Und in anderen Geschäften ist es so, dass die hinter einer Plexiglasscheibe stehen und sich da offensichtlich sicher fühlen. Obwohl der Raum klein genug ist, um Aerosole zu generieren. Ich glaube, da gibt es noch ganz viel, was man

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machen kann. Bis hin zu der Frage, was ist eigentlich mit diesen Zustellern, die diese Unmengen von Päckchen bringen? Vor Weih- nachten werden es wohl noch mehr sein. Die laufen erfahrungsgemäß ohne Maske in den Hausgängen rum. Wenn einer mal infiziert wäre, sind das prädestinierte Superspreader. Da hätte man ganz viel machen können, wo ich glaube, dass die Ministerpräsidenten eigentlich keine Bauchschmerzen dabei gehabt hätten. Um so ein bisschen zumindest nachzuschärfen.

[0:10:32]

Camillo Schumann

Keine Bauchschmerzen haben die Minister- präsidenten auch, wenn der Bund das Portemonnaie aufmacht und das will er aufmachen. Der Bund will nämlich das besonders gefährdete Menschen wie Alte, Kranke oder Personen mit Vorerkrankungen von Dezember an vergünstigte FFP2-Masken erhalten. Der Bund will auf seine Kosten für diese Bevölkerungsgruppe die Abgabe von je 15 dieser Masken gegen eine geringe Eigen- beteiligung ermöglichen. Das ergebe dann rechnerisch eine Maske pro Winterwoche. Das hört sich doch eigentlich ganz gut an. Oder?

Alexander Kekulé

Kommt mir sogar bekannt vor. Ich weiß nicht genau, wo ich das schon mal gehört habe. Das ist auf jeden Fall eine gute Idee. Es ist ganz dringend notwendig, den Risikogruppen in dieser jetzigen Situation die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu schützen. Letztlich muss man es ganz brutal sagen: Der Staat hat beim Schutz der Bevölkerung nicht optimal agiert. Jetzt zum zweiten Mal. Das war im Frühjahr schon mal so. Jetzt ist es leider zum zweiten Mal so. Und deshalb muss sich jeder selber helfen. Dass der Staat dann zumindest denen, die privat wohnen und Risikopersonen sind, diese Möglichkeit an die Hand gibt, sich über FFP2-Masken endlich zu schützen, das ist sinnvoll.

Noch besser wäre es, wenn man gesagt hätte: "Und wir werden den zweiten Kekulé- Vorschlag auch umsetzen. Nämlich Antigentests in den Apotheken ab sofort für einen Euro abgeben." Dann hätten wir sozusagen zumindest der Bevölkerung das Instrumentarium an die Hand gegeben, sich

selbst zu schützen. Es sind noch viele To-dos. Über den Schutz der Altenheime, Menschen in Altenheimen, die das nicht selber bestimmen können, möchte ich jetzt nicht sprechen. Aber auch das Thema Ausbau der PCR-Kapazitäten. Wir überlassen das den Laboren auf wirtschaft- licher Basis zu entscheiden, wie viel Per-sonal sie einstellen. Und für wie viele Monate sie Reagenzien vorhalten für PCR-Tests. Das ist im Grunde genommen der limitierende Faktor, den wir haben bei diesen Labortestungen. Natürlich haben alle Labore in Krankenhäusern und auch privat wirtschaftliche Zwänge. Aber da hätte eine dirigistische Einstellung des Staates, verbunden mit finanziellen Hilfen einiges bewirken können, dass man die Kapazitäten hochgefahren hätte.

[0:12:53]

Camillo Schumann

Weil das Stichwort Antigen-Schnelltests fiel: Es gibt ja die veränderte Teststrategie, im Okt- ober beschlossen, dass diese Antigen- Schnelltests jetzt auch verstärkt vor allem in den Pflege- und Altenheimen eingesetzt werden. Beziehungsweise da gibt es jetzt so ein gewisses Umdenken. Zum einen die Masken und zum anderen die Antigen- Schnelltests. Was lange währt, wird gut. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, aber die Frage ist, ob es rechtzeitig war. Wir haben eben diese Zeitachse. Es nützt nichts, wenn sich ein Minister hinstellt und sagt: "Ich habe es mir jetzt anders überlegt und habe meine Meinung 180 Grad geändert bezüglich der Antigen-Schnelltests. Jetzt sind sie gut, und jetzt will ich sie in Altenheimen einsetzen, solange dort noch keine Konzepte dafür bestehen."

Man muss auch sagen, im Altenheim, ja, für die Besucher ist das eine tolle Sache. Aber es ist so: Ein Antigen-Schnelltest hat den Vorteil, dass man ihn sehr schnell und selbst machen könnte. Rein theoretisch. Dazu müsste er abgegeben werden in der Apotheke. Aber er hat natürlich den Nachteil, dass er manchmal falsch negativ ist. Also dass er manche Personen, die im Prinzip das Virus in sich tragen, übersieht. Das ist in der Epidemiologie nicht so schlimm, weil ich bin dann trotzdem höchstwahrscheinlich an dem Tag nicht ansteckend. Da gibt es diverse Studien schon drüber. Eine ist kürzlich von Christian Drosten in Berlin gemacht worden. Die zeigen, wenn diese Schnelltests negativ sind, und jemand aber trotzdem positiv ist, was ja ein klassischer Fehler ist, der dort stattfindet. Dann heißt das, dass er wahrscheinlich in den allermeisten Fällen nicht infektiös zu dem Zeitpunkt ist. Das ist also ausreichend für die Frage, die wir haben: Sind wir gerade sicher oder nicht, wenn wir die Oma besuchen oder ins Altersheim gehen als Besucher?

Es kann aber bei dieser Viruskonzentration im Rachen so sein, dass die innerhalb von zwölf Stunden, 24 Stunden plötzlich über die Positivschwelle hinwegschießt. Wenn so ein Virus anfängt sich zu replizieren, dann geht das ruckzuck, dass auch hohe Konzentrationen entstehen. Das heißt, wenn jemand nach dem Antigen-Schnelltest zwei Tage wartet, kann er eigentlich ohne weiteres plötzlich positiv sein. Auch wenn er vorher negativ war. Sodass ich ein bisschen skeptisch bin, das Personal damit zu überprüfen. Das können Sie machen, wenn Sie als Besucher machen, am gleichen Tag oder am Abend vorher. Aber als Personal, das einmal oder zweimal die Woche. Da würde ich mir eher, wenn es von der Kapazität her irgendwie reicht, die PCR wünschen.

Man muss auch sagen, wenn der Groschen spät gefallen ist, besser spät als gar nicht. Dann ist jetzt die Chance für die Politik, diese Erkenntnis auch ratzfatz umzusetzen und zu sagen: "Jawohl, wir haben verstanden, dass der sinnvoll und wichtig ist." In Frankreich gibt es die Antigen-Schnelltests in den Apotheken für jedermann. Da kann man sich auf den Weg zur Arbeit mal schnell testen lassen. Also wollen wir doch dem französischen Nachbarn jetzt nicht nachstehen in Effizienz der Entscheidungsstrukturen. Und jetzt machen wir das hier auch. Nachdem man es verstanden hat, könnte man es jetzt auf den Weg bringen und zeigen, dass die Politik bei uns, wenn sie etwas verstanden hat, auch schnell ist.

[0:16:04]

Camillo Schumann

Genau. Noch einmal kurz auf den Punkt der einschränkenden Kontakte. Zur Senkung der Gefahr sollen Kinder und Jugendliche auch

angehalten werden, sich nur noch mit einem festen Freund in der Freizeit zu treffen. Die Bubble. Wie sinnvoll ist das eigentlich, wenn man sich in der Schule sowieso mit viel, viel mehr Freunden trifft? Das schließlich sich doch dann völlig aus?

Alexander Kekulé

Das mit der Schule ist einfach heikel. Ich unterscheide da inzwischen nach Grundschule, Kita auf der einen Seite. Und der Sekundarstufe. Ich gehe davon aus, dass wir in allen Stufen im Prinzip vom Alter her gleiche Empfänglichkeit für das Virus haben. In einen Fall sieht man es nicht. Im anderen Fall sieht man es unter Umständen, dass es zu einer Infektion gekommen ist. Es ist aber möglich, dass jüngere Kinder, ob- wohl sie genauso im Prinzip empfänglich sind, mit diesem Virus sehr, sehr schnell fertig werden. Das heißt, sie haben vielleicht eine Teilimmunität dadurch, dass sie ständig andere Coronavirus-Infektionen haben in dem Alter. Vielleicht auch andere Virusinfektionen. Da- durch ist das Immunsystem so ein bisschen vorstimuliert. Oder man hat eine Situation, dass bei Kindern auch diese sogenannte angeborene Immunantwort, eine höhere Grundaktivität hat. Vielleicht ist das der Grund. Wir wissen nicht, warum. Am Verhalten liegt sicher nicht bei den ganz Kleinen. Aber aus irgendwelchen Gründen beobachten wir keine gehäuften Infektionen in diesem geringen Alter. Deshalb wäre ich dafür, zu sagen, bei Grundschülern schauen wir uns das sehr, sehr streng an, mit einem ganz genauen Blick darauf. Auch wissenschaftlich begleitet. Wir schauen, was passiert und lassen das jetzt aber mal so laufen, wie es ist.. Dann haben wir die Sekundarstufe, also die etwas Älteren. Ich sage mal ab zehn, zwölf Jahre. Da ist es völlig klar, dass die genauso ansteckend sind wie Er- wachsene und vor allem ein echter Motor der Infektionen sind. Das haben wir im Ausland in diversen Studien gezeigt. Und auch in Deut- schland gab es zum Beispiel an Gymnasien richtige Ausbrüche. Da gibt es zwei ver- schiedene Situationen. Das eine ist: in der Schule zusammensitzen. Da glaube ich, dass je nachdem, wie die Schüler so drauf sind und wie gut die Lehrer das vermitteln können, dass man schon in einer Klasse zusammensitzen

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kann, relativ nah zusammen. Wenn alle Mundschutz auf haben, die meisten Infekt- ionen verhindert werden. Im Einzelfall wird mal der Nachbar was abkriegen, aber es wird kein Superspreading-Ereignis zustande kommen. Mein Problem bei diesen Sekundarschülern ist eher: Was machen die, wenn die Schule zu Ende ist? Die werden nicht mehr von den Eltern gebracht in dem Alter. Dann haben die natürlich ein Sozialleben nach der Schule. Vor der Schule wahrscheinlich nicht, wenn es so früh anfängt. Aber nach der Schule haben die auch ein Sozialleben. Die Studie in den USA, die Ausbrüche in USA haben das sehr deutlich dort gezeigt, dass dieses soziale Leben am Rande der Schule das Hauptproblem ist, wo es zu den Über- tragungen kommt. Das ist für mich ehrlich gesagt ein Argument, die Sekundarstufen zumindest erst mal zu halbieren, wie es vorgeschlagen wurde. Die Hälfte in den Heimunterricht und dann unter Umständen auch frühzeitig vor Weihnachten zuzumachen. Also wirklich diese Sekundarstufen zu schließen, um Weihnachten zu schützen.

[0:19:25]

Camillo Schumann

Aber die Kultusminister und Kultusministerinnen der Länder wollen unbedingt am Präsenzunterricht festhalten. Also geteilte Lerngruppen, wie Sie es eben beschrieben haben, die eine Gruppe in der Schule, die andere daheim am iPad, die soll es nicht geben. Hier die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Yvonne Gebauer:

Yvonne Gebauer

"Noch nie waren sich alle Kultusministerinnen und Kultusminister so einig, dass kein flächen- deckendes Wechselmodell eingeführt werden darf."

Camillo Schumann

Und NRW-Familienminister Joachim Stamp hat im "heute-journal" mit Claus Kleber das folgendermaßen begründet:

Joachim Stamp

"Wir haben in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit, wenn alle anderen Möglichkeiten nicht funktionieren, dass eine einzelne Schule

solche Entscheidung in Absprache mit dem Schulträger dann auch treffen kann. Aber das kann eben nicht flächendeckend sein. Es geht uns um die Bildungschancen derjenigen, die dann nicht zu Hause die Unterstützung haben, wenn sie da alleine vor dem Gerät sitzen. Dann kommen gerade diejenigen, die vielleicht nicht aus bildungsbürgerlichen Familien kommen, die vielleicht nicht aus der Familie Kleber oder der Familie Stamp sind, die, wo die Eltern vielleicht durch die Berufstätigkeit nicht unterstützen können. Die kommen dann unter die Räder."

[0:20:40]

Camillo Schumann

Auch ein gutes Argument. Die Klassenteilung wird aus politischer Sicht vermutlich so gar nicht kommen. Obwohl sie vielleicht sinnvoll wäre.

Alexander Kekulé

Beide betonen das "flächendeckend". An einigen Schulen ist es leichter möglich, sowohl von einer digitalen elektronischen Ausstattung her als auch vom elterlichen Umfeld. Und in anderen Schulen, die eher an Brennpunkten sind, kann es diese verheerenden Folgen haben, die der Herr Stamp gerade geschildert hat. Es gibt inzwischen viele Studien, die zeigen, dass selbst wenn man nur einige Wochen die Kinder aus der Schule nimmt, man einen Rückfall in verschiedenen Bereichen bis hin zur sozialen Dingen bekommt. Bei Jüngeren ist der Effekt deutlich, aber auch bei Älteren. Also Schule ist ganz wichtig für die Kinder. Aber es wäre natürlich in einem Staat eine offene Tür, die man da lassen würde, wenn man die Schulen einfach weiterlaufen lässt um jeden Preis. Und trotzdem wissend, dass dort Infektionen stattfinden. Das heißt, man kann die Schulen nur dann weiterlaufen lassen, wenn man ein Konzept hat. Es gibt durchaus Möglichkeiten, Infektionen zu verhindern. Mein Lieblingsthema dazu ist, die Schüler regelmäßig zu testen und Masken zu haben. Dann wäre man einen deutlichen Schritt weiter. Die zweite Variante, die man hat, ist, dass man sagt, die Kinder dürfen in die Schule. Aber man muss dann verhindern, dass die außerschulische Kontakte mit ihren Klassenkameraden haben. Ich weiß, dass ist gar nicht so einfach bei einem 16-Jährigen. Wenn

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man so was hinkriegt, dann ist es im Grunde genommen auch eine Art von Quarantäne. Wir haben ähnliche Sonderlösungen zum Beispiel für Menschen, die im Krankenhaus arbeiten. Da ist ja zum Teil für Pflegepersonal sogar vorgesehen, dass die, wenn sie Covid-19 positiv sind, also infiziert sind, oder wenn sie in Quarantäne sind, unter bestimmten Um- ständen im Krankenhaus weiter arbeiten dürfen. Wenn das dort dringend notwendig ist. So eine dringende Notwendigkeit höre ich da raus bei den Lehrern und bei den Kultus- ministern. Das heißt, man müsste sich so ein Spezialkonzept überlegen. Dass man diese außerschulischen Kontakte, wo die Schüler nicht mehr unter Kontrolle sind, auf ein absolutes Minimum reduziert.

[0:22:59]

Camillo Schumann

Eine Verschärfung der Maskenpflicht wurde auch diskutiert, aber von den Ländern abge- schmettert. Eine Woche haben die Länder jetzt Zeit, sich eine eigene Strategie zu überlegen, wie es an den Schulen weitergehen soll. Für Dezember, für Januar. Was wären denn so Ihre Hinweise, Ihre Strategie?

Alexander Kekulé

Ich sehe noch nicht genug Belege an den Grundschulen, wirklich die Maskenpflicht überall einzuführen. Es ist schade, dass wir noch nicht genug Daten haben, aber die haben wir einfach noch nicht. Meines Wissens ist es so, dass in Bayern die Grundschulen Maskenpflicht haben seit neuerdings. Es sind nicht alle Länder, die das abgeschmettert haben. Sondern andere Länder, die es nicht haben wollten. Ich glaube, dass es das Beste wäre in der jetzigen Situation, dass man ab der Sekundarstufe diesen halbzeitigen Unterricht ab sofort macht. Besser als nichts. Das ist nicht mehr lang bis Weihnachten. Das heißt, dann ging es quasi um paar Wochen, in denen also alternierend unterrichtet wird. Ich weiß, dass das technisch schwierig ist. Vor allem, wenn die EDV-Ausstattung nicht so ist, dass man in der Schulklasse direkt eine Videokamera auf- stellen kann. Weil sonst muss der Lehrer über eine Zoom-Konferenz oder so zweimal unterrichten. Und da schätze ich mal, ist schnell das Lehrpersonal alle.

Das Zweite, was ich dringend vorschlagen würde, im Hinblick auf Weihnachten, sich etwas zu überlegen wie eine Quarantäne vor der Weihnachtszeit. Ich würde die Schulen eine Woche vor Weihnachten einfach insgesamt zumachen. Am 17.12. Schule zu. Mit dem Hintergedanken, dass wir eher Schüler daran hindern, in die Schule zu gehen. Das wird wohl gleich funktionieren. Als die deutsche Wohnbevölkerung daran zu hindern, Weihnachten und Silvester zu feiern. Ich halte es für völlig ausgeschlossen, da mit irgend- welchen Appellen selbst von der Bundes- kanzlerin die Menschen daran zu hindern, sich zu treffen. Deshalb hätte ich gerne als strategisches Ziel, taktisches Ziel hier kurz vor Weihnachten eine möglichst niedrige Durchseuchung, einen möglichst niedrigen Infektionsdruck in der Bevölkerung. Damit dann über die Feiertage nicht zu viel passiert.

[0:25:05]

Camillo Schumann

Das Vorziehen der Weihnachtsferien wird ganz offen diskutiert in NRW, in Niedersachsen zum Beispiel. Also vom 23. auf den 19. Dezember. Das sind ja nur ein paar Tage. Würde das schon reichen?

Alexander Kekulé

Eine Woche wäre optimal. Das war der ur- sprüngliche Vorschlag, den ich gemacht habe. Wenn das politisch verkürzt wird, dann soll es eben so sein. Das ist das Wesen der Politik, dass man viele Interessen berücksichtigen muss und auch nicht nur so infektiologisch denken darf.

Eine Woche. Warum das? Naja, wegen der Inkubationszeit von typischerweise fünf plus, minus zwei Tage. Das heißt, nach einer Woche würde man die meisten Infektionen irgendwie bemerken, sofern es keine asymptomatischen sind. Mir wäre auch ganz wichtig zu sagen in der jetzigen Lage, wo wir letztlich von der Politik noch einmal zehn Tage im virologischen Regen stehen gelassen werden, dass jeder selber überlegen muss: Wie kann ich mich davor schützen?

Da ist das Wichtigste, darauf zu achten. Wenn man selber irgendwie Symptome hat, die Richtung Erkältung gehen, dann müssen wir uns selbst gegenüber und auch unsere Umwelt

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gegenüber so eine Art Null-Toleranz-Politik angewöhnen. Kinder mit Erkältung in die Kita oder in die Schule. Das geht in der jetzigen Lage nicht.

Mit Tests hätte man das machen können. Aber solange die Tests nicht da sind, geht es nicht. Das heißt, wer hustet oder schnupft oder sich schlecht fühlt oder wenn es nur Kopf- schmerzen, so ein Kratzen im Hals ist, dann muss man mal einen Tag zuhause bleiben und erst mal gucken, wie sich das entwickelt. Wenn das alle machen würden, hätten wir schon einen ganz großen Teil der Infektionen abgefangen. Es ist nicht so, dass fast alle Infektionen durch asymptomatische zustande kommen. Sondern die typische Infektion geht aus von Menschen, die Symptome haben. Und die asymptomatischen sind mit Sicherheit eine Minderheit. Wenn jetzt jeder selber auf seine Symptome sensibel achtet, hätten wir ganz viel gewonnen.

Die FFP2-Masken wurden schon genannt für die Risikopersonen. Man kann auch selber überlegen, wenn es nicht vorgeschrieben ist, kann man trotzdem im Taxi oder im Treppen- haus eine Maske anziehen. Oder auch mal den Kurier darauf hinweisen, dass er eine tragen sollte. Bei Familienfeiern gilt eben so eine Art freiwillige Quarantäne. Dass Familien- mitglieder, die unmittelbar vorher in der Schule waren als 15-, 16-Jährige oder die berufliche Kontakte mit anderen hatten, die müssen an dem Tag, zu Hause bleiben oder irgendwie Abstand halten. Wenn es nicht gerade Weihnachten ist. Ich weiß es nicht, je nachdem, wie lange der Tisch bei der Familienfeier ist. Ich glaube schon, dass man da im privaten Bereich sehr viel machen kann. Wenn man sich Mühe gibt, um Infektionen zu verhindern.

[0:27:51]

Camillo Schumann

Am Ende wird eine Langfriststrategie für alle Bereiche des Lebens gesucht. Mecklenburg- Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat es ja schon gesagt. Und mit einer Langfriststrategie haben Sie sich auch in Ihrem neuen Buch beschäftigt.

Alexander Kekulé

Ja, ich habe die Sommerpause leider nicht zum

Urlaub genutzt. Es ging nicht. Sondern stattdessen ein Buch geschrieben. Zum Thema Langfriststrategie habe ich vor vielen, vielen Jahren mal einen Vortrag gehalten, wie man sich sozusagen gegen Pandemien wert. Da habe ich das 3-C-Konzept aufgeschrieben. Das nicht so ganz genial. Command, Control und Concept. "Command and Control" ist aus dem militärischen Bereich. Dass das, was man anordnet, umgesetzt wird. Da fehlt beides bei uns in der Politik. Und das Dritte ist, dass man ein gutes Konzept braucht, was funktioniert. Das ist nicht militärisch, sondern mehr so epidemiologisch. Und so ein Konzept, wie man langfristig einen Modus Vivendi mit diesem Virus hinkriegt, habe ich versucht, mir zu über- legen und als Diskussionsvorschlag aufge- schrieben. Nächste Woche kommt es als Buch aus. Aber da werden wir vielleicht noch mal drüber sprechen.

[0:28:56]

Camillo Schumann

Genau. Wie so eine Langfriststrategie aus- sehen könnte, darüber sprechen wir dann am Donnerstag hier im Podcast. Aber mal ehrlich: Auch die beste Strategie, die wird nichts bringen, wenn die Menschen nicht mitmachen. Das viel zitierte Compliance ist wichtig.

Alexander Kekulé

Was ich vorgeschlagen habe oder aufge- schrieben habe, das ist ja nur eine Diskussions- grundlage als erster Wurf. Das geht davon aus, dass das Wichtigste ist, dass wir die Menschen selber mitnehmen. Es gibt Soziologen, die sagen, staatlich angeordneten Maßnahmen funktionieren immer nur über einen begrenzten Zeitraum. Das ist dieser Hallo- Wach-Effekt. Wenn Sie sagen "Halt, nicht weiter!", dann bleibt jeder reflexartig stehen, ohne nachzudenken. Aber wenn er dann sieht, da ist gar kein Abgrund und ich weiß nicht, wovor ich gewarnt wurde, dann geht er eben weiter. Da müssen Sie dann erklären, warum Sie "Halt" gerufen haben und warum das dringend notwendig war. Und so einen Effekt sehen wir zurzeit. Dass die Menschen selber von der Compliance her, vom Mitmacheffekt her nachlassen. Das ist übrigens nicht in allen Bevölkerungsgruppen gleich, weil sich das nicht jeder gleich leisten kann. Aber

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das Konzept, was ich da aufgeschrieben habe, das geht sehr stark von der Mitbestimmung aus. Wenn man so will es das auch die Schwachstelle des Konzepts. Wenn die Leute nicht mitmachen, wird es bei keinem anti- epidemischen Konzept funktionieren. Egal, ob Sie das anordnen, ob Sie das als Bundes- kanzlerin empfehlen. Die Menschen müssen es entweder wirklich verstehen und deshalb machen. Das ist so mein Ansatz. Oder man muss es machen wie in China: totalitär. Aber das funktioniert bei uns in unserem Staat zum Glück nicht.

[0:30:35]

Camillo Schumann

Hallo-wach-Effekt, das ist das Stichwort, um auf die Akzeptanz der Maßnahmen zu schauen und wie sich das im Laufe der Zeit entwickelt. Auch die Frage mal zu klären, warum die Zahlen eigentlich nicht so spürbar sinken, wie man es vielleicht erwartet hätte. Das lässt sich vielleicht auch mit dem Mobilitätsverhalten der Menschen erklären. Dazu werden regel- mäßig Standortdaten der Handys ausgewertet. Zum Beispiel hat die Projektgruppe "Epidemiologische Modellierung von Infektionskrankheiten" am RKI in Zusam- menarbeit mit dem Institut für Theoretische Biologie an der Humboldt-Uni einen Mobility Monitor entwickelt. Da kann man sehr genau sehen, wie sich das Mobilitätsverhalten der Menschen seit dem 11. März entwickelt hat. Also kurz vor dem ersten Lockdown bis zum heutigen Tag. Das ist wirklich extrem spannend. Denn schon Tage vor dem ersten Lockdown am 22. März gab es über 20 Prozent weniger Reisen. Die Menschen haben sich also schon mal selber eingeschränkt, weil sie möglicherweise auch Angst hatten vor dem, was da noch kommt. Am Tag des Lockdowns waren es 44 Prozent weniger reisen und in den Tagen danach bis zu 60 Prozent. Zum Vergleich am Wochenende jetzt vor dem zweiten Lockdown light gab es in Deutschland sogar acht Prozent mehr Reisen. Am Lockdown-Tag selbst, am 2. November, nur fünf Prozent weniger. Jetzt ist das keine abschließende Erklärung, Herr Kekulé. Es könnte aber ein Indiz für die sinkende Bereitschaft der Bevölkerung sein, sich einzuschränken. Oder?

Alexander Kekulé

Ich glaube, ja. Also so wie Sie das gesagt haben, kann man es durchaus interpretieren. Es ist eben ein Lockdown light. Viele Dinge, die im Frühjahr untersagt waren, sind jetzt weiter- hin möglich. Deshalb ist es nicht verwunder- lich, dass die Reiseaktivität nicht so stark abgenommen hat. Aber ja, vor allem dieser vorauseilende Gehorsam, den wir im Frühjahr gesehen haben ... Wir haben vor einiger Zeit mit der Viola Priesemann gesprochen. Die hat uns das statistisch sehr sauber aufgezeigt, dass tatsächlich sogar dieses R, dieser Gesamtindex der Infektionstätigkeit in Deutschland, deutlich unter eins gesunken ist, noch bevor die Maßnahmen ergriffen wurden im Frühjahr. Das wird jetzt nicht mehr so sein. Wir haben eher das Problem einer großen Dunkelziffer durch Fälle, die gar nicht mehr registriert werden. Weil die Leute nicht mehr zum Arzt oder zum Testen gehen und auch einer schlechteren Compliance. Das ist ganz klar im Herbst der Fall. Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass man auch hier kritisch prüfen muss: Was bringt eigentlich das Verbot von Reisen? Innerhalb Deutschlands sind wir schon länger in der Situation, dass wir kommunizierende Gefäße haben. Dass man also nicht mehr sagen kann, jemand, der von Bayern nach Hamburg oder Berlin reist, bringt das Virus mit und schleppt das Virus ein oder Ähnliches. So wie Columbus die Masern irgendwo eingeschleppt hat, sondern das Virus ist überall da. Und es hängt hauptsächlich vom Verhalten der lokalen Bevölkerung ab, ob sich es dort ausbreitet oder nicht. Das spricht also nicht gegen reisen. Zweitens ist es so, dass eigentlich, auch nach Statements der Regierung, das Reisen im Zug angeblich sicher sein soll. Gleiches gilt auch im Flugzeug. Obwohl sich da die Leute nicht so trauen, es so ganz laut zu sagen. Ich meine, wenn man eine FFP2-Maske aufhat, und die konsequent, die ganze Zeit im Gesicht lässt und vielleicht nur mal ganz kurz absetzt zum Wasser trinken, wenn keiner in der Nähe ist, dann ist man in der Tat in Bus und Bahn und auch im Flugzeug sicher. Aber wer macht das schon? Muss man sehr diszipliniert sein, auch über viele Stunden hinweg. Aber insgesamt meine ich, das Reisen als solches, wenn man es richtig macht, wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Schutz-

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maske aufhat und alle anderen natürlich auch ... Wenn man besonders gefährdet ist, eine FFP2-Maske aufhat. Viele fahren ja auch mal mit dem Auto oder mit dem Fahrrad irgend- wohin. Das gibt ja auch alles Mobilitätsdaten in diesen Handy-Tracking-Modellen. Dann glaube ich, dass das Reisen selber nicht das Problem ist. Das Problem ist die Zahl der ungeschützten Kontakte. Das können wir selber bestimmen, wenn wir irgendwo hinfahren, um einzukaufen zum Beispiel. Wie wir uns dort verhalten, ob wir die Maske aufhaben, ja oder nein. Das ist in diesen Mobilitätsdaten nicht erfasst.

[0:34:50]

Camillo Schumann

Genau. Und man müsste mal herausfinden, wo genau sich die Menschen aufhalten. Genau das wurde er an einer Studie in den USA getan, mit Stichwort Superspreading-Ereignisse. Um sozu- sagen Rückschlüsse zu ziehen, wo passiert das eigentlich? Das ist auch ganz spannend.

Alexander Kekulé

Ja, die ist super. Das ist eine Studie, die es in "Nature" gerade erschienen. Also so dem besten Magazin, was wir haben in den Wissenschaften. Von der Universität Stanford, den Informatikern dort und ganz vielen anderen in den USA, die zusammengearbeitet haben. Das ist so eine Studie, so was lieben Epidemiologen. Die haben von den zehn größten Städten in den USA, Metropolitan Areas, im Zeitraum 01.03. bis 02.05. die Handydaten untersucht. Die werden dort genauso wie bei uns anonymisiert gespeichert. Es gibt Firmen, die diese Daten dann aus- werten. Das ist deshalb ein interessanter Zeitraum, weil da war ein Teil am Anfang keinen Lockdown. Und dann war zwischen- durch in den USA, in diesen Städten eben Lockdown. Die haben letztlich Bewegungen nur zwischen zwei verschiedenen Punkten analysiert. Sie haben einerseits so Häuser- blocks genommen, die bei der Volkszählung eine Rolle spielen. Die heißen in den USA "Census Block"-Gruppen und diese Census Blocks, das sind immer so zwischen 603.000 Menschen, die da in seinem Bereich leben. Die werden bei der Volkszählung, beim Zensus in den USA zusammengefasst. Zwischen solchen Häuserblocks, wo man natürlich auch das

Einkommen zum Beispiel kennt und ähnliche Dinge ... Und dann haben sie auf der anderen Seite als zweite Station "Points of Interest", also wichtige Punkte genommen. Da haben sie Restaurants, Fitnessstudios, Theater, was es alles gibt, genommen und einfach nur analysiert, wie oft fahren die Menschen pro Stunde hin und her. Die haben also 57.000 solche Häuserblocks letztlich genommen, 353.000 Points of Interest in diesen Städten ausgewertet und das auf Stundenbasis. Sie hatten dann insgesamt 98 Millionen Menschen ausgewertet mit 5,4 Milliarden Bewegungen.

Camillo Schumann

(lacht) Da tropft der Zahn des Epidemiologen.

Alexander Kekulé

Das ist ein Spaß für Leute, die ein Großrechner haben. Dann haben die über jeden von diesen Häuser- blocks, wo die Leute wohnen, auch noch dieses SEIR-Modell gelegt. Darüber haben wir auch schon ein paarmal gesprochen. S für "susceptible", also empfängliche Personen. E für "exposed", also die, die möglicherweise ein Virus abkriegen könnten. I sind die "infected", also die, die infiziert sind. Und R sind die, die "recovered", also wieder gesund sind.

Mit diesem Vier-Töpfe-Modell, angewendet auf jeden der Häuserblocks, kann man dann sehr, sehr gut simulieren, wer infiziert sich wie. Und das Interessante ist, die haben das Modell entwickelt und haben es auf alle zehn Areas, also Chicago, paar andere große Städte drübergelegt. Das passt überall wie die Faust aufs Auge zu den tatsächlichen Entwicklungen der Infektionen. Die haben also mit ihrem Modell die wirklichen Infektionen vorher- gesagt. Das ist immer ein Zeichen, dass das Modell einfach super ist.

Camillo Schumann

Das Entscheidende ist ja, was ist dabei heraus- gekommen? Also was kann man möglicher- weise für die Zukunft anwenden?

Alexander Kekulé

Fast hätte man gesagt, das ist das Erwartete. Aber diesmal eben gut berechnet. Es kommt eben nicht so sehr auf die Bewegung an. Die

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reine Einschränkung von Mobilität hat einen ganz, ganz geringen Effekt im Vergleich zu der Einschränkung bestimmter Orte, wo Superspreading auftritt. Das waren in den USA insbesondere Gaststätten, wo Menschen länger sitzen, also so richtige Restaurants. Wohlgemerkt in der Zeit, als es noch keine Abstandregeln und keine Masken gab. Wenn man da länger an so einem Ort war, dann hat das einen enormen Effekt gehabt. Also ein ganz kleiner Teil dieser Points of Interest hat zu einem großen Teil der Infektionen beigetragen. Oder andersherum gesagt, das ist letztlich diese Beobachtung, die wir schon öfters hatten, dass ein Großteil der Infektionen eigentlich durch Superspreading-Events passiert und nur ein kleiner Teil durch einzelne Infektionen. Das kann man vielleicht so 80:20 schätzen. Das ist hier deutlich gezeigt worden. Das heißt, die Zahl der Personen im Restaurant zu reduzieren, das Maskentragen im Restaurant anzuordnen, wenn man nicht am Tisch sitzt, die Belüftung zu machen. Genau das, was wir in Deutschland ja letztlich machen, und was in USA interessanterweise viel umstrittener ist als bei uns, das ist das, was wirkt. Und das allgemeine Verbieten von Reise- tätigkeit im weitesten Sinn hat nur einen ganz geringen Effekt. Aber natürlich enorme Neben- effekte. Weil man dann auch solche Reisen verbietet, die epidemiologisch eigentlich gar nicht schaden.

Camillo Schumann

Kann man denn aus dieser Studie Rückschlüsse auf die Maßnahmen hier in Deutschland ziehen?

Alexander Kekulé

Ja, das meine ich schon. Man kann sagen, dass es sinnvoll ist, selektiv bei den Restaurants einzugreifen. Es ist nicht so sinnvoll, alle Restaurants einfach zuzumachen. Es ist ganz wichtig, auch als Ergebnis bei dieser Studie rausgekommen, dass es unterschiedliche Points of Interest gibt. Restaurant ist nicht gleich Restaurant. Bistro ist nicht gleich Bistro. Sondern es kommt darauf an, welche Men- schen gehen dahin. In den USA war es so, dass ist dort immer das Problem, dass das mit Gruppen, die wenig Einkommen haben und auch die aus ethnischen Minderheiten

kommen, die sozial benachteiligt sind. Dort gab es besonders viele Infektionen. Die Studie empfiehlt deshalb dort, selektiv solche Orte ins Auge zu nehmen und dort auch Auflagen zu machen, wo man weiß, dass solche Super- spreading-Ereignisse vorkommen können. Auf Deutschland übersetzt heißt es zum Beispiel im Kiez in irgendwo in Neukölln, wo man weiß, dass sind Leute, die halten sich nicht an die Auflagen, selektiv vorzugehen und nicht alle Restaurants auf einmal zuzumachen.

[0:40:29]

Camillo Schumann

In der Theorie. Wir wollen noch über Impfstoffe sprechen, Herr Kekulé. Vor genau einer Woche ging es hier im Podcast um sehr vielversprechende Zwischenergebnisse des Impfstoffes der deu- tschen Firma Biontech. Jetzt hat das amerikan- ische Unternehmen Moderna vermeldet, dass sein Impfstoff noch wirksamer sei. Der US- Immunologe und Corona-Experte Anthony Fauci ist völlig außer sich vor Begeisterung. "Besser wird es nicht", hat er gesagt. Die Aktie von Bayer und Biontech brach nach dieser Meldung um 16 Prozent ein. Aber unterm Strich für die Menschen, die sich impfen lassen wollen, ist das noch eine gute Nachricht. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, da ist jetzt zum zweiten Mal gezeigt, dass dieses wirklich experimentelle Prinzip, wo ich auch gesagt habe, das schaue ich mir erst mal an, ob es überhaupt geht, dass das wirklich funktioniert. Dieses experimentelle Prinzip mit RNA zu impfen, ganz neue Sache.

Da darf man jetzt wirklich dran glauben. Ander gesagt: Es läuft bezüglich der Impfstoffent- wicklung insgesamt wie am Schnürchen, wie geplant. Das ist in so einer Situation ganz toll. Da hätte so viel schiefgehen können bisher. Das heißt natürlich nicht, dass wir am Ziel sind. Aber bisher sieht es wirklich gut aus. Es hätte auch sein können, dass diese RNA-Impfstoffe totale Rohrkrepierer werden. Das kann man aber inzwischen mit diesem zweiten Beispiel verneinen, wo gezeigt wurde, dass das Prinzip funktioniert.

Die Moderna-Studie ist jetzt auch wieder eine Zwischenauswertung. Das heißt also, so ähnlich wie wir es bei Pfizer-Biontech hatten.

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Anthony Fauci ist natürlich eine Ikone inter- national. Aber er ist auch Chef der Einrichtung, in der der Impfstoff zusammen mit Moderna entwickelt wurde. Also in dem Fall spricht er ein bisschen für seinen eigenen Laden, wenn er das lobt. Ich bin ganz sicher, dass er das ausblenden kann. Aber man muss es vielleicht der Korrektheit dazusagen. Dort wird jetzt gesagt 94,5 Prozent Wirksamkeit. Gegenüber etwas über 90 bei Pfizer-Biontech, das ist nix, das kann man nicht so sagen. Man hat bisher in den USA insgesamt bei der Moderna-Studie knapp 30.000 Menschen in der Studie drin gehabt. Die Hälfte davon ist geimpft worden. Die andere Hälfte hat ein Placebo gekriegt. Davon haben sich 95 infiziert, bisher in dem ganzen Experiment. Und von den 95, die sich infiziert hatten, wo ja keiner wusste, ob er Impfstoff oder Placebo bekommen hat, sind nur fünf in der Geimpften-Gruppe gewesen. 90 waren unter den Nicht-Geimpften, die also Placebo hatten. Und damit rechnet man diese 94,5 Prozent Effektivität. Aber man sieht schon, 95 Personen, aus denen ist es gerechnet. Letztlich, die Wirksamkeit wird aus fünf Personen gerechnet. Als wir reden hier von fünf Fällen, die geimpft sind und die krank wurden. Und daraus hat man das gerechnet. Wenn das nur sieben wären, würde sich die Zahl wieder deutlich ändern. Da muss man also vorsichtig sein. Auch wenn es hier in dem Fall angeblich statistisch signifikant ist. Es ist ja auch noch nicht publiziert, sondern eine Mitteilung des Konzerns.

[0:43:36]

Camillo Schumann

Genau. Man muss vergleichen. Biontech hat seinen Impfstoff an 30.000 Probanden getestet und ist auf 90 Prozent gekommen. Moderna an 95, kommt auf 94 Prozent. Da vergleicht man ein bisschen Äpfel mit Birnen, oder?

Alexander Kekulé

Die Zahl der Probanden, des wechselt auch immer. Man muss sagen, das ist im laufenden Prozess. Die großen Konzerne haben in dem Fall ausnahmsweise ihre Protokolle offen- gelegt. Man kann also nachlesen, was geplant war. Da haben wir einen interessanten Effekt. Das ist natürlich für Insider wieder witzig. Bei Pfizer haben wir ja schon darüber gesprochen.

Die hatten eigentlich die Daten schon zusammen, bevor die Wahl in den USA war. Das sieht man an den Zahlen. Aus irgendwelchen Gründen haben sie es erst danach publiziert. Bei Moderna gibt es jetzt einen anderen interessanten Effekt. Die wollten eigentlich die nächste Auswertung machen, wenn sie 106 Infizierte haben, laut Protokoll. Und jetzt haben sie aber die Aus- wertung vorgezogen mit 95 Infizierten. Das kann man statistisch machen. Da gibt man ein bisschen andere Zahlen in die Software ein. Und dann kommt das Ergebnis genauso raus. Nur warum haben die das jetzt gemacht und vorgezogen, so wie die anderen bisschen gewartet haben? Dann wäre man natürlich ein Schelm, wenn man nicht erkennen würde, dass die jetzt nachziehen mussten. Die Aktie von Pfizer ist ja in den Himmel geschossen. Jetzt war Moderna unter Zugzwang. Ganz offen- sichtlich haben sie jetzt schon bei 95 das Buch aufgemacht und gesagt, schauen wir mal, was rausgekommen ist. Statt zu warten, bis es 106 sind. All diesen Studien spielt in die Hände, dass in den USA die Lage so katastrophal ist. Ich sage es mal ein bisschen dramatisch. Der Erfolg dieser Impfstoffe ist auf Leichen gebaut. Ja, es ist so, dass die deshalb so früh fertig werden, weil sie unwahrscheinlich viele Infektionen in den USA haben. Ich glaube, 1 Million zusätz- liche Infektionen war es in der letzten Woche. Moderna hat ausschließlich in den USA die klinischen Studien gemacht. Übrigens mit sehr viel Geld von der Regierung. Wir haben fast 1 Milliarde Dollar gekriegt, im Gegensatz zu Pfizer und Biontech, die das aus der Portokasse selber gezahlt haben. Für uns ist es ja egal. Die Impfstoffe werden irgendwann im nächsten Jahr kommen. Und ob das jetzt Moderna, Pfizer oder irgendein anderer ist. In Deut- schland werden wir sicherlich im April, Mai die Möglichkeit haben, im größeren Stil zu impfen.

[0:45:55]

Camillo Schumann

Apropos, nach Biontech und Moderna ver- muten die Analysten, dass die deutsche Firma Curevac aus Tübingen die nächste sein könnte. Auch Curevac forscht an einem mRNA-Impf- stoff. Und da sieht es auch nicht so schlecht aus.

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Alexander Kekulé

Ja, der Impfstoff sieht genauso aus. Ich bin jetzt hier nicht als Aktienanalyst im Einsatz. Aber Curevac hat natürlich einen strategischen Nachteil. Zwei Große, die nächstes Jahr Milliarden von Dosen produzieren können. Und das ist völlig ohne Frage. Der eine mit Riesenunterstützung von Warp Speed, Geld aus den USA. Der andere mit einem der größten Pharmakonzerne der Welt, ich glaube sogar den größten, Pfizer, im Rücken. Die werden Unmengen, Milliarden von Impfstoffen nächstes Jahr auf den Markt werfen.

Übrigens noch mal ganz interessant: Der Impfstoff von Moderna hat den Vorteil, dass er im Tiefkühler bei -20°C transportiert und gelagert werden kann. Das ist eine Temperatur, die in jedem Gesundheitsamt zur Verfügung steht. Und dann 30 Tage, also einen Monat lang, im normalen Kühlschrank bei etwa 4°C und dann noch einmal zwölf Stunden bei Raumtemperatur. Das ist natürlich für die Verteilung in Riesenvorteil. Ich schätze mal, dass die Leute vom Biontech fieberhaft daran forschen, wie sie ihren eigenen Impfstoff so umbauen können, dass er vielleicht auch besser zu transportieren und zu lagern ist. Curevac ist da ein bisschen hinterher. Sie müssen ja auch was sagen. So ist das leider im Leben, wo alles um die Aktienwerte geht. Die haben gesagt: Unser Impfstoff hat auch den Vorteil, dass man ihn nicht so tief kühlen muss. Das ist das eine. Das Zweite ist, dass die RNA- Menge, die injiziert werden muss, bei Curevac angeblich deutlich geringer ist. Bei denen sind es nur zwölf Mikrogramm. Bei Pfizer sind es 30 Mikrogramm, bei Moderna wohl 100 Mikro- gramm. Aber Curevac hat den Nachteil den anderen beiden gegenüber, dass es keinen starken Partner hat. Und sie brauchen, wenn sie dann in die Phase 3 gehen ... Die haben die Phase-3-Studie noch nicht einmal begonnen. Gerade haben wir über Ergebnisse der Phase 3 gesprochen, von den anderen. Da brauchen die einen starken Partner an der Seite. Der auch wirklich das Geld hat so wie Pfizer oder ein ähnlicher oder AstraZeneca im Beispiel vom Oxford-Impfstoff. Da müssen sie sich jetzt sputen, dass sie jemanden kriegen, mit dem sie das machen. Sonst werden sie da hinten runterfallen, weil die anderen einfach sagen: "1 Milliarde mehr oder weniger Dosen, das

produzieren wir einfach, wenn es sein muss." Da bin ich gespannt, wie sich die Firma von Herrn Hopp wohl positioniert. Das ist der Dietmar Hopp von SAP, der das gegründet hat. Auch interessant, wie die Bundesregierung bei Curevac ihr Investment von 300 Millionen Euro begründen wird. Ich kenne da keine Hinter- gründe. Aber das ist schon die Frage, warum die das in die eigene Firma investiert haben und nicht in die andere. Aber da müsste man vielleicht mal recherchieren, was da die Gründe waren.

[0:48:52]

Camillo Schumann

Und nach so einem großen Partner schaut sich die Firma gerade um, konnte man zuletzt lesen. Wir kommen zu den Hörerfragen, Herr Kekulé.

Dieser Herr hat angerufen. Er verfolgt, wie andere Staaten mit der Corona-Pandemie umgehen. Besonders interessant fand er die Maßnahme in der Slowakei und deshalb seine Frage:

Anrufer

"Guten Tag, mich würde interessieren, was Professor Kekulé von den Massentests, wie sie in der Slowakei durchgeführt werden, hält. Und ob das nicht ein Vorbild für Deutschland wäre."

Camillo Schumann

Kurz zu den Massentest in der Slowakei. Von den über 5 Millionen Einwohnern wurden zeitlich gestreckt ein Großteil getestet. Nicht mit PCR, sondern mit Antigen-Schnelltests. In der ersten Runde 3,6 Millionen, fast 40.000 positiv Getestete. Auch Österreich plant Massentests. Österreich 9 Millionen, Slowakei 5 Millionen, Deutschland hat 80 Millionen Einwohner. Wären solche Massentest hier- zulande wirklich eine Möglichkeit?

Alexander Kekulé

Nein, ich halte die nicht für sinnvoll. Man macht da einen Schnappschuss letztlich. Das kann man so vergleichen, ob Sie filmen oder ein Foto machen. Der Massentest, also zu einem Zeitpunkt, ist quasi ein Foto und bildet die Dynamik überhaupt nicht ab. Und was man dann hat hinterher, sind mehr Positive. Auch mit diesem Schnelltest gewinnt man natürlich

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Positive. Die wird man da finden. Man wird ein Teil übersehen, die dann erst ein paar Tage später positiv werden. Aber man hat im Grunde genommen bei der Seuchenbe- kämpfung nur dann was gewonnen, wenn man irgendwie glaubt, dass man auf diese Weise den Laden wieder sauber kriegt. Zum Beispiel, wenn Sie ein Kreuzfahrtschiff hätten mit 4000 Passagieren, nach außen begrenzte Umge- bung. Und Sie machen einen Massentest, dann hat das natürlich schon einen Sinn. Da können Sie zwei Tage später noch mal einen machen, dann werden sie wahrscheinlich die meisten infizierten Passagiere herausfinden.

Aber so ein Staat ist ja ein offenes System, auch nach außen. Daher haben Sie dann eine Woche später wieder eine komplett neue Situation und durch den Massentest eigentlich nichts gewonnen. Eine Situation, wo das was gebracht hat und sinnvoll war, ist zum Beispiel Hongkong. Die fahren eine ganz andere Strategie. Die haben ja den Komfort, dass sie früh reagiert haben und deshalb eine Elimination-Strategie fahren. In Hongkong sind zehn neue Fälle eine kleine Katastrophe. Und als die mal so einen Mini- Ausbruch hatten in einem Teil ihrer Com- munity, dann haben die im ganzen Umfeld in kürzester Zeit vor einigen Wochen Massen- tests gemacht. Sie haben alle Infektionen, die mit diesem Ausbruch irgendwie zusammen- hängen, dingfest gemacht. Die sind jetzt wieder auf diesem niedrigen Level. Dann hat es einen Sinn. Oder in Neuseeland würde man das vielleicht sinnvollerweise machen. Aber ich glaube, eben in der Slowakei hat es keinen Sinn. In Österreich wird es auch nichts bringen. Außer Sie machen die Grenzen zu und versuchen, wirklich komplett sauber zu halten im eigenen Stall. Und in Deutschland muss ich nichts sagen. Da sind wir chancenlos, auch bei den jetzigen Infektionszahlen, damit was zu bewirken.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 121. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Sehr gerne, Herr Schumann. Bis dann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage, dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 300 22 00. "Kekulés Corona-Kompass" als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das eine oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte, kein Problem. Alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen gibt es unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 14. November 2020 #120 SPEZIAL:

Jan Christian Kröger, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Jan Christian Kröger

Risikogruppen zuerst: Ist das beim Impfen wirklich richtig?

Wird eine Studie zur Wirksamkeit von Masken bewusst nicht veröffentlicht?

Wie kann man das Infektionsrisiko verringern, wenn mehrere Generationen unter einem Dach leben?

Wie verhalte ich mich, wenn mein Chef ein Corona-Leugner ist?

Damit herzlich willkommen zu einem weiteren Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL, nur mit Ihren Fragen. Die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen, Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Kröger.

Jan Christian Kröger

Das große Thema dieser Woche, der mögliche Impfstoff, der beschäftigt auch viele unserer Hörer. Damit haben wir gleich einige Fragen, die wir an Sie richten möchten. Den Anfang macht Peter M. aus Tübingen.

„Hallo, Herr Kekulé, ich wüsste gerne, ob geimpft Menschen das Virus trotzdem an andere Menschen weitergeben können. Ich könnte mir vorstellen, dass Geimpft dann keine Maske mehr tragen und dadurch eventuell andere gefährden.“

01:02

Alexander Kekulé

Sofern die Impfung so funktioniert, wie wir das hoffen, wird ein Geimpfter nicht in der Lage sein, das Virus weiterzugeben. Das wäre nur dann rein theoretisch denkbar, wenn sich das Virus im Lauf von Monaten und Jahren verändert und dann ein anderer Typ quasi entsteht. Das würden die Geimpften aber dann auch daran bemerken, dass sie selber wieder krank werden. Die würden dann Krankheitssymptome bekommen und dann wären sie natürlich auch wieder ansteckend.

Jan Christian Kröger

Dann haben wir die Frage von Ruth O., die beschäftigt sich damit, wer zuerst geimpft werden soll. Sie sagt. Klar für sie ist:

„... dass Risikogruppen geschützt werden müssen. Wenn die Produktion des Impfstoffes aber einen Engpass darstellt, könnte es doch sinnvoller sein, er mehr jüngere Personen mit der gleichen Menge an Impfstoff zu impfen, um so schneller eine höhere Immunität in der Bevölkerung zu erreichen. Auch ich gehöre vom Alter und wegen Vorerkrankungen eher zu den Risikopersonen. Ich möchte deswegen aber nicht bei Impfungen bevorzugt werden.“

01:56

Alexander Kekulé

Ja, das ist eine schwierige Frage. Da haben wir eigentlich weltweit immer wieder die Diskus- sion. Es gab ja auch Katastrophenpläne für den Fall eines Ausbruchs mit dem Vogelgrippe- Virus H5N1 vor längerer Zeit. Wir hatten das Thema bei der Schweinegrippe 2009. Eigentlich ist immer die Idee gewesen, in diesen Gremien, dass man gesagt hat, das Ergebnis, was wir erzielen wollen, ist zualler- erst die Sterblichkeit zu reduzieren. Also wir wollen das nicht so viele Menschen daran sterben. Weil wir einfach gesagt haben: Tod ist schlimmer als Krankheit. So trivial ist es letztlich. Und wenn man wenig Impfstoff hat, ist man am effektivsten beim Verhindern von Todesfällen, indem man direkt die Risiko- gruppen impft. Also dieser indirekte Effekt – das ist intelligent gedacht von der Hörerin – aber es ist so, dass wir dafür mehr Impfstoff bräuchten. Weil, dann müssten Sie quasi das Umfeld des jeweiligen Risikopatienten, der Risikoperson, das müssten sie effektiv

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abschirmen, um die Risikopersonen am Ster- ben zu hindern, um es mal so formal zu sagen. Und daher ist der effektivere Weg, wenn sie wenig Impfstoff haben, einfach direkt die Risikoperson zu impfen. Dann haben wir ein, zwei Fragen dazu, wo dann diese Impfung stattfinden würde. Zum Beispiel hat uns Dirk U. angerufen.

„Ich selbst bin stark übergewichtig, schwerbehindert und gehbehindert. Wie komme ich an das Zentrum dann hin? Und die älteren Leute im Altenheim oder in Pflegeeinrichtungen, die kaum ihr Zimmer verlassen? Wie kommen diese Leute an diese Impfzentren?“

03:31

Alexander Kekulé

Jetzt muss ich zugeben ich weiß nicht, wie das jetzt, wie weit da die Planung gediehen ist. Wir haben ja hier verschiedene Komponenten. Das eine ist der Impfstoff, um den es ab geht, der jetzt in der Presse so gehypt wurde, wenn ich es mal so sagen darf, ist ja ein RNA-basierter Impfstoff. Also einer, den man bei minus 80 Grad kühlen muss und wo auch die Hand- habung des Impfstoffs strenge Vorschriften hat. Da darf man nichts falsch machen. Dafür ist es so, dass, meines Wissens, schon die Tiefkühlschränke besorgt werden oder die Menschen zumindest also die Behörden, zumindest überlegen, wo sie herkommen bekommen können. Das ist nicht ganz einfach, weil so ein normaler, stehender -80°C-Schrank unter Umständen nicht geeignet ist. Ich glaube, da ist noch viel Hirnarbeit notwendig, um sich zu überlegen, wie man das von der Logistik macht. Ich halte das Problem aber für lösbar. Und dann ist die nächste Stufe, dass man natürlich Personen hatte, ihn diese Impfzentren nicht kommen können, wo ja dann auch die -80°C-Schränke stehen würden. Da wird man sich etwas überlegen müssen. Dass einfach dann einen Fahrdienst, zum Beispiel, in die Altenheime fährt oder auch zu den Personen, die zu Hause wohnen und nicht weg können. Man muss ja auch dazu sagen der RNA-Impfstoff ist ja nur einer von mehreren. Und ich bin ziemlich sicher, dass es nicht der Einzige sein wird, der zur Verfügung steht. Das heißt, da werden dann noch ein, zwei weitere

Impfstoffe zur Verfügung stehen, die vielleicht von den Lagerbedingungen nicht ganz so streng sind.

Jan Christian Kröger

Da hakt gleich die zweite Frage zu Impfzentren ein. Die kommt von Dr. Helmut E. aus Mannheim:

„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, wie sind die geplanten Impfzentren bezüglich der potenziellen Ansteckungsgefahr im Zentrum und bei An- und Abreise zu beurteilen? Als Argument für die Impfzentren werden ja die Lagerungstemperatur des Impfstoffs ange- führt. Ich habe aber jetzt im Interview mit dem Biontech-Chef Ugur Sahin gehört, dass der Impfstoff nach dem Auftauen noch mindestens fünf Tage bei normalen Kühlschranktempera- turen haltbar ist.“

Das sind so ein bisschen zwei Fragen in einer. Vielleicht machen wir erst mal die mit den Temperaturen.

05:29

Alexander Kekulé

Das ist eben genau der Punkt. Man muss beim Transport diese Ultra-Tiefkühlung haben. Man muss es bei der Lagerung also in dem Zentrum oder wo auch immer man es benutzt, die Ultra-Tiefkühlung haben. Aber man kann eben – das ist genau das – bevor man es zum Einsatz bringt, natürlich ein paar Tage aus der Ultra- Tiefkühlung rausgehen. Und das ist genau der Grund, warum man von diesen Zentren aus, wenn ich das mal so sagen darf, problemlos ausschwärmen kann. Es müssen eben dann Fahrzeuge von dort losfahren und beispiels- weise ein Altenheim bedienen.

Die andere Frage, wo es um die Ansteckungs- fähigkeit geht ja, das ist eine logistische Her- ausforderung. Ganz klar. Und das wird dann die „Kapazität“ der Impfungen beschränken. Weil, wenn Sie davon ausgehen müssen, dass die Personen, die da durchgeschleust werden im großen Stil, dass die infektiös sein können und sich gegenseitig nicht anstecken dürfen. Dann wird es letztlich so enden, dass sie nicht besonders viele pro Stunde durchschleusen können. Oder ganz besondere Maßnahmen treffen müssen mit Parallelversorgung, damit

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die sich nicht gegenseitig infizieren. Da bin ich jetzt nicht involviert in diese Planungen. Ich meine, das machen auch die Gesundheits- ämter. Das ist aber ganz sicher ein Thema, was die ganz vorne auf der Tagesordnung haben. Und auch da glaube ich, das wird lösbar sein.

06:47

Jan Christian Kröger

Kommen wir mal zu einem latent umstrittenen Thema in der ganzen Diskussion rund um das Coronavirus, nämlich die Masken oder der Mund-Nasen-Schutz. Da hat uns dieser Anruf erreicht.

„Ich habe gehört, es gibt eine neue dänische Studie zur Wirksamkeit der Masken. Da habe ich gehört, dass diese Studie jetzt abgeschlos- sen ist. Aber die Autoren Probleme haben, diese Studie zu veröffentlichen, also, dass aus politischen Gründen die einschlägigen Fach- zeitschriften ablehnen, diese Studie zu veröf- fentlichen.“

Alexander Kekulé

Ja, es gibt immer wieder Studien, und die aus Dänemark habe ich nicht gesehen. Die wird so von den Medien zitiert, die darauf hinweisen, dass möglicherweise die das Tragen von Masken nicht so effektiv ist. Bisher ist das immer so gelaufen, wenn man dann diese Studien genauer untersucht. Und wenn man schaut, wie die das gemacht haben, war es eigentlich immer so, dass die Studien, die gesagt haben, die Masken taugen nix, um es mal so kurz zu sagen ganz, grobe methodische Fehler hatten. Und weil das so ist, das auch aus politischen Gründen natürlich Studien initiiert werden, das muss man ja auch sagen, dass auch Wissenschaftler, die so etwas machen, manchmal eine Intention haben, ist es so, dass man Meta-Analysen macht. Also man guckt sich alle Studien, die es gibt zu einem Thema, zu einem bestimmten Zeitpunkt an, wertet die dann nach einem genau vorgegebenen Schema aus, dass man sagt welche Studien dürfen aufgenommen werden in die weitere Bewertung und welche fliegen raus – das wird sozusagen ein Qualitätskriterium eingezogen – und dann macht man eine Auswertung über mehrere Studien und guckt, was ist dann sozusagen das Gesamtbild. Das nennt man

eben Meta-Analyse. Ganz aktuell haben die CDC, die amerikanische Gesundheitsbehörde, das Ganze nochmal überprüft. Und jetzt gerade habe ich, glaube ich, gestern gelesen, nochmal herausgegeben, dass also bei einer weiteren Überprüfung aller vorliegenden Studien man zu dem Ergebnis kommt, dass die Maske nicht nur die anderen schützt vor Ansteckung, sondern auch bis zum gewissen Grad denjenigen, der sie aufhat. Hörer dieses Podcasts werden sagen, das sind ja einge- schlafene Füße, das wissen wir seit Monaten. Aber die CDC hat das eben gestern oder vor- gestern noch mal ganz offiziell bekannt- gegeben. Und rein biologisch ist es ja völlig klar, wenn Sie Tröpfchen haben, Feuchtigkeit, in denen die Viren sind. Und sie atmen die aus durch einen Stoff hindurch, der trocken sein muss – das ist ja ganz wichtig – dann bleiben die feuchten Tröpfchen einfach an dem trockenen Stoff hängen: Das nennt man Ad- häsion in der Physik. Und das geht bis zum gewissen Grad natürlich in beiden Richtungen. Die Luft ist innerhalb von einem Stoff für man durch einen Stoff durchatmet, einfach trockener als außen. Das kann man ausprobieren, wenn man mal im Nebel steht, mit einem Vlies vorm Gesicht oder Ähnlichem. Und dieser ganz simple physikalische Effekt, der die Feuchtigkeit quasi abfängt, das ist der Hauptgrund, warum diese Masken Effekt haben, Wirkung haben. Und man muss immer wieder dazu sagen, wenn wir eine echte Superspreading Situation haben, in einem geschlossenen Raum ein Aerosol sich bildet, dann ist eben das Problem, dass die einfachen OP-Masken und auch die selbstgebastelten, häufig an der Seite nicht ganz dicht sind, sodass man durch diese seitlich vorbei- .strömende viel Luft quasi dann doch ein Teil dieses Aerosols inhalieren kann. Und das ist die ganze Physik. Mehr ist es nicht. Das ist ganz simpel. Und da braucht man eigentlich gar keine weiteren Studien, weil das rein theoretisch eigentlich nicht anders sein kann. Und wir haben schon sehr viele Studien und auch Meta-Analysen.

Jan Christian Kröger

Soweit die Maske in der wissenschaftlichen Beurteilung.

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Noch eine weitere Frage. Da geht es eher um die Maske in der Alltagspraxis.

„Ist schon einmal untersucht worden, wie viele Viren in der Luft sind, die durch die Nase bei geschlossenem Mund ausgeatmet wird? Wenn es wesentlich weniger sind, als beim Sprechen, Singen oder Husten freigesetzt werden, viel- leicht würde dann in den Schulen, besonders für die unteren Klassen ein Mundschutz genügen.“

10:46

Alexander Kekulé

Das ist so, als rein theoretisch, muss man sagen es ist gut möglich, dass die Theorie der Anruferin stimmt. Das könnte sein, dass wir beim Ausatmen durch die Nase deutlich weniger Aerosole freisetzen als durch den Mund. Mein persönlicher Privatverdacht, aber der ist wissenschaftlich nicht begründet, ist sogar tatsächlich der, dass jemand, der schweigt und seine Stimmbänder nicht bedient, sondern ganz normal atmet und auch jetzt nicht forciert atmet, weil er vielleicht erschöpft ist oder ähnliches, dass so jemand ganz selten nur große Mengen von Aerosol produziert. Aber das ist wirklich nur eine Vermutung, weil die physikalisch naheliegend wäre. Das ist aber eben alles nicht überprüft. Und dann ist es so, dass wir natürlich auch irgendwelche Viren durch die Nase freisetzen, und die Nase hat ja den Nachteil, dass sie ziemlich genau nach unten ausatmet. Und dann haben wir häufig diese Situationen, die kennt wahrscheinlich jeder von uns, dass wir in irgendeinem Geschäft einkaufen. Da steht jemand hinterm Tresen und bedient und hat dort entweder die Nase frei, weil er eben den ganzen Tag da steht und meint, er möchte sich das nicht zumuten. Oder so ein Plastikschild vor dem Gesicht, wo dann auch alles aus der Nase nach unten abgeatmet wird. In diesem Fall kann man sich anhand der „Schuss- richtung“ sozusagen überlegen, dass das alles dann auf dem Kuchen, auf der Wurst und sonstwo, je nachdem, was der so austeilt, dann landet, sodass man jetzt wahnsinnig genau differenzieren muss. Es müsste der Ordnungsgeber sagen, okay, also in der Bedienungssituation muss die Nase zu sein, das ist ganz klar, aber in einer anderen

Situation wäre es wieder erlaubt. Und dann gibt es wieder andere Leute, die sagen ja, ich kann ja durch die Nase einatmen und durch den Mund ausatmen, dann ist doch alles in Ordnung. Und diese Riesendiskussion, die können sie nicht führen. Es muss ja etwas Einfaches sein, wie ein Parkverbotsschild auf der Straße: Wenn da ein Auto steht, dann kriegt es einfach einen Zettel und fertig. Und so einfach muss es ja auch sein, sonst ist es nicht kontrollierbar.

12:42

Jan Christian Kröger

Elisabeth R., Ärztin aus Puchheim, hat geschrieben:

„Lieber Herr Professor Kekulé , seit vielen Wochen beschäftigt mich eine Frage, die jetzt angesichts der steigenden Zahlen zunehmend dringlicher wird. Es ist inzwischen allgemein bekannt“, sagt sie, „dass die Anzahl der Amplifikation-Zyklen beim PCR-Test bis zum Auftreten eines positiven Signals entscheidend ist für die Anzahl der positiven Tests. Auch Herr Drosten bestätigt, dass zu hohe Amplifikations- Zyklen dazu führen, dass eigentlich gesunde Personen als positiv getestet werden. Angesichts der zunehmenden Überlastung der Gesundheitsämter sollte doch eine Fokussierung auf die wirklich problematische Personengruppe vorgenommen werden. Warum gibt es deshalb nicht schon längst einen Beschluss, entweder die Zahl der Amplifikations-Zyklen generell zu reduzieren oder aber die Anzahl dem Gesundheitsamt mitzuteilen, um diesen selbst die Möglichkeit der Priorisierung zu geben?“


Erstmal die technische Klärung: die Amplifikations-Zyklen (CT).

13:35

Alexander Kekulé

Bei dieser PCR wird ja die Erbinformation des Virus, die RNA des Virus, sofern sie irgendwo auf der Schleimhaut rumgelegen hat, verdoppelt. Und dann noch mal das Produkt verdoppelt und noch einmal verdoppelt. Das ist so eine Funktion, eine exponentielle Funktion, die berühmt geworden ist durch das berühmte Beispiel mit dem Schachbrett, wo

man auf das erste Feld ein Reiskorn legt, auf das zweite zwei Reiskörner, dann vier, dann acht und so weiter. Und wir wissen alle, dass, wenn man das mit den 64 Feldern eines Schachbretts macht, dass man dann einen Güterzug hat, der, ich weiß nicht mehr wie oft, um den Äquator rumgeht. Das heißt also, das wird sehr, sehr viel. Und dieses Prinzip nutzt die PCR, dass es aus ganz winzigen Mengen enorm große Mengen von Kopien produzieren kann. Und wenn es sehr viele sind, dann kann man eben auch nachweisen, was da drinnen war. Dann sieht man: Hoppla, da war ein Virus dabei. 


Und jetzt ist die Frage, ab welcher Menge will man da überhaupt sagen, es war ein Virus da. Weil rein theoretisch die PCR, wenn Sie jetzt maximal rausgekitzelt ist, so empfindlich wäre, dass sie ein einziges Viruspartikel nachweisen könnte. Das sind allerdings mehr so wissenschaftliche Ansätze. Die PCR, die wir so für die Routinediagnostik benutzen, da würde ich jetzt mal sagen, da ist die Grenze so im Bereich von 100 Viruspartikeln. Und da ist eben jetzt die Problematik. 


Und dann natürlich so ganz praktisch kann sich jeder selber überlegen. Sie haben so einen Tupfer und nehmen da irgendetwas ab. Da

kriegen Sie natürlich mal mehr und mal weniger, je nachdem, wie die Abnahme gelaufen ist. Auch eine Person, die Virus ausscheidet, kann durchaus je nach Tageszeit oder auch je nach Tag mal mehr und mal weniger ausscheiden, je nachdem, wie gut das Immunsystem gerade drauf war. 

Das ist so etwas, das kann durchaus schwanken. Sodass man jetzt nicht pauschal sagen kann, ab einem CT-Wert von soundsoviel – diese Zyklen werden in CT gezählt – gilt es nicht mehr als infektiös. Da gibt's keine Schwelle. Und die hat auch noch niemand, auch Herr Christian Drosten noch nicht, vorgeschlagen. Eine Schwelle, die irgendwie wissenschaftlich begründet wäre, wo man sagt ab der Schwelle ist jemand nicht mehr infektiös – das wissen wir nicht.


Jan Christian Kröger

Frau N. aus Greifswald hat uns angerufen mit der Situation zu Hause und dem Infektionsrisiko, das beschäftigte sie sehr.

„Was raten Sie Familien im Mehrgenerationen- haushalten, die auch wohnlich sehr beengt miteinander leben. Die Großeltern sind alt und krank, die Kinder gehen in die Schule. Die Großeltern können zu Hause auch kaum, eine Maske tragen. Wie kann man da das Zusammenleben erleichtern?“

Das klingt schon sehr, als würden sie sich um alles bemühen, das irgendwie geht. Gibt es da noch mehr, was sie tun könnte?

Alexander Kekulé

Das Stichwort beengt ist hier, darf ich so sagen, einfach Mist. Das macht es einfach schwierig. Wir wissen aus Ausbruchsgeschehen, zum Beispiel in Norditalien, inzwischen, dass genau das das Problem war, wenn mehrere Generationen im gleichen Haushalt zusammen wohnen und es dann beengt ist; und man vielleicht auch gar nicht wusste am Anfang, dass das Virus da ist. Dann kommt es eben zur Infektion der älteren Mitbewohner. Was man letztlich empfiehlt ist ja – es gibt sogar inzwischen, glaube ich, Empfehlungen des Robert Koch-Instituts dazu – wenn möglich,

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sollen die Personen die wirklich erhöhtes Risiko haben, ich sage mal Ü70, die sollen eben nicht zusammen mit den anderen essen, also am Tisch sitzen. Die sollen, wenn es irgendwie geht, in einem eigenen Zimmer schlafen, was natürlich dann entsprechend am besten nach außen gelüftet wird und nicht Richtung Flur. Das Wichtigste ist, dass man eben nicht zusammen länger in einem geschlossenen Raum ist. Und wenn, wenn die Risikoperson selber keine Maske tragen kann, dann müssen eben die anderen Masken tragen. Und da würde ich dann, wenn ich jetzt wirklich weiß, das ist jemand mit einem extrem hohen Risiko und man ist auf sehr engem Raum, da würde ich dann sagen, dann sollen die eben dann, wenn sie mit dem Opa oder der Oma zusammen sind, wirklich FFP2-Masken tragen. Aber in der Tat, es wird Situationen geben, wenn man jetzt nur wenig Zimmer hat und dann sagt, man kann also für die Risikoperson gar kein eigenes Zimmer abstellen, zum Bei- spiel, dann ist es in der Tat schwierig. Da kann man keine perfekte Lösung machen und muss halt einfach improvisieren in der der Situation. Am Ende des Tages, ist es doch letztlich so, dass Familien, die zusammenwohnen, auch irgendwie Risikogemeinschaften sind. Und so ist es auch irgendwie eine Risikogemeinschaft, da zusammenzuwohnen. Und im schlimmsten Fall ist es halt einfach so, dass die alten Leute ein höheres Risiko haben, weil die Jüngeren nicht eingesperrt werden sollen. Ich glaube, dass keine Großeltern wollen, dass die Enkel jetzt nicht mehr in die Schule gehen dürfen. Da würde ich mal sagen das sind so die Dinge des Lebens, die wir halt nicht perfekt machen können.

19:21

Jan Christian Kröger

Eine E-Mail hat uns noch erreicht. Der Schreiber möchte aus Gründen der Sicherheit anonym bleiben. Es erschließt sich auch gleich, warum. Die Frage lautet nämlich:

„Wie verhalte ich mich als Angestellter, wenn mein Chef ein Corona-Leugner ist? Besonders brisant, wenn dieser Geschäftsführer eines privat geführten Pflegeheims ist, speziell, noch, wenn dieser bereits aufgetretene Covid19-Fälle verunglimpft, die Kollegen, welche als

Kontaktpersonen direkt betroffen sind, massiv unter Druck setzt, falls sie erwägen, zuhause zu bleiben und dem Gesundheitsamt keine Meldung macht. Welche Handhabe hat man da?“

Alexander Kekulé

Da gibt es ja jetzt mehrere Aspekte. Also das eine ist Corona-Leugner als Chef im Allgemeinen. Da kann man sich gegenseitig letztlich nicht bekehren. Das ist so etwas Ähnliches wie: Homöopathie, funktioniert das: ja oder nein? Da können Sie letztlich nicht drüber streiten. Es ist wie eine Glaubensfrage. Ein ganz anderer Aspekt ist natürlich, wenn jemand als Leiter eines Altenheims seine gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben nicht erfüllt. Das ist ja meldepflichtig. Und da gibt es ganz klare Richtlinien, was man machen muss, wenn Fälle auftreten und was mit den Kontaktpersonen geschehen muss. Und da ist es dann so, dass man letztlich, wenn man Kenntnis von so einer Ordnungswidrigkeit hat, dass man die dann selbstverständlich eigentlich zur Anzeige bringen muss. Egal, wer das ist. Ob das jetzt der eigene Chef ist. Oder ob das der Chef vom Altenheim nebenan ist, das sollte man dann schon den Behörden mitteilen, dass diese mal genauer hinschauen. Sie haben die Verpflichtung nur dann nicht, wenn das ein Familienmitglied wäre. Die die darf man ja bekanntlich auch bei Strafsachen gegenseitig schützen. Aber wenn das nicht so ist, dann ist der Chef eine Person wie jeder andere Dritte.

20:59

Jan Christian Kröger

Letzte Frage für heute. In einigen Wetter- berichten wird seit kurzem eine Corona- Zerfallszeit angegeben. Die Werte beziehen sich auf draußen, aber was genau hat das zu bedeuten?

Alexander Kekulé

Ich habe mir das angeschaut. Das ist irgendwie Unsinn. Ja, da versuchen Leute letztlich irgendwie, sich wichtig zu machen oder Geld zu verdienen mit so einem Wert. Ja, es ist so, dass natürlich die Stabilität von Viren abhängt von der UV-Einstrahlung, von der Luftfeuchtig- keit, von der Temperatur. Aber von diesem

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Makrogeschehen, also von dem, was das Wetter sozusagen im weiteren Sinn ausmacht, zu schließen darauf, was auf irgendeiner konkreten Oberfläche passiert, und darum ginge es ja letztlich – das geht nicht. Sie können nicht von diesem allgemeinen Parametern des Wetters darauf schließen, ob jetzt die Türklinke, die sie irgendwo Anfassen möglicherweise infektiöser ist an diesem Tag oder an jedem Tag oder auch ob eine Infektionsgefahr im Freien besteht oder nicht. Man muss ja auch überlegen was ist die Konsequenz? Wenn Sie wissen, es regnet draußen, dann bleiben sie vielleicht zu Hause oder nehmen Regenschirm mit. Aber was sollen Sie mit der Information anfangen, das heute gefährliches Corona-Wetter ist? Da kann ja keiner im Ernst fordern, dass man wegen so einer spekulativen Behauptung irgendwie zuhause bleibt oder zwei Mundschutz übereinander anzieht. Oder was auch immer. Also das ist Unsinn, da versucht jemand, Geschäfte zu machen.

22:19

Jan Christian Kröger

Das war Ausgabe 120 Kekulés Corona-Kompass SPEZIAL nur mit Hörerfragen. Vielen Dank, Herr Kekulé. In der nächsten Ausgabe am Dienstag wird dann mein Kollege Camilo Schumann wieder Ihr Gesprächspartner sein. Mich hat es sehr gefreut, in dieser Woche mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Noch mal Danke und bis bald.

Alexander Kekulé

Vielen Dank, hat mich auch sehr gefreut, Herr Kröger. Bis dann.

Jan Christian Kröger

Alle SPEZIAL-Folgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen, auch zum Nachlesen unter auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell - Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 12.11.2020 #119: Fixierung auf 50er-Wert greift zu kurz

Jan Kröger, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Jan Kröger

Donnerstag, 12. November 2020. Wieder ein Tag mit mehr als 20.000 gemeldeten Neuinfektionen in Deutschland. Nun ist die Frage, wie man die Zahl interpretiert. Auf der einen Seite ist sie nicht weit weg vom bisherigen Höchststand. Auf der anderen Seite steigen die Zahlen in dieser Woche nicht mehr so stark wie in den vorherigen.

Können wir daraus ablesen, ob der Lockdown wirkt? Haben die Einschränkungen was gebracht?

Oder sind sie "tödlich", wie die Bild- Zeitung gestern getitelt hat. Wir schauen uns die Zahlen und die Aussagen an, die hinter dieser Schlagzeile stehen.

Außerdem geht es um die Frage: Wenn tatsächlich bald geimpft werden sollte, wie lange würde man danach immun sein?

Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio MDR Aktuell. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund ums Corona-Virus. Wir beantworten Ihre Fragen. In dieser Woche mit mir. Unverändert mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Guten Tag, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Kröger.

Jan Kröger

Herr Kekulé, schauen wir uns die Zahlen an. Heute 21.866 gemeldete Neuinfektionen. Das ist nicht mehr so weit weg vom Höchststand, den wir letzten Samstag hatten mit mehr als 23.000. Wenn wir die Steigerung betrachten, ist das in dieser Woche, wenn wir das mit dem letzten Donnerstag vergleichen, gar nicht mehr so drastisch. Da waren es so ziemlich genau 20.000. Wie sollen wir diese Zahlen interpretieren?

Alexander Kekulé

Wenn man sich die Zahl anschaut, würde man sagen, der Anstieg ist gestoppt. Also sozusagen die Beschleunigung der Vermehrung der Fälle ist gestoppt. Das wäre eigentlich ein gutes Zeichen. Das kann man sich als Kurve vorstellen, die auf ein Maximum zufährt und dann wieder runtergeht. So gesehen glaube ich, dass wir hier einen Effekt des Lockdowns schon sehen. Der muss ja jetzt auch kommen. Das ist vom Zeitpunkt der Moment, wo man das sehen muss nach 14 Tagen. Andererseits ist es so, dass das Robert Koch-Institut generell die Teststrategie geändert hat. Das heißt, seit Kurzem ist es so, dass vorrangig Menschen getestet werden sollen, die Symptome haben. Oder auch auf Anordnung des Gesundheitsamtes untersucht werden sollen. Aber nicht mehr so viel ins Blaue hinein, prophylaktisch, bei Menschen, die kein besonderes Risiko haben. Ausnahme ist hier Bayern. Die wollen weiterhin ihre offene Teststrategie fahren. Das hat dann zur Folge, dass man natürlich eine andere Stichprobe hat. Es könnte auch sein, dass wir deshalb nicht viel mehr Fälle als vorher haben, weil weniger in die Breite getestet wird. Sondern spezifischer getestet wird. Wenn man sich rein die Zahl anschaut, kann man nicht 1: 1 sagen, liegt es daran, dass weniger getestet wurde? Oder ist es ein Bremseffekt vom Lockdown. Ich würde sagen, ein Bremseffekt ist dabei.

Jan Kröger

Das Robert Koch-Institut veröffentlicht jeden Mittwoch die Zahlen rund um die Testkapazitäten und rund um die

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durchgeführten Tests. Die haben sich nicht groß verändert im Vergleich zur Vorwoche. Sie sagen, es wird spezifischer getestet.

Alexander Kekulé

Das Robert Koch-Institut veröffentlicht auch die Positivenquote. Also, wie viel Prozent der Tests positiv sind. Die ist von 7,26 bis auf 7,8 gestiegen. Sie hat also einen Anstieg gehabt. Das könnte mit der veränderten Teststrategie zusammenhängen. Dass man jetzt speziell Leute testet, die Symptome haben. Nicht mehr so viele Personen testet, die ohne Symptome sind. Falls es darauf zurückzuführen ist, wäre das eher ein schlechtes Zeichen. Weil es sein könnte, dass relativ viele Menschen übersehen werden, die eigentlich positiv sind. Da man sie nicht testet, weil sie keine oder schwache Symptome haben. Oder andersrum gesagt, wir müssen davon ausgehen, dass durch die geänderte Teststrategie, die etwas mit Kapazitäten zu tun hat, die Dunkelziffer gestiegen ist. Sodass wir auf den ersten Blick dieses optimistische Signal vorsichtig sehen müssen. Wir müssen gucken, wie es sich weiterentwickelt. Es könnte auch sein, dass diese leichte Veränderung, die wir sehen, mit der Teststrategie zusammenhängt.

Jan Kröger

Das Ganze wird auch politisch seinen Einschlag finden. Am Montag wollen sich die Kanzlerin und die Länderchefs wieder treffen, um nach zwei Wochen zu beraten, was aus dem Lockdown geworden ist. Die ersten politischen Beurteilungen gibt es schon in dieser Woche. Stellvertretend habe ich mir Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer rausgesucht:

Michael Kretschmer

"Die Zahlen, die wir jetzt haben, reichen bei weitem nicht aus. Wir haben eine leichte Seitwärtsbewegung erreicht. Wenn es uns nicht gelingt, tatsächlich wieder substantiell nach unten zu kommen ... Das heißt, 50 Infizierte je 100.000 Einwohner über sieben Tage Inzidenz, dann werden das schwierige Monate, die vor uns liegen."

Jan Kröger

Ich fand interessant an der Aussage, die 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Das war vor ein paar Wochen noch die Horrorvorstellung für Deutschland. Jetzt ist es das Ziel. Wie weit sind wir gekommen in diesen Wochen?

Alexander Kekulé

Wir sind jetzt in einer schwierigen Lage. Politiker sagen immer gerne, dass das total überraschend wäre. Man muss vorsichtig sein mit der Interpretation. Stellen Sie sich das vor, wie einen Hochseetanker. Wenn Sie da den Motor ausschalten, das ist die Situation, dass es keine weitere Infektion gibt. Oder dass die Infektionen nicht mehr ansteigen. Dann hat der immer noch einen ganz, ganz langen Bremsweg. Jeder, der Schiffe steuert, weiß, dass man an der Stelle eine ruhige Hand und Geduld braucht. Es hat keinen Sinn, hektisch das nächste Manöver einzuleiten. Man muss warten, was passiert. Hier ist es so, dass wir die Steuerbewegung gemacht haben durch diesen Teil-Lockdown. Der Effekt dieses Teil- Lockdowns wird sich verzögert zeigen. Ich glaube nicht, dass man sagen kann: "Wenn an dem und dem Tag die Fallzahlen noch nicht in einem bestimmten Bereich sind, dann müssen wir den Lockdown verlängern." Sondern die Frage ist nur: Brauchen wir eventuell mehr Maßnahmen, weil es insgesamt als Eingriff nicht gereicht hat? Oder sind wir jetzt, mittelfristig auf einem Korridor, der wieder in die 50 pro 100.000 führen könnte? Das ist die schwierige Frage. Die müssen Epidemiologen anhand der Daten beantworten. Da haben wir in Deutschland leider das Problem, dass erstens die Daten enorm zeitversetzt beim Robert Koch-Institut ankommen. Wir wissen, dass die Johns Hopkins Universität die bessere und schnellere Daten hat als unsere eigenen Behörden. Das andere ist, dass es unvollständige Daten sind. Wir wissen oft nicht, wo sich die Menschen infiziert haben. Selbst die Angabe, ob es eine berufliche Exposition war. Ob sich jemand im Krankenhaus angesteckt hat als Pfleger oder

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Ähnliches. Selbst da fehlen zum Teil die Angaben, wie das Robert Koch-Institut sagt. Sodass das ein Stück weit Kaffeesatz lesen sein wird. Man wird 80/20-Schätzungen machen und der Politik eine Empfehlung geben.

Jan Kröger

Was halten Sie davon, dass die politische Debatte sich auf die Zahl 50 Neuinfektionen einengt? Das spielt durchaus eine Rolle bei der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, wo genau diese Schwelle eingefügt werden soll.

Alexander Kekulé

Ich glaube, das ist zu kurz gegriffen. Das war ein improvisierter Wert. Der ist sehr improvisiert zustande gekommen. Da haben wir schon ein paarmal drüber gesprochen. Er wurde letztlich politisch ausverhandelt. Der war für diese konkrete Pandemie, für diese Situation in Deutschland einfach eine Arbeitsmarke. Mit der kann man agieren. Ich glaube nicht, dass das Sinn hat, den in Stein zu meißeln. Und den für alle künftigen Pandemien festlegen oder den sogar ins Gesetz zu gießen. Ich glaube, dass es hier sinnvoller ist, flexibel sich das Geschehen anzusehen. Und zu gucken, was ist unser limitierender Faktor? Da kann man erinnern, am Anfang der Pandemie war es so, dass gesagt wurde, wir müssen

das R unter eins drücken. Das sei das Ziel. So wurde das kommuniziert. Damals hieß die Strategie, die man gefahren hat: Hammer und Tanz - Hammer und and Dance. Die wurde nicht von einem Wissenschaftler, sondern von einem Marketingexperten aus den USA entwickelt. Das war meines Erachtens ein Irrweg, komplett auf das R abzusehen.

In der nächsten Stufe hat man die Überlastung der Gesundheitsbehörden einbezogen. Das war auf jeden Fall der richtige Schritt, dass man nicht nur geguckt hat, werden unsere Intensivstationen voll und wie viel Tote haben wir? Kriegen wir italienische Verhältnisse? Sondern sind die Gesundheitsbehörden in der Lage, die Nachverfolgung zu machen? Das war richtig, dass man das umgestellt hat. In dem Zusammenhang sind die 50 pro 100.000 ins

Feld geführt worden. Das ist auch schon sehr grob, weil die eine Gesundheitsbehörde kommt mit 50 pro 100.000 hervorragend klar. Andere sind damit bereits überfordert. Das hängt stark davon ab, wo sie sind. Sind Sie in einer Großstadt oder auf dem Land? Wie viel Personal haben Sie? Und was sind das für Fälle? Wenn Sie 50 Fälle in einem Cluster haben. Zum Beispiel in drei Schulklassen einer Schule können auch 50 zusammen sein. Dann ist das für die Gesundheitsbehörden ein leichtes Spiel. Wenn Sie 50 Einzelfälle verteilt auf einen großen Landkreis haben und nicht wissen, wo sich die Leute das geholt haben, dann ist es schwierig, die nachzuvollziehen. Was wichtiger ist, als auf die Zahlen zu starren: Wir haben jetzt im Herbst die besondere Situation, dass ein Teil der Bevölkerung nicht mehr so einsieht, das alles zu machen. Viele sind wirtschaftlich am Ende. Viele vollziehen die Maßnahmen nicht mehr nach. Ich glaube, dass das unser Hauptproblem ist, dass viele das gar nicht mehr melden. Sie haben irgendeine Erkrankung, die Covid-19 sein könnte. Sie lassen sich nicht untersuchen. Oder wenn sie einen positiven Test haben, verfolgen sie es nicht nach. Oder sie machen die Angaben bei der Gesundheitsbehörde nicht, weil sie auf einer Party waren, wo sie ihre Freunde nicht kompromittieren wollen. Wir haben jetzt eher einen sozialen Effekt dabei. Dieser sture Blick auf die Zahlen, dann vielleicht gegossen in ein Gesetz, das halte ich für zu verkürzt.

Jan Kröger

Am Montag werden Bund und Länder wieder beraten, wie es weitergeht. Erwarten Sie da große Schritte?

Alexander Kekulé

Das ist spannend. Wir werden sehen müssen, wie die Entwicklung in den nächsten Tagen ist. Ich hoffe, und ich glaube, dass man einen deutlichen Bremseffekt sieht. Wenn in den nächsten Tagen die Neuerkrankungen zurückgehen, da kann man nicht erwarten, dass es bis Montag auf einen bestimmten Wert fällt. Es geht darum, dass die Tendenz nach

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unten geht. Auch dieses R, was bundesweit berechnet wurde, das ist deutlich unter eins. Das sagt nicht so viel aus über einzelne Herde, die irgendwo in einer Großstadt bestehen. Aber insgesamt kann ich mir vorstellen, dass man bei diesen vier Wochen bleibt.

Was dann wichtig sein wird, ist die Frage, wie gehen wir Richtung Weihnachten weiter? Da sind Familienfeste Tradition. Da müssen wir uns was überlegen, wie wir das für die Bevölkerung möglich machen können.

Auch für den Einzelhandel ist das Vorweihnachtsgeschäft extrem wichtig. Dass man jetzt Weihnachten cancelt wegen der Pandemie bzw. nicht nur wegen der Pandemie, sondern weil man sich seit dem Sommer zu schlecht auf den Winter vorbereitet hat. Das ist eigentlich das Kritische daran. Das wäre etwas, was eine enorme politische Brisanz hätte.

Jan Kröger

Enorme Brisanz konnte man gestern auch ablesen am Titel der Bild-Zeitung. Die Schlagzeile lautete: "So tödlich ist der Lockdown".

Der Hintergrund war eine Studie, die haben Ärzte am Klinikum Hochrhein durchgeführt, in ihrem eigenen Landkreis. Im Landkreis Waldshut-Tiengen an der Grenze zur Schweiz. Dort haben sie im April untersucht, wie die Übersterblichkeit gewesen ist. Also wie viele Menschen sind im Jahr 2020 mehr gestorben als im Vergleich zu den Vorjahren. Sie haben einen Effekt gemerkt, dass sowohl wegen Corona als auch wegen des Lockdowns eine Übersterblichkeit bestanden haben muss. Sie haben sich die Zahlen auch durchgelesen. Wie ist Ihre Beurteilung? Vor allem auch der Schlagzeile?

Alexander Kekulé

Das mit der Übersterblichkeit, das funktioniert ja. Sie haben es gesagt. Man weiß, dass in einem bestimmten Zeitraum eine bestimmte Zahl von Personen in einer Region normalerweise stirbt. Dann nimmt man den Mittelwert aus den letzten Jahren. Dann hat man irgendeinen Faktor, den man da drüber legt. Man weiß aber nicht, ob der kausal ist.

Typischerweise macht man das mit Influenzawellen. Die kann man ganz gut beschreiben. Da weiß man, dann und dann war die Influenza. Bei Covid-19 weiß man, wann die Infektionswellen waren. Das Problem ist: Man kann nicht sagen, wenn diese Übersterblichkeit größer ist als die Zahl der Covid-19-Fälle, das wurde hier festgestellt, dann muss die Ursache für die zusätzlichen Toten der Lockdown gewesen sein. Also diese Schlussfolgerung ist absolut nicht richtig. Das kann man nur so kurz sagen. Wir haben mehrere Studien in diesem Podcast besprochen, die Übersterblichkeiten untersucht haben. Beispielsweise in Italien gab es eine große Studie. Da hat man am Anfang des Lockdowns festgestellt, dass die Übersterblichkeit wesentlich größer war als die Zahl der gemeldeten Covid-Fälle. Da hat man festgestellt, dass ein erheblicher Teil, etwa

30 % der Todesfälle, gar nicht als Covid-19 gemeldet waren. Aber genau in dem Zeitraum, wo die Welle gelaufen ist, sind sie gestorben. Da haben die eine ganz andere Schlussfolgerung draus gezogen. Die haben nicht gesagt, das lag am Lockdown. Sie haben gesagt, das waren wahrscheinlich Covid-19-Fälle, die nicht erkannt wurden. Weil sie trotzdem die Übersterblichkeit von alten Menschen haben. Die sind zum Beispiel in Italien zu Hause gestorben. Keiner wusste genau, warum. Niemand hatte eine Covid-19-Diagnostik gemacht. Deshalb wurde eher gesagt, es war ein Problem, dass man sie nicht registriert hat. Eine ähnliche Studie gab es in den Vereinigten Staaten. Etwas später, zeitversetzt. Die kam zu dem gleichen Ergebnis. Es wurde zu wenig über Covid-19 berichtet. Man hat gesagt Covid-19 ist gefährlicher als es ursprünglich aussah. Es hat mehr Tote gefordert als vermutet. Wenn wir das auf den deutschen Landkreis übertragen, müsste man diese Variante ausschließen. Ich habe den Bild- Zeitungsbericht überflogen und gesehen, da stand was drin von älteren Menschen, die zu Hause gestorben sind. Woher wissen die Leute, die die Studie gemacht haben, dass das keine Covid-19-Fälle waren, die nicht erkannt

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wurden? Das ist das Entscheidende, das man klären muss. Ist es eine auf Covid-19, auf den Erreger zurückzuführende Übersterblichkeit, die nicht erkannt wurde? Oder ist es auf etwas anderes zurückzuführen? Dann kann man etwas spekulieren. Dann kann man sagen, vielleicht ist die Oma nicht zum Arzt gegangen, weil sie Angst hatte. Sie hatte einem Herzinfarkt, hat es nicht bemerkt und ist deshalb gestorben. Dann darf man als nächsten Schritt solche Überlegungen machen. Aber in der Medizin sagt man immer, das Häufige ist häufig und das Seltene ist selten. Deshalb, wenn jetzt gerade eine Welle ist von so einem Infektionserreger, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Infektionserreger mit der Übersterblichkeit etwas zu tun haben, das Erste, was man prüfen muss.

Jan Kröger

Sie sprechen es an. Das ist der Kern, an den sich die Autoren der Studie halten. Stefan Kortüm ist einer der Mitautoren. Er ist Intensivmediziner in dem erwähnten Klinikum. Er hat in dem Interview mit MDR Aktuell gestern seine Schlussfolgerung und letzten Endes seine Kritik so zusammengefasst:

Stefan Kortüm

"Aus meiner Sicht wäre es ganz wichtig, dass die Berichterstattung und die Risikokommunikation etwas ausgewogener gestalten wird als im Frühjahr. Wir hatten im Frühjahr in der öffentlichen Wahrnehmung nur noch ein einziges Thema. Das war Corona. Obwohl bekanntermaßen chronische Krankheiten keine Coronapause machen. Hinzu kamen auch Aufrufe im Rahmen der Risikokommunikation seitens der Politik, die Krankenhäuser freizuhalten für Corona- Patienten. Auch das wird sicherlich den einen oder anderen veranlasst haben, zu sagen: "Dann gehe ich lieber später zum Arzt." Und dann kam es nicht mehr dazu."

Jan Kröger

Noch mal zusammengefasst: Der Kern ist, die

Leute mit chronischen Erkrankungen sind nicht mehr zum Arzt gegangen. Die Kritik besteht in der Risikokommunikation und in der medialen Berichterstattung. Können Sie das nachvollziehen?

Alexander Kekulé

Ich gehe davon aus, dass es diesen Effekt gab. Ganz klar. Es gibt Studien, die in diese Richtung Untersuchungen gemacht haben. Das bezeichne ich als sekundäre Kollateralschäden. Ein Kollateralschaden ist sozusagen einer, der neben der eigentlichen Gefahrenquelle entsteht. In dem Fall nicht durch das Virus selber, sondern indirekt. Es gibt primäre Kollateralschäden. Die entstehen dadurch, dass jemand zum Beispiel krank ist, der eine wichtige Funktion hat. Wenn ein Polizist krank ist und deshalb kann der Verkehr nicht mehr geregelt werden und es kommt deshalb zu einem Unfall, dann haben sie einen primären Kollateralschaden. Ein sekundärer entsteht durch die Gegenmaßnahmen. Es ist so, dass sekundäre Kollateralschäden auf jeden Fall vorhanden sind. Es wird hinterher eine schmerzliche Bilanz sein. In der ganzen Pandemie muss man sich ansehen, was haben die Gegenmaßnahmen in der Summe gebracht? Und wie viel haben sie geschadet? Wie das hier gesagt wurde. Sie haben Schäden, weil chronisch Erkrankte nicht behandelt wurden. Es gibt Untersuchungen über wichtige Operationen, die verschoben wurden. Über Krebstherapie, die suboptimal gelaufen ist. Chemotherapie-Patienten müssen regelmäßig zum Arzt gehen. Da gibt es eine lange Liste. Bis hin zur AIDS-Therapie. Menschen, die HIV- positiv sind, müssen regelmäßig Medikamente nehmen. Das muss immer wieder untersucht werden, ob die Medikamente stimmen. Wenn so jemand einen Monat zu spät zum Arzt geht, kann das erhebliche Schäden nach sich ziehen. Ich gehe einen Schritt weiter. Ich glaube, wir müssen auch Dinge wie Depressionen, häusliche Gewalt, Dinge, die sekundär entstehen durch die Gegenmaßnahmen, durch den Lockdown oder Ähnliches. Die müssen wir irgendwann in eine Liste schreiben. Und dann

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gucken, wie viele Todesfälle haben wir vermieden dadurch? Und wie viele Erkrankungen und Todesfälle haben wir zusätzlich erzeugt.

Ich weiß nicht, was am Schluss rauskommt. Das weiß keiner. Sie können nicht zu Beginn einer Gefahr sagen, ich mache nichts, weil die Gegenmaßnahmen sind möglicherweise schlimmer als das, was ich verhindern will. Das ist erst retrospektiv möglich.

Jan Kröger

Also, eine Schlagzeile wie "So tödlich ist der Lockdown" ist definitiv verfrüht?

Alexander Kekulé

Das ist verfrüht, weil die Quantifizierung über die Übersterblichkeit nicht stimmt. Das kann man nicht zuordnen. Das muss man sich praktisch so vorstellen: Wenn Sie irgendeinen Effekt sehen, dann wissen Sie nicht, auf was der zurückzuführen ist. Die Kausalität ist nicht klar. Wir sehen eine Übersterblichkeit. Es könnte aber auch Covid-19 selbst sein. Da das Virus zu dem Zeitpunkt vorhanden war, ist das die wahrscheinlichere Erklärung aus meiner Sicht. Andere Fachleute, die ähnliche Sachen in Italien und den USA untersucht haben, kamen zu dem Ergebnis, dass es wahrscheinlich dann Covid-Tote waren, die nicht erkannt wurden.

Jan Kröger

Wir schauen auf die Situation in den deutschen Schulen. Die bewusst in diesem November, im Gegensatz zu vielen Unternehmen, offen gehalten worden sind. Da hat sich gestern der Deutsche Lehrerverband zu Wort gemeldet mit einer Art Zwischenstand. Mindestens 300.000 Schüler sollen sich in Quarantäne befinden. Ebenfalls etwa 30.000 Lehrerinnen und Lehrer. Der Vorwurf geht in Richtung Politik. In fast allen Bundesländern wurden die Hygienestufenpläne des Robert Koch-Instituts, die in den Corona-Hot-Spots auf halbierte Klassen setzen, außer Kraft gesetzt. Schulen sollen auf Biegen und Brechen offen bleiben. Die bewerten Sie die aktuelle Lage?

Alexander Kekulé

Die Lage ist undurchsichtig. Das war jetzt nur

eine Mitteilung einer Vereinigung. Das ist nicht so, dass das eine offizielle Einrichtung ist, die die Zahlen von 300.000 quarantänisierten Schülern genannt hat. Wir haben in der Tat Anweisungen der Bundesländer an die Schulen, die erstens ganz unterschiedlich sind. Und zweitens so nicht machbar sind. Wenn man sagt, ihr müsst alle so und so viele Minuten lüften, im Sinne von einem kompletten Luftwechsel. Das geht in der Praxis nicht. Auch die aktuellen Bestrebungen, irgendwelche Luftwäscher aufzustellen, das halte ich nicht für zielführend. Wir haben das mal besprochen. Man muss viermal so viele Kapazitäten aufstellen, wie es nominal vom Hersteller angegeben wird. Wenn Sie einen Luftwäscher für 50 m2 haben und das Klassenzimmer ist 50 m2, dann müssen Sie vier davon aufstellen. Ich bin absolut sicher, dass das in dieser Weise nicht beschafft wird. So viele gibt es auch nicht. Meines Wissens sind die bis in den Februar ausverkauft.

Hier werden im Grunde genommen die Probleme auf die unterste Ebene abgeschoben, auf die Lehrer, auf die Schüler auch. Statt dass man direkte Lösungen nimmt und die Leute testet. Wenn sie zweimal pro Woche getestet werden, dann haben Sie das Problem nicht komplett aus der Welt. Die Schnelltests würden einen Teil der Schüler falsch testen. Dann hätten Sie immer noch gelegentliche Ausbrüche. Dann ist das Problem epidemiologisch aber nicht mehr relevant. Da kann man lange schimpfen. Das scheibchenweise Schließen im Rahmen der Quarantäneanordnung ... was ist da passiert? Da hat es einzelne Infektionen in der Schule gegeben. Die Politik hat gesagt, die Schulen sind sicher. Das ist schlecht, so was als Politiker zu sagen, wenn dann hinterher Ausbrüche stattfinden. Da ist der Wunsch der Vater des Gedanken gewesen.

Was man von der Sache her machen muss und was wichtig ist, man sollte nach Altersgruppen unterscheiden. Wir wissen aus anderen Ländern, auch zum Teil Ergebnisse aus Deutschland. Aber das wurde sehr genau in den USA untersucht. Ab 14 Jahre aufwärts sind

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die Schüler ein erhebliches Risiko. Da ist es dringend notwendig, die konsequent zu schützen. Da bin ich auch nicht so sicher, ob es reicht, wenn sie in einer vollbesetzten Klasse mit geschlossenen Fenstern mit Masken sitzen. Sie kriegen Superspreading unter Umständen mit Maske, wenn sie lange genug zusammensitzen und die Maske nicht richtig getragen wird, zwischendurch abgesetzt wird zum Trinken und Ähnliches. Ich glaube, da muss man überlegen für die älteren Schüler, wenn man da keine Tests machen will oder kann, wie man anderweitig zum sicheren Konzept kommt.

Wo wir nicht wissen, was der Stand ist, sind die unter 14-Jährigen. Also Grundschüler insbesondere. Da ist es unklar, ob es dort zu Infektionen kommt oder nicht. Wir sehen keine Hinweise auf Infektionen. Aber das kann auch bedeuten, dass die sich infizieren, aber so gut mit dem Virus klarkommen, dass sie nach kürzester Zeit das Virus abgewehrt haben, ohne viel Virus auszuscheiden. Das kann alles unter dem Radar stattfinden, solange man das nicht genau untersucht.

Bei den aktuellen Zahlen und wenn man hört, 300.000 sind in Quarantäne, da ist nicht mit angegeben, ob das Grundschüler oder Schüler von weiterführenden Schulen sind. Das wäre eine ganz wichtige Information. Bei den Grundschülern sind wir unsicher, ob wir die weiterhin zum großen Teil ohne Maske in den Unterricht lassen können.

Jan Kröger

Kommen wir zu einem Thema, dass wir Dienstag kurz besprochen hatten. Nämlich die Frage einer Hörerin. Da ging es um das erhöhte Risiko für Schwangere, schwer an Covid-19 zu erkranken oder auch zu sterben. Wir haben uns zwischenzeitlich die Zahlen angesehen, auf die auch unsere Hörerin sich bezogen hat, von der amerikanischen Seuchenschutzbehörde. Die haben von Ende Januar bis Anfang Oktober rund 400.000 Schwangere untersucht und das Ergebnis festgestellt. Die Frage war: Brauchen wir eine

neue Bewertung von Schwangeren als Risikogruppe?

Alexander Kekulé

Diese aktuelle Studie hat weitergeführt, was wir im Podcast schon mal besprochen haben. Es ist so, dass die erste Auswertung in den USA im Juli gelaufen ist. Jetzt hat man fünfmal so viele Fälle untersucht. Man hat das noch mal bestätigt. Das ist klar, dass das Risiko für eine Altersgruppe von 35-44 Jahren, die älteren Schwangeren, dass dort das Risiko beatmet zu werden als Covid-Patient viermal so hoch ist wie bei anderen Covid-Patienten. Das Risiko zu sterben an Covid ist ungefähr doppelt so hoch wie bei nicht schwangeren Patienten. Das heißt also, das ist ein deutlich erhöhtes Risiko. Aber diese Studie hat ein paar Nachteile. Einer ist, da gab es nur: schwanger, ja oder nein. Aber nicht, schwanger in welchem Monat.

Es könnten alles Patientinnen gewesen sein, die das erhöhte Risiko hatten, die gegen Ende der Schwangerschaft auf die Station kamen. Weil in der frühen Schwangerschaft gibt es keinen Hinweis darauf, dass solche Risiken bestehen. Und man muss es vergleichen mit dem Risiko, was eine Fettleibigkeit hat. Oder dem Risiko, das COPD hat, die Lungenkrankheit, die Raucher auch bekommen.

Im Vergleich dazu ist eine Schwangerschaft, selbst bei denen, die am Ende der Schwangerschaft sind und die in der kritischen Altersgruppe sind, sogar bei denen ist es absolut gesehen bei Covid-19 ein kleines Risiko. Andersrum gesagt: Jemand, der stark übergewichtig ist, ohne schwanger zu sein, der hat ein viel höheres Risiko an Covid-19 zu sterben. Im Vergleich mit anderen Lebensrisiken ist die Schwangerschaft nichts, was wahnsinnig rausschlägt. Ich sage mal ein Beispiel. Genauso gefährlich schwanger zu sein ist in den USA Latino zu sein. Dann haben Sie auch die gleichen Faktoren. Dann werden Sie viermal so häufig beatmet und sterben doppelt so häufig wie die anderen.

Die Schwangerschaft ist also kein Riesenalarmzeichen. Aber ich würde daraus

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ableiten, sicher ist sicher. Wer gegen Ende der Schwangerschaft ist, sollte sich konsequent schützen wie die Leute über 70.

Mit einer FFP2-Maske zum Einkaufen gehen und solche Dinge.

Jan Kröger

Kommen wir abschließend weiteren Hörerfragen.

Silke hat uns geschrieben. Sie arbeitet in einer Beratungsstelle und hat sich entschieden, eine FFP2-Maske zu tragen. Nun kam die Frage:

"Wie lange darf ich die FFP2-Maske tragen? Ich weiß von anderen Diensten, wo es die Anweisung gibt höchstens anderthalb Stunden und dann 30 Minuten Pause. Meine Beratungszeit umfasst insgesamt vier Stunden, aber nicht am Stück, mit Maske. Muss ich längere Maskenpausen machen oder geht das durch die Lüftungsunterbrechungen auch so?"

Alexander Kekulé

Da gibt es keine objektive Vorschrift. Das ist subjektiv. Der eine verträgt es besser, der andere muss etwa jede halbe Stunde die Maske abnehmen. Ich würde davon abraten, in der Situation, wo man gefährdet ist, die Maske abzunehmen. Da sollte man rausgehen an die frische Luft. Ich sehe das manchmal beim Zug fahren, da muss man die Maske tragen. Leute erholen sich, indem sie die Maske abnehmen. Das ist nicht so sinnvoll. Aber sonst kann man ohne weiteres eine FFP2-Maske vier Stunden lang tragen. Es gibt Leute im Labor, die so lange die Maske aufhaben. Es hängt auch damit zusammen, ob man sprechen muss. Beratungstätigkeit klang jetzt so, als müsste man reden. Da kann die Maske nass werden. Wenn man durch das ständige Sprechen irgendwann die Maske angefeuchtet hat, dann ist sie nicht mehr so gut durchlässig. Das Atmen fällt schwerer. Oder die Luft geht außen vorbei. Zweitens ist es so, dass eine feuchte Maske ein Boden für Keime ist und die Effektivität nachlässt. Wenn die ganz durchnässt wäre, könnte beim Ausatmen so ein kleiner Nebel entstehen von der Maske

weg. Deshalb würde ich sagen, sobald die Maske feucht ist, muss man sie auf jeden Fall wechseln.

Jan Kröger

Dieser Anruf hat uns erreicht. Da geht es noch mal um den Impfstoff:

"Wenn jemand geimpft wird, ist bekannt, wie lange dann die Immunität anhält? Oder ist es wie bei anderen Impfungen, wo die Wirkung schon nach Monaten vorbei ist?"

Alexander Kekulé

Erstens die Impfung hält wahrscheinlich nicht ewig an. Wir haben einen bestimmten Covid-19-Erreger, dieses Sars-CoV-2, in der jetzigen Situation. In der jetzigen Situation wird die Impfung mit hoher Wahrscheinlichkeit die Epidemie durchbrechen in Deutschland. Ob das weltweit die Pandemie stoppt, ist fraglich. Es kann sein, dass irgendwo auf der Welt sich das Virus weiterentwickelt und Varianten entstehen, die genau mit diesem Impfstoff nicht zu stoppen sind. Da müsste man ein Jahr später den Impfstoff ein bisschen modifizieren und unter Umständen nachimpfen. Ich halte für wahrscheinlich, dass jeder, der geimpft ist, den Schutz hat, dass er in dieser Pandemie keine tödliche Erkrankung mehr kriegt.

Dann haben Sie eine Erkältung und das Immunsystem kommt damit klar, ohne dass es so eine schwere Erkrankung wird. Das wäre das Ziel der Impfung. Nicht die komplette Eradikation des Virus.

Jan Kröger

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 119. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns am Samstag wieder. Dann wieder zu einem Hörerfragen-Spezial. Bis dahin, auf Wiederhören.

Alexander Kekulé

Wiederhören, Herr Kröger.

Jan Kröger

Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns.

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Die Adresse: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 300 22 00. "Kekulés Corona-Kompass" als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das eine oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen gibt es unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell - Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 10.11.2020 #118: Biontech-Impfstoff - Durchbruch oder Hype?

Jan Kröger, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Jan Kröger

In den letzten Tagen ist viel von Impfungen die Rede gewesen. Sogar von einem Durchbruch beim Impfstoff. Aber wie weit sind wir wirklich?

Die mutierte Variante des Coronavirus in Dänemark. Wie gefährlich ist es?

Sind Schwangere nach neuesten Erkenntnissen auch als Risikogruppe zu betrachten und sollten folglich besonders vorsichtig sein zu arbeiten?

Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Jan Kröger, Reporter und Moderator beim Nachrichtenradio MDR Aktuell. In dieser Woche bin ich Ihr Ansprechpartner für die vielen Fragen, die Sie uns zuschicken. Camillo Schumann hat ein paar Tage Urlaub und ist dann ab kommendem Dienstag wieder für Sie da. Nichts geändert hat sich aber bei der Hauptperson unseres Podcasts, dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Kröger.

Jan Kröger

Herr Kekulé, das war gestern eine Meldung, auf die vielleicht viele gewartet haben. Manche haben von einem Durchbruch gesprochen. Das Pharmaunternehmen Biontech meldet eine 90%ige Wirksamkeit bei seinem Impfstoff. Was

genau bedeutet das, was die jetzt vorgelegt haben?

[0:01:31]

Alexander Kekulé

Das war der lange erwartete Zwischenbericht aus der Studie, die die schon länger offengelegt haben. Das ist ja eine von elf Phase-III-Studien, die weltweit laufen. Und man muss sagen, dass Pfizer und Biontech jetzt mit der Studie die Spitzenposition von den elf Studien eingenommen haben. Das sieht tatsächlich sehr gut aus. Das ist ein experimen- teller Impfstoff. Die haben ein RNA-Molekül genommen und das zum Impfstoff um- funktioniert in gewisser Weise. Man spritzt es einem Menschen und der produziert dann selber ein Protein, was so ähnlich aussieht wie die Oberfläche von diesem Sars-CoV-2-Virus. Das Immunsystem reagiert darauf. Das ist ein ganz moderner Ansatz, hat es noch nie gegeben und gibt auch keinen einzigen Impfstoff, der jemals so funktioniert hat. Deshalb war das sehr spannend, ob das überhaupt halbwegs funktioniert. Und jetzt mit 90% Schutz, das sieht also sehr, sehr gut aus.

Jan Kröger

Nun haben Sie auch gesagt und auch das Unternehmen hat gesagt, es handelt sich um ein Zwischenergebnis. Was bedeutet das genau?

Alexander Kekulé

Man rechnet bei solchen Studien erst mal aus, wie viele positive Fälle brauche ich, um in Effekt zu sehen? Man muss sich das so vorstellen: Da werden einige Zehntausend Menschen geimpft. Die Hälfte davon mit einem richtigen Impfstoff und die andere Hälfte mit einem Placebo. In dem Fall hatte man mal angefangen mit einer Idee von 30.000. Das war das Minimum, was man brauchte, aus statistischen Gründen, um einen Effekt gut zeigen zu können. Aber da hat dem Unternehmen erst mal in die Hände gespielt, dass die Pandemie einfach so schlimm weitergeht. Vor allem in den USA, wo dieser Impfstoff hauptsächlich getestet wurde. Sodass man jetzt sogar bei etwas über 43.000 ist. Man hat also relativ viele Kandidaten.

Da werden dann immer so Zwischen-

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auswertungen gemacht. In dem Fall ganz interessant: die erste Zwischenauswertung. Da sollte eigentlich ausgewertet werden, wenn man die ersten 32 Infizierten hat in der ganzen Population. Das hat man einfach übersprungen, aus verschiedenen Gründen. Hauptsächlich weil Kritiker gesagt haben, das Ergebnis sei dann noch zu unsicher. Die nächste Stufe, die dann eigentlich geplant war, war bei 62 Fällen. Also doch relativ viele Fälle. So kann man statistisch schon mal irgendetwas sagen. Und aktuell hat am Sonntag das Komitee, was diese Daten dann feierlich öffnet und sich anschaut, sogar auf 94 Fälle blicken können. Auf Basis dieser 94 Infizierten in der Gesamtpopulation der Geimpften kann man also feststellen, welcher Anteil war geimpft und welche Anteil war nicht geimpft. Anhand dieser Zahlen kann man relativ klar sagen, wenn es 90% Wirksamkeit ist, dann können von diesen 64 höchstens sechs oder sieben geimpft gewesen sein. Das ist schon toll, dass in der Gruppe, die geimpft war, nur ein Zehntel der Menschen sich infiziert haben als in der Gruppe, die nicht geimpft war. Das ist ein sehr, sehr deutlicher Hinweis darauf, dass das funktioniert.

[0:04:41]

Jan Kröger

Was halten Sie von diesen teils schon euphorischen Bewertungen wie "Durchbruch"? Oder ein Virologe aus New York wurde da zitiert mit der Äußerung, das sei die beste Nachricht seit dem 10. Januar.

[0:04:52]

Alexander Kekulé

(lacht) Pfizer hat das ja schon lange angekündigt, das ist klar. Und die Daten dieser Studien waren offen gelegt. Das wurde immer gesagt, Ende Oktober gibt es die Ergebnisse. Und das sind jetzt die Ergebnisse. Man könnte sagen, es läuft wie am Schnürchen. Es ist nichts schiefgegangen soweit. Ich vergleiche so was immer mit einem Autorennen. Wenn überhaupt noch jemand im Rennen ist und nicht irgendwo aus der Kurve geflogen ist, dann freue ich mich schon. Das heißt aber noch lange nicht, dass einer durchs Ziel gefahren ist. So sind wir hier in der Situation, dass also Pfizer und Biontech wirklich 100 % im

Plan liegen. Das ist nicht ganz trivial. Weil das so ein experimenteller Impfstoff ist. Und dass der vor allem so gut wirkt. 90 %, das ist wirklich viel und wäre völlig ausreichend.

Wenn jetzt schon so ein Hype gestartet wird, muss man leider auch sagen, das ist ja ein Zwischenergebnis. Das wird dann noch einmal nachjustiert, wenn die endgültigen Daten vorliegen. Das wird so ungefähr noch drei Wochen dauern. Weil es so wahnsinnig viele Infektionen in den USA gibt, wird man relativ bald so weit sein, dass man an die volle Zahl für diese Studie zusammen hat. Das sollten 164 Fälle sein insgesamt. Und was man auch noch nicht hat, ist die abschließende Sicherheitsbewertung. Da ist gesagt worden von der amerikanischen Aufsichtsbehörde FDA, dass man mindestens zwei Monate nach der letzten Impfung die Patienten oder die Probanden in dem Fall beobachtet haben muss, um zu sagen, wie viel Nebenwirkungen dieser Impfstoff hat. Bis jetzt wurden angeblich keine Nebenwirkungen beobachtet oder keine relevanten. Das ist ein gutes Zeichen. Man muss auch sagen, das ist eine Mitteilung des Herstellers. Das ist noch keine wissenschaftlich überprüfte Publikation. Ich bin da aber sehr optimistisch, dass sie die Wahrheit sagen. Das wäre politisch extrem ungeschickt, jetzt Hoffnungen zu wecken, zuzusehen, wie die Aktienkurse hochgehen und hinterher sich widerlegen zu lassen von irgendwelchen Fachleuten. Das halte ich in dem Fall für unwahrscheinlich, dass das Ergebnis noch mal sehr stark verändert wird.

[0:07:05]

Jan Kröger

Über die Politik sprechen wir gleich noch einmal. Noch zum Nachfragen: Sie sprechen von einem experimentellen Impfstoff. Wir haben auch schon im Verlauf dieses Podcasts öfter über diese RNA-Technik dort gesprochen. Wie genau soll dieser Impfstoff dann im Körper wirken?

[0:07:20]

Alexander Kekulé

Ein normaler Impfstoff funktioniert ja so, dass man ein Virus hat, was man abtötet oder irgendwie inaktiv macht, dass es keine schwere Krankheit mehr machen kann. Und dann spritzt

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man das als Impfung. So haben die Impfstoffe eigentlich klassisch immer funktioniert früher. Das Immunsystem sieht dann dieses halbtote Virus und reagiert aber so ähnlich, als wenn ein echtes Virus oder ein funktionierendes Virus da wäre. Es reagiert dann mit Antikörpern und mit sogenannten zytotoxischen T-Zellen. Die können dann Zellen angreifen, in denen sich das Virus versteckt hält.

Diesen klassischen Prozess hat man jetzt um eine Stufe erweitert. Man hat gesagt, wir geben da gar nicht das tote Virus oder auch Bestandteile von dem Virus rein. Sondern quasi nur die Gebrauchsanweisung, wie man das Virus herstellt, in Form einer sogenannten RNA. Diese Gebrauchsanweisung wird durch kleine Fetttröpfchen, in denen das eingepackt ist, sogenannte Lipid-Nanopartikel, aufgenommen von den Zellen an der Stelle, wo man das gespritzt hat. Also irgendwelche Immunzellen, die dort unterwegs sind hauptsächlich. Die fangen an, nach der Gebrauchsanweisung Bestandteile des Virus zu produzieren. Dann kommen die Immunzellen vorbei und sagen: "Hoppla, da sind ja Virusbestandteile." Also dieses Spike-Protein, dieses Oberflächenproteinen des Virus. "Da müssen wir etwas tun." Die fangen an, Antikörper zu produzieren, giftige Zellen zu laden, quasi, dass die sich dagegen wehren können. Das nennen wir Immunantwort. Etwas verzögert kriegt man sozusagen die Antwort. Warum ist das so wichtig oder so interessant, das so um die Ecke zu machen? Aus zwei Gründen. Der eine ist, diese RNA-Impfstoffe, da kann man Unmengen in kurzer Zeit herstellen. Das war der Grund, warum man das hier gemacht hat. Wenn man quasi tote Viren spritzen will, muss man die erst mal anzüchten, da muss man sie sicher abtöten und solche Dinge. Man muss auch prüfen, dass der Impfstoff wirklich sicher ist. Bei diesen RNA- Impfstoffen kann man sehr, sehr große Mengen in kurzer Zeit produzieren. Der andere Vorteil ist, falls das Virus sich im Lauf der Strecke verändern sollte. Wenn wir jetzt irgendwann anfangen zu impfen, ist damit zu rechnen, dass das Virus sich genetisch verändert. Weil die Weichen quasi dann aus, wenn die Population teilweise immun ist. Dann gibt es mehr Veränderungen bei dem Virus. Dann kann man so einen RNA-Impfstoff viel

schneller nachjustieren. Da kann man ein bisschen was ändern, damit es dann doch wieder passt auf das mutierte Virus. Das sind so die Vorteile. Der Nachteil ist, dieses Material muss auf minus 80°C gekühlt werden beim Transport. Das ist natürlich eine logistische Herausforderung. Das kann man nicht einfach so als Päckchen verschicken, sondern im großen Stil. Falls dass der Impfstoff sein sollte, mit dem man arbeitet ... Es gibt eben noch zehn andere. Aber falls man den im großen Stil einsetzt, wäre es so, dass man bei minus 80°C ultra-tiefgekühlt die Impfstoffdosen transportieren muss.

Das ist nicht von Pappe. Das ist ein schwieriges Unterfangen.

[0:10:29]

Jan Kröger

Über Impfstoffverteilung ist auch in Deutschland in den letzten Tag viel geredet worden. Kommen wir gleich dazu. Was mich noch interessiert hatte: Die Zulassung in den USA könnte in wenigen Wochen erfolgen. In Europa wird es länger dauern. Worin liegt der Unterschied?

[0:10:42]

Alexander Kekulé

In den USA haben sie diese Notfallzulassung. Die ist aber noch gar nicht beantragt. Das macht man normalerweise nicht so, dass man da wartet, bis man fertig ist und das wie Kai aus der Kiste holt. Sondern da sind die Leute in engem Kontakt mit der Zulassungsbehörde, sowohl in den USA als auch natürlich in Deutschland. Biontech ist ein Unternehmen in Mainz. Es ist so, dass in den USA quasi abgesprochen wurde mit der FDA, dass man gesagt hat, man will diese zwei Monate Sicherheitsdaten sehen. In Deutschland ist es eine europäische Zulassung, die man braucht. Da sind die Behörden einfach insgesamt gründlicher und brauchen ein bisschen länger. Das wird sich aber nicht wesentlich unter- scheiden. Es kann sogar sein, dass es am Ende des Tages dann im mehr oder minder zugleich zum Einsatz kommt. Hier ist eher ein Nachteil, dass die USA unter dem ehemaligen Präsidenten Trump schon im Juli einen Vertrag geschlossen haben mit Pfizer. Dafür, dass sie 100 Millionen Dosen kriegen. Man muss

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zweimal spritzen. Das wäre für 50 Millionen Menschen. Für diesen Vertrag haben sie, stand zumindest in den Zeitungen, fast 2 Milliarden US-Dollar gezahlt. Der Deal ist unterschrieben. Im Gegensatz dazu hat Europa eigentlich noch keinen Vertrag und verhandelt immer noch. Das könnte eher ein Problem werden. Diese Studie ist hauptsächlich an Probanden in den USA gemacht worden. Das liegt nicht daran, dass wir hier keine Fälle hätten, sondern da gibt es verschiedene Gründe. Der wichtigste ist wahrscheinlich, in den USA ist es zulässig, solche Studien auch bei Jugendlichen zu machen, bis zu einem Alter von zwölf Jahren. Unter zwölf Jahre ist da bis jetzt noch gar nichts gemacht worden.

Auch ein wichtiger Punkt bei dieser Studie: Man hat das nicht mit Kindern gemacht. In Europa ist die Grenze für solche Studien aber 18 Jahre. Das heißt also, man hat das ganz bewusst in den USA gemacht, weil man da auch jüngere Menschen mit testen kann. Ich nehme an, dass dort, wo die Studie gemacht wurde, wahrscheinlich auch die ersten Dosen ausgeteilt werden. Zumal die Amerikaner schon einen Distributionsvertrag mit Pfizer haben.

[0:12:59]

Jan Kröger

Noch ist Donald Trump übrigens nicht ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten. Bis zum 20. Januar ist er es noch. Freudscher Versprecher oder wovon kann ich jetzt ausgehen?

[0:13:08]

Alexander Kekulé

Ja, da haben Sie einen Wissenschaftler bei der Arbeit erwischt. In der Forscherszene ist Donald Trump jemand, der knallharte Fakten negiert und der auch die amerikanische Wissenschaftler stark an die Kandare genommen hat. Jetzt muss man offen sagen, nicht der beliebteste. Das ist ein Fakt. In dem Zusammenhang ist ganz interessant, Pfizer und Biontech haben eigentlich angekündigt, Ende Oktober diese Daten herauszugeben. Hier wurde im Sinne eines Vertrauensbeweises etwas Ungewöhnliches gemacht, nämlich dass man das Studienprotokoll veröffentlicht hat. Das ist nicht üblich. Ich wüsste nicht, wann es

jemals bei einer Impfstoff-Studie im Voraus gemacht wurde so detailliert. Da stand drin, dass man Ende Oktober die Zwischenergebnisse haben wird. So wie es jetzt mitgeteilt wurde, hatte man die auch, und zwar zumindest mit diesen ersten 32 Fällen beziehungsweise 62 Fällen. Jetzt, nachdem die Wahlen in den USA entschieden wurden, hat man sich doch das Ergebnis angeschaut. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Jan Kröger

Sprich, dem ungeliebten Präsidenten keine Wahlkampfmunition zu liefern.

Alexander Kekulé

Genau. Trump hatte sich im ersten Streitgespräch mit beiden konkret auf dieses Pfizer-Projekt berufen. Er hatte gesagt: "Wir werden vor dem Wahltermin einen Impfstoff haben." Da wusste er offensichtlich, was da veröffentlicht worden war. Und wie durch ein Wunder wurde das eben erst kurz nach dem Wahltermin bekannt, obwohl man anhand der Zahlen zurückrechnen kann. Man hätte diese Pressekonferenz auch eine Woche vorher machen können.

Jan Kröger

Versuchen wir es mal neutral zu halten. Sie wollten sich aus dem Wahlkampf heraushalten.

Alexander Kekulé

Selbstverständlich, das würde ich auch so sehen. Die haben sich sicherlich auch missbraucht gefühlt. Da gibt es diese Operation Warp Speed. Da hat Trump immer so getan, als seien es alles seine Leute, die da die Forschung machen.

In der Tat ist es so: In den USA gibt es ein Unternehmen, das heißt Moderna in der Bay Area bei San Francisco. Die machen ganz was Ähnliches. Das ist quasi der direkte Wett- bewerber von Biontech. Die machen auch einen RNA-Impfstoff. Die haben sehr viele Mittel von der US-Bundesregierung bekommen bei dieser Operation Warp Speed. Pfizer und Biontech haben am Montag ganz dringend noch einmal darauf hingewiesen, dass sie für Forschung und Entwicklung keinen Cent von den USA bekommen haben. Sie haben lediglich

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diesen Auslieferungsvertrag. Das ist ein Unterschied, ob man Fördermittel vom Staat kriegt oder ob man nur einen Vertrag geschlossen hat.

Man sieht deutlich, sie gehen auf Distanz. Und es war ihnen sicherlich auch unangenehm, dass sie so für den Wahlkampf eingespannt werden sollten.

[0:16:01]

Jan Kröger

Dann blicken wir mal auf die deutsche Situation. Gestern gab es diese Meldung von Pfizer und Biontech. Aber auch in den Tagen zuvor wurde schon viel über Impfungen, über Impfstoffe geredet. Das lag daran, dass die Gesundheitsminister von Bund und Ländern sich auf eine Impfstrategie geeinigt hatten. Dann hat sich auch noch die Bundeskanzlerin am Sonntag folgendermaßen geäußert:

[0:16:19]

Angela Merkel

"Die Vorbereitungen für die Impfung laufen. Auch die Länder planen jetzt Impfzentren. So werden wir dann schauen, wie viel Impfstoff wir zur Verfügung haben, wie lange dieser Impfstoff immunisiert. Das ist die zentrale Aufgabe, dass wir sozusagen die Bevölkerung insgesamt immun gegen das Virus machen wollen."

[0:16:37]

Jan Kröger

Nun wissen wir aus der politischen Bericht- erstattung, allzu oft äußert sich Angela Merkel nicht ungefragt zu solchen Themen. Das war auch nicht ungefragt. Das war der Tag der offenen Tür der Bundesregierung, virtuell. Aber das Ganze in den letzten Tagen vermit- telte ein Gefühl von: Geht es jetzt doch bald los?

[0:16:56]

Alexander Kekulé

Die werden dieses Jahr, wenn es gut läuft, 30 bis 40 Millionen Dosen produzieren. Das heißt, man kann dann 15 bis 20 Millionen Menschen dieses Jahr impfen. Das ist die Zahl weltweit. Wobei es auch Staaten wie die USA gibt, die klare Verträge schon haben. Bei anderen weiß ich es nicht genau. Ich nehme jetzt nicht an,

dass in Deutschland dieses Jahr schon die Impfungen losgehen. Nächstes Jahr werden wir sicherlich irgendwann dran sein. Da muss man sich klar darüber unterhalten, wann wer die ersten Dosen bekommt. Meine Prognose war, dass im April angefangen wird zu impfen im größerem Stil. Außerhalb von Studien bei uns. Ich gehe davon aus, dass es dabei bleibt. Es muss ja noch produziert werden. Das muss zugelassen werden. Die Europäische Arzneimittelbehörde muss sich die Daten genauer ansehen. Wenn die im April anfangen zu impfen, dann ist das schon gut. Das wird bei diesem Zeitplan bleiben. Dann wird man sehen, wie gut der Impfstoff wirkt. Ich glaube, man wird ihn auf jeden Fall einsetzen. Weil auch ein Impfstoff, der möglicherweise keine besonders lang anhaltende Immunisierung hat, trotzdem toll ist in dieser Phase. Weil wir überhaupt damit das Infektionsgeschehen erst mal unterbrechen können. Selbst wenn die Impfung nicht sehr lange anhält. Die Kanzlerin hat es angesprochen. Wir haben das sehr genau beobachtet, was dort gemacht wurde. Da gab es schon die Phase-II-Studie vorher. Ich glaube, aufgrund der bisherigen Daten gibt es keinen Hinweis darauf, dass das irgendwie ein kurzzeitiger Effekt sein sollte. So eine Art Silvesterraketen- Effekt. Ich glaube, dass man zumindest für einige Monate, bis das Virus sich dann ver- ändert, eine Schutzwirkung hat. Wir haben ein paar andere Fragezeichen. Wir wissen nicht, ob es überhaupt bei Kindern wirkt. Wahrscheinlich schon. Aber wie gut, wissen wir nicht, weil es da nicht getestet ist. Die Frage, wie es dann mit der Zulassung bei Menschen unter 18 in der EU ist, beziehungs- weise unter zwölf. Das ist nicht so einfach. Wenn es dann auch nicht getestet wird, ob man es da überhaupt zulassen kann. Und ist rein formal noch nicht gezeigt, das wird immer von meinen US-Kollegen betont, ob das auch schwerste Erkrankungen und Todesfälle verhindern würde. Ja, das ist in der Studie nicht gezeigt. Aber das sage ich ganz prag- matisch: Ein Impfstoff, der eine Infektion verhindert, verhindert indirekt immer auch schwere Erkrankungen. Sodass ich eigentlich ganz optimistisch bin. Außer dass wir bei den Kindern noch nicht genau wissen. Wir wissen nicht, wie lange es wirkt. Aber es wird auf

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jeden Fall ein Impfstoff sein, den wir brauchen können. Sofern nicht plötzlich massive Nebenwirkungen auftreten.

[0:19:40]

Jan Kröger

Das sind viele Fragen, die da noch im Raum stehen. Eine Frage wurde gestern auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Und zwar, wer ist oder wer wäre zuerst dran, wenn es dann tatsächlich losgehen sollte mit der Impfung? Da haben sich wissenschaftliche Berater der Bundesregierung zu geäußert. Sprich die Leopoldina war dabei, der Deutsche Ethikrat und auch die ständige Impfkommission. Mit der Reihenfolge: erst Risikogruppen, dann die Angehörigen in medizinischen und pflegenden Berufen und als drittes weitere systemrelevante Berufe. Eine logische Einordnung?

[0:20:14]

Alexander Kekulé

Ja, was hätten Sie gemacht? (lacht) Ich meine, das haben wir in diesem Podcast sogar schon mal so gesagt, dass selbstverständlich die Leute, die alt sind und in den Heimen leben, zuerst geimpft werden. Und das Frontpersonal dann zugleich. Solche Überlegungen hatte man ganz genau so schon mal 2009 bei der Schweinegrippe angestellt. Jetzt hat sich eine große Kommission noch mal richtig Gedanken drüber gemacht und kommt zu dem sehr naheliegenden Ergebnis. Sie haben zugleich die ganzen heißen Eisen nicht angefasst. Man sagt, alte Leute in Heimen, insbesondere "Risiko- personen in Heimen" steht da drin. Weil man jetzt doch einräumt, dass auch in Deutschland eben diese Situation in den Heimen besonders gefährlich ist. Immer noch sehr gefährlich ist. Das hätte natürlich jeder so gemacht. Zweitens sagen Sie: Pflegepersonal. Und dann, um es noch einmal akademisch ganz genau zu machen, schließen Sie ein, insbesondere dann, wenn das Pflegepersonal Risikopersonen betreut oder selbst Risikoperson ist. Also sozusagen der über 70-jährige Pfleger. Und daran sieht man schon, dass ist sehr akademisch. Da hat die Politik noch einiges zu tun. Und dann kommt dieser Satz, den möchte ich vorlesen.

"Darüber hinaus sind Personen zu schützen,

die für das Gemeinwesen besonders relevante Funktionen erfüllen und nicht ohne Probleme ersetzbar sind." Ich bin sehr gespannt, wie man feststellt, welche Menschen ohne Probleme ersetzbar sind. Da hat die Politik sozusagen noch viel zu tun, zu entscheiden, wer ohne Probleme nicht ersetzbar ist. Oder den anderen zu zerti- fizieren, dass sie problemlos ersetzbar wären und deshalb nicht geimpft werden. Da ist noch viel zu tun, um das auszuarbeiten. Das ist aber auch bei der Pressekonferenz gesagt worden, dass man erst mal sozusagen die aka- demischen Leitplanken einziehen wollte. Die hätte man wahrscheinlich an jedem Mittags- tisch so formulieren können, wie der Bundes- gesundheitsminister das sich wünscht, dass die Diskussion läuft. Ich schätze, da kommt keiner zu einem anderen Ergebnis. Als dass man die Risikopersonen und die Ersthelfer zunächst impft.

Jan Kröger

Läuft bei Ihnen die Diskussion schon? Falls es noch einen Mittagstisch bei Ihnen gibt.

Alexander Kekulé

(lacht) Seit gestern Abend hatten wir noch keinen Mittagstisch. In der Tat läuft da überhaupt keine Diskussion. Weil das so völlig klar ist, dass man das nur so machen kann. Bis auf die eine Einschränkung, dass ich irgendwie finde, die Menschen nach unproblematischer Ersetzbarkeit sozusagen einzuteilen. Das finde ich jetzt auch ethisch interessant. Aber sonst ist es doch völlig klar. Sie müssen dafür sorgen, dass die Ersthelfer nicht abspringen. Das ist ja sowieso ein unzumutbarer Zustand, dass man Krankenpflegepersonal und Ärzte in den Einsatz schickt. Am Anfang hatte man nicht einmal die geeigneten Masken für die. Es kam dann zu vielen, vielen Infektionen, auch Todesfällen. Und das ist ein Glück, dass sie nicht gesagt haben: Nein, wir machen nicht mehr.

Bei der Pest sind die ja reihenweise davongelaufen, als sie gemerkt haben, die Ärzte sterben. Das waren die ersten, die die Stadt verlassen haben. Es gibt Berichte aus Venedig, wo das so war. Bei uns sind die also tapfer an der Front geblieben. Man muss natürlich die impfen, oder auch Sanitäter, die

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jetzt häufig unvermittelt in so eine Situation geraten. Die sollten natürlich das Angebot haben, geimpft zu werden. Interessant wird dann eher die nächste Stufe. Wenn man also die Altersheime durchgeimpft hat und das First Line Responder, also das Erste-Linien-Personal quasi. Was macht man dann? Es wird davon gesprochen, es gibt ja so viele andere Risiko- gruppen. Da werden sich die melden, die einen hohen Blutdruck haben, die übergewichtig sind. Dann ist die Frage, ab wie viel Über- gewicht bist du Risikoperson? Unter Umstän- den wird da eine Auseinandersetzung statt- finden. Wieso darf der mit seinem hohen Blutdruck jetzt geimpft werden? Und ich, ich habe doch Asthma, und ich nicht.

Ich kann mir auch andersrum leider auch das Gegenteil vorstellen. Die Akzeptanz für diese Impfung ist deutlich gesunken seit Anfang des Ausbruchs. Man muss sehen, wie dann die epidemische Lage ist. Der Impfstoff kommt wohl dann, wenn es wieder wärmer wird. Dann werden wieder die Fallzahlen zurückgehen. Alle werden sich wohler fühlen. Ich kann mir auch vorstellen, dass da gar nicht so die langen Schlangen sind beim Impfen.

[0:24:51]

Jan Kröger

Die Probleme, die Sie schon erwähnt haben, die hat auch der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, gestern angesprochene in dieser Pressekonferenz. Wir hören mal kurz rein:

[0:25:01]

Thomas Mertens

"Das hängt davon ab, wie viel Impfstoff zur Verfügung steht. Wie viele Ärzte letztendlich in diesen Impfzentren wirklich impfen können. Wie Transport und Logistik funktionieren werden. Es gibt also derartig viele Unbekannte in dieser Rechnung, dass Sie jetzt kein vernünftiges Ergebnis errechnen können."

[0:25:18]

Jan Kröger

Da ging es um die Frage, wie schnell es denn losgehen könnte. Also die Frage, wie viel Impfstoff steht zur Verfügung? Wie viel Personal vor allem? Thema Transport und Logistik mit dem zu kühlenden Impfstoff

hatten wir eben auch besprochen. Das sind alles Fragen, die jetzt noch nicht geklärt sind.

[0:25:34]

Alexander Kekulé

Das ist nicht geklärt. Man muss auch dazu sagen, die RNA-Impfstoffe müssen auf minus 80°C gekühlt werden. Das schafft ein normaler Kühlschrank im Gesundheitsamt nicht. Das gilt aber nicht für alle. Und ich gehe davon aus, die anderen sind auch mehr oder minder im Zeitplan. Also AstraZeneca mit Oxford ist auch im Zeitplan. Die werden auch die nächsten Wochen mit den Zwischenergebnissen kom- men, sodass wir wahrscheinlich im nächsten Jahr schon mehrere Impfstoffe zur Auswahl haben. Falls es aber dieser sein sollte, das hat Herr Mertens wahrscheinlich im Kopf gehabt, muss man überlegen, wie man den vernünftig an den Mann bringt. Weil das nicht ganz einfach ist mit dieser Ultratiefkühlung. Dazu ein Hinweis, dass man sich das vorstellen kann. Es ist eigentlich eisernes Gesetz bei solchen sogenannten Doppelblindstudien, dass der- jenige, der impft, nicht weiß, was er impft. Also, man gibt dem das in die Hand, und der sollte es verimpfen. Der soll es eigentlich nicht wissen, ob er gerade den Impfstoff oder ein Placebo vergibt. Jedes Protokoll hat hier eine Ausnahme gemacht und gesagt nein, wir wollen, dass der, der impft, wirklich weiß, was er gibt. Der Hauptgrund ist gewesen, dass diese Applikation, die Verabreichung so kompliziert ist, dass da keine Fehler passieren sollen. Da sieht man schon, die wollten also nicht einmal doppelblind arbeiten. Aus Angst, dass die Leute, wenn sie bei diesem Prozedere mit dem Tiefkühlschrank einen Fehler machen, möglicherweise das Ergebnis der Studie ver- masseln. Daran sieht man, das ist so was, da muss das Personal extra trainiert werden. Wie gesagt, ich wüsste nicht, wo die die Kühl- schränke alle hernehmen sollten. Forschungs- institute haben so was natürlich. Aber so eine normale Impfstation, einen Minus-80°C-Kühler. Das hat kaum jemand. Aber das wird man irgendwie hinkriegen. Und wie gesagt, das wird nicht der einzige Impfstoff sein, der nächstes Jahr zur Verfügung steht. Die werden so nach und nach kommen. Wenn man hoffen kann, wird es so sein, dass man die Auswahl hat. Es

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gibt noch einen anderen interessanten Aspekt. Natürlich werden dann die Sicherheitsdaten irgendwann alle bekannt sein und die Effektivitätsdaten. Jetzt wird von 90% ge- sprochen. Schauen wir mal, was am Schluss wirklich rauskommt. Es ist etwa die Hälfte der positiven Fälle jetzt ausgewertet worden. Es könnte sich die Zahl noch ein bisschen ändern. Aber jetzt stellen Sie sich vor, Sie wissen, der Impfstoff A hat weniger Nebenwirkungen und ist wirksamer. Und der Impfstoff B hat ein bis- schen mehr Nebenwirkungen, ist ein bisschen weniger wirksam. Dann wollen natürlich alle den einen und nicht den anderen Impfstoff haben. So wird es aber nicht laufen. Sondern man wird nehmen müssen, was da ist. Das wird noch eine interessante Diskussion, wenn dann gefragt wird: "Und was hast du so für einen Impfstoff gekriegt? Wie geht es dir? Wie viel Prozent wirkt deiner denn?" Schauen wir mal.

[0:28:21]

Jan Kröger

Wir haben uns noch nicht das letzte Mal über das Thema unterhalten, nehme ich an. Wir machen an dieser Stelle einen Schnitt, schauen von Deutschland nach Dänemark. Denn dort sind Nachrichten in den letzten Tagen aufgetaucht, die auch vielen unserer Hörerinnen und Hörer Sorgen machen. Stellvertretend möchte ich diese Rückmeldung hier einspielen:

[0:28:37]

Anruferin

"Herr Professor Kekulé, ich habe eine Frage zu dem mutierten Coronavirus, was in Dänemark auf den Nerzfarm aufgetreten ist. Ist es sehr gefährlich, beziehungsweise macht es unsere Impfstoffe nicht mehr wirksam? Für wie gefährlich halten Sie dieses Virus, diese Mu- tation? Und müsste man nicht die Grenze schließen zu Dänemark oder zumindest die Lkw wieder desinfizieren? Irgendwie kommt es mir vor, als würde wieder nicht rechtzeitig gehandelt werden."

[0:29:16]

Jan Kröger

Den letzten Punkt können wir vielleicht noch am schnellsten abarbeiten. Dänemark hat von

sich aus bereits die Grenze zu Deutschland geschlossen. Aber diese Frage: Wie gefährlich ist das, was dort passiert ist, im Zusammenhang mit den Nerzfarmen in Dänemark? Die Frage bleibt natürlich im Raum.

[0:29:31]

Alexander Kekulé

Nerze sind kleine Bodenräuber und beliebt als Pelzlieferanten. Es gab immer wieder schon Ausbrüche auf Nerzfarmen. Ich glaube, im Juni war das, da gab es schon einen großen Ausbruch in Holland. Es gibt mit Sicherheit auch welche in China, von denen wir nichts hören. Der weltweite Top-Nerzproduzenten ist übrigens Dänemark, die Nummer eins. Das wusste ich früher auch nicht. Dann gehört zu den größten tatsächlich Holland, Polen und China.

Man hat die Situation: Das Virus, das bei diesen Nerzen auftritt, das ist quasi eine Infektion vom Menschen auf das Tier. Einer der Tierpfleger hat das Virus, überträgt es auf das Tier. Diese Nerze sind hervorragende Virus- Überträger. Die können es untereinander verbreiten. Das breitet sich aus wie eine Lawine. Es mutiert bei diesen Tieren stark. Die geben es irgendwann im Ping-Pong-Verfahren wieder zurück an ihre Pfleger oder an den Menschen im weitesten Sinne. Das ist deshalb so gefährlich, weil das ein Riesenreservoir ist. Sie können in der dänischen Bevölkerung lange rummachen, die Infektionen zu eliminieren. Wenn Sie da ein paar Millionen Nerze leben haben ... Ich habe gelesen, das waren

17 Millionen, die sie da hatten. Wenn die zum großen Teil infiziert sind, dann haben Sie quasi in Virusreservoir im Land, von dem immer wieder das Virus überspringen kann auf den Menschen. Das ist die Hauptgefahr.

Das Virus, was von den Nerzen gekommen ist, ist zunächst mal nicht gefährlicher. Es ist weder infektiöser noch macht es schwerer Krankheiten als der Originaltyp. Aber die Hörerin hat völlig recht. Dadurch, dass das so viele Tiere sind, die sich an keine Hygieneregeln halten und keine Masken auf haben, da kann sich dieses Virus perfekt anpassen, verbessern, ändern. Und es ist tatsächlich so von 214 Fällen, die in Dänemark beim Menschen registriert wurden, seit Juni allerdings schon, haben zwölf von diesen Fällen

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nach aktuellem Stand eine genetische Veränderung. Das nennen wir "Cluster 5". Das ist also ein neues Cluster, was da aufgetreten ist. Genetisch eine neue Variante. Die ist so weit weg von dem sonst zirkulierenden Covid-19-Virus, dass die klassischen Antikörper-Essays anzeigen, dass das nicht mehr perfekt passt. Wir können neutralisierende Antikörper im Blut von Patienten feststellen, die Covid-19 durchgemacht haben. Man sieht schon, das Virus ist ein bisschen dem Immunsystem ausgewichen. Wenn es jetzt noch weitermacht bei diesen Nerzen, dann würde sich möglicherweise dort ein Typ herausmendeln, der dann selbst Geimpfte noch einmal infizieren könnte. Oder Personen, die die Krankheit durchgemacht haben, noch mal infizieren könnte. Aus dem Grund hat man sich sowohl in Holland als auch in Dänemark dazu entschlossen, die Nerze alle zu töten. Das ist natürlich ein relativ radikaler Schritt. Ich muss sagen, ich finde es richtig. Die Frage ist, warum braucht man solche Nerzfarmen überhaupt in dieser Dimension? Vielleicht kann ich noch dazu sagen, Holland ist einen Schritt weiter gegangen und hat gesagt, Ende des Jahres wird die Nerzzucht insgesamt im Land verboten. Es gibt noch andere Gründe, die dafür sprechen. Ich würde mir sehr wünschen, dass Dänemark darüber nachdenkt, das vielleicht auch zu machen. Oder Polen. Es gibt für mich keinen Grund, diese Tiere in riesengroßer Menge hier zu halten und sich damit immer wieder auch das Risiko von Infektionskrankheiten reinzufahren. Nerze sind einfach biologisch gesehen perfekte Imitate unseres Immunsystems. Man nimmt Verwandte dieser Nerze. Die heißen Frettchen. Die sind nicht ganz so bekannt. Die nimmt man schon ewig als Versuchstiere für Influenzaviren. Weil wir wissen, dass die sich so ähnlich verhalten und immunologisch wie Menschen sind. Das ist ein Risiko, die zu halten. Und natürlich auch vom Tierschutz her nicht das Beste, was wir machen.

[0:33:40]

Jan Kröger

Wenn ich zurückkomme zu der Frage, die sich daran noch anschließt. Ein Impfstoff wäre dann tatsächlich nicht mehr wirksam in jedem Fall?

[0:33:47]

Alexander Kekulé

Das wäre möglich, ja. Also bis jetzt ist es nicht so. Auch dieses "Cluster 5" ist bis jetzt nicht so weit entfernt, dass man sagen muss, da wird der Impfstoff nicht mehr wirken. Aber ja, das ist immer die Gefahr, die man hat. Dann auch der Grund, warum wir übrigens in China so intensiv suchen oder suchen sollten nach dem unbekannten Überträger dieses Virus. Da hatte ich schon mal die Hypothese in den Raum ge- stellt, dass das auch Nerzfarmen gewesen sein könnten. Oder andere Pelzfarmen in China. Weil wir wissen, dass in solchen Farmen die Tiere zusammengedrängt sind. Von dort kann so etwas immer wieder überspringen. Das heißt, aus China, wo das Virus hergekommen ist, könnte durchaus eine Variante noch mal auf den Menschen überspringen. Eine Variante, wo der Impfstoff nicht wirkt. Das Gleiche würde auch für die Nerze in Dänemark gelten. Aber wenn ich jetzt lese "Zwölf Fälle hat man in Dänemark". Das ist nicht viel. Ich hoffe doch sehr, dass die das unter Kontrolle gebracht haben. Wenn die diesen "Cluster 5" unter Kontrolle haben, ist es sowieso gegessen. Wenn nicht, dann muss man als nächstes ausnahmsweise mal proaktiv schauen und nicht sagen: "Huch, da ist ein Ausbruch. Jetzt müssen wir reagieren." Sondern man muss vorausschauend sagen, die nächsten Nerzfarmen sind gleich um die Ecke in Polen. Die sind noch voll in Betrieb. Und es gibt noch sehr viele in China und auch in anderen Ländern. Da muss man sehr, sehr konsequent jetzt gucken: Sind da auch Virusinfektionen? Ich vermute ja. Das kann kaum anders sein, weil man die Nerze sträflicherweise nicht vor den Menschen geschützt hat. Obwohl man wusste, dass dieses Sars-CoV-2 extrem infektiös für Nerze ist. Dann wird man dort auch die Tiere leider keulen müssen, bevor es zu irgendwelchen Mutationen kommt.

[0:35:31]

Jan Kröger

Ein Thema, das uns hier in Leipzig sehr beschäftigt hat in den letzten Tagen, das war die große Demonstration der Querdenken- Bewegung am Samstag. Jenseits der politischen Debatte hat sich da wieder die Formulierung eingebrannt, dass das ein

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Superspreader-Event mit Ansage gewesen sei. Stimmt's?

[0:35:48]

Alexander Kekulé

Bis jetzt wissen wir davon nichts. Superspreader-Events gibt es definitiv bisher nur in geschlossenen Räumen. Das liegt einfach an der Physik dieser kleinsten Tröpfchen, die man ausatmet und aushustet. Die können in geschlossenen Räumen so einen Nebel bilden, der eine Weile steht. So was ist schon rein physikalisch draußen kaum möglich. Da käme höchstens Tröpfcheninfektionen infrage. Und die sind dann eher so 1:1. Da muss man dann mehr als zwei Meter sich gegenüberstehen und sich laut anbrüllen, ansingen oder Ähnliches. So etwas kann natürlich bei so einer Demo passieren oder wenn die sich umarmen. Aber deswegen ist es kein Superspreader. Dann haben Sie ja nur 1:1- Infektionen. Ein Superspreader-Event ist dadurch definiert, dass eine Person es schafft, 50 oder so auf einmal zu infizieren. Da sehe ich jetzt eigentlich keine Hinweise darauf. Das wäre übrigens auch weltweit das erste Open- Air-Superspreader-Event. Ausgerechnet auf dem Augustusplatz in Leipzig. Ich glaube das eher nicht.

[0:36:56]

Jan Kröger

Für uns als Leipziger hat sich natürlich die Frage gestellt, bei dem, was alles gerade verboten ist. Das hingegen ist wiederum erlaubt. Droht da eine Schieflage bei der Akzeptanz der Maßnahmen?

[0:37:08]

Alexander Kekulé

Ja, politisch ist es eher die Frage, warum das Oberverwaltungsgericht des erlaubt hat. Es war ja klar, dass die sich nicht an die Regeln halten. Ich glaube, dass das ein schlechtes Signal war. Einen Schritt weiter gedacht haben wir in Deutschland zurzeit das Problem, dass die Verwaltungsgerichte überall die Entscheidungen der Behörden nachprüfen müssen. Nachdem sich die Wissenschaftler nicht immer hundertprozentig einig waren und mit der Politik irgendwie einen Modus gefunden haben, sitzen dann am Schluss

gelernte Juristen da. Sie sollen entscheiden, wie gefährlich in welcher Situation des Virus ist. Und das auch noch in Eilverfahren. Das wird zu einer Schieflage führen. Das sieht man jetzt auch schon. Das eigene Verwaltungs- gericht entscheidet so, dass andere ent- scheidet so. Aber je nachdem, wen die sich das schnell als Sachverständigen holen. Ich kann auch sagen, dass die renommierteren Fach- leute bei so etwas natürlich nicht als Sach- verständige zur Verfügung stehen. Weil das können Sie nicht ruckzuck bei 30 Verfahren, die irgendwo bundesweit laufen, überall Gutachten schreiben. Das heißt, es ist quali- tativ eigentlich so ein Knick in der ganzen Schiene. Am Anfang versucht man sich Mühe zu geben. Das Robert Koch-Institut gibt sich Mühe, da gute Empfehlungen zu machen. Die Politik bemüht sich, einen Kompromiss zu finden. Und dann sitzen am Schluss Richter, die es wieder anders sehen.

[0:38:34]

Jan Kröger

Kommen wir abschließend zu den Hörerfragen. Da fange ich mal an. Kommt auch aus Leipzig. Frau S., eine Tierärztin, hat uns geschrieben:

"Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, in einem Beitrag in der letzten Woche sagten Sie, dass die Testlabore am Limit sind. Warum werden die veterinärmedizinischen Labore dafür nichts genutzt? Es gibt genügend Labore, die erstens, große Erfahrungen beim Massentests haben. Zweitens, die technischen Voraussetzungen und zuletzt auch die Nachtarbeit zur Routine gehört. Die Labore haben mehrfach ihre Mitarbeit angeboten. Mit freundlichen Grüßen."

[0:39:04]

Alexander Kekulé

Das ist kompliziert. Erstens brauchen veterinär- medizinische Labore dann eine spezielle Zulas- sung. Das geht in beiden Richtungen. Man muss als humanmedizinisches Labor eine Sonderzulassung haben, wenn man veterinäre Untersuchungen machen will und umgekehrt. Da könnte man als Laborarzt sagen, ist doch irgendwie das Gleiche. Ob das Blut jetzt vom Menschen oder vom Tier kommt oder die Probe. Aber so ist es in Deutschland, dass das

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unterschiedliche Zulassungen sind. Außerdem ist es meines Wissens nach nicht so, dass diese speziellen Maschinen und die speziellen Tests für das Sars-CoV-2-Virus, diese PCR-Tests, dass die in ganz großem Stil in den Veterinärlaboren laufen. Das ist dort eher ungewöhnlich, weil die Fragestellungen einfach anders sind. Klar, ich glaube, dass man irgendwo schon Kapa- zitäten noch heben könnte. Rein theoretisch. Das naheliegendere wäre, die Annahmezeiten der Labore, die es schon gibt im humanmed- izinischen Bereich, zu erweitern. Da hatte ich übrigens letztes Mal ein bisschen ungeschickt gesagt: "Um vier lassen die MTAs die Pipette fallen." Oder so. Da gab es eine Hörerin, die sich beschwert hatte, zu recht.

Jan Kröger

Mehrere muss ich sagen.

Alexander Kekulé

Da möchte ich mich entschuldigen. Das ging natürlich überhaupt nicht gegen die Mit- arbeiter oder Mitarbeiterinnen. Sondern die Annahmezeiten dieser Labore sind, sage ich mal, ökonomischen Faktoren geschuldet. Und auch dem Personalschlüssel, den man nun mal hat. Deshalb hören die häufig nachmittags auf, wenn sie nicht gerade an der Uni sind. Und sie haben häufig am Wochenende keine An- nahmezeiten. Ich würde eher dazu tendieren, bevor man jetzt neue Labor, die dann die Tests auch wieder etablieren müssen, die dann auch wieder Ringversuche machen müssen und Qualitätssicherung machen müssen, dass die Tests richtig laufen. Bevor man sozusagen da aufbohrt, wäre es eher naheliegend, dass man aus anderen Laboren Personal rekrutiert. So machen wir das übrigens an der Uni in Halle auch. Meine Erfahrung ist, dass die da sehr bereitwillig auch Unterstützung leisten. Und dass man sagt, in den Laboren, wo das sowieso stattfindet, wo die Maschinen stehen, um das zu machen, da fährt man eine Extraschicht und arbeitet abends mal länger. Die Maschinen tut es nicht weh, wenn sie Tag und Nacht oder auch mal am Wochenende arbeiten. Ich glaube, dass man damit die Kapazitäten in Deutschland erheblich erweitern könnte, wenn man die Maschinen voll auslasten würde. Der nächste Engpass, der nach dem Personal kommen würde, wäre nicht die Maschinen.

Sondern der nächste Engpass wäre, ob die Reagenzien, also die Chemikalien reichen, die man dafür braucht. Das würde ich aber zunächst mal drauf ankommen lassen. Mein Credo ist, dass ich sage, wir müssen diese Kapazitäten dramatisch weiter ausweiten, um durch den Winter zu kommen.

[0:41:55]

Jan Kröger

Eine Antwort an Frau S. und eine Entschuldigung an viele andere unserer Hörerinnen und Hörer. Dann hören wir uns mal an, was S. gefragt hat. Sie hat nämlich ein Problem, weil sie mit einer Fahrgemeinschaft zur Arbeit kommen muss.

[0:42:08]

Anruferin

"Nach einer beruflichen Versetzung müsste ich mehrere Stunden mit einem Kollegen bei der Heimfahrt im Auto zusammen sitzen. Ich trage eine FFP-Maske, er eine einfache Maske. Ich bin Risikopatientin und um meine Gesundheit besorgt. Ich überlege, die Fahrt abzulehnen, könnte allerdings mit einem Arbeitgeber Probleme bekommen. Ist aus Sicht des Herrn Kekulé meine Sorge unberechtigt?"

Alexander Kekulé

Da kann man grundsätzlich sagen, wenn jemand eine richtig sitzende FFP2-Maske hat in dem öffentlichen Verkehrsmittel und die währenddessen nicht absetzt, dann ist es sehr sicher. Das reicht aus, auch für jemanden, der Risikoperson oder Risikopatient ist. Da kann man sich kaum infizieren. Das hat ja 95% Wirksamkeit, so eine Maske. 95% der Partikel werden aufgehalten. Das heißt also, man reduziert das Infektionsrisiko um den Faktor 20 ungefähr. Das ist völlig ausreichend in so einer Situation. FFP2-Masken werden auch vom medizinischen Personal getragen, wenn sie hochinfektiöse, schwerstkranke Covid- Patienten vor sich haben, die wirklich große Mengen von Viren ausscheiden. Auch in diesen Situationen verlässt man sich da drauf. Darum würde ich sagen, für die öffentlichen Verkehrsmittel reicht es allemal.

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[0:43:28]

Jan Kröger

Eine Hörerfrage schaffen wir noch. Und zwar hat uns die hier erreicht:

"Schwangere gelten laut einer jüngsten Studie nun doch als Risikogruppe, auch wenn das RKI dies im Gegensatz zum CDC, also der amerikanischen Seuchenschutzbehörde, nicht angibt. Wie Sie, Herr Kekulé, in einer der letzten Sendungen bestätigen, ist das Infektions- geschehen an weiterführenden Schulen bislang sicher unterschätzt. Jeder Lehrer wird be- stätigen, dass trotz vorgeschriebener Lüftung und Masken in jeder Schule aber auch der Kontakt zwischen Schülern und Lehrern eine Infektionsquelle darstellt. Nun die Frage: Sollten Schwangere nach diesem neuesten Studienergebnissen zurzeit an weiterführenden Schulen oder in vergleichbaren beruflichen Situation arbeiten?"

[0:44:07]

Alexander Kekulé

Wir haben das Thema schon ein paarmal besprochen. Schwangere in den letzten Monaten der Schwangerschaft haben ein erhöhtes Risiko für Thrombosen. Das ist, glaube ich, jeder Schwangeren bekannt. Die beliebten Stützstrümpfe sind vielen Damen ein Gräuel. Diese Thromboseneigung ist das Hauptproblem. Weil wir wissen, dass diese Blutgerinnungsneigung ein ganz wichtiger Risikofaktor bei Covid-19 ist. Darum würde ich sagen, eine Schwangere, die im dritten Schwangerschaftsdrittel ist, ist definitiv als Risikopersonen zu betrachten. Jetzt gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Die eine Möglichkeit ist, dass man sagt, die kriegt eine FFP2-Maske und hält Abstand. Wenn die weiß, wie man diese Maske bedient. Wenn das mit dem Lehrerberuf, mit der Lehrtätigkeit vereinbar ist, dann wäre das eine Lösung. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass das in der Praxis nicht so richtig funktioniert, da vor 20 plus X Kindern zu stehen oder Jugendlichen und dann laut sprechen zu müssen durch so eine FFP2-Maske durch. Wenn das aus praktischen Gründen nicht funktioniert mit der Maske, dann würde ich die Schwangere im letzten Schwanger-

schaftsdrittel tatsächlich aus dem Unterricht rausnehmen.

[0:45:32]

Jan Kröger

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 118. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder. Bis dahin, auf Wiederhören.

Alexander Kekulé

Wiederhören, Herr Kröger.

Jan Kröger

Wenn Sie eine Frage haben, dann schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an, kostenlos unter 0800 30022 00. "Kekulés Corona-Kompass" gibt es als ausführlichen Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Und wer das eine oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte, alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen gibt es unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 07.11.2020 #117 Hörerfragen Spezial

Camillo Schumann, Moderator MDR aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

1 [0:00:03]: MDR aktuell Kekulés Corona-Kompass

2 [0:00:10]: Camillo Schumann

Was gibt's Neues vom russischen Impfstoff?

Gibt es neue Erkenntnisse zur Übertragung im Freien?

Könnten durch das häufige Desinfizieren multiresistente Keime bald ein Problem werden?

Wäre eine CO2-Ampel für Gaststätten die Lösung?

Damit herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial nur mit Ihren Fragen. Und die Antworten kommen wie immer vom Virologen und Epidemiologen, Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Frau S. aus Darmstadt hat geschrieben: „Kann man sich wirklich sicher sein, dass es nicht noch einen weiteren Übertragungsweg gibt? Zum Beispiel über Hausstaub oder Milben? Bei der Pest hat es ja auch eine Weile gedauert, bis man entdeckt hat, dass es die Ratten und Flöhe sind. Und bei der Cholera nicht die schlechten Gerüche sondern das Wasser. Gibt

es weitere Untersuchungen und Forschungen dazu? Viele Grüße.“

3 [0:01:02]: Alexander Kekulé Wir machen im Gegensatz zu den Zeiten, wo die Pest aufgetreten ist. Das war ja die große Epidemie im frühen Mittelalter, die erste Epidemie im frühen Mittelalter. Und im Gegensatz zur Cholera sind wir ja viel weiter, was die epidemiologische Beobachtung betrifft. Schon allein durch die elektronischen Medien können wir ja sehr gut erfassen, wer krank wird und wo man krank wird. Und wenn es da einen epidemiologisch relevanten Übertragungsweg gäbe, den wir übersehen hätten. Dann wüssten wir zumindest, dass wir noch eine Lücke haben. Aber alles, was wir jetzt beobachten an Epidemiologie, können wir mit dem bekannten Übertragungswegen erklären. Wir wissen nicht genau, welcher Anteil was spielt. Also zum Beispiel, wie viel wirklich durch Schmierinfektion übertragen wird, wie viele Menschen sich überhaupt seit Beginn der ganzen Pandemie durch Händeschütteln infiziert haben. Solche Sachen wissen wir nicht. Aber wir wissen schon, dass diese drei Übertragungswege, die wir hier haben, die einzigen sind, die epidemiologisch eine Rolle spielen. Also in dem Sinn, dass sie für die auf Bevölkerungsebene irgendeinen Effekt haben

[0:02:04]

Camillo Schumann

Gab ja dann auch Massenuntersuchungen etc. Das wird sich erst im Nachhinein rausstellen und untersucht werden, ob es möglicherweise noch andere Wege gab.

[0:02:14]

Alexander Kekulé

Wir wissen zum Beispiel, dass das Virus definitiv im Stuhl auch auftritt. Es ist so, dass zumindest mit der PCR man das dort regelmäßig nachweisen kann. Ist auch gar nicht ungewöhnlich für diese Art von Erkrankungen. Aber es gibt keine Hinweise darauf, dass wir eine sogenannte fäkal-orale Übertragung haben, wie es bei anderen Durchfallerkrankungen der Fall ist. Also dass man quasi vom Stuhl von jemand anders sich

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infizieren könnte. Es mag schon sein, dass im Einzelfall, wenn da jetzt besonders viele lebendige Viren noch im Stuhl hinten rauskommen. Normalerweise sind die mehr oder minder perdu, wenn die den Verdauungstrakt passiert haben. Aber im Einzelfall kann es schon mal sein, dass es zu einer Infektion kommt. Da würde ich aber viele andere Erkrankungen, die durch Stuhl übertragen werden, vorne ran schreiben. Es gibt viele Gründe, das nicht anzufassen. Da kommt es auf Covid19 nicht mehr so an.

[0:03:09]

Camillo Schumann

Meine Hündin atmet jetzt auf, wenn sie das hört.

Alexander Kekulé

Sie müssen da auch immer mit dem Schäufelchen hinterher rennen und einsammeln?

Camillo Schumann

Sie nimmt auch gern mal andere Sachen in den Mund, die wir nie in den Mund nehmen würden.

Alexander Kekulé

Ach, ja.

Camillo Schumann

Ziel der Lockdown-Maßnahmen ist es ja, dass das Gesundheitssystem nicht an seine Grenzen kommt und dass alle Patienten auch versorgt werden können. Und diese Dame hat angerufen und wollte wissen, was passiert, wenn nicht ausreichend Beatmungs-Betten vorhanden sind. Deshalb hat sie folgende Frage:

[0:03:37]

Zuhörerin

Falls Intensivbett nicht vorhanden und man bräuchte eines. Man wäre beatmungspflichtig. Gibt es aber nicht. Muss man dann den grausamen Erstickungstod durchleiden? Oder gibt es ein Medikament, das das einem nimmt? Oder würde das jetzt schon wieder in Richtung Sterbehilfe gehen? Das wäre mal meine Frage. Und ich finde, die Frage ist sehr wichtig.

[0:03:58]

Alexander Kekulé

Im Moment sind wir in Deutschland in der Lage, dass wir definitiv genug Intensivbetten haben, auch genug Beatmungsgeräte. Das würde ich jetzt mal sagen. Im Moment sieht es nicht so aus, als würden wir in die Lage kommen, wo das die Grenze wäre. Unser Flaschenhals in Deutschland ist tatsächlich das Personal auf den Intensivstationen. Weil wenn Sie nur noch eine Intensivschwester oder einen Intensiv-Pfleger haben. Für drei, vier Patienten. Normal wäre gut eins zu eins. Dann sind Sie in einer Situation, wo die überfordert werden. Wenn jetzt zwei zugleich schweres Herz- Kreislauf-Problem bekommen, oder Medikamente bekommen müssen oder Ähnliches. Dann ist das einfach die Grenze.

Wenn es so wäre, dass wir da eine Überlastung hätten. Ja, was würde man machen? Man würde wahrscheinlich trotzdem das dann ... Halt einfach den Schlüssel erweitern. Dann würde man Pflegepersonal von den allgemeinen Stationen abziehen auf die Intensivstationen. Anders geht es letztlich nicht und das dazu setzen. Und irgendwie hoffen, die Patienten durch die Beatmungszeit durchzubringen. Dass einer quasi auf dem Gang liegt und stirbt und erstickt. Das würde ich in Deutschland ehrlich gesagt für ausgeschlossen halten.

Camillo Schumann

Die Dame sprach auch ein Medikament an, was diese Zeit vielleicht überbrücken könnte, bis wieder ein Bett für die Beatmung frei ist.

Alexander Kekulé

Nein, das haben wir nicht. Das wäre ja toll. Also ich war ja lange Notarzt. Das wäre klasse, wenn man irgendetwas spritzen könnte und damit quasi die Sauerstoffsättigung im Blut vorübergehend verbessern könnte. Es gibt tatsächlich so Maschinen. ECMO heißen die. Da kann man Sauerstoff quasi durch eine Kanüle ins Blut pressen, ohne Beatmung. Die sind aber noch viel, viel knapper als die Beatmungsplätze. Und sie sind echt schwer zu bedienen. Da braucht man dann einen extra Techniker, der allein dieses Gerät bedient. Und ja, die helfen einem Teil der Covid-Patienten

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tatsächlich, wenn die in schwerster Atemnot sind, weil die Lunge so kaputt ist, dass man selbst mit der normalen Beatmung keine Luft mehr reinbringt. Dann kann man die eben ins Blut pressen quasi mit dieser Maschine. Die funktionieren. Letztlich kann man so ähnlich sagen, wie so ein Sodastream-Gerät, mit dem man Kohlensäure in Wasser reinpumpt. So ähnlich macht man das durch eine Membran, dann ins Blut. Aber das ist kein Ersatz. Sondern da ist es noch schwieriger, so einen Platz zu kriegen. Die sind noch wesentlich knapper und wesentlich aufwendiger in der Bedienung.

[0:06:27]

Camillo Schumann

Frau F. hat geschrieben: „Es wird immer mal wieder erwähnt, dass das Virus durch Mutationen oder Anpassung an den Wirt inzwischen leichter übertragbar geworden sein könnte. Was aber bedeutet genau leichter übertragbar? Viele Grüße.“

[0:06:42]

Alexander Kekulé

Leichter übertragbar heißt jetzt in der virologischen Praxis, dass weniger Viruspartikel für eine Infektion ausreichen, weil sich das Virus besser an den Rezeptor bindet. Das ist sozusagen der Klassiker für leichter übertrag- bar. Und die zweite Seite ist auf der Seite dessen, der das Virus ausscheidet: Eine höhere Menge von Viren auf den Schleimhäuten, die dann bei dem entsprechenden Singen, Atmen, Jodeln usw. abgegeben wird. Das heißt also auf der Überträger-Seite mehr Virus-Abgabe. Auf der Empfängerseite Infektion schon bei kleinerer Virusmenge. In dem Moment hat man ein leichter übertragbares Virus.

Ein weiterer Faktor ist. Dass die Übertrag- barkeit immer was damit zu tun hat, wie viele Personen einer anstecken kann. Es kommt als weiteren Faktor auch darauf an, über wie viele Tage man infektiös ist. Also die Masern zum Beispiel sind deshalb so wahnsinnig leicht übertragbar, weil man auch relativ lange an- steckend ist, also lange hohe Virusmengen ausstößt. Also die Menge und die Dauer, die man ausstößt, spielt auch noch eine Rolle. Und die Viren können sich da optimieren. Das machen die. Und dieses Sars-CoV-2 hat es

höchstwahrscheinlich ... Das war am Anfang umstritten. Aber es sieht so aus, als wäre es jetzt Fakt. Das hat sich wohl in Italien angepasst. Und dieser neue Typ, den wir jetzt weltweit haben, der ist einfach leichter übertragbar als der, der vorher da war.

Camillo Schumann

Frau G. hat angerufen. Und sie hat eine ganz kurze Frage.

[0:08:12]

Zuhörerin

Hallo, ich wüsste gern was Neues über diesen Sputnik-Impfstoff, mit dem der Herr Putin seine Tochter hat impfen lassen.

[0:08:19]

Alexander Kekulé

Also das weiß ich nicht. Das Sputnik 5. Das war ja eine kleine Gemeinheit, dass er da den Sputnik-Schock sozusagen für die Amerikaner noch einmal wiederholen wollte.

Es ist so, dass ein zweiter Impfstoff zugelassen wurde vor kurzem. Das liest man zumindest in der Presse. Der heißt EpiVacCorona. Der Sputnik 5 war ja so ein Vektor-Impfstoff, der also basiert auf Adenovirus-Vektor. Zwei ver- schiedene Typen, die dann nacheinander gegeben werden. Und der neue ist ein Unter- einheiten-Impfstoff. Der funktioniert so, dass man gentechnisch Teile dieses Spike-Proteins, was da außen aus den Viren rausragt. Teile davon nimmt man und stellt die künstlich her im Labor. Und diese Proteine oder Protein- fragmente. Die spritzt man als Impfstoff, weil man dann hofft, dass das Immunsystem denkt: „Ups, da ist ja ein Virus.“ Weil es ein Teil von diesem Virus ist. Dass das Immunsystem dann dagegen Antikörper und aggressive T-Zellen, zytotoxischen T-Zellen produziert. Aber ob diese Impfstoffe wirklich funktionieren? In welcher Menge, die produziert werden? Ob es da jetzt die angekündigten riesen Impfkampagnen wirklich gibt? Das sind so Dinge. Da müsste man ... Weiß ich nicht, ob da vielleicht der Bundesnachrichtendienst irgendwelche geheimdienstlichen Erkenntnisse darüber hat. Aber so richtig sauber sind die Angaben, die da aus solchen Ländern kommen, natürlich nicht.

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[0:09:43]

Camillo Schumann

Herrn Z. aus Herdecke hat uns geschrieben. Seit einigen Tagen herrscht in vielen Städten auch draußen Maskenpflicht. So auch in der gesamten Innenstadt von Witten. Und dies Tag und Nacht. Für die Fußgängerzone kann ich dies am Tag ja noch nachvollziehen. Aber in den Seitenstraßen sieht man nur wenige Passanten, sodass die Infektionsgefahr doch sehr gering ist. Und am Abend ist die Stadt fast so tot wie der Zentralfriedhof von Chicago. Auch in anderen Städten scheint dieses Problem zu existieren. Es wäre doch sinnvoller, das Tragen der Masken nur für bestimmte Zeiten anzuordnen. Dies würden die Menschen ja auch eher akzeptieren. Ihre Meinung dazu interessiert mich sehr. Viele Grüße.

[0:10:19]

Alexander Kekulé

Das ist wieder so eine politische Frage. Also epidemiologisch oder virologisch. Völlig klar. Masken im Freien gibt es nur in extremen Ausnahmen, wo die sinnvoll sind. Und das wäre jetzt ein wahnsinnig gedrängter Weih- nachtsmarkt oder so was. Aber den würde man sowieso nicht haben wollen, weil man da doch lieber mit der Begrenzung der, wie sagt man, der Besucherzahlen arbeiten sollte. Dass man sagt: „Okay, wir lassen nur so und so viele Leute rein.“ Das ist einfach politisch. Da muss ich vielleicht die Verantwortlichen auch in Schutz nehmen. Das ist einfach schwierig zu sagen, an den Stellen, wo wir eine echte Überfüllung sehen, die so schlimm ist, dass man face-to-face zwei Meter und Schulter zu Schulter ein Meter nicht mehr einhalten kann. Wo es also so eng wird, dass wir die Mindest- abstände nicht mehr hinkriegen. Da wollen wir die Masken. Da müssten dann in dem Fall die Gesundheitsämter vor Ort von Fall zu Fall, von Veranstaltung zu Veranstaltung entscheiden, wie es ist. Und die würden wahrscheinlich viel differenzierter vorgehen. Ganz klar. Die würden dann wahrscheinlich sagen, gut auf dem Markt von um die und die Uhrzeit ver- bieten wir das und sonst nicht. Ich könnte solche Beispiele massenweise nennen auch aus anderen Bereichen der Republik. Ich war selbst kürzlich mal irgendwo Salat kaufen auf einem Viktualienmarkt. Und da war es dann auch so:

Ich glaube, war mit meinem Sohn zusammen der einzige Kunde dort. Weit und breit niemand da. Und wir mussten aber Maske tragen, weil da so ein Schild stand: „Ab hier Maskenpflicht.“ Und ich glaube, das kostet 50 Euro Strafe, wenn man es nicht tut. Ich hätte mir diese Konsequenz eher gewünscht beim Durchgreifen bei den Gaststätten, die sich nicht an die Regeln gehalten haben.

[0:12:02]: Camillo Schumann Frau A. aus Aalen hat uns geschrieben. „Meine Frage betrifft eine besondere Problematik. Bei der Abstrich-Entnahme für den PCR Corona- virus Test. Wie kann ein Abstrich gemacht werden bei besonderen Menschen, wie zum Beispiel geistig Behinderten, bei Personen mit einer Störung im Autismus-Spektrum oder auch bei Demenzkranken, bei denen eine Kooperation bei der Probenentnahme nicht möglich ist? Gäbe es für diese Person Alter- nativen? Das würde mich sehr interessieren, da wir diese Problematik mit unserem Sohn erwarten können, wenn er mal zum Testen aufgerufen wird. Da mache ich mir schon echt Sorgen. Ich weiß, dass es nur ein Nischen- problem ist. Aber es ist für Angehörige der zu Pflegenden, der Schwerbehinderten oder Alten bestimmt eine wichtige Frage. Vielen Dank im voraus.

[0:12:47]

Alexander Kekulé

So eine Nische ist das gar nicht. Wir haben schon ganz schön viele Menschen, die einen Pflegebedarf haben in Deutschland. Schwer- behinderte oder auch alte Menschen aus verschiedenen Gründen. Aus meiner Vorstel- lung ist so: Die erste Priorität muss immer haben, das Umfeld dieser Menschen sicher zu machen. Weil die ja wirklich abhängig davon sind, dass man sorgt, dass sie in Sicherheit sind. Also dass man so jemanden testet prophylaktisch, um zu verhindern, dass er jemand anders ansteckt. Da sehe ich eigentlich nur extreme Ausnahme-Indikationen. Sondern man muss verhindern, dass diese Leute angesteckt werden durch wirklich konsequente gute Konzepte an der Stelle. Das heißt die gesamte Umwelt testen. Und diese Personen würde man nur dann testen, wenn man

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wirklich einen Krankheitsverdacht hat. Wenn es dazu gekommen ist, dass sich jemand möglicherweise infiziert hat. Was man da macht als Arzt, das ist ja dann eine dia- gnostische Maßnahme. Die wird von Ärzten gemacht ist. Dass man diesen Nasen-Rachen- Abstrich macht. Der funktioniert so, dass man einen ganz dünnen Tupfer durch die Nase einführt. Also nicht mit Mund auf wie bei den Kindern, was dort unbeliebt ist. Sondern durch die Nase. Und das geht eigentlich immer, weil die Nase kann man nicht richtig zu halten. Da muss im schlimmsten Fall jemand anders den Kopf festhalten. Und daran sehen Sie dann schon, warum ich dafür bin, das wirklich nur im äußersten Ausnahmefall zu machen. Einer fixiert den Kopf und der andere schiebt dann so einen dünnen Tupfer durch die Nase. Aber klar ist, dass Menschen, die nicht verstehen, was mit ihnen da passiert, das als viel schlim- mer empfinden als jemand, dem man das erklären kann. Eigentlich ist es nichts Schlim- mes mit diesem Tupfer in der Nase. Das haben wir Medizinstudenten uns gegenseitig gemacht im HNO-Kurs zum Üben. Aber wenn man nicht weiß, was passiert, dann hat man da wahn- sinnige Panik. Und deshalb finde ich: die Umwelt schützen und die Pflegebedürftigen oder die Bedürftigen in Ruhe lassen.

Camillo Schumann

Der P. aus Augsburg hatte angerufen.

[0:14:47]

Zuhörer

Wir tun fleißig Flächen desinfizieren. In Super- märkten, in Geschäften, in Firmen. Die Frage lautet: Tun wir uns da nicht ein weiteres Problem damit holen ins Haus? Nämlich die multiresistenten Bakterien? Haben wir dann nicht in einem Jahr oder so was ein vielleicht noch weniger noch schwieriger lösbares Problem damit?

[0:15:07]

Alexander Kekulé

Es stimmt, dass wir durch die Anwendung von Desinfektionsmitteln, wenn Sie regelmäßig immer am gleichen Platz angewendet werden, tatsächlich resistente Bakterien züchten können. So etwas gibt es im Krankenhaus. Übrigens bei resistenten Viren ist das nicht so.

Zumindest gibt es keine Studien, die ich kennen würde, wo es jetzt so ist, dass man wirklich zeigt, dass man auch resistente Viren durch Desinfektionsmittel züchten kann. Das ist eher was, was bei Bakterien und Pilzen eine Rolle spielt. Aber das sind Situationen, die eigentlich bisher nur im Krankenhaus aufge- treten sind. Wo man wirklich jeden Tag immer wieder mit dem gleichen Desinfektionsmittel die gleichen Flächen immer wieder bearbeitet. Da gibt es solche Effekte. Ich weiß nicht. Das wäre jetzt echt Spekulation zu sagen, wenn man, was weiß ich, die Griffe von den Einkaufs- wagen in den Supermärkten jetzt immer des- infiziert, ob sich dort jetzt resistente Keime bilden würden. Ich würde mal sagen, das Risiko ist nicht besonders hoch. Mag schon sein, dass dann irgendwann mal eine Studie kommt, die das irgendwo gezeigt hat. Aber ich gehe jetzt nicht davon aus, dass das für die Volksgesund- heit ein relevantes Problem in diesem Bereich wird.

[0:16:10]

Camillo Schumann

Herr H. hat uns eine Mail geschrieben. „Warum gibt es in China keine zweite Welle? Was machen die Chinesen anders als wir? Oder kommunizieren sie einfach nichts. Mit freundlichen Grüßen, Herr H.“

[0:16:23]

Alexander Kekulé

Ich dachte am Anfang auch immer, die kommunizieren nicht. Inzwischen haben sich da ... Es ist eigentlich relativ klar, die haben tatsächlich im Moment keine zweite Welle. Die sagen die Wahrheit. Deshalb muss man viel- leicht zur Erläuterung sagen, weil China ... Dadurch, dass diese Region Hongkong zu China gehört inzwischen. Und auch eng verbunden ist mit Mainland China, also Festlandchina. Dadurch ist es so, dass die kaum noch etwas verheimlichen können. Weil die Leute aus Hongkong sind notorische Whistleblower. Die sind ja bekanntlich ziemlich genervt von Peking. Und die kriegen das mit, wenn da was verheimlicht wird. Und darum gehe ich davon aus, dass wir tatsächlich erstaunlicherweise diesmal anders als bei Sars 2003 eine relativ gute Datenlage aus China haben. Für die droht ständig die zweite Welle. Also das Damokles-

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schwert der zweiten Welle schwebt über China, weil die die erste so hervorragend pariert haben. In Indien wird es nicht so bald eine zweite Welle geben. Aber die Chinesen haben es ja tatsächlich geschafft, in relativ kurzer Zeit durch, muss man sagen, absolut drakonische Maßnahmen, die man hier nie empfehlen würde, diesen Ausbruch unter Kontrolle zu bringen. Und deshalb sind ganz wenig Chinesen immun und infiziert. Und was die eben machen, da gibt es immer wieder Ausbrüche. Die rücken dann wirklich mit ganz großen Kanonen an, um das zu stoppen. So- bald irgendwo ein Ausbruch ist, wird das ganze Revier abgeriegelt. Da rückt das Militär an, da rückt die Polizei an. Da müssen alle zuhause bleiben. Und dann machen die schon mal so locker, dass die innerhalb von ein paar Wochen mal schnell 6 Millionen Einwohner von Peking vor einiger Zeit im Juni getestet haben. Das ist so diese Methode: Haben wir nicht, geht nicht. Och, die Röhrchen sind alle. Och, die Pipetten auch noch alle. Also so was hört man bei denen nicht. Sondern die ziehen das einfach knallhart durch und sind damit auch erfolg- reich. Diese Strategie heißt im Grunde genom- men eigentlich ... Es ist so eine abgewandelte Eliminations-Strategie, die die da fahren. Stamping out sagt man dazu. Das heißt also, sobald irgendwo quasi die glimmende Zigarette liegt, rückt der Panzer an und tritt die aus. Für die Bevölkerung ist es auch nicht so lustig. Aber man muss vielleicht auch dazu sagen, das ist nichts, was wir hier übernehmen können. Ich bin ja auch dagegen. Diese Lockdowns sind ja im Grunde genommen auch übernommen worden aus Wuhan. Selbst das Wort stammt von dort. Ich glaube, dass wir das in Europa nicht leisten können, dass das auch nicht unserer demokratischen, freien Gesell- schaft entspricht, so mit den Menschen um- zuspringen, auch mit ihren Daten. Und wir haben aber auch kulturell ... Die, die öfters mal in Asien sind, wissen das. Die haben ein anderes Verständnis. Dort ist es einfach so. Dieses Prinzip, dass das Individuum sich der Gemeinschaft unterordnet, ist wahnsinnig tief in der Erziehung drin. Zumindest im Großteil der Bevölkerung. Und darum machen die so was mit. Und bei uns sieht man ja schon, wenn es um das Maskentragen geht, dass dann sofort Demos kommen. Dass die sagen: „Nö,

das will ich nicht.“ Das ist halt unsere freie westliche Gesellschaft. Da brauchen wir andere Konzepte als wie die das in China verfolgen.

[0:19:25]

Camillo Schumann

Mit Blick auf die Uhr. Zwei Fragen wollen wir noch schaffen. Die M. hat angerufen. Ihrer Meinung nach hört man wenig über Infek- tionen in der Schule. Und sie hat ihre Ver- mutung.

[0:19:35]

Zuhörerin

Kann es nicht sein, dass in den Schulen zurzeit viel Infektionsgeschehen verdeckt oder ver- steckt abläuft? Dadurch, dass Kinder und Jugendliche symptomlos oft sind bei SARS 2? Ich habe es selber erlebt bei einem 19-jährigen Gymnasiast. Wir hätten nie erfahren, dass er positiv Covid19 war, wenn wir nicht bei der Rückreise im August vom Urlaub am Flughafen freiwillig getestet hätten. Wir waren nicht in einem Risikogebiet.

[0:20:05]

Alexander Kekulé

Ich gehe fest davon aus, dass wir in den Schulen, vor allem an den höheren Schulen, also Kinder ab 14 oder so. Dass wir in diesem Bereich ganz massives Infektionsgeschehen haben. Auch von dem, was ich höre. Es ist ja so, dass in dieser Altersgruppe sich nicht über- all an allen Schulen alle an die Regeln halten. Die sitzen im Unterricht zum Teil mit Maske. Die haben diese Masken auf dem Flur an. Zum Teil müssen sie die sogar im Hof tragen, im Schulhof. Aber alles, was außerhalb des kon- trollierten Bereichs der Schule selber passiert ... Schüler treffen sich ja auch sonst mal. Das ist eben ... Da weiß man nicht, was los ist. Und da kommt es meines Erachtens zu ganz massiven Infektionen. Das ist keine Frage. Wir haben das in den USA ja auch gesehen. In Amerika ist das ja ein bisschen anders als bei uns, dass viele Schüler von diesen Highschools auf so einem Campus zusammenwohnen. Dadurch hat man das dann besser im Blick, was die so machen. Und da ist klar gewesen: da gab es ganz mas- sive Ausbrüche. Und es wäre ein Wunder, wenn wir das in Deutschland nicht hätten. Der

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einzige Bereich, wo wir das irgendwie mit Interesse beobachten, dass es nicht zu Aus- brüchen zu kommen scheint. Das sind die Grundschulen und Kitas. Das ist ein interes- santes Phänomen, was wir im Moment noch beobachten und nicht richtig verstehen. Aber bei den älteren Kindern. Ich sag mal so 14 plus. Da müssen wir davon ausgehen, dass das eine Gruppe ist, die sozial aktiv ist und die das Virus relativ stark verbreitet.

[0:21:30]

Camillo Schumann

Eine Frage schaffen wir noch. Herr S. hat gemailt: „Warum werden in geschlossenen Räumen, Restaurants, Bars etc. eigentlich keine verbindlichen Luftwerte festgelegt? CO2- Ampeln sind einfach zu installieren und könnten akustisch warnen, wenn die Luftqualität zu schlecht wird. Viele Grüße.“

[0:21:49

Alexander Kekulé

Das könnte man so machen. Den Vorschlag gibt es ja schon. Das ist eigentlich ganz ver- nünftig, das mit dem CO2 zu machen als Richtwert. Andererseits glaube ich auch gar nicht, dass man in jedem Restaurant eine Ampel aufstellen muss, also ein Messgerät aufstellen muss. Weil man weiß ja, wie viele Luftwechsel ungefähr die Klimaanlage bringt. Man weiß, wie viele Personen da drinnen sind. Und dann kann man anhand dessen natürlich schon abschätzen, wie sich die ... Da gibt es Standard-Richtwerte. ... wie sich das CO2 verhalten wird. Die Menschen sind nicht so unterschiedlich. Also rein biologisch verstoff- wechselt ein 71 Kilo schwerer Mensch eine relativ klar definierte Menge CO2 oder atmet die aus. Und deshalb kann man das auch ohne konkrete Messung, sofern die Zahl der Per- sonen konstant ist, im vornherein sagen. Dass man überhaupt solche Luftwerte oder Schätzungen von solchen Luftwerten mit in die Überlegung, was gefährlich ist und was nicht, mit einbringt. Das ist meines Erachtens sehr, sehr sinnvoll. Das müsste man eigentlich dringend machen und wird meines Wissens noch viel zu wenig in die Überlegungen mit eingespielt.

[0:22:53]

Camillo Schumann

Das war Ausgabe 117 Kekulés Corona-Kompass Spezial nur mit Ihren Fragen, liebe Hörer. Herr Kekulé, vielen Dank. Nächste reguläre Ausgabe dann am Dienstag 10. November. Dann dürfen Sie sich über meinen Kollegen Jan Kröger freuen. Ich mache eine Woche Pause. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Dann wünsche ich Ihnen auch eine schöne Pause, eine gute Woche. Und kommen Sie vor allem wieder gesund zurück.

Camillo Schumann

Alle Spezial-Folgen und alle Ausgaben Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen zum Nachlesen auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 05.11.2020 #116

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Donnerstag, 5. November 2020. Fast 20.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden: Rekord. Die Labore am Limit. Das Robert-Koch-Institut hat nun seine Testkriterien geändert. Ist das ein sinnvoller Schritt? Dann: Sars-CoV-2 wurde noch nie nachgewiesen und die Tests sind überhaupt nicht zugelassen. Die Aussagen der Querdenker-Bewegung im Fakten-Check. Außerdem: Künstliche Intelligenz kann asymptomatische Virusträger am Husten erkennen. Wie funktioniert das? Und: Mit Maske auf den Spielplatz. Ist das ein sinnvoller Schritt oder eine völlig übertriebene Maßnahme?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Fast 20.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden, so viel wie noch nie. Zum Vergleich:

Am Donnerstag vor einer Woche lag die Zahl bei rund 16.700, und die sogenannte Positiven- Quote hat sich in den vergangenen zwei Monaten ungefähr verzehnfacht. In der vergangenen Woche lag sie laut RKI bei etwa 7,3 Prozent, also 7,3 Prozent der Tests waren positiv. Das ist der höchste Wert seit der ersten Aprilhälfte. Was meinen Sie, haben wir den Peak, also das Maximum erreicht, oder kommt da noch etwas?

Alexander Kekulé

Es kommt darauf an, welche Abstände Sie nehmen. Von heute auf morgen haben wir das Maximum wahrscheinlich noch nicht erreicht. Der Bremsweg ist länger, zumal wir ja dieses Mal keine Vollbremsung hingelegt haben. Aber ich bin optimistisch, dass wir am nächsten Donnerstag, wenn dann wieder dieser größere Bericht rauskommt, wir nicht mehr bei 20.000 liegen werden. Sonst hätte der Lockdown nicht funktioniert.

Camillo Schumann

Können Sie unseren Hörern vielleicht noch einmal die unterschiedlichen Geschwindigkeiten erklären?

Alexander Kekulé

Wir haben die Situation, dass die Maßnahmen immer eine gewisse Zeit brauchen, bis sie greifen. Es gab ja eine Vereinbarung der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Das musste aber dann auf Landesebene erst umgesetzt werden. Und dann müssen die Betroffenen erst mal verstanden haben, was sie machen dürfen und was nicht. Das ist ja von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, sodass es sozusagen eine Verzögerung gibt von einigen Tagen, bis überhaupt die Maßnahme greift. Ich befürchte auch, dass diesmal der Effekt eintritt, den wir sonst haben: Dass die Bevölkerung in vorauseilendem Gehorsam schon anfängt, diese Maßnahmen einzuhalten, bevor es Anordnungen gibt - ich glaube, dass das sicher diesmal auch zu beobachten ist, aber nicht mehr so drastisch wie beim letzten Mal. Beim ersten Lockdown war das ja ein massiver Effekt, dass die Menschen freiwillig etwas gemacht haben. Also das ist das erste.

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Das zweite ist dann natürlich, dass wir immer eine Verzögerung haben bei den Fällen. Jemand muss ja, wenn er Symptome hat, sich erst mal testen lassen. Wenn er getestet ist, dann muss das Ergebnis ans Robert-Koch- Institut gemeldet werden. Und das insgesamt, würde ich mal sagen, hat letztlich noch mal eine Verzögerung von etwa 10-14 Tagen, bis man so einen Effekt wirklich klar erwarten kann.

Camillo Schumann

Weil Sie die Tests angesprochen haben: Über 1,5 Millionen Tests wurden in der vergangenen Woche durchgeführt, so viel wie noch nie. Aber fast 100.000 Tests sind noch gar nicht ausgewertet. Das ist der höchste Proben- Rückstau, den es bisher gab. Gerade bei Testergebnissen kommt es ja auf Schnelligkeit an. Es gibt außerdem noch Lieferschwierigkeiten bei Reagenzien, hört man. Plastik-Verbrauchsmaterialien fehlen, auch Pipettenspitzen sogar. Die Labore scheinender wirklich am Limit zu sein. Das Robert-Koch-Institut hat nun deshalb seine nationale Teststrategie überarbeitet. Ab sofort sollen wieder nur noch Menschen mit Symptomen getestet werden und diejenigen, die mit einem Positiven Kontakt hatten. Die Länder haben da noch ein bisschen Spielraum. Herr Kekulé, ist das jetzt ein Schritt der Verzweiflung oder ein Schritt der Vernunft angesichts der Situation?

Alexander Kekulé

Manchmal liegt das nah beieinander. Es ist in gewisser Weise ein Schritt der Verzweiflung. Auch das Robert-Koch-Institut sieht inzwischen, dass es epidemiologisch viel bringt, Menschen zu testen, die zum Beispiel Kontakt hatten oder die ein anderweitiges Risiko hatten. Menschen ohne Symptome zu testen, da war das RKI am Anfang aus fachlichen Gründen dagegen. Dann hat es seine Meinung geändert und gesagt: Okay, wir halten es jetzt fachlich für notwendig. Und jetzt wird eher der Not gefolgt, indem man mit Blick auf die knappen Kapazitäten sagt: Wir müssen wieder

mehr oder minder zu den alten Regelungen zurück.

Camillo Schumann

Auf der einen Seite gibt es mit 1,5, Millionen Tests so viele Tests wie noch nie. Auf der anderen Seite melden die Labore immer wieder vorausschauend für die kommende Woche, wie viel Tests sie theoretisch anbieten könnten. Da liegen wir bei ungefähr 2 Millionen. Wir hätten also noch 500.000 drüber theoretisch. Wieso sind die Labore jetzt schon Limit?

Alexander Kekulé

Naja, das muss man sich ein bisschen mehrstufiges sich anschauen. Erst einmal vorausgeschickt: Es gab im April mal die Forderung, dass wir eine halbe Million Tests am Tag machen müssen. Da hab ich damals auch gesagt, dass das eine sinnvolle Größenordnung ist. Die Forderung kam aber meines Erachtens aus einer Arbeitsgruppe , wo der Herr Streeck mit beteiligt gewesen war. Das weiß ich nicht mehr ganz genau. Jetzt haben wir 1,5 Millionen pro Woche. Ich rechne sieben Tage die Woche. Da sehen Sie, dass da noch eine riesen Lücke klafft zwischen dem, was einige Fachleute gesagt haben, und dem, was jetzt an Kapazität da ist. Da muss man die Frage stellen, warum sind die Kapazitäten nicht erhöht worden in der Weise, wie das damals gefordert wurde mit Blick auf die Sicherung der Altenheime zum Beispiel. Und auch auf die Möglichkeit der vollständigen Nachverfolgung und auch Testung von Kontakten. Das Testinstrument ist ja wichtig geworden, seit wir die Quarantäne damit abkürzen können. Das hat einen enorm wichtigen psychologischen Effekt. Wenn wir jetzt die Menschen wieder 14 Tage in Quarantäne schicken müssen, weil nicht genug Tests da sind, da muss die Bundesregierung dann schon mal erklären, warum im letzten halben Jahr die Zahl der Tests nicht wesentlich erhöht wurde. Sie wurde zwar erhöht, aber längst nicht auf den Bereich, wo es gefordert war. Woran liegt das? Man macht das halt in einem marktwirtschaftlich orientierten System so,

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dass man die Frage stellt ja, wie viel könnt ihr denn so liefern? Und das ist das, was Sie gerade angesprochen haben. Etwa 200 Labore sind an einem völlig freiwilligen Reporting- System beteiligt und werden halt gefragt: Na, wie viel habt ihr denn so die nächsten Woche auf Lager? Dann sagen die, das hängt davon ab, wie viel Personal sie gerade haben, wie viele Leute gerade krank sind, was gerade geliefert wurde von den Lieferanten und solche Dinge. Und man muss dazusagen: Diese Labors machen das ja kraft ihrer Wassersuppe und auch aus wirtschaftlichen Überlegungen. Die Preise sind massiv gesunken. Was man verdient mit so einer PCR. So richtig lohnen tut sich das nicht mehr wie am Anfang. Und die meisten arbeiten Samstag/Sonntag schon mal gar nicht, hören nachmittags um vier oder fünf auf, da können sie dann keine Proben mehr annehmen. An Nachtschichten ist überhaupt nicht zu denken in diesem Bereich. Wer in Laboren arbeitet, arbeitet ja auch deshalb gerne im Labor und nicht zum Beispiel im Krankenhaus auf der Intensivstation, weil es im Labor nur für wenige Bedienstete überhaupt Nachtschichten gibt. Vor diesem ganzen Hintergrund trifft hier sozusagen ein staatlicher Notfall auf die allgemeinen Gesetze des Marktes. Und wenn man da fragt na, wie viel könnte so anbieten, wie viel wollt ihr letztlich anbieten? Dann kriegt man so eine Zahl. Ich glaube, man hätte viel frühzeitiger hier umschalten müssen auf staatliche Steuerung, auch wenn ich sonst Marktwirtschaft für sinnvoll halte. Aber hier in dieser Notlage hätte man sagen müssen: Wir brauchen so und so viel Tests. Wie besorgen wird die, wie beschaffen wir die? Wer bringt die ran? Und ich wiederhole es noch einmal: Ich hätte wahrscheinlich im April schon eine Turnhalle mit Medizinstudenten voll gemacht und denen eine Pipette in die Hand gedrückt, falls die Maschine nicht ausreichend arbeitet. Es gibt ja viele Möglichkeiten, so etwas dann übers Knie zu brechen, wenn man die Kapazitäten haben will. Das betrifft bis jetzt nur die PCRs. Und dann gibt es natürlich die nächste Stufe, dass diese Antigen-Schnelltests

viel zu spät gekommen sind. Deshalb sind wir jetzt in dieser Notlage. Wenn die Labore sagen, wir machen nicht mehr und der Staat sagt, gut, wir hören uns das an und wenn ihr nicht mehr macht, dann haben wir halt nicht mehr. Schade. Dann testen wir eben nicht mehr. So gewinnt man keine Schlacht.

Camillo Schumann

Auf die Antigen-Schnelltests kommen wir gleich noch einmal. Um bei den Tests zu bleiben, weil Sie es angesprochen haben: Ja, das ist ein freiwilliges Meldesystem. Am Wochenende wird nicht gearbeitet, Nachtschicht sowieso nicht. Was wäre denn der Vorteil, wenn man am Wochenende arbeiten würde? Und wenn man quasi rund um die Uhr auch 24-Stunden am Tag testen und Ergebnisse liefern würde? Was würde unterm Strich in der Bewertung dabei rumkommen?

Alexander Kekulé

Die die Maschinen, die das machen, haben ja eine gewisse Kapazität. Es gibt so einen typischen Zyklus von sechs bis acht Stunden von so einem großen Roboter, der diese PCR- Tests macht. Und da gibt es verschiedene Modelle. Die besten und schnellsten Modelle schaffen in der Zeit tausend Tests. Und da gibt es andere, die schaffen 400 Tests. Das sind dann so die zwei klassischen Kategorien. Und die meisten Labore haben einen oder zwei von diesen Kisten da stehen. Da entsteht schon die Frage, ob man dann nachmittags um fünf alles abschaltet oder ob man die Maschine Tag und Nacht laufenlässt, um die Kapazitäten voll auszulasten.

Und auch die Lagerung der Reagenzien: Da habe ich gelesen, die Labore würden aus Haltbarkeitsgründen nur für zwei Monate Reagenzien einlagern. Wenn ich so etwas lese, das tut mir schon richtig weh. Ich habe noch einmal nachschauen lassen. Diese ganzen Reagenzien haben laut Hersteller sechs Monate Haltbarkeitsdatum. Und wenn dann die offizielle Stellungnahme heißt: die haben nur zwei Monate eingelagert wegen der

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Haltbarkeit, sehen Sie so ein bisschen, wie das funktioniert. Natürlich lagern die nur zwei Monate ein, weil die wahrscheinlich nicht genug Platz haben, weil die vielleicht nicht mehr kriegen im Moment vom Hersteller und solche Dinge. Aber das sind Sachen, die man im Grunde genommen lösen kann, da muss der Hersteller eben seine Kapazitäten hochfahren. Auch dass jetzt diese Plastikteile, diese Pipettenspitzen, alle sind, erinnert mich an die Diskussion mit den Masken. Da sagte man doch auch, ich hätte nie gedacht, dass Masken mal zum Problem werden könnten. Und jetzt kommt wahrscheinlich als nächstes das Pipettenspitzen ein Problem sein könnten, hätten wir uns nie gedacht. Aber jeder, der im Labor arbeitet, weiß, dass man so etwas bevorraten muss. Und die Labore machen das, weil sie eben natürlich auch wirtschaftlich getrieben sind. Ich rede jetzt nicht von den Uni-Laboren, aber die meisten sind ja sehr stark wirtschaftlich getrieben. Und die machen das natürlich nicht so, dass sie sich für ein irres Geld für alle Fälle mal Pipettenspitzen zurücklegen. Vielmehr hätte man das staatlich des organisieren müssen.

Camillo Schumann

Noch einmal gefragt: Was würde es in der Bewertung für einen Unterschied machen, wenn ich jetzt 24-Stunden lang die Maschine laufen lasse: Habe ich dann vielleicht konstantere Ergebnisse, was die Infektionszahlen betrifft?

Alexander Kekulé

Naja, das hätte mehrere Konsequenzen. Die eine ist: Sie hätten dann dreimal so viel Kapazität, ja 3 mal 8 sind 24. Vielleicht nicht ganz dreimal so viel, aber verdoppeln könnte man es auf jeden Fall. Und in dieser Situation kämen die Testergebnisse schneller. Dann wäre auch diese Verzögerung, die wir haben, bei der Beurteilung der gesamten epidemischen Lage, nicht so lange.

Es gibt noch ein anderes Problem: Wenn jetzt die die Einschränkung des Robert-Koch- Instituts der Not folgen und sagen: Na gut,

wenn wir nicht so viel haben, dann machen wir halt die ganzen Quarantänen nicht mehr. Dann kriegen wir auch keinen konkreten Eindruck davon, was außerhalb der schweren Erkrankungen passiert. Wenn dann nur noch wirklich Erkrankte, mehr oder minder schwer Erkrankte, getestet werden, dann ist ein Problem bis hin zum Schutz der Risikogruppen. Da geht es ja auch um die Altenheime. Da muss man Menschen testen, die keine Erkrankung und keine Symptome haben, weil man sie prophylaktisch testen muss. Wenn das jetzt alles runtergefahren wird, hat es meines Erachtens schon negative Konsequenzen. Erstens bzgl. der Ausbreitung des Virus in Deutschland und zweitens bzgl. dessen, was man davon sieht.

Camillo Schumann

Weil Sie es gerade ansprachen: Die Bundesregierung hatte ihre Teststrategie überarbeitet. In den Altenheimen sollen jetzt verstärkt die Antigen-Schnelltests eingesetzt werden. Wir haben hier im Podcast ja schon relativ früh, schon zu den Anfangszeiten, über diese Schnelltest brauchen. Nun sollen diese Schnelltests quasi Teil der Lösung in den Altenheimen sein. Zu spät, noch rechtzeitig, oder was meinen Sie?

Alexander Kekulé

Nun, wenn man die ab morgen wirklich konsequent einsetzen würde, wäre es nicht zu spät. Das ist ganz klar. Und ein Antigen- Schnelltest ist besser als gar kein Test. In dem ursprünglichen Konzept, über das wir schon lange gesprochen haben, wären diese Antigen- Schnelltests Jedermann-Tests gewesen, die man sozusagen zur Herstellung eines normalen Lebens gebraucht hätte, um Kontakte im privaten Bereich abzusichern und mit dem Sportverein sicherzustellen, dass sich die Leute nicht gegenseitig anstecken, bis hin zu anderen Veranstaltungen, wo man unter Umständen nicht überall Masken tragen kann. Das wäre sozusagen hier der Schlüssel zu einem vernünftigen Leben mit diesem Virus gewesen.

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Jetzt muss man die da wohl abziehen und sagen, die brauchen wir, weil wir nicht genug PCRs haben für die Sicherung im Altenheim. Wie gesagt: Im Altenheim gilt, ein Antigentest ist besser als keiner. Aber es ist natürlich trotzdem so, dass sich im Altersheim ein Pfleger, der jetzt Covid-positiv ist aber unterhalb der Nachweisgrenze eines Antigen- Schnelltests liegt, den würde ich da eigentlich auch ungern jeden Tag im Einsatz sehen, weil die Menschen, die da sind, extrem gefährdet sind. Weil jemand, der einmal negativ war, ein paar Tage später mehr Virus ausscheiden kann. Wenn Sie das irgendwo für eine private Feier machen, kann man sagen: Na ja, gut, dann ist es ist halt im schlimmsten Fall bei einer privaten Feier mit 20 Leuten zu einer Infektion gekommen, aber es kommt nicht einem Superspreading gleich. Wenn natürlich ein jetzt jemand im Pflegebereich im Altersheim infektiös ist und es nicht gemerkt hat, weil er nur so ein Antigentest zur Verfügung hatte, dann ist das ein höheres Risiko, das man eingeht. Besser als nichts ist es. Aber optimal wäre es gewesen, man hätte von der Klassifizierung her gesagt: Nummer eins sind immer die diagnostischen Tests. Das ist wichtig, wenn man möglicherweise therapieren muss. Nummer zwei ist das Personal in Krankenhäusern. Da gilt das Gleiche, was ich gerade für das Altersheim gesagt habe.

Aber wenn dann noch Tests übrig gewesen wären –, da sind wir ja nicht, wer aber gut gewesen, wenn man zumindest das Personal im Altersheim auch noch mit der PCR überprüfen hätten können. Jetzt wird man es mit den Antigen-Tests machen. Aber da ist meines Wissens das Problem, dass wir in den meisten Altersheim noch kein abschließendes Hygienekonzept, was diese Tests einbezieht, haben. Und es wurde angekündigt, dass das im Dezember kommen soll, wenn ich es richtig verstanden habe. Kurz vor Weihnachten soll es da sein. Das ist, wenn man die Dynamik der jetzigen epidemischen Situation in Deutschland ansieht – das Robert-Koch-Instituts spricht

aktuell weiterhin von einer zunehmenden Beschleunigung, also dritte Ableitung, dann sozusagen –, dann ist vor Weihnachten ein bisschen spät.

16:26:

Camillo Schumann

Kleine private Beobachtung von meiner Gassirunde. Mit unserem Hund komme ich immer an einem Altenheim vorbei. Das war gestern Abend auch wieder der Fall. Da habe ich in das Souterrain geschaut. Da war der Pausenraum der Pflegerinnen. Da saßen 3-4 Pflegerinnen relativ eng zusammen, ohne Maske. Sie unterhielten sich und lachten. Fenster waren nicht offen. Ich habe mir dann so gedacht, ob die wohl getestet sind. Daran merkt man ja auch, dass möglicherweise auch das Problembewusstsein gar nicht so richtig da ist.

Alexander Kekulé

Das ist ja ein ganz wichtiger Baustein. Das ist erschreckend, dass wir jede Woche wieder konstatieren müssen, dass die Ausbrüche in den Altenheimen zugenommen haben, sagt das RKI. In Bremen zum Beispiel, um das noch zu verraten, ist ja bundesweit die traurige Nummer eins bei der Inzidenz, also bei den Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner. Die liegen in Bremen über 200. 50 ist die Alarmgrenze, da ist es so, dass es eine ganze Reihe von Ausbrüchen in Altersheimen gibt. Ich glaube, die haben fünf Ausbrüche in Altersheimen plus zehn einzelne Infektionen in den Altersheimen, in Bremen allein.

Und deshalb ist es ganz wichtig, dass der zweite Pfeiler das Personal ist. Das sind ja Leute, die viel schlechter bezahlt werden als im Krankenhaus. Denen muss man dringend eine Fortbildung in dem Bereich anbieten, damit sie das wirklich verstehen, worum es geht. Man muss sie auch privat absichern. Ich plädiere dafür, dass man die Familien dieser Menschen genauso ernst nimmt wie die Mitarbeiter selber. Und dass man dafür sorgt, dass auch die Kinder einer Altenpflegerin genauso mitgetestet werden. Denn es hat ja keinen

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Sinn, dass wenn diese Frau in der Familie einen positiven Fall hat und es nicht merkt, dann (das Virus) ruckzuck ins Altenheim schleppt. Deshalb müssen wir in dieser Notlage als Gesellschaft einfach solidarischer sein. Und die Leute, die wir vielleicht bis jetzt nicht so toll behandelt haben, denen müssen wir den roten Teppich ausrollen. Anders wird es nicht gehen.

Camillo Schumann

Weil sie Bremen angesprochen haben und wer sich aktuell ansteckt: Das sind eben die alten Menschen. Kurzer Blick deswegen auf die demografische Entwicklung. Wir haben schon in den letzten Wochen darüber gesprochen, dass die Personen immer älter werden. Und das hat jetzt auch noch einmal zugenommen. Die Menschen, die sich infizieren, sind die Jungen, also bis 40, und eben dann die Alten und die ganz Alten. Und da wird es dann gefährlich.

Alexander Kekulé

Es darf eben einfach auch nicht sein nach so langer Zeit. Die Zahlen sind ja bundesweit. Das kann man jeden Tag in den Nachrichten hören. Aktuell im RKI-Bericht von vorgestern waren es 124 Neuerkrankungen im Mittelwert pro Woche und 100.000 Einwohner. Aber bei den Personen, die 60 oder älter sind, waren es auch 81 von100.000. Das ist die Inzidenz zurzeit pro Woche als Mittelwert pro Woche, also tägliche Inzidenz auf die Woche gerechnet. Das ist einfach der Wahnsinn. Das kann doch nicht sein, dass die Älteren jetzt wieder so geschlagen werden. Wir wissen es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass alte Menschen, die sich mit Covid infizieren, eine hohe Chance haben, daran zu sterben. Das ist eine ganz andere Spielklasse, als wenn sich ein 40-Jähriger infiziert.

Camillo Schumann

Man muss ja auch dazu sagen, dass Deutschland nach Japan die älteste Bevölkerung der Welt hat, viele Menschen über 65. Deutschland ist eine sehr alte Gesellschaft. Und gerade deshalb ist diese Erkrankung für diesen Teil der Gesellschaft

auch so gefährlich. Und es ist auch so wichtig, dass man dann die Vorsichtsmaßnahmen einhält. Darauf hat auch der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch einmal hingewiesen. Es gibt also sehr viele ältere Menschen, die dann möglicherweise dann auch ja betroffen sein könnten.

Alexander Kekulé

Das ist genau der Punkt. Aber eben was ist ein älterer Mensch? Wenn Sie sagen über 60 ist man ein älterer Mensch ... Ich werde demnächst 62, dann müsste ich mir ernsthaft Sorgen machen. Aber wenn man eben 60 ist und keine schweren Grunderkrankungen hat, kein massives Übergewicht und sonst keine großen Risikofaktoren, dann ist man weniger gefährdet. Natürlich würde ich niemandem empfehlen, ins Risiko zu gehen freiwillig. Aber es ist ein Unterschied, ob sie wissen: Wenn es mich erwischt, wird es echt ernst. Oder ob sie sagen: Na gut, wenn wir ich auf eine gute Intensivstation komme, habe ich noch 95 Prozent Chance zu überleben. Das ist eine ganz andere Perspektive. Das machen wir doch sonst im Leben auch. Sie würden sicher nicht auf dem Motorrad setzen, wenn Sie wüssten, sie haben zu 90 Prozent die Chance, dabei zu sterben. Das macht ja keiner.

Camillo Schumann

Apropos Robert-Koch-Institut. Das hat nicht nur die Test-Hinweise überarbeitet, sondern auch seinen Steckbrief über Covid19 ergänzt und zwar mit Langzeitfolgen der Krankheit. Und wenn man diesen Steckbrief liest, spätestens dann muss einem ziemlich klar werden: Covid19 ist mit einer Influenza- Erkrankung nicht zu vergleichen und wesentlich komplexer. Das wird nun richtig deutlich, oder?

21:39:

Alexander Kekulé

Ja, das betrifft vor allem diejenigen, die schwere Verläufe haben. Man muss immer dazusagen, die allermeisten Covid19- oder Sars-CoV-2-Infektionen verlaufen ja mit wenigen oder keinen Symptomen. In dem

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Bereich würde ich sagen, ist es nicht weit weg von der Influenza, wahrscheinlich sogar schwächer als die Influenza. Eine richtige Influenza ist eine ernsthafte Erkrankung. Aber wir sehen, dass sich die Hinweise jetzt zunehmend mehren, dass es einfach ein Problem ist, dass fast die Hälfte der Hospitalisierten eine ganze Weile in die Ambulanzen muss und es hinterher nicht so schnell wieder gut geht. Und von denen, die wenige Symptome haben, gibt es auch Statistiken. Die Statistiken sind aber nicht so gut. Die geben aber Hinweise darauf, dass man in der Größenordnung von zehn Prozent länger als vier Wochen lang irgendeine Art von Betreuung braucht. Man muss allerdings auch dazusagen, das ist jetzt eine neue Krankheit. Vor der haben alle Angst, über die wird wahnsinnig viel geredet. Da wird wahnsinnig viel gemeldet, wird dokumentiert. Da wird aufgeschrieben, da wird nachgefragt, wird geforscht. Wenn man das so gründlich noch einmal bei der Influenza aufrollen würde, würden Sie auch feststellen, dass fast die Hälfte derer, die wegen Influenza im Krankenhaus waren, sich nicht so schnell wieder besser fühlen. Ich kann mich selber erinnern, mal eine schwere Influenza gehabt zu haben. Da ging es mir gefühlt mindestens einen Monat lang schlecht hinterher. Und ich hatte auch noch einmal eine andere Gelegenheit als Arzt, ich habe ich mir im Krankenhaus mal eine Lungenentzündung geholt, so eine bakterielle, ernsthafte Lungenentzündung. Ich würde mal sagen, da war ich auf jeden Fall ein halbes Jahr deutlich eingeschränkt hinterher. Und das weiß auch jeder Pulmologe, dass das so ist. Und wenn jetzt die Leute erwarten: Ist ja nur Covid, warum geht es mir nicht sofort wieder gut, dann ist es vielleicht ein bisschen auch die Erwartungshaltung auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite gibt sicherlich auch viele, die sagen, ja, jetzt hab ich noch Symptome, das muss ich unbedingt berichten, weil das ja für die Forschung wichtig ist und für die Erkenntnis der Krankheit also. Da hat man eben auch so eine Störung der Statistik,

dadurch, dass man sehr selektiv Informationen weitergibt.

Camillo Schumann

Aber es ist doch damit zu rechnen, dass die Erkenntnisse oder die Methoden, wie die Erkenntnisse gewonnen werden, jetzt bei Covid angewendet werden können. Oder dass man dann einfach noch ein bisschen genauer nachschaut bei der einen oder anderen Krankheit, die man vielleicht noch nicht so tief erforscht hat, um dort auch neue Erkenntnisse zu bekommen?

Alexander Kekulé

Ja, das glaube ich auch. Ich glaube, das ist schon so ein bisschen so Man-to-the-Moon- Projekt. Dieses Covid19, was da erforscht wurde, wird uns für viele Infektionskrankheiten und auch für die Epidemiologie und andere Ausbrüche wird uns das enorm viel helfen. Und wir werden wahrscheinlich auch auf andere Lungenerkrankungen noch einmal genauer schauen und dann vielleicht feststellen, dass die eine oder andere Lungenerkrankung auch, was wir bei Covid sehen, in anderen Organen Effekte zeigt.

Aber man muss schon sagen, dieses Virus, das Sars-CoV-2-Virus, das ist ja erst kürzlich aus dem Tierreich übergesprungen. Und das hat wie die meisten Viren, die, wenn sie aus der Fledermaus kamen, diese Besonderheit, dass es sehr viele Organe befallen kann. Und es gibt diese Rezeptoren, wo dieses Sars-Cov-2 andocken können. Die gibt es eben auch auf der in der Niere. Die gibt es in allen möglichen Blutgefäßen. Es gibt Herzerkrankungen und eine lange Liste von Organen, die mitbefallen werden können. Und das ist schon eine Besonderheit. So deutlich sehen wir das sonst eigentlich nur bei anderen Erkrankungen, die gerade kurz aus dem Tierreich übergesprungen sind. Sars von 2003 war in der Hinsicht identisch, das ist das gleiche Krankheitsbild. Aber sonst sehen wir das eigentlich nicht so oft, bei Influenza jedenfalls nicht.

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Camillo Schumann

Trotzdem die Fakten, die wir jetzt noch einmal besprochen haben, doch sehr offensichtlich sind, gibt es ja auch zunehmend Menschen, die das Virus verharmlosen, alles nicht so ernst nehmen, die Maßnahmen stark kritisieren. Und darum soll es jetzt gehen. Und zu Beginn bekommt eine Kollegin von Ihnen, die Virologin Frau Professor Dr. Melanie Brinkmann, kurz das Wort

„Ich bin es, ehrlich gesagt, etwas leid. Wir haben den Sommer damit verschwendet, darüber zu diskutieren, wie gefährlich ist das eigentlich? Funktionieren eigentlich die PCR- Tests? Ich erzähle doch auch dem Automechaniker nicht, wo der Motor an dem Auto ist, das er reparieren soll.“

26:18:

Camillo Schumann

Können Sie den Frust Ihrer Kollegin verstehen?

Alexander Kekulé

Ja, aber ... ich kann das im Prinzip verstehen. Aber, mein Gott, also ich hab ja gerade gesagt, wie alt ich bin. Und ich weiß jetzt nicht ... der erste mediale Aufreger, an die ich mich erinnere, war der Rinderwahn. Da ging es irgendwie um die Frage, ob, ob das eine Erkrankung ist, ob man tatsächlich von Rinderfleisch eine schwere neurologische Erkrankung bekommen kann. Die Diskussion laufen immer so. Und sie müssen immer alles 100-mal sagen. Das ist das, was Virologen, glaube ich, lernen müssen, wenn sie Kontakt mit den Medien haben. Beobachten Sie mal, wie oft Politiker den gleichen Satz in verschiedene Kameras sagen. Die überlegen sich am Montag, was sie die Woche über loswerden wollen. Und dann können sie das vom Montag bis Freitag auf allen Fernsehkanälen immer den gleichen Satz hören. Das gleiche Statement. So funktionieren halt Medien. Scheinbar muss man die Dinge sehr oft wiederholen, damit sie überall verdaut werden. Wie das im Detail ist, können Sie wahrscheinlich besser erklären. Aber die Frau Brinkmann nimmt da ein Phänomen wahr, das

wahrscheinlich auch Politikern am Anfang so aufgeht. Ich kann mir gut vorstellen, dass der eine oder andere am Anfang seiner Laufbahn sagt: Das habe ich doch vor zwei Monaten, am Dienstagnachmittag um zwölf schon einmal und um zwei noch einmal gesagt. Wieso soll ich es zum vierten Male wiederholen? Die gleiche Frage noch einmal, so funktionieren halt leider Medien, die erfordern eine enorme Redundanz in der Übertragung. Das hat nichts mit der Dummheit der Bevölkerung zu tun, was bei diesem Statement vorhin so ein bisschen durchgeklungen ist, und auch nichts mit Arroganz zu tun, dass man den Virologen reinreden will. Sondern das ist der schlechte Transmissionsriemen zwischen dem gesprochenen Wort und dem, was auf der anderen Seite wirklich am Schluss ankommt.

Camillo Schumann

Das ist genau das Stichwort. Wir wollen diese Informationen wiederholen. Redundanz war genau das Stichwort, was Sie gerade genannt haben. Am kommenden Wochenende zum Beispiel. Ich nenne sie mal Corona-Leugner. Die haben zu einer Demo in Leipzig aufgerufen. Auf einem Flyer wird mit vermeintlichen Fakten Stimmung gemacht. Herr oder Frau Vogt hat uns diesen Flyer geschickt und wollte nun wissen, was stimmt nun und was stimmt nicht. Greifen wir mal ein paar Punkte heraus. Und zwar die Seite mit der Überschrift „das Leben mit Corona“. Da sind mehrere Absätze. Wir wollen mal so ein paar Punkte nehmen und sie kurz erklären. Wir fangen direkt mit dem ersten Satz an: „Das Covid-19-Virus konnte weltweit bisher nicht isoliert und nachgewiesen werden.“ Da geht es schon los. Covid-19-Virus, das ist es ja gar nicht. Schon die Begrifflichkeit hapert. Es ist das Sars-CoV-2- Virus. Das machen aber auch viele Politiker falsch in der Wahrnehmung.

Alexander Kekulé

Die Krankheit und das Virus zu verwechseln finde ich jetzt nicht so schlimm. Es ist ja klar, was gemeint ist. Covid-19 ist die Erkrankung und Sars-Cov-2 heißt das Virus. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass es ein

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bisschen unglücklich von der Benennung gelaufen ist, aber so ist es halt jetzt.

Was aber wichtig ist, dass hier behauptet wird, dieser Erreger wurde noch nicht isoliert. Isolieren heißt, dass man so einen Krankheitserreger in einer Petrischale hat und alleine dort anzüchten kann. Da kann ich berichten: Die ersten Fälle sind aufgetreten, nach offizieller Lesart um Weihnachten herum in Wuhan. Am 29. Dezember letzten Jahres ist in dem virologischen Labor in Wuhan sind die ersten Proben angekommen, mehrere von mehreren Patienten. Spätestens am 7. Januar, anderen Berichten zufolge schon am 4. Januar, wurde dieses Virus isoliert. Das heißt also, man hat von Menschen Material genommen, die Erkrankungen hatten. Das war in dem Fall übrigens ein älteres Ehepaar, was sich dort gemeldet hatte. Es hatte übrigens keinen Kontakt mit dem berühmten Seafood-Market dort. Aus deren Zellmaterial hat man auf Affenzellen – da nimmt man gezüchtete Zellen und muss keinen Affen dafür töteten –, hat man das Virus dann vermehrt. Und dann haben sie gesehen: Ups, da ist ein neues Virus, ein Coronavirus, was sich vermehrt, was wir noch nicht kennen bisher. Und dann haben sie aus diesem Coronavirus aus der Erb- Informationen dieses Coronavirus ein kleines Stück rausgenommen und daraus eine sogenannte PCR, also diese PCR-Diagnostik Methode, entwickelt. Die wurde in China entwickelt, das muss man klipp und klar sagen, vom chinesischen CDC und dem virologischen Labor in Wuhan. Und die haben dann am 10. Januar diese PCR funktionstüchtig gemacht. Angeblich wurden die Daten auch der WHO geschickt, wie man das genau macht. Und diese PCR Reaktionen haben die genommen, um dann bei weiteren Patienten, die dort im Umfeld dieses Marktes in Wuhan ähnliche Symptome hatten, zu gucken, ob das Virus drin ist. Und Bingo, bei allen 15 war dieses Virus nachweisbar und keines der anderen bekannten Atemwegs-Viren. Das, finde ich, ist ein sauberer Test. Sie haben das Virus, Sie machen aus dem Virus, was sie in Reinkultur

isoliert haben, eine PCR, und mit dieser PCR gucken sie bei anderen Patienten, ob die auch dieses Virus haben. Und das ist die berühmte Publikation, wo das Virus und die PCR zum ersten Mal veröffentlicht wurde.

31:53:

Camillo Schumann

Also wurde das Virus isoliert und kann mit der PCR-Testung nachgewiesen werden. Und die Antwort auf die nächste, oder die Richtigstellung auf die nächste Behauptung war da schon mit dabei, denn die steht nämlich auf dem Flyer: „Herr Drosten hat den Test am Computer zusammengebastelt.“

Alexander Kekulé

Naja, ganz entfernt ist da was Richtig dran. Aber es ist trotzdem nicht schlecht, dass er das gemacht hat. Dann haben Sie die Sequenz, das heißt die genetische Informationen des Virus. Die wurde dann am 10. und 11. Januar weltweit publiziert. Alle konnten in der Datenbank nachschauen, welche Sequenz das ist. Und dann war es so, dass das Berliner Labor an dem Tag noch keine Probe hatte. Und da hat man in der Tat anhand dieser Gensequenz überlegt, wie könnte man das am besten nachweisen. Wie man diese PCR genau macht, ist eine Kochanleitung. Wir nennen so etwas ein Protokoll. Das können Sie sich so vorstellen: Sie haben eine Idee, wie man Spaghetti Carbonara macht. Aber wenn sie es richtig gut machen wollen, dann nehmen Sie ein Rezept dazu. Und so machen das manche Labors, dass sie sagen: Ich schaue lieber mal im Rezept, was jemand anders aufgeschrieben hat nach. Und dieses erste Rezeptes wurde von der Weltgesundheitsorganisation ein paar Tage später auf der Webseite veröffentlicht. Das ist aber trotzdem nicht irgendwie komisch zusammengebastelt, sondern da muss man sagen: Christian Drosten ist wirklich einer der weltweiten Experten für dieses Virus und für diese Art von Viren. Das kannte er natürlich noch nicht. Aber wenn er dann sagt, ich würde das jetzt so und so machen. Und er hat das damals auch abgecheckt. Das steht zumindest

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in der Publikation drinnen, die Drosten mit Malik Paris zusammen in Hongkong schrieb. Der war da als Ratgeber beteiligt und hatte das erste Sars Virus entdeckt, das Sars von 2003. Darum sage ich, er hat es schon hochprofessionell gemacht. Und der Test funktionierte auch. Es besteht kein Zweifel daran, dass der in Berlin entwickelte Test funktioniert. Und inzwischen muss man auch sagen: Wenn jetzt von der Firma Roche zum Beispiel ein Test da ist, ist das längst nicht mehr der alte erste Test, der damals gemacht wurde, der war auch von der Empfindlichkeit zu niedrig. Der war um Faktor 100 weniger empfindlich als andere. Und deshalb ist der längst weiterentwickelt worden. Man kann jetzt nicht mehr behaupten, dass die aktuellen Tests von irgendjemandem in Berlin am Computer zusammengeflickt worden wären. Das das stimmt einfach nicht.

Camillo Schumann

So, die nächste Behauptung: der Test sei nicht zugelassen und nicht geeignet für den Nachweis von Covid-19.

Alexander Kekulé

Über das geeignet haben wir, glaube ich, gerade besprochen. Das mit der Zulassung ist in der Tat in Europa ein bisschen lustig. Das sind die Medizinprodukte, rechtlich gesprochen. Und Medizinprodukte müssen in Europa noch nicht zugelassen werden. Das ist wirklich eine Schwäche. Die ist aber längst erkannt. Da war die berühmte Diskussion vor ein paar Jahren um Brustimplantate, die geplatzt sind, wo die Frauen fürchterliche Nebenwirkungen hatten. Ich meine, es gab sogar Todesfälle. Daraufhin hat man gesagt: Das ist ja eigentlich komisch, dass man jedes Arzneimittel zulassen muss. Aber wenn etwas in den Körper eingepflanzt wird nicht – und das gilt eben auch für die Labortests. Die haben in Deutschland keine oder in Europa keine echte Zulassung wie in Amerika. Sie brauchen dann ein sogenanntes CE-Zertifikat. Das können sich aber die Firmen selber erteilen. Dann müssen sie nur mitteilen, wie sie das gemacht haben. Das wird dann hinterlegt in so einer

Datenbank. Aber es gibt jetzt keine formale Zulassung, noch nicht. Ich weiß nicht genau, wie die Übergangsfristen sind. Ich meine, irgendwann ab nächstem Jahr wird das verpflichtend. Aber das Gesetz ist schon erlassen. Die Änderung ist schon beschlossen, weil das ein Unding ist. Oder andersherum gesagt: Keiner der Tests, die wir so machen, ist in dem Sinn in Deutschland zugelassen. Aber es gibt genau die gleichen Tests. Es sind ja zum großen Teil weltweite Konzerne, die das anbieten. Diese PCR-Tests sind genau die gleichen Tests wie in Amerika. Sie werden dort gemacht. Und da muss die FDP jeden einzelnen Test zulassen. Das sind dann Notfallzulassungen, und deshalb kann man sich schon darauf verlassen, dass die funktionieren.

Camillo Schumann

Und es gibt Institute, die die Teste testen, sonst würde das ja auch gar nicht funktionieren.

Alexander Kekulé

Ja, wir machen auch so Ringversuche. Das ist dann eine Art Qualitätssicherung. Alle Labore, die so etwas machen, kriegen regelmäßig so ein paar Proben geschickt von Ringversuchs- Einrichtungen. Da gibt es mehrere, wo man sich beteiligen kann. Und es gibt auch die Verpflichtung, da mitzumachen. Das kann man sich nicht freiwillig aussuchen. Da kriegen Sie so 20 Proben zugeschickt und müssen dann sagen, wo was drinnen war und wo nicht. Und wenn Sie da öfters mal falsch liegen, wird Ihnen irgendwann die Zertifizierung entzogen. Dann haben sie kein offizielles Zertifikat mehr, dass sie Labordiagnostik machen dürfen. Deshalb geben sich alle Mühe, bei diesen Ringversuchen nicht zu schlecht dazustehen.

Camillo Schumann

Zertifizierung ist noch ein separates Thema, aber das kommt ja sozusagen als Stempel noch obendrauf, den man da im Labor noch bekommt. Man läuft nicht so völlig unterm Radar, was man ja sozusagen implizit mit dieser mit dieser Behauptung ja sagt.

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Alexander Kekulé

Nein, wir laufen nicht unterm Radar. Wir reden ja jetzt nicht über Gesetzgebung für Labore. Aber klar, gibt es immer noch irgendwelche Nischen. Es gibt zum Beispiel kein Gesetz, was sagt, dass man ohne Zertifizierung nicht arbeiten dürfte und solche Sachen. Es gibt jetzt natürlich noch Lücken. Aber diese Lücken spielen hier bei Covid-19 absolut keine Rolle, weil das ja Massentests sind, die von Riesenlaboren gemacht werden. Und die sind alle auf dem Radar. Und die versuchen, sich alle Mühe zu geben, es richtig zu machen. Klar liest man auch in der Zeitung, dass der eine oder das andere schwarze Schaf mal geschlampert haben soll. Aber ich glaube, das wäre überall so, wenn man nicht so in der Beobachtung der Öffentlichkeit stehen würde.

Camillo Schumann

So eine machen wir noch. Wir haben noch ein paar andere Themen auf einem Zettel, und zwar die Behauptung auf dem Flyer. „Außerdem ist der PCR-Test nicht spezifisch, sondern erfasst auch die im Herbst üblichen, aber harmlosen Erkältungsviren.“ Die Behauptung impliziert also, dass alle positiven Corona-Test Erkältungstests seien und daher positiv zu sein nicht so schlimm ist.

Alexander Kekulé

Ganz konkret: Die PCR ist superspezifisch. Aber es gibt insgesamt vier harmlose Coronaviren, von denen drei, würde ich sagen, noch zurzeit zirkulieren. Es ist so, dass diese harmlosen Coronaviren, wenn man die PCL schlecht machen würde, Falsch-Positive mitkriegen könnte. Es ist überhaupt so, dass die PCR, wenn man das richtig macht, in zwei Stufen gemacht wird. Man guckt, ob ein ganz bestimmtes Stück der Erbinformation dieses Sars-Cov-2-Virus in der Speichelprobe vorhanden ist. Und wenn dieses Stück da ist, guckt man noch mal nach einem ganz anderen Stück. Es ist so ähnlich, als würde man bei jemandem Fingerabdrücke von zwei verschiedenen Fingern nehmen, weil man sagt: Na gut, bei einem, das könnte vielleicht mal falsch-positiv sein, deswegen nehme ich dann

noch von einer anderen Hand einen Fingerabdruck. Und wenn der auch noch stimmt, dann glaube ich einfach, dass das Virus da war. Das nennen wir Doppelt-Target- oder Dual-Target-Strategie, dass man also zwei verschiedene Targets nimmt, das 2. zur Nachprüfung, ob das erste wirklich richtig war? Wenn man diese Dual-Target-Strategie fährt, dann kommt man auf eine Spezifität von etwa 100-Prozent. Das ist dann im dem Bereich, wo man dem Ergebnis wirklich vertrauen kann bei der PCR.

Camillo Schumann

Und nach dieser Methode arbeiten ja die meisten, oder?

Alexander Kekulé

Das weiß ich nicht. Ich sage ich Ihnen ehrlich, Universitätslabor ja. Aber man liest auch in der Zeitung, es habe Labore gegeben, da gab es Vorwürfe, z.B. gegen das Schottdorf-Labor in Augsburg. Das war eines der größten Privatlabor in Deutschland. Die haben wohl nur mit Single Target getestet, wohl um Zeit zu sparen, Geld zu sparen, weil die Reagenzien alle waren. Und dann haben sie die Befunde positiv herausgegeben haben. Das kann ich nicht überprüfen. Das wäre eine Frage, die das Robert-Koch-Institut beantworten müsste.

40:27:

Camillo Schumann

Wir haben ein paar Fakten geklärt. Wenn Sie auch mal etwas geklärt haben wollen, irgendwo einen Flyer finden oder irgendeine Publikation, wo Sie sagen, das verstehe ich nicht, dann schreiben Sie uns. Die E-Mail- Adresse kommt wie immer am Ende der Sendung.

Damit kommen wir zu den neuesten Erkenntnissen aus der Wissenschaft, der auch immer ein Schwerpunktthema im Podcast ist. An dieser Stelle würde ich gern ein kleines Quiz mit Ihnen machen, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Ich bin gerne bereit. Quiz liebe ich.

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Camillo Schumann

Okay, ich mache jetzt den Pilawa hier im Podcast. Das wollte ich schon immer mal machen.

Ich spiele ihnen jetzt gleich drei Huster vor, also Menschen, die husten. Und sie müssen erkennen, wer sich mit Sars-CoV-2 infiziert hat, aber keine Symptome zeigt. Also ein asymptomatischer Virusträger.

Alexander Kekulé

Würden Sie mir noch verraten, ob die anderen beiden auch infiziert sind.

Camillo Schumann

Das sage ich Ihnen nicht.

Ich spiele Ihnen die Huster der Reihe nach vor. Am Ende müssen Sie sich festlegen. Liebe Hörer, Sie können gern mal mitmachen. Hier kommt Huster Nummer 1.

*Husten*

Das war Huster Nummer 1. Jetzt kommt Huster Nummer 2.

*Husten* So, und jetzt kommt Huster Nummer 3. *Husten*

Jetzt die Frage: Wer dieser drei Huster war ein asymptomatischer Virusträger? Was meinen Sie also?

Alexander Kekulé

Der dritte war schon mal richtig krank. Der hat wahrscheinlich gar keinen Virus gehabt. Und Nummer 1 und Nummer 2 müssen Sie mir noch einmal vorspielen.

Camillo Schumann

Dann mache ich jetzt Nummer 1 noch mal. *Husten* Das war der erste. Und jetzt kommt der 2. *Husten*

Alexander Kekulé

Hm, also das erste war der asymptomatische.

Camillo Schumann

Nein.

Mist, zum Glück gibt es bei Pilawa nicht so viel zu gewinnen. Wenn Sie gesagt hätten, wer wird Millionär, wäre ich jetzt echt frustiert.

Camillo Schumann

In diesem Podcast gibt es noch weniger zu gewinnen. Es war Nummer 2. Tatsächlich. Aber wir können ja noch mal reinhören. So hört sich ein asymptomatischer Huster an.

*Husten*

Einen asymptomatischen Huster zu erkennen ist gar nicht so einfach. Eigentlich fast unmöglich. Da sind wahrscheinlich Frequenzbereiche, die unser natürliches Ohr nicht hört, aber künstliche Intelligenz. Und darum soll es jetzt gehen, (KI) kann das unterscheiden. Das haben jetzt Wissenschaftler bewiesen. Sie haben tausende Sprach- und auch Husten-Aufnahmen ausgewertet und tatsächlich zu 100 Prozent asymptomatische herausfiltern können. Asymptomatische Virusträger verändern sich ja dann doch, aber wir merken es eigentlich gar nicht.

Alexander Kekulé

Ich gehe eigentlich schon davon aus, dass man viel mehr merken könnte, wenn man sensibel in sich hineinhört. Und ich glaube, dass das gerade in der jetzigen Pandemielage oder der Lage in Deutschland eine wichtige Sache wird, dass wir die Menschen auch dazu aufrufen sollten, etwas sensibler damit umzugehen, wie sie sich fühlen, denn so wie der Huster Nummer 2 war, hat man doch schon gehört, dass es da etwas belegt war in der Lunge.

Die waren alle drei symptomatisch. Der dritte hat wahrscheinlich eine bakterielle Infektion gehabt und relativ deutlich keine Luft mehr gekriegt, weil er schon eine schwere Bronchitis hatte. Und der 1. und der 2. hatten beide Symptome. Der erste war stark übersteuert und hat offensichtlich in sein Smartphone sehr laut reingehustet. Aber es ist so: Wenn man so was hat wie dieser Huster Nummer 2, muss

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man morgens, wenn man aufwacht, merken, irgendetwas stimmt mit meiner Lunge nicht. Ich glaube, dass man, wenn man da sensibel in sich hineinhört, merkt man, dass man da ein bisschen besser aufpasst. Wir sprechen ja immer davon, dass asymptomatische auch infektiös sind. Ja, es gibt diesen einen Tag vor Ausbruch der Krankheit, wo die Menschen bei Virusinfektionen ganz allgemein infektiös sind. Aber mein Verdacht ist, dass ein Großteil der Infektionen vermeidbar wäre, wenn wirklich jeder merkt, er hat irgendwas, vor allem an der Lunge, jetzt nicht nur eine leichte laufende Nase. Wenn jeder von denen wirklich sensibel in sich hineinhört und sagt, nein, ich warte jetzt erst einmal ab, wie sich das entwickelt. Ich glaube, dass das in Deutschland in der jetzigen Phase ein wertvoller Hinweis sein kann.

Camillo Schumann

Der erste Huster war übrigens gesund.

Sie haben sich die Studie angeschaut. Und die Berichterstattung darüber. Die Wissenschaftler wollen jetzt daraus auch so eine App entwickeln. Wäre das vielleicht eine Möglichkeit? Sie haben sich das angeschaut. Wie finden Sie das?

Alexander Kekulé

Ich finde es sehr interessant. Hier wurden mit künstlicher Intelligenz sehr viele Huster eingespielt wurden. Die haben über so ein Crowdsourcing übers Internet haben die irgendwie die Informationen gesammelt, ein paar hunderttausend Huster eingesammelt und dann dort am MIT, das ist das Massachusetts Institute of Technology, die stark auf künstliche Intelligenz ausgerichtet sind, dieses Deep Learning auf die Fahne geschrieben. Die können zum Beispiel schon länger einen Hinweis auf Alzheimer- Erkrankung allein an der Sprache erkennen, weil sie sagen, diese Menschen haben eine gewisse Schwäche der Stimmbänder. Die atmen auch nicht mehr so tief durch. Die haben so etwas Fahriges, weicheres wie eine Muskelschwäche. Und diese Muster, diese

Erkennungsmuster, die sie ihrem Computer beigebracht haben bei Alzheimer, haben sie einfach genommen und jetzt auf diese neue Erkrankung gesetzt. Es entstanden ähnliche Muster, die man zusammenbauen konnte, um hier ganz gut zu sein. Laut der Studie erkennen sie 98,5 Prozent aller Covid-19 Erkrankungen. Und bei den asymptomatischen waren sie bei 100-Prozent. Was eben für mich eher im Umkehrschluss heißt, dass die gar nicht so asymptomatisch sind, wie sie glauben.

Die Idee hat folgenden Nachteil: Sie haben das quasi immer nur auf Covid oder Nicht-Covid differenziert. Das normale Leben des Arztes ist aber nicht die Frage danach, hustet der wegen Covid oder hustet er nicht wegen Covid, sondern könnte auch ein anderes Virus sein. Und da wird es nämlich schwierig, denn wenn ich jetzt vorhin sportlich versucht habe, da mit sehr schlechtem Erfolg auch was zu hören. Dann habe ich mich darauf konzentriert, ob so jemand überhaupt Hinweise auf einen nicht produktiven Husten hat. Und so ein nicht produktiver Husten oder auch dann im schlimmsten Fall eine atypische Lungenentzündung, die durch Viren ausgelöst wird, das kann ja ganz viel sein, das können Mykoplasmen sein. Das wären dann sogar Bakterien. Das können Viren seien, alle möglichen Viren, Influenza natürlich auch. Und ich glaube, da wird die Software nie und nimmer an der Stimme einen Unterschied finden.

Camillo Schumann

Aber wenn sie es bei Covid macht, ist das sage ich mal schon die halbe Miete oder?

Alexander Kekulé

Sie würden dann im Grunde genommen das Gleiche machen, was man durch eine bessere Introspektion, also in sich hineinhorchen, auch machen könnte, dass man einfach merkt, wie heute beim Treppensteigen. Ich atme irgendwie anders. Oder morgens beim Aufwachen. Die Lunge ist ja nun mal krank bei dieser Infektion. Und die Frage ist nur, haben wir die Sensibilität, das auch zu bemerken?

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Oder reden wir uns selbst einfach gesund nach dem Motto: ach, komm, das ist nichts. Im Winter bin ich immer so. Das war schon immer so, dass ich mit so etwas rausgegangen bin. Jetzt mache ich das auch. Und schwups steckt man dann jemand anders an, ohne es zu wollen.

Camillo Schumann

Aber so eine App auf dem Handy ist ja auch was Feindes. Mittlerweile gibt es für alles Apps.

Alexander Kekulé

Ich finde das super, eine mehr oder weniger kommt es auch nicht drauf. Ein Grund mehr, zu Hause zu bleiben. Ist doch toll für Schulkinder: Mama, bring mal das Handy! Früher musste man noch mühsam das Thermometer an die Lampe halten und Fieber vortäuschen, damit man irgendwie zuhause bleiben konnte. Und jetzt kann man sich einen speziellen Huster antrainieren.

Camillo Schumann

Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Diese Dame hat angerufen:

49:05:

„Schönen guten Tag. Wir hätten gerne gewusst, wie das in engen Treppenhäusern aussieht. Wir sind in einem Mehrfamilienhaus 15 Haushalte, und das Haus ist fünf Stockwerke hoch und hat leider nur ein Dachfenster. Und jetzt in der schlechten Jahreszeit und alle tragen teilweise eben keinen Mundschutz. Danke.“

Alexander Kekulé

Wenn Sie Ihre Nachbarn nicht kennen oder den Verdacht haben, dass ihre Nachbarn einen Lebenswandel führen, wo sie sich eben nicht an diese ganzen Regeln halten, dann würde ich empfehlen, im Treppenhaus OP-Mundschutz zu tragen. Gerade wenn die Fenster nicht zu öffnen sind. Gut ist es, wenn man einfach in den Treppenhäusern, grundsätzlich die Fenster offenlässt. Dann ist es halt kühl dort. Und noch besser ist es natürlich, wenn man weiß, wer im Haus wohnt. Und dann kann man das ein bisschen besser einschätzen, ob die Leute

vernünftig sind oder nicht. Übrigens bin ich interessiert daran, wie am Ende des Winters die Heiz-Bilanz sein wird, weil viele jetzt dauernd irgendwo die Fenster aufmachen. Und wenn sie im Treppenhaus ständig die Fenster aufhaben oder auf irgendwelchen Fluren, führt das natürlich auch in den Wohnungen zu erhöhten Heizkosten. Ich glaube, das wird noch einmal den sowieso schon teuren Preiszettel, der an dieser Pandemie dran ist, erhöhen, dass wir alle im Winter mehr Heizkosten haben werden.

Camillo Schumann

Herr S. aus Nordrhein Westfalen hat uns geschrieben: „NRW verpflichtet jetzt, Mund- und Nasenschutz auf Spielplätzen im Freien ab dem Grundschulalter. Welche neuen Erkenntnisse gibt es zum Schutz von Masken im Freien, die eine Maskenpflicht im Spielplatz rechtfertigen würde?

Wenn es Hinweise auf ein ernstes Infektionsgeschehen auf Spielplätze im Freien gibt, möchte ich natürlich dazu beitragen, dieses zu reduzieren. Wenn nicht, befürchte ich, dass eine solche Maßnahme dazu beiträgt, die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen insgesamt anzutasten, insbesondere bei Familien wie der unseren, die die Corona-Pandemie sehr ernst nimmt und auch in den ruhigen Sommermonaten sehr aufgepasst hat. Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Da rennen Sie bei mir eine offene Tür ein. Auf einem Spielplatz gibt es das Risiko, wenn Kinder miteinander spielen und direkt face-to- face stehen und sich anbrüllen. Sie streiten sich um einen Förmchen oder sonst was, oder wer zuerst auf die Leiter darf. In so einer Situation kann es zu einer Tröpfcheninfektion kommen. Das ist auch nicht selten. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass diese Tröpfcheninfektion, also face-to-face unter zwei Meter, für einen hohen Teil der Infektionen verantwortlich sind. Aber so wie die Frage formuliert war, deutet es in Richtung von Superspreading oder echter aerogener

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Infektion hin. Und das gibt es im Freien definitiv nicht. Dafür gibt es bisher keinen Beleg. Und es ist auch physikalisch ziemlich unwahrscheinlich, dass das stattfindet. Das heißt, aus meiner Sicht ist auf einem Spielplatz, wenn die Eltern es schaffen, die Kinder aus verschiedenen Haushalten ein bisschen auseinanderzuhalten und zu verhindern, dass die jetzt unmittelbar dauernd mit Fremden spielen, dann ist eine Maskenpflicht überflüssig.

Camillo Schumann

Herr S. aus NRW hatte noch die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen angesprochen, gerade bei Familien, die das bisher sehr ernst genommen haben. Möglicherweise konterkarieren ja solche übertriebenen Maßnahmen, dann die eigentlich wichtigen Maßnahmen und auch die Glaubwürdigkeit.

Alexander Kekulé

Das ist immer das Problem. Man muss halt immer das richtige Maß finden. Wenn man zu viel tut als Gesetzgeber, ist es unter Umständen in dieser Lage auch nicht richtig. Bei der Anordnung von Masken im Freien, deren Notwendigkeit sehe ich nur in Extremsituationen, in einer ganz engen Gasse, in irgendeinem Einkaufszentrum oder einer Einkaufsstraße, wo es zwar im Freien ist, aber einfach die Leute so gedrängt sind, dass sie die Tröpfcheninfektion nicht vermeiden können, weil dauernd einer gegenüber ist, der quasselt oder Ähnliches. Solche Situation kann man sich vorstellen oder eine Demonstration von Covid- Gegnern, wo man von vornherein weiß, die werden sich absichtlich so verhalten für die Kameras, dass es zu Infektionen kommen könnte. Da kann man ja im Sinne des Versammlungsrechts natürlich Maskenpflicht anordnen. Sonst ist es eine der Maßnahme, die ich für sinnlos halte. Genauso wie die Wildparks geschlossen wurden. Warum darf man nicht mehr in den Wildpark gehen, wo die Kinder im Park spazieren gehen und irgendwelche Rehe auf der Wiese sehen? Da kann man sich nun wirklich nicht anstecken,

zumal es in den Wildparks normalerweise kalt und windig ist. Da gibt es viele Maßnahmen, wo man darüber sprechen kann. Aber die Politik hat ja hier, wie die Kanzlerin erklärt, nach wirtschaftlichen Kriterien und nicht nach epidemiologischen entschieden. Deshalb muss man sich dann auch nicht wundern, wenn nach epidemiologischen Kriterien hier und da ein bisschen unsauber entschieden wurde.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 116. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen – Spezial. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann.

Sie haben auch eine Frage – dann schreiben Sie uns mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns einfach an, kostenlos das Ganze: 0800 322 00.

Alle Spezialfolgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen, auch zum Nachlesen unter auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 02.11.2020 #115 (audio) Lockdown light, Studien, Schutz

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Link zu in der Sendung genannten Studie: München: Wohl sechsmal mehr Kinder und Jugendliche mit Corona infiziert als bekannt https://www.cell.com/med/fulltext/S2666- 6340%2820%2930020-9

Camillo Schumann

Dienstag 3. November 2020. Tag 2 der November-Notbremse. Wann werden wir erste Effekte spüren? Außerdem: Die Kanzlerin erklärt den Lockdown light. Sind ihre Argumente schlüssig? Dann: Offenbar haben sich weit mehr Kinder und Jugendliche mit Corona infiziert als bisher bekannt. Wie überraschend sind diese Studienergebnisse? Außerdem: Nimmt die Zahl der Infektionen nur zu, weil mehr getestet wird? Ein konkreter Blick auf die Zahlen der vergangenen Wochen. Und: Was ist gefährlicher: im Hotspot leben oder aus einem Hotspot fliehen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell - das Nachrichtenradio.

Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wir starten ja wie gewohnt mit einem kurzen Blick auf die Zahlen. Stand heute wurden laut Robert-Koch-Institut 15.352 Neuinfektionen innerhalb von 24-Stunden gemeldet. Zum Vergleich: Letzte Woche Dienstag waren es rund 11.000, und am Samstag gab es mit 19.000 einen neuen Höchststand. Der Trend ist also ungebrochen.

Jetzt haben wir Tag 2 der November- Notbremse. Werden wir uns vielleicht schon am Wochenende über sinkende Zahlen freuen dürfen?

Alexander KekuléIch glaube, dass es nicht so schnell gehen wird. Aber im Lauf der nächsten Woche werden die Zahlen wieder sinken. Zumindest die neuen Erkrankungen werden nicht in diesem massiven Maße ansteigen wie bisher. Das kann eigentlich gar nicht anders sein, weil sie Lockdown-Maßnahmen doch relativ schnell greifen.

Camillo Schumann

Also nächste Woche. Die Maßnahmen greifen dann schnell. Was meinen Sie, wie schnell es dann gehen könnte?

Alexander Kekulé

Ich glaube schon, dass der Teil der Bevölkerung, die er sich an diese Dinge hält, jetzt versteht, worum es geht. Die Kanzlerin hat sich auch noch einmal bemüht. Und deshalb ist es immer so gewesen, dass nach 1 Woche – rein technisch gesehen – der Effekt erzielt ist, bis man es dann nachweisen kann. Aufgrund des Meldeverzugs dauert es vielleicht noch mal eine Woche. Aber in dem Zeitraum werden wir auf jeden Fall deutliche Rückgänge sehen. Wahrscheinlich wird auch dieses R – rein mathematisch gesehen – wieder unter 1 sinken.

Camillo Schumann

Im Frühjahr hatten wir einen harten Lockdown. Jetzt ist ein Lockdown light oder November- Notbremse oder wie man es auch immer

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nennen will. Er ist also deutlich durchlässiger, dieser Lockdown. Sie erwarten trotzdem spürbare Effekte?

Alexander Kekulé

Ja, das glaube ich schon. Das Wichtigste von den Maßnahmen ist ja wieder das Kontaktverbot oder die Kontakt- Einschränkung. Da greifen diese Lockdowns. Die greifen immer dort, wo sich Menschen aus verschiedenen Haushalten sich nicht mehr treffen oder weniger treffen. Das ist der Kern des ganzen Geschehens. Auch im Arbeitsumfeld geht man eben davon aus. Dort ist ja nicht so viel eingeschränkt worden. Da geht man zu Recht davon aus, dass es jetzt eine kontrolliertere Situation gibt. Die Arbeitgeber haben schon längst Konzepte entwickelt, wie die Menschen in getrennten Schichten zum Mittagessen Masken aufhaben. Man gibt sich nicht mehr so oft die Hand, all diese Dinge, das greift weiterhin. Deshalb glaube ich, dass es richtig war, den Arbeitsbereich offen zu haben. Dort ist es ja auch so: Wenn man wirklich mal ein Ausbruch hat – zum Beispiel bei Verpackungsdienstleistern, Logistikunternehmen oder in der Fleischindustrie –, dann ist das etwas, was man durch organisatorische Maßnahmen beheben kann. Und der Bereich, wo man es nicht unter Kontrolle hat, ist der private Bereich. Und den hat man jetzt eingeschränkt. Da gehe ich jetzt vom Bauchgefühl her davon aus, dass sich 80 Prozent der Bevölkerung daran halten werden. Und das gibt einen deutlichen Effekt.

Camillo Schumann

Auf die einzelnen Punkte gehen wir dann noch mal ein, weil sich die Kanzlerin gestern vor der Bundespressekonferenz der Hauptstadtpresse gestellt hat. Übrigens das dritte Mal in dieser Pandemie.

Wir haben über die Neuinfektionen gesprochen. Häufig kommt dann das Argument: Es wird ja auch viel mehr getestet. Ist ja auch logisch, dass die Zahlen dann auch steigen müssen. Dann wird den Medien

vorgeworfen, die Zahl der Tests bewusst zu verschweigen, um mit den Neuinfektionen Panik zu verbreiten.

Wir wollen uns das mal wieder konkret anschauen. Das kann auch jeder nachlesen. Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht auf seinen Seiten jeden Tag einen umfassenden Lagebericht. Und immer am Mittwoch gibt es die neuen Test-Zahlen. Die werden dann immer wochenweise angegeben. Wer die Anzahl der Tests mit der Anzahl der Neuinfektionen vergleicht, wird etwas sehr Interessantes feststellen: Die Anzahl der Tests steigt deutlich langsamer an als die Zahl der Neuinfektionen, sogar sehr deutlich.

Alexander Kekulé

Es ist tatsächlich so: Wenn man sich die Zahlen vom RKI ansieht, denn die veröffentlichen das ja auch in einer gnadenlosen Geduld. Es ist bewundernswert, dass sie immer wieder das Gleiche erklären, weil es immer wieder Leute gibt, die es nicht glauben wollen. Ich habe die Tabelle jetzt gerade mal vor mir, aus dem Bericht, den Sie erwähnt haben. Da sieht man zum Beispiel, dass sich die Zahl der Tests, die durchgeführt wurden, von der 39. auf die 40. Kalenderwoche geringfügig verringert hat. Das kann mal vorkommen. Aus welchen Gründen auch immer ist da weniger angefordert worden. Aber im gleichen Zeitraum ist die Zahl der positiven Tests angestiegen. Und schon an dem einen Beispiel sieht man: Wenn von einer Woche auf die nächste die Tests weniger werden, aber die Positiven – absolut gesehen – steigen, dass das nicht daran liegen kann, was manche Kritiker sagen, dass zu viel getestet wurde. Deshalb macht das RKI diese Positiven- Quote immer. Die berechnen, wie viel Prozent der Getesteten waren positiv. Und die Positiven-Quote ist in den letzten Wochen kontinuierlich gestiegen: von 1,16, dann zwei Wochen später waren es 1,66, wieder 2 Wochen später 3,62. Und die letzte Zahl ist über fünf Prozent: 5,62 Prozent der bundesweit getesteten Corona-Tests waren positiv. Das ist die Schwelle, die übrigens in New York City auch zu einem Lockdown führen

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würde. Amerikanische Staaten haben zum Teil das Prinzip, dass sie nicht den Lockdown anordnen, wenn sie so eine Schwelle pro 100.000 Menschen erreicht wird wie in Deutschland. Sondern die sagen: Wenn fünf Prozent der Tests positiv werden. Wir wären jetzt bundesweit im Grunde genommen ein Fall für einen Total-Lockdown, wenn die Regeln von New York City bei uns gelten würden.

Camillo Schumann

Machen wir es noch einmal konkret für die 43. Kalenderwoche. Das sind die Zahlen, auf die wir uns hier berufen können, weil die Zahlen immer am Mittwoch kommen. Und da sind die Zahlen von vergangener Woche, die wieder rückblickend, dann auf die Wochen davor: Also 43. Kalenderwoche: 1,36, Millionen Tests, positiv Getestete: 76.000 und die von Ihnen angesprochene Quote von 5,6 Prozent. Wenn man jetzt die Wochen zurückblickt. In der 34. Kalenderwoche waren wir bei einer Positivquote von 0,84 Prozent. Da sind ja Lichtjahre dazwischen. Wir befinden uns schon in einer ernsten Situation, oder?

Alexander Kekulé

Das kann man nicht oft genug sagen. Das ist ja fast schon schlimm, dass man das so oft wiederholen muss und dass sich die Bundeskanzlerin immer wieder hinsetzen muss und immer wieder das Gleiche erklären muss. Das Virus kommt jetzt mit geballter Brutalität zurück im Herbst. Da gibt es kein Wenn und Aber. Das sind wirklich ein Anstieg der Fallzahlen und ein merkbarer Anstieg der Belegungszahlen in den Intensivstationen. Da braucht man nicht rumdiskutieren. Das hat nichts zu tun mit einem mehr oder weniger testen.

Camillo Schumann

Die Informationen, um das abschließend noch dazu zu sagen, sind für jeden frei zugänglich. Die Seiten des Robert-Koch-Instituts, der Lagebericht, auch schön detailliert: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, jeweils mit einem anderen Schwerpunkt. Da kann man sich das zu Gemüte führen.

Aber möglicherweise hakt es auch daran, die Zahlen zu interpretieren, das ist ein Wust an Informationen und man kennt sich möglicherweise nicht richtig aus, kann die Zahlen nicht interpretieren. Da entsteht vielleicht Verunsicherung. Es fehlt demzufolge am Übersetzen der Informationen, oder?

Alexander Kekulé

Das ist in Deutschland dieses Kommunikations- Thema. Da könnte man lange drüber reden. Das ist letztlich nicht so optimal gelaufen. Im Moment haben wir aus der Sicht dessen, der sich das Ganze nur als Zuschauer anschaut, die Situation, dass sich ein großer Teil der Virologen einig ist. Da gibt es jetzt aber auch zwei bekannte Virologen, die ausgeschert sind aus dem Pulk. Die haben andere Vorschläge gemacht, zusammen mit einigen Kinderärzten. Da stellt man fest, dass es einige Extrem- Wissenschaftler gibt. Den Herrn Wodarg haben wir hier schon mal besprochen, auch den Kollegen Bhakti, der früher in Mainz war. Das sind gestandene Fachleute, die eine ganz andere Meinung haben. Und wenn man sich das so neutral anschaut, kommt man irgendwann zu der Meinung, dass man nicht mehr weiß, was man wirklich glauben soll. Das ist leider so. Aber das ist ein Kommunikationsproblem. Ehrlich gesagt, auch ein bisschen verstärkt dadurch, dass auch das Robert-Koch-Institut und die Offiziellen ihre Einschätzungen ein paarmal um 180 Grad gedreht haben: 1. bei den Masken und 2. bei den Schnelltests, wo sie am Anfang massiv dagegen waren. Und das macht es für jemanden, der das alles zu verstehen und nachzuvollziehen versucht, nicht einfach.

Camillo Schumann

So, machen wir einen Haken dran, wir haben das mal durchdekliniert, wie die Zahl der Testung und die Zahl der Neuinfektionen zusammenhängen.

Hauptgesprächsthema heute ist definitiv die Wahl in den USA. Da wird ein neuer Präsident gewählt. Joe Biden, der demokratische Kandidat, liegt in den Umfragen vorn. Wie wir

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wissen, werden nur ein paar wenige Staaten am Ende darüber entscheiden, ob Donald Trump abgelöst wird oder nicht. US-Präsident Trump war hier im Podcast, und deswegen sprechen wir darüber immer mal wieder. Ein Thema zum Beispiel sein Streit mit der Weltgesundheitsorganisation. Dann haben wir darüber berichtet, dass er das Malariamittel Hydroxychloroquin eingenommen hatte, deren Wirksamkeit von bisher keiner Studie bescheinigt wurde usw. Es gab noch mehrere Beispiele. Aber mal so grundsätzlich: Sie haben ja sehr gute Verbindungen in die USA zu ihren Wissenschaftskollegen. Wie blickt die Wissenschaft auf diese Wahl?

Alexander Kekulé

Das ist eine Frage, die immer mal wieder gestellt wird, auch in den USA. Das ist ganz interessant: Fast die Hälfte der Wähler in USA gehen ins republikanische Lager. Ich würde gar nicht sagen, dass das alles Trump-Anhänger sind, aber Republikaner. Unter den Wissenschaftlern – ich spreche jetzt von Naturwissenschaftlern, aber nicht nur Biochemiker und Ärzte, sondern auch Physiker, Chemiker, das ganze Spektrum –, ist absolut niemand für Trump. Das ist ganz erstaunlich, es ist fast wie eine Gegenreligion oder so. Das ist fast so, als wäre er katholisch während die anderen evangelisch sind oder so etwas Ähnliches. Das hängt meines Erachtens damit zusammen, dass er etwas macht, was in der Naturwissenschaft richtig weh tut: Und das ist Fakten klittern. Also Fakten sind für Naturwissenschaftler heilig. Die Zahlen sind heilig. Über die Interpretation kann man sich streiten. Aber wenn etwas so ist, dann ist es so! Und er greift natürlich auch schon seit Monaten konkret Wissenschaftler an, beseitigt auch aus seinem Beraterteam immer wieder Leute, die Meinungen vertreten haben, die ihm nicht gepasst haben. Und ich glaube, das tut niemandem so sehr weh wie einem Naturwissenschaftler. Und darum sind die alle gegen ihn. Ob sie jetzt für Biden sind, kann ich nicht sagen.

Da kann man vielleicht an der Stelle auch sagen, dass es bei aller Liebe zu den Demokraten in den USA schon häufig die Stimme gibt: Haben wir denn kein besseres Personal als Joe Biden aufzubieten? Aber das ist jetzt einfach mal so, dass der der Nicht- Trump-Kandidat ist. Und wenn er gewählt wird, dann deshalb, weil er nicht Trump ist.

Camillo Schumann

Sie können das ja auch aus virologischer Sicht betrachten, sein Handeln, sein Agieren während der Corona-Pandemie, so von außen betrachtet und mit den Stimmen ihrer Kollegen aus den USA. Ich spitze jetzt mal ein bisschen zu: Hat Donald Trump das Leben von Millionen Amerikanern unnötig gefährdet?

Alexander Kekulé

Ja, das kann man so sagen, aber das gilt weltweit. Es sind aufgrund politischer suboptimaler epidemiologischer Entscheidungen - ich möchte es nicht Fehlentscheidung nennen – Zehntausende von Menschen gestorben. Das muss man ganz klar sagen. In den USA war ein gewisser zeitlicher Vorlauf – die ersten Fälle in den USA sind ja noch gut abgefedert worden, aber dann hat man die 2te Welle relativ unkontrolliert reingelassen. Die hätten wirklich eine Chance gehabt, es besser zu machen. Dort ist die Gemengelage natürlich komplexer. Wenn bei uns der Gesundheitsminister relativ spät reagiert hat und dann aber die Kliniken schnell aufgerüstet haben, dann liegt es daran, dass wir einfach die Kapazitäten hatten. Oder auch bei den Labors: In Deutschland haben wir einfach so viele Privatlabore und Uni-Labore, die die Kunden locker mal schnell über 1 Million Tests pro Woche von diesem Covid19 auflegen. In den USA haben sie diese Möglichkeiten nicht, weder im Laborbereich noch im in der praktischen Krankenversorgung, wo es um Intensivkapazitäten geht. Und auch wenn Trump jetzt sagen würde, jetzt schützt mal schön die Altersheime – das hat ja schon in Deutschland nicht richtig geklappt, wir haben ja dort bis heute noch Ausbrüche –, dann ist das in den USA aber noch Lichtjahre von den

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Möglichkeiten entfernt, die wir haben. Wir haben in Deutschland mit unserer im weitesten Sinn guten medizinischen Infrastruktur gewisse Planungsschwächen und Entscheidungsschwächen in der Politik abgefangen. In USA gab es diese Möglichkeit nicht. Darum hat das voll durchgeschlagen, dass Trump hier Unsinn gemacht hat. Und ich habe ein bisschen die Hoffnung, dass ein Virus der Bevölkerung und seinen Anhängern vor Augen führt, dass er Fehler gemacht hat. Der Reality-Check durch das Virus ist einfach knallhart. Und da endet letztlich die Politik, die sich vieles immer schönredet. Fakten sind Fakten und Tote sind Tote.

Camillo Schumann

Weil Sie gerade die Missstände angesprochen haben, hat er nicht das einzig Richtige getan, seine Bevölkerung beruhigt? Er sagt, es ist alles gar nicht so schlimm. Das hat er Anfang des Jahres in einem Interview mal gesagt.

Alexander Kekulé

Das ist jetzt eine interessante Variante. Das ist so die Titanic-Hypothese, die sie aufmachen. War es richtig, dass er auf der Titanic bis zuletzt die Kapelle gespielt hat?

Ich glaube, er hat es nicht so gemeint. Wenn sie ihm jetzt unterstellen würden, dass er so smart erkannt hat, was übrigens auch der Klaus Stöhr, ein von mir sehr geschätzter Freund und Epidemiologe, früher Chef vom Influenza-Programms der WHO, gesagt hat - kürzlich im Fernsehen letzte Woche bei Markus Lanz. Da hat er sinngemäß gesagt: Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen, wir werden es nicht mehr vermeiden können, dass sich 2/3 der Bevölkerung infiziert. Es kommt jetzt sozusagen nur noch auf die Zeit an. Wenn Trump das so gemeint hat, nach dem Motto: Wir können uns sowieso nicht dagegen stemmen, unser System in den USA ist so lückenhaft, dass wir gar keine andere Option haben – was so ähnlich Beispiel für Indien oder Brasilien wohl zutrifft –, dann wäre das von ihm ein kluger politischer Schachzug gewesen. Aber ich bezweifele, dass er das so gemeint

hat. Ich glaube, man hätte in den USA schon etwas machen können. Es war nicht hoffnungslos. Man hätte, wenn man früh und selektiv losgelegt hätte, es besser machen können, als so, wie es jetzt gelaufen ist.

Camillo Schumann

Die Frage muss ich jetzt stellen, obwohl man, das jetzt schon so ein bisschen heraushört: Welcher Präsident wäre jetzt für die Wissenschaft besser: Trump oder Biden?

Alexander Kekulé

Das ist ganz offensichtlich: die Demokraten, Joe Biden wäre da besser. Trump hat ja viele wichtige Programme abgesägt. Man muss aber auch dazusagen: Die Naturwissenschaftler lesen auch die Berichte zum Beispiel der Umwelt-Forscher mit, selbst wenn sie nicht auf den Bereich arbeiten. Da gibt es niemanden, der Klima-Leugner sein kann. Wenn man sich die Daten anschaut, dann ist es so, dass die ganze Klimapolitik vom Trump noch viel Schlimmere ist. Im Vergleich zu dem, was uns mit der Klimakatastrophe und der Umweltverschmutzung bevorsteht, ist das, was wir im virologischen Bereich jetzt sehen noch eine kleine Vorübung. Das wissen die Naturwissenschaftler natürlich. Darum sind alle dafür und sehen das als dringend notwendig, dass Donald Trump abgewählt wird. Ob es passieren wird, wissen wir nicht. Ich glaube, wir haben in Europa einen optimistischen Blick. Aber wenn sie außerhalb der Naturwis- senschaften in den USA nachfragen, gibt es viele Leute, die sagen, dass der ganz tolle Dinge gemacht hat. Und viele sehen selber nicht ein, dass zum Beispiel Masken zu tragen sind. Man hätte in den USA ganz am Anfang eine große Informationskampagne machen müssen für die Vermeidung der Infektion, für das Maskentragen. Und jetzt ist der Präsident, der nicht mehr der jüngste ist, elegant durch die Krankheit getänzelt und hat scheinbar gar keine Probleme gehabt, außer dass er ein paar Tage lang stärker geschminkt wurde. Jair Bolsonaro in Brasilien ganz genauso. Dem geht es blendend. Und da sagen die Leute: Mensch, denen geht es gut. Wieso soll ich jetzt hier

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mein Geschäft zumachen, meine Existenzgrundlage verlieren? All diese Dinge hätte man viel früher ganz anders kommunizieren müssen und anders abfedern müssen in den USA.

Camillo Schumann

Kommen wir von den politischen Entscheidungen in den USA zu politischen Entscheidung hier bei uns in Deutschland: Tag 2 des Lockdowns light. Kneipen, Gaststätten, Kinos, Kultur wurden heruntergefahren, das Wirtschaftsleben, Geschäfte, Autohäuser etc. Schulen und Kitas sind aber offen. Die Kanzlerin hat das gestern in der Bundespresse- konferenz folgendermaßen erklärt:

„Und in der Abwägung Schule oder Kita oder Kontakt im Konzert oder in der Gaststätte haben wir uns dafür entschieden: Wirtschaftskreislauf so weit wie möglich. Restaurants sind ja auch Teil des Wirtschaftskreislaufs. Den Wirtschaftskreislaufs so weit wie möglich und Kitas und Schulen. Und natürlich Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und die Infrastruktur. Diese Entscheidung ist eine politische. Wenn ich mir sonst aufmale, wo sind überall Kontaktpunkte in einer Gesellschaft, kann ich ja auch andere Bereiche herausgreifen. Aber ob wir dann wirtschaftlich so durchkommen, dass wir allen auch noch helfen können, und ob das die richtigen gesellschaftlichen Prioritäten sind, das muss man diskutieren. Nur, wer sagt, jetzt habt ihr an der falschen Stelle geschlossen, der muss mir genau sagen, an welcher Stelle wir es denn sonst machen sollen.“

Camillo Schumann

Ich vermute mal: Die Logik des Virologen endet, wenn die Politik Entscheidungen trifft.

Alexander Kekulé

Wir wissen ja alle, dass die Frau Merkel ihr halbes Leben lang Physikerin war. Und wenn die sagt, das war eine politische Entscheidung, glaube ich, dass in ihrer Stimme ein bisschen Wehmut mitschwingt, weil sie selber weiß, dass die Naturwissenschaftler, die sie ebenso

gut versteht, das anders sehen. Ich möchte auch kein Politiker sein.

Aber aus meiner Sicht ist es so: Die Logik, die dahintersteckt, ist Folgende: Man sagt, wie kommen wir wirtschaftlich am besten durch. Wir setzen das Primat der Wirtschaft, das hat sie gerade ganz klar begründet. Und dafür setzen wir naturwissenschaftliche Regeln außer Kraft oder berücksichtigen sie nicht. Sie hören schon durch, dass da irgendwie ein Widerspruch drin sein muss. Und der ist eben folgender: Wenn sie die wirtschaftlichen Auswirkungen sind ja nur die Konsequenzen des naturwissenschaftlichen Problems. Das naturwissenschaftliche Problem ist die Ursache. Solange sie nur an den Konsequenzen herumdoktern – und das hat sie gerade klipp und klar gesagt - und nicht nach den Ursachen geht, sondern nach der Frage, was ist wirtschaftlich zu verkraften, dann wird das Problem ihr immer wieder auf die Füße fallen, dann eben in einem Monat, wenn sie wieder aufmachen will. Man kann es nicht anders machen, als ursächlich betrachten. Und da sagt der Epidemiologe: Mir ist es erst mal egal, wo das Geld hinfließt und was es kostet, sondern ich schaue, wo sind die Übertragungen. Und da hat das Robert-Koch-Institut in dem Bericht, den wir vorhin besprochen haben, schwarz auf weiß geschrieben – Ich muss an der Stelle vorlesen: „Der bundesweite Anstieg wird durch Ausbrüche, welche insbesondere im Zusammenhang mit privaten Treffen und Feiern sowie Gruppenveranstaltungen stehen, verursacht. Auch werden wieder vermehrt Fälle in Alten- und Pflegeheimen gemeldet.“ So, da haben wir es also: private Feiern, Gruppenveranstaltung, Alten- und Pflegeheime und die Partys, die irgendwie heimlich oder mehr oder minder unter Duldung der der Gesundheitsämter in den Großstädten laufen. Das ist der Haupttreiber. Auch wenn man die meisten Infektionen nicht mehr nachvollziehen kann, wissen wir, das ist im Moment das Problem. Da widerspricht niemand. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass man dort stärker eingreift. Das hat man aber nicht gemacht,

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stattdessen alle bedacht. Das ist so ähnlich, als wenn sie sagen, ich will ein Parkproblem in der Innenstadt lösen. Es gibt zu viele Autos. Und jetzt stellen Sie sich aber nicht die Frage, wer ist der Falschparker? Wo sind die Leute, die falsch parken? Die sollen erst mal Zettelchen kriegen, weil sie immer auf dem Bürgersteig oder sonst wo alles zupacken. Sie sagen aber stattdessen: Ich sperre erst mal die ganze Innenstadt. Ich hätte mir gewünscht, dass man die Falschparker abschleppt und die Strafzettel konsequenter verteilt und dann mal sieht, ob das nicht vielleicht schon reicht, um das Problem zu beheben.

Camillo Schumann

Weil wir vorhin bei Kommunikation waren und Kommunikationsproblemen. Die offenbaren sich jetzt. Dieser Umstand zeigt sich auch in dem, was Sie gerade eben vorgelesen haben aus dem Lagebericht des Robert-Koch- Instituts, wo sich die Menschen anstecken und auf der anderen Seite der Antwort der Kanzlerin, die gestern vor der Bundespressekonferenz dann Folgendes gesagt hat:

„Und weil dieser Entwicklung so gelaufen ist, weil viele Gesundheitsämter die Kontaktnachverfolgung nicht mehr schaffen, haben wir jetzt eine Situation, bei der in 75 Prozent der Fälle, also 3/4 der Fälle die Infektion nicht mehr zugeordnet werden kann. Das heißt, man kann nicht mehr sagen, wo diese Infektion stattgefunden hat.“

Camillo Schumann

Also wir wissen es doch eigentlich gar nicht, oder?

Alexander Kekulé

Nein, das muss man anders verstehen: Wenn Sie 1⁄4 der Fälle nachverfolgen, und das ist ja offensichtlich das, was hier die Kanzlerin meint, und 3⁄4 nicht mehr schaffen, dann ist klar, dass bei diesen Fallzahlen an Neuerkrankungen die Gesundheitsämter überlastet sind. Dann entsteht eine Situation, wo sie das haben, was die Statistiker eine Stichprobe nennen würde. Sie haben 1/4, und

aufgrund dieser Stichprobe macht das RKI die Aussage, die wir gerade besprochen haben. Dass Sie dann trotzdem 3⁄4 nicht nachverfolgen, ist deshalb schlimm, weil ihnen die Leute durch die Lappen gehen und die Infektionsketten nicht durchbrochen werden. Aber trotzdem können sie aufgrund der Stichprobe, die sie gemacht haben, auf die Grundgesamtheit zurückschließen. Das heißt, es ist nicht zu erwarten, dass sich die 3⁄4 komplett anders verhalten als die Stichprobe, die das Robert- Koch-Institut analysiert hat.

Camillo Schumann

Die 25 Prozent reichen also aus, um eine Aussage zu treffen.

Alexander Kekulé

Ja, und das wissen wir doch alle. Wir leben ja in einer Republik. Und ich glaube, wir sind in gewisser Weise mit diesem Virus auch ein bisschen zusammengewachsen. Wir wissen doch, wo das Problem ist. Wir wissen, dass es Leute gibt, die aufpassen und Leute gibt, die eben nicht aufpassen. Und als Virologe kann ich noch hinzufügen: Wenn jemand ein gutes Konzept hat für ein Hotel, wenn jemand ein gutes Konzept hat für einen Sportverein oder wenn in der Bahn FFP-Masken getragen werden, selbst im Flugzeug, wenn sie konsequent FFP-Masken tragen, dann gibt es keine Epidemiologische relevanten Ansteckungen. Das dem einen oder anderen mal etwas Blödes passiert, zum Beispiel der Mensch am Nebentisch ist ein massiver Ausscheider, hustet den ganzen Abend in seine Maske und dann kommt doch irgendwie an der Seite was raus, wo man sich mal auf 2,10 m ansteckt. So etwas kommt vor, wird immer vorkommen. Aber da ist epidemiologisch nicht relevant bei fast 20.000 Fällen, die wir kürzlich hatten. Solche Einzelfälle sind kein Grund, politische Maßnahmen zu ergreifen und Grundrechte einzuschränken.

Camillo Schumann

Es war aber auch wichtig, dass wir die 25 Prozent und die 75 Prozent jetzt noch einmal erklärt haben, weil mit den 75 Prozent ja dann

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auch im Internet Stimmung gemacht wird und so etwas aus dem Zusammenhang gerissen wird. Und damit wird ja analog zu dem, was wir vorher schon besprochen haben mit der Zahl der Testungen und der Zahl der Neuinfektionen, Ähnliches gemacht wird.

Alexander Kekulé

Das ist vielleicht noch wichtig zur Beruhigung dazuzusagen. Ich bin absolut sicher, dass die Kanzlerin das nicht gemeint hat, 75 Prozent ist das Reich des Bösen, wo wir überhaupt keine eine Ahnung haben, wo es herkommt. Wir müssen nicht damit rechnen, dass das Virus wie das Miasma im 18. Jahrhundert aus den Sümpfen kommt oder dass uns das irgendwo beim Einkaufen erwischt, obwohl wir alle brav die Masken aufhaben und die Abstände einhalten. Diese epidemiologischen Regeln, die wir haben, also die Masken, der Abstand, unter Umständen mal FFP2-Masken und die Testungen noch als massives Instrument eingeführt. Die funktionieren ja nach wie vor. Wo das gemacht wird, gibt es ja keine Fälle. Um ein Beispiel zu nennen: Ich habe jetzt gerade heute eine E-Mail bekommen von Bekannten, die ein großes Hotel führen. Die haben mir gesagt, sie haben jeden Gast, bevor er gekommen ist, genötigt, Tests mitzubringen und ein negatives Testergebnis. Sie haben Leute, die sich geweigert haben, Masken aufzusetzen, rausgeschmissen aus dem Hotel, die kommen nie wieder. Das macht echt schlechte Stimmung, auch auf deren Webseite. Wir hatten die ganze Zeit nicht einen einzigen positiven Fall in ihrem Hotel. Sie haben das wirklich cleangehalten durch massiven Aufwand. Da muss ich einfach sagen: Solche Fakten stimmen ja nach wie vor. Es ist ja nicht so, dass da 75 Prozent übersehen wurden, sondern das sind einfach nur 75 Prozent, die wir aufgrund der hohen Fallzahlen nicht erfasst haben.

Camillo Schumann

Das ist ein Argument dafür, die Hotels und auch möglicherweise die Restaurants, wo es vielleicht genauso gelaufen ist oder genauso läuft, nicht zu schließen. Und die Kanzlerin

kann die Klagen der Kulturen auch der Gastronomie sehr verstehen, erklärt aber, worauf es aus ihrer Sicht jetzt ankommt in den kommenden vier Wochen:

„Es geht also nicht um das für jene Konzept für diese oder jeder Einrichtung, sondern es geht darum, dass wir für die Gesamtheit aller Kontakte in unserer Gesellschaft eine Reduktion hinbekommen. Die Wissenschaftler sagen uns: eigentlich von 75 Prozent aller Kontakte Abstand zu nehmen. Und das ist sehr, sehr viel: von vier Kontakten, die wir in normalen Zeiten haben, drei vermeiden und einen möglich machen.“

Camillo Schumann

Erst einmal 4 Leute kennen. (Lacht) Ist die 75 Prozent-Reduzierung, die die Kanzlerin gerade angesprochen hat, in ihren Augen auch ein gutes Mittel, um die Zahlen wieder in ein normales Fahrwasser zu bekommen?

Alexander Kekulé

Wir sind ja hier ein Erklärungs-Podcast. Wir gehen bei diesen ganzen Überlegungen davon aus, dass das R-0 von dieser Erkrankung ungefähr bei 3 liegt. Das heißt, wenn man das laufen lassen würde in so einer normalen Gesellschaft jeder Infizierte ca. weitere 3 Personen anstecken würde. D.h., dass Sie 2/3 der Infektionen vermeiden müssen, damit Sie auf R=1 kommen. Das ist Dreisatzrechnung. 2/3, also 66 Prozent müssten sie vermeiden. Die Kanzlerin hat ein bisschen draufgelegt, weil sie sagt: wahrscheinlich ist ein Teil dabei, den wir gar nicht erwischen oder die nicht mitmachen. Und um die zu kompensieren, die nicht mitmachen, legen wir ein bisschen drauf, bei denen, die mitmachen. Oder sie geht vielleicht von einem neuen R=4 aus. Da gibt es neue Schätzungen, die in diese Richtung gehen. Wie auch immer ist diese Überlegung als Hausfrauen-Rechnung richtig. Aber man muss jetzt Folgendes dazu sagen: Es geht ja nicht um die Vermeidung von 3 von 4 Kontakten. Das hat sie ein bisschen missverständlich ausgedrückt. Es geht darum: Wir müssen 3 von 4 Infektionen vermeiden.

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Das ist ein Riesenunterschied, wenn Sie zum Beispiel in der Arztpraxis einen Kontakt haben, wo der Arzt eine FFP2-Maske aufhat, vielleicht noch eine Plexiglasscheibe. Die haben sich etwas Gutes überlegt, ein Hygienekonzept, und der behandelt am Tag hundert Patienten. Dann heißt es nicht, dass der ab morgen, weil die Kanzlerin das gesagt hat, nur noch 25 behandeln soll, weil das ja komplett ein sicheres Setting ist. Das Gleiche gilt unter Umständen für ein Restaurant, was ein gutes Hygienekonzept hat. Und das heißt, wir müssen 3/4 der gefährlichen Kontakte vermeiden. Da beißt sich im Grunde genommen das Argument in den Schwanz, denn Sie müssen 3⁄4 der möglichen Infektionen vermeiden. Und das ist etwas ganz anderes als 3⁄4 aller Kontakte zu vermeiden. Denn die Kontakte, die sicher sind, die müssen Sie nicht vermeiden.

Camillo Schumann

Völlig klar. Da spricht der Virologe. Da sprach die Kanzlerin für das gesamte Volk, um ein gesamtes Volk mitzunehmen. Wenn man die drei gefährlichen Kontakte versucht auszuschließen, würde man nur eine relativ kleine Bevölkerungsgruppe ansprechen. Und ob die sich dann angesprochen fühlt, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt.

Alexander Kekulé

Jetzt kommen wir zu einem interessanten Punkt. Das ist jetzt eher so psychologisch. Ich formuliere sie deshalb nur als Frage, weil ich auf so etwas nicht so gern antworten will. Aber es ist doch letztlich die Frage: Wenn wir eine Maßnahme haben, die nicht so hart durchgreift und die die Menschen verstehen, wo man sagt, aha, klar, das musste man jetzt so machen. Kriegt man dann möglicherweise von den Zweiflern mehr mit ins Boot geholt oder kriegt man mehr mit ins Boot geholt, wenn man die Maßnahmen relativ hart verschärft, wenn man Leuten, die sich Hygienekonzepte ausgedacht hat, sagt nein, jetzt müsste trotzdem zumachen? Möglicherweise springen durch diese härtere Maßnahme mehr Leute ab. Und ich glaube,

dass das oberste Ziel in der jetzigen Lage sein muss, diejenigen, die sich bisher – aus welchen Gründen auch immer – nicht richtig an die Regeln halten, wieder ins Boot zu holen. Das Problem ist kein makroskopisches, es ist in dem Fall ein mikroskopisches. Nicht, weil Mikrobiologen immer durch das Mikroskop gucken. Vielmehr ist es von der Situation der Bevölkerung her nicht mehr so, dass wir sagen können, jetzt machen wir alle Gaststätten zu. Es sind eben einzelne, die das Problem haben. Es sollen auch nicht alle Hotels zu sein, einzelne und auch nicht alle Familienfeiern verboten werden. Da gibt es sicherlich welche, die haben sich schon die Schnelltests irgendwie besorgt. Oder die gehen sogar vorher zum Arzt, lassen sich testen, bevor sie ihren Geburtstag feiern und haben Masken zu Hause an. Manche haben in der Wohngemeinschaft schon irgendwelche Regeln entwickelt. Es sind eben ganz bestimmte. Ich glaube, dass man die, die jetzt auf der Kippe sind und die dabei sind, diese Regeln abzulehnen, das Problem sind, dass man die wieder mitnimmt, wenn man sehr transparent und nachvollziehbar, auch wissenschaftlich begründete Regeln hat.

Camillo Schumann

Aber wie gesagt, die Kanzlerin und der Blick fürs große Ganze. Ist da möglicherweise das Vertrauen vielleicht nicht mehr da?

Alexander Kekulé

Sie meinen das Vertrauen der Politik in die Bevölkerung? Das ist aber eben immer gegenseitig. Ich gucke da immer gerne nach Neuseeland. Der weltweite Star dort, die Jucinda Ardern, hat quasi so eine Art Vertrauen gegen Vertrauen-Politik in Neuseeland. Und sie hat den Vorteil, dass sie am Ende der Welt sitzt und die Grenzen zugemacht hat. Und jetzt muss jeder, der reinkommt, zwei Wochen in Quarantäne und getestet werden. Aber dieses Prinzip, dass man sagt, die Bevölkerung vertraut den Regierenden und umgekehrt, funktioniert nur gegenseitig. Ich glaube, je schärfer die Maßnahmen werden, desto eher kommt es zu Widerstand. In Deutschland

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sehen wir diese Anfänge, die Wissenschaftler kann man beim Namen nennen: Da ist der Herr Streeck und der Herr Schmidt-Chanasit dieses Jahr ausgeschert und jetzt sozusagen auf der Gegenseite. Und dann haben wir auch in der politischen Landschaft durchaus Stimmen aus der FDP. Der Herr Kubicki hat sich da relativ deutlich geäußert. Da haben wir auch schon Leute, die sagen: So richtig toll ist das alles nicht, wie es gemacht wird. Also kommt es zu so einer Art Spaltung. Und ich weiß nicht, ob man in der Lage ausgerechnet die Leute, die eh keine Lust mehr haben mitzumachen, jetzt besser überzeugen kann.

Als Virologe kann man immer schlau daherreden. Man muss einfach sagen, Politik zu machen, ist ein schwieriges Geschäft. Der Willy Brandt hat sich immer darüber beschwert. Er hat gesagt, Politik wäre super, wenn man wirklich hauptsächlich Entscheidungen treffen müsste. Aber 70 Prozent unserer Arbeit, sagt er, ist Legitimationsarbeit, und darüber hat er sich beschwert. Aber so ist es halt in der Demokratie, dass man die anderen alle mitnehmen muss.

Camillo Schumann

Um noch kurz zu Frau Ardern in Neuseeland zu kommen: Mit ihrer Politik hat sie es ja jetzt nach der Wahl geschafft, eine Labour- Alleinregierung zu führen. Und sie hat eine Corona-Ministerin benannt.

Alexander Kekulé

Die Frau hat eine absolute Mehrheit errungen. Aber sie hat trotzdem zwei Ministerien an die Grünen vergeben. Das fand ich ganz erstaunlich. Das gäbe es, glaube ich, in anderen Ländern der Welt nicht.

Camillo Schumann

Die große Frage ist: Wie geht es weiter nach dem Lockdown? Kann es nicht sein, wenn die Zahlen wieder hoch gehen, dass es wieder einen Lockdown gibt? Diese Hörerin hat sich Gedanken gemacht und folgende Idee geäußert:

„Das Virus stirbt anscheinend nicht durch die Lockdowns, sondern es gibt nur weniger Infizierte. Mich würde interessieren, warum es keine Untersuchungen gibt oder Bestrebungen, das Virus zu eliminieren, also nicht durchzuimpfen oder so. Sondern dass man Bedingungen schafft, wo das Virus nicht leben kann und wo die Möglichkeit gegeben ist, nicht dauernd einen Lockdown zu veranstalten. Ich nehme an, dass nach dem nächsten Lockdown die Zahlen wieder ansteigen werden und dann kommt wieder ein Lockdown. Das kann ja nicht Sinn der Sache sein.

Camillo Schumann

Das kann es wirklich nicht. Also eliminieren, statt Lockdown?

Alexander Kekulé

Der Sinn der Sache ist beschleunigen und bremsen. Das will ich nur noch einmal wiederholen, weil das der Bundesgesundheitsminister ganz klar angesagt hat schon vor Monaten. Und das wird jetzt so durchgezogen. Immer Gas geben, bremsen. Wenn sie wieder hoch geht, wird wieder gebremst werden, es wieder runter geht, werden wieder die Grundrechte in den Vordergrund gestellt. Ich halte dieses Auf und Ab für nicht sinnvoll. Aber die Eliminationsstrategie heißt ja, dass man es hinkriegt, dass in einem Land praktisch keine Fälle mehr sind. Eine komplette Elimination hat Neuseeland geschafft. Und einige Staaten im Pazifik, so Inselstaaten, haben das hingekriegt. Kein Wunder. Wer es aber auch fast geschafft hat, ist zum Beispiel Südkorea. Oder auch Taiwan hat im Grunde genommen eine Elimination hingekriegt. Die haben immer wieder kleine Ausbrüche, aber die können sie sehr schnell nachverfolgen und stoppen. Das funktioniert dann, wenn man frühzeitig eingreift. Davon können wir in Deutschland zurzeit nur träumen. Ich hatte das ja im Februar für Europa dringend empfohlen, dass wir versuchen, die Eliminationsstrategie zu machen. Das hätte bedeutet, dass man die Einreisen aus China gestoppt hätte. Dass man

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die Einreisen aus Teheran damals gestoppt hätte, was ein brutales Risikogebiet war. Wenn man jetzt in so einer Situation ist, dass man europaweit extrem viele Fälle hat – im Ausland ist es ja noch schlimmer als in Deutschland –, dass man da von so etwas nicht mehr träumen kann. Das ist es zu spät. Der Zug ist abgefahren, da brauchen wir im Moment nicht mehr darüber reden.

Die nächste Eliminationsstrategie, die wir machen werden, ist, wenn angefangen wird zu impfen. Das ist ja letztlich eine Eliminierungsstrategie. Das hätte man machen können am Anfang. Ich habe mich massiv dafür eingesetzt. Aber da gab es eben Stimmen, die damals schon gesagt hatten, das hat sowieso keinen Sinn, das schaffen wir nicht, deshalb machen wir es nicht. Jetzt ist es natürlich doof. Jetzt haben einige Länder wie Südkorea bewiesen, dass es doch geht. Aber das ist eben jetzt zu spät. Diese Erkenntnis ist einfach zu spät. Das geht nicht mehr.

Eliminieren ist keine Option mehr. Die Kanzlerin hat die langfristige Strategie der Bundesregierung gestern so zusammengefasst:

„Die Langfriststrategie heißt einfach: solange wir keine Herdenimmunität haben, also solange wir noch anfällig für dieses Virus sind, müssen wir mit diesem Virus leben und müssen wir nicht sagen: Wir wollen gar keine Infizierten mehr, das wird man nicht schaffen. Aber wir wollen sie so niedrig halten, das wir das nachverfolgen können und nicht in dieses exponentielle Wachstum hineingehen.“

Das ist ja schon seit März offizielle Regierungsstrategie, dass das Bundesinnenministerium in Auftrag gegeben hat bei einigen Wissenschaftlern, wo das RKI auch mitgearbeitet hat. Da wurde diese Flatten-the-Curve-Strategie zum ersten Mal richtig ausgearbeitet. Da wurde übrigens auch ausgerechnet, wie viel Tote man sozusagen angeblich unausweichlich dann haben wird bis zum Ende der Pandemie. Die Zahl will ich jetzt gar nicht wiederholen. Aber das ist das ceterum censeo.

Camillo Schumann

Mit Blick auf die selbst auferlegte Grenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb 1 Woche, das ist ja auch das Ziel dieses Lockdowns, das hat die Kanzlerin gestern auch gesagt. War diese Grenze von Anfang an nicht möglicherweise auch viel zu hoch? Die haben wir ja relativ schnell gerissen. Und alle Maßnahmen kamen dann wesentlich später.

Alexander Kekulé

Ich glaube, wenn man hätte das schon einhalten können. Ich halte nichts von so einer Grenze. Das ist ja auch nie so gemeint gewesen, dass das jetzt so eine knallharte, wahnsinnig wichtige naturgegebene Grenze ist, sondern pragmatisch gesetzt. Helge Braun, der Kanzleramtsminister, hat das ja schon mehrmals erklärt. Da hat man ganz simpel gesagt: ein Gesundheitsamt arbeitet fünf Tage die Woche. So geht es schon los. Samstag, Sonntag haben die Deutschen ihr deutsches Wochenende und Montag bis Freitag können sie pro Tag fünf neue Fälle nachvollziehen. Macht dann 5 mal 5 sind 25. Und dann hat man gesagt, na ja, da geben wir noch ein bisschen politische Reserve drauf. Da war die erste Zahl 30. Das war die erste Diskussion. 30 pro 100.000 war anfangs die Grenze. Dann ging das Ganze in die Länder zur Diskussion. Und dann haben die Bundesländer, die sowieso schon viele Fälle gehabt haben, gesagt, nein, das ist zu niedrig. Da müssen wir gleich morgen anfangen zuzumachen. Und dann wurde das politisch hochverhandelt auf 50. So ist diese Zahl entstanden, was Helge Braun so erklärt hat. Das finde ich jetzt vom politischen Prozess her völlig in Ordnung soweit, dass man einfach sagt, dann nehmen wir mal die Grenze.

Das Problem war Ende des Sommers, als ziemlich klar war, wie Sie richtig sagen, dass das in vielen Regionen diese Marke gerissen wurde, die Politiker, die das gerade ausgehandelt hatten, gesagt haben: Jetzt gilt es aber nicht. Was wir gesagt haben, warten wir erst einmal ab. Und wieso? Jetzt ist erst

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einmal so gemütlich im Sommer. Wieso sollen wir jetzt anfangen, uns wieder unbeliebt zu machen bei den Bürgern. Und das ist halt ein Problem des demokratischen Systems. Wenn Sie Leute haben, die sie wiederwählen sollen, müssen sie Entscheidungen treffen, wo die Wahl-Mehrheit verstanden hat, dass sie jetzt unbedingt nötig sind. Wenn sie es vorher machen, machen sie sich unbeliebt und werden vielleicht abgewählt. Deshalb können demokratisch gewählte Politiker letztlich nicht beliebig vorausschauend entscheiden. Selbst wenn er es verstehen würde, müsste er noch ein bisschen warten, bis es dem Volk wehtut, bis man sieht, die Fallzahlen gehen wirklich wieder hoch und dann entscheiden und eben nicht zu dem Zeitpunkt, wo es epidemiologisch rechtzeitig gewesen wäre.

Camillo Schumann

Wir besprechen hier auch immer interessante Studien. Jetzt geht es um eine Studie des Helmholtz-Zentrums in München, die in vielerlei Hinsicht sehr interessant ist. Zum einen war das Ergebnis eher ein Zufallsprodukt. Und zum anderen war die Methode sehr gründlich. Fangen wir mal mit dem „Zufallsfund“ an. Eigentlich sollte es in dieser Münchner Studie ja um Diabetes bei Kindern gehen. Richtig?

Alexander Kekulé

Das wurde federführend von einer Abteilung gemacht, die sich um Diabetesforschung, um Zuckerkrankheit bei Kindern kümmert. Das gibt es bundesweit, dass bei den Neugeborenen ja immer ein paar Blutstropfen abgenommen werden, um so einen Diabetes-Screening zu machen, auf Diabetes-Typ-eins weiteruntersucht, damit man das früher erkennt. Und auch bei den Kindern im weiteren Verlauf gibt es immer so kleine Blutabnahmen. Das ist dieses Kapillarblut, wo man so in den Finger oder in die Ferse pikst und paar Tropfen braucht. Und diese Proben, sind im Lauf der Zeit gesammelt worden. Die hat man behalten. Und dann haben sie gesagt: Jetzt schauen wir in diesen Proben nach, wie viele da Antikörper haben.

Aber das Schöne, was die gemacht haben, ist, dass die jetzt nicht – so wie fast alle anderen Studien – den Standardtest genommen haben, den jeder nimmt. In Deutschland gibt es den von der Firma Euroimmun. Der hat als erstes einen zertifizierten Test auf den Markt gebracht, damit ist zum Beispiel die Heinsberg- Studie gemacht worden. Es gibt natürlich noch ein paar andere Hersteller. Diese Tests funktionieren aber so, dass man eigentlich einen Antikörper gegen einen bestimmten Teil des Virustest testet, meistens ein Oberflächenteil von dem Virus, also an den Spikes, die diese Coronaviren da außen drauf haben. Da nimmt man irgendeinen Teil und schaut, welche Antikörper haben die daran gebunden? Oder anders gesagt: Welche Patienten haben Antikörper, die da binden. Bei dieser Studie hatte die Münchner Virologie auch mitgemacht. Das ist die Leiterin der Virologie, Frau Protzer. Die haben einen zweistufigen Test entwickelt. Das hat eine Reihe von Vorteilen. Und zwar ist der Test, so dass man in einer ersten Stufe nach Antikörpern sucht mit einer möglichst hohen Empfindlichkeit. Also nach dem Motto: Ich will alle erwischen, die die Sensitivität, wie wir sagen soll, soll möglichst hoch sein. Und weil man da auch falsch-positive dazwischen hat, wenn man so einen empfindlichen Tests hat, wird in der 2. Stufe ein hochspezifischer Test nachgeschoben oder einer mit einer höheren Spezifität. Durch dieses zweistufige Verfahren kriegt man dann am Schluss eine hohe Empfindlichkeit, vom Nachweis her, aber trotzdem eine hohe Sicherheit. Dass die Positiven auch positiv sind. Das ist extrem wichtig, weil bei epidemiologischen Studien. Denn man muss sich vorstellen, man untersucht ja quasi vor dem Hintergrund die Gesamtbevölkerung ohne irgendeinen Risikofaktor. Das heißt also, da werden die allerallermeisten negativ sein. Hoffentlich. Und wenn man wenige Positive aus vielen Negativen herausziehen will, ist ein Test, der ein paar Falsch-Positive hat, katastrophal. Wenn 99 Prozent richtig sind, und nur ein Prozent falsch, aber sie testen 1 Million Leute,

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dann kriegen sie irrsinnig viele, die falsch- positiv sind. Und deshalb sind diese Bevölkerungsstudien immer darauf angewiesen, dass der Test eine ganz hohe Spezifität hat. Und dieser Test mit diesem Doppeltest, der hat eben jetzt etwa 100 Prozent Spezifität nach der Studie. Und das ist super interessant, denn dadurch kann man viel besser als bisher Bevölkerungsuntersuchungen machen, zum Beispiel auch bei der Frage: Wer hatte nun Antikörper gegen Covid-19 entwickelt und wer nicht?

Camillo Schumann

Jetzt war es so, dass bei dieser Studie in der Altersgruppe der 1- bis 18-Jährigen der Anteil der Antikörper 6-mal höher war als die Zahl der tatsächlich Infizierten laut Statistik. Hat Sie das überrascht oder ist das normal?

Alexander Kekulé

Das hat mich nicht überrascht. Aber es ist wichtig, dass man es mal schwarz auf weiß hat. Das geht letztlich darauf hinaus. Wir haben ja immer gesagt, da werden irgendwelche Meldezahlen geliefert. Das hier war eine rückwirkende Studie. Da haben wir die Proben untersucht, die wir schon im Kühlschrank hatten sozusagen. Das ging rückwirkend von Januar bis Juli dieses Jahres. Da ist es dann so: Wenn Sie in diesem Zeitraum bestimmte Meldungen hatten, zum Beispiel im April gab es ja viele Neuerkrankungen. Da wurde dann dazugesagt, so und so viel Prozent sind Kinder. Und das war ja immer extrem wenig. Und jetzt ist der Anteil der Kinder durch diese Nachuntersuchung gestiegen. Wir haben jetzt 0,87 Prozent der Kinder, die positiv sind. Das heißt also, das ist mal so grob gesagt, fast ein Prozent. Fast jedes 100. Kind war positiv in dieser Nachuntersuchung. Das ist immer noch nicht in dem Bereich, wo man jetzt sagen müsste: Wir müssen unser ganzes Konzept für Schulen und Kitas aufgrund dieser Studie überdenken. Aber das heißt, auch bei Kindern gibt es eine ganz wichtige, große Dunkelziffer. Und eben jetzt bei dieser ersten Studie, die so gründlich gemacht wurde mit dem neuen Test liegt der Schnitt bei 1:6. Wir haben in diesem

Podcast oft auch immer so eine Zahl von 1:10 als Dunkelziffer ins Spiel gebracht. Es ist so, dass 1:10 auch bei Studien in den USA und in China herausgekommen ist. Wenn die jetzt sozusagen nur 1:6 als Dunkelziffer haben, könnte man schon fast sagen, das ist eine gute Nachricht, denn das heißt, es sind also nicht zehnmal so viele Menschen infiziert, wie man gedacht hat, sondern nur sechsmal so viele, zumindest in der Altersgruppe.

Camillo Schumann

Also mit anderen Worten: Keine Handlungsempfehlung. Interessant zu wissen, aber man muss jetzt nicht die Kitas schließen oder noch um das eigene Konzept überarbeiten oder anderen Schwerpunkt drauflegen.

Alexander Kekulé

So schnell nicht. Handlungsempfehlungen auf keinen Fall. Aber ich glaube, das ist schon wichtig. dieses zweistufige Verfahren hat sich in diesem Test einfach bewährt. Und das muss man dazusagen. Es gibt es auch für andere Erreger. Ja, wir machen das für andere Viren, auch mit diesem zweistufigen Test. Das gibt es auch für verschiedene sonstige Parameter, die man im Blut testen kann. In Spanien gab es mal eine ähnliche Untersuchung. Die hatten auch schon den zweistufigen Test eingesetzt. Das ist nichtgleich nobelpreisverdächtig. Es ist auch kein Neuland. Aber das beweist, dass man damit wesentlich besser nachweisen kann, welcher Teil der Bevölkerung immun ist. Und es geht ja um die Begleitstudien, die wir jetzt dringend machen müssen bei den jetzt angeordneten Öffnungen oder dem Offenlassen der Schulen und Kitas. Weil das ein Experiment und ein gewisses Risiko sind, was man in Kauf nimmt, müssen wir begleiten, gucken, was passiert dort, wenn wir die offen lassen. Es dauert ja immer eine Weile, bis sich so Antikörper bilden. Das heißt, man kann das nicht zur gleichen Zeit machen. Aber dass man zeitversetzt dann nochmal so eine Studie macht an solchen Schulen, die offen geblieben sind und guckt, hat es da Infektionen gegeben oder nicht, da muss man eben diese Methode

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nehmen, weil die wesentlich besser ist. Die kann man auch woanders anwenden. Man muss dazu sagen, sie ist auch wesentlich aufwendiger fürs Labor.

Was ich noch interessant fand, ist: Bei der Epidemiologie hat sich gezeigt, von den 2/3 der Kinder, bei denen ein Familienmitglied klassisch positiv getestet wurde, war negativ. Also 2/3 der Kinder hatten sich nicht angesteckt. Insgesamt haben Sie daraus geschätzt, dass diese Secondary-Attacke-Rate, also der Teil der Menschen, die sich innerhalb eines Haushalts anstecken, die liegt bei Kindern in der Größenordnung von 50 Prozent. Also nur jedes 2. Kind steckt sich im Haushalt an, wo ein Positiver lebt. Das ist deshalb ein etwas beunruhigender Befund, weil man früher davon ausgegangen ist, bei anderen Studien, dass diese Rate unter 20 Prozent liegt. Auch in Heinsberg war es ja so, dass herauskam, dass 15 bis 20 Prozent der Haushaltsmitglieder sich nur angesteckt hatten. Aber bei den Kindern sind es eben jetzt doch 50 Prozent. Das liegt daran, dass wirklich, und das ist ja auch noch einmal gezeigt worden, mindestens die Hälfte der Kinder einfach keine Symptome hat. Wenn die keine Symptome haben und man es überhaupt nicht bemerkt, dann ist kein Wunder, dass man in so klassischen Studien denkt, die Kinder hat es ja nicht erwischt, nur Erwachsene werden krank. Dann müssen wir eben noch genauer hinschauen in Zukunft, damit wir nicht der Politik falsche Zahlen an die Hand geben, wenn sie so Fragen beantworten muss wie: Soll ich jetzt die Kitas offenlassen? Soll ich die Grundschulen offenlassen?

Camillo Schumann

Kinder und Corona sind ein Dauerthema im Podcast. Das wird uns sicherlich mal wieder beschäftigen.

Kommen wir an dieser Stelle zu den Hörern? Fragen dieser Herr hat angerufen. Er und seine Frau haben zugegeben, ein kleines Luxus- Problem. Aber warum sollten wir nicht darüber sprechen?

„Ich und meine Frau sind Risiko-Patienten, also 78 und 73, leben in Offenbach, haben aber auch ein Haus in Fuerteventura. Das ist ja jetzt nun risikofrei. Empfiehlt es sich also, einem Hotspot zu entfliehen und lieber nach Portugal zu fliegen. Oder ist es auch zu gefährlich?“

Alexander Kekulé

In Fuerteventura sind dafür die Krankenhäuser nicht so gut, wenn es ein wirklich erwischt. Ich würde jetzt nicht wegen der Krankheit wegfliegen. Ich weiß, dass es viele ältere Herrschaften gemacht haben. Ich kenne auch schon Leute, die waren in Kanada, die sind inzwischen wieder da. Sie dachten, sie verschanzen sich da, bis die Pandemie vorbei ist. Die sind inzwischen alle wieder zurück, weil ihnen das zu langweilig geworden ist. Ich glaube, dass es möglich ist. Und das ist mir ganz wichtig zu sagen: Es ist möglich, hier zu leben und sich mit 99 Prozent Sicherheit vor dieser Krankheit zu schützen. Und wenn man das einhält, wenn man das vernünftig macht, auch wenn man Risikopersonen ist, dann muss man aus Deutschland nicht weg, sondern im Gegenteil. Im Zweifelsfall, wenn das eine Prozent eintritt, dass es doch schiefgeht, dann hat man hier einfach die bessere Krankenversorgung. Auch die Informationen sind in Deutschland bei aller Kritik viel besser. Wenn es in Spanien, in Fuerteventura, einen Ausbruch gibt, erfahren Sie es hier erst zwei Wochen später. Ich glaube nicht, dass Sie dort besser bedient sind.

Camillo Schumann

Aber die Sonne scheint bei 23°C. Ich habe gerade mal nachgeguckt.

Alexander Kekulé

Das war jetzt nicht die Frage. Geht es zum Windsurfen, ist Fuerteventura natürlich nicht schlecht. Da wüsste ich auch den einen oder anderen Strand, wo man das machen kann. Aber vielleicht um die Jahreszeit nicht die beste Jahreszeit dafür. Aber wenn es jetzt wirklich nur um Corona geht, würde ich mal sagen: lieber hierbleiben.

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Camillo Schumann

Und weil Sie gesagt haben, man kann auch in Deutschland sich zu fast 100 Prozent vor Corona schützen: Frau Schröder hat uns geschrieben. Sie schreibt:

„Ich wollte gerne so viel wie möglich erfahren über den Umgang mit Corona, gezielt in der häuslichen Gemeinschaft. Wohlgemerkt, nicht Familie, sondern Wohngemeinschaft. Sprich: Ich wohne in einer 2-Generationen-WG mit Untermieter und möchte hier alles richtig machen. Es vergiftet derzeit unseren Umgang sehr, sich ständig aus dem Weg zu gehen, nicht mehr an einem Tisch zu essen etc. Wenn dies sowieso egal wäre, da es in häuslicher Gemeinschaft mit geteilter Küche und Bad sowieso kaum vermeidbar ist, falls das Virus her eindringt, dann können wir den Irrsinn mit gegenseitiger Angst voreinander unterlassen. Viele Grüße.“

So geht es wahrscheinlich ganz.

Alexander Kekulé

Ja, das ist schwierig, weil eben diese Secondary Attacke-Rate, also die Wahrscheinlichkeit, dass jemand anders im Haushalt angesteckt wird, noch nicht klar ist. Wenn die bei 15 bis 20 Prozent läge, wie es am Anfang mal vermutet wurde, würde man sagen: Jawohl, es lohnt sich auf jeden Fall, Sicherheitsmaßnahmen zu Hause zu treffen. Wenn es bei 50 Prozent liegt, was jetzt die letzte Studie für Kinder suggeriert, dann geht es schon so an die Grenze. Ich würde mal sagen, unter Eheleuten, die jetzt nicht völlig platonisch leben, wird es wahrscheinlich so sein, dass man eine Ansteckungsquote bis zu hundert Prozent kriegt. Ich glaube, man muss sich überlegen, mit wem man da zusammen wohnt und wie nah man den Leuten steht. Es gibt ja Wohngemeinschaften, die den Charakter einer Familie haben. Und wenn man da auch gegenseitiges Vertrauen hat, dann kommt es ja nicht so sehr darauf an, ob ich eine Risikogruppe bin. Sondern es kommt auf die Frage an, wie verhalten sich die Leute sonst außerhalb der Wohnung? Und wenn ich weiß,

ich wohne mit Leuten zusammen, die vernünftig sind, die nicht auf irgendwelche Partys gehen, wo ohne Mundschutz gefeiert wird, die, wenn sie zum Einkaufen gehen, das Gedränge meiden und sich hinterher vielleicht die Hände desinfizieren, immer die Masken aufhaben. Also wenn ich mit solchen Leuten zusammen bin, wo ich weiß, die sind vernünftig, dann glaube ich, brauche ich im Haushalt keine Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Dann bin ich sozusagen in der Stadt an der Stelle eine Risikogemeinschaft mit den anderen. Das wäre vielleicht das richtige Wort dafür. Man muss da Risikogemeinschaft bilden, die dann auch so sind, das man eben darauf vertraut. Und dann muss man auch offen darüber sprechen, wie man untereinander mit dem Thema umgeht.

Um mal etwas ganz anderes zu strapazieren: So etwas Ähnliches gibt es ja auch in der Ehe, was die HIV-Infektion betriff. Wenn Sie im ehelichen Bereich oder in der Partnerschaft möglicherweise auf Kondome verzichten, dann haben sie das gegenseitige Vertrauen, dass der andere nicht irgendwo anderswo ihnen das Virus oder eine andere Krankheit einschleppt. Es gibt da noch ein paar andere Geschlechtskrankheiten. Im übertragenen Sinn ist es hier auch so, wenn Sie in so einer Wohngemeinschaft sind. Wenn Sie glauben, dass sich alle auch außerhalb dieser Gemeinschaft an die Regeln halten, dann werden sie keine Infektionen bekommen. Und wenn eine kommt, dann war es eben ein vergemeinschaftetes Risiko.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 115, vielen Dank.

Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Bis Donnerstag, Herr Schumann.

Sie haben auch eine Frage – dann schreiben Sie uns mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns einfach an, kostenlos das Ganze: 0800 322 00.

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Alle Spezialfolgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen, auch zum Nachlesen unter auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 31. Oktober 2020 #114 SPEZIAL: Fragen zu Öffnungszeiten, Sperrstunden und feuchten Masken

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

 Brauchen ältere Menschen eigene Öffnungszeiten im Supermarkt?

 Hilft eine Maske auch gegen Influenza?  Sind geimpfte Menschen noch eine Gefahr

für andere?  Warum nur die Alten schützen?  Wieso werden schon Impfstoffe produziert,

obwohl es noch keine Zulassung gibt?

Damit herzlich willkommen wieder zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL, nur mit ihren Fragen. Die Antworten kommen vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Frau M. hat eine Mail geschrieben, gleich mehrere Fragen. Ich habe mir mal diese herausgepickt, weil die sicherlich viele Menschen interessiert. Sie schreibt:

„Hamburgs Oberbürgermeister hat zu einer der wichtigsten Maßnahmen die Sperrstunde in Kneipen genannt. Ist diese Maßnahme tatsächlich so effektiv? Wieviel Ansteckungen lassen sich durch den Kneipenbesuch nach 22 Uhr zurückführen? Viele Grüße.“

Tja, das ist die Gretchenfrage, oder?

Alexander Kekulé

Ja, es gibt so viele Gretchenfragen. Es ist so, dass es hier wirklich darauf ankommt, was das für eine Kneipe ist. Ich bin ganz sicher, dass es in Berlin Kneipen gibt, wo man sagen muss, das geht gar nicht, was sie da veranstalten. Und ich schätze mal, die sind, wenn man das abzählen würde, unter 5 %. Bei denen ist es gut, dass es die Sperrstunde gibt. Und da ist es richtig, dass die dann irgendwann zumachen müssen. Alle anderen werden das wahrscheinlich genauso wenig verstehen, wie ich.

Camillo Schumann

Aber grundsätzlich kann man sagen, gibt es noch keine Erhebung. Und man hat sozusagen noch nicht ins Detail geschaut, wann und zu welcher Uhrzeit in welcher Kneipe wer sich wie angesteckt hat.

Alexander Kekulé

Ja, das stimmt. Ich bin da immer so für ein 80/20-Prinzip. Die Wahrscheinlichkeit, dass es so ist, ist ja sehr hoch bei den Kneipen. Und wir wissen, dass zum Beispiel in Frankreich, nachdem die in Paris dann die ganzen Gaststätten wieder zugemacht haben vor einigen Wochen, dass es zu einer deutlichen Beruhigung der Neuinfektionen beigetragen hat. Da würde ich jetzt nicht fordern, dass man einen wissenschaftlichen Beweis vorlegt. Aber dafür, dass ein normales Restaurant überhaupt irgendeinen Einfluss hat auf das Seuchengeschehen, dafür gibt es ja weder Belege noch wäre es irgendwie plausibel auf den ersten Blick.

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen, die ist ziemlich sauer. Sie schildert mal die Situation der Gymnasiallehrer in Bayern. „Kein Hygienekonzept im Prinzip, mindestens 25 Schüler in einem Raum, keine Schnelltests stehen zur Verfügung, keine Pooltests, es werden den Lehrkräften keine FFP2-Masken gestellt. Man muss also selber gucken, wie man die sich aus der Apotheke irgendwie zusammen holt. Warum legt die Gesellschaft da keinen Fokus darauf, um Lehrkräfte zu schützen? Weil, wenn die krank werden, bricht ein systemrelevanter Zweig zusammen. Es ist ja so

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wichtig, die Schulen offenzuhalten. Und genauso gut Polizeibeamte, die müssten wir auch viel besser schützen. Und schützenswert finde ich ehrlich gesagt jeden, und nicht nur die Alten im Pflegeheim.“

Ein deutliches Statement dieser Dame. Das spricht sich vielen Hörerinnen und Hörern aus dem Herzen. Wir bekommen sehr, sehr viele Zuschriften von Lehrerinnen und Lehrern. Man möchte ja gar nicht die Alten gegen die Lehrer ausspielen, aber sollte es da nicht eine Priorisierung geben?

Alexander Kekulé

Die Priorisierung ist natürlich die, dass man sagen muss, dass Menschen über 70 ein Sterberisiko haben, was im Bereich von 10 % liegt bei dieser Erkrankung. In manchen Regionen war es sogar höher. Das ist natürlich ein Mittelwert. Das sind auch die, die sowieso schon sehr krank waren, mitgerechnet. Aber, das ist natürlich ganz etwas anderes, als bei jemandem, der 50 ist. Da ist das Risiko auf jeden Fall um den Faktor 10-30 niedriger. Darum ist es schon richtig, die besonders gefährdet sind besonders zu schützen. Mit den Schulen und den Kitas wird jetzt zu einer Art Experiment gemacht, das meine ich nicht negativ. Wissenschaftler finden ja Experimente immer interessant. Und zwar an der Weise, dass man die offenlässt, während sonst so eine Art Lockdown verhängt wurde. Das kann gut gehen, aber es ist völlig richtig, je besser man so etwas absichert, so ein Risiko, das absichtlich in Kauf genommen wird, desto leichter ist es auch kommunizierbar an Lehrpersonen. Ich denke da vor allem an die Wirkung, dass wir wissen, dass viele Lehrerinnen und Lehrer sich tatsächlich krankschreiben lassen aus Angst, sie könnten sich in der Schule anstecken. Die Krankschreibungsquote bei den Lehrern ist gestiegen. Und das ist natürlich eine Abstimmung mit Füßen, so ein bisschen. Es ist ganz wichtig, allen, das gilt auch für die Schüler und die Eltern der Schüler und der Kita Kinder, allen das Gefühl zu geben, wir machen hier bei diesem Experiment alles, was wir tun können, damit es so sicher wie möglich abläuft.

Camillo Schumann

Apropos Maßnahmen, Frau R. aus Bayern schreibt:

„Ich bin Grundschullehrerin. In Bayern gilt ab einem Inzidenzwert von 50 eine Maskenpflicht für Grundschüler. Aus pädagogischer didaktischer Sicht ist das natürlich besonders in dieser Altersgruppe sehr schwierig. In der Grundschule sind Klassen in feste Gruppen mit festem Lehrer eingeteilt. Vermischung von Gruppen werden Krone bedingt möglichst vermieden. Eine Nachverfolgung von Fällen bei einem Coronaausbruch wäre demnach gut machbar. Die Lehrkräfte lüften regelmäßig und leiten die Kinder zur regelmäßigen Hygiene und zum Tragen der Masken außerhalb der Klassenzimmer an. Ist da ein Tragen der Maske während der Unterrichtssituation in dieser Altersgruppe wirklich notwendig? Viele Grüße, Frau R.“

Alexander Kekulé

Wenn man davon ausgehen würde, dass viele Kinder statistisch ein großes Risiko haben, sich zu Hause anzustecken, dann wäre man wirklich in der Lage, dass man sagen muss, jawohl, da kommt man um Tests – den gibt es leider nicht – oder Maske nicht drumherum. Was ich nicht ganz plausibel finde ist, leider, weil man nichts anderes hat, dass man diese Schwelle von 50 Erkrankungen, Neuerkrankungen in sieben Tagen auf 100.000 Einwohnern nimmt. Weil das nichts darüber aussagt, welche Kinder ganz konkret in einer Klasse von 20-25 Kindern drinsitzen. Ich glaube, darauf sollte man eher abstimmen, ob ganz konkret mit der Zusammensetzung der Klasse ein Risiko befürchtet wird oder nicht. Das kann letztlich nicht der Ministerpräsident anordnen, dass müssten dann die Kreise machen, die Schulen, das müssen die von Fall zu Fall entscheiden. Und ich möchte kein Politiker sein, der das im Einzelfall entscheiden muss. Darum hat man das so pauschal gemacht. Dass man letztlich eine stumpfe Waffe letztlich, relativ primitiv, wie man das macht. Aber feiner bekommen das Erscheinen von oben nach unten nicht hin.

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Camillo Schumann

Bleiben wir bei den Masken im Unterricht. Dazu kommt eine Frage von Herrn S. aus Halle. Er hat angerufen.

„Es wird die häufig in dem Tun bei den Kindern mittlerweile oder Jugendlichen erwartet, dass sie die Maske tragen auch im Unterricht. Was bedeutet, dass diese ja den ganzen Tag über Stunden hinweg dieselbe Maske tragen. Und es mit Sicherheit auch zur Durchfeuchtung einer Maske kommt. Ist das dann nicht sogar eine größere Gefahr, weil sich durch diese Durchfeuchtung der Maske Erreger, Viren ansammeln könnten, und diese sogar noch verstärkt eingeatmet bzw. abgegeben werden können. Ja, das wäre eine Frage. Vielen Dank für die Beantwortung.“

Alexander Kekulé

Also erst einmal Hallo Herr S. nach Halle. Das ist ja meine Arbeitsheimat. Es ist genauso, wie er es beschrieben hat, wenn da Feuchtigkeit drin ist, man atmet stark aus, dann erzeugt man vorne an der Maske vom Stoff weg so eine Art Nebel. Und das ist natürlich genau das, was wir nicht wollen. Eine feuchte Maske, das geht nicht.

Camillo Schumann

Also zwei mitnehmen?

Alexander Kekulé

Zwei, drei oder vier, je nachdem wie feucht die Aussprache ist, wie oft man sich meldet. Die Einser-Schüler, die sich andauernd melden und etwas sagen müssen, müssen halt ein paar mehr mitnehmen.

Camillo Schumann

Herr H. hat uns eine Mail geschrieben. Er schreibt:

„Bundesgesundheitsmister Jens Spahn wurde vor einigen Wochen gegen Influenzaviren geimpft. Dabei sagte er, sinngemäß, folgendes: mit der Impfung schütze ich nicht nur mich, sondern auch ein Umfeld. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass eine gegen Influenzaviren geimpft andere Person, die mit ihm Kontakt haben, unabhängig davon, ob sie

geimpft sind, infiziert. Der Geimpfte selbst erkrankt aber milder. Ich vermute, dass dies auch für Corona-Geimpfte gilt. Daraus folgt, dass die Corona Pandemie durch eine Impfung nicht gestoppt wird. Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Jetzt wird es immunologisch. Da muss man unterscheiden. Grundsätzlich, der Hörer hat recht. Man muss unterscheiden zwischen der sogenannten sterilisierenden Immunisierung und der partiellen, der teilweisen Immunisierung. Wenn Menschen vollständig immun sind, wir nennen das sterilisierende Immunisierung. Dann ist das so, dass ein Erreger überhaupt keine Chance mehr hat, sich zu vermehren. Der wird sozusagen auf der Schleimhaut, wenn er angeflogen kommt, abgefangen. Und das war es. Und bei der teilweisen Immunität, das ist eher die Regel, sodass der Erreger anfängt, sich zu vermehren in der Schleimhaut, begrenzt. Und das Immunsystem wird aktiviert, fängt ihn weg, bevor die Krankheit ausbricht oder schwer wird. Der könnte rein theoretisch in der Phase, wo sich das Virus vermehrt andere anstecken. Man muss aber auch sagen, da ist schon die Viruslast, also die Konzentration der Viren auf den Schleimhäuten, deutlich herabgesetzt – auch bei einer partiellen Immunität. Sodass die Wahrscheinlichkeit, dass so jemand jetzt andere ansteckt, obwohl er eigentlich teilweise immun ist, doch sehr gering ist. Mag sein, dass das bei der Influenza da mal vorkommt – ausnahmsweise. Generell würde ich sagen, ja, die Impfung, auch wenn es eine partielle Immunisierung ist, die schützt zum großen Teil auch vor Ansteckung von anderen.

Camillo Schumann

Er schreibt weiter:

„Um die Coronapandemie zu stoppen bedarf es deshalb eines Medikaments, dass die Virenkonzentration unmittelbar nach der Infektion reduziert. Ist dieser Gedankengang richtig?

Alexander Kekulé

Ähm, ja. Das wäre ein antivirales Medikament. Das einzige, was da noch im Rennen ist, ist das Remdesivir. Offiziell soll das wirken. Aber ich habe meine persönlichen Bedenken da schon

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ein paarmal angemeldet. Damit kann man vielleicht die Viruskonzentration ein bisschen herabsetzen, aber ich würde nicht empfehlen, dass bei jedem zu geben, damit der nicht mehr ansteckend ist. Die interessante Frage ist tatsächlich, was machen wir dann, wenn die Impfung kommt? Und da muss man eben vorsichtig sein. Nur, weil wir einen Impfstoff haben, heißt das nicht, dass das Virus mit einem Schlag weg ist. Man kann Risikogruppen, wenn der Impfstoff dort wirkt, natürlich besser schützen. Aber es wird in der Tat so sein, dass die Viren sich weiterverbreiten. Nicht nur wegen dieser partiellen Immunisierung, was wir gerade besprochen haben. Sondern auch deshalb, weil sich das Virus ja verändert. Diese Coronaviren haben es leider drauf, dass sie alle Jahre wieder in einem etwas anderen Gewand daherkommen und neue Infektionen machen. Sonst würden wir auch nicht so oft Erkältungen kriegen. Das ist natürlich die Befürchtung, die im Raum steht, dass man bei der Hälfte der Impfungen durch ist. Und dass man dann für die andere Hälfte der Leute schon einen etwas abgeänderten Impfstoff braucht, weil der erste schon nicht mehr richtig wirkt. Also, in diesem Zusammenhang ist die Überlegung wichtig, ob jemand, der geimpft ist noch ansteckend ist. Und wir müssen damit rechnen, dass auch Geimpfte eine Weile diese Krankheit in einer Population, in einer Bevölkerung, halten können.

Camillo Schumann

Frau M. hat uns geschrieben:

„Wie kann es bitteschön sein, dass ein Pharma- Unternehmen in Sachsen-Anhalt anscheinend bereits Impfstoffe abgefüllt, die noch gar nicht zugelassen sind? Mit freundliche Grüßen, Frau M.“

Alexander Kekulé

Also das ist ja hier eine Besonderheit. Normalerweise ist es genauso, man muss das erst entwickeln, da muss man ganz viel Papier unterschreiben. Dann macht man diese Tests der klinischen Phase 1-3, und irgendwann, wenn man genug Patienten in den klinischen Versuchen untersucht hat – die heißen dann nicht Patienten, sondern Probanden – kann

man mit dem ganzen Papierkram zur Zulassungsstelle gehen und bekommt dann irgendwann mal die Zulassung. Das dauert heutzutage, selbst bei einer flotten Entwicklung, noch etwa acht Jahre oder so etwas, für einen Impfstoff. So ist die Dimension. Und jetzt wollen wir das hier viel schneller und ganz besonders machen und deshalb hat man eben ganz bewusst gesagt, wir machen Entwicklung, Zulassungs- vorbereitung und Produktionsvorbereitung parallel. D. h. aber nicht, dass die Sachen, die dort abgefüllt werden – ich weiß es nicht, welche Firma die Hörerin meint – jetzt morgen gleich in der Apotheke zu kaufen sind. Sondern die werden sicherlich für Zulassungsstudien abgefüllt, wo man ja auch viele Medikamente braucht, weil einige 10.000 Probanden braucht man auf jeden Fall für eine Phase-3-Studie bei einem Impfstoff. Und das muss er dann auch irgendwie produziert werden.

13:12

Camillo Schumann

Und einige Unternehmen produzieren ja schon einmal Millionen Dosen auf Halde. Mit der Hoffnung, dass dann ihr Medikament, ihr Impfstoff das Rennen macht.

Alexander Kekulé

Es ist ungewöhnlich, aber es ist vorgesehen für diese Pandemie. Und es gibt auch Abnahmegarantien. Es ist ja so, dass die großen Regierungen, auch die EU, haben ja tatsächlich von den Herstellern schon sozusagen Kontingente gekauft von den Impfstoffen. Und dadurch haben die das Geld in der Kasse, um die Produktion an zu werfen.

Camillo Schumann

Genau, alle Welt wartete auf einen Coronaimpfstoff. Mittlerweile wird ja selbst der Grippeimpfstoff knapp, kann man lesen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat mittlerweile beruhigt, es gibt noch ausreichend Grippeimpfdosen. Laut Gesundheitsministerien kann damit die Nachfrage in dieser Saison definitiv bedient werden. Diese Dame, die angerufen hat, hat noch eine Dosis in der Apotheke bekommen. Sie ist sich aber nun sehr unsicher, ob sie wirklich zum Arzt gehen soll. Deshalb hat sie jetzt diese Frage:

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„Aber die Maske müsste doch auch vor Influenza schützen. Weil, bei mir ist das Problem, ich habe wahnsinnige Angst, in die Arztpraxis zu gehen. Nachher bin ich gegen Influenza geimpft und kriege trotzdem Corona. Also kann man nicht aufgrund der Maske, ist man nicht auch deshalb vor Influenza geschützt? Muss man wirklich die Impfung unbedingt haben?“

Alexander Kekulé

Das kommt ein bisschen auf die Arztpraxis an. Am Anfang war es in der Tat so, da haben wir hier ja auch empfohlen, wirklich Arztbesuche nur zu machen, wenn es dringend notwendig ist. Jetzt hoffe ich doch sehr, dass die Arztpraxen sich Konzepte überlegt haben, wie sie Infektionen in ihren Räumen verhindern können. Man kann auch eine Maske, eine FFP- Maske auch in der Arztpraxis durchaus einziehen, wenn man da reingeht. Man muss die noch nicht einmal zu Impfung in den Oberarm abnehmen. Deshalb würde ich schon sagen, in dem Fall zum Arzt zu gehen ist in Ordnung.

Ja, schützt die Maske auch vor Influenza? Es ist so, dass Influenza nach meiner Überzeugung, da sind sich die Virologen nicht ganz einig, noch mal deutlich ansteckender ist als COVID- 19. Daher ist es so, dass alle Unsicherheiten, die Masken haben, vor allem wenn man solche OP-Masken oder Alltagsmasken nimmt, bei COVID-19, die gelten noch stärker bei der Influenza. Dadurch, dass das Virus einfach infektiöser ist und in kleinerer Dosis schon zu Ansteckung führt, würde ich mal sagen, ein nicht mehr ganz gut sitzende FFP2-Maske kann schon der Grund sein, dass man sich die Influenza holt. Darum würde ich jetzt sagen, bei einer sehr ansteckenden Erkrankung, wie Influenza, wenn man sie wirklich vermeiden will, ist die Impfung schon das Richtige. Zumal, wenn man in einem Alter ist, wo die Impfungen noch gut funktionieren. Und die Stimme klang so, als wäre die Dame durchaus noch in einem Alter, wo man hoffen kann, dass der Impfstoff anschlägt.

Camillo Schumann

Herr B. aus Böblingen hat gemailt:

„Bei der Diskussion um weitere Aktionen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie fehlt mir eine Maßnahme, die schon in anderen EU- Ländern, zum Beispiel Ungarn, praktiziert wird. Die Schaffung von Ladenöffnungszeiten landesweit, die ausschließlich für ältere Menschen über 60 bestimmt ist. Würde das nicht helfen, die älteren Personengruppen mit niedriger Inzidenz von den jüngeren Personengruppen mit höherer Inzidenz zu separieren? Warum ist diese Regelung in Deutschland noch nicht diskutiert worden? Viele Grüße, Herr B.“

Alexander Kekulé

Ich bin ich der Meinung, dass man das für eine Gesellschaft so durchziehen soll, dass man sagt, jetzt dürfen nur die Alten rein und dann die anderen in dem Moment. Da hat man so einen Ausgrenzungseffekt. Zumal wir jetzt epidemiologisch da nicht den Bedarf haben. Weil wir haben ja erstens die Situation, dass meine ich zumindest, dass in den meisten Supermärkten und Geschäften es auch Zeiten gibt, wo es nicht so voll ist. Und zweitens, können die alten Leute, wenn sie wirklich meinen, sie haben ein Risiko, eine FFP2-Maske aufziehen. Die stehen ja zur Verfügung. Und ich persönlich gehe davon aus, bei einer richtig sitzenden FFP2-Maske die Infektionsgefahr gegen null geht, wenn man das vernünftig macht.

17:20

Camillo Schumann

Familie H. aus dem Ruhrgebiet hat uns geschrieben. Die Eltern, die sind über 50, ihre Kinder sind 16, 12 und 9. Sie schreiben:

„Unsere große Sorge besteht darin, dass eines der Kinder aufgrund des lückenhaften Schutzes in der Schule die Infektion nach Hause tragen könnte und die anderen Familienmitglieder anstecken könnte und diese Schwerkranken könnten. Welche Maßnahmen halten Sie für angezeigt? Sollte man sich möglichst in verschiedenen Räumen aufhalten? Sollte man auch zu Hause alle 20 Minuten lüften? Sollte man die Mahlzeiten getrennt voneinander einnehmen? Dürfen Kinder bei der Zubereitung von Mahlzeiten noch mithelfen? Sollte man Bäder und Kontaktflächen regelmäßig

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desinfizieren? Wenn ja, wie häufig? Für eine Beantwortung wären wir sehr dankbar.“

Da ist eine Familie, die sich sehr viele Gedanken macht.

18:05

Alexander Kekulé

Also, ich bin der Meinung, in der Familie ist man eine Schicksalsgemeinschaft. Wenn so eine Familie dann getroffen ist, dann wird es über die Kinder eingeschleppt und das war es eben dann. Dann kann man bei der nächsten Bundestagswahl eine andere Regierung wählen, oder man beschwert sich beim Gesundheitsamt. Aber das ist dann im klassischen Sinne höhere Gewalt. Ich würde jetzt nicht so weit gehen, das innerhalb der Familie abzufedern und anzufangen, die Kinder zu desinfizieren und dann einen Extratisch setzen und sich nicht mehr zu umarmen o. ä. Das Risiko haben wir alle, das habe ich ganz persönlich auch. Ich mache mir natürlich auch Gedanken, dass mich als Virologe wahrscheinlich das Virus wenig Chancen hat zu erwischen – im normalen Alltag. Meine offene Flanke sind meine Kinder. Und das ist einfach so. Damit muss man aber letztlich leben, mit so einem Restrisiko. Für mich persönlich wäre es so, ich beobachte schon sehr genau die Situation in Deutschland und international. Wenn sich durch die überall ja geöffneten Schulen, das hat man auch in den USA gemacht, wenn sich dann wirklich in Studien zeigen würde, dass es Ausbrüche über die Kinder gibt. Das wird im Moment interessanterweise nicht beobachtet oder nur ganz selten. Dann würde ich möglicherweise noch mal beim Gesundheitsamt anrufen und sagen, jetzt schicke ich mein Kind nur noch in die Schule, wenn ihr da ein anderes Hygienekonzept habt. Aber im Moment gilt: Man kann einfach hoffen, dass man jetzt nicht der Erste ist, oder dass die Schule, wo die eigenen Kinder sind, nicht die erste ist, wo‘s eben trotz der Situation und der Daten, die wir haben, plötzlich zu einem riesigen Ausbruch kommt. Und sobald sich die Ausbrüche häufen würden, müsste man natürlich reagieren. Dann könnte man nicht mehr sagen, das ist höhere Gewalt. Dann ist es vermeidbares Risiko und dann müsse der Staat auch etwas tun.

Camillo Schumann

Und wie machen Sie es zu Hause ganz persönlich? Es ist kein Geheimnis, Sie haben ein kleines Kind. Und sie sind über 60. Da macht man sich ja gerade Gedanken.

20:10

Alexander Kekulé

Ja, ich habe eine Tochter im Kindergarten und einen Sohn, der in der Grundschule ist. Und drei andere, die schon raus aus dem Gemüse sind. Das ist ganz ehrlich gesagt bedenklich. Weil, es ist auch so, dass ich ja auch als Virologe als erstes gesagt habe, naja, ich zahle die Tests und wir lassen die ganze Klasse durchtesten. Das wollten interessanterweise weder die Eltern noch die Lehrer. Weil, die wollen da jetzt auch dann glauben, dass ihre Hygienekonzepte funktionieren. Wenn Sie natürlich sagen, da wird eine Klasse irgendwie besonders gecheckt, dann fragen sofort alle andere: Ja, was ist denn mit dem Hygienekonzept für den Rest.

Dieses Risiko gehen wir letztlich als Gesellschaft alle miteinander ein. Es ist so, dass hier die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten gemeinsam beschlossen hat, die Kitas und Schulen bleiben offen trotz der extrem bedrohlichen Infektionslage, die wir in Deutschland haben. Das ist ein Risiko. Das nimmt man ganz bewusst in Kauf, weil man sagt, die Kehrseite, das jetzt wieder zuzumachen mit allen Konsequenzen – auch pädagogisch für die Kinder – das ist schlimmer, als wenn hoffentlich nichts passiert. Aber das Risiko in Kauf nehmen, dass es in Schulen zu Ausbrüchen kommt. Man guckt sich das an und ist ja natürlich Gewehr bei Fuß, um diese nächste Maßnahme auch noch zu ziehen. In Bayern ist es ja so, dass sogar die Masken- pflicht dann angeordnet wird, weil man gesagt hat, das Risiko wollen wir dann doch nicht so ganz mit offener Tür eingehen. Und andere Bundesländer haben das nicht. Im Prinzip ist es da gleiche Konzept: Wir schauen uns das an. Wenn es dann zu Ausbrüchen kommen sollte, müssen wir die Schulen auch zumachen oder zumindest Masken anordnen.

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Camillo Schumann

Aber bei Kekulés zu Hause wird nicht in unterschiedlichen Zeitabständen gegessen?

Alexander Kekulé

Nein, überhaupt nicht. Das kann ich ja schon sagen. Die Kinder müssen sich schon immer die Hände waschen, wenn sie nach Hause kommen. Sie müssen immer ihre Straßenschuhe ausziehen, weil ich nicht weiß, wo die reingetreten sind. Aber Sie ahnen schon, da denke ich weniger an Coronaviren als an andere übel stinkende Dinge, die Kinder mit nach Hause bringen können.

Camillo Schumann

Aber das war es dann, oder?

Alexander Kekulé

Das war es, mehr ist es nicht. Das war schon immer so. Und wir machen das auch nicht so, dass wir z.B. unterwegs was essen. Man sieht ja Leute auf der Straße, die haben sich irgendwo im Laden mal gerade einen Hamburger geholt und essen den dann so beim Gehen. Erstens, glaube ich, dass der Genussfaktor dann so ein bisschen hinten runterfällt. Aber zweitens ist das so, dass ich als Mikrobiologe das nicht machen würde, weil ich da keine Chance habe, mir vorher die Hände zu waschen, wo ich zuvor irgendwie die Türklinke angefasst habe. Deshalb, glaube ich, ist das so ein ganz gutes Prinzip: Wo man was isst, bevor man sich ins Gesicht fasst, wäscht man sich die Hände, wenn man draußen war und nach Hause kommt. Das war es eigentlich schon.

Camillo Schumann

Das war der Blick durchs Schlüsselloch der Familie Kekulé.

Das war Ausgabe 114 von Kekulés Corona- Kompass Spezial mit Hörerfragen. Herr Kekulé, wir hören uns dann am Dienstag, dem 03.11. wieder. Bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Sie auch, wunderbar. Bis zum Dienstag.

Camillo Schumann

Alle Spezialfolgen und alle Ausgaben von Kekulés Corona-Kompass zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Die kompletten Sendungen, auch zum Nachlesen unter auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 29. Oktober 2020 #113: Die Inkonsequenz der Entscheidungen

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Die wichtigsten Links zur Folge #113.

 Studie: Neue SARS-CoV-2-Variante 20A.EU1 hat sich in Europa verbreitet: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2 020.10.25.20219063v1

Studie: Lehren aus Schweden: Wohnsituation entscheidend für COVID-19-Mortalität älterer Menschen: https://www.thelancet.com/journals/lanhl/a rticle/PIIS2666-7568(20)30035-0/fulltext

Camillo Schumann

 Am Tag der höchsten Neuinfektionen muss Deutschland die Beschlüsse zum erneuten Lockdown verdauen. Wie wirkungsvoll können die Maßnahmen sein? Und werden 4 Wochen reichen?

 Ärzte und einige Wissenschaftler halten vom Lockdown überhaupt nichts und fordern eine neue Strategie. Was ist davon zu halten?

 Das Virus verändert sich. Was bedeutet das für Herbst und Winter?

 Sollte der PCR-Test nachgebessert werden?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.

Camillo Schumann

16.774, das ist die Zahl des Tages, das ist die höchste bisher in der Pandemie in Deutschland gezählte Zahl an Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden. Das sind Zahlen vom Robert Koch- Institut. Über 1.600 Menschen müssen, stand heute, intensivmedizinisch betreut werden, davon rund 800 an den Beatmungsgeräten. Auf der anderen Seite ist die Hospitalisierungsquote auf fünf Prozent gesunken und der Anteil der Verstorbenen mit 0,13 Prozent so gering wie noch nie. Also auf der einen Seite sehr dramatische und auf der anderen Seite eigentlich sehr erfreuliche Zahlen. Wie bewerten Sie diese Zahlenlage?

Alexander Kekulé

Da muss man sehr aufpassen, weil, es ist ja eine zeitliche Abfolge. Zuerst werden die Leute infiziert, dann werden sie krank. Und dann gehen sie ins Krankenhaus Ganz zum Schluss sterben sie. Also, wenn man die zu einem Zeitpunkt quasi den Quotienten macht, dann stimmen diese Zahlen nicht.

Und das andere ist, dass wir ja jetzt auch noch einen Effekt haben, dass die meisten Infektionen doch eher bei Menschen ohne persönliches Risiko aufgetreten sind. Und das hatten wir im Frühjahr auch – die berühmten Skifahrer waren das. Und das dringt dann so nach und nach eben in die Population der Älteren ein. „Population“ sagen Epidemiologen quasi zu Menschengruppen, und die Älteren werden dann irgendwann betroffen. Das ist, wenn man keine entsprechenden Maßnahmen ergreift, unausweichlich. Dann würden auch die Fallzahlen, die Sterblichkeiten wieder ansteigen.

Camillo Schumann

Also mit anderen Worten: Die Statistik wird sich dann in den kommenden Tagen und Wochen auch wieder ändern diesbezüglich?

Alexander Kekulé

Also keiner weiß natürlich genau, was in der Zukunft passiert. Aber man darf sich jetzt auf keinen Fall entspannen. Und das hat die

Bundesregierung ja auch nicht getan und sagen: Na ja, bei uns ist die Sterblichkeit so niedrig, das können wir jetzt einfach durchrauschen lassen.

Camillo Schumann

Genau. Kommen wir zum Top-Thema, den gestern beschlossenen Lockdown.

„Deshalb ist das heute ein schwerer Tag auch für politische Entscheidungsträger. Ich will das ausdrücklich sagen, weil wir wissen, was wir den Menschen zumuten. Aber wir müssen den Weg finden, wie wir sozusagen Gesundheit sicherstellen können, in eine nationale Gesundheitsnotlage nicht hineingeraten und auf der anderen Seite weitestmöglich auch das wirtschaftliche Leben aufrechterhalten.“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel)

Also leicht gemacht haben sich Kanzlerin und die Ministerpräsidenten die Beschlüsse gestern nicht. Das hat man auch ihren Mienen angesehen. Es wäre ja so ein kleines „Novum“, dass man Maßnahmen quasi deutschlandweit beschlossen hat. Ist das doch schon mal ein gutes Signal?

Alexander Kekulé

Ja, das ist sicher positiv, dass es hier einheitlich zugeht. Diesmal gab es keine besonderen Vorankündigungen einzelner Ministerpräsidenten, wie beim ersten Mal, die dann am Tag vorher schon was verkündet haben. Andererseits muss man natürlich schon sagen, so schlecht ist unser Gedächtnis ja auch nicht. Diese Minen, die ganze Erklärung dazu – wir wollen, dass die Wirtschaft nicht eingeschränkt wird und so weiter – das ist im Grunde genommen der gleiche Sprechzettel wie im Frühjahr. Das wird jetzt das Gleiche noch mal gemacht und was aber dahinter steht, ist, dass man doch einige Monate später scheinbar keine neuen Instrumente entwickelt hat, keine neuen Ideen entwickelt hat, nichts vor allem implementiert hat, was jetzt anwendbar wäre und deshalb eigentlich der Lage genauso hilflos gegenübersteht wie damals. Das ist jetzt schon ein bisschen schade, weil wir ja jetzt wissen, dass es im Herbst wohl ernster wird als beim ersten Mal.

Camillo Schumann

Auf die einzelnen Ideen wollen wir gleich eingehen. Losgehen soll es der nächste Woche Montag, 2. November. Und der Lockdown light, so nennen wir das jetzt mal, soll insgesamt vier Wochen gehen. Bevor wir auf die einzelnen Punkte eingehen. Erst einmal der Zeitraum – vier Wochen – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder dazu:

„Wir verordnen eine Vier-Wochen-Therapie, wenn man das sagen kann. Wir hoffen, dass die Dosis richtig ist, dass es erfolgreich ist. Wir bitten auch herzlich, diese vier Wochen gemeinschaftlich durchzustehen. Wir evaluieren in zwei Wochen, aber wie bei jeder Therapie nicht zu früh abbrechen. Sie muss wirken.“

Der harte Lockdown im März, der ging auch vier Wochen, und auch damals wurde nach zwei Wochen geschaut, wo man steht. Erst einmal: Macht dieser Zeitraum – vier Wochen – aus epidemiologischer Sicht überhaupt Sinn?

0:05:17

Alexander Kekulé

Naja, es ist die Frage, wie man sieht. Also eigentlich würden rein technisch gesehen ein bis zwei Wochen natürlich reichen, weil wenn sich alle daran halten würden, dann wäre am Ende dieser Zeit die Inkubationszeit abgelaufen. Niemand könnte mehr infektiös sein. Und dann hätte man einen Reset gemacht. Das war ja das Konzept dieser sogenannten Corona-Ferien, was mal im Raum stand. Wenn man das jetzt länger macht, dann ist wohl dahinter der Gedanke, dass sich eben doch nicht alle daran halten, dass man quasi nicht richtig mit der Hauptbremse bremst, sondern eher so mit der Handbremse, so leicht zaghaft. Weil man ja doch viele Sachen offen lässt. Die Schulen bleiben offen, im wirtschaftlichen Bereich wird vieles noch erlaubt, und da ist sozusagen so über den Daumen gepeilt worden offensichtlich, dass man dadurch eben doch weitere Infektionen bekommt und deshalb einfach einen längeren Bremsweg hat.

6:06

Camillo Schumann

Und dieser Bremsweg von vier Wochen mit den Maßnahmen, die wir gleich besprechen werden, ist jetzt so ein Zeitraum, mit dem sie auch in Anführungszeichen leben könnten. Also wo man dann auch signifikant was Spürbares auch messen kann?

Alexander Kekulé

Ganz ehrlich gesagt, wenn ich es jetzt geplant hätte – aber ich bin froh, dass ich diese Dinge nicht machen muss, weil da viele politische Entscheidungen natürlich einfließen und die nicht sehr epidemiologisch sind – ich hätte das auf zwei Wochen begrenzt. Weil, wenn man nach zwei Wochen keinen ganz klaren Effekt sieht, dann kommt nach vier Wochen auch nicht mehr so viel. Da gibt es das Pareto- Prinzip 80/20. Die 80 Prozent Effekt, die sieht man sicher nach zwei Wochen schon. Wir hatten ja auch die Auswertung des Lockdowns im Frühjahr bei uns in Deutschland. Da haben wir im Podcast mit der Frau Priesemann mal gesprochen. Es gibt ganz ähnliche Untersuchungen, aber auch weltweit, die alle gezeigt haben, dass die Effekte der Lockdowns unmittelbar eingetreten sind. Also innerhalb weniger Tage war der Effekt schon da. Man kann das natürlich erst hinterher nachweisen, weil immer diese Verzögerung ist, bis die Daten dann bekannt sind. Aber mit dem Blick auf die vergangenen Lockdowns ist klar, wenn das Volk sich daran hält, tritt der Effekt innerhalb weniger Tage ein. Darum wäre ich wahrscheinlich da im Sinne des Kollateralschadens etwas konservativer gewesen, hätte das kürzer gemacht. Vielleicht kann ich das eine auch noch sagen: Die Hoffnung stirbt ja immer zuletzt. Aber wenn jetzt der bayrische Ministerpräsident sagt, nach vier Wochen Therapie wird dann alles gut. Was fällt mir dazu ein? Also entweder können sie vier Wochen Diät machen, dann machen sie eine richtig strenge Diät. Da ist bekannt, dass man dann am Schluss doch Heißhunger typischerweise wieder bekommt. Und ich glaube, das kennt jeder, dass man dann zum typischerweise nach acht Wochen das alte Gewicht wieder drauf hat. Also zumindest war das bei mir immer so. Wir kennen so was das mit der Diät kann man

spaßig sehen. Wir kennen aber ähnliche Dinge auch in der Krebstherapie. Wenn sie eine Chemotherapie machen, vier Wochen lang, und dann alles wieder absetzen, dann können sie zuschauen, wie die Krebszellen wiederkommen. Und der Vergleich ist gar nicht so schlecht, weil die Metastasen beim Krebs sind sozusagen die Streuherde bei der Epidemie. Dass es gibt eigentlich keinen epidemiologischen Grund, warum das danach nicht genauso munter wie vorher losgehen sollte. Ich hatte ja im Frühjahr sehr stark auch den Lockdown unterstützt, obwohl ich der Meinung war und nach wie vor bin, dass man das im Frühjahr hätte verhindern können durch bessere Maßnahmen. Aber als es dann so weit war, musste man den Lockdown machen. Aber da war natürlich die Blickrichtung eine andere. Da haben wir vom Frühjahr und den Sommer gesehen, und es bestand die Hoffnung, die sich ja auch erfüllt hat, dass die warme Jahreszeit uns hilft am Schluss. Jetzt sehe ich in vier Wochen ab heute irgendwie den tiefsten Winter beziehungsweise End-Herbst und Winter. Da sehe ich keinen epidemiologischen Grund, warum uns das Virus dann sozusagen ein fröhliches Weihnachten bescheren sollte.

Camillo Schumann

Also ich höre so raus zu diesen vier Wochen Lockdown light, wie man es finden will, hätte man gleichzeitig noch einen Beipackzettel für die Zeit danach mit liefern sollen?

Alexander Kekulé

Es ist letztlich die Frage man braucht ja immer eine Strategie. Nicht ein Lockdown ist so ein bisschen – diese martialischen Bilder sind natürlich immer übertrieben –, als wenn man in eine Schlacht zieht. Und das kennen wir aus vielen internationalen Schlachten, wenn irgendwo die Amerikaner einmarschiert sind und auch andere, war immer das Problem, dass man sich sozusagen keine Strategie für den Exit überlegt hatte, die Beispiele sind ja die Legion Afghanistan, das kennt ja jeder – oder Irak oder Ähnliches. Und hier ist es auch so. Man muss ja wissen wo will ich hin? Man kann ich nur sagen ich will einfach mal die Zahlen drücken und Wellen brechen. Ja, wenn Sie die Wellen brechen am Ufer, der Name ist ja

gestern ein paarmal genannt worden, dieses Wort des „Wellenbrechers“ – wenn sie die Wellen brechen und dann nehmen Sie den Wellenbrecher weg, was passiert dann? Dann kommt halt die nächste Welle, und es geht wieder los. Wir haben im Frühjahr schon mal den Fehler gemacht. Da war ein Lockdown, und es gab ja ganz zu Beginn des Lockdowns gleich Vorschläge, wie man aus diesem Lockdown dann wieder rauskommt, was man machen muss, welche Hausaufgaben machen muss bis zum Ende des Lockdowns. Und damals haben wir diese etwa vier Wochen nicht genutzt dafür. Und jetzt haben wir die ganzen Monate bis jetzt nicht genutzt, zum Beispiel, um diese Tests beizubringen, die wir dringend bräuchten, um die Strategie zu ändern. Immerhin sind wir jetzt in einer Lage – am Anfang war es immer so, dass alle gesagt haben, die Tests sind Unsinn – jetzt wird, glaube ich, schon mehrheitlich gesagt: Die Tests brauchen wir. Aber man stellt fest Hoppla, wenn wir uns nicht gekümmert haben, fallen die eben nicht vom Himmel. Das heißt, sie werden auch am Ende des Lockdowns nicht millionenfach zur Verfügung stehen, um die Strategie zu ändern. Also, es geht eher darum, wie ändern wir die Strategie? Was machen wir mittelfristig? Weil doch wohl jetzt inzwischen jedem klar ist, dass diese Pandemie noch eine Weile dauert. Wir werden jetzt nicht im Frühjahr gleich Impfstoffe haben. Auch die Herbst-Impfung, die ein Ministerpräsident in Deutschland mal vorhergesagt hat, findet offensichtlich nicht statt. Das heißt, wir brauchen eine Strategie, um damit noch das ganze nächste Jahr irgendwie klarzukommen und nicht die nächsten vier Wochen was zu machen.

Camillo Schumann

Wollen wir uns erst einmal auf die nächsten vier Wochen kaprizieren und uns mal erst einmal anschauen, was ab Montag nicht mehr geht. Man muss dazu sagen, dass jetzt die einzelnen Bundesländer gerade ihre Verordnung überarbeiten. Da wird es dann unterschiedliche Auslegungen geben et cetera. Aber grundsätzlich gilt für ganz Deutschland die Kontakte werden stark beschränkt, es dürfen sich nur noch Angehörige zweier

Haushalte treffen und insgesamt maximal zehn Personen. Wie bewerten Sie das?

11:54

Alexander Kekulé

Ja, das ist das Kernelement des Lockdowns. Das ist grundsätzlich gesehen, auch wenn das brutal klingt, die richtige Maßnahme. Also, wenn man einen Lockdown machen will, dann ist das der Kern des Ganzen, weil wir wissen die Einschränkung der persönlichen sozialen Kontakt, der ist das A und O, alles andere ist Beiwerk. Das könnte man eigentlich rein theoretisch auch durch erklären und gutes Zureden erreichen. Wir haben solche Effekte ja gesehen. Auch bei dem Lockdown im Frühjahr war es ja so, dass kurz bevor die Maßnahmen gesetzt wurden schon die dieses R, diese Reproduktionszahl unter 1 gesunken ist, wie man hinterher dann festgestellt hat: weil die Menschen schon ein, zwei Wochen vorher angefangen haben, sich einfach selbständig, sozial zu distanzieren und richtig zu verhalten. Also, das ist der Kern, und das ist von der Ansage her richtig. Da muss man nur zusehen, dass es dann auch diejenigen, die diejenigen erreicht, die sich zuletzt an solche Dinge nicht mehr gehalten haben.

Camillo Schumann

Genau Herr Lauterbach schlägt daher vor, Kontaktbeschränkungen auch in privaten Räumen zu kontrollieren. Er sagt: „Die Unverletzbarkeit der Wohnung dürfe der öffentlichen Gesundheit nicht länger im Wege stehen“.

Jetzt ist das ja auch eine halb persönliche, halb politische Äußerung. Wollen Sie etwas dazu sagen? Also hat er auch eine Reaktion bei Ihnen hervorgerufen.

(Beide schmunzeln)

Alexander Kekulé

Ja, also. Erstens ich schätze Herrn Lauterbach sehr und auch alle anderen Protagonisten. Es ist ja so, dass wir alle uns extrem viel Mühe geben.

Wie soll ich das sagen, er wäre ja um ein Haar Gesundheitsminister gewesen. Und ich weiß nicht, bei wem er jetzt zuhause kontrollieren will, ob der sich an die Regeln gehalten hat? Es gibt ja durchaus auch Politiker, die sich infiziert

haben, weil sie aus irgendeinem Grund nicht aufgepasst haben. Deshalb weiß ich nicht genau, in welche Richtung diese Fragestellung ging. Ich glaube, es hat keinen Sinn zu drohen hier damit, dass man die Bürger zu Hause verfolgt. Weil wir ja eigentlich sowieso die Lage haben ... Das ist jetzt aber ehrlich gesagt, nicht so sehr eine epidemiologische virologische Einschätzung, aber vielleicht kann ich das mal so sagen. Ich habe so das Gefühl, es gibt einfach eine zunehmende Zahl von Menschen, die aus diesem ganzen Anti-Corona Programm aus verschiedenen Gründen aussteigt: Wenn man ausgerechnet denen, die jetzt im Grunde genommen schon nicht mehr genau wissen, ob sie da mitmachen wollen, wenn man denen jetzt zusätzlich droht – Die Polizei kommt als Nächstes zu euch nach Hause. – und dann auch so ein bisschen Bürger gegen Bürger damit aufbringt, weil es natürlich dann Nachbarn geben wird, die rufen die Polizei und sagen dabei mehr nebenan sind so viele Leute in der Wohnung. Kontrollieren Sie doch mal, da stimmt was nicht. – Uff, ich weiß nicht, ob das, ob man damit nicht was verspielt. Aber das ist etwas, da müssen eigentlich Psychologen und Soziologen ran, um die Frage zu beantworten.

Camillo Schumann

Weil Sie gesagt haben, die Kontaktbeschränkungen sind der Kernpunkt dieses Lockdowns und auch das schärfste Schwert und wirkungsvollste. Und den Rest haben Sie so ein bisschen Beiwerk genannt. Größer Kritikpunkt ist ja, dass Restaurants geschlossen werden sollen. Das hatten sie ja auch im letzten Podcast kritisiert. Außerdem sollen Bars geschlossen werden, Diskotheken, Kneipen. Wäre das auch Beiwerk, würden Sie das auch darunter subsumieren?

Alexander Kekulé

Naja, da haben wir nun ganz konkrete Erfahrungen gemacht. Das Problem in der Situation, das hat man auch gestern den Politikern angesehen, ist, dass wir nicht ganz genau wissen, wo wirklich die schlimmen Infektionen auftreten, die für diese enormen hohen Fallzahlen jetzt verantwortlich sind. Aber es ist doch sehr offensichtlich, dass das zum einen der ganz private Bereiche ist, also wirklich zu Hause sozusagen die Party hinter

verschlossener Tür. Und zum anderen sind es wohl auch so schwarze Schafe im weitesten Sinn aus dem Gastronomiebereich. Das heißt in den Großstädten gibt es sicherlich irgendwelche Kneipen, die einfach sich nicht an die Abstandsregeln halten, die schlechte Lüftung haben, wo viele Leute drinnen sind. Da gibt es aber schon Regeln für, und da müsste man eigentlich sagen okay, entweder war meine Regel schlecht, dann muss ich eben die Regeln verschärfen. Oder die Leute haben sich nicht an die Regeln gehalten. Dann muss ich diesen Laden irgendwann zumachen. Dann muss ich eben mit den üblichen Maßnahmen drohen. Das ist ja auch das, was man sonst macht. Ich glaube, dass, wenn man das sozusagen gezielter machen würde, also sozusagen statt mit dem Hammer mit der Pinzette vorgehen würde, dann könnte man wesentlich mehr gewähren lassen. Die meisten Restaurants, das hatte ich schon mal gesagt, sind meines Erachtens überhaupt keine Hotspots. Das gleiche gilt für Hotels. Es gibt hervorragende Hotels, die auch touristisch genutzt werden, die hervorragende Hygienekonzept haben. Die müssen jetzt alle mehr oder minder wieder zumachen. Die nächste Frage ist, warum wird in Deutschland zum Beispiel von Reisen jetzt abgeraten oder warum werden die mehr oder minder untersagt, wenn sie nicht dienstlich sind? Das würde ja heißen, dass man jetzt dem Hygienekonzept der Bundesbahn zum Beispiel nicht mehr vertraut, obwohl immer gesagt wurde, das ist richtig, wie die das machen. Und man kann ja wohl nicht mehr sagen, dass es jetzt ein epidemiologisch relevanter Faktor ist, ob jemand von München nach Berlin oder von Köln nach Berlin oder sonst wohin fährt. Wir haben kommunizierende Gefäße in Deutschland. Die Regionen gleichen sich aus, selbst in Thüringen – wo der Ministerpräsident bis vor kurzem der Meinung war, dass die Thüringer gegen alles immun sind offensichtlich – ist da also eine Einsicht eingekehrt. Sogar in Sachsen-Anhalt, wo wir zuletzt sehr, sehr gut gestellt waren mit den Fallzahlen, ging es zuletzt hoch, in Halle an der Saale auf jeden Fall. Das heißt also wir erkennen, dass sind kommunizierende Gefäße, alle hängen zusammen. Warum sollen dann Reisen, sozusagen von einem Ausbruchsgebiet

ins andere plötzlich gefährlich sein, sofern das Transportmittel in Ordnung ist. Also da haben wir so eine lange Liste von Sachen, wo man so einfach so mit dem Rasenmäher drüber gegangen ist. Auch im Unterhaltungsbereich gibt es ja Kinos mit hervorragender Lüftung, die nur noch jeden dritten Platz besetzen. Wenn man dann Mundschutz aufhat, da würde ich sagen, da gibt es überhaupt keine epidemiologische Evidenz, warum das gefährlich sein soll. Ich hätte mir gewünscht, dass man da selektiver vorgeht und vielleicht sich mehr Gedanken macht, wen man schließen muss.

18:02

Camillo Schumann

Genau: Kinos, Theater, Opern, Konzerthäuser messen, Freizeitparks, Schwimmhallen, Spielhallen, all das bleibt jetzt vier Wochen zu. Sie haben es ja schon so ein bisschen angedeutet. Mit der Pinzette hätte man rangehen sollen oder wollte man möglicherweise nicht: Was beim einen nicht geht, darf beim anderen auch nicht gehen. Also sozusagen dass da nicht so eine gewisse Unzufriedenheit kommt. Oder wie erklären Sie sich das?

Alexander Kekulé

Das ist schwierig, weil ich bei diesen Sitzungen nicht dabei war. Ich glaube, vorher war man eigentlich schon einmal auf dem richtigen Weg, dass man gesagt hat: Es ist ganz wichtig, dass diese Differenzierung am Schluss von den Gesundheitsämtern lokal gemacht wird. Das ist ja ein Vorteil des föderalen Systems, da kann man viel dagegen sagen, aber in dieser Krise hat es auch deutliche Vorteile gezeigt, dass eben die Behörden vor Ort – wenn das jetzt eine Ortschaft ist, die halbwegs übersichtlich ist – die wissen natürlich schon, wer die schwarzen Schafe sind. Die wissen, dieses Hallenbad ist sowieso immer halb leer. Da sind nur ältere Herrschaften, die da mal ihre Runden ziehen und die sich akribisch an die Vorschriften halten, die vielleicht sogar eher zu viel Angst vor dem Virus haben. Und jenes Vergnügungsbad ist so, dass da Hunderte von Leuten eng zusammen gedrängelt sind und vielleicht auch in den Garderoben zu eng sind. Ich glaube schon, dass die Behörden in der

Lage wären, da differenzierter vorzugehen und zu sagen, das müssen wir zumachen. Da müssen wir die Besucherzahl begrenzen. Dort ordnen wir eine Maskenpflicht an und so weiter. Und das hat man ja auch gemacht die letzten Monate. Und ich glaube schon, dass sich der vernünftig mitdenkende Bürger – ich rede jetzt nicht von den Corona-Verweigerern – fragt sich natürlich, warum haben die Gesundheitsämter das angeordnet? Warum gab es sogar Strafen, wenn man sich nicht daran gehalten hat, wenn es sowieso alles nicht funktioniert hat oder jetzt man nicht mehr daran glaubt, dass es weiter funktionieren könnte? Da ist schon eine deutliche Inkonsistenz zu erkennen. Und diese Inkonsistenz ist eins von mehreren Problemen, warum ich befürchte, dass wir die Zustimmung zu diesen Maßnahmen in insgesamt verlieren könnten.

20:12

Camillo Schumann

Betroffen von denen Corona-Maßnahmen sind auch der Profisport: Fußball-Bundesliga. Für die nächsten Partien sind keine Zuschauer mehr in den Stadien erlaubt. Für das Wochenende ist schon für einige Spieler beider Ligen eine drastische Herabsetzung oder der Ausschluss von Fans verfügt worden. Nun muss man auch dazu sagen, dass in einem Stadion von 20.000 zuletzt vielleicht 8.000 waren oder so. Das hat man mit einem hervorragenden Hygienekonzept auch umsetzen können. Es gibt auch schwarze Schafe – da müssen wir nicht drüber reden, da gibt es auch Bilder – in einigen Ligen. Nichtsdestotrotz hat man es dort ja eigentlich sehr, sehr gut umsetzen können. Und der Fußball spielte eigentlich immer auch so eine kleine Ausnahmerolle. Hier hat man jetzt diese Ausnahmerolle nicht gewähren lassen. Gut oder schlecht?

20:55

Alexander Kekulé

Also die Ausnahmerolle des Fußballs hatte sich sozusagen jetzt etabliert. Das will ich jetzt gar nicht kommentieren. Fußball ist nicht so mein Sport. Beim Versuch, mit meinen Söhnen mal Fußball zu spielen, habe ich mir halb den Fuß gebrochen und mehrfach einen Bänderriss zugezogen. Das ist nicht so mein Ding. Aber ich

verstehe, dass das Volk braucht ja auch Brot und Spiele. Und da hat man eben gesagt okay, das mit dem Fußball unter ganz strengen Auflagen genehmigen wir. Mir fehlt da als Wissenschaftler einfach die Stringenz. Wenn jetzt gesagt würde okay, wir haben von 50 Spielen zehn analysiert, um bei sechs ist rausgekommen, man hat sich nicht an die Vorschriften gehalten, und deshalb kam es zu vermehrten Infektionen. Also wenn irgendwie so was auch nur mit einer sage ich mal schlecht gemachten Pi-mal-Daumen-Studie auf dem Tisch liegen würde - da würde ich sagen okay, es gibt einen Anhaltspunkt dafür, dann lieber auf Nummer sicher. Aber es gibt ja keinen Anhaltspunkt dafür, weil die meisten Stadien so eingerichtet sind, dass man sowieso mehr oder minder im Freien ist durchgehend. Auch diese Gänge in den Stadien sind ja so dermaßen belüftet, da zieht es ja regelrecht, dass da eigentlich die Gefahr von Infektionen nicht so groß ist. Und jetzt müsste man sagen, okay, die Fans haben sich einfach nicht an die Abstandsregeln gehalten, sondern sind Sie sich da alle um den Hals gefallen. Das weiß ich jetzt nicht so genau, habe ich nicht beobachtet. So etwas gab es natürlich zum Teil. Ja, solche Fälle gab es; im Rosengarten des Weißen Hauses; das gab es bei einer Frauendemonstration in Madrid vor einigen Monaten; aber ich weiß jetzt nicht, dass das die Fußballstadien gewesen wären. Und das ist wieder so ein Beispiel, da kommt es auch auf die Fans ein bisschen an. Wir wissen ja auch, dass die Hooligans je nach in nach Club ein bisschen unterschiedlich scharf sind, wenn ich mal so sagen darf. Und da wissen die lokalen Behörden doch ziemlich genau, bei welchem Spiel sie aufpassen müssen oder auch nicht. Die wissen ja auch genau, wann sie mehr Polizei anfordern müssen und wann nicht. Und in dieser Art hätte ich jetzt den Behörden schon zugetraut, dass die sagen, bei diesem Spiel lassen wir soundsoviel Zuschauer zu, bei jenem Spiel soundsoviele und bei so sogenannten Problemspielen oder Risikospielen, da muss man dann unter Umständen drüber nachdenken, das ohne Publikum zu machen.

23:07

Camillo Schumann

Aber bei diesen ganzen Einschränkungen, die man dann macht und wenn man das jetzt offen gelassen hätte, zum Beispiel, die Zuschauer zugelassen hätte, Opernhäuser et cetera, hätte man doch die Kontaktbeschränkungen auch nicht umsetzen können. Oder geht nicht das Eine nur mit dem Anderen?

Alexander Kekulé

Also was wir unter Kontakt verstehen, ist ja sozusagen der enge Kontakt. Das Robert Koch- Institut hatte auch auf der Webseite extra Definitionen dafür veröffentlicht. Damit meint man ja so Stichwort 15 Minuten face-to-face miteinander sprechen oder umarmen, küssen und Ähnliches, also dieser enge Kontakt, wo eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Übertragung ist. Oder auch, das ist jetzt endlich neu dazugekommen, auch beim Robert Koch-Institut, dass man sagt, in einem geschlossenen Raum, wenn die Lüftung schlecht ist und viele Leute länger zusammen sind, dann kann es über die Aerosole auch zu einem Kontakt kommen, selbst wenn diese 1,5 Meter mal 15 Minuten nicht erreicht werden. Also, das ist sozusagen der enge Kontakt, und dafür gilt die Kontaktbeschränkung. Und das ist durchaus auch sinnvoll. Aber wenn natürlich irgendwo anders in einem Fußballstadion jemand auf seinem Platz sitzt, dann habe ich nicht so eine Art von Kontakt. Und das Gleiche gilt natürlich auch für eine Theatervorstellung, wenn die Leute weit auseinander sind und alle Masken aufhaben.

24:26

Camillo Schumann

Apropos schlechte Belüftung: Schulen und Kindergärten, die sollen in den kommenden Wochen verlässlich geöffnet bleiben. Gute Entscheidung?

Alexander Kekulé

Ich glaube, in der jetzigen Datenlage hätte ich dazu auch empfohlen. Man muss einfach wirklich dort, wenn ich mal so sagen darf, möglichst viele Alarmanlagen einbauen, Sensoren einbauen. Das heißt, man müsste eigentlich, ich weiß, dass das leider nicht

ausreichend gemacht wird. Man müsste an ganz vielen Schulen auch in Brennpunktbereichen im Sinne von Begleitstudien parallel testen. Es wird wenig gemacht, dass solche Paralleltests gemacht werden. Aber wir brauchen quasi eine Alarmanlage, dass wir sofort sehen: Hoppla, da passiert doch was bei den Schulen. Weil das wissenschaftlich einfach überraschend ist. Da ist ganz klar, sodass man ausgehend von anderen Infektionskrankheiten eigentlich gedacht hat, da schließe ich mich ein, dass die Schüler besonders gefährlich sein könnten, dass das Treiber der Infektion sein könnten. Und die aktuellen Daten, soweit man sie hat, deuten nicht darauf hin. Aber das ist so ähnlich, als wenn sie einen Tiger haben und merken, der ist ja ganz zahm, der will doch nur spielen. Da sind sie trotzdem erst mal eine Weile vorsichtig und haben für alle Fälle noch eine Peitsche hinterm Rücken. Und so würde ich das auch machen, weil einfach das ein bisschen der Theorie widerspricht. Auch den Daten, die der Christian Drosten im Frühjahr erhoben hat, dass er gesagt hat, Jugend und Kinder sind genauso infektiös oder höchstwahrscheinlich genauso infektiös wie Erwachsene. Das widerspricht all diesen Dingen. Und deshalb muss man sich das sehr, sehr genau anschauen. Wir wissen noch nicht genau, wo die Grenze ist. Wir wissen definitiv, dass ab 14 ungefähr die Kinder genauso ansteckend sind wie wir Erwachsene, aber vom Verhalten her gefährlicher, sodass sie dann durchaus Treiber der Infektion sein können. Es gibt auch durchaus Ausbrüche, schon in Deutschland in Gymnasien und Ähnliches. Frage ist, wie ist es in Grundschulen? Wie ist es in der Kita? Da müsste man eben genau hinschauen, dass man das nicht zu spät bemerkt.

26:30

Camillo Schumann

Oder die Schülerinnen und Schüler sind einfach mal extrem diszipliniert, haben ihre Maske auf, und vielleicht sind ja Kinder in dem Moment wesentlicher empfänglicher und wissen, worauf es ankommt. Und die Erwachsenen schlagen über die Strenge.

Alexander Kekulé

Also ich muss auch sagen, die meisten, die ich so kenne, die sagen, Mei, die blöde Maske, dann setze sie halt auf. Kinder werden mit so viel genervt als Schüler. Ja, die müssen irgendwelche Schulaufgaben schreiben, müssen pünktlich sein, morgens den Wecker stellen. Das ist ja alles ganz fürchterlich. Und dann sage ich mal, da gibt es doch viele, die sagen, das mit der Maske, das mache ich jetzt halt einfach mal. Deshalb haben Sie völlig Recht. Ich glaube, dass, wenn man gerade dadurch, dass die Schulsituation ja auch eine Situation ist, wo der Lehrer letztlich die Regeln vorgibt. Da kommt es auf diese eine Regel mehr oder weniger, dann auch nicht an, die kann man eigentlich durchhalten. Das ist meine persönliche Theorie, warum wir in Deutschland an den Schulen relativ wenig gesehen haben bisher, weil da eigentlich die Hygienekonzepte ganz gut sind. Aber das führt natürlich irgendwie auch wieder zum Anfang zurück, wenn man sagt, die Hygienekonzepte in den Restaurants waren doch nichts. Wenn man sagt, reisen wird jetzt doch nicht empfohlen, obwohl das Hygienekonzept der Bundesbahn in Ordnung war. Das Gleiche gilt für Fußballspiele und so weiter. Warum ist dann das Hygienekonzept in der Schule jetzt plötzlich ausreichend? Also, das ist so eine Inkonsequenz da drinnen, wo ich ziemlich sicher bin, dass die der Politik auf die Füße fallen kann.

27:54

Camillo Schumann

Thema Konsequenz: Die Geschäfte bleiben offen, der Einzelhandel nahm. Das ist ja zumindest eine Maßnahme, die nachvollziehbar ist, weil dort keine Übertragung so gut wie keine Übertragung stattfinden, nachgewiesenermaßen.

Alexander Kekulé

Aber trotzdem. Warum hat man dann die Quadratmeterzahl verändert? Bei den Geschäften ist es ja so, dass pro Besucher, pro Kunde zehn Quadratmeter da sein müssen. Das wird dann schon so sein, dass der eine oder andere sich vor einem Laden stellen muss und die Leute dann im Winter draußen im Schnee warten müssen, sofern einer kommt,

zumindest bei Kälte warten müssen. Ich weiß nicht, ob es dann Erkältungen stattdessen gibt statt ...

Camillo Schumann

Erfrierungen.

Alexander Kekulé

... Erfrierungen. Aber so toll ist das auch nicht. Und da würde ich natürlich sofort mitmachen. Würde ja jeder mitmachen, wenn wir wüssten: jawohl, in den Geschäften hat's Ausbrüche gegeben, weil zu viele Leute da waren. Deshalb ist es reduziert worden. Und deshalb machen wir das jetzt so. Aber genau diese Daten gibt es ja nicht.

28:59

Camillo Schumann

Die Politik, die will mit diesen ganzen Maßnahmen, das exponentielle Wachstum stoppen, die Kurve wieder abflachen, wie sie selber sagt, legt sich aber nicht auf konkrete Zahlen fest, bei denen man dann am Ende der vier Wochen landen will. Bisher galt der immer die Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Für NRW-Ministerpräsident Armin Laschet spielen Zielmarken irgendwie keine Rolle mehr.

„Man muss keine Zahl haben. Man muss die Gesundheitsämter auch weiter ausstatten. Unser liberaler Koalitionspartner hat beispielsweise auch noch mal ein Modell entwickelt, wie man stärker auf digitalen Austausch (setzt), dass man nicht hinter jedem telefonieren muss. Also wir werden über neue Konzepte nachdenken. Es gibt viele Ideen. Was die Ärzte heute vorgetragen haben, ist auch ein wichtiger Grundgedanke. Aber das Wichtigste ist, wir müssen die Zahlen zum Stoppen bringen und wieder reduzieren. Und wenn das gelungen ist, dann ist die Kurve verflacht. Und dann können wir weiter überlegen, wie wir auch im Dezember, im Januar, im Februar in den nächsten Monaten mit dem Virus leben.“

Und ich als Journalist weiß: Wenn sich Politiker nicht auf Zahlen festlegen, dann kann man sie auch nicht daran messen. Und wenn sie was versprechen, zum Beispiel die digitale Ausstattung von Gesundheitsämtern, weiß ich

auch, dass in den sechs Monaten bisher das nicht geklappt hat. Und in vier Wochen wird es auch nicht klappen. Ist Ihnen persönlich klar, welches Ziel in vier Wochen eigentlich erreicht werden soll?

Alexander Kekulé

Mir nicht. Aber das ist ja auch nicht so wichtig. Ich kommentiere es ja nur. Ich muss es ja zum Glück nicht begründen. Vielleicht für unsere Hörer noch, falls Sie sich da die Frage stellen: Es wird ja immer gesagt, wir müssen das exponentielle Wachstum stoppen. Wahrscheinlich habe ich das selber auch schon mal gesagt. Das ist natürlich eine Vereinfachung. Weil immer, wenn er die Reproduktionszahl über 1 ist, hat man natürlich eine Exponentialfunktion, die wächst, also ein exponentielles Wachstum. Was man letztlich stoppen will es ein starkes exponentielles Wachstum oder eben, das fand ich früher eigentlich besser, wenn man gesagt hat, wir wollen die täglichen Neuerkrankungen in einem Bereich bringen, dass das Gesundheitsamt hinterherkommt. Das war, das war eher etwas handfester, sonst ist ja alles, wenn R > 1, dann hat man sofort eine Exponentialfunktion, die wächst. Nur die wachsen natürlich entweder sehr schnell oder sehr langsam. Das ist letztlich, was der Herr Laschet da gerade gesagt hat, ist eine Umschreibung dessen, was wir im Frühjahr hatten. Das ist immer dieser Ausdruck: Wir fahren jetzt auf Sicht. Da sagen die Politiker dann immer ja, ständig kommen neue Erkenntnisse. Ich wüsste nicht, was seit Februar groß neu waren, dass man epidemiologisch die Strategie ändern müsste. Und sie sagen wir navigieren hier auf Sicht. In der Seefahrt sagt man das dann, wenn man nichts mehr sieht, weil Nebel ist und wenn zusätzlich das Navigationssystem ausgefallen ist. Das heißt, man weiß nun gar nicht mehr, wo man hinfährt und passt nur auf, dass man nicht irgendwo gegen einen Felsen rempelt. Das ist ja ich glaube, wir brauchen halt wirklich eine Strategie, wie wir da langfristig mit umgehen. Und die müsste man mal formulieren. Dann müssten viele Fachleute sich zusammentun und ein Optimum finden. Der Prozess ist ja im Gange. Die Diskussion hat ja jetzt auch gerade angefangen. Herr Laschet

hat ja auch darauf angespielt, dass die Wissenschaftler jetzt anfangen, darüber zu diskutieren. Ich finde das besser als im Frühjahr, wo dann einfach nur immer ein zwei gesagt haben, wo es langgeht. Aber diesen Prozess muss man (sich) halt jetzt entwickeln lassen.

32:24

Camillo Schumann

Genau, denn ein dritter Lockdown würde dann ich, sage mal, die betroffenen Unternehmen, Solo-Selbständigen et cetera ja komplett das Genick brechen und den Staat dann möglicherweise auch vor finanzielle Schwierigkeiten stellen. Herr Laschet hat es ja angesprochen, es gab Vorschläge der Ärzte. „Vorschläge der Ärzte“, das ist eine ziemlich nette Umschreibung für das Positionspapier, das einige Wissenschaftler, Ärzte und Verbände gestern am Tag des Beschlusses des Lockdowns fast parallel vorgestellt haben. Und dieses Positionspapier beinhaltet nicht weniger als eine Abkehr von der bisherigen Strategie. Unterzeichner ist auch der in den letzten Monaten sehr bekannt gewordene Virologe Hendrik Streeck, der ja auch die Politik in Nordrhein-Westfalen berät, also Herrn Laschet. Erst einmal grundsätzlich Herr Kekulé, offenbar brodelt es in der Ärzteschaft und auch in der Wissenschaft gewaltig. Wie nehmen Sie das wahr?

Alexander Kekulé

Na, das war ja von Anfang an so. Also die Kinderärzte waren, glaube ich, die ersten aus meiner Erinnerung – Ich muss mich entschuldigen, wenn ich jetzt jemanden übersehen habe – die haben sehr früh gesagt, so können wir nicht weitermachen und haben sich da auch richtig vom Verein her dagegen gestellt. Inzwischen ist es so, dass es eigentlich zwei Fronten gibt. Das eine ist die Front, die sagt, wir können so nicht weitermachen. Wir müssen jetzt, so steht es in dem Positionspapier drin, die Nachverfolgungen aufgeben und stattdessen die Risikogruppen gezielt schützen. Das ist letztlich das Konzept, was weltweit diskutiert wird, wo man sagen kann, das haben so ein bisschen die Schweden versucht. Die haben das handwerklich am Anfang nicht so gut gemacht. Was in den USA

natürlich riesengroß diskutiert wird, das ist diese Great Barrington Declaration, die Anfang Oktober rausgekommen ist, wo also ganz genauso wie in Deutschland eigentlich eine Gruppe von Wissenschaftlern, angeführt von so ein paar Star-Epidemiologen aus Harvard, ein Papier gemacht hat und gesagt haben, wir wollen jetzt die Alten schützen und sonst Schluss mit Nachverfolgung und für den Rest so Richtung Herden-Immunität gehen. Die Diskussion ist weltweit. Also das ist jetzt in Deutschland auch angekommen. Und wir sind nicht das einzige Land, wo sich die Wissenschaftler in zwei Lager trennen.

Camillo Schumann

Man muss aber auch sagen die Ärzte oder viele Ärzteverbände haben das Papier unterschrieben. Wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaften finden sich kaum unter den Unterzeichnern. Spielen da so ein bisschen Theoretiker gegen Praktiker und andersrum?

Alexander Kekulé

Nein, das kann man so nicht sagen. Ich würde fast sagen, es hat ein bisschen was mit Nähe zum Robert Koch-Institut zu tun. Die Gesellschaft für Virologie, die da ganz nah auf Schulterschluss ist, die ja auch ein Star-Berater in der Berliner Szene hat, da passt kein Blatt Papier zwischen Robert Koch-Institut, Bundesgesundheitsministerium und diese Leute. Dann ist es so, dass es die gibt, die so eher aus der Praxis kommen, die sagen so geht es nicht weiter. Die dann auch kein Problem damit haben, die Politik zu kritisieren. Das spielen ganz viele Dinge, eine Rolle. Wissenschaftler sind einfach extrem angewiesen natürlich auch immer auf Fördermittel und solche Sachen. Dann gibt es noch eine andere Gruppe, die ist meines Erachtens wichtig: das sind die Intensivmediziner. Das sind die, die wirklich zugucken, wie die Leute sterben oder wie zuerst mal ihre Intensivstationen vollaufen. Und die haben jetzt dieses „Streeck-Papier“, wenn ich es mal so nennen darf, nicht mit unterschrieben. Und der Hendrik Streeck, den ich sehr schätze, weil ich es auch wirklich ganz wichtig finde, dass ich Leute, die von außen dazu kommen, einfach mal neue Gedanken machen, der hat es ja schon sehr früh gesagt.

Das ist nicht ganz neu, das sagt er schon länger, dass wir da bisschen zu panisch sind, auch mit Blick auf die Fallzahlen. Sondern der sagt, wir sollten die Alten schützen, dann würden wir das schon irgendwie in Griff bekommen. Ich hoffe, ich habe ihn so richtig wiedergegeben. Das ist einfach eine Strategie, die kann man durchaus diskutieren. Und meistens sind es die Intensivmediziner und die Behörden, die das nicht wollen. Auch in den USA übrigens.

36:19

Camillo Schumann

Genau. Weg von Kontaktverfolgung steht ja im Positionspapier. Und stattdessen, sie haben es ja schon gesagt, konsequenter Schutz der Risikogruppen, vor allem der älteren Menschen. Genau dort, in die Altenheime sollen die Schnelltests. Das sind ja auch Worte, die auch aus ihrem Mund in den vergangenen Wochen Monaten gekommen sind.

Alexander Kekulé

Ja, das ist ja, das ist klar. Also das Smart- Konzept, was wir hier ja rauf und runter diskutiert haben. Ich weiß gar nicht, wie alt es ist. Das erste Mal habe ich, glaube ich, im Februar aufgeschrieben, im ersten Entwurf. Das hat als ein ganz zentrales Element. Und man muss schon der Politik die Frage stellen, warum sie jetzt auch auch gestern wieder so tun, als wäre es eine neue Idee, die Alten zu schützen. Das andere ist, wenn ich das so sagen darf, meine Position ist tatsächlich nicht die von Herrn Kollegen Streeck und den Leuten, die das aktuelle Papier unterschrieben haben, genauso wenig wie der Great Barrington Declaration in den USA und ähnlicher Strömungen. In Großbritannien gibt es das ganz genauso. Aus folgendem Grund: Ich glaube ja, natürlich muss man die Risikogruppen schützen. Das ist ja, dass „S“ von Smart. Aber die anderen Buchstaben haben auch noch eine wichtige Funktion. Und zwar ist das so, wenn man nur die Risikogruppen schützt, dann ist die ist die Infektion im restlichen Teil der Bevölkerung in kürzester Zeit völlig außer Kontrolle. Das heißt, wenn sie die Nachverfolgung aufgeben, einmal aufgeben, ist das eine Ansage für immer. Das ist sozusagen einen Point of no return. Sie

machen in dem Moment die Büchse der Pandora auf, und da kommt einfach alles Unheil dann sozusagen raus. Und sie können es auf keinen Fall wieder einfangen. Das ist das Problem, wenn man sozusagen nur die Alten schützt und die Nachverfolgung aufgibt. Ich bin der Meinung, dass die Nachverfolgung und die Dämpfung des Infektionsgeschehens in der gesamten Gesellschaft extrem wichtig sind, aus mehreren Gründen. Der eine ist, dass wir tatsächlich den Infektionsdruck auf die Alten nicht beliebig erhöhen können, weil man sich auch mit den Schutzmaßnahmen, Sie wissen ich sage da immer FFP2-Masken, testen und so weiter, für ein vernünftiges Verhalten. Auch das ist ja nie 100 Prozent. Und da können Sie nicht gegen einen wahnsinnig hohen Infektionsdruck ankommen. Das heißt, wenn ganz viele Menschen infiziert sind, wenn wirklich auf jedem Handgriff das Virus klebt, dann sind Sie auch da überfordert an der Stelle. Da gibt es übrigens eine Studie, die das untersucht hat. Genau diesen Punkt, die ist im August mal rausgekommen, die haben wir nicht besprochen, weil dann Podcast-Pause war. Aber die hat gesagt: Wenn man nur die Alten schützt und sonst die Infektion laufen lässt, dann wird der Infektionsdruck so groß, dass man das mit normalen Hygienemaßnahmen nicht mehr hinkriegt und den Masken. Also, das ist der eine Grund.

Der zweite Grund, warum das extrem wichtig ist, zusätzlich zum Schutz der Alten trotzdem noch eine Bremse drinnen zu haben, ist der: Die Nachverfolgung gebt uns enorm wichtige Erkenntnisse. Wir verstehen ja dann, wie überhaupt die Infektion sich ausbreitet. Sonst hätten wir nie rausgekriegt, dass diese aerogene Übertragung hier wieder genauso wichtig ist wie bei SARS von 2003, oder die Ausbrüche in den Fleischfabriken und Ähnliches. Das wüssten wir ja alles nicht. Deshalb ist es extrem wichtig, dass die Gesundheitsämter, die sind sozusagen die Augen und Ohren des Gesetzgebers an der Stelle, dass die weiter tätig sind. Und die sind auch in der Lage, eben Erkenntnisse zu gewinnen und das dann auch zu machen. Die schaffen das ja auch wieder, wenn man die Fallzahlen unter Kontrolle bringt. Und das Dritte ist eben, dass man, wenn man es entschieden hat, kein Zurück mehr gibt. Und

da wäre ich extrem vorsichtig. Wir wissen ja, dass bei COVID es durchaus auch Langzeiterkrankungen mal selten gibt. Aber wir wissen nicht, wie häufig. Dieses Long COVID ist ja ein wichtiges Thema. Und bevor wir wissen, wie häufig das wirklich ist, würde ich nicht riskieren, das einfach so völlig unkontrolliert durch die Bevölkerung laufen zu lassen. Deshalb ist mein Vorschlag ein bisschen zwischen dem, was hier jetzt die Streeck-Leute unterschrieben haben und dem, was die Bundesregierung gemeinsam – man kann es ja beim Namen nennen – mit Christian Drosten und dem Robert Koch-Institut als Gegenposition so vorschlägt.

40:23

Camillo Schumann

Im Positionspapier wird ja oder wird er so der pädagogische Ansatz gewählt. Also die Menschen sollen motiviert werden, sich verantwortungsvoll zu verhalten, nicht mit Panik und Verboten, sondern eher mit Aufzeigen von Alternativen. Also die Menschen mitnehmen und es sozusagen positiv besetzen. Das ist doch auch eine Variante, weil alle Politiker und auch Wissenschaftler sagen, wir müssen noch Jahre mit dem Virus leben. Das wir viel besser ist und unseren Alltag integrieren sollten.

Alexander Kekulé

Völlig richtig, genau, was sie sagen. Das kann man da nur unterschreiben. Das ist das machen. Wir brauchen einen Modus Vivendi mit dem Virus. Ja, das ich vergleiche das immer gerne mit der Situation in Afrika, wo die mit der Malaria leben. Das kann man sich hier nicht vorstellen, weil wir uns nie einen so einem gemütlichen Umfeld sind, wo es keine Erdbeben gibt, keine schweren Krankheiten, relativ wenig Gewalt und solche Dinge. Kein Krieg, kein Hunger. Aber in Afrika ist es so, der leben die Menschen mit der Malaria, und die müssen natürlich der Maßnahmen ergreifen, die die haben Moskitonetze, die wahnsinnig nerven, wenn die abends da drunter liegen müssen. Die schmieren sich mit stinkenden Repellents ein mit diesen Anti-Malaria-Mitteln. Da gibt es nicht nur die teuren, wie bei uns in der Apotheke, sondern auch das Zeug in den Entwicklungsländern. Das machen die alles

brav, bis dahin, dass man zum Teil bei Sonnenuntergang und Sonnenaufgang eben nicht mehr raus geht, weil die Mücken da stechen. So, wie man in Afrika mit der Malaria lebt, müssen wir jetzt eine Weile hier mit dieser Seuche leben. Die ist nun einfach da. Die ist gekommen, um zu bleiben.

0:41:58

Camillo Schumann

Passend zum Schutz der Alten gibt es ja auch eine Studie, und zwar zur Situation der alten Menschen in Schweden. Die ist im The Lancet erschienen, bzw. ist im The Lancet kommentiert worden. Was ist für Sie da die wichtigste Quintessenz?

Alexander Kekulé

Da hat man ausgewertet und schwedische Wissenschaftler, die haben die Zeit ausgewertet zwischen Mitte März und Anfang Mai, also schon eine Weile her, und zwar nur in Stockholm und (bei den) über 70-Jährigen. Und die haben Folgendes gesehen: Die haben gesehen, die Wahrscheinlichkeit zu sterben für diese Gruppe, die ist natürlich insgesamt hoch, aber am allerhöchsten in Altersheimen gewesen. Am zweithöchsten ist die Wahrscheinlichkeit gewesen, dann, wenn alte Leute mit jüngeren in einem Haushalt gelebt haben, weil die Jüngeren dann sozial aktiv waren und das Virus eingeschleppt haben. Und am sichersten waren witzigerweise sozusagen die Alten-WGs, da, wo ältere Pärchen zusammengewohnt haben oder eben alte Leute mal so aus welchem Grund auch immer zusammenlebten. Da waren sie am sichersten oder haben am seltensten schwere Erkrankungen bekommen.

Camillo Schumann

Genau. Also ein Plädoyer dafür, also noch einmal schwarz auf weiß, die Altenheime zu schützen.

Alexander Kekulé

Ja, die Altenheime zu schützen und auch dann eben die Alten Zuhause. Ja, jeder von uns hat ja Menschen, die er besucht, die vielleicht alleine wohnen oder die zumindest in eigenen Wohnungen wohnen und die älter sind. Da muss einem klar sein, dass das immer mit

einem Risiko verbunden ist. Und das ist eben dieser Effekt, dass zeitverzögert die Infektionen dann doch irgendwie durchschlagen in die älteren Altersgruppen. Das hat man dort gesehen. Was eben ganz interessant ist, ist, dass diese Studie, auch da ist eine statistische Auswertung dabei gewesen, die hat auch noch einmal gezeigt, dass man eben bei einem sehr hohen Infektionsdruck mit den ganz normalen Maßnahmen, die zumindest in Schweden da zur Verfügung stehen, nicht mehr effektiv die Alten schützen kann. Diese Studie hat auch noch einmal belegt, dass man die Kombination braucht: Schutz der Alten plus Dämpfung der Verbreitung in der Allgemeinbevölkerung. Nicht nur, weil die Allgemeinbevölkerung vielleicht Schaden haben könnte davon, sondern vor allem, weil sonst dieser Dämpfungseffekt nicht funktioniert. Sonst müssten sie die Alten wirklich wegsperren, was keiner will.

Camillo Schumann

Also ein weiteres Beispiel dafür, dass der schwedische Weg, wie er eingeschlagen wurde, dann am Ende nicht zielführend war.

Alexander Kekulé

Nein, so nicht. Die haben es ja inzwischen korrigiert. Das muss man dazusagen, dass diese Studie wird tatsächlich, wie sie sagen, so zitiert, dass man sagt da schaut mal her, dass es noch ein Beleg dafür, dass es in Schweden nicht funktioniert hat. Aber die haben eben nur die Zeit zwischen März und Mai ausgewertet. Und inzwischen haben sich eigentlich Deutschland und Schweden in vieler Hinsicht angenähert. Jetzt okay, mit dem aktuellen Lockdown natürlich nicht. Aber sonst war das, was wir zuletzt gemacht haben, eigentlich nah am schwedischen Modell dran.

0:44:39

Camillo Schumann

Und dass man die Risikogruppen schützen sollte, ist auch dem Umstand geschuldet, dass sich das Virus, also der unsichtbare Feind verändert, ständig an den Menschen anpasst. Und damit sind wir bei einem Jahr noch ganz warmen Preprint aus der Schweiz. Eine Studie vor dem Begutachtungsverfahren. Preprint,

wer das für sich nochmal braucht. Die Wissenschaftler, die haben eine Virus-Variante identifiziert, die ursprünglich aus Spanien stammt, wenn man so will, und dann auf Wanderschaft gegangen ist. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, das ist ganz interessant, denn das konnte man eigentlich nur deshalb untersuchen, jetzt im Sommer. Die haben das über den Sommer untersucht, dass sind Wissenschaftler aus Basel und aus Spanien, die das gemeinsam gemacht haben. Das konnte man nur über den Sommer untersuchen, weil da weniger geflogen wurde. Also, diese ganzen Einschränkungen des Reiseverkehrs haben geholfen, weil, vor allem transkontinental nicht so viel geflogen wurde. Und dadurch konnte, konnten sich einzelne Virusvarianten dann in Europa ausbreiten. Und wir haben jetzt tatsächlich so eine europäische neue Variante. Wir haben ja schon mal darüber gesprochen, dass sich in Norditalien schon im Februar/März diese neue Variante D614G, diese Mutation gebildet hat, die höchstwahrscheinlich stärker infektiös ist, nicht stärker krankmachend, aber stärker infektiös. Und die sich deshalb in Windeseile weltweit verbreitet hat. Von der wiederum gibt es jetzt eine Variante, die in Spanien zum ersten Mal beobachtet wurde, im Juni/Ende Juni bei irgendwelchen Feldarbeitern. Und dann hat man gesehen, dass sie sich dann in der Region ausgebreitet hat, dann in ganz Spanien. Und jetzt haben Sie das genauer untersucht und gesehen, das ist von Spanien über die Touristen am Ende des Sommers dann hauptsächlich nach Großbritannien gegangen. Da gab es ja auch eine irrsinnige Welle von Einschleppungen im Vereinigten Königreich, wo die ja dann auch damals, nach meiner Erinnerung, glaube ich, sogar die Spanienreisen verboten haben als erstes. Und von dort ging es aber dann munter weiter. Also, wir haben wenige Fälle in Deutschland. Da ist wohl auch nicht so viel untersucht worden. Aber in vielen anderen europäischen Ländern bis hin nach Hongkong, da haben sie es auch schon gefunden. Das heißt also, man sieht jetzt, es gibt neue Virusvarianten. Wir wissen bei dieser Variante überhaupt nicht, ob sie gefährlicher ist. Es gibt keinen Hinweis darauf, es gibt auch keinen

Hinweis in dem Fall, dass die infektiöser wäre. Aber sie hat sich ebenso enorm ausgebreitet und irgendwie schon große Teile, jetzt in Spanien haben wir ungefähr die Hälfte der Fälle, die mit dieser Variante betroffen sind. Das Virus ist also dabei, sich an den neuen Wirt anzupassen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass es bei so einer neuen Variante dann leichter möglich ist, zum Beispiel Reinfektionen zu bekommen, wenn man schon mal krank war; oder, dass, wenn man geimpft ist, dass der Impfstoff dann gegen die neue Variante möglicherweise nicht hundertprozentig hilft. Das ist ein weiterer Grund dafür, bei den Impfungen wirklich Gas zu geben. Weil, ich sage immer, wenn der Impfstoff erst in zwei Jahren kommt, da ist relativ sicher, dass bis dahin sich die zirkulierenden Coronaviren so weit verändert haben, dass bei einem Teil der Geimpften die Impfung dann nicht mehr vollständig ist.

Camillo Schumann

Und wir wissen laut dieser Studie ja auch nicht, ob diese Virus-Variante jetzt auch tatsächlich für diese zweite Welle in Europa, die ja so heftig zuschlägt, auch verantwortlich ist.

Alexander Kekulé

Nein, das ist (es) nicht. Das hat damit erst einmal nichts zu tun. In Großbritannien ist es nachgewiesen, dass es ein großer Teil ist. In Deutschland weiß man es nicht. Das sind nur ganz wenige von diesem Typ gefunden worden, so eine Handvoll und die letzten auch im September erst. Was ich da aus der Studie gelernt habe – ich weiß jetzt nicht, ob das stimmt – aber die schreiben, dass Deutschland ziemlich wenige Sequenzierungen macht. Also, dass wir im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nicht besonders viel genetische Untersuchungen machen würden von diesem Virus und weisen darauf hin, dass es ganz wichtig wäre, ganz regelmäßig die Viren, die Genome dieser Viren sich ganz genau anzuschauen, also eine Sequenzierung des Genoms zu machen, um eben zu sehen, wie das Virus sich verändert. Und um zu sehen, wie sozusagen die Seuchenzüge dieses Virus sind. Dadurch kann man die nachverfolgen, weil diese Gensequenz ist ja wie ein Fingerabdruck oder wie ein Familienkennzeichen solcher

Viren. Ich weiß nicht, ob das stimmt, das müsste man vielleicht mal nachfragen. Aber die haben sich da so durch die Blume beschwert, dass die Deutschen nicht so viele Daten liefern würden. Sonst kennt man uns eigentlich mit besonderer Gründlichkeit in der Sache.

Camillo Schumann

Damit kommen wir an dieser Stelle zu unseren Hörerfragen. Diese Dame hat eine ganz spezielle Frage an Sie ganz persönlich auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen.

„Ist es denn nun absehbar, hoffentlich, dass eine Impfung demnächst zugelassen wird, und hoffnungsvolle sagen eine schon dieses Jahres, Anfang nächsten Jahres wäre es möglich, anzufangen, teils der Bevölkerung durchzuimpfen. Meine ganz ehrliche Frage an Professor Kekulé lautet: Lassen Sie sich und ihre Familie gleich impfen? Vielen Dank für die Beantwortung und weiterhin alles Gute?“

Und diese Info noch: Die STIKO, die Ständige Impfkommission hat ja jetzt mitgeteilt, dass eine Durchimpfung der Bevölkerung erst für 2022 anvisiert ist. Also haben wir noch ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken. Aber wollen sie der Dame vielleicht antworten?

0:49:52

Alexander Kekulé

Ja, sie war ja so frei zu fragen, ob ich mich gleich impfen lasse. Natürlich kann man als Wissenschaftler sich immer in die erste Reihe stellen und sagen ich will da gleich mal was ausprobieren. Viele machen das ja so, dass sie sogar im Labor erst einmal selbst ihre ganzen Kollegen durchimpfen. Da bin ich bei solchen Impfstoffen vorsichtig. Also ich würde mich jetzt selber bei einem RNA-Impfstoff oder bei einem vektorbasierten Impfstoff, das sind diese neuen, wo es bisher noch überhaupt kein Modell gibt, dass es jemals funktioniert hat und die aber hauptsächlich verfolgt werden, zum Beispiel AstraZeneca ist es eine berühmte mit Oxford zusammen oder das andere von Pfizer, die zusammen mit der deutschen Firma in Mainz das machen. Den würde ich dann nehmen, wenn die Sicherheitsdaten wirklich

eindeutig sind. Ich würde das wahrscheinlich nicht bevorzugen, mich als Erster an die Reihe zu stellen an der Stelle, sondern eher hinten im Schlachtfeld mich aufhalten. Ich persönlich hätte weniger Hemmungen, um das so offen zu sagen, witzigerweise bei den chinesischen Impfstoffen. Da gibt es zwei Impfstoffe, die sind ganz klassisch hergestellt mit der alten Methode. Da werden Viren einfach inaktiviert, wie man das schon immer gemacht hat. Der alte Pockenimpfstoff vom Edward Jenner hat auch so funktioniert Viren werden inaktiviert, und dann gibt man das kaputte Virus quasi, was sich nicht mehr vermehren kann, als Impfung. Da kann es gut sein, dass die Impfung nicht funktioniert. Das kann sein, dass das nicht perfekt ist. Aber die Nebenwirkungen sind dafür auch extrem überschaubar. Das wäre wahrscheinlich das, wenn ich das jetzt nun direkt in der Hand hätte, was ich am ehesten an mir selber ausprobieren würde, bis ich dann meine Familie, meine diversen Kinder und so weiter einem Risiko der Impfung aussetze, da würde ich dann wirklich die ganz großen Studien sehen wollen mit mindestens 100.000 Probanden.

Camillo Schumann

Und das wird er auch gemacht, muss man dazu sagen.

Alexander Kekulé

Diese Studien werden gemacht. Aber es ist so, dass natürlich jetzt die ersten Impfungen werden sozusagen im Verlauf dieser Studien stattfinden. Also da wird es sicherlich Impfprogramme geben, die im Rahmen von Studien sind. Und da wäre ich jetzt schon dafür. Das wird natürlich auch dann so gemacht, dass da tendenziell Leute hingehen, die sonst gesund sind und die auch mal ein paar Nebenwirkungen verkraften können. Da würde man jetzt nicht mit Kindern oder mit Personen über 60, das letzte, da wäre ich dann betroffen, mit solchen würde man nicht anfangen.

52:21

Camillo Schumann

Herr M. hat uns eine Mail geschrieben.

„Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, wäre es angesichts der steigenden positiv Getesteten

nicht sinnvoll, eine Differenzierung nach der Ansteckungsgefahr also dem CT-Wert vorzunehmen, die kritische Marke bei 30 festzulegen und höhere Werte nicht als infektiös einzustufen, sie also nicht mehr in die Statistik einfließen zu lassen, die dann ja als Grundlage für die Maßnahmen genommen wird. Vielen Dank und freundliche Grüße.“ Also, es geht um die PCR-Testung und der CT- Wert. Vielleicht erst mal ein paar Worte zum CT-Wert.

Alexander Kekulé

Ja, also, die PCR-Testung funktioniert ja so, dass man letztlich guckt, ob ein bestimmtes Gen von dem Virus in einer Probe enthalten ist. Und das macht man so, dass man durch eine chemische Reaktion dieses Gen verdoppelt. Dann hat man erst einmal aus einem zwei, dann aus zweien vier und dieser Verdopplungsreaktionen, die laufen immer wieder. Das sind so Zyklen, wie man das nennt. Nach soundsoviel Verdoppelungen hat es sich so stark vermehrt, dieses genetische Material, das man es nachweisen kann. Das ist eine explosionsartige Vermehrung. Das ist dieses berühmte Beispiel mit dem Schachbrett, wo auf dem ersten Feld ein Reiskorn liegt, dann auf dem zweiten zwei und so weiter. Und da wissen wir alle, wenn man das mit einem ganzen Schachbrett machen würde, dann würde der Zug, der Güterzug mit dem Reis, den man da beladen müsste, einmal um den Äquator rumgehen. Mindestens einmal. Ich weiß nicht mehr genau wie oft. Und so ähnlich ist es bei der PCR. Und da zählt man eben diese Zyklen. Und diese Zyklen, wenn es 30 Zyklen sind, dann hat man eben 30-mal die RNA da drin verdoppelt. Das ist schon verdammt viel, das ist 2 hoch 30. Wenn man das so stark verdoppelt, so sagen die Wissenschaftler zum Teil, dann gilt es eigentlich nicht mehr, weil man so einen starken Verstärkereffekt hat, dass der Mensch gar nicht infektiös ist, sondern der hat nur ganz wenige Reste von einem Virus noch auf der Schleimhaut gehabt. Das kann man ja konkret sagen. Der Christian Drosten hat deshalb gesagt, man sollte diesen CT-Wert als Grenze nehmen. Ab einer bestimmten Grenze – da hat er auch einen Vorschlag gemacht, ich meine, es war 25 – da soll man dann sagen, das ist

dann zwar positiv, aber nicht mehr infektiös. Ich bin da ein bisschen skeptisch. Und zwar deshalb, weil methodisch gesehen die PCR nicht darauf ausgerichtet ist, so wie sie zumindest in der Diagnostik immer gemacht wird, dass man das quantitativ macht. Das ist er auch darauf ausgerichtet – qualitativ. Wir wollen eigentlich nur wissen ja/nein, hat er nun COVID-19 oder hat er es nicht? Wieviel Virus da genau drinnen ist, das kann man schon nachweisen, aber da muss man die ganze Untersuchung anders machen. Da muss man zum einen sicherstellen, dass man ungefähr immer gleich viel Material abnimmt. Das ist schon mal das Hauptproblem. Wenn Sie bei jemandem mit so einem Tupfer in den Hals gehen. Der eine hält richtig still, und da können sie Unmengen von Schleim rausholen, der andere zappelt rum, und dann kriegen sie fast nichts. Das ist die größte Fehlerquelle überhaupt bei der Abnahme. Aber dann ist es auch so, dass je nach momentaner Situation, also diese Virusausscheidung ist nicht einmal innerhalb von 24 Stunden konstant und auch nicht an allen Stellen des Rachens konstant. Sodass dann wirklich je nach der Frage, wo Sie das genau abgenommen haben und wann das extrem schwanken kann. Und dann auch von der Methode her, müsste man so eine Art Standard mitlaufen lassen, um das quantifizieren zu können. Also man gibt dann was rein so als Maßstab quasi, so wie ein Zollstock, der da mitgemessen wird. Und all diese Dinge macht man aber nicht bei der Routine-PCR. Und deshalb bin ich nicht der Meinung, dass man sozusagen diese Daten aus diesem CT-Wert rausmelken kann. Sondern der CT-Wert ist ein rein intern technisches Ding, was die Labore-Leute brauchen, um ihre Geräte so einzustellen, dass man sauber Ja- Nein-Entscheidungen treffen kann.

56:11

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 113. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage – dann schreiben Sie uns mdraktuell-podcast@mdr.de oder Sie rufen uns einfach an, kostenlos das Ganze: 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt. Wer das eine oder andere Thema noch mal vertiefen möchte, kein Problem: alle wichtigen Links zur Sendung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf mdraktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 26.10.2020 #112: Kekulés Corona-Kompass

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Die wichtigsten Links zur Folge #112

Vorzeitige Tätigkeitsaufnahme von Kontaktpersonen unter medizinischem Personal in Arztpraxen und Kranken- häusern bei relevantem Personalman- gel https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/ N/Neuartiges_Coronavirus/HCW.html

Studie: HEPA-Filterlösung für Schulen https://www.medrxiv.org/content/10. 1101/2020.10.02.20205633v2.full.pdf

MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass

Camillo Schumann

Dienstag 27. Oktober 2020.  Die Zahlen steigen die Politik unter

Druck? Wie könnte ein wirkungsvoller Lockdown light aussehen? Und brau- chen wir ihn überhaupt?

 Außerdem Corona-positiv und trotz- dem zur Arbeit? Eine Handlungsemp- fehlung des Robert Koch-Instituts wird diskutiert.

 Außerdem: wie Klassenräume auch ohne Lüften virenfrei bleiben.

Und gibt es Impfschäden, die erst Jah- re später auftreten?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin ein Redakteur, Mo- derator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenra- dio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Ent-

wicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen. Professor Ale- xander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé,

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

In dieser Phase der Pandemie macht es ja durchaus Sinn, zu Beginn einer Sendung die aktuellen Zahlen zu liefern. Quasi als Service für unsere Hörer. Fangen wir an: über 11.400 Neuinfektionen innerhalb von 24-Stunden, laut Robert Koch-Institut vor einer Woche. Zum Vergleich: am Dienstag waren es 6.900. Der Blick in die Krankenhäuser. Laut Intensivregis- ter müssen fast 1.500 Menschen mit Covid-19 intensivmedizinisch betreut werden. Das ist ein Plus von 500 gegenüber letzten Dienstag. Und knapp 650 Menschen müssen davon künstlich beatmet werden. Das ist ein Plus von 240 ge- genüber letzter Woche. Herr Kekulé, das Hochwasser steigt weiter deutlich, oder?

Alexander Kekulé

Ja, das würde ich schon sagen. Vor allem ist es natürlich beunruhigend, dass wir jetzt auf den Intensivstationen und bei den beatmeten Menschen schon einen Anstieg sehen. Das ist ja immer so der Teil, den man quasi als Quali- tätsmerkmal für das Gesamtsystem sich an- schauen kann. Bei jedem anderen könnte man sagen: Na gut, die Fälle. Das heißt ja nicht im- mer, dass das auch Risikogruppen sind. Aber dass wir hier einen Anstieg bei den Beatmeten haben. Das heißt ja auch im Klartext, dass mehr Menschen sterben werden. Deshalb ist die Lage ernst.

Camillo Schumann

Am Anfang der Pandemie ist man von einer Sterblichkeit bei beatmeten Personen von um die 50 Prozent ausgegangen. Ist es dabei ge- blieben?

Alexander Kekulé

Das ist lokal sehr unterschiedlich, wenn Sie auf ein sehr routiniertes Team treffen auf der In- tensivstation. Und dann kann man davon aus- gehen, dass es deutlich gesenkt wurde. Ich würde sagen, gerade speziell mit der Kortison-

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behandlung, also Dexamethason-Behandlung, wo das Immunsystem gedämpft wird. Das hat sich allgemein durchgesetzt. Und viele andere Dinge, die nicht funktioniert haben, lässt man weg. Dadurch kann man relativ straight thera- pieren. Ich würde sagen, wenn es gut läuft, naja, vielleicht ein Drittel stirbt dann noch von den beatmeten Patienten. Aber auf jeden Fall nicht mehr die Hälfte.

Camillo Schumann

Also es hat sich professionalisiert. Mehr Men- schen können gerettet werden. Demgegen- über auch eine Vergleichszahl. Rund 7.700 Intensivbetten, die noch frei sind und 12.000 in der Reserve. Und schaut man sich bei unseren europäischen Nachbarn um. Dort sieht es nicht so gut aus. Die Gesundheitssysteme zum Bei- spiel Belgien, Spanien, den Niederlanden, Tschechien, die stoßen an ihre Grenzen. Wich- tige OPs werden da teilweise verschoben. Also die Geschichte wiederholt sich. Das könnte auch sein, dass Deutschland wieder Nachbar- schaftshilfe anbietet. NRW und Niedersachsen tun das. Die Bilder wiederholen sich aus dem Frühjahr. Ist doch verrückt, oder?

Alexander Kekulé

Ja, das ist verrückt. Vor allem, weil ich glaube, es gab ja nun überhaupt keinen Virologen, der nicht gesagt hat, dass im Herbst die Fallzahlen wieder ansteigen. Es gab viele Dinge, wo wir unterschiedliche Meinungen hatten. Aber an der Stelle war es, glaube ich, ganz eindeutig. Und das sagt auch der gesunde Menschenver- stand. Darum ist es erschreckend, dass wir vor allem bei den alten Menschen nach wie vor so viele Infektionen haben.

Camillo Schumann

Kommen wir zurück nach Deutschland. Alle Blicke ruhen jetzt auf der Kanzlerin.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (Original-Ton)

Der vergleichsweise entspannte Sommer ist vorbei. Jetzt stehen uns schwierige Monate bevor. Wie der Winter wird, wie unser Weih- nachten wird. Das entscheidet sich in diesen kommenden Tagen und Wochen. Das ent- scheiden wir alle durch unser Handeln.

Camillo Schumann

Tja, das war ein Auszug aus dem letzten Po- dcast der Kanzlerin. Jeder Tag zähle, hat ges- tern Regierungssprecher Steffen Seibert ge- sagt. Und deshalb hat die Kanzlerin die Minis- terpräsidentenkonferenz von Freitag auf den morgigen Mittwoch vorgezogen. Erwartet wird, dass so eine Art Lockdown light beschlos- sen wird. Schreiben zumindest mehrere Medi- en. Also die Kanzlerin macht jetzt richtig Druck. Ist das richtig?

Alexander Kekulé

Ja, man muss jetzt etwas tun. Man kann ja nicht zusehen, bis wir spanische oder französi- sche Verhältnisse hier bekommen. Das Robert Koch-Institut sagte im aktuellen Lagebericht ich hab da mal reingeguckt. Da steht drin: Wir haben eine zunehmende Beschleunigung. Weil die Bundeskanzlerin hat ja die berühmte Glei- chung aufgemacht hat, wo sie die Exponential- funktion erklärt hat, mit diesen Verdopplungs- zeiten. Eine zunehmende Beschleunigung heißt aber, dass die Beschleunigung sich beschleu- nigt. So sieht es das Robert Koch-Institut. Das wäre dann so in der Physik der Ruck gewesen. Da geht es dann nicht mehr um die quadrati- sche Funktion, sondern um die dritte Potenz. Also, es ist die quasi die dritte Ableitung nach der Zeit. Und da kommt es einfach ganz ent- scheidend auf die Zeit an. Die Zeit steht in der dritten Potenz. In diesen berühmten Formeln heißt es dann hoch drei. Es kommt sozusagen auf jede Sekunde und nicht auf jeden Tag an. Und deshalb muss man dringend was tun. Was heißt so ein Ruck? Eine dritte Potenz in so ei- ner Exponentialfunktion? Das kann man sich so vorstellen: Wenn ein Auto los fährt, dann ruckt das natürlich. Dieses Anfahren ist die eine Be- schleunigung der Beschleunigung. Aber viel interessanter ist einfach, sich das umgekehrt vorzustellen. Wenn ich mit 100 Sachen gegen die Mauer fahre, das ist ein klassischer Ruck, das Auto bleibt sehr schnell stehen. Die Be- schleunigung beschleunigt sich enorm. So ein Effekt ist das also. Wir fahren hier gerade ma- thematisch gesehen gegen die Mauer.

Camillo Schumann

Wirtschaftsminister Peter Altmaier vermutet, dass die von der Kanzlerin prognostizierten um die 20.000 Neuinfektionen pro Tag, die sie

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Weihnachten prognostiziert hatte, diese Wo- che schon eintreten werden. Und zwar Ende der Woche, Freitag, Samstag. Er malt ein ziem- lich düsteres Bild. Malen Sie das auch?

Alexander Kekulé

Es ist ganz offensichtlich. Die Beschleunigung hat sich beschleunigt. Die Frau Bundeskanzle- rin ist eben von einer gleichmäßigen Beschleu- nigung ausgegangen. Wenn man noch mehr Gas gibt, dann wird es eben noch schneller. Das ist ein sich selbst verstärkendes System. Das ist so ähnlich, als wenn man sein Aquarium eine Weile nicht geputzt hat. Dann kommen irgendwann die Algen. Und dann gibt es so einen Moment, wenn es schön warm ist. Wo wirklich von einem Tag auf den nächsten alles grün ist. Dass man die Fische nicht mehr sieht. Weil das in kurzer Zeit in so eine Phase ge- kommen ist. Ich benutze dann eben immer noch den Ausdruck: Dass es wie eine Explosion abläuft. Da laufen wir gerade hin. Das heißt, wenn wir was tun wollen von staatlicher Seite, müssen wir es wirklich jetzt machen. Die Frage ist natürlich: was soll man machen? Wie soll man das machen? All diese Dinge. Wo hapert es eigentlich? Es ist nicht so einfach, nur zu sagen: hey, wir machen jetzt mal Lockdown. Dann ist alles wieder gut. Sondern man muss jetzt viel differenzierter arbeiten. Weil der gleiche Lockdown wie im Frühjahr, der wäre erstens sinnlos und zweitens können wir den nicht beliebig oft wiederholen.

Camillo Schumann

Genau darüber wird jetzt diskutiert. Morgen bei der Ministerpräsidentenkonferenz in Ber- lin. Und was schon so durchgesickert ist, es soll keinen großen Lockdown wie im Frühjahr ge- ben, sondern einen sogenannten Lockdown light. Mehrere Medien berichten und berufen sich auf sogenannte gut informierte Kreise. Zum Beispiel, dass die Schließung von Bars und Restaurants diskutiert werden soll. Außerdem sollen auch Veranstaltungen verboten werden.

Schulen und Kindergärten. Die sollten dagegen geöffnet bleiben, außer in Regionen mit be- sonders hohen Infektionszahlen. Und auch Geschäfte sollten unter Auflagen geöffnet bleiben. Das schreibt zumindest die Bild. Ob- jektiv, und da sprechen wir nicht über das Leid

der Wirte. Es würde ja aktuell die Orte treffen, in denen dann auch das meiste Infektionsge- schehen auszumachen wäre.

Alexander Kekulé

Naja, es ist offensichtlich, dass wir jetzt eine Situation haben, die bisschen anders als im Frühjahr ist. Schon seit einiger Zeit ist es so, dass das Verhalten eines Teils der Bevölkerung ist, was das Problem ist. Wir kennen das Prob- lem viel besser als früher und einige Leute halten sich einfach nicht an die Spielregeln, wenn ich mal so sagen darf. Diese Regeln sind ja etwas, was im ganz privaten Bereich pas- siert. Die Bilder, die man von der Straße sieht, sind völlig nebensächlich. Wichtig ist, was hin- ter geschlossenen Türen passiert. Ja, und da ist es schon mal richtig, dass man nicht mehr da- ran denkt, die Geschäfte zu schließen. Damals war es ja noch, sodass es nur ganz wenige Leu- te gab, die für die Maske plädiert haben. Und die große Mehrheit der Fachleute, in Deutsch- land zumindest, hat dagegen gearbeitet. Wir haben ja damals diese Maßnahmen, Masken zu tragen. Und die anderen Dinge haben wir noch gar nicht gehabt. Das heißt, heute haben wir Instrumente, um Geschäfte zu sichern. Deshalb ist es gut, das nicht zuzumachen. Das andere Extrem sind Nachtclubs, die einfach so durchfeiern, als gäbe es kein Morgen. Die muss man natürlich zumachen, sofern sie sich nicht an die Abstandsregeln halten. Und das wird leider häufiger mal der Fall sein. Dazwischen gibt es die Restaurants. Also ich denke jetzt so ein klassisches Restaurant, wo man einfach so zum Essen sitzt. Da bin ich eigentlich der Mei- nung, das ist ein ziemlicher Unsinn, die zu schließen oder selbst auch nur mit Sperrstun- den zu versehen. Ich kenne also kein normales Restaurant, wo die Leute ab elf Uhr plötzlich aufstehen und auf den Tischen tanzen oder Ähnliches. Oder ich gehe immer in die falschen Restaurants. Das weiß ich nicht. Aber wahr- scheinlich lassen die mich dann nicht mehr rein. Aber so grundsätzlich. Mein Vorschlag wäre eigentlich ein anderer. Ich würde sagen, man hat ja Regeln. Es gibt Abstandsregeln, es gibt Bewegungsregeln, die sind ja eigentlich gut und relativ einheitlich in den meisten Bun- desländern. Was man noch nicht gemacht hat, ist, das klar durchzuziehen. Dass Regelverstöße auch geahndet werden. Wenn Berlin natürlich

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ewig lang zulässt, dass da weiter gefeiert wird in einigen Stadtteilen und eben nicht die Knei- pen zumacht. Daran gewöhnt sich die Bevölke- rung und denkt, das ist ja alles in Ordnung. Und das ist der Effekt, den man man eigentlich verhindern muss. Das heißt, ich wäre dafür, zu sagen: klare Regeln, die kann man noch mal nachschärfen, wenn es nötig ist. Und dann wirklich konsequent die Gaststätten zuma- chen, die sich nicht daran halten. Aber ich sehe überhaupt nicht ein, warum jetzt ein Gastwirt, der sich seit inzwischen Monaten wirklich Hy- gienekonzepte ausgedacht hat, der Listen am Eingang hat, der irgendwelche Desinfektions- mittel überall aufstellt und die Tische ausei- nandergestellt hat, die Hälfte vom Personal in Kurzarbeit geschickt hat. Wieso sollte der jetzt zumachen? Das sehe ich, ehrlich gesagt, nicht. Ich würde mir wünschen, dass die Runde mor- gen da einen differenzierten Blick drauf hat.

Camillo Schumann

Also klare Regeln statt Lockdown light, wenn ich Sie richtig verstanden habe?

Alexander Kekulé

Ich bin eigentlich dafür, dass wir statt immer dieses Auf und Ab ... Der Bundesgesundheits- minister hat das ja Bremsen und Beschleunigen genannt. Das ist ein Konzept, wo ich nichts von halte, immer Gas geben und bremsen. Da wer- den ja alle wuschig im Kopf. Und die Wirtschaft funktioniert nicht mehr. Wir brauchen eine kontinuierliche, klare Ansage. Und die muss man dann auch einhalten. Es soll nicht so sein, dass einige Bundesländer sagen: bei uns ist es nicht so schlimm, wenn man die Maske nicht trägt. Oder bei uns dürfen die Tische dann doch wieder näher zusammen und Ähnliches. Wir brauchen da eine bundeseinheitliche Re- gelung. Es war ja auch gut, dass die Ampel eingeführt wurde an der Stelle. Die hatte ja weniger den Zweck, den Bürgern irgendetwas zu signalisieren, sondern ich habe den Ein- druck, das war eher so, dass die Kanzlerin mit der Ampel ihre Ministerpräsidenten unter ei- nen Hut bringen wollte. Aber auch das hat nicht geklappt. Tja, da gab es Regionen, wo die Ampel auf Rot war und die Maßnahmen nicht beschlossen wurden. Das heißt einheitliche Regeln, die kontinuierlich durchgezogen wer- den und nicht, dass man immer wieder zu-

macht aufmacht, je nach Infektionszahlen. Ich glaube, das wäre das, wo wir als Gesellschaft am besten mit leben könnten und was auch von der Epidemiologie her die beste Möglich- keit ist, das zu kontrollieren.

Camillo Schumann

Es ist immer so, wenn man ein Virologen fragt, kriegt mein eine virologische Antwortet. Das setzt aber voraus: Ihr Plan und Ihr Konzept, dass die Menschen sich verdammt noch mal am Riemen reißen und dass es genügend Ord- nungsamtsmitarbeiter gibt, die das Ganze kon- trollieren. Und eine Verwaltung, die so auf Zack ist, den Laden dann auch gleich zu schlie- ßen.

Alexander Kekulé

Natürlich, das muss man so sehen. Die jetzige Lage ist ja die, dass wir nicht ein Problem ha- ben mit irgendwelchen Übertragungen, die auf der Straße stattfinden, wo die Polizei hinterher laufen kann. Auch nicht in den Parks, wo die Polizei dann zum Teil ja schon die Masken- pflicht kontrollieren muss. Sondern die Prob- leme sind tatsächlich im privaten Bereich. Das ist ein Bereich, in dem wir mit den Ordnungs- maßnahmen sowieso nicht hinterherkommen. Wenn die Leute zu Hause feiern, dann feiern sie eben. Und deshalb sehe ich es eigentlich so, dass der Staat aus meiner Sicht zwei Aufgaben hat.

Das eine ist wirklich seine Königsaufgabe, die wichtigste Aufgabe, dass er die Risikogruppen schützt. Auch das hat immer noch nicht funkti- oniert. Wir haben zunehmende Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Das geht überhaupt nicht. Darauf muss sich der Staat fokussieren, weil das sind Leute, die auf die staatliche Hilfe angewiesen sind.

Und das Zweite sind die, die zu Hause im Mo- ment die Probleme machen. Ich weiß nicht, ob man die kriegt, indem man ihnen die Kneipen zumacht. Es ist so, dann feiern die woanders weiter. Sondern ich würde eher sagen, dass das wirklich der Bereich ist, wo wir nur mit einem sauberen und vernünftigen und nach- vollziehbaren Konzept reagieren können. Dass die Leute wirklich sehen: aha, so und so wird's gemacht. So wird es überall gemacht, da sind

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sich alle einig. Und die Ministerpräsidenten streiten sich nicht. Die Virologen streiten sich nicht. Sondern das scheint hier die Regel zu sein. Und ich glaube, dass das die einzige Mög- lichkeit ist, Leute zu überzeugen.

Camillo Schumann

Aber wie will ich denn in Anführungszeichen ... Ich übertreibe es mal ein bisschen. Wie will ich das Saufgelage von zehn Kumpels in der Nach- barwohnung, wie kann ich das denn unterbin- den?

Alexander Kekulé

Das können Sie nie unterbinden. Das ist ja der Witz. Aber das ist im Moment unser Problem. Also unser Problem ist ja nicht, dass Leute, im öffentlichen Raum über die Regeln schlagen. Wenn sie das tun, wenn es jetzt eine Kneipe ist, dann bin ich wirklich der Meinung. Da gibt es eben solche und solche. Denen muss man dann eben für eine Zeit die Lizenz entziehen. Und wenn die das wissen, dass dann die Lizenz weg ist... . Ich glaube, dann wird zumindest von der Seite, von der Seite der Gastwirte wird sich das disziplinieren.

Camillo Schumann

Und das Denunziantentum wird dann wieder auf dem Plan kommen?

Alexander Kekulé

Ja, das ist immer das Problem. Wir haben eine Bedrohung, die den Menschen unmittelbar bedroht. Nicht so irgendetwas Generelles, wo der Staat mit seinen groben Instrumenten viel machen kann, als wenn zum Beispiel eine feindliche Militärmacht anrücken würde oder Ähnliches. Dann brauchen Sie Panzer an der Grenze. Aber hier haben Sie ja sozusagen Fein- de, die automatisch sofort beim Individuum angreifen. Und deshalb muss die Abwehr auch auf der individuellen Ebene sein. Und ja, das ist natürlich so. Am Ende des Tages kommen dann wieder solche Dinge ins Spiel wie Kontaktnach- verfolgung, Tracking-App und solche Dinge. Da hat der Philosoph Nida-Rümelin am Sonntag noch mal versucht, ein Plädoyer zu halten. Dass er sagt, man muss sich überlegen, wie viel die persönliche Freiheit wert ist in so einer Zeit, wo man eigentlich nur durch Nachverfol- gung von Kontakten feststellen kann, wer sich

wo infiziert hat. Also will ich jetzt keine Positi- on zu beziehen. Aber es geht letztlich um diese fein-granulären Gegenmaßnahmen.

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz wird dann auf der Minis- terpräsidentenkonferenz die eine oder andere Maßnahme dann möglicherweise doch be- schlossen werden. Und möglicherweise wird die Schließung von Bars und Restaurants be- schlossen, zumindest diskutiert und in Erwä- gung gezogen. Auf der anderen Seite könnten ja Schulen und Kindergärten offen bleiben. Da würde man bei Ihnen offene Türen einrennen, oder?

Alexander Kekulé

Also das sehe ich mit sehr großer Vorsicht. Wir haben medizinisch gesehen kein wirklich gutes Modell, wie wir erklären können, warum es angeblich so wenige Infektionen in Schulen und Kitas gibt. E ist ja völlig klar, dass Jugendli- che ab 14/15 ganz klar Treiber der Infektionen sind. Also in den Gymnasien. In Amerika in den High-Schools haben sie enorme Ausbrüche. Zum Teil sind dort die Regeln nicht eingehalten worden. Das heißt, es kann gut sein, dass wir im Moment nur deshalb so wenige Ausbrüche sehen, weil sich die Gymnasiasten offensicht- lich gut an die Abstands- und Maskenregeln halten. Weil die Schulen sich auch enorm Mü- he gegeben haben, im Sommer Konzepte mit Lüftung und Ausdünnung der Schüler zu ma- chen. Und wir wissen nicht, wie das im Winter weitergeht, weil es ist einfach so.... Man kann sich das so vorstellen. Wir haben es fast mit zwei verschiedenen Viren zu tun. Ein Virus, das über die Luft übertragen wird, hat im Sommer einfach eine echt harte Zeit. Das geht ihm echt schlecht im Sommer. Das hat sich hier nur deshalb so lange über den Sommer schleppen können, weil die Menschen so unvernünftig waren. Es war halt von vornherein (so), dass die Zahl der Infizierten so enorm groß war. Normalerweise machen Erkältungskrankheiten im Sommer schlapp, und dann kommt der Winter, und dann freuen sich die Viren. Dann geht es ihnen wieder richtig gut, weil dann können sie wesentlich effizienter Infektionen machen. Und die gleiche Maßnahme, die im Sommer geholfen hatte. Ich sag jetzt mal so als Stichwort: 1,5 m Abstand halten in geschlosse-

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nen Räumen. Das war ja so eine Standardfor- mel. Das war quasi schon ein Freibrief den ganzen Sommer für alle möglichen Hygiene- konzepte, die von den Gesundheitsämtern abgesegnet wurden. Es kann sein, dass das im Winter einfach nicht mehr funktioniert. Des- halb sind wir dann in der Lage, dass sich das Virus besser verbreitet, wo es letztlich eine höhere R-Null hat, also diese Basisreprodukti- onszahl. Also wie schnell vermehrt sich das Virus, wenn man es einfach so lässt. Die ist letztlich im Winter höher. Und deshalb muss man einfach sagen, da wissen wir nicht, ob die Schulen dann wirklich sicher sind. Also zumin- dest bei den Älteren habe ich Bedenken. Und bei den Jüngeren müssen wir wirklich ganz akribisch gucken. Das Verfolgen wird ja auch gemacht. Dass man an einzelnen Schulen exemplarisch das nachverfolgt. Und da muss man wirklich bereit sein, sofort auf den Alarm- knopf zu drücken, wenn irgendwo ein Aus- bruch ist. Also wenn sich herausstellt, dass dann doch an Grundschulen und Kitas es Aus- brüche gibt, dann sind die halt genauso wie die Erwachsenen.

Camillo Schumann

Wenn Sie als Virologe und Epidemiologe über einen Umstand berichten, wie gerade eben aus den Schulen und aus den Kitas. Ein Umstand, der recht positiv ist. Dann hört sich das immer so an, als wäre das etwas Negatives. Aber ei- gentlich können wir uns darüber freuen, oder?

Alexander Kekulé

Ja, wir freuen uns. Ich habe es gerade aus der Sicht des Virus geschildert. Das Virus hat natür- lich ein Problem in der Zeit. Ich glaube, dass wir im Moment in der Lage sind, dass bei den Jüngeren und Grundschülern dass da noch keine Probleme aufgetreten ist. Das ist überra- schend. Da bin so ein bisschen, sage ich mal misstrauisch, wenn ich das so sagen darf. Aber ich lasse mich dann im Lauf der Zeit auch gern vom Gegenteil überzeugen. Ich glaube, so geht es auch vielen meiner Kollegen. Da bin ich ja nicht der einzige, der am Anfang der Meinung war, dass die Schulen, die Schüler und Kita- Kinder genauso infektiös sein könnten wie die Erwachsenen. Das müssen wir uns ansehen, ob die Epidemiologie uns da tatsächlich eines Besseren belehrt wird. Das wäre ja super,

wenn es so ist. Ich würde da nur nicht drauf wetten, ehrlich gesagt.

Camillo Schumann

Man muss natürlich der Vollständigkeit halber mit sagen: es gibt auch geschlossene Schulen. Es gibt auch Schüler, die zu Hause im Homeshooling betreut werden, Schulen zum Beispiel im Landkreis Rottal-Inn. Da ist der Lockdown verhängt worden. Und da sind die Schüler ja auch davon betroffen. Also es gibt vereinzelt das grundsätzliche Phänomen, dass die Schulen, die Treiber der Pandemie im Herbst sind. Das kann man so erst mal noch nicht feststellen.

Alexander Kekulé

Es gibt es keinen Hinweis darauf. Man muss auch sagen, dass in Rottal-Inn nicht klar ist, wie sich die Schüler infiziert haben. Also die Frage ist ja immer: Gibt es innerhalb der Klasse Infek- tionen? Das ist hier nicht geklärt. Es kann sein, dass die sich außerhalb was geholt haben, wenn der ganze Ort eine hohe Inzidenz hat, viele Fälle hat. Dann sind natürlich Kinder auch betroffen. Die könnten sich zuhause infiziert haben.

Camillo Schumann

Also Lockdown light ist möglicherweise Thema bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch. Und wissenschaftlich werden ja unterschiedliche Formen auch Zeiträume des Lockdowns diskutiert, aktuell zum Beispiel auch ein Preprint aus England. In dieser Studie geht es um die Wirksamkeit von precautionary breaks, Vorsorge-Pausen, also kurze Pausen, um die Epidemie wieder unter Kontrolle zu bringen. Das wird auch von vielen Ihrer Kolle- gen in Deutschland diskutiert. Was halten Sie von dieser Idee?

Alexander Kekulé

Grundsätzlich ist eine precautionary break, eine vorsorgliche Unterbrechung der Infektio- nen. Das ist natürlich was Sinnvolles. Die nen- nen das ja interessanterweise auch Reset in der Studie selber, die habe ich mir noch mal genauer angesehen. Das erinnert mich an den Reset, den ich irgendwann mal im Frühjahr empfohlen habe, der dann später Corona- Ferien hieß. Die Arbeit ist im Grunde genom-

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men ehrlich gesagt, nicht besonders erhellend. Ich kann ein bisschen erzählen, was sie ge- macht haben. Das ist von der Universität in Warwick. Die ist eine neue Universität, neu gegründet im Hinterland, bei Coventry. Für die Fußballfans in der Nähe von Birmingham. Das kennt man dann vielleicht. (....) Die haben Fol- gendes gemacht. Die haben gesagt: okay, wir rechnen einfach mal durch, was passiert, wenn man so einen Lockdown macht. Und dann ha- ben sie tatsächlich erst mal in einer ersten Näherung festgestellt, das je länger man den Lockdown macht, und je härter der ist, desto wirksamer ist das. Sie schreiben natürlich dann gleich dahinter: naja, war ja auch zu erwarten. Und dann haben sie das mathematisch ziem- lich aufwendig runter differenziert. Genau das gleiche Grundprinzip. Sie haben aus diesen einfachen Modellen etwas Komplexeres ge- macht. Das haben wir schon mal besprochen, als die Frau Priesemann bei uns war, im Po- dcast. Da gibt es dieses SEIR-Modell. Also es gibt eine Gruppe von Personen, die sind über- haupt empfänglich, das ist s wie septible. Dann gibt es eine Gruppe von Personen, die sind exponiert. Also die könnten das Virus bekom- men, expost. Dann gibt es eine Gruppe, die ansteckend ist, die ist infektiös, infections. Und die letzte, das R. Die ist die recovert, also die geheilte Gruppe. Also die sind nicht mehr in- fektiös. Die sind dann in diesem Modell auch nicht mehr infizierbar. Und dann hat man sozusagen, wenn man so will, vier Töpfe. Und jede Person aus der Population geht immer von einem Topf in den nächsten. Und dafür braucht man eine Formel, wie das ineinander übergeht. Das sind ja quasi zusammenhängen- de Formeln mit einer gemeinsamen Variablen. Und so was nennt man dann bekanntlich Diffe- rentialgleichung. Das ist eine einfache Diffe- rentialgleichung, gewöhnliche Differentialglei- chung, die die draus gemacht haben. Und da- mit haben sie ein Simulationsprogramm ge- schrieben. Und dann haben sie gesagt: okay, was simulieren wir jetzt? Jetzt nehmen wir doch mal zwei Wochen Lockdown, weil wäh- rend der Schulferien. Dann wären die Kollate- ralschäden möglichst gering. Sie erinnern sich. Das erinnert verdammt an Corona-Ferien. Sie haben gefragt: was passiert dann? Da haben sie fünf verschiedene Intensitäten von Lock- downs einfach definiert. Vom Faktor fünf ge-

hen die quasi rauf und runter. Und was kommt am Schluss raus? Genau das Gleiche wie bei dem einfachen Modell. Schreiben Sie auch selber. Der Reset wird umso besser, je länger und je härter die Maßnahmen. Na gut, das hätte wahrscheinlich jeder sich denken kön- nen, auch ohne, dass er viel Mathematik macht. Darum habe ich das so ausführlich er- zählt. Aber da sieht man mal, womit sich Ma- thematiker beschäftigt. Die wollen es dann bewiesen haben, dass es so ist, was man sich so vorstellt.

Camillo Schumann

Und die Frage nach dem richtigen Zeit-Punkt, habe ich gelesen.

Alexander Kekulé

Der richtige Zeitpunkt ist je schneller, desto besser. Die haben im Grunde genommen ... Die Ergebnisse waren im Grunde genommen wie- der die gleichen. Je härter, je schneller. Je här- ter, je länger und je früher ist am besten. Die haben aber drei wichtige Fragen offen gelas- sen. Und das ist die erste: Wie lang soll ich den Lockdown machen? Soll ich es eine Woche machen? Oder zwei, die sie da genommen haben wegen der Inkubationszeit. Wie oft muss ich das machen, wenn ich das mache? Also wenn ich jetzt so einen gezielten geplan- ten Lockdown mache, muss ich das in zwei Monaten wieder machen, oder in vier?

Und wie hart ist denn optimal? Die haben ver- schiedene Härten, eins bis fünf, mathematisch durchdekliniert. Aber was das praktisch heißt. Heißt das, dass alle zuhause bleiben. Oder heißt das, nur noch, was weiß ich, im Taucher- anzug herumlaufen oder sonst was. Also, wie hart ist hart? Oder wie weich ist weich? Das haben sie auch nicht definiert.

Camillo Schumann

Zumindest wurde eine gute Grundlage gelie- fert, es dann anzuwenden. Oder könnte man die Berechnungen nicht anwenden auf Deutschland. Und da vielleicht (...) auf zwei Wochen kommen mit den und den Maßnah- men?

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Alexander Kekulé

Ich glaube nicht. Dieses Modell bringt es nicht. Ja, das ist dafür nicht geeignet. Das ist auch sehr stark abgeglichen. Wenn man so eine Differentialgleichung macht. Wenn Sie sich erinnern in der Schule. Da müssen Sie bei je- dem einzelnen Glied, wenn Sie den dann aus- einandernehmen, haben Sie so eine Art Faktu- rierung in jedem Glied. Und diese Fakturie- rung, das heißt dann technisch Kalibrierung von der Gleichung. Das haben die nach den britischen Maßstäben genommen. Also da haben die quasi die Belegungszahlen der In- tensivstationen genommen. Wieviel Todesfäl- le. Was man mit dem Modell schon machen kann: durchrechnen, wenn wir den Lockdown so und so gestalten. Wie schnell werden die Intensivstation verlaufen? So was kann man simulieren. Aber bei diesen Simulationen ist es einfach so, wenn Sie irgendeinen Parameter ändern, dann ändert sich das Ergebnis drama- tisch. Sodass ich eigentlich dagegen bin, solche Sachen mathematisch zu machen. Sondern das muss man ganz praktisch machen, wie Sie es am Anfang vorgelesen haben. Wir haben jetzt so und so viel Beatmungspatienten, so und so viele Plätze sind noch frei. Und wir wissen, wie lange der Vorlauf ungefähr ist. Wenn wir mer- ken, da wird es langsam brenzlig, dann müssen wir etwas tun. Das ist meines Erachtens besser, als so was mit einer Differentialgleichung ver- suchen anzunähern

27:20

Camillo Schumann

Kommen wir zu einem anderen Thema, das einige unserer Hörer sehr umtreibt. Es geht um Menschen, die trotz eines positiven Corona- Testergebnisses wieder arbeiten gehen. Hört sich erstmal verrückt an. Denn jeder, der einen positiven Test hat, der muss offiziell sich isolie- ren und alle Kontakt-Personen müssen in Qua- rantäne. Nun gibt es aber Menschen, die trotz eines positiven Corona-Tests arbeiten gehen und das auch sollen. Und davon gibt es offen- bar gar nicht so wenige. Diese Dame hat uns die Situation auf unserem Anrufbeantworter so geschildert.

Zuhörerin

Ich höre von immer mehr Mitarbeitern im Al- tenpflegeheim und auch in den Krankenhäu-

sern, dass sie die Anweisung haben, wenn sie positiv auf Corona getestet wurden und keine Symptome aufweisen, dass sie dennoch arbei- ten müssen. Krankenpfleger und auch Pfleger im Altenheim, Seniorenwohnheim müssen arbeiten, wenn sie positiv sind und keine Symptome haben. Ist das bekannt? Es macht dann doch keinen Sinn Patienten und Besucher zu testen, wenn die Mitarbeiter positiv sein können. Kann das auch mal von Ihnen disku- tiert werden? Vielen Dank. Auf Wiederhören.

Camillo Schumann

Tja, und das werden wir diskutieren, gleich vertiefen. Ihre erste Reaktion auf diesen Anruf unserer Hörerin.

Alexander Kekulé

In einem Wort unglaublich.

Camillo Schumann

Nur ganz kurz. Ich habe das Robert Koch- Institut diesbezüglich auch angefragt. Die Ant- wort war folgendermaßen: Wir können hier nur auf die Optionen zur vorzeitigen Tätig- keitsaufnahme von Kontaktpersonen unter medizinischem Personal in Arztpraxen und Krankenhäusern bei relevantem Personalman- gel verweisen. Dann wurde ein Link mitge- schickt, mit einem sehr langen Text und diver- sen Kategorien von Kontakten, Personen. (Den Link finden Sie hier am Anfang des Transkrip- tes.)

Auf einer Unterseite steht: Ist die adäquate Versorgung der Patientinnen und Patienten durch Personalengpässe nicht mehr möglich. Dann kann es notwendig sein, die bestehenden Empfehlungen zum Umgang mit Kontakt- Personen. - und jetzt kommt es - und mit posi- tiv auf Sars-CoV-2 getesteten Person für medi- zinisches Personal anzupassen. Sie kennen die Information. Was sagen Sie dazu?

Alexander Kekulé

Dahinten steht so ein Satz dran, der eigentlich für den nächsten Krieg ist. Ja, wir sind im Mo- ment in so einer Phase, wo wir nicht genau wissen, wie es weitergeht. Rein theoretisch – Katastrophenforscher machen sich gerne sol- che Gedanken. Theoretisch kann es natürlich sein, dass wir in so eine Extremlage kommen

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bei der Pandemie-Abwehr. Dass die Kollateral- schäden, die sekundären Kollateralschäden, die dadurch entstehen, dass die Pandemiebe- kämpfung schlimmer ist als die Pandemie selbst. Das heißt zum Beispiel das Personal dann weg ist, um Unfallverletzte zu behandeln, weil die alle krank zu Hause sind. Das wäre der Extremfall, wo man einfach nicht mehr anders kann. Das war bei der Pest im Mittelalter ge- nauso. Wenn Sie da jeden Pestkranken aus dem Verkehr gezogen hätten. Was man damals natürlich auch versucht hat. So dumm waren die Menschen ja nicht. Dann hätten sie einfach überhaupt keine Funktionen mehr gehabt und die Gesellschaft wäre zusammengebrochen. Ich glaube, da sind wir noch Lichtjahre von entfernt. (...) Also ich weiß nicht, ob man jeden Teufel so öffentlich an die Wand malen muss. Aber da sind wir weit von entfernt. Im Moment ist es einfach so. Die Regularien heißen klipp und klar, ich habe das auch noch einmal ange- schaut, auch vom Robert Koch-Institut. Wenn jemand aus dem medizinischen Bereich positiv getestet wird, also wenn er ein Fall ist, dann wird er isoliert. Das ist etwas anderes als Qua- rantäne für die Kontaktperson. Und das gilt erst mal ausnahmslos. Das heißt: jemand, der krank ist mit Covid19 oder positiv ist mit dem Virus, der hat in der medizinischen Versorgung nichts zu suchen. Und das zieht das Robert Koch-Institut auch so.

Camillo Schumann

Papier ist geduldig. Da steht es auch schwarz auf weiß. Nur häufen sich die Zuschauerreakti- onen sowohl per Mail als auch auf unserem Anrufbeantworter, die genau das schildern. Dass positiv getestetes medizinisches Personal eingesetzt wird. Also nicht im absoluten Notfall so wie es da auch steht. Ich zitiere: In absolu- ten Ausnahmefällen ist die Versorgung NUR – großgeschrieben - von Covid19-Patientinnen und -Patienten denkbar. Also Corona-positive Pflegerinnen und Pfleger behandeln Covid19- Patienten. Das wäre der absolute worst case, wo diese Positiven auch tatsächlich eingesetzt werden, wenn ich das richtig verstanden habe. Und da wäre es dann o.k.?

Alexander Kekulé

Wenn wir in so einer Situation wären. Da bin ich schon wieder bei der Pest. Da war das auch

so. Da hat man Pest-kranke Ärzte genommen, um die Pestkranken zu behandeln. Also das ist so was. Ich kann es nur noch einmal sagen. Ich bin immer dafür, dass Experten in irgendwel- chen Krisenstäben auch die Super-GAU- Szenarien diskutieren, damit man für diesen Fall einen Plan auf dem Tisch hat. Aber wir haben es in Deutschland nicht einmal ge- schafft, für die Stufe eins der ganzen Gaus, die es da so gibt von vielleicht einem zehnstufigen Szenario ... die richtig zu managen. Und da sollten wir uns erst einmal darauf konzentrie- ren, dass man die einfachen Hausaufgaben macht. Dazu gehört eben insbesondere Patien- ten zu schützen, Ausbrüche im Krankenhaus zu verhindern. Das ist ja eigentlich eine gute Nachricht, muss man sagen. Wir sind in Deutschland in der Lage, dass wir, anders als in den Ländern um uns herum, tatsächlich im Moment keine Ausbrüche mehr in Kranken- häusern zu haben. Das war ja mal ganz anders. Und weltweit ist es so, dass medizinisches Per- sonal auf den Todesstatistiken überall ganz oben steht (...). Und das ist in Deutschland eben nicht so. Und darum finde ich, das ist eine Leistung. Und das müssen wir aufrecht- erhalten, dass wir im medizinischen Bereich keine Ausbrüche beim Personal bekommen. Und dass wir natürlich, und das ist die Aufga- be, die noch abzuhaken ist, die Alten- und Pflegeheime sichern.

Camillo Schumann

Jetzt frage ich noch einmal den Virologen und Epidemiologen ganz konkret. Wenn die Hin- weise unserer Hörer zu hundert Prozent stim- men, dass es zunehmend vorkommt, dass Pfle- gerinnen und Pfleger, auch Rettungssanitäter, die positiv getestet sind, wieder in ihrer Arbeit eingesetzt werden. Was würde das bedeuten, wenn das tatsächlich gängige Praxis wäre?

Alexander Kekulé

Da hätten Leute dieses zugegeben etwas schwierig verklausuliert formulierte Papier des Robert Koch-Instituts meines Erachtens falsch interpretiert. Das ist eben das Problem. Bun- desinstitute geben eine Empfehlung. Und die wollen dann auch niemanden vor den Kopf stoßen. Darum haben die immer so Nebensät- ze, wo dann drinnen steht: Im Einzelfall darf das Gesundheitsamt eigene Entscheidungen

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treffen. Aber ich kann nur sagen, es wider- spricht absolut dem gesunden Menschenver- stand. Leute, die besondere Risikopersonen sind (müssen geschützt werden). Und das gilt doch immer für die Insassen von Alten- und Pflegeheimen. Und es gilt immer für Patienten, die im Krankenhaus stationär sind. Das sind immer Risikopersonen. Da weiter zu differen- zieren, das würde das System völlig überfor- dern. Und deren Behandlung kann meines Erachtens nur durch Menschen erfolgen, die gesichert Covid19 negativ sind, Sars-CoV-2 negativ sind. Die Ausnahme im Extremfall (wä- re), wenn man so viele Patienten hat, dass es sich lohnt, infiziertes Personal für die Behand- lung einzusetzen. Aber das ist der Fall, den wir noch nicht haben. Wo ich einfach davon aus- gehe, dass wir das in Deutschland nicht errei- chen werden.

Camillo Schumann

Wir werden an der Sache dran bleiben. Viel- leicht werden sich die Zuschriften ja noch wei- ter häufen. Und vielleicht gibt es ja dann auch anderweitige Reaktionen. Wir werden im Po- dcast hier dranbleiben an diesem Thema.

Wir wollen das Thema verlassen und machen noch einen kleinen Sprung zurück. Von einem möglichen Lockdown light, ich habe es ja schon gesagt, sollen die Schulen möglicherweise nicht betroffen sein. Da wird mit Masken, Ab- stand gehalten und mit mehr Klassen- Separierung alles getan, um die Infektionsge- fahr zu minimieren. Dazu gehört auch das re- gelmäßige Lüften im Herbst und im Winter. Da sitzen die Kinder dann mit dicker Jacke oder mit dicken Pulli im Unterricht. Es wird ziemlich kalt und frisch. Es gibt eine wenn auch sehr, sehr teure Möglichkeit, die Luft im Klassen- raum auch ohne Lüften virenfrei zu bekommen mit sogenannten Hepa-Filtern. Herr Kekulé, wir haben es ab und zu schon mal kurz themati- siert. Wie genau funktionieren die eigentlich?

35:47

Alexander Kekulé

Das sind diese sogenannten Luftreiniger. Da gibt es verschiedene Methoden, entweder mit einem Filter drinnen. Manche haben auch eine UV-Lampe drinnen, die die Viren abtöten kann oder Bakterien. Auch das ist so ein Gerät, das

steht irgendwo im Raum. Es ist ungefähr so groß wie ein Stuhl und surrt mehr oder minder leise vor sich hin. Es saugt Luft an, filtert einen großen Teil der Krankheitserreger raus und bläst sie auf der anderen Seite wieder raus. Das sind Geräte, die man kaufen kann. Kosten so 400 Euro. Die sind natürlich im Moment ausverkauft, weil ganz viele schon daran glau- ben, dass die funktionieren könnten.

Camillo Schumann

Und es gibt eine Studie der Uni Frankfurt, die die Wirkung von Hepa-Filteranlagen speziell in Klassenzimmern getestet hat. Und die Ergeb- nisse, die sind, wie ich finde, sehr eindrucks- voll. Finden Sie auch?

Alexander Kekulé

Ja, also ich glaube nach der Studie, dass das funktionieren kann. Tatsächlich. Die Studie hat Schwächen. Es ist wieder ein sogenanntes Pre- print. Wir reden ja meistens über Dinge, die noch nicht von Fachleuten gegengeprüft wur- den. Das ist aber im Prinzip so. Man hat solche Geräte aufgestellt in einem normalen Klassen- zimmer ... Das war 50 Quadratmeter groß, in Wiesbaden an einer Schule. Das ist übrigens die Standardgröße, die man auch vorsieht. 50 Quadratmeter, 25 Schüler, 3-Meter Raumhöhe ist der Standard für Schulen. Hier ist der Raum 3,6 Meter hoch. Also bisschen größer. Aber jetzt hat man Folgendes gemacht. Jetzt hat man da vier solcher Luftreiniger reingestellt. Also diese Dinge, wo man im Büro vielleicht mal einen stehen hat. Da hat man vier in den Raum gestellt und die auf einer relativ hohen Leistungen laufen lassen. Die haben dann auch ganz gut Lärm produziert. Und dann hat man gesagt: okay, nach der Nennleistung des Her- stellers machen die ungefähr alle vier zusam- men tausend Kubikmeter Luft pro Stunde, die sie durchreinigen. Tausend Kubikmeter. Das hat man auf das Gesamtvolumen des Raums umgerechnet. Da hat man gesagt: das macht ungefähr 5,5 komplette Luftwechsel pro Stun- de. An der Stelle habe ich ein bisschen Bauch- weh, weil Sie wissen ja nicht, ob diese Luftrei- niger wirklich die ganze Luft durchgezogen haben oder ob die teilweise so eine Art Luft mehrmals durchgezogen haben, weil das ein- fach nicht optimal durchmischt war. Also ein- fach zu sagen, das sind 5,5 komplette Luft-

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wechsel, bloß weil jedes Gerät so eine Leistung hat. Das ist schon mal ein Fragezeichen dran. Es wurde auch nur an zwei Punkten des Raums gemessen, sodass man jetzt nicht ganz sicher sagen kann, ob jetzt wirklich überall die Luft in dieser Weise entkeimt wurde. Aber es ist tat- sächlich so, dass die da, wo man es gemessen hat, die Infektionsdosis ungefähr auf ein Sechs- tel reduziert wurde durch diese vier Geräte. Also ein hypothetischer Superspreader. Der würde dann nur noch ein Sechstel so viele Leute anstecken. Jetzt nehme ich mal so eine Klasse mit sagen wir mal 25 Schülern. Da wä- ren vielleicht theoretisch von denen zehn an- gesteckt. Dann würde er nur noch ein bis zwei anstecken, so in der Größenordnung vielleicht.

Das ist sicherlich, wenn man das Geld hat, wenn man sich so viele Geräte reinstellen will. Und wenn man die Fenster nicht aufmachen kann, was ja oft der Fall ist. Dann ist das eine Option. Aber praktisch gesehen weiß ich nicht, wie viele Schulen das Geld haben.

Camillo Schumann

Keine, wenn Wlan noch nicht mal möglich ist, das wird es nicht für Hepa-Filter vorhanden sein. Dann wird es sicher an einer Hepa- Filteranlage scheitern. Aber nichtsdestotrotz ist es ja schön, dass es mal in der Theorie durchdekliniert wurde. Dass es theoretisch möglich wäre, Luft zu tauschen, Viren zu wa- schen, herauszuwaschen, wenn man so will oder rauszufiltern. Aber anwendbar ist das wahrscheinlich nicht.

Alexander Kekulé

Wir hatten ja die Problematik schon mal disku- tiert in einem früheren Podcast. Es ist immer das Problem bei diesen Filtern. An sich funkti- onieren die ganz gut. Was da wirklich rein- kommt, wird auch halbwegs für diesen Zweck hier ausreichend gereinigt. Die Frage ist nur, wie viel Prozent der gesamten Luft kriege ich in welcher Zeit ausgetauscht. Und das ist auf jeden Fall das Problem, wenn man sich so ein Gerät in so einen Raum reinstellt. So ein Gerät ist vom Hersteller für 80 Quadratmeter-Räume angesagt gewesen. Die haben jetzt vier solche Geräte für 50 Quadratmeter reingestellt. Und das heißt also quasi achtfach mehr aufgestellt, als überhaupt von der Nennleistung erforder-

lich ist. Dann kriegt man natürlich sage ich mal, halbwegs effizient die Luft durchgewaschen. Ich weiß nicht, ob das in der Praxis überall möglich ist, so einen Aufwand zu betreiben.

Camillo Schumann

Dann lieber das Fenster auf. Wir kommen zu den Hörer-Fragen. Die Parole, die Politik und die Experten, Sie eingeschlossen, ausgerufen haben lautet: auf jeden Einzelnen kommt es an im Verlauf der Pandemie. Die Frage ist nur, was kann jeder Einzelne tun? Diese Dame hat angerufen.

40:32

Zuhörerin

Wenn es jetzt heißt, dass quasi die Verantwor- tung beim Einzelnen liegt im Umgang – da würde ich gern durchgespielt haben: der Ge- brauch der Maske. Wie oft wechseln? Wie oft ... Gerade für jemanden, der sich wegen der Gesundheit nicht infizieren sollte. Der sollte mit FFP2-Maske rausgehen. Kann man mal an einem Tag durchspielen, wie so ein Tag verlau- fen müsste. Also ich gehe raus, muss einkau- fen, muss zur Post gehen, gehe ins Auto zu- rück, habe einen Termin auf der Bank und so weiter.

Camillo Schumann

Einen Tagesablauf durchspielen ist gar nicht so einfach. Aber die Beispiele der Dame sprechen ja sehr viele an und sind wahrscheinlich sehr, sehr leicht zu beantworten.

Alexander Kekulé

Das kann man schon ein bisschen sagen. Also, wenn man aus dem Haus geht, ist es schon mal so, dass man keine Maske braucht auf der Straße. Der Meinung, bin ich ja schon sehr, sehr lange. Inzwischen gibt es tatsächlich Leu- te, die so etwas fordern. Dann ist es so, wenn man als normale Person, die jetzt kein beson- ders hohes Risiko hat, ich sage mal, eine Per- son, die unter 70 Jahre alt ist und keine schwerste Grunderkrankung hat. Da würde ich sagen, kann man bedenkenlos in die Bäckerei, in einen Supermarkt oder Ähnliches gehen mit einem ganz normalen Mund-Nasen-Schutz. Den würde man sich vorher aufsetzen und beim Verlassen wieder absetzen. Wenn man dort vorsichtig sein will und besonders viele

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Sachen angefasst hat, die Griffe von diesen Wägelchen und sonst irgendetwas, dann wür- de ich sagen, kann man mit einer Flasche Des- infektionsmittel, die man vielleicht dabei hat, wenn man rauskommt, sich die Hände kurz desinfizieren. Das ist aber schon fast leicht übertrieben. Aber wenn man es perfekt ma- chen will, kann man das machen.

Jemand, der selber zu einer Risikogruppe ge- hört - also kann ich ja offen sagen. Meine Mut- ter zum Beispiel, die entsprechend älter ist, die hat für den gleichen Zweck eine FFP2-Maske, weil ich finde, da sollte man doch das Risiko gegen Null reduzieren. Und das andere ist, wenn jetzt der Laden richtig voll ist. Das gibt es ja auch mal. Also ich persönlich meide Zeiten, wo solche Geschäfte voll sind. Aber manche können es ja nicht vermeiden. Wenn man da rein muss, dann würde ich sagen, ist es auch für jemanden, der kein besonderes Risiko hat, kein Fehler, eine FFP2-Maske aufzusetzen. Wenn man halt sagt, ich will diese Gefährdung möglichst weitgehend ausschließen.

Das Gleiche gilt für Straßenbahnen, Busse und so weiter. Wenn die weitgehend leer sind, reicht sicherlich ein normaler Mund-Nasen- Schutz in der Zeit, wo man drinnen ist. Ob das jetzt ein OP-Schutz ist oder so eine selbstge- machte. Wichtig ist, dass die einfach zu ist, dass die Nase mit drinnen ist. Das funktioniert. Da würde ich auch wieder sagen, Risikoperso- nen lieber eine FFP2-Maske aufsetzen. Zum normalen Alltag gehört natürlich das Fliegen nicht unbedingt dazu. Und auch das Fahren mit der Bahn über lange Strecken nicht. Aber ich sage es trotzdem an der Stelle: ich bin der Meinung, wenn jemand mehrere Stunden in einem geschlossenen Raum mit vielen anderen Leuten sitzt - sei es im Zug oder sei es im Flug- zeug - der sollte sich definitiv in der jetzigen Lage eine FFP2-Maske aufsetzen. Das würde ich tatsächlich sagen. Das gilt für alle, nicht nur für Risikopersonen. Wir haben jetzt so einen Infektionsdruck durch die hohen Fallzahlen, dass ich meine, dass das Risiko damit doch richtig angegangen wird. Und vielmehr ist es nicht. War sonst noch etwas?

Camillo Schumann

Und reicht es, wenn ich morgens aus dem Haus gehe und mir eine FFP2-Maske oder ei- nen Mund-Nasen-Schutz in die Gesäßtasche stecke? Oder soll ich zwei mitnehmen?

Alexander Kekulé

Nein, eine reicht auf jeden Fall. Außer Sie ver- lieren die ständig. Das kann man relativ ent- spannt nehmen. Die kann man so lange benut- zen, bis sie irgendwie unappetitlich werden. Meistens merkt man dann schon, wenn das nicht mehr so ist, dass man die gerne aufsetzt. Fussel im Mund und sonst was. Bei den FFP- Masken merkt man, dass sie ihr Leben ausge- haucht haben, wenn sie nicht mehr zu gebrau- chen sind. Dann kann man nicht mehr atmen. Der Luftwiderstand wird im Lauf der Zeit im- mer höher. Und irgendwann geht es dann ein- fach nicht mehr so richtig. Natürlich muss man bei beiden Masken immer darauf achten, dass die vernünftig sitzen. Das ist ja klar. Leider müssen sich FFP-Masken-Träger, wenn sie einen Vollbart haben, rein theoretisch den abrasieren. Ganz hartes, heißes Thema. Schwierig für ältere Herren, die auf ihren Bart stolz sind. Aber so eine Maske ist nicht dicht an der Seite vom Bart. Wer den Bart anbehalten, will, dem würde ich eher raten, dass er die rush hours in den Einkaufsläden doch eher meidet. Dass er danach hingeht.

Camillo Schumann

Style geht vor.

Alexander Kekulé

Ich versteh das vollkommen. Es gibt ja auch religiöse Gründe, den Bart anzulassen. Für manche Menschen, das würde ich sagen. Wenn es wichtig ist, muss man vermeiden, dass man irgendwo gedrängt mit anderen Leu- ten zusammen in einem Raum gestopft wird.

Camillo Schumann

Herr M. aus Ingolstadt hat uns eine Mail ge- schrieben. Er macht sich Gedanken um die Gefährlichkeit der Impfstoffe. Er schreibt: Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, bis jetzt haben Sie in dem Podcast über die Nebenwirkungen einer Impfung entweder gleich nach der Gabe der Impfung oder Stunden bzw. Tage danach gesprochen. Gibt es aber auch schon Neben-

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wirkungen bzw. Impfschäden, die erst Monate bzw. Jahre danach sichtbar bzw. bemerkbar werden? Wenn sich Milliarden Menschen in sehr kurzer Zeit impfen lassen und erst Monate oder Jahre später ein bestimmter Prozentsatz der Geimpften schwere Nebenwirkungen oder Schäden entwickeln. Das wäre doch eine Kata- strophe. Viele Grüße.

Alexander Kekulé

Das Thema Nebenwirkungen im weitesten Sinne bei Impfungen ist natürlich heikel. Das ist klar. Aber da gibt's dicke Bücher darüber. Ich sag mal so ganz kurz: wir unterscheiden da zwischen der Impfreaktion. Das ist das, was passiert durch den Einstich und was zum Teil auch gewollt ist. Dass das Gewebe gereizt wird. Das heißt das Immunsystem kommt in Schwung und arbeitet dann hoffentlich an der Produktion von Antikörpern und Ähnlichem. Diese Impfreaktionen sind eben Schwellung, Schmerzen, Rötungen an der Einstichstelle, vielleicht aber auch zusätzlich allgemeines Unwohlgefühl, Schwächegefühl oder Ähnli- ches. Das ist in dem Sinne keine Nebenwir- kung. Und dann gibt es eben echte Impfschä- den. Das wären so Dinge, wo man was anderes hat. Zum Beispiel Nervenerkrankungen kom- men da manchmal vor, weil bei bestimmten Impfstoffen, aus Gründen, die wir noch nicht so ganz genau verstehen, das Immunsystem anfängt, die eigenen Nerven anzugreifen und solche Dinge. Da ist eigentlich bekannt, dass die relativ zeitnah auftreten. Wir haben ja schon so viele Impfstoffe. Impfung ist ja seit Edward Jenner und der Pockenimpfung aus dem 18. Jahrhundert bekannt. Und seitdem hat man im Grunde genommen verschiedene Impfstoffe immer weiterentwickelt. Man weiß letztlich, nach welcher Zeit Probleme auftre- ten. Solche echten Dauerprobleme. Da kann man sagen, wenn nach einem Jahr nichts kommt, dann war es das. Für diese richtigen Langzeiteffekte, die der Hörer so im Auge hat, gibt es zwei Varianten. Das eine ist, dass die so genannten Verstärkersubstanzen, Adjuvanzien, die dabei sind bei manchen Impfstoffen, dass die Langzeitschäden machen. Da ist zum Bei- spiel Aluminium mit drin und solche Dinge, wo dann immer diskutiert wird: Wie ist das, wenn man das jahrelang im Körper hat und vielleicht auch von vielen Impfungen? Da gibt es viele

Untersuchungen dazu. Aber im Grunde ge- nommen nichts, was so stark gegen die Ad- juvanzien sprechen würde, dass man sagt, man soll das nicht mehr machen. Das andere sind indirekte Effekte. Wir wissen natürlich nicht, wenn wir heute zum Beispiel gegen Covid-19 impfen, ob nicht in fünf Jahren vielleicht ein ähnliches Virus kommt, rein theoretisch. Wo die Antikörper, die wir bei der Impfung entwi- ckelt haben, bei der Zweitinfektion mit diesem anderen Virus vielleicht schädlich sind. Das gibt es durchaus. Das nennt man Immunverstär- kung, immun enhancement. Dass manchmal Antikörper, die schon da sind, für so ein ähnli- ches Virus gar nicht so günstig sind. Aber das ist sehr, sehr spekulativ. Und da wir ja hier gerade eine Pandemie haben, die wir bekämp- fen müssen und wirklich ein gefährliches Virus vor uns haben. Da sollte man, glaube ich, nicht bei der heutigen Impfung so rein hypotheti- sche Risiken bei späteren Viren mit berücksich- tigen. Das wäre das Einzige, was man sich noch so als Langzeiteffekt vorstellen könnte.

Camillo Schumann

Und damit sind wir wieder am Ende, diesmal von Ausgabe 112. Die treuen Hörer und Höre- rinnen dieses Podcasts wissen, es gab mal eine Zeit lang die positive Nachricht zum Schluss. Die ist uns dann aber ein bisschen abhanden gekommen.

Alexander Kekulé

Doch, ich habe positive Nachrichten. Aber um ganz ehrlich zu sein, die sind im privaten Be- reich, dass ich immer denke, die will keiner hören.

Camillo Schumann

Das stimmt. Nun wollen wir an dieser Stelle immer einmal pro Woche ein Corona- Fundstück präsentieren. Wir haben jetzt noch keinen richtigen Namen für diese Rubrik. Viel- leicht haben Sie, liebe Hörer und Hörerinnen, eine Idee. Schreiben Sie uns. Es soll um Mel- dungen rund um Corona gehen, bei denen man sich, ich sag mal, verwundert die Augen reibt. Habe ich das so gut zusammengefasst?

Alexander Kekulé

Ja, bestimmt, sehr gut. Oder wo man sich den Kopf kratzt.

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Camillo Schumann

Genau. Der Anlass dieses Mal ist die Verwal- tung in Berlin. Seit Samstag gilt in zehn Berliner Einkaufsstraßen Maskenpflicht. So weit, so möglicherweise sinnvoll. In der Bergmannstra- ße gilt die Maskenpflicht aber auch für Radfah- rer. Und diese Maskenpflicht für Radfahrer wurde am Samstag von der Polizei auch kon- trolliert. Da gab es auch ein Video, das im Netz viral gegangen ist. Wer keine Maske trug, der wurde angehalten und gebeten, sich eine auf- zusetzen. Herr Kekulé, warum ist das Ihr Corona-Fundstück der Woche?

Alexander Kekulé

Das ist natürlich völlig absurd. Ich habe mir das Video angesehen. Das waren vereinzelte Fahr- radfahrer, die wirklich allein auf der Straße waren. Da gab es sonst vielleicht noch ein paar Autos. Und die Wahrscheinlichkeit, sich da während der Fahrt anzustecken, ist so derma- ßen null. Ich würde sogar sagen, wenn man von so einem Polizisten zum Anhalten genötigt wird. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir vielleicht bei der Interaktion mit dem Polizisten doch was abkriegen. Aber sonst ist diese Maß- nahme aus folgendem Grund massiv, Spaß beiseite, kontraproduktiv. Die Menschen ver- stehen alle. Das sieht man den Gesichtern der angehaltenen Radfahrer interessanterweise an. Die verstehen alle, dass das jetzt totaler Unsinn ist. Und die denken sich: Jetzt sind die völlig durchgeknallt. Und die setzen trotzdem die Maske auf, weil sie natürlich sich nicht mit der Staatsgewalt anlegen wollen. So macht sich der Staat, der das Gewaltmonopol bei uns hat, unglaubwürdig. Das ist, wenn man das päda- gogisch sieht, das Schlimmste, was man ma- chen kann. Auf die Weise sozusagen das Ver- trauen der Bürger zu verlieren. Zumal es ja eine Zwangsmaßnahme ist. Also ich glaube, da ist dem einen oder anderen schon das Messer in der Tasche aufgegangen. Das halte ich für ganz, ganz schlecht. Wir müssen jetzt aufpas- sen, dass wir das Vertrauen der Bürger in den Staat, an dieser Stelle nicht durch sinnlose Maßnahmen verspielen.

Camillo Schumann

Wenn Sie auch ein Corona-Fundstück haben. Oder wenn Sie eine viel bessere Idee haben,

wie man diese Rubrik nennen kann, dann schreiben Sie uns. Die E-Mail Adresse gibt es gleich. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Sehr gerne. Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns kostenlos an unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast

- auf MDR-Aktuell.de, - in der ARD Audiothek, - bei YouTube - und überall wo es Podcasts gibt.

Wer das eine oder andere Thema noch einmal vertiefen möchte: Alle wichtigen Links zur Sen- dung und alle Folgen zum Nachlesen unter jeder Folge auf MDR-Aktuell.de.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 22. September 2020

#111: Kekulés Corona-Kompass

Camillo Schumann, Moderator Stefanie Markert, Moderatorin MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Stefanie Markert:

Er ist einer der erfolgreichsten Podcast Deutschlands: Kekulés Corona-Kompass von MDR Aktuell mit Professor Alexander Kekulé. Ohne Unterbrechung seit dem 16. März 2020 informiert der Virologe und Epidemiologe mehrmals in der Woche gemeinsam mit mei- nem Kollegen Camillo Schumann über die neu- esten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und er beantwortet Ihre Fragen.

Nun macht Kekulés Corona-Kompass eine Pau- se.

Frage an Camillo Schumann: Warum eigent- lich?

Camillo Schumann:

Sie haben den Grund eigentlich schon genannt: Seit dem 16. März haben wir ohne Unterbre- chung in 110 Folgen alle Entwicklungen rund um das Coronavirus begleitet, eingeordnet, haben unzählige Studien gelesen, sie bewertet und Hörerfragen beantwortet. Das ist eine schöne, aufregende Arbeit, die auch ein biss- chen kräftezehrend ist. Das muss ich zugeben. Wir hatten dann überlegt, ob wir durchziehen, haben uns dann aber gesagt, wir legen lieber eine kurze Pause ein, um dann im Herbst mit neuen Kräften und vielleicht auch mit einem neuen Blick auf die Corona-Situation bei uns und in der Welt zu schauen. Denn wir müssen davon ausgehen, dass die Zahlen weiter stei- gen. Wir werden aber mit der Situation anders umgehen müssen, aber auch können, als noch am Anfang des Jahres.

Stefanie Markert:

Ich habe es eingangs gesagt, dass „Kekulés Corona-Kompass“ zu den erfolgreichsten Po-

dcasts in Deutschland gehört. Haben Sie ein paar Zahlen für uns?

Camillo Schumann:

Alle 110 Folgen wurden auf www.mdr.de in der ARD-Audiothek, bei Apple-Podcasts etc. fast 18 Millionen Mal abgerufen. Dazu kom- men 850.000 Streams bei Spotify, rund 5 Milli- onen Abrufe bei YouTube. An dieser Stelle muss man wirklich mal ein ganz großes Danke- schön an alle Hörer dieses Podcasts ausspre- chen, egal ob in Deutschland, in den USA, in China, in Mexiko oder in Schweden. Wir haben weltweit Hörer, die uns regelmäßig schreiben, und ganz, ganz viele, die seit Folge 1 dabei sind. Also noch mal vielen Dank.

Stefanie Markert:

Was machen diese Hörer und Hörerinnen nun, wenn sie eine Frage haben?

Camillo Schumann:

Dann können sie uns weiterhin sehr gerne schreiben oder anrufen. Natürlich mit dem Wissen, dass wir die Fragenden erst ein biss- chen später beantworten können. Oder – kleiner Tipp – hören Sie doch einfach zum Bei- spiel in alle Spezialausgaben rein. Das sind Sondersendungen, in denen nur Fragen der Hörer beantwortet wurden. Zum Beispiel wur- den Fragen geklärt wie: Wann sind die Corona- viren eigentlich auf den Menschen überge- sprungen? Wie war das noch mal mit der Inku- bationszeit, 3 oder 5 Tage? Sind Neuinfizierte möglicherweise nur falsch Positive? Welche Nebenwirkungen könnte es bei einem mögli- chen Impfstoff geben? Alle Spezialausgaben überall da, wo es Podcasts gibt.

Stefanie Markert:

Da bleibt die große Frage: Wie lange dauert denn die Pause?

Camillo Schumann:

Das ist ganz einfach zu merken: Die Pause geht bis zum Ende der Sommerzeit. Konkret werden die Uhren am 25. Oktober umgestellt. Wir werden dann am Dienstag darauf, am 27. Ok- tober, wieder starten. Also wenn die Winter- zeit beginnt, dann gibt es „Kekulés Corona- Kompass“ auch wieder.

Stefanie Markert:

Vielen Dank an Camillo Schumann. Er ist der Moderator von „Kekulés Corona-Kompass“. Der Podcast macht also Pause bis zum 27. Ok- tober.

Ihre Fragen können Sie aber weiterhin gerne stellen, und zwar schriftlich unter mdraktuell- podcast@mdr.de. Oder rufen Sie an unter 0800 30022 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 19.09.2020 #110: Hörerfragen SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Sind Genesene wirklich wieder gesund?  Stimmt es, dass der Mensch grundsätzlich

voller Viren ist?  SolltemaninbestimmtenSituationen

zwei Masken übereinander tragen?

Damit herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL. Die Fragen, die kommen von Ihnen und die Ant- worten von Virologen und Epidemiologen Pro- fessor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen. Sie macht sich Gedanken um Patienten, die wegen Covid-19 auf der Intensivstation gelandet sind und de- nen es nach der Behandlung noch nicht gut geht.

„Geht es den Patienten aufgrund der Nachwir- kungen von Covid-19 so schlecht, oder weil er sich zusätzlich noch einen Krankenhauskeim geholt hat? Und wie kann man das überhaupt testen? Und ist es sinnvoll, überhaupt zu testen und zu differenzieren, warum es einen Patien- ten schlecht geht?“

Nachwirkung oder Krankenhauskeim?

Alexander Kekulé

Also ich würde davon ausgehen, dass in jedem halbwegs vernünftigen Krankenhaus die Ärzte merken, wenn ein Krankenhauskeim den Pati- enten befallen hat und ihn nicht einfach nach Hause lassen, ohne den zu therapieren. Das heißt, ich würde fast ausschließen, dass in ei- nem deutschen Krankenhaus jemand einfach so entlassen wird und dann hinterher wirklich schwer krank wird, weil der Krankenhauskeim nicht bemerkt wurde. Das wäre eine extreme Ausnahme.

01:30

Camillo Schumann

Frau R. aus Chemnitz hat uns eine ziemlich lange Mail geschrieben. Die lese ich jetzt mal vor. Ihre Geschichte ist wirklich sehr, sehr inte- ressant. Sie schreibt:

„Ende Januar 2020 erkrankte ich für meine Verhältnisse recht heftig. Viele Personen in meinem Umkreis ebenfalls. Einige wurden auf Influenza getestet, aber niemand war Influenza positiv. Auch insgesamt war der Krankenstand zu dieser Zeit in Chemnitz ziemlich hoch. Da- mals dachte noch niemand an Corona. Den ersten offiziellen Fall gab es in Sachsen wohl erst im März. Ich wurde und werde von vielen belächelt, weil ich der Überzeugung bin, dass es damals bereits Covid-19-Symptome waren. Am 15. Juni ließ sich in einem Labor einen IgG- Antikörpertest machen. Der war positiv. Drei weitere Personen im unmittelbaren Umfeld ließen sich ebenfalls testen. Deren Ergebnisse waren allerdings alle negativ. So stand es je- denfalls im Befund, obwohl der Wert nicht gleich Null war. Bei meinem Test wurde auch irgendwie noch weiter getestet. Was genau kann ich leider nicht sagen. Mein Wert 1,5 po- sitiv. Die anderen Werte: 0,8; 0,5; 0,3 negativ. Kann das denn sein? Entweder man hat Anti- körper oder nicht. Oder sehe ich das falsch?“

02:39

Alexander Kekulé

Also dazu muss man zwei Sachen sagen. Erstens ist es so, dass tatsächlich bei diesen Tests es immer so einen cut-off gibt, wie wir das nennen. Also es gibt einen Grenzwert, über dem wird der Test als positiv dann ausgewer- tet. Das machen die Hersteller so, dass sie ganz viele positive und ganz viele negative Patien-

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tenproben nehmen und dann noch ein paar, die so an der Grenze sind. Und dann schaut man einfach ab welcher Schwelle typischer- weise die positiven sicher erkannt werden. Es kann durchaus sein, dass jemand unter diese Grenze gerutscht ist, wenn er vor einigen Mo- naten – in dem Fall ist es wohl fünf Monate her ungefähr – wenn das schon einige Monate her ist, dass er diese Covid-19-Infektion hatte. Also ich würde aufgrund dieses Ergebnisses nicht ausschließen, dass die anderen auch Covid-19 damals hatten. Und wir wissen ja inzwischen, dass es einzelne Fälle, einzelne Eintragungen nach Europa durchaus schon Ende Januar gab.

03:36

Camillo Schumann

Und die Frau R. aus Chemnitz schreibt weiter:

„Man wundert sich, dass es im Osten so wenige Fälle gibt. Aber wenn man nicht richtig zählt, beziehungsweise die Möglichkeit nicht in Erwä- gung zieht, dass Corona schon viel, viel eher seine „Opfer“ fordert, ist das auch kein Wun- der. Das wäre dann so ein bisschen deckungs- gleich, nicht?“

Alexander Kekulé

Ja, das geht in die Richtung. Auf der anderen Seite muss man immer überlegen, was ist denn epidemiologisch relevant. Also epidemiolo- gisch relevant ist, wenn man einen Ausbruch hat – viele Fälle. Ein Fall oder zwei oder wie in diesem Fall, wo sich ein paar Freunde gegen- seitig angesteckt haben. Keiner ist auf die In- tensivstation gekommen. Die Infektionskette hat sich selbst sozusagen totgelaufen. Das ist eine Situation, wo man jetzt epidemiologisch eigentlich keine kalten Füße bekommen muss. Ich bin sicher, dass so was ganz oft in Europa passiert ist. Da waren sich einzelne Reisende aus China am Anfang, aus Wuhan, irgendwel- che Geschäftsreisenden, die haben vielleicht ein, zwei Leute infiziert. Und es ist da noch ein, zwei Generationen vielleicht weitergelaufen und war wieder vorbei. Bevor es diesen Initial- zündungs-Effekt in Norditalien gab, war das eben ein Problem, was epidemiologisch nicht besonders relevant war. Das hätte man natür- lich auch in den Griff bekommen können, da- mals. Ich kenne viele solche Beispiele von Leu- ten, die auch beim Skifahren waren, in Italien

oder in Österreich, und dann so ganz merk- würdige Krankheiten mitgebracht haben.

05:00

Camillo Schumann

Herr B. aus Kassel hat geschrieben:

„Meine Frage dreht sich um das eher selten betrachtende Thema Genesene, deren Zahl vom Robert Koch-Institut nur geschätzt wird (wie eigentlich?); Infizierte von vor 14 Tagen, die seither nicht hospitalisiert wurden oder gestorben sind. Und ist angesichts der immer häufiger berichteten und längst nicht vollkom- men klaren Langzeitfolgen der Begriff genesen da nicht etwas irreführend? Wäre nicht mehr infektiös wissenschaftlich korrekter? Viele Grü- ße, Herr B. aus Kassel.“

Alexander Kekulé

Also, das ist richtig. Also, die Überlegungen sind alle richtig. Ist es so? Das Robert Koch- Institut macht einfach eine Subtraktion. Die schauen sich an, nach einer gewissen Zeit, wer ist sozusagen nicht gestorben, und der gilt dann als genesen. Wie viele Menschen dort Langzeiteffekte haben oder vielleicht immer noch krank sind – es gibt ja durchaus auch Krankheit ohne Virusausscheidung – das ist etwas, was da überhaupt nicht erfasst wird. Epidemiologisch ist es wichtig, dass man diese sogenannten Genesenen erfasst und unter- scheidet von denen, die infektiös sind, weil man daraus schätzen kann, wie der weitere Krankheitsverlauf ist. Wenn man insbesondere eine Vorhersage machen möchte, wie diese Kurve sich weiter verhält, ob es weiter nach oben oder nach unten geht, dann muss man eigentlich immer die Zahl der im Moment in- fektiösen Personen in der Population schätzen. Und dafür brauchen die quasi diesen Abzug der Genesenen. Das ist der einzige Grund, warum das gemacht wird. Das hat nichts damit zu tun, dass die Leute jetzt wieder echt gesund werden oder nicht.

06:32

Camillo Schumann

Herbert B. hat gemailt:

„Um mich mit Corona zu infizieren, bedarf es einer mehr oder minder bestimmten Menge an Viren, sei es über Aerosole beziehungsweise

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größere Tröpfchen. Wenn ich jedoch mir nur eine sehr geringe Anzahl an Coronaviren im Alltag einfange, welche unter der infektiösen Dosis bleibt, dann werde ich nicht erkranken. Aber mein Immunsystem baut doch dann be- reits eine gewisse Immunität gegen das Virus auf. Und ich bin dann in Zukunft beim nächsten Viruskontakt geschützt? Das ist jetzt die Frage. Viele Grüße, Herr B..“

Er hat unseren vorletzten Podcast vom Diens- tag nicht gehört, da haben wir es schon mal vertieft, aber gerne noch mal die Antwort.

Alexander Kekulé

Ja, es ist tatsächlich so, dass es die Theorie gibt, dass eine kleine Dosis von Virus immuni- sierend wirken könnte. Man muss nur sagen, aus aktuellem Stand ist natürlich die Frage, was man früher immer so infektiöse Dosis ge- nannt hat? Das ist im Grunde genommen ein Konzept, was heutzutage nicht mehr so funkti- oniert. Weil, klar, man kann ganz wenig Viren nehmen, die funktionieren dann vielleicht nicht. Die führen nicht zu einer Infektion, vor allem, weil Viren die Eigenschaft haben, dass sie oft kaputt sind; die sind mutiert. Da sind ganz viele Partikel so, dass die eigentlich von vornherein nicht ansteckend sein können. Und deshalb braucht man eine gewisse Menge, damit eben die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass einer davon wenigstens funktioniert, also eine Infektion in Gang bringen kann. Und dann ist aber die Immunantwort ja durchaus mehr- stufig. Also die allererste Stufe ist einfach, dass die Haut, auch die Schleimhaut, eine mechani- sche Barriere bildet. Da kommt das Virus nicht unbedingt rein, erstmal. Und wenn es irgend- wo reinkommt, dann gibt es Substanzen, die schon in der Oberfläche drinnen sind, im Spei- chel zum Beispiel, die solche Viren inaktivieren oder zersetzen können. Die gehören dann zum Beispiel zum Komplementsystem des Organis- mus dazu. Wenn die aktiv werden, sofort, dann baut sich eigentlich in dem Sinn gar keine Im- munität auf. Das Gleiche gilt, wenn so ein Virus auf der Schleimhaut sofort aus Versehen ei- nem Antikörper in die Arme läuft. Da gibt es Antikörper, die noch da sind von anderen In- fektionen, vielleicht andere Coronavirus- Infektionen, die da auf der Schleimhaut sind. Das sind die sogenannten IgA-Antikörper. Und

wenn so ein Virus von dem gleich weggefan- gen wird, passiert auch immunologisch nichts. Sodass man jetzt sagen muss, nur wenn die es wirklich zu einer Infektion von einzelnen Zellen in der Schleimhaut kommt, also das Virus sich dann ein bisschen lokal vermehrt, nur dann springt die richtige Immunantwort an, und nur dann kommt es zu dieser Immunisierung. Oder andersherum gesagt: Nicht jeder Kontakt mit dem Virus, auch wenn er harmlos verlaufen ist, führt zur Immunität hinterher.

Camillo Schumann

Deswegen wäre so ein, was er dann auch noch fragt, so ein Antikörpertest, jetzt auch wenig aussagekräftig?

Alexander Kekulé

Also der Antikörpertest würde dann positiv werden, wenn er wirklich eine kleine Infektion hatte, die so war das zumindest in der Schleimhaut an der Stelle, wo das Virus zum ersten Mal eingetroffen ist, es zu einer Ver- mehrung des Virus gekommen ist. Und dann springt in mehreren Stufen eben die Immunan- twort an. Und als Reaktion werden dann Anti- körper gebildet, die man zumindest eine Zeit- lang, ich sag mal mindestens zwei Monate lang oder so, im Blut nachweisen kann.

09:40

Camillo Schumann

Frau S. hat gemailt. Sie beschäftigt eine Frage seit der Demo am 29. August in Berlin. Sie schreibt:

„Da wurden am Rande der Demo Menschen interviewt, und eine Dame hat so ähnlich ge- antwortet: Ach, was soll das mit dem Virus? Ist doch alles nicht so schlimm. Unser ganzer Kör- per ist voll mit Viren.

Nun weiß ich, dass unser Körper mit Bakterien besiedelt ist und wir die auch brauchen. Aber es ist tatsächlich so, dass wir voll Viren sind. Vie- len Dank für die Antwort. Bleiben Sie gesund, Frau S.“

Alexander Kekulé

Also bei den Bakterien ist es wirklich so. Wir haben also Kiloweise Bakterien dabei, sowohl im damals auch auf der Haut leben die. Und wir brauchen die, das ist richtig. Und massen-

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mäßig sind die Viren natürlich damit überhaupt nicht zu vergleichen, weil die ja viel, viel kleiner sind. Zahlenmäßig ist es sicherlich so, dass wir eine ganze Menge von Viren im Körper haben – vor allem deshalb, weil wir die genetische Information von Viren in unserem Genom ha- ben, also in unserer Erbinformation. In der Zelle ist die genetische Information von Viren noch enthalten, die unsere Vorfahren vor Tau- senden, Zehntausenden und Millionen von Jahren infiziert haben. Das heißt, ein Großteil unseres Genoms, der menschlichen Erbinfor- mation, ist so eine Art Müll, der übrig geblie- ben ist von alten Virusinfekten. So gesehen stimmt es, dass wir auch ständig Virusreste in uns rumschleppen. Wir wissen auch – das ist so ein Konzept, was eigentlich gar nicht so alt ist – dass viele Virusinfektionen in dem Sinn gar nicht ausheilen. Man hat eine Weile ge- dacht, es sei so, dass man so ein Virus hat, so wie Masern oder so Kinderkrankheit. Und dann ist es vorbei. Das Virus ist weg, die Krankheit ist weg. Natürlich hat das Immunsystem das Virus besiegt, hat man gedacht, und das Virus ist verschwunden. Bis man solche Methoden hat- te, die so superempfindlich sind, wie eben diese PCR, dass die einzelne Viruspartikel oder sogar Teile davon nachweisen können. Da ist es eben so, dass man gefunden hat: Hoppla, bei Menschen, die, die vor Jahrzehnten Ma- sern hatten, ist das Virus immer noch in man- chen Fällen vorhanden. Oder bei jemand, der eine Leberentzündung (Hepatitis) hatte, sind die Hepatitis-Viren noch in der Leber, obwohl der längst wieder gesund ist. Und deshalb glauben wir inzwischen, dass bei vielen Virusin- fektionen eigentlich das Virus nur verschwun- den ist. Dass es sich irgendwo versteckt im Körper und es wird vom Immunsystem in Schach gehalten und kann deshalb nicht mehr raus. Sodass es eine Art Balance gibt zwischen dem Virus, was da eingesperrt ist, und den Wachhunden, die draußen aufpassen, dass es nicht zu einem erneuten Ausbruch kommt. Das ist bei viel mehr Virusinfektionen der Fall, als wir früher gedacht haben. Das heißt vielleicht schleppen wir die einen oder anderen Viren, die zum Beispiel bei einer Impfung im Kindesal- ter uns beigebracht wurden, nach wie vor ir- gendwo mit und rum.

12:27

Camillo Schumann

Also mit anderen Worten: Dieses Argument der Körper ist voller Viren, stimmt zum Teil. Und Frau S. wollte jetzt sicherlich wissen, ob dann diese Aussage auch stimmt, „naja, wir sind ja voller Viren“, wie diese Dame da bei dieser Demo in Berlin gesagt hat. „Deswegen ist das mit dem Coronavirus alles nicht so schlimm“. Also kann man diese Rechnung so aufmachen?

Alexander Kekulé

Nein, das sind ja lauter Viren, die sozusagen schon inaktiviert sind. Also die haben wir alle unter Kontrolle. Was man bei einer Neuinfekti- on vom Coronavirus nicht sagen kann. Das ist natürlich ein Riesenunterschied, ob man jetzt die Pfeile betrachtet, die hinter einem schon irgendwo danebengegangen sind oder einen neuen Pfeil, der gerade auf einen zufliegt. Der könnte dann durchaus noch mal treffen.

13:08

Camillo Schumann

Frau S. möchte anonym bleiben. Sie hat ge- schrieben:

„Ich arbeite in einer Zahnarztpraxis in Bayern, die sich aktuell in einem Corona-Hotspot befin- det. Seit ungefähr Mai läuft wieder alles soweit normal mit Lüften, wenig Leuten im Warte- zimmer et cetera. Wir führen auch wieder pro- fessionelle Zahnreinigung durch. Dazu meine Frage: Bei dieser Behandlung wird normaler- weise ein sogenanntes Airflow-Gerät verwen- det. Das ist so ein Pulver-Wasser-Gerät, das sozusagen wie ein Sandstrahler funktioniert. Dabei werden natürlich extreme Aerosole frei- gesetzt, die eigentlich fast bei allen Behandlun- gen bei uns, die mit Wasser führenden Geräten ausgeführt werden, da sind. Reichen da eine FFP2-Maske und Schild oder sollten wir lieber auf eine FFP3-Maske umsteigen? Eine mit Ven- til ist wahrscheinlich nicht so geeignet, weil wir dann damit den Patienten wieder alles ins Ge- sicht pusten. Ich habe auch schon von Bekann- ten gehört, die ebenfalls beim Zahnarzt arbei- ten, dass die auf der FFP3-Maske noch einen normalen, einfachen Mundschutz davor tragen, um die FFP3-Maske zu schützen. Macht das Sinn? Viele Grüße.“

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Alexander Kekulé

Also, erstens, das Airflow-Gerät ist tatsächlich riskant. Das weiß man von anderen Infektions- krankheiten. Da hat es auch bei anderen Virus- krankheiten Ausbrüche in Zahnarztpraxen ge- geben. Darum wissen die Zahnärzte normaler- weise, zumindest in Deutschland, sehr viel über Hygiene und Mikrobiologie Bescheid. Weil man diese Risiken kennt. Der Unterschied zwischen FFP2 und FFP3 ist wirklich minimal. Also da würde ich sagen das Wichtigste ist, dass die dicht sitzt und dass sie vernünftig ge- tragen wird und konsequent getragen wird. Ob das dann eine FFP2 oder FFP3 ist, finde ich persönlich jetzt nicht so wichtig. Klar, wenn man beides in der Schublade hat, würde man wahrscheinlich eher zur FFP3 greifen in so einer Situation, vor allem dann, wenn man vielleicht vermutet, dass der Patient positiv sein könnte. Das ist ja noch die Frage. Ist es sinnvoll, ein Ausatemventil zu haben? Ich per- sönlich finde diese Ausatemventile angenehm, muss ich sagen. Wenn man längere Zeit arbei- tet und körperlich angestrengt arbeitet, dann ist es einfach ein Unterschied, ob man ein Aus- atemventil hat oder nicht – ob man die Ausa- temluft quasi konsequent immer aus der Mas- ke rausblasen muss. Das müssen natürlich die Mitarbeiter der Zahnarztpraxis dann selber entscheiden, wie das bei Ihnen funktioniert. Eine Alternative zu dem, was dort gemacht wird, wäre ja, dass man Masken mit Ventil nimmt, vielleicht sogar FFP3 mit Ventil. Und dass man zusätzlich die Mitarbeiter einmal die Woche testet. Dann ist die Gefahr, dass die Patienten infiziert werden, wirklich extrem gering. Und wenn sich Mitarbeiter in Arztpra- xen hoffentlich dann auch halbwegs vernünftig verhalten. Dann kann man das durchaus ver- antworten, dass die ein Ausatemventil haben.

Camillo Schumann

Aber so einfach einen Mundschutz noch über die FFP3 Maske zu stülpen wäre dann ein biss- chen zu früh zu übervorsichtig?

Alexander Kekulé

Naja, ich habe nicht den Eindruck, dass das sozusagen als weitere Sicherheitsstufe dort gemacht wird. Sondern, es ist ja in der Tat so, dass diese Masken schnell schmutzig werden durch die Aerosole, dieser Nebel aus dem aus

dem Airflow-Gerät, der da manchmal im Raum steht. Ich schätze, das hat mehr den Grund, dass man die FFP2-Maske schützen will und nicht, dass man einen zusätzlichen Schutz ein- ziehen will. Sonst hätte das keinen Sinn. Also, ich kenne ehrlich gesagt nur eine Situation, vielleicht kann ich das an der Stelle sagen, wo es sinnvoll ist, tatsächlich einen Mundschutz über eine FFP2- oder FFP3-Maske drüber zu ziehen. Sie dürfen einmal raten, welche das sein kann.

Camillo Schumann

Keine Ahnung, tut mir leid.

Alexander Kekulé

Da kommen Sie nie drauf. Wenn Sie heutzuta- ge mit dem Flugzeug und haben ein Ausatem- ventil, dann sagt die Stewardess – das ist neu- erdings bei der Lufthansa auch so, aber Ameri- can Airlines hat das, glaube ich, zuerst einge- führt – dann sagt die Stewardess: Ausatemven- til geht bei uns nicht, Sie brauchen einen Mundschutz. Und sie gibt Ihnen einen norma- len Mundschutz in die Hand. Dann müssen Sie Ihre Luxus-Maske ablegen. Und in dieser Situa- tion wäre es möglich, über die Maske mit Aus- atemventil den Mundschutz drüber zu ziehen. Dann ist das Personal glücklich, und Sie haben Ihren erhöhten Schutz, den Sie den Sie auch haben wollen, wenn Sie diesen Podcast regel- mäßig hören.

Camillo Schumann

Und noch eine Zahnarzt-Frage, die kommt von dieser Dame:

„Hallo, ich habe eine Frage. Ich vermeide ja im Herbst jetzt zum Zahnarzt zu gehen, wenn jetzt die Corona-Zahlen wieder so ansteigen. Aber ich weiß, dass mein Zahnarzt drei Wochen im Urlaub ist. Falls ich zum Zahnarzt müssen, wür- den Sie das für unangemessen halten, wenn ich ihn ganz direkt frage, wo er im Urlaub war und ob er sich und die Mitarbeitenden getestet hat? Oder finden Sie, dass das einfach zu weit geht? Das würde ich mich einfach mal interessieren, weil ich von einer Zahnarztpraxis weiß, dass die Mitarbeitenden nicht getestet sind.“

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Tja, wenn jetzt ein Patient zu ihnen kommt, Herr Kekulé, und fragt: Wo waren Sie im Ur- laub?

Alexander Kekulé

Ich würde das immer sagen. Also ich finde, Ärzte sollen mit ihren Patienten ein offenes Verhältnis haben. Und da würde ich jetzt nicht um den heißen Brei reden, sondern einfach fragen. Das kann man ja höflich und geschickt machen. Reden Sie sich auf diesen Podcast raus, sagen sie: „Der Kekulé macht mir so viel Angst vor dem Virus. Jetzt wollte ich doch mal fragen an dieser Stelle“. Das, glaube ich, wird Ihnen kein Arzt übelnehmen.

Camillo Schumann

Eine Dame hat geschrieben, die möchte ano- nym bleiben, hat folgende Frage:

„Ich bin Risikopatientin, NTX 2019, also Nieren- transplantation letztes Jahr. Und ich habe jetzt einen Minijob als Taxi-Begleitung für Kinder- gartenkinder angenommen, sitze dort im voll- besetzten Bulli mit einer FFP3-Maske, lüfte den Bulli immer da, wo es geht. Die gesamte Fahrt- zeit beträgt, wenn das letzte Kind abgeholt wird circa zehn Minuten im vollbesetzten Bus. Kann ich dieses Risiko eingehen? Viele Grüße.“

19:02

Alexander Kekulé

Ja, das würde ich eingehen. Das ist eines der Restrisiken, die man im Leben immer hat. Ich finde in einem geschlossenen Raum mit Kin- dern zusammen, die wahrscheinlich dann kei- ne Maske aufhaben, ist es auf jeden Fall sinn- voll, sich selber zu schützen. Ganz klar und da würde ich Risikopersonen immer empfehlen, eine FFP2- oder FFP3-Maske aufzusetzen. Und wenn die Dame das hier macht, und das auch insbesondere dann richtig sitzt – das ist immer ganz wichtig, dass die Maske dicht ist – dann bestehen da aus meiner Sicht keine Bedenken. Wenn wir anfangen würden, an der Stelle noch Restrisiken sozusagen auch noch zu vermei- den, dann kämen wir den Bereich, wo wir kei- ne Lehrer mehr in die Schule schicken können, wo wir fragen müssen, ob Krankenschwestern einen Beruf haben, der zu gefährlich ist, der nicht mehr zumutbar ist und so weiter und so weiter. Virologen dürften auch nicht mehr

arbeiten. Also es gibt ein gewisses Restrisiko, das hat man einfach im Leben. Und die Wahr- scheinlichkeit, dass man beim Verkehrsunfall ums Leben kommt, ist auch nicht gerade null. Sodass ich sagen würde, irgendwo muss man dann aufhören mit der Risikovermeidung.

20:03

Camillo Schumann

Frau R. aus Wiesbaden hat geschrieben:

„Ich habe in diesem Sommer eine Hyposensibi- lisierung begonnen. Vor und nach jeder Spritze wird bei mir eine Lungenfunktionsprüfung durchgeführt. Dafür muss ich mehrfach tief über ein Mundstück und einen Schlauch an eine Maschine ein- und ausatmen. Das Mundstück wird zwar bei jedem Patienten erneuert, der Schlauch aber nicht. Ich frage mich, ob ich mich über diese Lungenfunktionsprüfung mit Corona anstecken kann. Von jedem Patienten verblei- ben sicherlich Aerosole, Tröpfchen, gegebenen- falls mit Viren im Schlauch beziehungsweise im Gerät. Die Lungenfunktionsprüfungen werden in dieser Praxis wie am Fließband durchgeführt. Wie schätzen Sie dieses Risiko ein? Viele Grü- ße.“

Alexander Kekulé

Darüber haben sich natürlich schon viele Leute Gedanken gemacht, weil das häufig Asthmati- ker sind, die so eine „LuFu“ machen müssen und deshalb sind die Geräte, wenn sie richtig bedient und gewartet werden, sicher. Das ist ganz klar, weil, es gibt ja ganz viele Infektions- krankheiten, die über die Atemwege übertra- gen werden. Stellen Sie sich vor, man holt sich da die Masern oder die Influenza oder Ähnli- ches. Das ist, wenn das richtig vernünftig ge- macht wird, ist das Gerät sicher. Aber ich wür- de der Patientin empfehlen, sich von dem technischen Assistenten oder der technischen Assistentin, die dieses Gerät bedient, einfach mal erklären zu lassen, welche Filter da drin- nen sind und warum man sich dann nicht infi- zieren kann.

Camillo Schumann

Das war das Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL.

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Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag wieder. Bis dahin, bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Sie auch, Herr Schumann. Ihnen ein schönes Wochenende.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie an: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 17.09.2020 #109: Die Schwachstelle bei den Daten

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Donnerstag 17. September 2020.

1. Große Schwankungen der Infiziertenzahlen in Frankreich und Spanien. Woran liegt das? 2. Wie man schwere Krankheitsverläufe vor- hersagen kann?

3. Vitamin D und Covid-19. Gibt es einen Zu- sammenhang? 4. Was passiert, wenn man sich während der Covid-19-Inkubationszeit gegen Grippe impfen lässt?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Mo- derator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenra- dio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Ent- wicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Ale- xander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wir starten mal mit einem Hinweis zur Sen- dung vom Dienstag, den 15. September. Folge 108 war das. Am Anfang der Sendung ging es um die Zahl der Neuinfektionen, unter ande- rem in Frankreich und Spanien. Ich nannte die Zahl der Neuinfizierten innerhalb von 24- Stunden und bezog sich dabei auf Zahlen der Johns Hopkins University, wonach es in Frank- reich, Stand 14. September: 23.000 Neuinfek- tionen und in Spanien rund 27.000 Neuinfekti-

onen gegeben hätte. Die Zahlen, die waren sehr hoch – möglicherweise „zu hoch“? Denn schon einen Tag später, am 15. September, wurden dreimal weniger ausgewiesen, sowohl in Frankreich als auch in Spanien. Ja und woran es lag, dass die Zahlen für diese beiden Länder an diesem einen Tag laut Johns Hopkins so hoch angegeben wurden, diesem Phänomen wollen wir uns ein wenig nähern. Herr Kekulé, erst einmal grundsätzlich: Die Johns Hopkins University war und ist jetzt während der Pan- demie eigentlich eine verlässliche Quelle ge- wesen, oder?

01:54

Alexander Kekulé

Ja, das kann man schon sagen; zumindest ver- lässlicher als die meisten lokalen Quellen. Weil die einfach ein neutrales und von, sage ich mal, auch politischen Ambitionen unabhängiges Verfahren haben, ihre Zahlen zu generieren. Man muss ja daran erinnern, dass die bereits am 20. Januar erkannt haben, dass das hier ein Riesenthema und ein Problem ist, was Rich- tung Pandemie geht. Die JHU hat ja seit meh- reren Jahrzehnten Tradition in Pandemiepla- nung gehabt und dadurch sozusagen einen intellektuellen Vorsprung. Und die haben da- mals schon diese Seite aufgesetzt, auf die sich eigentlich die Medien aus der ganzen Welt jetzt beziehen. Das ist interessant für mich, weil nicht nur bei uns, sondern überall auf der Welt die Leute offensichtlich einer Universität in den USA mehr Vertrauen schenken als ihren eigenen Behörden.

Camillo Schumann

Ganz kurz die Arbeitsweise der Johns Hopkins, damit das ein bisschen deutlich wird: Die Johns Hopkins University in den USA hat keine offizi- ellen Stellen, auf deren Meldung sie täglich warten müsste. Die Forscher die suchen selb- ständig im Internet nach öffentlich zugängli- chen Quellen und schöpfen dann dort die neu- esten Zahlen ab. Das sind Internetseiten von Behörden, aber auch Twitter-Accounts von Behörden und auch Organisation. Aber eben auch Zahlen, die eine Internet-Community von Medizinern in China ermittelt oder auch Be- richte lokaler Medien. Deshalb sind die Johns-Hopkins-Zahlen in der Regel den Zahlen der Gesundheitsbehörden ein wenig voraus.

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Denn, und Sie haben es schon angesprochen, die offizielle Datenübermittlung war und ist ja ein großes Problem. Oder?

03:26

Alexander Kekulé

Naja, da muss man genau hinsehen. Es gibt in Deutschland zum Beispiel einige Gesundheits- behörden, bei denen geht es fast in Echtzeit nach Berlin. Und es gibt eben andere, die bis heute – so hört man zumindest, man will es kaum glauben – noch Telefax-Geräte verwen- den. Und wir haben ja doch diesen deutlichen Wochenend-Effekt, den man jede Woche wie- der sieht, dass ab Freitagnachmittag eigentlich kaum noch was übermittelt wird. Das ist immer dann in Ordnung, wenn man, sage ich mal, Entscheidungen treffen muss, die langfristig sind. Und das ist ja meistens auch der Fall, wenn es um die Frage geht, wann fangen wir zum Beispiel an mit der Grippe-Impfung oder Ähnliches? Dann ist es nicht so wichtig, ob jetzt die Zahl der Grippe-Infektionen an diesem Montag am nächsten Tag ansteigt. Aber bei dieser Pandemie müssen wir häufig sehr, sehr kurzfristig entscheiden und vor allem Trends sehr früh erkennen, ob es rauf oder runter geht. Und da hätte ich mir schon gewünscht, dass sich das im Laufe der letzten Monate et- was verbessert hätte.

Camillo Schumann

Und dass die Datenübermittlung offenbar ein riesiges Problem ist, zeigt das Beispiel Spanien. Nach Schätzung der Johns Hopkins gab es, Stand Mittwoch, 16. September, rund 11.000 Neuinfektionen. Und schaut man sich die offi- ziellen Behördenzahlen an, stehen dort nur rund 4.700 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden. Und über den Zahlen steht der Hin- weis:

„Die Unstimmigkeiten, die in Bezug auf die Daten aller gemeldeten Fälle auftreten können, sind das Ergebnis ihrer Validierung durch die Autonomen Gemeinden und des Übergangs zur neuen Überwachungsstrategie. Seit Mai müs- sen alle Autonomen Gemeinden bestätigte Fälle einzeln uns täglich melden.“ Mein Kollege im ARD-Studio in Madrid er sagte mir auch das nicht immer alle Gemeinden melden. Also es gibt welche, die überhaupt keine Zahlen über- mitteln. Und wenn sie das tun, kann das ziem-

lich fehlerbehaftet sein. Das wiederum zeigt das Beispiel Mallorca. Die balearische Minis- terpräsidentin hat offiziell eingeräumt, dass die 7-Tage-Inzidenz auf den Balearen deutlich höher liegt, als bisher kommuniziert. Sie liege jetzt bei 120-170 Infektionen pro 100.000 Ein- wohner, statt nur 40, wie bisher angegeben, also rund viermal so hoch. Als Grund wurde ein Informatikfehler genannt. Für mich hört sich das nach absolutem Chaos an.

05:39

Alexander Kekulé

Ja, das ist, glaube ich, ein Grundproblem bei der ganzen Pandemie, dass wir bei den Daten insgesamt nach wie vor eine Schwachstelle haben. Das ist interessanterweise auch in den Vereinigten Staaten so, dort ein ganz großes Problem und auch dort erkannt – dass man einfach auch gar nicht weiß, welche Personen genau betroffen sind. Das ist ja fast noch die wichtigere Information. Ich hätte mir schon länger gewünscht, dass sie übergehen könnten von der der Zahl der täglichen Neuinfektionen auf ein Maß, was sich darauf abgestellt, wie viele Initialfälle es gibt, also wie viele der Neu- infektionen keinen bekannten Cluster zuzu- ordnen sind. Ich kann mir eigentlich vorstellen, dass die Kollegen beim Robert Koch-Institut solche Wünsche auch hegen würden, weil das epidemiologisch sehr naheliegend ist. Nur werden die wahrscheinlich mit den Achseln zucken und sagen, wir haben die Daten einfach nicht für so was. Und das glaube ich, das wäre schon für die nächste Pandemie dann etwas, was man hier gelernt hat, dass man die Daten viel präziser und in Echtzeit wirklich übermit- teln muss. Das ist, glaube ich, etwas, wo wir frühzeitig mehr besser hätten, steuern können. Zum Beispiel am Anfang, als es darum ging, ob wir einen kompletten Lockdown brauchen oder nicht. Oder wann wir den Lockdown brauchen und solche Dinge.

07:00

Camillo Schumann

Genau. Noch der kurze Blick nach Frankreich dort gibt es, berichtet unser Korrespondent, teilweise ein Testchaos: Schlangen vor den Teststationen und manche bekommen ihr Testergebnis auch erst nach ungefähr einer Woche. Und dementsprechend groß ist dann

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auch der Meldeverzug. Das könnte auch die enormen Sprünge der Zahl in Frankreich erklä- ren. Beispiel: Am 7. September gab es von offizieller Seite rund 4.200 Neuinfizierte und drei Tage später schon über 10.000. Auch hier ein eklatanter Meldungsverzug. Können wir den offiziellen Zahlen, egal ob Spanien oder Frankreich überhaupt trauen?

0:07:33

Alexander Kekulé

Naja, mit diesen Einschränkungen schon. Wir haben halt nur diese Zahlen. Das ist eben im- mer so ein bisschen Kaffeesatzlesen. Auf der anderen Seite natürlich schon ein Hinweis auf das Geschehen, was da passiert. Ich glaube, man muss sich das andersherum überlegen. Jetzt ist gerade gestern, am Mittwoch von Deutschland aus eine weitere Region Frank- reichs zum Risikogebiet erklärt worden, die Haut de France, im Norden bei Lille die Ge- gend. Ich weiß nicht, wie viele der Verwal- tungsregionen jetzt schon Risikogebiete sind. Wir haben ja die ganze Cote d'Azur, auf jeden Fall Korsika, die Auvergne und nach außen rum ist, ich glaube, Provence Occitanie ist auch Risikogebiet. Das heißt, da wird das jetzt aus Deutschland quasi so gemacht, dann sagt man okay, wenn du in der Auvergne warst, dann ist es ein Risikogebiet. Dann gibt, wenn man zu- rückkommt, fünf Tage abwarten und dann testen. Und wenn man 300 Meter nebenan war, in einer anderen Verwaltungsregion, dann ist es kein Risikogebiet mehr. Und ich glaube, gerade weil die Daten ebenso ungenau sind, und wir das natürlich auch wissen, dass die Daten ungenau sind, ist es ein Fehler, das so nach Regionen scheibchenweise zu machen. Wir wiederholen da letztlich den Fehler, der schon mal mit Norditalien gemacht wurde, als man gesagt hat, die Lombardei ist Risikogebiet und was daran angrenzt nicht. Und dann hat man den Veneto als Risikogebiet erklärt und was daran angrenzt, nicht und so weiter. Und wir erinnern uns, dass dann das Virus natürlich längst schon in Südtirol und in Tirol war – und wahrscheinlich schon in Bayern zu dem Zeit- punkt. Und ich glaube, da muss man eher ei- nen unscharfen Blick auf die Landkarte werfen und sagen, wir haben in Frankreich so viele Risikogebiete in den 13 Verwaltungsregionen, die also auf dem Festland sind, ich weiß nicht

wie viele, aber ein Großteil, auf jeden Fall auch aus französischer Sicht, schon in der Warnstu- fe. Das heißt für mich, wer aus Frankreich zu- rückkommt, wenn man das ernst nimmt, müss- te eigentlich in Quarantäne gehen für fünf Tage. Das wiederum hätte politisch wahnsinni- gen Sprengstoff, weil es ja Pendler gibt an der Grenze. Und deshalb ist natürlich die Region direkt an der deutschen Grenze - jetzt in An- führungszeichen - „kein Risikogebiet“. Sonst gäbe es ein Riesenproblem, den ganzen Pend- lern zu sagen, eure Sonderregelung, die wir für Euch erlassen haben, dass für Euch die ganze Quarantäne nicht gilt, die müssen wir jetzt kippen. Also, ich habe schon deutlich den Ein- druck, gerade wenn man jetzt diese Pendler mit dem Auge hat, dass da politische Faktoren eine Rolle spielen.

10:06

Camillo Schumann

Genau. Sie haben gesagt, dass Frankreich oder bzw., dass Deutschland für mehrere Regionen von Frankreich die Reisewarnung ausgeweitet hat. Gleiches gilt für einige Regionen in Öster- reich, in Ungarn, Kroatien – es wird vor Reisen nach Prag gewarnt. Reisewarnungen gibt es auch für Regionen in den Niederlanden und der Schweiz. Bleiben Sie bei Ihrer Einschät- zung, das Virus in Europa ist außer Kontrolle?

10:30

Alexander Kekulé

Das eine ist die Frage: Wie breitet sich das Virus selbst aus? Also nicht die Sterbefälle, nicht die schweren Erkrankungen, sondern einfach die Verbreitung des Virus. Da glaube ich, dass in vielen Ländern – Deutschland ist da noch nicht dabei – die Chancen, das wieder einzufangen, extrem gering sind. Also für Frankreich sehe ich da für die nächsten Wo- chen und Monate eigentlich keine Chance. Die haben in Frankreich im Moment so viele Aus- bruchsherde, dass die mit der Nachverfolgung de facto nicht mehr nachkommen. Das heißt, wir werden jetzt eine Zunahme der Fälle haben in Europa in vielen Ländern. Die entscheidende Frage ist jetzt: Zieht dann die Zahl der Schwer- kranken und die Zahl der Sterbefälle auch mit an? Das ist noch nicht ganz klar. In Frankreich sieht es nicht so gut aus. Die hatten jetzt in den letzten 24 Stunden 100 weitere Patienten, die

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an die Beatmung mussten. Die sind im Mo- ment bei über 500 beatmeten Patienten in Frankreich. Die haben im Moment 80 Schulen geschlossen, allerdings von über 60.000, die sie insgesamt im Land haben – 2.100 Klassen habe ich gelesen. Das heißt also in Frankreich ist man in einer Situation, wo man eigentlich so eine Art Notprogramm verfolgt. Aber ich glau- be nicht, dass man das Infektionsniveau wieder so drücken können wird, dass man in der Situa- tion kommt, dass die Gesundheitsbehörden quasi durch Nachverfolgung der Fälle die Epi- demie in den Griff bekommen.

11:48

Camillo Schumann

Ganz kurzer Blick nach Deutschland. Stand heute, 17. September: Laut Robert Koch- Institut knapp 2.200 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden und drei weitere Todesfälle. Die Lage auf der Intensivstation – sehr stabil. Die steigende Infektionszahlen der letzten Wochen sorgen bei uns also nicht für eine Zu- nahme der Hospitalisierung und Todesfälle. Das Virus ist offenbar nicht oder noch nicht in die besonders zu schützenden Bereiche, also Altenheime, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtun- gen vorgedrungen. Also wir haben Glück, o- der?

12:18

Alexander Kekulé

Ja, ich würde das noch nicht als Glück bezeich- nen. Das ist der berühmte Mann, der aus dem Hochhaus gefallen ist und bei jedem Stockwerk wo er vorbeifliegt sagt, bis jetzt ist alles gut gegangen. Ich kann nicht wirklich sagen, ob jetzt wir in Deutschland in die Situation kom- men werden, dass das Virus in die Risikoberei- che wieder einbricht, wie es im Frühjahr schon mal war. Im Moment sehen die Berichte des Robert Koch-Instituts so aus, als hätten wir zumindest keine Zunahme von Ausbrüchen in Altersheimen. Und ich hoffe doch sehr, dass die Krankenhäuser inzwischen in einer Situati- on sind, dass wir im Krankenhaus keine Aus- brüche mehr bekommen, obwohl es bis vor kurzem noch Berichte gab. Wenn man sich also da optimistisch bezüglich der Leistungsfähig- keit der Behörden zeigt, dann kann man sagen ja, wir haben eine faire Chance, dass die Fälle steigen in Deutschland, aber die schweren

Erkrankungen und die Todesfälle nicht propor- tional dazu ansteigen werden. Andererseits habe ich natürlich auch gehört, was Herr Lau- terbach kürzlich gesagt hat. Der ist der Mei- nung, dass definitiv die Todesfälle im Herbst jetzt nachziehen werden und dass das wie im Frühjahr eine reine zeitliche Komponente ist, dass das sozusagen verzögert kommen wird. Ich bin nicht ganz so pessimistisch, aber man kann es nicht ausschließen. Es hat keinen Sinn, da sozusagen Kaffeesatzlesen zu machen.

13:36

Camillo Schumann

Was sollte der Gradmesser künftig sein? Die Lage auf der Intensivstation in den Kranken- häusern oder die Zahl der Neuinfektionen?

Alexander Kekulé

Naja, am Anfang war ja immer die Ansage, wenn wir uns da mal erinnern, dass man die Kurve flach machen soll, flatten the curve hieß das ja immer. Ich gebe mal so wieder, was da damals so die politische Linie war. Von einem amerikanischen Manager, der in der Werbe- branche arbeitet, hat man gelesen, so ein Schema, wo es darum ging, die Kurve flach zu machen: flatten the curve. Dieses Schema hat man zum politischen Ziel erhoben und gesagt: Wir machen die Kurve flach, damit die Inten- sivstationen nicht überlastet sind. Das war ja mal ganz am Anfang die Idee. Da war ja sozu- sagen die Ansage 70 Prozent der Bevölkerung werden sich infizieren müssen. Man wusste nicht genau, wie hoch die Sterblichkeit ist. Aber damals ging man noch von ein bis zwei Prozent aus. Und dann hat man gesagt gut, wenn schon so viele Leute sterben oder wenn so viele schwer krank werden, dann wollen wir das über einen längeren Zeitraum verteilen, damit die wenigstens dann optimal behandelt werden können. Und wir nicht, wie in Italien dazu kommen, Triage zu machen, also Leute nicht mehr behandeln zu können. Da sind wir völlig von weg. Da sind wir Lichtjahre von ent- fernt. Das war sicherlich auch nicht die beste Strategie damals. Jetzt ist es so, dass wir ei- gentlich so weit überhaupt nicht kommen wol- len. Wir wollen, da hat Herr Lauterbach voll- kommen recht, nicht abwarten, bis die Kran- kenhäuser wieder voll werden, wie wir es in Südfrankreich im Moment sehen. Sondern wir

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wollen lange, lange vorher schon an dem Profil der Infizierten vorhersagen, wie unser Risiko ist. Sofern wir Menschen haben, die unter 40 sind, in der Regel infiziert sind, die es vielleicht auch ein bisschen haben darauf ankommen lassen, ist es zwar epidemiologisch riskant, weil die andere anstecken, ist es aber bezüglich der Überlastung der Intensivstationen kein Thema. Da werden zwar manche krank – klar, auch nicht so selten, wie man vielleicht glaubt, man- che sterben auch – aber das wird unsere In- tensivstationen nicht überlasten. Die werden dann überlastet, wenn es wieder in die Alten reinbricht und in besondere Risikopopulatio- nen. Menschen über 65, vielleicht 70, sind extrem gefährdet, auch in Deutschland. Und Menschen mit bestimmten Risikofaktoren, also die Blutgerinnungsstörungen zum Beispiel haben, die stark übergewichtig sind. Wenn die Leute, die diese Risikogruppen sind, das wissen und sich vernünftig verhalten, und auch die Kontakte zu den anderen, die möglicherweise weiter Party machen wollen und nicht zu be- lehren sind, wenn sie die Kontakte zu denen nicht unbedingt reduzieren, aber eben sicher gestalten – also mit Mundschutz und Abstand und so weiter – ich glaube, dann können wir tatsächlich eine relativ hohe Infektionszahl in Deutschland verkraften. Weil das dann Infekti- onen von Menschen sind, die normalerweise wenig Symptome haben. Das ist der Schutz der Risikogruppen. Das ist jetzt das ganz Entschei- dende. Und dafür müssen wir wirklich alles aufbieten. Und dazu gehört eben nicht nur, dass man das Personal in solchen Heimen wirk- lich konsequent überwacht und dafür sorgt, dass die keine Infektion einschleppten können. Sondern auch, dass man verhindert, dass so etwas in Familien passiert. Und da ist eben jetzt die Frage wie wird es in den Schulen, in den Kindergärten seien? Die jungen Menschen, wie oft werden die krank werden? Und was passiert, wenn die Kontakt mit den Alten ha- ben?

17:03

Camillo Schumann

Weil sie das Thema Risikogruppen jetzt noch mal angesprochen haben? Ja, wenn man sich so die Volkskrankheiten anschaut, gehört ja jeder in irgendeiner Form zu einer Risikogrup- pe. Sollte man diese Risikogruppen nochmal

ausdifferenzieren und da noch mal Genauigkeit walten lassen?

Alexander Kekulé

Da legen sie den Finger in eine Wunde. Ich diskutiere das mit sehr, sehr qualifizierten Kol- legen. Und es gibt wirklich Leute, die gehören zu den Top-Virologen in den USA. Und die sa- gen genau: Nein, die Risikogruppen sind die Risikogruppen, da nehmen wir keine weitere Differenzierung vor. Wenn Sie das machen, dass sie jeden mit Bluthochdruck und jeden mit Herz-Kreislauf-Erkrankung und mit Über- gewicht und mit Diabetes und die ganze lange Liste nehmen, dann sind sie irgendwie bei 60 Prozent der Bevölkerung, wahrscheinlich in Deutschland und bei 75 Prozent in den USA. Meines Erachtens ist das nicht der richtige Weg. Aber da sind wir eben uns tatsächlich nicht alle einig. Meines Erachtens ist es so, dass wir nur einen ganz kleinen Teil der Men- schen, die solche Diagnosen haben, wirklich als echte Covid-19-Risikopersonen ansehen müs- sen. Und zwar geht es da eben hauptsächlich um chronische Entzündungen. Weil wir wissen, dass chronische Entzündung im Körper eben auch zu diesen Mikrothrombosen-Neigungen führt. Und da geht es eben um Thrombosenei- gung im weitesten Sinne. Und das sind letztlich die zwei wichtigen Gruppen. Und wenn Sie diese Überschriften aufmachen, dann haben Sie mit chronischer Entzündung und Throm- boseneigung auf jeden Fall Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen dabei. Dann ha- ben Sie natürlich Leute, die unter Chemothe- rapie stehen. Dann haben sie stark Überge- wichtige. Aber im Grunde genommen ist es keine so lange Liste. Da kommen sie nicht auf 70 Prozent oder 60 Prozent der Bevölkerung. Sondern ich glaube, das ist dann eine kurze Liste. Das heißt kurz gefasst ist die Antwort auf Ihre Frage: Ja, aus meiner Sicht sollten wir diese Liste deutlich straffen, sonst würde ja praktisch jeder dritte Lehrer einen Grund ha- ben, zuhause zu bleiben. Und dann funktio- niert die Schule nicht mehr. Und bei den Poli- zisten sehe ich, zumindest bei denen die, die die Strafzettel verteilen, auch den einen oder anderen, der jetzt von seinem Gewicht nicht gerade im Optimalbereich ist.

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19:22

Camillo Schumann

Also Risikogruppen differenzieren, weil Sie sagen, da würden dann auch ganz viele rausfal- len. Tut man denen dann nicht auch ein biss- chen Unrecht? Also bisher waren sie eine Risi- kogruppe und haben sich geschützt und hatten Angst. Oder ist das sozusagen Teil einer Strate- gieänderung mit dem Wissen, was man sich jetzt über sechs Monate angeeignet hat?

Alexander Kekulé

Ich war noch nie dafür, dass wir hier übertrie- ben ängstlich sind an der Stelle. Wir haben immer ein Restrisiko. Jemand, der einen hohen Blutdruck hat, der hat ein enorm hohes Risiko, zum Beispiel an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben. Jemand, der viel raucht – COPD ist ja eines der Risiken, also diese Lungenerkran- kung, die bei Rauchern häufig ist – hat ganz viele Risiken, an denen er sterben könnte. Und der nimmt dann zusätzlich ein erhöhtes Risiko für den Fall einer Covid-19-Infektion in Kauf. Wenn er sagt, er möchte das nicht machen und sozusagen an dieser Stelle plötzlich eine große Vernunft walten lässt, die ja vielleicht sonst nicht so hat im Leben, dann ist das ja völlig in Ordnung. Vielleicht ist es für den einen oder anderen tatsächlich der Anstoß zu sagen, jetzt höre ich auf zu rauchen oder jetzt redu- ziere ich mein Übergewicht oder Ähnliches. Das heißt, ich will das niemanden ausreden. Man muss nur sagen, als Gesellschaft insge- samt, ist letztlich die Frage, wie viel Prozent unserer Bevölkerung wollen oder können wir ganz besonders schützen? Und da ist einfach der Unterschied, ob Sie sagen wir schützen alle Ü-70, oder wir gucken auf die riesige Gruppe von Leuten mit zu weichen Kriterien. Da ist der Unterschied in der Effektivität der Schutzmaß- nahme einfach enorm, wenn sie die Ü- 70-Leute, die haben ja statistisch gesehen in Sterbensrisiko, was bei zehn Prozent liegt. Wenn sie die schützen, schlägt das wirklich unmittelbar auf die Todeszahlen durch. Und bei den anderen ist es eben nicht so. Also; es ist mehr ein epidemiologisches Argument. Das heißt nicht, dass der Einzelne, wenn er sagt ich will hier vorsichtig sein, nicht mehr vorsichtig sein soll. Also, das würde ich jedem empfehlen, wenn er Covid-19 vermeiden kann, soll er es

lieber vermeiden. Lieber gesund bleiben als krank werden.

21:34

Camillo Schumann

Definitiv. Und schön wär's ja, wenn man schwere Krankheitsverläufe vorhersagen könn- te. Der Blick in die Glaskugel und genau das kann man ja tun. Wissenschaftler der Yale Uni- versity, also einer der renommiertesten Uni- versitäten der Welt, die haben jetzt ein Verfah- ren entwickelt, wie man quasi von verschiede- nen Komponenten ausrechnen kann, ob je- mand schwer an Covid-19 erkranken wird oder eben nicht. Und bevor wir zum Ergebnis kom- men, ist ja das Verfahren wie das rausgefun- den wurde sehr spannend.

Alexander Kekulé

Ja, die Leute da in Yale, die lieben irgendwie Computer und Statistik und so etwas. Die sind ja auch in der Wirtschaftsmathematik ziemlich gut. Das Verfahren, wie die des rausgefunden haben – ja, also die haben mir gesagt, wir wis- sen nicht, welche Kriterien dem Intensivmedi- ziner oder dem Arzt sagen können, ob jemand später auf der Intensivstation kommt oder nicht. Also haben sie da über 3.000 Covid-19- positive Patienten genommen. Das ist eine große Zahl. Die hatten Sie da mal schnell im Krankenhaus zur Verfügung. Da haben die ge- samten Labordaten von denen durch den Computer laufen lassen und den Computer letztlich die Frage gestellt, in so einem selbst lernenden System: Was erkennst du an diesen Labordaten? Woran kannst du erkennen, dass jemand später auf der Intensivstation landet? Und zwar haben sie die Labordaten vom Auf- nahmetag genommen und dann verglichen damit, wer nach sieben Tagen auf der Intensiv war. Also bei der Aufnahme waren die aber alle gleich krank oder gleich gesund, da war nicht zu erkennen, wer später sich stark ver- schlechtert.

Camillo Schumann

Wie genau funktioniert denn dieses Pro- gramm? Wie ist man denn auf diese vier Werte gekommen?

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Alexander Kekulé

Das ist ein Verfahren, das ist ganz lustig. Das heißt Random Forest, also der „zufällige Wald“. Und dieses Random-Forest-Learning, das ist jetzt total in eben in der Wirtschaftsmathema- tik, insbesondere. Darum habe ich den Ver- dacht, dass die in Yale doch ein bisschen über den Zaun geguckt haben bei ihren Kollegen. Da macht man letztlich Folgendes: Normaler- weise, wenn Sie etwas entscheiden wollen in ihrem Leben, haben sie einen Entscheidungs- baum, würde ein Mathematiker sagen. Zum Beispiel, wenn sich ein Mädchen die Frage stellt: Soll ich heute auf die Party gehen? Dann spielt es eine Rolle, dass morgen keine Schule ist. Und wenn keine Schule ist, geht sie hin, dann ist die Antwort ja. Und wenn Schule ist das vielleicht die Antwort nein. So et was ist eine Entscheidung. Dann kommt als Nächstes in dem Baum der nächste Ast: Ziehe ich jetzt mein hübsches Kleid an? Die Gastgeberin hat auch ein hübsches Kleid an, also ja. Ups, der Papa von der Gastgeberin ist aber auch da, und der ist ziemlich streng und spießig, also lieber doch nicht. So gibt es also Entscheidungsbäu- me, die wir ständig machen, die auf Ja und Nein laufen. Wenn man ganz viele solche Ent- scheidungsbäume zusammenstellen würde, dann wäre das ja ein Wald – rein theoretisch. Was die Mathematiker machen, ist, dass sie quasi so einen ganzen Wald von Entschei- dungsbäumen simulieren im Computer. Jeder einzelne Baum läuft mit einer gewissen Wahr- scheinlichkeit durch. Und das Interessante ist: Wenn man ganz viele Parallelentscheidung laufen lässt, dann gibt es so eine Art Schwar- mintelligenz. Da kann der Computer Tausende, Zehntausende, Millionen zugleich laufen las- sen, dass dann so eine Art Mehrheitsentschei- dung dabei rauskommt, die eine hohe Wahr- scheinlichkeit dafür hat, richtig zu sein. Also so ähnlich, als wenn das Mädchen, bevor es auf die Party geht, alle ihre Freundinnen anrufen würde. Jeder sagt was, und am Schluss macht sie das, was die meisten empfehlen. Dann hat sie eine bessere Entscheidung getroffen, als wenn sie es nur ganz alleine macht. Es gibt diese berühmten Sachen bei der Schwarmin- telligenz. Man lässt hundert Leute schätzen, wie viele Bonbons in einer Glaskugel drinnen sind. Und erstaunlicherweise ist der Wert, den die dann rauskriegen, relativ nah am wahren

Wert, weil sich mathematisch gesehen diejeni- gen, die Fehler machen, die werden immer geschützt durch die Mehrheit, die den Fehler nicht gemacht hat. Also so mit diesem Verfah- ren der Entscheidungsbäume, darum heißt es eben dann eben Random Forest, der zufällige Wald, haben die das gemacht und haben eben angeschaut, welche Faktoren im Blut könnten eine Rolle spielen. Und da haben sich unten diese vier Faktoren herausgemendelt.

25:27

Camillo Schumann

Wenn ich jetzt als Junge zur Party gehe, stellt sich nur eine Frage: Habe ich eine saubere Hose?

Alexander Kekulé

Genau, oder habe ich keine saubere. Aber das ist genau das Gleiche. Habe ich keine saubere Hose, will ich eigentlich nicht hingehen. Wenn Sie Ihre Freunde anrufen und auch alle schmutzige Hosen anhaben, dann können sie vielleicht doch hingehen.

Camillo Schumann

Um nicht die Hörer dieses Podcasts unnötig auf die Folter zu spannen. Was ist das Ergeb- nis? Auf welchen Wert sollte man achten?

Alexander Kekulé

Das ist tatsächlich so, dass das niemand selber mal schnell bestimmen kann. Aber es gibt vier Werte, die eine Rolle spielen dabei. Das eine ist das Resistin. Das zweite ist Interleukin-8. Das dritte ist der G- CSF, das ist der Granulozyten- stimulierende Faktor. Und Lipocalin-2. Das sind vier Blutwerte, sagen wir mal. Und diese vier Blutwerte, da haben die eben gesagt, wenn die im Konzert auftreten, dann ist es ein ganz kla- res Zeichen dafür, dass jemand später inten- sivpflichtig wird als Covid-Patient. Und das Interessante ist, das sind die Parameter, an denen man erkennen kann, dass sich eine be- stimmte Gruppe von weißen Blutzellen akti- viert hat, die sogenannten Neutrophilen Gra- nulozyten. Das ist ein Teil der weißen Blutzel- len. Die meisten von den weißen Blutzellen sind Neutrophile Granulozyten. Und wenn die überaktiviert sind, schon beim Anfang bei der Aufnahme im Krankenhaus, dann ist die Chan-

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ce, dass der Patient später einen schweren Verlauf nimmt, hoch.

Camillo Schumann

Also die Intensivmediziner oder die Kranken- häuser sollten jetzt ganz gezielt auf die weißen Blutkörperchen schauen?

Alexander Kekulé

Ja. Auf die weißen Blutkörperchen hat man schon immer geschaut. Aber jetzt gibt es eben bestimmte Faktoren im Blut, die man messen kann, um zu sehen, ob die ganz frühzeitig schon überaktiviert sind. Das hängt zusammen mit diesem angeborenen Immunsystems. Die- se angeborene Immunantwort ist ja wahr- scheinlich, das wissen wir nicht ganz genau, aber es sieht so aus, als wäre es bei dem Pati- enten, die einen schweren Verlauf nehmen so, dass diese angeborene Immunantwort verspä- tet anspringt und dadurch erst dann anspringt, wenn das Virus sich schon in sehr großer Men- ge repliziert. Dann sind sozusagen diese wei- ßen Blutkörperchen am Anfang nicht tätig ge- worden, nicht alarmiert worden. Und jetzt merken sie: Da ist ja ein Virus, und das ist in irgendwelchen Zellen drin, das müssen wir jetzt ganz schnell plattmachen. Also kommen massenweise diese Neutrophilen Granulozyten eben angeschwärmt und zerstören, in einem Fresswahn sozusagen, alle Zellen, die solche Viren enthalten, und dabei machen sie mehr kaputt, als sie eigentlich sollten. Also die Ba- lance sozusagen zwischen Abwehr des frem- den Organismus und Stabilisierung des eigenen Körpers ist dann gestört, sodass man anfängt, sich selbst kaputt zu machen. Und das ist das, was wir bei diesem Zytokinsturm beobachten. Und der wird eben getragen letztlich von einer Überaktivität dieser weißen Blutzellen, die Neutrophile Granulozyten heißen. Und dazu passt auch das Spektrum, was sie da sehen. Die sehen also ganz früh, dass hier schon sozusa- gen diese Hyperaktivierung sich vorbereitet.

28:27

Camillo Schumann

An dieser Stelle kommen wir zu einem Thema, zudem uns sehr, sehr viel Hörerpost erreicht, aber auch Anrufer. Und dieser Anrufer fast das Thema mit seiner Frage gut zusammen.

„Ich wollte fragen, warum im Zusammenhang mit der Schwere der Krankheitsverläufe so we- nig über Vitamin-D-Mangel-Thema im Winter, bzw. am Ende des Winters, gesprochen wird? Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich am Ende des Winters eine Atemwegserkrankung hatte, dass da sehr geholfen hat, wenn die Sonne dann mal geschrieben hat, dass man dort eine Weile in die Sauna gegangen ist, bzw. wenn das nicht möglich war, einmal ins Solari- um gegangen ist. Dann war es üblicherweise nach einem Tag oder zwei Tagen weg. Auch wenn es eine schwere Infektion war, die schon recht lange, also teilweise zwei Wochen, ange- halten hat.“

Also das Thema Vitamin D ist quasi ein Dauer- brenner. Was kann man so grundsätzlich dazu sagen? Also welche Studien geben welche Hinweise? Ist man sich da auch einig, was die Studienlage angeht? Oder gibt es da er wider- sprüchliche Studien?

29:35

Alexander Kekulé

Also ganz klar ist das nicht, was das Vitamin D bei Covid-19 macht. Aber man kann so allge- mein sagen, Vitamin D, das weiß natürlich je- der, hat was mit dem Knochen zu tun. Es ist sinnvoll, kein Vitamin D-Mangel zu haben, auch für den Kalziumstoffwechsel schon von vorn- herein, also für den Knochenaufbau und - abbau. Es ist zweitens so, dass Menschen, die wenig in der Sonne sind – da hat der Hörer völlig recht gehabt – dass solche Menschen typischerweise Vitamin D-Mangel entwickeln. Wir haben in Industrieländern sogar Kinder mit Vitamin D-Mangel seit neuerdings. Früher war das eine Erkrankung von Erwachsenen und Älteren. Und ist es natürlich so, dass im Alter tendenziell der Vitamin D-Mangel häufiger ist. Deshalb hat der Hörer das völlig richtig ge- macht. Ich habe so durchgehört, dass er kein Teenager mehr war, dass er da in die Sonne geht. Dadurch baut sich das Vitamin D auf. Übrigens leider im Alter nicht mehr so gut wie bei jungen Leuten. Oder man kann eben auch Vitamin-D-Kapseln tatsächlich nehmen, also Vitamin D als Vitamin ergänzen. Es ist auch klar, dass Menschen mit Vitamin-D-Mangel zu Infektionen neigen. Es gibt auch ein paar Stu- dien, die gezeigt haben, dass bei Covid-19 die

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Verläufe wohl schwerer sind, wenn Leute wirk- lich einen Vitamin-D-Mangel hatten. Also das ist relativ klar, also auch nicht überraschend, weil, das Vitamin D wird gebraucht, um das Immunsystem anzuschubsen. Insbesondere dieses angeborene Immunsystem wird davon aktiviert. Der Schritt, wo diese T-Zellen quasi lernen, auf diese auf den neuen Erreger, auf das Virus zu reagieren, an der Stelle gibt es mehrere Schritte, wo das Vitamin D gebraucht wird, um die, um die zu aktivieren. Also alles klar, so weit. Das heißt also Vitamin-D-Mangel sollte man nicht haben.

Die Frage ist jetzt nur bringt es echt etwas, Vitamin D zu supplementieren? Also wenn man keinen Mangel hat, zusätzlich etwas zu nehmen. Und da ist das große Fragezeichen dran.

Camillo Schumann

Also ist das Depot einmal voll, und man packt noch was rein, hat jetzt keinen positiven Effekt. Also, da gibt es sozusagen jetzt auch keine Grundlage für diese Aussage?

Alexander Kekulé

Ja genau, da gibt es keine saubere Studie. Man muss dazu sagen, dass Vitamin D ist, auch wenn man es überdosiert, gesundheitsschäd- lich – sogar verschreibungspflichtig, wenn man hochdosierte Präparate haben will. Es gibt jetzt eine aktuelle Studie, die ich deshalb ganz inte- ressant fand, die ist aus Córdoba in Spanien. Dort haben die eine kleine Gruppe, 76 Perso- nen, sich angeschaut und haben die einfach mal mit Vitamin D pauschal therapiert. Die haben zusätzlich zur normalen Therapie, die sie dort gemacht haben, Vitamin D gegeben. Das ist nicht basiert gewesen auf einer vorhe- rigen Messung eines Mangels oder so, sondern einfach mal blind. In dieser einen Studie ist tatsächlich rausgekommen, dass von 50 Pati- enten, die Vitamin D bekommen haben, ist nur einer schwer krank geworden, musste auf die Intensivstation und keiner gestorben. Und von 26 Patienten, die kein Vitamin D bekommen haben, war es so, dass 13, also die Hälfte auf die Intensivstation mussten und zwei gestor- ben sind. Dieser Effekt ist echt krass, dafür, dass die nur einmal ein halbes Gramm Vita- min D, ein halbes Gramm ist ziemlich viel, aber nur eine Kapsel Vitamin D letztlich bekommen

haben. Das ist ein sehr starker Effekt. Einer aus 50 versus 13 aus 26, das sind ja 25 Prozent. Deshalb bei so ganz extremen Ergebnissen bin ich immer höchst skeptisch, weil, dann wäre ja Vitamin D ein Wundermittel. Und deshalb bin ich da ein bisschen vorsichtig. Die gleichen Autoren haben auch alle Patienten immer mit Hydroxychloroquin behandelt. Das Donald- Trump-Mittel, von dem wir definitiv wissen, dass es nicht funktioniert. Das heißt, offen- sichtlich sind die therapeutisch, jetzt nicht zumindest zu dem Zeitpunkt, wo sie die Studie gemacht haben, nicht auf der Höhe der Zeit gewesen. Man muss das jetzt mal abwarten. Also, wir haben jetzt eine so eine Studie. Die wird natürlich auch viel diskutiert von Leuten, die Vitamine verkaufen wollen, da muss man mal weiter sehen, ob das was bringt. Aber man kann vielleicht zu pauschal sagen: Zu Corona- Zeiten sollte man auf jeden Fall vermeiden, dass man einen Vitamin-D-Mangel hat.

33:50

Camillo Schumann

An dieser Stelle kommen wir zu den Hörerfra- gen, vertiefend. Diese Dame macht sich Sorgen um Covid-19-Patienten, die beatmet werden müssen.

„Wenn ein Patient doch einen schweren Covid- 19-Verlauf hat und doch beatmet werden muss, muss er ja sowieso meistens länger an der Beatmung bleiben. Wie kann man jetzt vermeiden, zum Beispiel als Angehöriger, dass der Patient länger als nötig beatmet wird. Weil man ja oft auch schon gehört hat, dass Kran- kenhäuser aus ihrem ökonomischen Vorteil heraus sowieso Patienten länger an der Beat- mung halten, als es eigentlich nötig wäre. Also Stichwort Fallpauschale, DRGs und so weiter.“

Alexander Kekulé

Also, ich habe das noch nicht gehört. Die Fall- pauschale funktioniert ja so: Der Patient hat Covid-19, dafür gibt's den Betrag XY. Wenn er auf der Intensivstation musste, gibt es noch einmal das und das obendrauf. Ob da jetzt einen Tag länger oder kürzer dort war, macht eben gerade kein Unterschied mehr. Früher wurde da immer so alles schön einzeln abge- rechnet, jeder einzelne Tag und vielleicht jedes Gerät und so weiter. Aber jetzt ist es so, dass

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es eben eine Pauschale gibt, sodass die Kran- kenhäuser eher die Tendenz haben, die Leute so früh wie möglich wieder loszuwerden, weil sie dann den nächsten Patienten haben und für den können sehr wieder neu abrechnen. Bei der Beatmung ist es auch so: Das ist echt mühsam für das Personal. Also, so ein beatme- ter Patient, das ist ja nicht so, dass man da die Maschine einschaltet und dann zum Fernseher rübergeht. Sondern da ist man echt mit be- schäftigt, immer dafür zu sorgen, dass er den richtigen Sauerstoffdruck hat, dass der nicht zu viel oder zu wenig kriegt. Dann ist der Kreislauf zwischendurch gefährdet und so weiter. Und der sagt einem auch nicht, was ihm wehtut, weil er eben nicht sprechen kann. Die sind normalerweise dann in so einem künstlichen Schlaf. Ich war ja früher Notarzt, aber ich ken- ne keinen Intensivmediziner, der freiwillig so einen beatmeten Patienten auch nur einen Tag länger an der Maschine hängt, als es unbedingt nötig ist.

Camillo Schumann

Dieser Hausarzt hat angerufen und eine prakti- sche Frage für seinen Praxisalltag.

„Ab September werden wir wieder umfangreich gegen Grippe impfen. Welches Risiko würde entstehen, wenn eine Grippe-Impfung in die symptomlose Inkubationszeit bei einer Co- vid-19-Infektion fallen würde? Vielen Dank.“

Eine Frage aus dem Praxisalltag eines Hausarz- tes.

Alexander Kekulé

Also ich würde davon ausgehen, dass kein Risi- ko besteht. Es ist so, dass der Grippe-Impfstoff, den wir verwenden, natürlich ein Tot-Impfstoff ist? Der macht ja keine Virusinfektion und ist einer, der wirklich seit Jahrzehnten am besten erprobten Impfstoffe, die wir überhaupt ha- ben, mit den niedrigsten Nebenwirkungen, die wir überhaupt kennen bei Impfstoffen. Und deshalb würde ich sagen, das müsste wirklich mit dem Teufel zugehen, wenn da irgendetwas völlig Unerwartetes passiert bei einer Infektion mit Covid-19. Was man aber ganz sicher sagen kann, ist, dass eine Doppelinfektion von dem echten Influenzavirus mit einem SARS-CoV-2, das wäre auf jeden Fall eine Situation, wo der

Patient in Lebensgefahr kommen kann. Des- halb ist es für diejenigen, die sich impfen las- sen wollen, sinnvoll das zu machen – und zwar möglichst bald.

Camillo Schumann

Und sich vorher testen lassen?

Alexander Kekulé

Nein, das würde ich nicht machen. Ich würde einfach die Impfung machen, bevor der Impf- stoff aus ist. Es könnte sein, dass dieses Jahr mehr Menschen als sonst Interesse an einer Grippe-Impfung haben. Sonst muss man da ja immer große Werbung dafür machen. Alle Jahre wieder klappern das Robert Koch-Institut und die Landesgesundheitsämter für die Grip- pe-Impfung zum Teil mit mäßigem Erfolg. Ich kann mir vorstellen, dass diesmal der Andrang größer sein wird.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 109. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfra- gen Spezial. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell- podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 15. September 2020 #108: Kekulés Corona-Kompass

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Redaktioneller Hinweis:

Die im Podcast #108 genannten Zahlen der Neuinfektionen für Frankreich und Spanien waren offenbar nicht korrekt und viel zu hoch. Unsere Quelle war die Johns Hopkins Universi- ty, die zum Zeitpunkt der Aufzeichnung der Sendung diese Zahlen verbreitete.

0:00:03 MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass.

Camillo Schumann:

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

0:00:10

Camillo Schumann:

Dienstag, der 15. September 2020.  Der Blick aufs Infektionsgeschehen in

Deutschland und bei unserem Nach- barn Österreich hat die Corona-Ampel eingeführt. Was sind die Vor- und was die Nachteile dieser Maßnahme?

Außerdem: die Pharmafirma Astra Seneca hat ihre Studie für ihren Corona-Impfstoff nach heftigen Ne- benwirkungen einer Probandin wieder aufgenommen. Was ist über diesen Fall bekannt?

Dann: In der Diskussion: Können Mas- ken für Immunität sorgen?

Und am Ende der Sendung zwei Bei- spiele dafür, wie man es nicht machen sollte.

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Mo- derator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenra- dio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Ent- wicklungen rund um das Corona-Virus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor Ale- xander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Immer neue Rekord-Infektionszahlen werden bei unseren Nachbarn in Frankreich gemeldet. Fast 23.000 Neuinfektionen innerhalb von 24- Stunden. Spanien meldet über 27.000. Da ist Deutschland mit seinen rund 1409 Neuinfekti- onen, Stand heute, richtig gut dran, oder?

0:01:24

Alexander Kekulé:

Ja, kann man so sagen. Aber in Europa ist das Virus außer Kontrolle. Das ist ganz offensicht- lich. Ich glaube, dass weder Frankreich noch Spanien kurzfristig das wieder eingefangen bekommen.

0:01:34

Camillo Schumann:

In Frankreich soll es Ende der Woche Antigen- Schnelltests in den Apotheken zu kaufen ge- ben. Da kann dann jeder zuhause den Test machen. Dann muss man sich nicht mehr an- stellen, wie das jetzt der Fall ist. Das jedenfalls hat unser ARD-Studio in Paris mir mitgeteilt. aber an Tests an sich mangelt es in Frankreich nicht. Jeder kann sich kostenlos testen lassen. Aufs Ergebnis wartet man unter Umständen bis zu einer Woche. Also leichtes Testchaos in Frankreich. Was können diese Antigen- Schnelltest denn da bewirken? Braucht man die dann noch?

0:02:02

Alexander Kekulé:

Na, das Wichtigste ist bei diesen Tests, dass man sehr schnell das Ergebnis hat. Hier geht

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wirklich Schnelligkeit vor Qualität und Flexibili- tät vor Qualität. Und das können eben die An- tigen-Tests leisten, weil man praktisch sofort sieht, ob man positiv ist oder nicht. Deshalb braucht man die in Frankreich ganz dringend, insbesondere wenn die so lange Testzeiten haben. Das könnte dort noch, sage ich mal, so halbwegs die Lage verbessern. Was ich persön- lich nicht verstehe, ist, dass es diese Testmög- lichkeit gibt für Antigen-Tests. Die Publikation ist von März. Das ist also schon wirklich lange bekannt. Und es ist kein schwieriges Verfahren. Das ist technisch gesehen viel einfacher als die PCRs. Ich verstehe nicht, warum Europa das nicht früher angepackt hat. Dass man jetzt wartet, bis die großen Unternehmen da was liefern, statt zu ähnlich wie beim Impfstoff zu sagen, dass schieben wir an.

0:02:54

Camillo Schumann:

Wenn man sich das Infektionsgeschehen in Europa anschaut. Wir haben die Zahlen ja ge- rade gehört. Wenn man die Antigen- Schnelltests vor 2-3 Monaten schon gehabt hätte, hätte man diese Zahlen möglicherweise jetzt nicht präsent bekommen.

Alexander Kekulé:

Ich gehe fest davon aus. Wir haben ja praktisch alle Maßnahmen, wenn man so will, epidemio- logisch zu spät ergriffen. Zu spät, ist immer vorsichtig zu bewerten, weil natürlich Politik in Demokratien seine Zeit braucht. Aber hier muss man schon klar sagen, die ganzen neu aufgetretenen Fälle, die haben jetzt zu tun mit den Urlaubern, die zurückgekommen sind. In Frankreich eine ähnliche Situation. Zusätzlich mit dem Reiseverkehr. Frankreich ist ja auch stark ein Urlaubsland. Der größte Teil der In- fektion ist an der Cote d'Azur unten im Süden. In Marseille habe ich jetzt gerade gehört, sind die Krankenhausbetten inzwischen voll. Die müssen jetzt ihre Notbetten aktivieren. Das heißt also, das hat schon mit der Reiseaktivität zu tun. Innerhalb Frankreichs, aber auch von Frankreich nach Frankreich. Und wenn man da vernünftig an gezielten Stellen Schnelltests gehabt hätte, hätte man natürlich vieles ver- hindern können. Ich kann auch sagen, dass der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Europäischen Parlaments, das ist der Herr Lies-

ke. Das ist ein Deutscher ein reiner Zufall. Rei- ner Zufall. Der ist ganz frühzeitig mit mir zu- sammen hinterher gewesen, dass die Europäi- sche Union die Kommission hier etwas tut, um eben diese Schnelltests verfügbar zu machen. Das ist aber offensichtlich auch nicht erfolg- reich gewesen.

Camillo Schumann:

Woran kann es gescheitert sein?

Alexander Kekulé:

Ich glaube, das hat mehrere Gründe. Der eine ist der, dass wir in Europa wie überhaupt im Westen eigentlich so die Tendenz haben, der Wirtschaft das Heft nicht aus der Hand zu nehmen. Man sagt dann: Naja, wir warten, bis die Wirtschaft diese Tests entwickelt. Die gro- ßen Unternehmen, die dann natürlich am schnellsten sind und am besten aufgestellt sind. Die haben aber alle das Problem, dass sie zugleich sehr viel Geld an den PCR-Tests ver- dienen. Viel mehr als man jemals an so einem Schnelltest verdienen könnte. So dass in dem Fall eine schlechte Idee war. Weil die natürlich erstmal sehr viel Geld mit den PCRs gemacht haben. Auch mit anderen Methoden. Diese sogenannten Lamp-Tests, die entwickelt wur- den. Das sind auch welche, wo man Maschinen dazu braucht. Und da war es eben einfach nicht attraktiv für so ein Unternehmen, sich dann selber Konkurrenz zu machen. Und dass man dann sagt: Wir als Staat nehmen das in die Hand. Das ist etwas, wo eben China über- haupt keine Sekunde zögert. Auch in Russland wird bei so was nicht gezögert. Aber in Europa und den USA in den westlichen Demokratien ist es eben unüblich. Und da hat man zu lange gewartet oder vielleicht auch zu wenig er- kannt, wie wichtig dieses Thema Testen ist.

0:05:42

Camillo Schumann:

Zur Rolle der Europäischen Union in der Corona-Krise. Da kommen wir später noch mal dazu beim Beispiel Österreich. Schauen wir noch mal kurz nach Spanien. Spanien führt die Infektionszahlen in Europa ja mit Abstand an. Und dort öffnen seit einem halben Jahr an diesen Tagen wieder die Schulen. Und wenn man bedenkt, es gibt 100.000 Tests pro Tag und die Positivquote liegt aktuell laut Gesund- heitsministerium bei rund 12 Prozent. Könnte

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die Öffnung der Schulen das Problem sogar noch einmal verschärfen. Was meinen Sie?

0:06:12

Alexander Kekulé:

Ja, das ist einfach ein ganz krasses Experiment. Anders kann man das nicht sagen. In den Ver- einigten Staaten gibt es ja je nach Bundesstaat. Die sind ja auch nicht besser als wir. Aber da ist es je nach Bundesstaat so, dass es unterschied- liche Schwellen gibt, ab denen empfohlen wird, die Schulen zuzulassen. Also so klassisch ist: 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. So manchem Deutschen kommt es vielleicht be- kannt vor. Das ist bei uns auch die Alarm- schwelle. Übrigens auch in Frankreich und in vielen Bundesstaaten ist das die Schwelle in den USA. Wo man sagt, dann müssen die Schu- len geschlossen bleiben. Es gibt auch welche, wo das bei 100 Neuinfektionen, der Durch- schnittswert pro 100.000 Einwohner ist. In den USA machen die das nicht so wie wir mit dem 7-Tagesmittel, sondern ein 14-Tagesmittel. Wer sie da beraten hat, weiß ich auch nicht. Weil das natürlich klar ist. Beim 14-Tage- Mittelwert. Da warten Sie ziemlich lange, bis der überschritten ist. Aber wie auch immer, die machen das halt so. Manche haben auch eine Grenze, wo sie sagen, wir gucken auf den An- teil der Positiven, wie hoch ist denn der von den Tests. Da ist üblicherweise 5 Prozent die Schwelle. Nach allem, was in den amerikani- schen Bundesstaaten so üblich ist. Da wäre es mit der Situation in Spanien da, wo man sagen müsste, die Schulen müssen geschlossen blei- ben.

0:07:24

Camillo Schumann:

Können Sie uns erklären, warum in Spanien die Positivquote bei sagenhaften 12 Prozent liegt und in Deutschland irgendetwas bei 1 Prozent?

0:07:34

Alexander Kekulé:

Naja, wir testen die Negativen. Der Grund ist der. Die Spanier haben natürlich zunächst mal noch ganz stark das Testen auf Symptome. Das heißt also, das prophylaktisches Testen, was bei uns in den Krankenhäusern passiert. Wo bei uns wahrscheinlich auch Menschen mehr- fach getestet werden, ohne dass das registriert

wird, also Negative mehrfach getestet werden. Das führt dazu, dass man eine geringe positive Quote bekommt. Das wäre wahrscheinlich in Spanien auch ein besseres Bild, wenn die so konsequent testen würden wie wir. Also das ist nicht so, dass die dann einen so viel höheren Faktor von Infizierten im Land rumlaufen ha- ben. Es gibt natürlich auf der anderen Seite noch den anderen Effekt, wenn jetzt viele Menschen positiv sind und die Lage sich zu- spitzt. Dann hat man Kontaktpersonen, die man testet. Und Kontaktpersonen, die sind von der Wahrscheinlichkeit her eher positiv als jemand, den man zufällig aus der Bevölkerung greift. So dass sich mit der Zunahme der Infek- tionen im Land die Positivquote nicht linear erhöht, sondern die kriegt dann so einen ex- ponentiellen also so einen Verstärkungseffekt. Und das ist das, was wir in Spanien gerade beobachten.

0:08:51

Camillo Schumann:

Weil Sie die Situation in den Krankenhäusern in Frankreich, in Marseille angesprochen haben. Wie entwickelt sich diese Situation auch in Spanien? Also gibt es da sozusagen einen un- mittelbaren Zusammenhang?

0:09:04

Alexander Kekulé:

Wir sind in ganz Europa in der Lage, dass wir die Zahl der Positiven ein bisschen entkoppelt haben von den Sterbefällen. Das war ja am Anfang so, wenn man sich erinnert, in allen Ländern, die zunächst betroffen waren. Da gab es zuerst positive Fälle und nach einer gewis- sen Verzögerung kamen die Toten. Das ist bio- logisch ganz klar zu erklären. Jetzt ist es so, dass der Anteil an Todesfällen an dieser positi- ven Rate, die getestet wird, wahrscheinlich in ganz Europa geringer sein wird. Auch in Spani- en oder Frankreich. Das liegt eben daran, dass wir inzwischen wissen, dass ganz viele Men- schen asymptomatisch oder schwach sympto- matisch sind. Die wurden ja am Anfang nicht getestet, wenn man sich erinnert. Die allerers- ten Empfehlungen waren eigentlich europa- weit in Deutschland, speziell vom Robert Koch- Institut. Dass nur Personen getestet werden, die Symptome haben und Kontakte nach China hatten. So ging es ja mal los. Und dann hieß es

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Symptome und Kontakt in ein anderes Risiko- gebiet, die Lombardei in Italien zum Beispiel. Und wenn man natürlich so eine enge Auswahl hat, dann ist die Zahl der Patienten, die dann schwer krank werden, natürlich höher. Jetzt haben wir ein ganz anderes Infektionsgesche- hen. Das hat sich ja auch so weiterentwickelt, dass wir viele Menschen haben, die einfach als Reiserückkehrer die Krankheit mitgebracht haben. Und das sind typischerweise nicht die Risikogruppen. Klar gibt es auch ältere Men- schen, die reisen. Aber die großen Probleme kriegen wir ja immer dann, wenn wir solche Cluster-Ausbrüche in Altersheimen oder in Krankenhäusern haben oder auch manchmal im beruflich veranlasster Umgebung. Aber wenn es junge Menschen sind, führt es eben nicht zu einer großen Sterbens-Rate. Sodass man sagen muss: Wenn wir die Altersheime und die Krankenhäuser unter Kontrolle haben. Dann werden wir auf jeden Fall eine bessere, und eine bessere Intensivmedizin natürlich inzwischen, dann werden wir auf jeden Fall eine niedrigere Sterblichkeitsquote bekommen als im Frühjahr.

0:11:04

Camillo Schumann:

Auch bei unseren Nachbarn in Österreich. Da steigen die Zahlen wieder rasant an. Aber na- türlich ins Verhältnis gesetzt nicht ganz so ext- rem wie jetzt in Frankreich oder in Spanien. Am Montag über 700 Neuinfektionen. Belgien hat jetzt schon eine Reisewarnung verhängt. Auch die Schweiz warnt vor Reisen in das be- sonders betroffene Wien. Österreich hat als eine Maßnahme eine sogenannte Corona- Ampel eingeführt. Also je nach Regionen und Bezirken werden die Farben Rot, Orange, Gelb, Grün Mindestmaßnahmen vorgeschlagen. Allerdings wird, wenn die Ampel dann um- springt, zum Beispiel von Gelb auf Orange, in einigen Gebieten keine verschärften Maßnah- men verhängt. Man möchte an das Bewusst- sein appellieren. Was bringt dann so eine Am- pel?

0:11:50

Alexander Kekulé:

Ja, gute Frage. Im Prinzip ist die Ampel etwas Sinnvolles. Das hatte ich ja auch vorgeschla- gen, dass man so etwas in Deutschland ma-

chen sollte. Warum braucht man die Ampel? Weil man unterschiedliches regionales Ge- schehen hat und wir in der Lage, wo jetzt nicht mehr das ganze Land, also ganz Deutschland oder ganz Österreich, von einer einheitlichen Corona-Welle sozusagen erfasst wird, sondern wo man einzelne Ausbrüche hat, die lokal un- terschiedlich sind. Oder wo man Ausbruchsge- schehen hat, was unterschiedlich ist, wie jetzt mit den jungen Menschen in den Großstädten. Dann ist es sinnvoll, dass man dort, wo das, wo der Infektionsdruck groß ist, also der Anteil der Übertragungen in der Allgemeinbevölkerung hoch ist, dass man dort strengere Maßnahmen hat. Dass man zum Beispiel in Wien die Gast- stätten früh schließt oder ganz zumacht. Im Gegensatz zu Schließzeiten auf dem Land draußen in Niederösterreich oder so. Das ist sinnvoll. Und diese Idee gilt ja überall. Deshalb glaube ich, das Ampelschema hat Vorteile. Der andere große Vorteil ist, bevor jetzt jeder Kreisrat selber entscheidet und dann Öster- reich, die Landes-Obmänner von den neun Bundesländern. Wenn dann jeder selber ent- scheidet, wie er es macht. Dann kriegt man wieder so einen Flickenteppich. Dann führt das dazu, dass die Menschen von A nach B fahren, in ein anderes Bundesland und plötzlich ganz andere Regeln gelten. Und auch, dass man den Unterschied zwischen dem, was die Behörden anordnen, also was sozusagen im offiziellen Bereich ist, im öffentlichen Bereich ist und dem, was die Unternehmen machen. Die darf man ja auch nicht vergessen. Die haben ihre eigenen Pläne. Deshalb hat eine Ampel den Vorteil, dass sich alle danach richten. Die Un- ternehmen in dieser Region, alle Gemeinden und so weiter. Und dass man einfach weiß, was passiert. Bei Gelb wird das und das gemacht. Bei Grün wird das und das gemacht. Bei Rot sind folgende Maßnahmen angezeigt. Aber genau, wie Sie richtig sagen, das geht nur dann, wenn das Schema klar ist. Wenn das Schema jeder auf dem Tisch hat und man sich 100-Prozent dran hält, wenn es eintritt. Und nicht die Politiker dann wieder sozusagen ihre private Entscheidungen treffen.

Camillo Schumann:

Also was bringt dann so eine Ampel, wenn man es so umsetzt wie Österreich?

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Alexander Kekulé:

Ich glaube, das kann man jetzt noch nicht be- urteilen. Das ist ja ganz neu. Die war, glaube ich im Probebetrieb letzten Monat schon. Und jetzt geht es mal allgemein los. Das Problem in Österreich ist: Das ist eine Krisenkommission. Diese Ampel-Kommission, wie sie die genannt haben, die festlegt, auf welcher Farbe die jetzt nun stehen soll in den einzelnen Bundeslän- dern. Da sitzt also aus jedem Bundesland je- mand drinnen. Aus der Bundesregierung, glau- be ich, fünf Leute und dann noch fünf Wissen- schaftler. Und was dann am Schluss raus- kommt, kann eine ganze Weile dauern, bis sich das umsetzt. Das andere, was man berücksich- tigen muss. Die haben natürlich auch nur die Daten auf dem Tisch, die 1-2 Wochen alt sind. Weil die ganzen Meldezeit natürlich Meldever- zögerung und so weiter dazu führt, dass wir nie einen ganz aktuellen Stand haben. Anderer- seits wenn die was empfehlen, dann glaube ich schon, dass sich das einspielt. Dann kann das sein, dass dann die Politiker nach und nach in Erklärungsnot kommen, wenn sie sich nicht daran halten. Und deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass dieses Ampel-Modell, wenn es dann mal eingelaufen ist, tatsächlich etwas bringt und so ein bisschen die Politiker in den einzelnen Gebieten des Landes zur Disziplin ruft.

0:15:08

Camillo Schumann:

Okay, also der Ampel in Österreich jetzt ein- fach mal ein bisschen Zeit geben. Man muss sich da so ein bisschen reinfinden. Das muss sich alles zurechtruckeln. Und weil auch gerade das Thema Daten gefallen ist. Wäre dann so eine Ampel vielleicht für ganz Europa mit ein- heitlichen Daten, einheitlichen Maßnahmen vielleicht auch eine Idee, jetzt aktuell für die Corona-Krise? Aber vielleicht auch für andere Krankheiten, andere Pandemien?

0:15:33

Alexander Kekulé:

Ja, also ich halte es auf jeden Fall für sinnvoll, solche Ampel-Schemata. Ich glaube, wir haben hier auch schon mal drüber gesprochen. Die haben wir ja vor Jahrzehnten schon in unsere Pandemiepläne reingemacht. Das ist einfach sinnvoll. Wenn man verschiedene Entschei-

dungsträger auf verschiedenen Ebenen hat. Dann hat man eine Fachkommission, die legt sozusagen mal das Schema fest. Und da ist es ganz wichtig, dass man natürlich flexibel ist. Und das könnte man klar europaweit machen. Und man entbindet dann in gewisser Weise das Gesundheitsamt in der letzten Provinz davon, von Fall zu Fall zu entscheiden, was jetzt nun sinnvoll ist und was nicht, während gerade der Landrat ihm im Nacken sitzt. Des- halb hätte ich mir eine stärkere europäische Führung und auch Steuerung des ganzen Co- vid-19 Problems von Anfang an gewünscht. Es ist wirklich sehr sehr schade, dass von der Eu- ropäischen Kommission aus Brüssel da eigent- lich praktisch nichts gekommen ist.

Camillo Schumann:

Und sehen Sie denn Anzeichen, dass da ein Umdenken stattfindet? Wie wird das auch mit Kollegen diskutiert?

Alexander Kekulé:

Also kaum einer weiß ja, dass es tatsächlich bei der Europäischen Kommission eine Corona- Kommission gibt, so eine Berater-Kommission von sechs Personen, wo also zwei sogar aus Deutschland kommen. Frau von der Leyen hat das dann irgendwann eingerichtet. Ich habe bis jetzt noch nie gehört, was die für Empfehlun- gen abgegeben haben. Ich glaube auch nicht, dass das sehr weit führt. Also wenn man sich jetzt so die medizinischen Seiten der Europäi- schen Kommission anschaut. Da stehen so ein paar „Schmunzler“ drauf. Die möchte ich jetzt gar nicht zitieren. Das ist so. Das Thema ist für die offensichtlich nicht im Fokus oder vielleicht sogar abgefahren, weil sie das Gefühl haben: Wenn wir jetzt den Mitgliedsstaaten auch noch reinreden, was sie zu tun haben, wo die Prob- leme haben, ihre eigenen Bundesländer sofern Bundesstaaten sind, unter Kontrolle zu be- kommen oder in Frankreich die Departements. Ich glaube, da hat Europa so viele Probleme, dass es im Moment überzogen wäre, von Brüs- sel aus gesehen, das sich auch noch auf die Tagesordnung zu setzen.

0:17:43

Camillo Schumann:

Aber gut Probleme hin oder her. Die sind ja zum Lösen gedacht die Probleme. Was kann es

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einen besseren Anlass geben als eine weltwei- te Pandemie? Würden Sie sich denn wün- schen, dass man sich gerade mit Blick in die Zukunft. Das muss ja nicht der Herbst sein. Aber das kann ja vielleicht nächstes Jahr sein, dass man sich, was solche Ampelpläne bei- spielsweise angeht, noch mal zusammensetzt?

0:18:06

Alexander Kekulé:

Ja, das wäre dringend notwendig. Wir hatten die Diskussion in Europa zuletzt, wir hatten sie mehrmals, aber zuletzt nach dem Ebola- Ausbruch in Westafrika. Damals war es so, dass ich wirklich mehrfach in Brüssel war und wir beraten haben, damals noch von der Schutz- kommission aus, die die Bundesregierung da- mals beraten hat. Was man machen kann, um bei künftigen Ausbrüchen sowohl in Europa als auch außerhalb schneller zu reagieren. Konzer- tierter zu reagieren, besser aufgestellt zu sein. Ich möchte nicht wissen, wie viele Pläne in den Schubladen liegen. Es gibt auch ein europäi- sches Krisen-Reaktionszentrum. Von dem habe ich bis jetzt auch noch gar nichts gehört. Das ist eingerichtet. Die haben da so ein ganz tolles Lagezentrum tatsächlich dort in Brüssel im Untergeschoss. Aber das sind alles Pläne, die sich jetzt in dieser Krise noch nicht umgesetzt haben. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das für die Zukunft hätten. Jetzt mal so ganz praktisch gesehen. Es gibt ja auch Länder, die haben Schwierigkeiten, so viel zu testen wie wir in Deutschland. Und am Anfang eines Aus- bruchs ist es ja immer so, dass man ein großes Labor dafür braucht. Schnelltests kommen dann irgendwann. Aber die haben sie nicht am ersten Tag. Und diese Laborkapazitäten schnell dahin zu bringen, wo vielleicht ein Mitglieds- staat in Not ist. Selbst das ist ja noch nicht vor- gesehen. Wir haben ein paar Laborcontainer, die wir hier und da mal in ärmere Länder der Welt gebracht haben, wenn dort Ausbrüche waren. Aber es gibt keinen konzertierten, kei- nen Plan, wie sich Europa zum Beispiel gegen- seitig hilft bei einem solchen Ausbruch. Wenn das jetzt in einem Land passieren würde, wo man weniger Möglichkeiten als in Italien, Spa- nien oder Deutschland hat.

0:19:47

Camillo Schumann:

Gut, wir sind gespannt, welche europäische Antwort es auf die Corona-Krise und künftige Krisen geben wird. Wir müssen noch einen kurzen Blick nach Israel wagen. 4000 Fälle pro Tag. Auch dort wieder extrem hohe Zahlen. Und Israel hat wieder einen Lockdown ver- hängt. Drei Wochen soll er gelten. Die Maß- nahmen sehen die Schließung von nicht le- bensnotwendigen Geschäften wie auch Schu- len vor. Außerdem sei der Eintritt zu Synago- gen und anderen Gotteshäusern stark einge- schränkt oder auch ganz untersagt worden. Restaurants dürfen nur noch außer Haus ver- kaufen. Menschen dürfen sich nicht weiter als 500 Meter von ihren Wohnungen entfernen. Da bekommen wir das Gefühl eines Déjà-vu‘s. In Israel passiert das, wovor wir uns fürchten. Was hat Israel falsch gemacht?

0:20:33

Alexander Kekulé:

Ja, ich glaube, das kann man nicht deutlicher formulieren. Es ist so, dass das quasi das Mahnmal ist. Das ist das Menetekel, was wir uns ansehen müssen. Das kann uns auch pas- sieren. Israel hat eben keine klare Steuerung. Dort ist es sehr stark politisch entschieden. Benjamin Netanjahu hat aus politischen, wirt- schaftlichen Gründen alles wieder aufgemacht. Dann gab es fürchterliche Ausbrüche in mehre- ren Schulen. Insgesamt hat die Bevölkerung dadurch das falsche Signal bekommen. Nach dem Motto die Krise ist jetzt vorbei. Das wird ganz, ganz schwer, wenn jetzt in dieser Situati- on wieder zugemacht wird. Weil die Akzeptanz für diese Maßnahmen ist bei dem Großteil der israelischen Bevölkerung überhaupt nicht mehr da. Dieser Lockdown ist so ein bisschen Lock- down light. Das muss man vielleicht dazu erklä- ren. Es ist nämlich so, am Freitag ist ein jüdi- sches Fest: Rosch Haschana, also das Neujahrs- fest. Und da wird sowieso alles zugemacht. Und ich glaube, die haben 14. Tage normaler- weise Schulferien da. Diese Veranstaltung geht quasi am Freitagabend los und jetzt wird also am Mittwoch zugemacht. Es ist nicht ganz so krass, wie es klingt mit dem Lockdown. Aber trotzdem haben die Schulferien vorgezogen. Und sie haben vor allem überhaupt keinen Plan, wie es danach weitergeht. Es ist sozusa-

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gen ein Lockdown ohne Exit-Strategie. Und da haben Sie völlig Recht. Da muss man wirklich ein Déjà-vu haben. Das war ja in ganz Europa so ähnlich.

0:22:03

Camillo Schumann:

Und warum? Weil Sie eingangs gesagt haben, das könnte uns auch drohen. Warum?

0:22:09

Alexander Kekulé:

Das würde uns drohen, wenn die Lage völlig außer Kontrolle geht. Schauen wir uns Frank- reich und Spanien an. Die versuchen mit den Methoden, mit denen man halbwegs begrenz- te Ausbrüche unter Kontrolle bekommen kann, das wieder einzufangen. Das heißt also, sie versuchen, kleinere Schließungen zu machen. Sie versuchen, Kontakt abends in Südfrank- reich zu reduzieren. Es geht um die Maske und den Abstand. Aber letztlich sind das alles Me- thoden, die funktionieren nur dann, wenn die Zahl der Infizierten im Land ein gewisses Ma- ximum nicht überschreitet. Sonst kriegen Sie einfach immer, egal, was Sie machen ... Durch die Reste, die Rest-Infektionen, die bei jeder Maßnahme letztlich möglich sind, kriegen Sie trotzdem eine explosionsartige Vermehrung der Fälle. Also alles, was kein Lockdown ist, ist ja, wenn man so will, ein durchlässiges System. Das ist ein Kessel mit Löchern. Und wenn der Kessel wahnsinnig viele Löcher hat und wahn- sinnig viel Wasser in dem Kessel drin ist, dann funktioniert diese Methode nicht mehr. Ich habe mal ... Am Anfang haben wir das mal er- klärt. Für Deutschland waren wir auch kurz in der Lage. Das ist quasi diese exponentielle Phase drei einer Pandemie, wo das wie so ein Hockeystick wie ein Hockeyschläger, wo plötz- lich schlagartig die Fälle steigen. Von da muss man zurück in diese Phase kommen, wo die Gesundheitsämter eine Chance haben, nach- zuverfolgen. Also diese Phase II. Da sind wir in Deutschland noch. Aber wenn das komplett aus dem Ruder gerät, dann haben wir natürlich auch keine andere Möglichkeit. Oder wir schauen einfach zu, wie die Leute infiziert werden. Aber ich glaube nicht, dass das poli- tisch akzeptiert werden wird.

0:23:59

Camillo Schumann:

Die Alltagsmasken müssen uns schützen. Dass sie vor einer Infektion schützen. In diesem Punkt sind sich die Mediziner weltweit eini- germaßen einig. Und jetzt gibt es eine neue Theorie von amerikanischen Wissenschaftlern, die den Masken noch ein ganz anderes Poten- zial attestieren. Ihrer Theorie zufolge können sich andere Menschen durch eine Maske zwar anstecken, ihr Immunsystem könnte die weni- gen Erreger, die dann durch diese Maske kommen aber so gut bekämpfen, dass die Be- troffenen nichts von der Infektion merken. Und die Hoffnung ist natürlich die Reaktion des Immunsystems reicht aus, um eine Immunität gegen das Virus aufzubauen. Also Masken sor- gen für Immunität. Also eigentlich ist es ja die Theorie, die wir schon im Podcast mal bespro- chen haben. Die Virusmenge ist entscheidend, oder?

0:24:45

Alexander Kekulé:

Ja, das ist dieses Thema mit der Viruslast, also die Größe, die Menge der Viren. Wir wissen bei vielen Viruserkrankungen, so perfekt erforscht ist es nicht. Wenn kleine Mengen von Viren auf die Haut oder auf die Schleimhaut kommen. Dass dann der Körper in der Lage ist, dagegen zu reagieren in der Weise, dass er vor Ort das Virus einfach sofort plattmacht, bevor es zu einer systemischen Infektion kommt. Und das hat so eine Art Immunisierungs-Effekt. Ob da jetzt die Menschen vielleicht krank werden, ob sie es merken oder nicht, das kann man nicht so sagen. Aber es werden zumindest leichtere Erkrankungen. Also nach dem Motto viel Virus auf einmal. Wir haben das mal diskutiert im Zusammenhang mit der Inhalation von Viren in die Lunge. Das macht schwer krank. Und ein paar Viren, die da irgendwo auf der Nasen- schleimhaut rumliegen. Die werden eben vom Immunsystem eliminiert mit der Folge, dass dann, wenn alles sauber läuft im Körper sich trotzdem diese Gedächtniszellen bilden, die dann eine Immunität verleihen. Das war ja das Prinzip der Variolation, die man früher gegen die Pocken auch verwendet hat.

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0:25:53

Camillo Schumann:

Aber was mich bei dieser Theorie als erstes so ein bisschen gestört hat war, lassen Masken denn tatsächlich genügend durch?

Alexander Kekulé:

Naja, das wissen wir nicht. Also das mit den Masken, das würde ich jetzt nicht unterschrei- ben. Ob das jetzt so stimmt. Aber ganz allge- mein kann man schon vermuten, dass Men- schen, die nur ganz wenig Virus abgekriegt haben, eine leichtere Erkrankung haben. Das würden wir im engeren Sinn dann nicht Immu- nisierung nennen, weil es ja doch eine kleine Erkrankung dann ist. Aber es führt wahrschein- lich dazu, dass, falls das Virus noch mal kommt in höherer Dosis, dass es da nicht zu einem tödlichen Verlauf kommt. Also das, was wir eigentlich haben wollen in dieser Pandemie. Und natürlich ja, wenn man immer eine Maske im Gesicht hat oder wenn alle Beteiligten eine Maske im Gesicht haben in so einem geschlos- senen Raum. Und wir stellen uns vor, es wäre dort ein Superspreader dabei, der große Men- gen von Viren ausscheidet, sodass wir eigent- lich luftgetragene Infektionen vermuten müss- ten. Dann wäre es natürlich so, wenn alle eine Maske einschließlich dem Superspreader auf- haben. Dann würde auch dieser Superspreader leider links und rechts durch die Luft, die da immer raus geht, natürlich auch Viren aussto- ßen. Nicht mehr so viele. Aber ein paar kom- men da schon raus. Und die anderen haben jetzt eine Maske und einen Teil atmen sie durch den Stoff aus und einen Teil außen vor- bei. Aber das würde ganz klar die Dosis redu- zieren. Das würde wohl verhindern, dass meh- rere Menschen in einem Raum, wie wir es ja bei diesen Superspreading-Ereignissen haben, auf einen Schlag tief inhalieren und dann un- ten in der Lunge das Virus haben. Sondern man könnte eben hoffen, dass mehr so eine Art Schleimhaut-Immunität entwickeln. Und das würde ins Bild passen. Also man muss dazu sagen, dass sind virologisch wilde Spekulatio- nen. Aber es wäre zumindest plausibel. Ich war bis jetzt immer etwas vorsichtig, das ausführ- lich zu formulieren. Aber da hat ja kein Gerin- gerer als Toni Fauci, der berühmte amerikani- sche Immunologe und Regierungsberater. Der hat das auf den Plan gebracht, diese Idee. Da-

rum reden jetzt, glaube ich, viele Menschen auf der Welt darüber.

0:27:56

Camillo Schumann:

Die Wissenschaftler schränken auch ein: „Um unsere Hypothese zu überprüfen, brauchen wir weitere Studien, die den Anteil der asymp- tomatisch Infizierten in Gegenden mit und ohne Alltagsmasken vergleichen.“ Das muss man dem schon gegenüberstellen.

0:28:13

Alexander Kekulé:

Das könnte man machen. Ich glaube, dass wird man so nicht rauskriegen. Also solche Studien wird es nicht geben, die das wirklich sauber wissenschaftlich belegen, weil die Alltagsmas- ken, haben Sie gesagt, die sind ja nun wiede- rum andere, als der klassische Mund-Nasen- Schutz, den man im OP aufhat. Und jede Mas- ke ist ein bisschen anders. Selbst bei dem OP- Mundschutz ist es so, dass manche qualitativ besser sind oder besser sitzen und solche Din- ge. Ich glaube, da kommt man nicht weit. Man muss auch eine Warnung aussprechen. Es ist ja so, diese Variolation, das ist ja die ursprüngli- che Idee. Das kennen wir ja aus der Biologie in der Schule. Da hat man in China im 15. Jahr- hundert schon damit angefangen, dass man getrocknete Pocken-Krusten also Variola. Da hat man Krusten von Pockenpatienten ge- nommen, die aber so ausgesucht, dass man nur leichte Fälle genommen hat. Bei Pocken sterben nicht alle. Also im schlimmsten Fall vielleicht 30 Prozent, eher weniger. Hat man leichte Fälle genommen. Die Kruste genom- men, gemörsert und dann entweder in Wun- den aufgetragen oder in die Nase eingesprüht. Und das führte zum Teil dazu, dass die Men- schen immun waren. Übrigens waren die schon so schlau damals in China, nach dieser Prozedur die Leute zu isolieren, also in Quaran- täne zu bringen, weil die wussten, die könnten ansteckend sein. Aber ein erheblicher Teil ist natürlich daran gestorben. Da gab es immer wieder mal Tote, wenn die da vor allem das Militär geimpft haben. Inokuliert haben sie das damals genannt. Da gab es natürlich immer mal wieder Tote. Und als man in England, wo man ja wissenschaftlich meinte, man sei besser

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als der Osten, dann davon gehört hat, irgend- wie ganz früh im 18. Jahrhundert, dass es so- was gibt in China. Da hat man das komplett abgelehnt. Also die Royal Society, die wissen- schaftliche Gesellschaft in England, hat gesagt: Das machen wir nicht, weil da sterben ja die Menschen. Das ist irgendwie so Voodoo- Medizin aus China. Das machen wir nicht. Und es war eigentlich dann witziger Weise so ähn- lich wie bei uns mit den Masken. Das war so eine Art Basisbewegung von Menschen aus England. Die Pocken waren ja da. Und die Menschen haben gesagt: Nein, wir wollen das machen. Und die haben dann selber angefan- gen, quasi illegal gegen die Empfehlung der obersten Wissenschaftlichen Gesellschaft, mit diesen Variationen. Und als man das erste Mal gesehen hat, dass das wirklich funktioniert, da hat sich das nach und nach ausgebreitet.

Camillo Schumann:

So dass wir quasi die von der ersten Impfung der Welt in der Virologie sprechen?

Alexander Kekulé:

In der Virologie sprechen wir über den Effekt der Attenuierung, das Abschwächen eines Virus. Solche attenuierten, abgeschwächten Viren, die man zum Beispiel erhitzt hat, die kann man als Impfstoff verwenden. Das wurde auch später viel gemacht. Die Frage ist jetzt nur, ist so eine Verdünnung eigentlich eine echte Abschwächung, weil ein paar wenige wirklich voll aggressive, voll funktionsfähige Viren ausreichen, um krank zu machen. Und das ist wissenschaftlich, obwohl das uralt ist, ist das nicht besonders gut erforscht. Also Louis Pasteur hat in Paris ja bekanntlich einen jungen, diesen Wilhelm Meister geimpft, nachdem er von dem tollwütigen Hund gebis- sen wurde. Der hat auch nichts anderes ge- macht, als Viren zu nehmen, Tollwutviren zu nehmen und zu trocknen und unterschiedlich lange zu trocknen und je länger getrocknet, da hat er gedacht: Na ja, da ist es dann abge- schwächt. Aber war es wirklich abgeschwächt oder war es nur weniger Virus? Das heißt also, das ist ein Riesengebiet, wo wir noch ganz viele Fragezeichen haben. Und deshalb möchte ich nicht dazu raten, es darauf ankommen zu las- sen. Weil ich sehe schon wieder Leute, die dann so eine Art Masern-Party mit Masken

veranstalten und meinen, dass sie auf die Wei- se sich gegen Covid-19 impfen könnten.

0:31:48

Camillo Schumann:

Das Stichwort Impfung ist schon gefallen. Das soll uns jetzt auch beim nächsten Thema noch beschäftigen. Denn wir müssen auch über Ast- raZeneca sprechen kam. Vergangene Woche hatte die britisch-schwedische Pharmafirma die Phase-3-Studie für ihren Corona-Impfstoff unterbrechen müssen. Mindestens eine Pati- entin hatte eine schwere Erkrankung entwi- ckelt, die man nicht auf Anhieb erklären konn- te. So wurde es mitgeteilt. AstraZeneca stopp- te daraufhin alle weiteren Impfung, damit dann unabhängige Experten überprüfen konn- ten, ob die Beschwerden auf den Impfstoff zurückzuführen sind. Nun wurde geprüft. Die Tests können wieder aufgenommen werden. In den USA aber noch nicht. Trotzdem bleiben sehr, sehr viele Fragen offen, weil auch nicht alle Informationen an die Öffentlichkeit ge- kommen sind. Zum Beispiel die Frage: Welche Erkrankung hatte die Patientin eigentlich? Was lesen Sie darüber?

0:32:42

Alexander Kekulé:

Da gibt es das Gerücht, dass die eine soge- nannte Myelitis hatte, also eine Entzündung des Rückenmarks. Das ist eine Entzündung des Nervenstrangs im Rückenmark. Da kriegt man Muskelschwäche der Arme und Beine unter Umständen bis hin zu schweren Lähmungen. Und das ist leider eine Nebenwirkung, die man bei Impfungen aber auch bei Virusinfektionen sehen kann. Und dieser Impfstoff aus Oxford, der hat ja ein Virus mit drin. Das ist zwar ei- gentlich nicht vermehrungsfähig, aber das ist eben dieses Adenovirus von einem Schimpan- sen, wo man die Vermutung haben könnte, dass das so eine Autoimmunreaktion ausgelöst hat. Solche Effekte sieht man. Es gibt eine au- toimmune Myelitis, also diese Erkrankung gibt es als Autoimmunerkrankung. Und falls das stimmt, und es nicht nur ein Gerücht ist, dann ist es ganz klar das Richtige gewesen, dass die Studie erst mal gestoppt wurde.

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0:33:37

Camillo Schumann:

Weil Sie noch einmal gesagt haben, Gerücht. Es gibt keine offiziellen Stellungnahmen, keine offiziellen Paper, in die man schauen kann, was ihr tatsächlich widerfahren ist und zu welcher Gruppe sie eigentlich gehörte. Möglicherweise gehörte sie auch zur Kontrollgruppe, die nur ein Placebo bekommen hat. Das ist völlig un- klar.

0:33:54

Alexander Kekulé:

Ja, das ist ganz wichtig, was Sie sagen. Also wir wissen nicht, ob das die war, die überhaupt den Impfstoff bekommen hat. Ähm, das klingt so ein bisschen absurd. Aber man muss sich klarmachen, dass ist eine strenge Studie, wie wir es immer gefordert haben. Wir haben ja schon ein paar Mal geschimpft auf die russi- sche Methode oder auf manche chinesische Ideen, wie Impfstoffe ganz schnell entwickelt werden können, wo man quasi die Ecken ab- kürzt. Und hier hat man gesagt: Wir machen eine klassische Doppelblindstudie, eine rand- omisierte Studie. Doppelblind heißt weder der Arzt noch der Patient weiß, ob er ein Placebo bekommen hat, einen Nicht-Wirkstoff, oder ob er einen echten Impfstoff bekommen hat. Und das wird ganz streng überwacht von einem Kontrollkomitee, so ein Studien-Komitee. Die müssen sich exakt an die Regeln halten. Da steht eben in der Regel genau drinnen, unter welchen Umständen es zum Studienabbruch kommen muss. Solche Fälle, die typischerweise bei Autoimmunreaktionen vorkommen, sind eben Klassiker, wo man einen Abbruch macht. Aber die Kategorie, dass man die Studie ent- bindet, also quasi aufdeckt, wer in welcher Gruppe war. Diese Kategorie ist noch mal eine andere. Weil man muss sich vorstellen, sobald man aufgedeckt hat, wer in der Kontrollgruppe war und wer geimpft wurde, ist die Studie qua- si nutzlos und zu Ende. Und hier ist es extrem wichtig, weiterzumachen und zu sehen, ob das ein Schutzeffekt bringt oder nicht. Und deshalb hat man sich entschieden, und das ist in dem Fall sicher vorher schon im Protokoll gestan- den, dass man bei dieser Nebenwirkung konk- ret nicht die Studie abbricht und quasi auf- deckt, ob die Teilnehmerin hier in welcher Gruppe drin war. Und das andere, was man

immer so ein bisschen im Auge haben muss. In dem Moment, wo man jetzt sagen würde, wel- che Symptome die hat. Wir vermuten, dass ist irgendwie durchgesickert, dass es Myelitis war. Wo man das sagen würde. Naja, stellen Sie sich vor, Sie sind Teilnehmer bei dem Ganzen. Und man sagt Ihnen da hat jemand eine Lähmung gehabt im rechten Arm. Und dann gehen Sie am gleichen Nachmittag Tennis spielen und verlieren. Da haben Sie das Gefühl, irgendwie war mein rechter Arm heute schlecht, schlech- ter als sonst. Sie sagen das Ihrem Studienarzt. Sagen das Ihrem Arzt. Und dann muss der das melden. Und dann heißt es Nebenwirkung Nummer zwei. Weil dieser psychologische Herdeneffekt ganz großen ist. Grad bei so Impfstoffstudien, wo die Leute ja emotional auch beteiligt sind. Und man muss sich klarma- chen. Diese Studien werden ja gemacht....also ganz konkret die AstraZeneca. Meines Wissens haben die hauptsächlich Brasilien und Südafri- ka. Und in den USA haben sie auch noch ein Study Center. Das heißt also, die sind in Län- dern, wo sie es jetzt nicht Leute haben, die medizinisch wahnsinnig aufgeklärt sind. Und die machen an dieser Studie mit. Und die ha- ben vielleicht sonst alle möglichen Erkrankun- gen, weil sie sonst medizinisch nicht besonders gut versorgt werden, mal USA ausgenommen. Aber in Südamerika ist es eben so. Da haben sie viele Menschen, die in einer schlechten Gesundheitsversorgung sind. Dann machen die bei so einer Studie mit. Und dann werden na- türlich alle möglichen Wehwehchen, die sie vorher schon gehabt haben, plötzlich festge- stellt. Und das ist ein ganz bekannter Effekt bei solchen Studien, die man in ärmeren Ländern macht. Deshalb würde ich von einem einen Fall erst mal gar nichts schließen. Also einmal ist keinmal. Wenn es natürlich jetzt mehrmals auftreten sollte, dann stinkt da was.

0:37:20

Camillo Schumann:

Man muss das ja ins Verhältnis zu setzen. Es sind mehrere 10.000 Probanden, die diesen Impfstoff bekommen. Und wenn es dort einer Probandin mal nicht so gut geht, offenbar auch richtig schlecht geht, dann ist das ja eigentlich ein fast normaler Verlauf.

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Alexander Kekulé:

Es wäre fast merkwürdig, wenn man bei so vielen Probanden nicht irgendwann so einen Effekt hätte. Dass irgendeiner der Probanden bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt im Lauf der Studie. Dass irgendjemand einen Herzinfarkt bekommt oder sonst was in den Ländern, die da betroffen sind, vielleicht auch Opfer eines Gewaltverbrechens wird und Ähn- liches. Das hat alles eine gewisse Wahrschein- lichkeit. Und jetzt ist die Myelitis keine häufige Erkrankung. Das muss man schon sagen. Es ist eine sehr, sehr seltene Erkrankung. Aber man hätte die wahrscheinlich nicht zum Studienab- bruch als Anlass genommen, wenn es nicht so wäre, dass wir wüssten, dass so eine Erkran- kung typischerweise eben autoimmun sein kann.

0:38:14

Camillo Schumann:

Und noch kurz der Hinweis darauf, weil die ganze Welt auf den Impfstoff wartet und na- türlich jeden einzelnen Schritt überwacht. Auch die Medien haben ein Auge drauf. Der Firma wird ja mangelnde Transparenz vorge- worfen. Zurecht?

0:38:32

Alexander Kekulé:

Ich finde das nicht. Aber das ist eine sehr poli- tische, schwierige Frage. Ich persönlich finde, man muss hier auch in dieser angespannten Situation, wo viele Leute einfach mit den Ner- ven am Ende sind. Da muss man trotzdem sagen: Wir machen das kaltblütig, professionell wie immer. Und professionell heißt einfach, dass die Studie nicht entblindet wird wegen eines Falls. Und das heißt natürlich, dass die Einzelheiten solcher Nebenwirkungen nicht bekanntgegeben werden, weil eben alle Pro- banden die Zeitung lesen und soziale Medien benutzen und so weiter und sonst am nächs- ten Tag wüssten, was die Nebenwirkung war.

0:39:13

Camillo Schumann:

Noch abschließend dieses Statement dazu, das von den Corona-Skeptikern benutzt wird, um auch Stimmung zu machen. Zu sagen, da wird uns was verschwiegen. Das ist alles nicht so sicher. Da gibt es starke Nebenwirkungen. Das

wird uns sozusagen nicht übermittelt. Diese Information kann nicht so richtig sicher sein. Also dieses Argument wäre das dann sozusa- gen mit Ihrer Argumentation entkräftet?

0:39:41

Alexander Kekulé:

Was heißt entkräftet. Man muss einfach sagen: Es ist ein ganz neuer Impfstoff. Es ist ein ganz neues Wirkprinzip. Von Anfang an ist klar ge- wesen, dass bei dieser Art, mit einem viralen Vektor zu impfen, dass bei dieser speziellen Art damit zu rechnen ist, dass es Autoimmunreak- tionen gibt. Das war sozusagen ganz oben auf der möglichen Liste von Nebenwirkungen. Und jetzt ist es keinmal. Aber wenn sich das natür- lich herausstellen sollte, dass sowas öfters vorkommt, dann kann man sagen, dann hätten Leute, die vielleicht Skeptiker sind und die sa- gen: Naja, einen vektorbasierten Impfstoff, den will ich eigentlich gar nicht haben. Oder so ein RNA-basierte Impfstoff ist mir auch zu gefähr- lich. Solche Menschen hätten dann auch ein gewisses wissenschaftliches Argument. Weil man muss ganz klar sagen, es sind ja früher mal in der Krebstherapie auch schon mit die- sen Adenoviren Versuche gemacht worden. Und da gab es durchaus üble Nebenwirkungen. Und jetzt muss man deshalb genau gucken, ob das mit diesem neuen System nicht der Fall ist. Also ich bin schon dafür, dass man Menschen, die sagen: Wir wollen, dass das sehr genau geprüft wird... Dass man die ernst nimmt. Und dann gibt es die ganze kleine Gruppe von Skep- tikern, ja sozusagen die Corona-Leugner, wie die inzwischen schon heißen. Ich glaube, die können Sie gar nicht überzeugen. Also, es ist nicht so... Diese Art von Debatte liegt so weit auseinander, dass sie nicht mehr rationalen Argumenten zugänglich ist. Die hätten auch ein Argument gegen den Impfstoff gefunden, wenn es überhaupt keine Nebenwirkungen gibt.

0:41:19

Camillo Schumann:

Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Diese besorgte Mutter hat angerufen.

Zuhörerin:

Wir haben eine schwer herzkranke Tochter. Inwieweit ist es für die ganz Kleinen, unsere

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Tochter ist drei. Inwieweit ist es gefährlich, dass sie sich mit dem Coronavirus anstecken, wenn man eine solche Vorbelastung mitbrin- gen. Weil die Ärzte sind sich doch da auch nicht du ganz einig. Vielen Dank.

0:41:37

Camillo Schumann:

Tja, viele Fragezeichen auch bei dieser Mutter.

Alexander Kekulé:

Das ist schwierig. Also kleine Kinder haben normalerweise keine schweren Herzkrankhei- ten. Also bei angeborenen Herzfehlern wird dann typischerweise nach der Geburt und da- nach mehrmals operiert. Bei Herzkrankheiten, die nicht angeboren sondern erworben sind. Und bei so einem kleinen Kind muss man halt ein bisschen unterscheiden, was es ist. Was wir jetzt nicht wissen für diesen speziellen Fall. Ich würde ganz allgemein ... Darüber gibt es natür- lich keine Statistik. Also, das muss man ganz klar sagen für seltene Sachen, dass ein kleines Kind schwer herzkrank ist. Da gibt es für Covid- 19 keine Statistik. Deshalb würde ich einfach nach einem gesunden Menschenverstand vor- gehen. Und der heißt hier: Da ist ein Gesund- heitsrisiko vorhanden, was im Falle einer In- tensivtherapie auf jeden Fall ein Problem wäre. Und deshalb würde ich sagen: Dieses Kind hat auf jeden Fall ein erhöhtes Risiko, wenn es Covid-19 kriegt, erhöht im Vergleich zu ande- ren Kindern. Wobei man natürlich sagen muss, andere Kinder haben praktisch überhaupt kein Problem damit, ob das jetzt 0 + 0,1 ist oder ob das ein wichtiger Faktor ist. Das kann man von hier aus nicht sagen. Also wenn ich, wenn ich so ein Kind hätte, würde ich einfach versuchen, wirklich zu verhindern, dass es die Infektion bekommt und an der Stelle nichts riskieren.

0:42:55

Camillo Schumann:

Diese Dame hat angerufen. Sie hatte eine Na- no Silbermaske und da haben wir auch schon darüber gesprochen. Nach der Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung wird diese Art von Masken nicht unbedingt empfoh- len. Dadurch ist sie ein wenig verunsichert.

0:43:08

Zuhörerin:

Ich hatte nicht gewusst, dass das nicht ganz so ohne ist, ob man die in warmes Wasser legen kann und die Nanoteilchen sich dann ausson- dern. Das war meine Frage. Ob ich die dann loswerde oder die Maske einfach nicht benut- ze.

0:43:21

Alexander Kekulé:

Ich würde die Maske wegtun. Ob sich das im warmen Wasser herauslöst. Wahrscheinlich ein Teil ja. Aber unser Bundesamt für Risiko- bewertung, die sind ja nicht so, dass sie ständig Alarm schreien. Sondern die sind eigentlich sehr gründlich, weil die sonst Ärger mit der Industrie bekommen würden. Und wenn die sich einmal so deutlich positionieren, dass sie sagen, das Inhalieren solcher Mikro Nano Sil- berpartikel könnte gefährlich sein, dann würde ich das mal ernst nehmen. Das sind ja die glei- chen Leute, die zum Beispiel festgestellt ha- ben, dass diese Weichmacher in Babyflaschen schädlich sind und dass man das nicht behalten soll. Und die werden ja normalerweise auch nicht mehr benutzt. Darum glaube ich, ist das sicherlich ein vernünftiger Ratschlag. Und er ist auch plausibel.

0:44:08

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 108. Und ich habe eingangs schon gesagt, am Ende gibt es zwei Beispiele dafür, wie man es nicht ma- chen sollte. Das erste Beispiel ist, dass eine mutmaßliche Superspreaderin in Garmisch- Partenkirchen, eine 26-jährige Amerikanerin. Die soll dem zuständigen Landratsamt zufolge wegen Erkältungssymptomen einen Corona- Test gemacht haben. Noch bevor sie das Er- gebnis erhielt und trotz Quarantäne- Anordnung soll sie mehrere Kneipen besucht und dabei auch zahlreiche weitere Menschen angesteckt haben. Einen Musterfall von Un- vernunft hat das Bayerns Ministerpräsident Markus Söder genannt. Und Herr Kekulé. Un- vernunft ist auch das Stichwort für den Fall an einer Uni in den USA. Dabei hatte man sich doch so große Mühe gegeben.

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0:44:56

Alexander Kekulé:

Das ist ganz Klasse. Wir vergeben jetzt einmal im Monat die Corona-Krone. Das ist so, dass an der Uni von Illinois. Da haben die was ganz Tolles gemacht. Und zwar haben die ein ganz Supersystem. Ich bin richtig neidisch darauf. Sie haben etwas entwickelt, wie sie dort alle ihre Studenten testen. Die haben Testzelte aufgestellt. Die Studenten müssen da regelmä- ßig durch. Und die kriegen in kürzester Zeit ihre Resultate. Die haben so einen Spucke-Test entwickelt, der den Vorteil hat, dass es viel weniger Material verbraucht und auch sehr schnell geht. Die haben da 25 Labortechniker ständig im Einsatz gehabt, hatten 20 Zelte mit 200 Helfern. Und wenn die Studenten nicht beim Testen waren, dann war das so geschal- tet, dass sie mit ihrer Karte, mit der sie auf dem Campus in die Häuser rein kommen, ein- fach nicht mehr reinkamen. Diese elektroni- schen Karten, ID-Karten wurden blockiert. Und dieses Supersystem hat trotzdem dazu geführt, dass am 31.08. jetzt vor gut zwei Wochen an einem Tag 230 Infektionen waren. 230. Raten Sie mal, warum.

Camillo Schumann:

Ich weiß es ja. Es gab ein paar Studenten, die sich nicht um ihr Ergebnis geschert haben und feiern gegangen sind.

Alexander Kekulé:

Genau. Die waren positiv. Das ging auch noch auf die App. Die haben es aufs Handy geschickt bekommen. Haben gemeldet bekommen, dass sie positiv sind und sich in Quarantäne bege- ben sollen. Dann kamen sie natürlich von dem Tag an nicht mehr in die Universitätsgebäude. Sie waren sofort gesperrt. Aber in die Kneipen und auf die Partys konnten sie noch gehen. Und da haben sie das Virus verteilt.

0:46:29

Camillo Schumann:

So unterhaltsam das auch klingt, was da in Garmisch-Partenkirchen passiert ist und an dieser Universität. Aber so einen ernsten Hin- tergrund hat es ja auch. Weil es kann am Ende dazu führen, dass Menschen im Krankenhaus landen

0:46:42

Alexander Kekulé:

Nein, man muss natürlich immer klar dazu sagen, das ist nett mal einen Spaß zu machen. Vor allem, wenn der emotionale Druck im Lauf der Zeit dieser Pandemie natürlich gestiegen ist. Aber wir haben es immer noch mit einer tödlichen Erkrankung, mit einer potenziell töd- lichen Erkrankung zu tun. Und ich kann wirklich nur immer an alle appellieren, die damit zu tun haben, dass das weiterhin ernst genommen wird.

0:47:01

Camillo Schumann:

Vielen Dank, Herr Kekulé, wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé:

Gerne bis Donnerstag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage an uns, dann schrei- ben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 12. September 2020

#107: Kekulés Corona-Kompass Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass.

Camillo Schumann:

Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr im Hallen- bad? Welche Luftfilter sind gegen das Virus geeignet? Hilft viel trinken, um schwere Krank- heitsverläufe zu verhindern?

Damit herzlich willkommen zu einem „Kekulés Corona-Kompass - HÖRERFRAGEN SPEZIAL“. Die Fragen kommen wie immer von Ihnen und die Antworten vom Virologen und Epidemiolo- gen Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Lena aus Dresden hat gemailt: „Soweit ich verstanden habe, kann eine Covid-19- Erkrankung schwerer ausfallen, je mehr Viren man anfangs ausgesetzt ist. Gibt es Studien dazu oder eine Einschätzung von Herrn Kekulé, dass Eltern infizierter Kinder oder Kita-Erzieher besonders schwer erkranken? Wenn ich mit meinem zweijährigen Sohn Zähne putze oder er mir abends ins Gesicht gähnt, sehe ich die Tröpfchen und Aerosole förmlich vor mir. Falls er irgendwann infiziert wäre, kann ich mir nicht vorstellen, wie wir Eltern uns vor großen Men- gen Virus schützen können. Viele Grüße Lena aus Dresden.“

Alexander Kekulé:

Da gibt es keine Studien darüber. Aber das ist ein Thema, was mich zurzeit wissenschaftlich interessiert. Sie können sicher sein, sobald es eine Studie gibt, hören Sie das hier. Es gibt die Vermutung, die ist von Anthony Fauci, dem amerikanischen Berater der Regierung aufge- stellt wurde. Der hat gesagt, es könnte gut sein, dass die Dosis eine Rolle spielt. Wir ken- nen das von anderen Viruserkrankungen, dass die schwerer verlaufen, wenn man viel Virus auf einmal abkriegt. Und bei dem Covid-19 sag ich jetzt mal so als Theorie. Das hat jetzt der Fauci nicht so gesagt. Aber man könnte sich natürlich schon vorstellen, dass Menschen, die eine große Menge Virus auf einmal inhalieren, also gleich sofort in der Lunge unten drinnen haben, dass die schwerer erkranken. Das wür- de einen Teil unserer Phänomene erklären, dass wir immer diese schweren Ausbrüche in den Altersheimen und in den Krankenhäusern haben. Aber das ist nur eine reine Theorie, Spekulation ohne Daten. Wenn diese Spekula- tion stimmen würde, dann hätten Eltern ei- gentlich ein kleineres Problem. Aus folgendem Grund: So ein Kind wird ja nicht sofort zum massenhaften Virusausscheider, sondern das geht so nach und nach los. Das Kind ist irgend- wann angesteckt und hat erst mal eine kleine Menge Virus, die es ausscheidet. Und im Lauf von 1-2 Tagen geht es dann hoch.

Eltern sind aber so eng mit ihren Kindern zu- sammen, dass sie schon diese kleine Menge abkriegen würden. Und die Hoffnung ist, dass sie – weil wenig Virus auf der Nasenschleim- haut zum Beispiel landet – eine Immunität aufbauen, bevor das Virus unten in der Lunge landet, sodass, wenn das Virus später in größe- rer Menge in der Lunge ankommt, die Antikör- per dort schon stehen und Hallo winken.

Das ist sogar einer der Gründe, warum man Faucis Theorie verfolgt: Weil man gesagt hat: Es ist doch erstaunlich, dass es so wenig schwere Infektionen bei Übertragungen im privaten Bereich gab. Also sind es vielleicht die kleinen Dosen, die da eine Rolle spielen.

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Camillo Schumann:

Herr B. aus Bremerhaven hat geschrieben: „In meiner Patientenverfügung habe ich die künst- liche Beatmung abgelehnt. Zählt dieses auch bei einer Covid-Erkrankung? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé:

Ja, im Prinzip schon. Wenn es pauschal da drin steht, zählt das. Ich würde bei Covid-19 davon abraten, die künstliche Beatmung kategorisch abzulehnen. Etwa die Hälfte der künstlich Be- atmeten stirbt, so sind noch die Daten – wahr- scheinlich wird es jetzt besser –, aber die ande- re Hälfte überlebt. Und die meistern das ohne bleibende Schäden. Man hat also nicht not- wendigerweise schwere mentale Schäden oder Ähnliches. Darum kann man sagen, dass es eine der Indikationen ist, wo die Atmung sinn- voll ist und die auch eine Chance auf eine Komplettheilung bietet. Es ist allerdings so, dass jetzt kaum einer ins Krankenhaus kommt und die Ärzte dann entscheiden müssen, ob er künstlich beatmet wird, weil man sich zu ei- nem bestimmten Zeitpunkt, wenn die Atmung immer schlechter wird und die Sauerstoffwerte im Blut schlechter werden, diskutiert man mit dem Patienten, dass man jetzt eine künstliche Beatmung machen möchte. Mann gibt dafür extra Medikamente, die eine Art künstliches Koma erzeugen. Stichwort: Nawalny, dem rus- sischen Oppositionspolitiker, der in Berlin liegt, da ist es auch so gemacht worden. So ähnlich ist das hier auch. Das wird diskutiert. Da wird man sagen: Wir müssen sie jetzt beatmen. Zu diesem Zeitpunkt kann man sein Einverständ- nis geben, auch wenn man in der Patientenver- fügung etwas anderes stehen hat.

Camillo Schumann:

Diese Dame hört aufmerksam zu, hat angeru- fen und eine Frage zu Medikamenten.

„Guten Tag. Kekulé hat neulich erklärt, dass man auch Interferon und Cortison anwenden kann. Aber mir ist der Unterschied noch nicht klar. Vor allem kenne ich Interferon als ein Medikament aus den 80er-Jahren. Da hat man zum Beispiel Krebs oder auch Hepatitis C be-

handelt. Und ich habe gelesen: Interferon hat fürchterliche Nebenwirkungen gehabt. Wenn Sie vielleicht noch mal den Unterschied erklä- ren könnten und warum man jetzt Interferon bei Corona-Patienten einsetzen sollte.“

Alexander Kekulé:

Cortison, Dexamethason ist also das klassische Medikament, wird eingesetzt in der Spätphase, wenn es zu diesem Zytokinsturm kommt. Das ist nicht ganz am Anfang der Erkrankung, son- dern im späteren Verlauf. Da sind inzwischen die Daten knallhart. Es gibt inzwischen zwei Hände voll Studien, die zeigen, dass das das Leben verlängern kann und etwas bringt. Das ist unser wichtigstes Medikament in einer In- tensivtherapie bei schweren Verläufen. Das Interferon, dass ist eher experimentell. Und zwar ist die Idee die, dass man vermutet, dass Menschen, die in der Anfangsphase der Covid- 19-Infektion wenig Interferon-Antwort produ- zieren – wo quasi die frühe Antwort auf diese Infektion nicht richtig deutlich ausfällt –, (Die gehört zu dem Teil des Immunsystems, den wir angeborene Immunität nennen.), dass diese Menschen später mal einen schweren Verlauf kriegen. Und da ist die Idee, dass man das am Anfang gibt, solange noch kein schwerer Ver- lauf eingetreten ist, um den zu verhindern. Ob das funktioniert, ist klinisch noch nicht gezeigt. Da gibt es einige Studien, die darauf hindeu- ten. Und ja, Interferon zu geben hat Nebenwir- kungen. Man gibt das aber nur eine relativ kurze Zeit. Man gibt das Interferon Alpha/Beta. Was hier eine Rolle spielt, das sind die soge- nannten Typ-1-Interferone, andere als in der Krebstherapie. Das gibt man hier über einen kurzen Zeitraum, ich würde mal sagen, 2-3 Tage vielleicht. Und in der Hepatitis-Therapie, wo ma früher viel Interferon eingesetzt hat, da wurden mehrere Zyklen gemacht über einen längeren Zeitraum, da sind die Nebenwirkun- gen ziemlich unangenehm gewesen. Ich gehe nicht davon aus, dass das hier eine große Rolle spielt mit den Nebenwirkungen.

Camillo Schumann:

Herr B. hat gemailt: „In Folge 102 wurde über den Vorteil von Blutverdünnern gesprochen.

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Viel trinken verdünnt ja auch das Blut. Würde eine ausreichende Wasserzufuhr eventuell vor einer Infektion schützen. Viele Grüße.“

Alexander Kekulé:

Die Blutverdünnung schützt nicht vor der In- fektion, sondern wenn man sich infiziert, füh- ren die Veränderungen, die das Virus im Blut macht, dazu, dass es zu Thrombosen kommt. Das sind im Wesentlichen Entzündungen an der Gefäßinnenwand. Dem kann man unter Umständen durch Blutverdünner, durch blut- verdünnende Medikamente entgegenwirken. Wir wissen, dass viel trinken grundsätzlich gut ist, um bei einer Thrombose-Neigung Throm- bosen zu verhindern. Rein statistisch bei Men- schen, die zu Thrombose neigen, aus biologi- schen Gründen, angeborenen Gründen, weil sie Erkrankungen haben oder auch Frauen, die schwanger sind, die sollen im Flugzeug ja be- sonders viel trinken, weil die Luft so trocken ist und weil man auch so lange auf seinem Platz sitzen muss.

Das ist bei Covid-19 kein Tipp, der viel bringen wird, weil dieser Effekt, dass es dann zu dieser Entzündung kommt, so schlagartig ist und auch so massiv ist, dass es auf die Frage, ob man ein bisschen mehr oder weniger Wasser trinkt, in dem Moment nicht mehr ankommen.

Camillo Schumann:

Herr F. hat uns eine Mail geschrieben: „Wie schätzen Sie die Ansteckungsgefahr in Hallen- bädern ein, die nun fast überall wieder geöff- net sind? In Berlin werden relativ viele Besu- cher und Besucherinnen pro Badezeit zugelas- sen, für begrenzte zwei Stunden-Zeiträume. Dass im Wasser fast keine Infektionsgefahr besteht, ist bekannt. Wie ist es aber in Dusch- räumen, Umkleiden und auch in den Hallen selbst? Sind das nicht ähnliche Bedingungen: Wärme, hohe Luftfeuchtigkeit, viele Menschen wie in Discos und Clubs. Viele Grüße.“

Alexander Kekulé:

Das kommt auf die Größe des Hallenbads an. Es geht darum, wie viel Luftaustausch stattfin- det. Hallenbäder sind gerade im Herbst be- heizt. Das heißt, man macht nicht einfach fünf

Luftwechsel pro Stunde oder noch mehr. Das wäre viel zu teuer. Deshalb würde ich sagen: Wenn sehr viele Menschen in so einem Hal- lenbad sind, der Raum nicht besonders groß ist – es gibt ja Nebenräume, wo dann so Ruhe- räume sind, oder es gibt Hallenbäder mit Sau- na nebenan und Ähnlichem. Da ist man schon in einer Situation, wo man an so Super- Spreader-Ereignisse denken muss. Ich plädiere dringend dafür, dass man gerade Hallenbäder, dass man da eine Analyse macht und schaut, in welchem Bereich ist die Gefahr, dass sich in- fektiöse Aerosole bilden und es zu Super- Spreader-Ereignissen kommt. Das ist, das ist sicher ein wichtiger Punkt. Das Haupt- schwimmbad, wo jetzt ein großes Becken ist und die Decke 10-15 m hoch ist, würde ich aufgrund des Luft-Volumens nicht als große Infektionsgefahr sehen.

Aber warten wir mal ab, bis der erste Bericht aus einem Hallenbad kommt. Da gab es bis jetzt noch keinen Ausbruch.

Camillo Schumann:

Aber nichtsdestotrotz ist die Untersuchung des Hallenbades wissenschaftlich noch nicht vali- diert, oder?

Alexander Kekulé:

Nein, es ist einfach eine Tatsache, dass wir in Schwimmbädern keine Infektionen haben. Es ist übrigens auch eine Tatsache, dass wir kei- nen Ausbruch haben im Freien. Es gibt keinen Ausbruch im Freien, der dokumentiert wäre, wo man eine große Zahl von Infektionen hat im Sinne eines Super-Spreader-Ereignisses. Es geht es ja in diese Richtung. Wir müssen ein- fach abwarten, wie die Daten dann aussehen, ob wir eine Art Algorithmus entwickeln kön- nen, nachdem wir die Raumgröße bestimmen können, die und die Zahl von Personen und eine bestimmte Zahl von Luftwechseln pro Stunde sind einfach das, was wir brauchen, um Infektionen zu formen.

Camillo Schumann:

Jetzt ein kleiner Schlenker: Eine Maskenpflicht unter freiem Himmel, wie sie seit Mittwoch in Bayern gilt, ist doch eigentlich Quatsch, oder?

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Alexander Kekulé:

Ich werde natürlich nie sagen, dass ein Politiker Quatsch anordnet. Es ist in der Tat so, dass es aus meiner Sicht keine medizinische Begrün- dung dafür gibt. In Deutschland sind wir relativ entspannt diesbezüglich. Wenn jetzt nicht ge- rade ein paar Verrückte anfangen, Fahnen vor dem Deutschen Bundestag zu hissen, dann sind wir meistens tolerant, auch Andersden- kenden gegenüber. Aber man muss sich das anschauen: In den USA zum Beispiel ist das eine riesige Auseinandersetzung, auch in ande- ren Ländern der Erde. Was machen wir mit Demonstranten, die gegen Auflagen demonst- rieren und selbst keine Masken im Freien auf- haben?

Da bin ich der Meinung: Wenn die unter sich versuchen, im Freien halbwegs den Abstand einzuhalten, ist das kein Problem. An der fri- schen Luft: 1 m, dass die jetzt sich zumindest nicht in den Arm fallen. Da ist das Risiko, was selbst von einer größeren Demonstration aus- geht, relativ gering. Das ist ähnlich wie bei Fußballspielen: Da kommt es darauf an, dass sich die Menschen nicht umarmen sollen, dass sie in den Toilettenbereichen aufpassen müs- sen, was sicherlich nicht einfach ist und dass wir Super-Spreader-Ereignisse in den Neben- räumen verhindern müssen.

Aber die Infektionsgefahr im Freien halte ich persönlich für gering. Und bis jetzt gibt es kein einziges Beispiel. Und wir schauen uns jetzt schon eine ganze Weile an, wo tatsächlich so eine Infektion in großem Stil stattgefunden hätte.

Camillo Schumann:

Herr M. hat eine sehr gute Nase, und er hat angerufen.

„Ganz oft ist es so: Wenn ich auf der Straße laufe, meine Maske aufsetze, eine ganz norma- le Alltags-Community-Maske und Leute mit viel Parfüm laufen an mir vorbei, dann rieche ich das. Dann frage ich mich immer: Wie ist das eigentlich, wenn ich das jetzt rieche, also einen

Geruch habe, kommen dann nicht auch alle anderen Partikel und gegebenenfalls Viren von diesen Menschen durch meine Maske? Und das ist ganz oft im Alltag, dass man durch die Maske durch etwas riecht. Aber eigentlich sollte sie ja schützen. Das wäre meine Frage. Ist das vergleichbar: Sind Geruchsstoffe ver- gleichbar mit Aerosolen und besteht darin vielleicht auch eine Gefahr?

Alexander Kekulé:

Ja, das ist eine interessante Frage. Die wird auch von Virologen unterschiedlich beantwor- tet. Es ist tatsächlich so, dass Geruchsstoffe wesentlich feiner sind. Die liegen im molekula- ren Bereich. Dass man etwas riecht, heißt eben noch lange nicht, dass Viren durchkämen. Wenn man eine richtige FFP3-Maske hat, die professionellen Masken und mit der in die Wurstabteilung geht, dann riecht man, dass da Wurst draußen ist. Ich würde mal sagen, es riecht anders als ohne Maske, eher unange- nehmer. Aber man erkennt, dass es Wurst ist, obwohl man diese Maske aufhat. Das liegt daran, dass ein Teil der Geruchspartikel sicher- lich abgefangen werden. Aber grundsätzlich ist das, was unsere Geruchsnerven feststellen im molekularen Bereich und viel kleiner als das, was von so einer Maske abgehalten wird. Des- halb sind so Vergleiche, dass man, wenn man nichts mehr riecht, die Maske sicher wäre – das haben auch Virologen so geäußert – nicht richtig.

Camillo Schumann:

Frau K. hat eine Mail geschrieben, eine theore- tische Frage: „Wenn man davon ausgeht, dass es eine Kreuzimmunität zwischen den alten, bisher schon bekannten Corona-Viren und dem neu auftretenden Sars-CoV-2 gibt, müss- ten dann nicht eigentlich ältere Leute eher immun sein gegen das neue Sars-CoV-2 als jüngere, weil die Wahrscheinlichkeit, dass älte- re Leute im Laufe ihres Lebens an den alten bekannten Corona-Viren bereits erkrankt wa- ren als jüngere, höher ist? Da in der Realität aber jüngere Leute besser mit Sars-CoV-2 zu- rechtkommen als ältere, würde nicht schon

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allein diese Tatsache gegen eine Kreuzimmuni- tät sprechen. Mit freundlichen Grüßen.“

Alexander Kekulé:

Ja, das war klug gedacht. Da ist eine Virologin uns verloren gegangen. Man macht sich in der Wissenschaft genau solche Gedanken: Wir wissen nämlich, dass bei Grippe-Epidemien zum Teil die alten Menschen besser geschützt waren. 1918 wissen wir, dass hauptsächlich Menschen so im mittleren und jüngeren Le- bensalter gestorben sind an der großen Pan- demie und die alten wurden verschont, weil die im Lauf des Lebens irgendwann im 19. Jahrhundert eine andere Grippe durchgemacht hatten, wo sie immun waren gegen die neue Grippe durch Kreuzimmunität. Bei den Corona- Viren besteht nun die Gemeinheit, dass die Immunität, so sehen wir das, zumindest im Moment nicht lange anhält.

Man kann ja auch sich praktisch jedes Jahr wieder, oder typischerweise alle zwei Jahre eine Corona-Infektion holen, und zwar immer wieder mit dem gleichen Typ. Es gibt ja nur vier Subtypen. Und da kann man mit dem gleichen Subtyp noch einmal krank werden, weil sich das Virus nur geringfügig verändert und die Immunität nicht lang anhaltend ist. Deshalb gilt das, was bei der Influenza von 1918 dokumen- tiert ist, bei Corona nicht: Die Alten haben, weil es bei Ihnen schon so lange her ist, keine kürz- lich durchgemachte Infektion und daher kei- nen Immunschutz gegen Covid-19. Man könnte es sogar noch einen Schritt weiter denken, wenn man Spaß daran hat: Es ist natürlich Spe- kulation. Dass die jungen Menschen geschütz- ter sind, das könnte auch damit zusammen- hängen, dass sie einfach häufiger normale Corona-Virus-Infektionen durchmachen. Und wenn man gerade vor einem halben Jahr eine hatte, dann ist vielleicht die Kreuzimmunität besser, als wenn es 20 Jahre zurückliegt.

Camillo Schumann:

Herr D. hat eine Mail geschrieben: „Welche Luftfilter helfen gegen das Virus? Ich habe zum Beispiel immunsupprimierte Mitbewohner, zu

denen auch Pflegepersonal kommt. Und ich bin selber auch eine Risikoperson, weil ich Asthma habe. Welche Luftfilter bzw. Filter- Klassen können Sie empfehlen? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé:

Filter-Klassen, mit denen man die Raumluft filtert, sind diese sog. HEPA-Filter. Da gibt es verschiedene Hersteller. Wenn das die feinen Hochleistungs-Schwebstofffilter sind, funktio- nieren die im Prinzip alle. Das sind die Glei- chen, die auch im Flugzeug zum Beispiel einge- setzt werden, um die Luft zu rezirkulieren.

Man muss nur dazusagen: Das Problem bei all diesen Anlagen ist immer, dass nur ein Teil der Raumluft durch dieses Filtergerät geht. Und man kann sich vielleicht mal so als Größenord- nung (vorstellen) – das wäre mein Vorschlag: Wenn man 6-10 Luftwechsel pro Stunde hat, dann ist man wahrscheinlich bei Covid-19 be- züglich Super-Spreader-Ereignissen auf der sicheren Seite. Aber eine Anlage, die im Raum steht und wirklich sechsmal pro Stunde die gesamte Luft des Raumes durch den Filter durchdrückt – das ist auch ein gewisser Luftwi- derstand, der zu überwinden ist, weil so ein feiner Filter natürlich einen Widerstand bietet –,eine solche Anlage ist erfahrungsgemäß teu- er und muss von Spezialisten installiert wer- den.

Camillo Schumann:

Also HEPA-Filter. Wenn man den jetzt für den Hausgebrauch braucht, ist das eher unwahr- scheinlich, oder?

Alexander Kekulé:

Auch bei HEPA-Filtern gibt es verschiedene. Die gibt es welche mit UV Strahlung, oder mit anderen Methoden werden die Viren inakti- viert oder weggehalten. Das ist im Prinzip eine gute Sache. Ich es wird auch diskutiert, ob man damit vielleicht unser Leben im Herbst sicherer machen kann. Ich glaube, bevor wir jetzt we- gen dieser einen Pandemie quasi Operations- saal-Technik in jeder Bar installieren, ist der andere Weg mit dem Heizpilz draußen vor der Tür irgendwie entspannter.

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Camillo Schumann:

Dieser Herr hat angerufen und an eine Frage zur Desinfektion seiner Maske. Und er be- schreibt, wie er das macht und will nun wissen, ob das ausreicht.

„Ich desinfiziere meine normalen Mundmas- ken so: Ich sprühe die ein. Und ich habe eine Heißluftpistole. Und mit 300-600°C blase ich die innen und außen ab. Reicht das schon?“

Alexander Kekulé:

Ja, das ist mehr als genug. Ich würde das gar nicht machen. Wieso soll man die desinfizie- ren? Der einzige Grund, die zu desinfizieren wäre, wenn man Angst hat, dass die eigenen Bakterien, die man ausatmet, sich auf dieser Maske vermehren würden und dann bei der Einatmungs-Luft eine kontaminierte Atmo- sphäre bieten? Solche Überlegungen gibt es. Lungenärzte machen sich solche Gedanken. Aber ich meine, da würde es eigentlich rei- chen, die Masken gelegentlich zu wechseln. Man kann sie ja auch mal ganz normal wa- schen in der Waschmaschine. Die allermeisten halten das aus. Und wenn sie dann irgendwann kaputtgewaschen sind, muss man eine neue kaufen. Wir sind ja zum Glück nicht mehr in der Lage, dass wir Knappheit vom Nachschub her haben.

Ich würde deshalb davon abraten, so Hightech- Desinfektionsverfahren anzuwenden. Das sind so Rituale, die nicht viel bringen. Ausnahme: Wer im Krankenhaus arbeitet und mit hochin- fektiösen Patienten, die Unmengen von Viren ausscheiden, zu tun hat, muss natürlich sicher- stellen, dass auf seiner Maske keine Viren drauf sind. Aber ich glaube, auch an den Kran- kenhäusern, wo man am Anfang gesagt hat, man soll die Maske mit nach Hause mitneh- men und in der Mikrowelle backen, auch in den Krankenhäusern ist inzwischen der Nach- schub gesichert. Und es sind nicht mehr so viele Patienten, sodass das eigentlich der Ver- gangenheit angehören sollte.

Camillo Schumann:

Letzte Frage für diese Ausgabe: Herr oder Frau W. hat eine Mail geschrieben: „Nach Proble-

men mit feinem Staub am Arbeitsplatz wurde bei mir eine kaputte Nasenschleimhaut diag- nostiziert. Nachts brannte und kratzte meine Lunge, und ich hustete den schwarzen Staub mit Schleim aus. Keiner meiner Kollegen hatte dieses Problem. Kann es sein, dass ich, 59, dadurch zur Risikogruppe gehöre? Schließlich könnte das Virus, ohne von der Nasenschleim- haut aufgehalten zu werden, direkt in die Lun- ge gelangen. Soweit ich weiß, repliziert das Virus bereits in der Nase. Somit werden ab diesem Zeitpunkt bereits Antikörper gebildet. Gelangt es jedoch sofort in die Lunge, könne dies zu einem schweren Verlauf der Erkran- kung führen. Liege ich mit meiner Vermutung richtig? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé:

Dass die Nasenschleimhaut so kaputt ist, dass sie das Virus nicht mehr auffällt, glaube ich nicht. Das wird in der Regel so sein, dass ein Teil der Nasenschleimhaut nicht mehr so gut funktioniert. Aber das darf man sich dann trotzdem nicht wie ein PVC-Rohr vorstellen, wo die Luft einfach nur durchgeht. Sondern da sind relativ viele Flimmerhärchen drinnen. Da gibt es viele Stufen der Abwehr in der Nasen- schleimhaut. Und auch weiter unten in den Bronchien und in der Lunge wird verhindert, dass die Partikel weiter runter getragen wer- den. Ich glaube nicht, dass das alles kaputt ist, bloß weil man mal eine Verunreinigung durch Staub am Arbeitsplatz hatte.

Camillo Schumann:

Das war das Kekulés Corona-Kompass - HÖR- ERFRAGE SPEZIAL.

Herr Kekulé, vielen Dank.

Wir hören uns dann am Dienstag, den 15. Sep- tember, wieder.

Alexander Kekulé:

Ich danke Ihnen. Bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Alle Spezialausgaben und alle Folgen von Ke- kulés Corona-Kompass auf mdraktuell-

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podcast@mdr.de. Haben Sie Fragen, rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 10. September 2020

#106: Kekulés Corona-Kompass Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass.

Camillo Schumann:

Donnerstag, 10. September 2020: Der Pharmakonzern Roche möchte noch im September in Deutschland einen Corona- Schnelltest auf den Markt bringen. Ist das der Schnelltest für jedermann? Außerdem: Warum Sars-CoV-2 gekommen ist, um zu bleiben und welche Rolle eine Maus dabei spielen könnte. Dann: 50-mal tödlicher als Autofahren - für wen Covid19 besonders gefährlich ist. Und: Was eigentlich aus dem schwedischen Son- derweg geworden ist.

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redak- teur/Moderator bei MDR Aktuell, das Nach- richtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuel- len Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Profes- sor Alexander Kekulé.

Camillo Schumann: Ich grüße Sie, Herr Kekulé. Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Wir starten mal mit Bundesgesundheitsminis- ter Jens Spahn auf einer Veranstaltung in der Fußgängerzone von Bottrop. Achtung, es wird laut.

„Wir können mit dem Wissen von heute – das kann ich Ihnen sagen – keinen Friseur mehr schließen. Das mit dem Einzelhandel wird nicht noch einmal passieren. Wir werden nicht noch einmal Besuchsverbote brauchen in den Pfle- geeinrichtungen. Wir haben noch etwas dazu- gelernt in den letzten Monaten, wie wir uns schützen können, ohne dass es diese Maß- nahmen braucht. Dafür braucht es aber vor allem eben zum Beispiel die Maske.“

Jens Spahn versuchte, die Menschen zu beru- higen, denn seine Tour durch NRW wurde begleitet von Buh-Rufen, angespuckt wurde Jens Spahn auch. Einige Menschen haben ih- rem Frust über die Corona-Maßnahmen Luft gemacht. Spahn ließ sich in dieser aufgeheizten Stimmung zu der Aussage hinreißen, mit dem Wissen von heute würde man keine Friseure mehr schließen, keinen Einzelhandel, keine Besuchsverbote in den Pflegeheimen, den Lockdown würde man so nicht mehr durchfüh- ren.

Herr Kekulé würden Sie sich dieser Aussage anschließen?

Alexander Kekulé:

Ja, im Prinzip schon. Es ist so, dass man den Lockdown aber an dem Tag, an dem er ange- ordnet wurde, auch mit dem Wissen von heute nicht verhindern hätte können. Das war eine Situation, bei der wir eine exponentielle massi- ve Vermehrung des Virus an allen Ecken hat- ten. Und man hatte ja auch damals die epide- miologischen Daten nicht so, wie wir sie heute auch nicht haben: Wo genau das stattfindet, wer genau sich infiziert, wie die Infektionswege im Einzelnen sind. Deshalb würde ich sagen: Wenn man zwei Wochen vorher mit dem Wis- sen von heute oder vielleicht sogar mit dem Wissen von damals angefangen hätte, hätte man den Lockdown auf jeden Fall verhindern können. Insofern finde ich das gut, dass der Bundesgesundheitsminister hier eine späte Einsicht hat.

Camillo Schumann:

Aber nichtsdestotrotz: Zum Zeitpunkt des an-

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geordneten Lockdowns war dieser alternativ- los.

Alexander Kekulé:

Das ging nicht anders. Wie sollte das gehen? Ein Stichwort habe ich herausgehört: Besuchs- verbote in Altersheimen. Es war so, dass die Menschen – übertrieben gesprochen – fast wie die Fliegen gestorben sind in einzelnen Alters- heimen. Wir sahen die Situation in Italien vor Augen. Und wir hatten ad hoc nicht die Mög- lichkeit, die Leute dort zu schützen. Es ging darum, dass die Masken nicht vorhanden wa- ren, weil sie nicht bestellt und nicht eingela- gert waren, obwohl das in den Pandemieplä- nen stand. Es ging darum, dass die Politik viele Wochen lang gesagt hat, dass die Masken Un- sinn sind, und auch diejenigen kritisiert hat, die für die Masken waren usw. Es war ja u.a. mein Vorschlag, diejenigen besonders zu schützen- den Gruppen in den Altersheimen abzusichern. Da wurde als erste Reaktion gesagt, dass sei eine Patronisierung dieser Leute. Man darf die nicht so unterdrücken wegen der Seuche. Und besonderer Schutz für Risikogruppen? Nein, danke. Das heißt, hier hätte man zum damali- gen Zeitpunkt aus dem Stand keine andere Möglichkeit gehabt.

Camillo Schumann:

Und mit Blick auf den Herbst? Herr Spahn hat es angekündigt, dass alles, was er auch aufge- zählt hat, nicht mehr so umgesetzt werden wird: die Isolierung in den Altenheimen z.B. Er nennt als Freibrief die Maske dort. Geht diese Rechnung auf?

Alexander Kekulé:

Naja, so einfach die Maske ist es natürlich nicht. In Altersheimen geht es ja darum, Men- schen zuverlässiger zu schützen als sonstwo. Da darf man sich kein großes Restrisiko erlau- ben. Aber die Plexiglasscheiben, die überall aufgebaut wurden, weil das Robert-Koch- Institut gesagt hat, Scheibe oder 1,5 Meter, sind zu hinterfragen an der ein oder anderen Stelle. Vor allem wo wir wissen, wie es bei Sars 2003 war. Dass nämlich die Aerosole für diese clusterartigen Ausbreitungen verantwortlich

sind, also die sogenannten Superspreader- Ereignisse. Das heißt, die Instrumente haben sich ein bisschen geändert. Aber es bleibt letzt- lich bei den fünf Dingen: Schutz der Alten, Masken, Aufklärung der Infektionswege, schnelle Nachverfolgung und Testen. Und ich glaube, wenn Herr Spahn in seine Liste dieses Schnelltesten mit hineinnimmt, dann kann man mit diesen fünf Maßnahmen einen weite- ren Lockdown verhindern, und zwar relativ zuverlässig.

Es gibt vielleicht noch einen weiteren Aspekt, der immer so ein bisschen wenig diskutiert wurde: Falls wir es schaffen, in Deutschland die Verhältnisse unter Kontrolle zu halten – von mir aus auch auf dem Niveau von 1.500 bis 2.000 Fälle täglich –, aber auf hohem Niveau unter Kontrolle im Herbst, dann müssten wir trotzdem verhindern, dass die Infektionen in großem Stil aus den Nachbarländern wieder zu uns kommen. Das heißt also, die Abschottung nach außen ist leider seit jeher – und das galt auch schon im Mittelalter, als man bei der Pest die Zugbrücken hochgefahren hat – als ein Element der Epidemiebekämpfung.

Camillo Schumann:

Wenn man Virologen fragt, dann kriegt man auch eine virologische Antwort.

Alexander Kekulé:

Ich weiß, die Fernfahrer sind jetzt traurig, aber für die wäre ja vielleicht die Tracking-App nicht so schlecht.

6:20

Camillo Schumann:

Das Stichwort Schnelltest ist gerade gefallen. Noch in diesem Monat soll es losgehen. Der Pharmakonzern Roche möchte noch im Sep- tember einen Sars-CoV-2-Schnelltest in Deutschland auf den Markt bringen. Das Main- zer Start-up Digital Diagnostik hat die Erlaubnis erhalten, einen Antigen-Schnelltest klinisch erproben zu dürfen. Es tut sich etwas in Sa- chen Schnelltest, oder?

Alexander Kekulé:

Das ist ganz gut. Wir haben schon einige Tests,

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die in Deutschland angeboten werden. Nicht in der Apotheke, da gibt es juristische Hürden, aber im Prinzip kann man die Tests besorgen. Wir haben ja die Komfortsituation, dass wir eigentlich keine echte Zulassung für diese Schnelltests brauchen. Zumindest ist es der Stand, den ich jetzt noch habe von vor einigen Wochen, wenn sich nichts geändert hat. Wir können in Deutschland – anders als in den USA – solche Tests verwenden, ohne dass wir eine formale Zulassung brauchen. Man braucht dieses CE-Zertifikat, das ist ein europäisches Zertifikat. Aber es gibt nur wenige Tests, bei denen eine Zulassung der Arzneimittelbehörde erforderlich ist. Das sind Ausnahme-Tests, wo ein Fehler in kurzer Zeit zum Tod des Patienten führen könnte.

Camillo Schumann:

Der Roche-Test soll eine Spezifität von 99,68 Prozent und eine Sensitivität von 96,52 Pro- zent aufweisen, basierend auf 426 Proben von zwei unabhängigen Studienzentren. 426 Pro- ben hören sich für mich jetzt nicht so viel an.

Alexander Kekulé:

Doch das ist für so einen Test eigentlich in Ordnung. Die haben in Indien und Brasilien, wo es noch viele Fälle gibt, diesen Test überprüft. Und die Überprüfung läuft weiter. Das ist quasi das Material, was die erst einmal zusammen- stellen müssen. Ich sagte gerade, der Herstel- ler braucht nicht unbedingt eine Zulassung der Arzneimittelbehörde in diesem Fall. Aber es ist so, dass der Hersteller selber strenge Kriterien erfüllen muss. Das ist eine Regelung, die 2017 europaweit erneuert und verschärft wurde. Und da muss er eine Liste von Unterlagen ha- ben, warum er der Meinung ist, dass er alles richtig macht und dass der Test zuverlässig ist. Da werden Studien, die man einfach abge- schlossen hat, reingenommen. Parallel ma- chen die natürlich weiter, denn sobald die Tests ausgeliefert werden, gibt es sofort viele Leute, die sagen: Jetzt lassen wir mal eine PCR parallel laufen. Das ist ja unser Goldstandard.

Jetzt muss man sagen, diese Sensitivität, um die es hier geht (die Antigen-Tests sind weni-

ger sensitiv) weisen nicht 100 Prozent der In- fektionen nach. In dem Fall, in Anführungszei- chen, nur 96,5 Prozent. Das wird gemessen gegen die PCR. Die ist da sozusagen der Gold- standard. Jetzt wissen wir aber, dass die PCR viele Personen als positiv identifiziert, die epi- demiologisch auf jeden Fall komplett irrelevant sind, weil sie nicht ansteckend sind, weil das Reste von Viren sind, die im Speichel sind, die aber nicht infektionsfähig sind. So muss man sagen, bezogen auf die klinisch Kranken oder bezogen auf die, die infektiös sind, liegt mög- licherweise die Sensitivität sogar bei fast 100 Prozent.

Camillo Schumann:

Ein positiver Schnelltest, den man bald mög- licherweise bei seinem Arzt anwenden kann.

Alexander Kekulé:

Nicht nur beim Arzt. Das ist eine kleine Kasset- te. Da gibt es viele Wettbewerber, die so etwas Ähnliches anbieten in den USA. Donald Trump hat gerade 150 Millionen Stück vom Konkur- renten bestellt. Das ist immer das Gleiche: kleine Plastikkarten, auf die man vom Nasen- abstrich etwas draufmacht. Wir wissen ja seit einiger Zeit, dass der Nasenabstrich genauso zuverlässig ist wie dieser Gurgel-Test. Speichel kann man auch nehmen. Damit kann man das im Prinzip selber machen. Ich sehe nicht, wa- rum das der Arzt machen soll. Sich selber eine Probe vorm Spiegel zu entnehmen, muss in Pandemie-Zeiten geübt werden wie Zähneput- zen im Kindergarten.

Camillo Schumann:

Was sich viele Hörer fragen: Kann ich diesen Tests in der Apotheke kaufen und mit nach Hause nehmen? Die Antwort klang schon durch: Leider nein. Die Probe kann nur von medizinisch geschultem Personal entnommen werden, das heißt vom Arzt oder in einer Kli- nik. Grund dafür ist die Medizinprodukte- Abgabeverordnung, die die Abgabe an medizi- nische Laien verbietet. Außerdem liegt bei Sars-CoV-2 eine nach Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Infektion vor. Selbst wenn es Antigen-Schnelltest gibt, dürfen die nicht in der

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Apotheke verkauft werden. Ein Importeur von Schnelltests umgeht das Ganze, indem es in der Apotheke so Gutscheine gibt, die man dann beim Arzt einlösen kann. In Ausgabe 97 haben wir ausführlich darüber gesprochen. Herr Kekulé, wären sie für eine Gesetzesände- rung, damit es die Antigenen-Schnelltests in der Apotheke zu kaufen gibt?

Alexander Kekulé:

Ja, das ist für mich völlig außer Frage. Wir sind ja nun wirklich in einer besonderen Situation. Allein in der Bundesrepublik sind wir gerade dabei, dass uns Covid-19 knapp eine Billion Euro Schaden verursacht. Von den psychischen und gesundheitlichen Schäden ganz zu schwei- gen. Da ist es für mich komplett nebensächlich, was das Gesetz vorschreibt. Sondern da muss man wirklich sagen, was medizinisch sinnvoll ist und was politisch auch gewollt sein muss, da wird das Gesetz dann passend gemacht.

Camillo Schumann:

Gäbe es denn einen epidemiologischen Nach- teil, wenn sich die Menschen daheim selbst testen würden.

Alexander Kekulé:

Es gibt zwei Dinge, die man berücksichtigen muss: Das eine ist, wenn der Test wirklich mal falsch-negativ ist, muss man wissen: Ich habe mich getestet, aber das ist kein Beweis dafür, dass ich 100 Prozent negativ bin. Und ich muss mich deshalb trotzdem weiterhin vorsichtig verhalten. Ich glaube, das haben die Menschen verstanden. Es könnte ja auch sein, dass ich am nächsten Tag positiv werde, wenn ich gerade in der Inkubationszeit war.

Und das andere ist– das ist natürlich extrem selten bei diesen Antigen-Tests, denn die sind auch im Bereich von 99 Prozent plus zuverläs- sig – die Spezifität. Das heißt, es könnte auch mal sein, dass ein Test positiv anzeigt, aber der Patient gar nicht positiv ist. Naja, das ist nicht Ebola. Das heißt, der Patient wird nicht aus dem Fenster springen, wenn er denkt, er hat jetzt Sars-CoV-2. Das heißt, praktisch gesehen wird es so laufen, dass die, die im Schnelltest positiv sind, wenn sie sich vernünftig verhalten,

hinterher noch mal ein Bestätigungstest im Labor machen, vielleicht mit einem Arzt spre- chen, was sie jetzt machen sollen, da sie nun nachgewiesenermaßen dieses Virus haben. Und dann ist meines Erachtens keine schlechte Maßnahme, wenn man sagt, dass bei der Be- stätigung die formale Meldung stattfindet. Dadurch würde man vielleicht auch vermeiden, dass Doppelmeldungen und Ähnliches stattfin- den.

Camillo Schumann:

Haben Sie den Eindruck, dass auf politischer Ebene Druck entsteht, dass man da möglich- erweise im Gesetzgebungsverfahren noch mal nachjustiert?

Alexander Kekulé:

Ich glaube schon, denn das ist leider in der modernen Welt so: Es muss immer Leute ge- ben, die ein Interesse daran haben. Bis jetzt war es so, dass die großen Hersteller viel mit der PCR an den großen Maschinen verdient haben und deshalb wohl auch kein großes Interesse daran hatten, so einen Schnelltest auf den Markt zu werfen, der ja relativ leicht zu entwickeln war.

Warum hat sich das möglicherweise geändert? Jetzt sind die Preise für diese PCRs massiv ge- drückt, und man kommt auch mit der Liefe- rung zum Teil nicht nach, weil man ja nur die eigenen Reagenzien auf diesen Maschinen haben will. Dadurch ist es jetzt ein interessan- tes zusätzliches Geschäftsfeld für die Großen Hersteller, diese Schnelltests anzubieten. Zu- mal die Maschinen in den weniger entwickel- ten Ländern nicht vorhanden sind und man deshalb auf diese speziellen Schnelltests an- gewiesen ist. Übrigens sind die Tests auch haltbar bei schwierigen klimatischen Bedin- gungen. Und das heißt, jetzt wird eine Phase entstehen, in der erstens die Hersteller Inte- resse haben und Lobbyarbeit betreiben und zweitens die Apotheker ein Interesse daran haben. Denn für die ist das interessant, jetzt zusätzlich zu den Blutdruck- und Blutzucker- Tests, die sie anbieten, auch diesen Schnelltest anbieten zu dürfen. Deshalb gibt es jetzt eine

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stärkere Lobby, als wenn ein zwei Wissen- schaftler sagen wir brauchen den Test.

14:51

Camillo Schumann:

Wir sind gespannt, wie sich die nächsten Wo- chen und Monate entwickeln werden, ob wir vielleicht dieses Jahr noch den Antigen- Schnelltest vielleicht unter den Weihnachts- baum legen können. Mal gucken, wie sich das entwickelt.

Herr Kekulé, wir wollen mal so ein bisschen grundsätzlich über das Virus reden. Wo kommt es her? Und wo geht es hin? Und wie lange wird es uns noch erhalten bleiben? Wo es her- kommt, wissen wir einigermaßen genau. Mög- licherweise wurde es von Hufeisen- Fledermäusen auf einen Zwischenwirt übertra- gen, bevor es dann auf den Menschen überge- sprungen ist. An dieser Kette hat sich erst ein- mal nichts geändert, oder?

Alexander Kekulé:

Es ist so, dass bei diesen Hufeisen- Fledermäusen, die so heißen, weil sie im Ge- sicht eine Struktur haben, die aussieht wie ein Hufeisen vom Pferd. Die haben Viren, die ganz ähnlich sind wie Sars-CoV-2-Viren. Da gibt es eigentlich keine andere Erklärung, als dass das ursprünglich der natürliche Wirt ist. Was da- zwischen passiert ist, ob da vielleicht ein Hund dazwischen war oder ein Schwein, oder ob das direkt vor einer Fledermaus auf den Menschen übergesprungen ist und möglicherweise in China eine ganze Weile zirkulierte, bevor es dann zu dem Ausbruch in Wuhan kam (Ach- tung: neue Theorie), das ist unklar. Das ist alles möglich und wird wohl irgendwann mal raus- zubekommen sein.

Aber klar ist, dass dieses Virus leider auch Tiere infizieren kann.

Camillo Schumann:

Damit sind wir sozusagen beim Ausblick und der Frage: Wie oft wird uns Sars-CoV-2 noch in den nächsten Jahren begegnen? Und da spielt

auch ein Tier, nämlich ein winziges, eine Rolle. Es ist sogar ein süßes Tier, eine Maus. Warum und welche Rolle hat die Maus?

16:41

Alexander Kekulé:

Das ist interessant. Es gibt eine kleine Studie. Die ist schon vor einer Weile erschienen, am 7. August, auch nur als Preprint. Bis jetzt ist noch nicht überprüft worden von anderen For- schern. Sie stammt von einer tierärztlichen Fakultät in Colorado in den USA, also im Süd- westen an den Rocky Mountains. Die haben die Hirschmaus untersucht, eine amerikanische Maus. Die gibt es da sehr häufig, ist eine Art Feldmaus und sieht vielleicht optisch so ein bisschen aus wie ein Zwischending zwischen einer Maus und einem Siebenschläfer und ist deshalb ein knuffiges Tier. Sie ist in den Nord- staaten der USA verbreitet. Diese Maus, so ist im Labor gezeigt worden, kann man nicht nur hervorragend mit dem Virus infizieren, sie kriegt auch eine Virusvermehrung in allen möglichen Organen, also in der Lunge, in den oberen Atemwegen und im Darm. Sogar im Gehirn hat sie das Virus gehabt. Aber diese Maus bleibt im Wesentlichen gesund. Sie hat keine Symptome. Damit ist sie eigentlich ein ideales Reservoir für das Virus, also ein Be- reich, wo das Virus, wenn es dann mal reinkä- me, tatsächlich bleiben könnte.

Camillo Schumann:

Das ist sozusagen in der Theorie jetzt nachge- wiesen. In der Praxis müsste die Maus in ir- gendeiner Form mit dem Virus in Kontakt tre- ten, so wie sie es gerade eben gesagt haben. Das ist aber eher unwahrscheinlich, oder?

Alexander Kekulé:

So unwahrscheinlich ist das nicht, weil wir wis- sen, dass Mäuse, die im Haus leben – das ken- nen wir von ganz vielen Erkrankungen – holen sich früher oder später die Krankheiten des Menschen und umgekehrt. In den Gegenden, wo man Ratten und Mäuse im Haus hat oder auch andere Haustiere im Haus hat, breiten

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sich die Viren in beiden Richtungen aus, sofern sie das können. Berühmt ist das ja bei der Pest zum Beispiel. Da ist es bekannt. Oder auch andere Erkrankungen, die häufig von Nagetie- ren, die im Haus leben, auf Nagetiere, die im Wald leben, übertragen werden. Und dann ist irgendwann das natürliche Reservoir im Wald.

Das Problem ist nur: Wenn einmal bei diesen Wald-Nagetieren so ein Erreger angekommen ist, bleibt er da. Wir haben in Deutschland Regionen wo Hantaviren auf der Schwäbischen Alb bei den Nagetieren vorhanden sind und sich gelegentlich Menschen infizieren.

Das heißt, wenn es dieses Virus schaffen wür- de, auf diese Mäuse oder andere Nagetiere überspringen und dort bleiben, da kann man grob sagen: Die werden wir nie wieder los. Denn Krankheiten, die sich in Wildtieren ein- genistet haben und dort ein zweites Reservoir haben, sind in der Geschichte noch nie auszu- rotten gewesen beim Menschen. Wir können nur Krankheiten ausrotten, wo der Mensch das einzige Reservoir.

Camillo Schumann:

Sie zeichnen ja ein düsteres Bild.

Alexander Kekulé:

Das muss nicht sein. Es kann sein, dass das Virus dann schwächer wird und wir damit klar- kommen. Vielleicht wird man sogar herausfin- den, dass die anderen Coronaviren, die wir haben, also diese vier Typen, die zirkulieren, nicht die einzigen sind. Vielleicht zirkulieren auch noch mehr, die man noch nicht gefunden hat. Vielleicht sind die auch gelegentlich in anderen Wildtieren vorhanden.

Es ist bei dem Sars-CoV-2 schon zeigt worden, dass es in Katzen tatsächlich vorkommen. Ich glaube sogar, irgendwelche Tiger im Zoo sind mal infiziert gewesen. Und aktuell ist eine Stu- die herausgekommen, in der man gezeigt hat, dass in einer Tierfarm ein Mensch von einem Frettchen mit Sars-CoV-2 infiziert worden ist. Das hat dann so funktioniert, dass offensicht- lich irgendwann die Tierpfleger diese Frett- chen, die da gezüchtet wurden, infiziert haben.

Und irgendwann hat das Frettchen dann je- mand anders infizierte. Das heißt, der Ping- pongball ist schon einmal hin- und hergespielt worden. Und solche Sachen werden jetzt in der nächsten Zeit immer wieder vorkommen. Wir wissen zum Beispiel auch, dass die berühmt berüchtigte Spanische Grippe von 1918, die viele Tote gefordert hat, über Schweine ging. Damals haben die Menschen die Schweine infiziert, und das Virus ist bei den Schweinen geblieben über viele Jahre. Es hat sich dort genetisch verändert, hat aber dann 2009 die Schweinegrippe ausgelöst. Es war also die spä- te Rache der Schweine dafür, dass ihnen 1918 der Ball in die Schweineställe gespielt wurde. So was Ähnliches sehen wir ständig und über- all. Das könnte man jetzt lange drüber reden. Das ist die ganze Geschichte der Menschheit hat damit zu tun, dass wir irgendwann ange- fangen haben vor 20.000 Jahren, Haustiere in unser Heim zu nehmen, sesshaft zu werden und damit uns auch Krankheiten in Kauf zu nehmen, die von diesen Haustieren kommen und die wir an diese Haustiere weitergeben.

Camillo Schumann:

In der Tat kann das eine Situation für die kommenden Jahre sein, dass möglicherweise eine Maus oder welches Tier auch immer für eine weitere Pandemie verantwortlich ist bzw. eine Wiederkehr eines Virus. Dann stellt sich die große Frage: Wer ist von diesem Virus am stärksten betroffen? Und dass das Virus jetzt in diesem Jahr gerade für ältere Menschen be- sonders gefährlich ist, das zeigen auch die Zah- len. Die Alten machen am Gesamtinfektionsge- schehen einen eher geringen Anteil aus. Aber bei den Sterbefällen über 80 Prozent. Nun wurden mehrere Studien ausgewertet, und es wurde detailliert zusammengefasst, um die Frage zu klären, wer genau das größte Risiko trägt. Wurde das schon mal so detailliert ge- macht?

Alexander Kekulé:

Es ist gerade in dieser Woche zusammengetra- gen worden. Das ist interessant, weil man, um wirklich zu sagen, wie hoch die Sterblichkeit bezogen auf die Infektion ist, also nicht auf die

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Ausprägung der Fälle, Serum-Prävalenz Daten braucht. Das heißt, man muss wissen, wieviel Prozent der Bevölkerung sind infiziert. Dann nimmt man Blut ab und schaut, ob da Antikör- per drin sind. Und im Serum ist schon der Anti- körper da. Wenn es schon vorher da war, ist es die Serum-Prävalenz. Und da sind ja viele Da- ten im Gange. Heinsberg war eine der ersten, die überhaupt weltweit gemacht worden als Studien. Das Robert Koch-Institut mehrere Studien begonnen, in denen Ende des Jahres die Auswertung kommen soll. Da sind einige aussagekräftig. Es gibt eine kleinere Studie aus Genf und zwei größer aus Spanien und eine aus dem Vereinigten Königreich. Wenn man die zusammenfasst – das ist gerade in wichti- gen Wissenschaftsmagazinen dargestellt wor- den –, dann sieht man deutlich, wie gefährlich Sars-CoV-2 für ältere Menschen ist. Also das, was wir von Anfang an eigentlich so vermutet haben, was ja auch bei Sars 2003 der Trend war es, dass das Alter mit Abstand der wich- tigste Faktor ist, der vorhersagt, ob man daran stirbt oder nicht. Der zweitwichtigste ist inte- ressanterweise das Geschlecht.

Camillo Schumann:

Und welche Daten haben Sie da am meisten überrascht? Also wie hat sich das verteilen? Mich hat eigentlich überrascht, dass, wie ge- nauer man da rein schaut, desto weniger rele- vant werden die Dinge, die wir Komorbiditä- ten. Also das heißt Risiko-Erkrankungen.

Wir wissen ja, dass in Europa viele Menschen Herzkrankheiten haben. Wir wissen, dass viele Menschen hohen Blutdruck haben oder über- gewichtig sind. Und ja, es ist so, dass man, wenn man das einzelnen rausrechnet, all diese Gruppen ein erhöhtes Risiko haben. Vor allem kristallisiert sich im Moment heraus, dass die- jenigen, die eine Thrombose-Neigung haben oder chronische Entzündungen haben. Über- gewichtige Menschen haben chronische Ent- zündungen an den kleinen Gefäßen und auch eine erhöhte Thromboseneigung. Das sind die, die tatsächlich bei Covid-19 gefährdet sind.

Aber davon abgesehen ist der ganz große Fak- tor eben das Alter. Wenn man sich jetzt die aktuellen Zahlen anschaut: Über 75-Jährige haben ein Sterberisiko in der Größenordnung von 12 Prozent, und zwar bezogen auf die In- fektion. Das ist jetzt nicht bezogen auf die Er- krankung, sondern auf die, die überhaupt infi- ziert sind.

Und es geht dann in Stufen runter: Die Men- schen, die zwischen 50 und 65 sind, so meine Altersklasse, die haben 0,5 Prozent, also 1:200. Wenn ich jetzt morgen positiv wäre, wäre mein statistisches Risiko 1:200, in Wirklichkeit natür- lich viel höher, weil sich die Viren an Virologen natürlich ganz selektiv rächen wollen wenn sie können.

Und dann zwischen 0 und 20 Jahre. Da denke ich an meine diversen Kinder. Die haben 0 Prozent. Das kann man überhaupt nicht mehr rechnen, das ist irgendwo hinterm Komma. Und dazwischen ist es dann bei so 0,03 Pro- zent, also drei von tausend.

Das heißt, wir sind in der interessanten Situati- on, in der wir noch mal darüber nachdenken dürfen, wie die Risikoverteilung in der Bevölke- rung ist. Und wie schlimm wäre es eigentlich, wenn jüngere Menschen Immunität aufbauen würden? Natürlich nicht unkontrolliert. Aber wäre das wirklich etwas, was man mit allen Mitteln verhindern muss? Oder kann man da etwas großzügiger sein, wenn jetzt die eine oder andere Party an der Uni steigt? Sie wis- sen, in den USA ist es so, dass die jungen Leute auf dem College und in einer Uni gnadenlos der Universität verwiesen werden. Die werden richtig rausgeschmissen, wenn sie erwischt werden, wenn sie zu Hause mit zehn Leuten eine Party gefeiert haben.

Camillo Schumann:

Wie würden Sie die Risikobewertung jetzt ver- ändern? Würden Sie es tun?

Alexander Kekulé

Ich glaube, wir haben in Deutschland – und das ist vielleicht ein Grund, warum unsere Sterblichkeit so gering ist –: Wir haben den Vorteil, dass wir zwischen den Generationen

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keine so enge Bindungen haben, was eigentlich traurig ist. Mehrgenerationenhaushalt gibt es nicht so häufig. Die Eltern werden nicht jeden Tag besucht, und die Familienfeiern sind auch nicht so groß. (Wir haben ja in den Nachrich- ten gehört, irgendwo gab es eine kleinere Fa- milienfeier mit 200 Leuten.) Das ist keine ty- pisch deutsche Familie. Kürzlich habe ich einen deutschen Ministerpräsidenten sagen hören, wir Deutschen sind eigentlich glücklich, weil wir die Verwandtschaft nicht sehen müssen. Das ist natürlich auch übertrieben. Aber un- term Strich ist es so: Wir haben die Möglich- keit, unsere besonders gefährdeten Alten zu schützen, indem wir ihnen FFP-Masken geben, wenn sie rausgehen wollen, indem wir in den Altersheimen das Personal erstklassig überwa- chen und indem wir insgesamt Risikosituatio- nen vermeiden. Und ich glaube, dass die stärkste Waffe ist, die wir haben, dass wir Aus- brüche in Altersheimen, Ausbrüche auch in Krankenhäusern vermeiden können. Nämlich an Orten, wo es die vielen Toten gibt. So kön- nen wir relativ viel als Gesellschaft bei den jüngeren Menschen als Infektionen in Kauf nehmen.

Camillo Schumann:

Ich habe eingangs gesagt: Für einen Personen- kreis ist die Erkrankung 50-mal tödlicher als Autofahren. Für welche für welchen Personen- kreis trifft das zu?

Alexander Kekulé:

Der Personenkreis, das hat einer der Wissen- schaftler gesagt, die beteiligt waren, sind die Männer. Für eine Person, die 60 Jahre alt ist, ist die Gefahr, an Covid-19 zu sterben, mehr als 50-mal höher als beim Autofahren. Wobei natürlich die Frage ist, wie fährt der Alte? Wie oft fährt er, wie viele Autofahrten sind zusam- mengezählt? Bezieht sich das auf sein ganzes Leben? Ich glaube, so ein Risiko von 5-10 Pro- zent Sterblichkeit, die hat man beim Autofah- ren eigentlich nicht.

Camillo Schumann:

Kommen wir an dieser Stelle zu den Hörerfra-

gen. Diese Dame hat angerufen und folgende Frage:

„Was ist jetzt eigentlich in Schweden, was ist aus deren Vorgehensweise geworden?“

28:46

Der schwedische Weg in der Pandemie wurde am Anfang stark kritisiert, dann war er kaum noch in den Schlagzeilen.

Alexander Kekulé:

Im Moment ist es so, dass die sich bei 300 Fäl- len pro Tag eingependelt haben. Die Kurve sieht es ähnlich aus wie bei uns. Die hatten viele Infektionen und die sind deutlich zurück- gegangen. Aber man muss sagen: Es gibt so um die 10 Millionen Schweden. Das heißt, das würde dann 2.400 Fällen am Tag ungefähr bei uns entsprechen. Das wollten wir hier in Deutschland nicht haben. Andererseits muss man sagen: Die schwedische Strategie heißt ja nicht Infektionen, um alles andere zu vermei- den. Die testen auch viel weniger als wir, so- dass die Dunkelziffer wahrscheinlich noch viel höher ist. Sondern die wollen ja Todesfälle vermeiden. Die wollen schwere Erkrankungen vermeiden. Und das gelingt wohl ganz gut. Also die Zahlen der Johns Hopkins jetzt rausgibt sehen so aus, dass die Todesfälle in Schweden deutlich zurückgegangen sind. Nicht so weit wie bei uns. Aber in dem Bereich sind, wo man sagen muss, die haben offensichtlich verstan- den, dass es eben wichtig ist, die Hochaltrigen zu schützen, vor allem Ausbrüche in Kranken- häusern und Altersheimen zu verhindern.

Man kann vielleicht an der Stelle doch dazu sagen, dass ist schon erstaunlich ist, dass wir immer dann diese hohen Sterblichkeitszahlen bei Covid-19 hatten, wenn es Ausbrüche in Krankenhäusern und Altersheimen gab. Wir hatten ja auch Super-Spreading-Ereignisse in der fleischverarbeitenden Industrie auf der ganzen Welt. Aber da gab es eine geringe Sterblichkeit. Wir hatten die auch in Flücht- lingsheimen in Deutschland, wo dann über- haupt niemand erkennbar krank geworden ist,

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sodass man schon die Frage stellen muss: Ist vielleicht diese Kombination, dass einige be- sonders viel Virus ausscheiden, dass besonders effektiv durch die Luft übertragen wird und dann vielleicht von vornherein tief inhaliert wird, also in der Lunge bei den anderen an- kommt, gibt es da vielleicht so einen Dosis- Effekt? Denn es ist schon erstaunlich: Sobald man diese Ausbrüche in Altersheimen und Krankenhäusern unter Kontrolle hat, wird die Sterblichkeit auch moderater. Den Effekt ha- ben wir jetzt gerade in Schweden, das muss man sich jetzt eine Weile anschauen.

Das große Fragezeichen, was darüber steht bei dem schwedischen Modell, ist nach wie vor: Die sagen ja, sie wollen eine Durchseuchung erreichen, die uns schützt. Die gehen davon aus, dass die Menschen unter 60 zum kleinen Teil nur chronische Schäden haben von der Erkrankung. Das wird man erst in 2-3 Jahren sehen, was übrig bleibt, ob dann in Schweden überproportional viele Menschen chronische Schäden an der Lunge oder anderswo durch Covid-19 haben oder nicht. Das werden wir hier im Podcast wahrscheinlich nicht mehr beantworten können. Aber man muss auch sagen: Es gibt bis jetzt keine Hinweise auf sol- che echten chronischen Schäden, zumindest, dass sie häufig wären. Es gibt Einzelberichte, wo berichtet wird, dass die Lunge stärker ge- schädigt ist als bei einer normalen Influenza. Aber ob das jetzt bleibt oder ob sich das rege- neriert, wissen wir noch nicht.

Camillo Schumann:

Aber dieser Sonderweg, der jetzt möglicher- weise in einem relativ guten Fahrwasser ist, den mussten auch viele Schweden mit dem Leben zahlen. Das konnte man ja vorab nicht absehen, dass es so endet.

Alexander Kekulé:

Das war eben ein Risiko. Die sind am Anfang einfach knallhart ins Risiko gegangen.

Ich sag ja immer: Wir nähern uns dem schwe- dischen Weg von der anderen Seite an. Wir haben vorsichtig begonnen. Und jetzt gibt es immer mehr Politiker und Virologen, die for-

dern, dass man mehr ins Risiko gehen soll. Das ist sicherlich sinnvoller, es von der Seite zu machen, wie wir das gemacht haben. Ich bin nicht ganz zuversichtlich, dass wir in Deutsch- land jetzt schon die Schleusen hochmachen dürfen wie in Schweden, weil wir sowohl in Altersheimen als auch in Krankenhäusern noch viele Ausbrüche haben, nach wie vor, berichtet das Robert-Koch-Institut. Und erst wenn hier die Lage unter Kontrolle ist, was ich eigentlich finde, das muss in einem Land wie Deutschland doch möglich sein, dass man in Krankenhäu- sern und Altersheimen die Ausbrüche wirklich gegen Null bringt. In dem Moment könnte man darüber nachdenken, ob man hier langsam entspannter mit dem Thema umgeht. Ich glau- be, das ist ein interessanter Weg in Schweden. Klar, die haben ihren Preis bezahlt. Aber man kann daran erinnern. Viele klopfen sich hier in Deutschland selbst auf die Schultern, wenn die ersten Ausbrüche, die in Norditalien stattge- funden haben, wenn die tatsächlich in Deutschland gewesen wären. Ich sag jetzt mal Super-Gau Oktoberfest, dann wären wir ein- fach Italien gewesen. Dann wäre Bayern Norditalien gewesen. Daher hat es jetzt nicht so viel mit der Strategie zu tun, sondern damit, dass, als wir dann reagiert haben, es noch nicht zu spät war.

Camillo Schumann:

Frau H. hat gemailt: „Ich bin Lehrerin in Bayern, und unsre Schullei- tung hat uns jetzt über eine neue Maske in- formiert. Ich würde nun gerne wissen, wie sinnvoll diese Masken im Vergleich eines nor- malen Mund-Nasen-Schutzes aus Baumwolle ist. Viele Grüße, Christine H.“

Frau H. hat auch einen Link mitgeschickt. Es handelt sich um durchsichtige Plastikmasken. Wahrscheinlich für viele Schwerhörige. Gut, dass man sozusagen dann auch die Lippen lesen kann. Was halten Sie von dieser Plastik- maske?

Alexander Kekulé:

Wir haben mehrere Studien, die normale Ge- sichtsschilde untersucht haben im Gegensatz

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MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

zu Masken. Es ist so, dass der Schutz der Um- gebung durch denjenigen, der die Maske auf- hat, in dem Fall, wo derjenige ein Super- Spreader wäre, relativ gering ist. Man atmet zwar mehr seitlich und nach unten die Luft weg, aber es kommt doch eine ganze Menge. Da gibt es jetzt Untersuchungen, die das toll in Bildern gezeigt haben. Es kommt eine ganze Menge von dem Nebel, den man ausatmet, in die Umwelt. Ich würde davon ausgehen, dass das bei solchen Plastikmasken auch der Fall ist, weil die ja in dem Sinne keine Filterfunktion haben, sondern nur die ausgeatmete Luft um die Ecke leiten. Deshalb würde ich sagen, die sollte man nur dann verwenden, wenn man wirklich aus medizinischen Gründen eine nor- male Stoffmaske nicht tragen kann. Da wäre ich also dagegen, das zu machen. Ich weiß aber, dass solche Plastikmasken in großer Menge gemacht werden. Wenn sie irgendwo in Cafés sind oder im Biergarten, sehen Sie auf die Bedienungen mit diesen Masken, weil scheinbar jetzt von Seiten der Gesundheitsäm- ter dort ein Auge zugedrückt wird. Aber medi- zinisch gesehen ist der Schutz der Umgebung durch diese Maske kaum gegeben, also we- sentlich geringer als bei einer Stoffmaske. Und Eigenschutz haben sie fast gar keinen.

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 106. Vielen Dank, Herr Kekulé.

Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial bis dahin.

Alexander Kekulé:

Bis dann, Herr Schumann, bis Samstag.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00. Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 08. September 2020

#105: Kekulés Corona-Kompass Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass.

Camillo Schumann:

Dienstag 8. September 2020: Der Lagebericht zum Infektionsgeschehen in Deutschland: Zahl der Neuinfizierten, Hospitalisierungsquote, Belegung von Intensivbetten. Der Lagebericht zum Infektionsgeschehen in Deutschland. Dann: Wie sicher und wirksam ist der russische Impfstoff? Eine Studie gibt erste Hinweise. Außerdem: Diskussion um Isolierung und Qua- rantäne. Worum geht es eigentlich? Und wel- cher Zeitraum ist jeweils sinnvoll?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Mo- derator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenra- dio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Ent- wicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen.

Das tun wir mit dem Virologen und Epidemio- logen. Professor Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Schon fast traditionell am Dienstag werfen wir einen Blick aufs aktuelle Infektionsgeschehen.

Heute mal ein bisschen detaillierter. Fangen wir mit der Basiszahl an, die Zahl der Neuinfek- tionen innerhalb von 24 Stunden. Laut Robert- Koch-Institut liegt diese Zahl heute bei 1.499. Was sagt uns diese Zahl?

Alexander Kekulé:

Es ist ein relativ konstantes Einpendeln auf einem mittleren bis hohen Niveau. Wenn es so bleibt und im Herbst nicht steigt, kommen wir damit gut über die Runden.

Camillo Schumann:

Aber was sagt aber diese Zahl – losgelöst von allen anderen Parametern – eigentlich aus?

Alexander Kekulé:

Die Zahl der Neuinfektionen ist vor allem wich- tig, um die Kapazitäten der Gesundheitsämter abzuschätzen. Eine Neuinfektion bedeutet immer, dass das Gesundheitsamt die Fälle nachverfolgen muss und welche Kontaktmen- schen sie in Quarantäne bringen muss. So kann man anhand dieser Zahl sehen, wie viel „Fie- ber“ das Gesundheitssystems hat. Das ist quasi die Temperaturmessung des Gesundheitssys- tems. Es sagt nichts darüber aus, wie schwer die Pandemie in Deutschland insgesamt ver- läuft. Denn durch die neue Teststrategie sind viele der Neuinfizierten jung und gesund und deshalb die Kliniken gar nicht zu belasten.

Camillo Schumann:

Darauf kommen wir gleich. Wir wollen bei die- sem Lagebericht heute mehr Fakten und Zah- len bringen. Wir fangen mit den Tests an. Wir beziehen uns auf die Kalenderwoche 35, also die Woche vom 24. bis 30. August. Dazu liegen Daten vor. Insgesamt wurden in Kalenderwo- che 35, mit 1,1 Millionen Tests so viele Tests wie noch nie durchgeführt. 8.178-mal gab es ein Sars-CoV-2-positives Ergebnis. Das macht eine Positivquote von 0,74 Prozent. Was sagt dieser Wert aus?

Alexander Kekulé:

Die Positiven-Quote ist immer eine guter Hin- weis darauf, ob sich das Testen in der jeweili- gen Gruppe lohnt. Wir hatten ja schon mal deutlich höhere Werte. Das lag daran, dass

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man speziell Menschen getestet hat, die Symp- tome hatten, wo der Verdacht bestand oder wo unmittelbarer Kontakt zu einem positiv Getesteten bestand.

Jetzt wird vermehrt getestet als Zufallsstich- probe in der Gesamtbevölkerung. Es geht mehr und mehr in diese Richtung. Dadurch sinkt auch die Positiven-Quote. Das ist ein normaler Effekt. 0,75 Prozent ist ein guter Wert. Wenn man die Gesamtbevölkerung blind durchtesten würde, wäre er sicherlich noch wesentlich geringer.

Camillo Schumann:

Es ist also wichtig, wen man testet, um das ins Gesamtbild der Bewertung der Zahlen mit einfließen zu lassen.

Alexander Kekulé:

Das ist extrem wichtig. Das ist deshalb wichtig, denn wenn man keine Auswahl trifft, wird die statistische Wahrscheinlichkeit, dass man sog. Falsch-Positive erwischt, höher. Das ist viel- leicht nicht so offensichtlich, aber dieser posi- tive Vorhersagewert, dass also der Positive auch wirklich positiv ist, ist davon abhängig, welche Stichprobe man sich anschaut. Deshalb bin ich dafür, bei diesen Tests schon eine Vor- auswahl zu treffen und nicht völlig blind zu testen. Das wurde ja auch mal vorgeschlagen wurde: 82 Millionen Deutsche durchzutesten. Vielmehr muss man gucken, wen man sich anschaut und vorselektieren.

Camillo Schumann:

Welche zum Beispiel?

Alexander Kekulé:

Sinnvoll ist die Testung von Rückkehrern aus Risikogebieten. Bei denen hat man gesehen, dass die Quote bei zwei Prozent lag. Dann lohnt sich das auf jeden Fall nachzutesten. Sinnvoll ist es auch, medizinisches Personal zu testen und alle diejenigen, die Kontakte mit einem Fall hatten, weil die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kontaktperson positiv ist, viel höher ist, als bei irgendjemandem, den man zufällig aus der Bevölkerung herausgreift.

5:04

Camillo Schumann:

Wir haben über die positiven Tests gespro- chen. Micha aus Köln hat angerufen und eine Frage gestellt:

„Ich habe in letzter Zeit öfter mal versucht, ehrlicherweise jetzt nicht so intensiv, aber immerhin gegoogelt, herauszufinden, wie viel Covid-19-Tests, die gemacht werden, negativ ausfallen. Und ich habe Schwierigkeiten, da irgendeine eine Zahl zu finden.“

Alexander Kekulé:

Ich glaube, dass man das einfach durch Sub- traktion feststellen kann. Wenn man weiß, wie viele Tests insgesamt gemacht wurden, die positiven abzieht, dann sind logischerweise die anderen negativ geworden. Das ist eine große Zahl. Das ist klar, wenn man nur bei 0,75 Pro- zent Positiven liegt. Es gibt noch einen anderen Faktor, der dabei interessant ist. Wir haben keine guten Daten darüber, wie viele Leute sich mehrfach haben testen ließen. Man muss davon ausgehen, dass es besorgte Bürger gibt, die sich regelmäßig testen lassen. Oder auch Ärzte, die häufiger den Test verschreiben und andere, die eigentlich vielleicht ein Risiko hät- ten, aber kein Interesse daran haben, sich zu testen.

Camillo Schumann:

Sollte man das rausrechnen, sollte man die Zahlen bereinigen?

Alexander Kekulé:

Es wäre wunderbar, wenn wir mehr Daten hätten. Das gilt seit Anfang der Epidemie in Deutschland, dass die Datenlage nicht zufrie- denstellend ist. Wir sind da weltweit nicht al- leine. Auch in den USA wird geschimpft dar- über, dass die Daten unvollständig sind. Denn wir wissen zum Beispiel nicht, in welcher Al- tersgruppe die Negativen waren. Wir wissen bei den Positiven nur zum Teil, wie sie sich infiziert haben, zum Beispiel welcher ethni- schen Gruppe sie angehören, ob das Leute sind die sich beim Sport infiziert haben, die sich im

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Urlaub infiziert haben usw. Das sind alles grobe Schätzungen, weil die Daten unvollständig sind.

Das wird in dieser Pandemie in Deutschland auch nicht besser werden. Wir hatten die Dis- kussion 2009 bei der Schweinegrippe. Da wur- de Besserung gelobt. Aber letztlich ist es nach wie vor so, dass die Bundesländer auch unter- schiedliche Auffassungen vertreten, welche Daten nach Berlin gemeldet werden sollen. Und das Robert-Koch-Institut hat die Informa- tionen, die es hat. Das ist ein bekanntes Prob- lem, das jetzt wieder deutlich zutage tritt.

Camillo Schumann:

Da hat sich ja die Kanzlerin mit den Gesund- heitsämtern der Länder zusammengeschaltet, um sich über diese Probleme auszusprechen. Möglicherweise passierte da auch was in die- ser Richtung.

Herr Kekulé, kommen wir zu einem Problem: Laut Robert-Koch-Institut hat der Rückstau an PCR-Proben seit Kalenderwoche 32 stark zuge- nommen. In Kalenderwoche 35 gaben 76 Labo- re einen Rückstau von rund 37.000 abzuarbei- tenden Proben an. 49 Labore nannten Liefer- schwierigkeiten, zum Beispiel für Reagenzien. Wie ist dieser Umstand einzuschätzen? Ist das aus Ihrer Sicht ein größeres Problem oder für die Gesamtlage ein zu vernachlässigender Um- stand?

Alexander Kekulé:

Ich glaube, das ist wichtig, wenn man strate- gisch oder mittelfristig in die Zukunft guckt. Bei diesen Umfragen ist nicht genau definiert, wann ist ein Lieferengpass vorhanden. Der eine hat eine größere Menge an Reagenzien im Labor, der andere hat nur eine kleine. Der eine hat drei oder vier verschiedene Methoden, mit denen er diesen Test machen kann, der andere vielleicht nur ein oder zwei. Das heißt, es ist nur ein ungefährer Gradmesser.

Aber man hört es von vielen Laboren – das ist bei den Besprechungen der großen Labor, die diese Covid-Tests machen, eigentlich schon sehr deutlich –, dass die sich sorgen, dass wir in eine Situation kommen könnten, in denen

für die klassischen PCR-Tests mal die Reagenzi- en knapp werden. Das muss man sich so vor- stellen: Das ist eine Handvoll Hersteller, eigent- lich sind es nur zwei oder drei große Hersteller, die diese riesigen Maschinen liefern, mit denen die Massentests gemacht werden. Und dann muss man für diese Maschine auch die Rea- genzien dieses Herstellers benutzen. Da ist man verhaftet. Das ist schlimmer als beim Tu- ner im Drucker, wo man vielleicht mal ein No- Name ein Produkt einbauen kann. Da gibt es also quasi ein Monopol. Die sorgen sogar durch spezielle Barcodes auf den einzelnen Reagenzien-Fläschchen dafür, die von der Ma- schine gelesen werden, dass man da nicht schummeln kann. Klar, das hat auch was mit Qualitätskontrolle zu tun. Jemand, der andere selbstgemachte Reagenzien einfüllt, kann auch Fehler machen. Und dann fällt es auf den Her- steller zurück. Das heißt, es gibt schon Gründe dafür.

Aber in der Praxis heißt es: Selbst Universitäts- labore kriegen rationierte Zuteilungen an Test- Reagenzien. Das wird dann so gemacht. Man schaut, wie viel habt ihr die letzten vier Wo- chen verbraucht? Und dann kriegt ihr das, was ihr da verbraucht habt, alle zwei Wochen gelie- fert. Jemand, der dann sagt, ich hätte gern mal einen Vorrat für zwei Monate, der wird dann schon schräg angesehen. Das heißt also, wenn jetzt schlagartig die Fall-Zahl der Patienten steigen würde – im Moment machen wir ja viele Tests prophylaktisch –, könnten wir in den Engpass hineinkommen.

Camillo Schumann:

Und die Zahl der 37.000 Proben, die noch nicht ausgewertet werden konnten? Gemessen an der Gesamtzahl der Testung 1,1 Millionen, ist dieser Wert zu vernachlässigen?

Alexander Kekulé:

Ich gehe davon aus, dass das einige Labore sind. Wissen Sie, das machen heute große Ma- schinen fast vollautomatisch. Da hängt eine EDV hinten dran, und das Ergebnis wird auto- matisch ausgespuckt. Ich würde nicht sagen, dass bei einem normalen Laborbetrieb ein großer Rückstau entsteht. Es kann sein, dass

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mal Wochenende ist oder dass nachts Proben reinkommen oder dass einfach die Mitarbeiter zeitweise überlastet sind. Man muss sich klarmachen, dass auch in den Laboren zumindest in Kliniken tatsächlich schon lange der Rotstift unterwegs war und man alle möglichen Einrichtungen oder Puffer, die man bei den Geräten oder beim Personal hatte, weggestrichen wurden. Die sind jetzt alle verschlankt, auf Effizienz getrimmt. Und wenn dann so ein Covid-19-Problem dazu- kommt, ist klar, dass es da hier und da mal knapp wird.

Camillo Schumann:

Schauen wir uns abschließend die Hospitalisie- rungs-Quote an. Das ist ja auch ein wichtiger Parameter, um das Pandemiegeschehen ein- zuordnen. Diese Quote in Kalenderwoche 35, über die wir hier sprechen, lag bei vier Prozent, und war damit so niedrig wie noch nie. Zu Hochzeiten lag sie bei 21 Prozent. Insgesamt mussten in Kalenderwoche 35 275 Menschen ins Krankenhaus, im Schnitt also rund 40 Pati- enten jeden Tag. Auf der Intensivstation sieht es laut Intensivregister aktuell folgendermaßen aus. Wir haben frische Zahlen, weil die fast stündlich aktualisiert werden. Der Stand 8. September, 12 Uhr: 228 Covid19-Fälle auf In- tensivstationen, und davon werden 130 invasiv beatmet. Wie bewerten Sie diese Daten aus der Hospitalisierungs-Quote und der aktuellen Belegung der Intensivbetten und Beatmung im Verhältnis zum Infektions-Niveau der letzten zwei bis drei Wochen?

Alexander Kekulé:

Zuerst muss man sagen: 130 Beatmete sind 130 Beatmete, von denen es wahrscheinlich die Hälfte nicht überleben wird. Es ist auf jeden Fall eine ernstzunehmende Zahl. Wenn man sich erinnert an die Diskussion mit der Ma- sernpflichtimpfung: Da ging es um die Frage, ob im Jahr fünf bis zehn Menschen in Deutsch- land sterben. Das heißt also: Hier haben wir ein ernstes Geschehen. Aber die Zahl der Hospita- lisierung ist extrem gering. Wir werden welt- weit dafür beneidet und bewundert. Man muss natürlich sagen, das sind mehrere Effekte, die

da eine Rolle spielen. Erstens war es am An- fang so, dass man die Patienten, wenn sie posi- tiv waren, sofort ins Krankenhaus gebracht hat, um sie zu isolieren. Es gab ja noch keine ande- re Isolierung. Aber auch, weil man unsicher war, wie der weitere Verlauf ist. Man hatte Angst, dass es ganz schlimm werden könnte.

Da ist man jetzt sicher großzügiger. Und es wird auch viele Menschen geben, die von vornherein sagen: Ich habe da zwar ein biss- chen Husten, ich bin jetzt Covid-19 positiv, aber ich bleibe zu Hause. Wozu brauche ich ein Krankenhaus? Das heißt, da hat man jetzt ein besseres Gefühl dafür, in welcher Situation man sich befindet. Dadurch wird es sicherlich weniger Hospitalisierungen geben. Das Gleiche gilt dann auch für die Verlagerung auf die In- tensivstation. Da war man am Anfang großzü- giger, weil man Angst hatte, dass die Men- schen schnell dekompensieren, dass die At- mung plötzlich nicht mehr funktioniert und Ähnliches. Heute hat man Erfahrungen mit dem Krankheitsbild. Ein wichtiger weiterer Faktor ist – das hängt mit der Testung zusam- men –, dass wir jetzt die Quote bezogen auf die wirklichen Infektionen nach und nach se- hen und nicht mehr die Quote bezogen auf die klassischen klinischen Fälle. Man unterscheidet ja sonst eigentlich in der Epidemiologie Fälle und Infektionen. Ein Fall ist jemand, der ir- gendwelche Symptome zeigt. Heute sind wir aber eigentlich da, wo jede Infektion als Fall gezählt wird. Und da sind diese ganzen be- rühmten Asymptomatischen auch dabei. Leu- te, die vielleicht das Virus mal hatten, kurzzei- tig sofort wieder eliminiert haben, möglicher- weise die Immunität auf der Schleimhaut schon dazu geführt hat, dass die Virus- Ausbreitung im Körper gar nicht massiv war. Solche werden ja jetzt zum Teil mitgetestet, sodass wir jetzt ein Bild haben, bezogen auf die Infektionen. Und am Anfang hatten wir ein Bild bezogen auf die klinisch relevanten Fälle.

Camillo Schumann:

Sicherlich spielt der Altersmeridian noch eine große Rolle. Wir sind jetzt im Durchschnitt bei 33 Jahren. Noch vor Wochen, Monaten lag

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dieser Altersmeridian deutlich höher, um die 50. Das ist auch ein wichtiger Faktor.

Alexander Kekulé:

Das ist natürlich ein wichtiger Faktor, und zwar in zweierlei Hinsicht: Erstens werden die posi- tiven Festgestellten immer jünger. Aber zwei- tens sind auch die, die wir überhaupt testen, immer jünger. Das heißt, es wurden am Anfang überhaupt keine Kinder getestet, weil man sich erst einmal nur Kranke angesehen hat und die Kinder sowieso nicht mehr in der Schule oder Kita waren. Das heißt also, wir haben jetzt eher ein Abbild, das die Gesamtbevölkerung, ein- schließlich der Jüngeren, betrifft. Und da ist die Lage eindeutig, das ist in diesem Podcast auch oft angesprochen worden: dass es ein Thema für ältere Menschen ist. Ältere Menschen ha- ben ein extrem hohes Risiko, und die Jungen haben ein minimales Risiko. Und das bildet sich hier in den Zahlen ab.

16:13

Camillo Schumann:

Zahlen ist genau das Stichwort: Viele Men- schen machen sich Sorgen, wenn sie jeden Tag die Zahl der Neuinfizierten hören. Und auch wenn sie vielleicht ins Ausland schauen und dann wieder zu uns, wie zum Beispiel diese Dame:

„Ich habe gerade in den Nachrichten gehört, dass es in Frankreich inzwischen in 24-Stunden 7.000 Neuinfektionen mit Corona gibt. Kann das bei uns auch passieren? Was meint Profes- sor Kekulé dazu?“

Camillo Schumann:

Was können Sie dieser Dame sagen? Jetzt ha- ben wir so viele Zahlen und Einordnungen ge- hört...

Alexander Kekulé:

Wenn wir halbwegs vernünftig weitermachen und in den nächsten Wochen nicht die wirt- schaftlichen Interessen vor die medizinischen Stellen, werden wir solche Siebentausender- zahlen vermeiden können, wie wir sie im April schon mal hatten. Das wird nicht noch einmal

passieren, sonst hätten viele Leute etwas falsch gemacht.

Camillo Schumann:

Wenn es einen Impfstoff gäbe, müssten wir uns keine Sorgen mehr machen. Interessant ist, wie viele Impfstoffe aktuell in der Testpha- se sind. Das kann man sich prima auf einer Internetseite anschauen: covidvax.org. Dort sieht man auch, dass aktuell über 300.000 Menschen weltweit Impfstoff-Kandidaten am eigenen Leib austesten lassen, quasi für uns alle. Hoffen wir mal, dass sich die Nebenwir- kungen auch in Grenzen halten. Was vermuten Sie, was die gängigsten Nebenwirkungen sein werden?

Alexander Kekulé:

Wir müssen bei allen Impfstoff-Tests zwischen zweierlei unterscheiden: erstens den Impf- stoffkandidaten im weitesten Sinne. Das sind hohe Zahlen, weil für viele Unternehmen und Universitäten plötzlich viel Geld auf der Straße lag für das Thema. Und die haben gesagt, wir machen so was jetzt. Die, die am Schluss in der Phase drei sind und klinisch erprobt werden, wo man also nachsieht, ob es wirkt, als ob es eine Schutzwirkung hat, das ist im Moment knapp mehr als eine Handvoll Impfstoffe. Und nur die muss man sich im Grunde genauer ansehen.

Bei den so genannten Nebenwirkungen unter- scheiden wir bei den Impfstoffen – anders als bei anderen Medikamenten – zwei Arten. Das eine ist das, was wir Impfreaktion nennen. Wenn Sie einen Impfstoff geben, der wirksam ist, haben Sie bei vielen Menschen – das ist einfach biologisch so – als Tatsache, dass das Immunsystem sich damit auseinandersetzen, Rötungen der Einstichstelle oder Schwellungen oder auch mal Schmerzen da, wo gepikst wur- de bis hin zu erhöhter Temperatur. Manche Leute haben auch ein bisschen Muskel- und Gelenkschmerzen. Das kann alles die soge- nannten Impfreaktionen sein, also ein Beleg dafür, dass der Körper die Immunität aufbaut, also ein gewünschte Effekt.

Und dann gibt es noch die echten Nebenwir- kungen. Die sind außerhalb dieser Impfreakti- on. Wenn zum Beispiel Menschen durch so

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eine Impfung einen epileptischen Anfall krie- gen oder Langzeitschäden haben – was frag- lich ist, weil man viele Fälle hat, wo man solche Langzeitschäden dann beurteilen kann. Das sind dann die richtigen Nebenwirkungen. Die sind es auch, worauf wir achten müssen und weswegen diese umfangreichen Studien ge- macht werden.

Ob es jetzt an der Einstichstelle mehr oder weniger wehtut, das ist sicherlich wichtig. Zum Beispiel auch für Unternehmen, die jetzt Kin- der-Impfstoffe herstellen, das ist für die Markteinführung natürlich ein Riesenunter- schied, wenn es beim einen häufiger Schmer- zen gibt als beim anderen. Aber ich glaube, hier bei Covid-19 wird es auf solche Kleinigkei- ten nicht so sehr ankommen.

Camillo Schumann:

Aber widersprechen nicht gerade diese Lang- zeitnebenwirkungen der Hektik, die wir gerade machen, dass wir das dann auch wirklich aus- schließen können?

Alexander Kekulé:

Ich habe das Gefühl, dass wir in Europa mit Augenmaß machen. Es gab zwar so einzelne, die dann gesagt haben: Im Herbst fangen wir zu impfen an, auch in Deutschland. Aber das hat sich beruhigt. Die Menschen haben inzwi- schen verstanden, dass es ein Erfolg ist, wenn wir also auf breiterer Ebene nächstes Jahr im Juni anfangen. Und anfangen heißt noch lange nicht, dass wir die Risikogruppen oder die First Responders durchgeimpft haben.

Die Diskussion ist in den USA massiv. Da ist das jeden Tag mehrmals in den Nachrichten, weil der amerikanische Präsident – Sie wissen, am 2. November sind Wahlen – versprochen hat, dass bis dahin die Impfung beginnt. Und er hat auch schon seine Behörden angewiesen - das kann er ja machen - sich darauf vorzubereiten, dass jetzt Massenimpfungen noch vor der Wahl stattfinden. Und wenn Wissenschaftler in den USA jetzt sagen: Naja, so schnell geht es aber nicht. Wir müssen da vorher noch ein paar Prüfungen machen, dann beschimpfte er

die ja richtig aktiv und sagt, sie wollten seinen Wahlerfolg torpedieren.

Das ist eine Dynamik, die es in den USA oder auch in Ländern wie China oder Russland hat, wo man sich als Regime beweisen will und zeigen will: wir sind genauso gut wie der Wes- ten. Diese Dynamik hat es bei uns nicht. Und ich bin deshalb sehr zuversichtlich, dass bei uns das Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt den Riegel davor hat und den Impfstoff zulassen wird, wenn er wirklich nach den klassischen Kriterien zugelassen werden kann.

Camillo Schumann:

Das sind wichtige Stichworte, die gefallen sind. Ein Impfstoff ist weiter als alle anderen, zu- mindest auf dem Papier. Denn er wurde ja schon zugelassen. Es ist der russische Impf- stoff. Der wurde auch schon an Menschen getestet in seiner Wirksamkeit und seinen Nebenwirkungen. Die wurden jetzt in einer Studie dokumentiert und im Wissenschafts- journal „The Lancet“ veröffentlicht. Bevor wir jetzt auf die Daten eingehen: von wegen die Russen würden keine Daten preisgeben ... Die- ser Vorwurf wurde ja regelmäßig erhoben.

Alexander Kekulé:

In diesem Fall finde nicht, ich habe das Paper. Das ist ja jetzt am Freitag rausgekommen, ich habe es gesehen. Ich finde, in dem Fall ist es ordentlich dargestellt. Die Daten sind natürlich nicht üppig. Die sind ähnlich wie das, was wir schon vermutet und hier besprochen hatten, als die ersten Gerüchte durchgesickert waren. Aber ich finde, die haben das ordentlich ge- macht. Das ist nicht so, dass diese russische Studie schlampig oder schlecht wäre. Es ist halt einfach eine Phase eins Phase II, also die Wirk- samkeitsnachweis, der da steht noch aus.

22:49

Camillo Schumann:

Aber was getestet wurde, war die Verträglich- keit. Und welche Aussage kann man dazu tref- fen?

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Alexander Kekulé:

Die haben zwei Sachen gemacht. Die haben quasi Phase I/II gemacht, das heißt, sie haben die Phase I, wo nur die Verträglichkeit geprüft wird, zusammengefasst mit der Phase II, wo man konkret bei Impfstoffen nachsieht, ob Antikörper gebildet werden, also ob eine Wir- kung plausibel ist. Das wurde an zwei Kranken- häusern in Moskau gemacht. Das ist der Impf- stoff vom Gamaleja Institut, übrigens kein so schlechtes Institut. Die haben früher auch mal so etwas Ähnliches bei Mers entwickelt, das ist ein ähnliches Virus wie Sars, das hat meines Wissens bei Dromedaren gut funktioniert. Und das heißt: Die wissen schon ungefähr, was sie machen. Das ist ja so ein Impfstoff, der ge- macht wurde mit Adenoviren. Das heißt, das ist ein ausgehöhltes Virus, wo nur die Hülle des Virus da ist, letztlich ein bisschen Erbinformati- onen von dem Virus. Das Ganze spritzt man in die Schultermuskulatur wie andere Impfstoffe auch. Der Unterschied ist, dass dann die eige- nen Muskelzellen dort, also der Körper selbst, anfängt, solche Spike-Proteine zu produzieren, also den Teil von dem Corona-Virus, den das Immunsystem erkennen kann. Da stürzen sich natürlich die Immunzellen drauf, und es kommt dann zu einer Immunisierung. Die ha- ben ja da zwei verschiedene Adenoviren ge- nommen. Denn das Problem bei den Adenovi- ren ist: Wenn es menschliche Viren sind, die gibt es ja auch, machen die Erkältungen, hauptsächlich im Kindesalter. Und da haben sie jetzt zwei verschiedene Typen genommen. Adeno 5, der ist relativ häufig und Adeno 26, der kommt seltener vor. Aber trotzdem ist es so, dass man auch gegen dieses Vehikel, wenn ich mal so sagen darf, immun sein kann. Und dann wirkt der Impfstoff nicht. Stellen Sie sich vor, Sie haben mit einem Adeno 5 als Kind mal eine Infektion durchgemacht, haben dagegen Antikörper. Es kommt einer mit einem Adeno 5, was so verändert ist, dass das eine Immuni- sierung gegen Covid herbeiführen soll. Dann wird es sofort vom Immunsystem weggefan- gen. Dieses Verfahren heißt auf Englisch Prime boost, d.h. man macht so eine erste Impfung und hinterher so eine Booster-Impfung, eine

Verstärkung. So ähnlich macht man das bei Kindheitsimpfungen auch, dass man zweimal impft, eben weil man weiß, da gibt es einen stärkeren Effekt. Aber bei dem Adenovirus, also bei den viralen Vektoren, ist eben wieder das Problem: Mit dem gleichen Impfstoff kann man da nicht noch mal impfen, weil der Körper bei der ersten Impfung eine Immunität gegen diesen Vehikel entwickelt. Deswegen haben sie diese zwei verschiedenen geben, erst mal die- ses Adeno 26 und drei Wochen später des Adeno 5. Das hat gut funktioniert.

Die haben Nebenwirkungen wie bei den ande- ren auch. Es gibt vom Jenner Institut in Oxford so einen ähnlichen Impfstoff, der auf Schim- pansen-Adenoviren aufgebaut ist. Eben des- halb Schimpansen, weil der beim Menschen nicht vorkommt. Und auch der hat eine relativ starke Impfreaktion, also häufige Schmerzen bei der Hälfte der Menschen, erhöhte Tempe- ratur, auch die Hälfte, so bis 38°C, Kopf- schmerzen bei ungefähr 40 Prozent. Das ist jetzt nicht von Pappe, wenn man sich das in der Kinderarztpraxis so vorstellt.

Aber diese Messenger RNA-Impfstoffe, die da sehr weit sind, haben auch so hohe Nebenwir- kungen. Also sieht es so aus, als wären diese ganzen Covid-19-Impfstoffe nicht von der sanf- ten Sorte. Und man hat eben bei diesen Pati- enten gesehen, dass die alle Antikörper entwi- ckelt haben, also die Antikörper-Reaktion war da in Russland.

Camillo Schumann:

Also Antikörper, Schmerzen, dann auch Kopf- schmerzen waren mit dabei. Was mir aufgefal- len ist: Die Probanden, die waren verhältnis- mäßig jung, so um die 30. Sind die Probanden in dieser Phase der Impfstoff-Testung immer so jung. Und was sagt das über Ergebnis aus?

Alexander Kekulé:

Da nimmt man immer junge, gesunde. In dem Fall hat man sogar nur Männer genommen. Das scheinen die gewesen zu sein, die zuerst „Hier“ gerufen haben. Ein Teil kam vom Militär, wo Teile im Militärkrankenhaus gemacht wur- de. Man braucht nur wenige Probanden. Und

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wenn man nur so wenige braucht, das waren 76 Probanden, die man in zwei große Gruppen eingeteilt hat, nimmt man meistens Mitarbei- ter oder irgendwelche Wissenschaftler, die Spaß haben, mitzumachen.

Ja, das ist eben das typische in so einer Phase I/II-Studien. Da geht nur darum zu zeigen, dass das Prinzip wirkt. Man will nur beweisen, dass das Prinzip funktioniert. Und das sollte man mit solchen Probanden machen. Nicht, dass dann gleich der erste auf der Intensivstation liegt, wenn was schiefgeht. Und bei dieser Gruppe ist nichts schief gegangen, hätte ich auch nicht erwartet. Es ist ja so, dass man mit solchen Adenovektoren schon seit vielen Jah- ren Erfahrungen hat. Auch Langzeiterfahrun- gen gibt es: bestimmte Probleme, was das Immunsystem betrifft, was die vor Immunisie- rung betrifft. Ein Teil der Bevölkerung könnte von vornherein gegen den Vektor immun sein. Aber dass jetzt die Leute tot umfallen, wenn man da ausprobiert, ob der Impfstoff wirkt, war in dem Fall überhaupt nicht zu erwarten.

Camillo Schumann:

Was würden Sie abschließend zum russischen Impfstoff sagen?

Alexander Kekulé:

Wir haben jetzt mehrere große Fragezeichen. Es waren keine Alten dabei, es waren keine Kinder dabei. Und ich glaube, wenn ich die Daten so sehe, waren die von den Antikörpern, die gebildet wurden, etwas schlechter, als die beiden Konkurrenzprodukte, die es gibt. Die Dosis, die man verwenden musste, war aber auch hoch. Man musste fast doppelt so viele Adeno-Vektoren spritzen wie bei dem Jenner- Institute-Vektor. Aber trotzdem glaube ich: Irgendwie funktionieren wird der schon bei einem Teil der Bevölkerung. Die Frage ist nur: Wird man die Risikogruppen damit immunisie- ren können, speziell die Älteren. Und welcher Teil der Bevölkerung hat dann vielleicht doch vorexistierende Antikörper? Da kann es dann einerseits zu Impfversagern kommen, anderer- seits auch zu erheblichen Unverträglichkeiten. Wenn also da Antikörper da sind, dann kann es

auch zu so einer Art Immun-Enhancement, eine Art Verstärkereffekt, geben. Das ist dann wirklich eine unerwünschte Nebenwirkung. Das wird man sehen. Die Russen wollen jetzt 3.000 Probanden als nächstes testen. Und ob zugelassen oder nicht ... das ist, glaube ich, mehr so ein Coup von Präsident Putin gewe- sen, dass er das zugelassen hat. Es heißt ja trotzdem noch nicht, dass es in ganz Russland verwendet wird. Sie wissen ja, der Sputnik fünf, der Impfstoff, das ist natürlich hat alles einen politischen Aspekt.

Camillo Schumann:

Wir werden im Podcast weiter einen Blick auf den russischen Impfstoff haben. Das war jetzt quasi der erste Aufschlag beziehungsweise der zweite nach der Ankündigung. Und wie dann die weitere Testphase verlaufen wird, wenn es Ergebnisse gibt, erfahren Sie im Podcast.

Da gibt es Bedarf auch hier bei uns in Deutsch- land, um den Bogen mal zu spannen. Es gibt nicht nur einen Test-Bedarf, sondern einen großer Redebedarf.

Es wird nämlich gerade viel diskutiert, wie man mit dem Coronavirus umgehen soll. Vor allem, welche Maßnahmen sinnvoll sind, welche man vielleicht auch ein bisschen nachjustieren soll- te. Unter anderem geht es um die Frage der Quarantäne- und Isolierungszeit. Einige Politi- ker haben eine Kürzung der Quarantäne gefor- dert. Ihr Kollege, der Virologe Christian Dros- ten, schlägt eine Mischung aus Quarantäne und Isolierung vor, nennt das Ganze dann „Ab- kling-Zeit“. Bevor wir in diese Diskussion ein- steigen, sollten wir einordnen, was eine Qua- rantäne und was eine Isolierung ist. Denn es gibt da einen kleinen, aber feinen Unterschied. In dem Fall ist es ein großer Unterschied.

30:50

Alexander Kekulé:

Die regelmäßigen Hörer dieses Podcasts wis- sen das: Wenn wir jemanden haben, der krank ist, Symptome hat, dann wird der isoliert. Das ist der Terminus technicus aus der Klinik.

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Und dann gibt es etwas, was die Gesundheits- behörden machen: Wenn sie Kontaktpersonen haben, von denen man noch nicht weiß, ob sie krank sind, also jemand, der nur in Kontakt war mit einem Erkrankten, aber keine Symptome hat, der ist in Quarantäne.

Das Wort kommt aus uralter Zeit, als die Pesti- lenz in Europa bekämpft wurde, allen voran natürlich die Pest und andere Krankheiten, die man dafür gehalten hat.

Da wusste man, wenn man jemanden 40 Tage lang einsperrt und er bekommt Symptome, irgendwelche Beulen zum Beispiel, dann ist er offensichtlich krank gewesen. Darum gab es diese Quarantänelager, also Quarantäne. Das kommt von den 40 Tagen von dem italieni- schen Wort für 40. Das ist hier aber natürlich schon mal das erste Problem. Weil wir bei Co- vid-19 die Situation haben, dass die Leute zum Teil keine Symptome bekommen. Da können sie sie ein Jahr lang einsperren. Also viele Er- krankungen, die relevant sind, die auch anste- ckend sind, haben ja keine Symptome. Das ist das Besondere hier. Oder sie sind sogar anste- ckend, bevor sie Symptome bekommen. So- dass diese klassische Idee mit der Quarantäne hier nur dann funktioniert, wenn man am Ende der Quarantäne entweder eine PCR macht – also guckt: ist der positiv mit Labormethoden – oder die Quarantäne so lang macht, dass man sagt: Okay, jetzt kann er absolut nicht mehr krank werden. Jetzt haben wir ihn quasi da solange gebrütet, das Schluss ist mit der Mög- lichkeit, dass er Covid-19 hat.

Camillo Schumann:

So zum grundsätzlichen Verständnis bei der Isolierung: Gibt es einen positiven Tests, und man isoliert diese Person, und bei der Quaran- täne hat man den eben nicht und man schaut, was draus wird?

Alexander Kekulé:

Es gibt ja viele Positive, die isoliert werden und auch keine Symptome haben. Da verwischt sich ein bisschen die Grenze. Ich glaube des- halb, weil das eben häufig sowohl als auch Menschen sind, die keine Symptome haben,

hat Christian Drosten gesagt: Lasst uns hier den gemeinsamen Begriff „Abklingzeit“ ver- wenden. Ich weiß nicht, ob der so glücklich ist. Der Begriff kommt ja aus der Kernenergie und impliziert so ein bisschen, dass alle gefährlich werden. Wobei ja die allermeisten Leute, die in diesem Abklingbecken wären, gar nicht infekti- ös sind, die sind ja in Quarantäne.

Ich bin jetzt epidemiologisch dafür, sauber zu trennen zwischen Quarantäne und Isolierung. Weil auch die wissenschaftlichen Überlegun- gen und die Grundlagen ganz andere sind,

Camillo Schumann:

Kommen wir zu dem Vorschlag ihres Kollegen. Er hatte in der „Zeit“ geschrieben, wie man einen zweiten Lockdown verhindern könnte. Er kapriziert sich da auf so genannte Clusterbil- dung und schreibt: „Schaut man sich neuere Daten zur Ausscheidung des Virus an, reicht eine Isolierung der Cluster-Mitglieder von fünf Tagen. Dabei darf das Wochenende mitgezählt werden. Ich würde diese Mischung aus Qua- rantäne und Isolierung Abklingzeit nennen, um die Begrifflichkeiten nicht zu verwässern. Am Ende dieser fünf Tage – und nicht vorher – testet man die Mitglieder des Clusters. Solch eine pauschale Regelung für Cluster ist zu ver- kraften und allemal besser als ein ungezielter Lockdown.“

Mit Clustern sind Gruppen gemeint, in denen es zu einer Virusverbreitung gekommen ist. Es kann ja eine Hochzeit, Geburtstagsfeier oder ein Fleischbetrieb sein, oder?

Alexander Kekulé:

Der Gedanke ist absolut richtig. Das kann man nur unterstreichen. Wir wissen von dieser Er- krankung übrigens genauso wie von Sars 2003 eigentlich von Anfang an, dass es eine Ausbrei- tung in Clustern gibt. Ich habe das immer ver- glichen mit diesen Hornissennestern, die wei- terfliegen. Und wenn man die unter Kontrolle kriegt, ist schon viel gewonnen.

Es gibt die eine Strategie, die wir hier vorge- stellt haben, dass man Cluster proaktiv verhin-

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dert, indem man Situationen vorher identifi- ziert, in denen sie entstehen könnten.

Aber es gibt auch die Strategie, quasi reaktiv, dann zu sagen, wenn ein Cluster aufgetreten ist, was mache ich damit? Und das ist hier ganz sicher ein wichtiger Hinweis, dass die Gesund- heitsbehörden sich speziell auf diese Cluster- Nachverfolgung konzentrieren sollen. Ich glau- be, er hat auch selber geschrieben, dass die Behörden das machen.

Camillo Schumann:

Jetzt die Frage: Ist das eine gute Idee: Erst einmal alle fünf Tage daheim lassen und da- nach testen.

Alexander Kekulé:

Da muss man wirklich unterscheiden zwischen Quarantäne und Isolierung. Also diejenigen, die in Quarantäne sind, haben nicht immer, aber typischerweise nach fünf Tagen ungefähr die Symptome. Das ist diese Inkubationszeit. Am Anfang war so die Idee, dass die Inkubati- onszeit 14 Tage oder länger sein könnte. Da- rum hatte man diese 14-tägige Quarantäne am Anfang. Aber ich glaube, auch in diesem Po- dcast haben wir doch sehr frühzeitig immer gesagt, dass ein typische Inkubationszeit fünf Tage sind. Aber typisch heißt ja, das ist das häufigste Ereignis. Das heißt, dass es genauso sechs Tage ist und etwas seltener sieben oder acht Tage sein können. Dass da einer noch Symptome kriegt, ist noch seltener. Dabei be- zieht sich „typischerweise“ auf diejenigen, die Symptome haben. Jetzt gibt es ja welche, die keine Symptome haben. Da hat das kaum je- mand so genau untersucht. Was ist mit denen nach fünf Tagen oder nach zehn Tagen? Wann genau hört die PCR auf, positiv zu werten? Oder wann kann man das nachweisen? Klar ist, dass in der PCR Positive tendenziell stärkere Symptome haben. Also die, die deutlichere Symptome haben, sind auch tendenziell in der PCR leichter nachweisbar. Ich glaube, hier die- se typische Inkubationszeit von fünf Tagen zu nehmen und zu sagen, danach sind die in der Regel nicht mehr positiv, sie kriegen es nicht mehr, wenn sie es nicht haben, wäre mir zu

riskant. Das würde ich einfach nicht riskieren, auf so eine Quarantäne-Zeit von fünf Tagen von 14 runterzugehen.

International wird diskutiert, dass man von den 14 Tagen, die man bisher hatte, auf zehn Tage runtergeht. Das wird eigentlich in vielen Berei- chen so gemacht. Es ist auch gut durch Daten gestützt. Es gibt mehrere Studien, die unter- sucht haben, wann die Leute noch positiv wer- den, leider nicht mit großen Patientenzahlen. Aber tendenziell ist es so, dass man mal höchs- tens zehn Prozent übersieht, wenn man von 14 auf zehn Tage runtergeht. Wahrscheinlich we- sentlich weniger, sodass ich sagen würde: So- was kann man machen. Denn das ist eine Ab- wägung zwischen wirtschaftlichen Interessen, persönlichen Freiheiten und medizinischer Sicherheit.

Wo ich auf keinen Fall zustimmen kann: Ich habe den Vorschlag von Christian Drosten auch gelesen ist, dass man die Leute unter Umstän- den nach fünf Tagen Quarantäne auch ohne testen rauslässt, wenn sie keine Symptome haben. Hier ist es ja nun wirklich so, dass wir eine Erkrankung haben, die häufig – und es zeigt sich in letzter Zeit immer deutlicher - vielleicht sogar sehr häufig asymptomatisch verläuft um. Es ist auch so, dass die Menschen, wenn Sie jetzt wissen, ich muss dann länger in Quarantäne bleiben, vielleicht nicht so moti- viert sind zu sagen, dass sie gerade mal heute Morgen ein bisschen Kopfschmerzen hatten oder Ähnliches oder ihnen der Hals mal ge- kratzt hat. Das heißt also, da in Aussicht zu stellen, falls die Kapazitäten nicht ausreichend sind, zu sagen, nach fünf Tagen könnten alle wieder nach Hause, wäre mir zu riskant. Und ich muss auch ehrlich sagen, ich kenne keine Daten dazu. Aber das Thema wird viel unter Kollegen auch diskutiert, nachdem der Vor- schlag in der Welt ist. Da fragen sich einige, wo die Daten sind, die, die das begründen.

Camillo Schumann:

Dazu kommen wir gleich. Er schreibt selbst: „Eine Beendigung der Abklingzeit ohne Test wäre in Krisenzeiten denkbar, denn die Cluster-

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Strategie arbeitet ohnehin mit Restrisiken. Alle Beteiligten müssten akzeptieren, dass man in Krisenzeiten nicht jede Infektion verhindern kann.“ Herr Kekulé, Sie sagen ja auch immer: Wir brauchen Maßnahmen, die vor dem Kom- ma Sinn machen und nicht hinter dem Komma.

Alexander Kekulé:

Ja, natürlich. Wir arbeiten alle mit Restrisiken. Das ist doch ganz klar. Also dieses Smart- Konzept, was ich mal im März aufgestellt habe, das impliziert ja auch, dass man statt Lock- down diese fünf Maßnahmen des Smart- Konzepts hat und dadurch eine kontrollierte Durchseuchung eines Teils der Bevölkerung in Kauf nimmt. Da muss man eben gut aufpassen, wer da infiziert wird.

So gesehen ist es ein Restrisiko, was man be- wusst in Kauf nimmt. Dass die Diskussion an der Stelle noch einmal aufgeführt wird, finde ich sinnvoll. Die Frage ist aber, wen stecken die Leute dann an? Und praktisch gesehen: Wie stelle ich mir das vor? Also woher weiß das Gesundheitsamt, wenn es jetzt nicht testet – die Idee ist ja nicht zu testen, sondern statt- dessen die Quarantäne zu machen – woher weiß das Gesundheitsamt eigentlich, wer zu dem Cluster gehört? Denn bisher sagt man ja: Wir haben 15 Minuten enger Kontakt, weniger als 1,5 Meter. Das ist ein Grund für Quarantä- ne. Das könnte man durchaus mal überdenken. Sie wissen, dass sich dieser 15 Minuten-Regel des Robert-Koch-Instituts ein bisschen skep- tisch gegenüberstehe, die auch die Basis ist, übrigens für diese Tracing-App, die in den Handys drinnen ist und dass man da mal drüber nachdenkt, ob das sinnvoll ist? Aber wer ist der Cluster? Muss dann die ganze Schu- le in Quarantäne gebracht werden, wenn ein Positiver ist oder nur eine Klasse. Aber der Lehrer hat auf jeden Fall Kontakt zu anderen Klassen gehabt. Also wo genau hört der Cluster auf? Bei Tönnies war es ja so: Da haben wir so einen Cluster par excellence gesehen. Ich glau- be, den größten in Deutschland, der bisher untersucht wurde. Da gab es initial an einem Arbeitsplatz einen Großteil der Menschen, die infiziert waren und dann im weiteren Umfeld

und plötzlich in der ganzen Firma. Da war ei- gentlich die ganze Firma ein Cluster in kürzes- ter Zeit. Und das Gesundheitsamt kommt jetzt da rein, hat vielleicht ein, zwei Positive. Woher weiß man, dass das überhaupt ein Cluster war? Und woher weiß man, wo der Cluster aufhört? Daher sehe ich es nicht praktisch umsetzbar. Aber vielleicht muss man es noch diskutieren. Ich sehe praktisch nicht, wie das funktionieren soll und hilfreich sein soll.

Camillo Schumann:

Auf der anderen Seite: Sie haben es schon angesprochen. Gibt es denn überhaupt eine wissenschaftliche Grundlage, mit der man dann über eine Verkürzung der Quarantäne nachdenken kann?

Alexander Kekulé:

Ich kenne keine. Es ist so, dass wir im Gegenteil eigentlich eine Situation haben, wo man sagen muss, es gibt definitiv Menschen, die länger als fünf Tage später Symptome entwickeln. Und es kommt eben immer so ein bisschen auch da- rauf an, mit dem Risiko, was man in Kauf nimmt. Es wäre ja eine gewisse Vereinheitli- chung. Wir haben ja – ohne dass die Bundes- regierung das kommuniziert hat, was der Bun- deskanzlerin persönlich vorgeworfen wurde – eine Änderung der Strategie gemacht: Bei Rei- serückkehrern hieß es ja zuerst immer: Ihr müsst zwei Wochen in Quarantäne. Und dann hieß es plötzlich: Der Test alleine reicht. Nega- tiver Test heißt keine Quarantäne. Da hat man dann irgendwann korrigiert und gesagt: Mo- ment mal, da könnte sich auch jemand, wenn er am Flughafen getestet wird, am Tag vorher infiziert haben, also noch in der Inkubationszeit sein. Und dann hat man gesagt: Okay, neuer Plan: fünf Tage nach Einreise müsst ihr den Test machen. Das ist immerhin schon ein biss- chen plausibler. Aber diejenigen, die fünf Tage nach Einreise negativ sind, müssen ja nicht mehr in Quarantäne, weil man sagt: Ihr seid jetzt sozusagen freigesprochen. Die Wahr- scheinlichkeit, dass ihr euch im Urlaub infiziert habt, ist gering genug, dass wir euch rauslas- sen. Dieses Risiko tragen wir. Es die Population der Menschen, die einfach nur im Urlaub war,

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auch in einem Risikogebiet, ist sowieso nicht so hoch infiziert. Also zwei Prozent waren sie in der Stoßzeit, wo man Menschen hatte, die aus dem West-Balkan, aus der Türkei, zurückka- men. Da hatte man an der bayerischen Grenze bis zu zwei Prozent Infizierte von denen, die man getestet hat.

Jetzt muss man sich vorstellen, wie ist es in einer Situation, wenn ich Kontakt hatte. Also wenn ich unmittelbare Kontaktpersonen bin. Dann ist das, was hier zählt, die sogenannte Secondary Attack-Rate, also die Frage wie viel Prozent der Kontaktpersonen werden ange- steckt? Und da gibt es unterschiedliche Schät- zungen. Das hängt auch davon ab, wie eng man sich war. Aber die liegt immer so in der Größenordnung von 20 Prozent plus X. Das heißt also nicht mehr zwei Prozent, sondern 20 Prozent der Menschen aus dem Cluster sind wahrscheinlich infiziert. Bei Tönnies waren es in diesem Kühlraum viel mehr.

Und ob man jetzt bei so einem hohen Risiko, also dem Risiko eines Cluster-Mitglieds – wir wissen, diese Superspreader-Ereignisse sind das Gefährlichste, was wir überhaupt haben bei Covid-19 – also jemandem, der bei einem Super-Spreader-Ereignis dabei war zu sagen: Okay, nach fünf Tagen einen Test und du gehst nach Hause, als wäre er nur im Risikogebiet im Urlaub gewesen, wo er sich vielleicht vernünf- tig verhalten hat, da vergleicht man Äpfel mit Birnen. Und das muss man wirklich diskutieren, ob man dieses Risiko gerade bei den Super- spreader-Ereignissen eingehen will.

Camillo Schumann:

Um noch einmal auf die Quarantäne zu kom- men und die Diskussion um die Verkürzung. Deutschland 14 Tage, EU-weit zehn. Deutsch- land hat da noch 4 Tage draufgelegt. Frank- reich will die Quarantänezeit im Vergleich zu Deutschland sogar halbieren auf nur noch sie- ben Tage, hat der französische Gesundheits- minister heute vorgeschlagen. Dass an der Quarantänezeit gerüttelt wird, ist relativ klar. Auch das Robert-Koch-Institut soll sich dem- nächst dazu äußern. Jedenfalls wurde es auch

von der Politik aufgefordert. Wie würde Ihre Empfehlung aussehen?

Alexander Kekulé:

Meine Empfehlung ist ja schon seit Monaten auf zehn Tage zu gehen. Das halte ich für an- gemessen. Und das wird in Großbritannien auch gerade diskutiert: Zehn Tage oder acht Tage. Und das sind immer die wirtschaftlichen Interessen, die auf der anderen Seite der Waagschale sind. Ich würde da kein Risiko ein- gehen.

Ich finde, das Problem ist doch ein ganz ande- res. Das Problem ist doch: Ein Teil der Men- schen macht es einfach nicht mit. Und da ist es egal, ob sie fünf oder acht oder zehn Tage Quarantäne machen. Wissenschaftlich be- gründet wäre auf jeden Fall zehn Tage in der jetzigen Situation. Und dass einige nicht mit- machen, werden sie die auch nicht damit ein- fangen, indem sie ihnen sozusagen anbieten: Schau her, jetzt sind es nur noch fünf Tage. Ich glaube, das ist eine grundsätzliche Haltungs- frage.

Camillo Schumann:

Wir haben die ganze Zeit über Quarantäne gesprochen. Und Sie haben sich für die Verkür- zung auf zehn Tage ausgesprochen. Wie sieht es denn mit der Isolierungszeit aus? Soll daran gerüttelt werden?

45:29

Alexander Kekulé:

Bei der Isolierung haben wir gute Daten, weil das Patienten sind, die untersucht worden und positiv sind. Und dann macht man das dann regelmäßig, sodass man noch mal guckt, ist das Virus noch da? Hier gibt es etwas, was wichtig ist: Dass wir ja tatsächlich mit der PCR das Virus noch nachweisen, wenn es gar nicht mehr vermehrungsfähig ist. Das sind quasi Trümmer dieses Virus auf der Schleimhaut, wahrscheinlich sind ein Teil der Leute noch PCR-positiv nach zwei Wochen, aber definitiv nicht mehr ansteckend. Da gibt es eine Studie. Die ist die Basis für das, was man seitdem ent-

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scheidet, oder zwei Studien. Die eine ist in der „Nature“ erschienen, schon im Mai. Da haben wir auch schon darüber gesprochen. Das war diese von der Hongkong University und Guang- zhou in China, wo man festgestellt hat, wie lange diese Personen infektiös bleiben. Das war die, wo an einer Stelle ein Rechenfehler passiert ist und die Schweizer das dann korri- giert haben. Das hat aber nichts mit der Frage zu tun, wie lange jemand den Virus ausschei- det.

Und es gibt eine zweite große Studie, die schon am 22. Mai in Kanada erschienen ist, aus Mani- toba. Da hatte man insgesamt 90 PCR- positive Patienten. Das ist die größte Zahl, glaube ich, die jemals untersucht wurde. Da hat man ge- checkt, wie viel von denen haben überhaupt anzüchtbares Virus, also wo kann man aus dem Material das Virus vermehren? Und es war nur bei 26 von den 90 vorhanden, also einer relativ kleinen Zahl. Das haben die sich dann genauer angeschaut und festgestellt: Wenn in der PCR dieser Wert, mit dem die PCR gemessen wird, mit dem man feststellt, ob die PCR positiv ist oder nicht, wenn dieser PCR-Wert über 24 steigt, das heißt ganz wenig Virus drinnen ist, dann kann man normalerweise kein Virus mes- sen und in dieser Studie nachweisen. Und auch wenn die Zeit zwischen dem Auftreten der Symptome und dem Test größer als acht Tage ist, also neun Tage plus X, auch dann kann man normalerweise kein Virus mehr nachweisen. Die Autoren dieser Studie waren deshalb der Meinung, dass man das noch einmal überprü- fen muss, ob man wirklich 14 Tage lang die Menschen in Isolierung halten muss, weil man zwar nach 14 Tage noch in der PCR etwas sieht, aber eben das Virus nicht mehr anzüch- ten kann. Das heißt, sie sind wohl gar nicht mehr infektiös. Und daraufhin hab die ameri- kanischen Gesundheitsbehörde CDC gesagt: Okay, wir senken diese Isolierungszeit von 14 auf zehn Tage.

Da haben wir hier schon mal darüber gespro- chen, und vor kurzem hat das Robert-Koch- Institut nachgezogen und gesagt: Okay, für die Isolierung gehen wir jetzt auch auf zehn Tage.

Und das ist eigentlich weltweit der Standard, dass man auf zehn runtergegangen ist wegen dieser und ähnlicher Studien.

Ich kenne jetzt definitiv keine andere Studie, die es erlauben würde, die Isolierung auf fünf runterzusetzen. Das müsste begründet wer- den, aufgrund welcher Datenbasis so eine Empfehlung abgegeben wird.

Camillo Schumann:

Also halten wir fest, es ist einfach zu merken: Quarantäne zehn Tage, Isolierung zehn Tage. Und das wäre sozusagen der Zeitraum, mit dem man leben könnte.

Alexander Kekulé:

Das ist das, was jetzt nicht nur mein Privatvor- schlag ist, sondern wo ich sagen muss, wo in- ternational die Kollegen alle mitgehen. Alles, was sportlicher ist, passiert auf Druck von poli- tischen Entscheidungsträgern und kommt nicht aus der Wissenschaft.

Und ich glaube, das ist wichtig, dass wir Wis- senschaftler unsere Vorschläge in der Fachwelt diskutieren und nicht über politische Kanäle verwässern, weil es wichtig ist, dass die Wis- senschaftler weltweit eine klare Position ha- ben. Und die muss datenbasiert sein. Dass das dann die Politik manchmal etwas anderes macht, ist einfach so. Damit muss man leben. Das tut auch manchmal weh als Forscher. Ich mache seit Jahrzehnten Politikberatung. Aber ich glaube, wir sollten nicht so weit gehen, dass wir in vorauseilendem Gehorsam sozusa- gen uns Gedanken machen, wie man politisch - wissenschaftliche Kompromisse machen könn- te.

Camillo Schumann:

Das lassen wir mal so stehen und kommen damit zu den Hörer-Fragen in dieser Ausgabe. Herr W. hat angerufen:

„Mein Sohn ist 14 Jahre alt und hat Hals- schmerzen und Erkältungssymptome, aber kein Fieber. Wir haben ihn heute vorsorglich nicht in die Schule geschickt. Aber ein Corona- Test wurde dort nicht verlangt. Das ist für mich auch okay. Wir werden das weiter beobachten.

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Meine Frage zielt aber da hin: Wie kann es sein, dass trotz der Vorsorgemaßnahmen in der Schule sich Erkältungsviren so stark ver- breiten. Oder sind Reno-Viren so viel mehr ansteckender als Corona-Viren? Ich habe dazu im Netz keine guten Informationen gefunden. Für eine Antwort wäre ich dankbar.“

50:41

Alexander Kekulé:

Eine kluge Frage! Ich frage mich das auch, denn seit meine 5-Jährige in der Kita ist, die jetzt auch schon wieder anfängt, Krankheiten nach Hause zu bringen. So viel ansteckender sind die nicht. Vor allem wenn man jetzt kon- sequent diese Schutzmaßnahmen machen würde. Und wenn sie funktionieren würden, die gegen Covid-19 eingerichtet werden, dann müsste man zumindest eine drastische Ab- nahme der Fälle auch bei den anderen Erkran- kungen sehen. Im Lockdown war das ja tat- sächlich so. Da konnte man wirklich zeigen, dass andere Infektionskrankheiten fast auf Null runtergegangen sind. Ich befürchte, dass wir eben im Herbst zwei Effekte sehen werden: Erstens werden wir sehen, wie löchrig das Schutznetz ist, was man in Kitas und Grund- schulen aufgespannt hat, daran, dass andere Infektionskrankheiten kommen. Und wir wer- den immer wieder vor dem Problem dann ste- hen: Ja, jetzt hat das Kind noch ein bisschen Kratzen im Hals. Aber als nächstes kriegt es vielleicht Fieber und fängt an zu husten. Das kann beim Adenovirus durchaus passieren. Was macht man dann? Dann wäre die Wahl eben: zehn Tage Quarantäne zu machen und zu gucken, ob sich irgendwie Covid-19 ausbrü- tet. Das würde man kaum feststellen vor dem Hintergrund einer Adenovirus-Infektion zum Beispiel. Oder eben fünf Tage und dann testen. Das halte ich auf jeden Fall für sinnvoll. Oder eben vielleicht noch schneller. Weil die Symp- tome schon da sind, mache ich sofort einen Schnelltest. Also ganz ohne testen werden wir den Spagat nicht hinbekommen. Sonst sind ganz schnell wieder die Schulen und Kitas leer.

Camillo Schumann:

Aber was schon interessant ist: Man hat Hygi- enekonzept, unterschiedliche Eingänge. Da geht man raus, da kommt man rein. Dann werden Cluster gebildet, Gruppen gebildet. Und trotzdem erkälten sich die Kinder und Jugendlichen aber nicht mit Covid, sondern eben mit einer ganz normalen Erkältung. Wie kann das sein?

Alexander Kekulé:

Das ist eben so, weil diese Systeme löchrig sind und vieles davon auch nur Gestik ist. Ich habe den Eindruck, dass gerade wenn wir jetzt hier über Risiken sprechen - heute ist durch den Vorstoß von Christian Drosten über die Frage noch einmal gesprochen worden - wieviel Risiko nehmen wir als Gesellschaft in Kauf? Da muss man sagen: Dieses ganze Händewaschen und Desinfizieren, dass dieser Teil der Kontak- tinfektionen nur einen kleinen Teil der Infekti- onen ausmacht.

Und wenn ich jetzt noch eins draufsetzen und die Idee von Anthony Fauci, dem bekannten Infektionsmediziner aus den USA mit reinneh- men, der sagt: Es könnte sein, dass es mit der Infektionsdosis zusammenhängt, ob schwere oder leichte Verläufe stattfinden, oder anders gesagt, dass man also nur bei Inhalation einer großen Menge Virus richtig schwer krank wird. In der Regel ist das ganze Händewaschen viel- leicht sogar kontraproduktiv, weil ich die leich- ten Infektionen, die mich nur immunisieren, damit verhindere. Das ist ein Riesenfeld, wo wir in der nächsten Zeit praktische Erfahrun- gen in den Kindergärten und Schulen sammeln werden.

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 105. Vielen Dank, Herr Kekulé.

Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé:

Gerne, bis Donnerstag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns:

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mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00. Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 05.09.2020 #104: SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

[0:00:03] : MDR Aktuell - Kekulés Corona-Kompass

[0:00:10] : Camillo Schumann

Hält sich das Virus in alten Möbeln?  Warum müssen wir Abstand halten? Fußballer dürfen sich aber umarmen

und gemeinsam jubeln.  Drei oder fünf Tage Inkubationszeit.

Was gilt denn nun?  Und bei welcher Gelegenheit sind die

Coronaviren auf den Menschen über- gegangen?

Damit herzlich willkommen zu einem Hörerfra- gen-Spezial. Die Fragen kommen wie immer von Ihnen und die Antworten vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Ke- kulé. Guten Tag, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Herr Schesa ist großer Fußballfan. Er hat uns geschrieben: „Fußball wird am Fernseher von sehr vielen Menschen gesehen. Warum aber tun die Sportler etwas, was wir alle nicht tun sollten? Hände reichen, umarmen und nach einem besonders wichtigen Tor übereinander herfallen. Beispiel-gebend ist das ja nun nicht.“

[0:00:58

Alexander Kekulé

Tja, da hat glaube ich, bei dem berühmten Spiel als die Bayern das Triple gewonnen ha- ben. Da hat tatsächlich der Moderator an der Stelle gesagt, die wurden alle vorher getestet. Ich habe mir auch so ein bisschen gedacht, wie ich mich fühle als jemand, der nicht getestet wurde. Oder der, wo jeden Tag Kinder in der Kita übereinander herfallen wie die Fußballer, die aber nicht getestet werden. Das ist ein privilegierter Zustand, weil die Politik der Mei- nung war, dass Sportler, dass Sport wichtig ist für die Menschen. Insbesondere natürlich die Bundesliga. Weil andere Vereine, die nicht so von den Fernseheinnahmen leben. Die haben ja Riesenprobleme. Da hat man eine Ausnah- meregelung gemacht. Da kann ich nicht viel mehr dazu sagen. Ja, es ist eine Ausnahmere- gelung und eine gewisse Privilegierung.

[0:01:51]

Camillo Schumann

Und das sind die Tests die die Grundlage dafür sind, dass die Sportler daheim vor dem Fern- seher ein normales Leben führen können. Bei Stichwort Tests. Frau Hafenecker hat angeru- fen. Sie hört den Potcast schon länger, und ihr ist etwas aufgefallen.

[0:02:07]

Frau Hafenecker

In fast jeder Folge ist Herr Kekulé davon über- zeugt, er teilt seine Überzeugungen mit: Schnelltests, dass die eine gute Lösung wären. Mich würde es total interessieren, was denn dagegen spricht. Es muss ja irgendetwas ge- ben, weswegen diese Tests nicht durchgeführt werden. Was ist also das Gegenargument?

[0:02:28]

Alexander Kekulé

Da kann man nur spekulieren. Erstens ist es natürlich so: Die Ärzte sind gegen die Schnell- tests, weil die sagen, so etwas gehört in Ärzte- hand. Sowas dürfen nur Ärzte machen. Dass man in der Apotheke zum Beispiel sich den Blutdruck messen darf. Das hat ja einen erheb- lichen Widerstand gegeben. Da haben ganz viele gesagt: Das geht gar nicht. Das darf nur der Arzt machen. Apotheker dürfen keinen Blutdruck messen. Und die nächste Stufe war, dass Apotheker sogar einen Finger pieksen und Zuckertest und so etwas machen dürfen. Noch

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ein paar andere Sachen. Da gab es eine lange Diskussion von den Ärzten, weil die Ärzte ja das Behandlungs-Privileg haben. Nur jemand, der approbiert ist, darf jemanden behandeln. Ein Naturwissenschaftler darf das zum Beispiel nicht. Das ist auch juristisch ganz wichtig in Deutschland, weil unter Umständen so eine Behandlung dann als Körperverletzung ausge- legt wird. Eine Körperverletzung mit Einver- ständnis des Betroffenen. Das darf eben nur der Arzt machen. Aber nicht jedermann. Das zweite sind die Hersteller der Tests, die diese PCAs im Labor verkaufen. Die verdienen Milli- arden daran weltweit. Also richtig, richtig viel Geld. Die wären ja richtig dumm, wenn sie Schnelltests auf den Markt bringen, dann wür- den die ihr eigenes Geschäftsmodell kaputt- machen. Und dann sind die Politiker da, die stehen so zwischen den Wissenschaftlern. Da gibt es eben einige, zu denen ich offensichtlich gehöre, die schon immer sagen: Wir brauchen die Schnelltests. Und da gibt es aber andere, die sagen: Nein, das mit den Schnelltest das brauchen wir nicht. Und dass es gar nicht so sinnvoll, so viele zu testen. Es gibt aktuell die Diskussion, die so in den Raum gestellt wird seit einigen Wochen, dass man sagt: Man soll doch schwerpunktmäßig sich darauf konzent- rieren, Superspreader zu testen, also nur Su- perspreader-Ereignisse und sonst gar nicht mehr so viel zu testen. Sowas Ähnliches hat Donald Trump in den USA ausgegeben. Auch die CDC, die amerikanische Gesundheitsbe- hörde, hat kürzlich gesagt: So viel zu testen ist eigentlich gar nicht so gut. Da empfehlen Sie zum Beispiel von positiv Getesteten nicht im- mer die Kontakt-Personen in Quarantäne zu bringen oder auch zu testen. Also haben die das da so ein bisschen so zurückgefahren. Ihre Strategie hat eine riesen Gegenwelle bekom- men. Aber in der Wissenschaft gibt es eben auch Leute, die diskutieren, ob man das sinn- vollerweise damit eingrenzen kann oder nicht. Ich kann Ihnen ehrlich gesagt kein überzeu- gendes Gegenargumenten nennen, weil sonst wäre ich ja davon überzeugt.

[0:04:55]

Camillo Schumann

Aber zumindest die Gruppen-Gemengelage zusammengefasst. Herr Flade aus Berlin hat geschrieben. „Haben Sie eine Erklärung für die

unterirdisch niedrigen Influenza-Erkrankten auf der Südhalbkugel?“

[0:05:06]

Alexander Kekulé

Was die dort an Daten immer haben. Das sind typischerweise Australien, Neuseeland, das ist natürlich Südamerika, Teile Südamerikas. Dort ist es ja so, dass man vorgewarnt war, dass Covid19 im Anrollen ist. Die hatten ja noch vielmehr Vorwarnzeit als die Europäer und Afrikaner. Und natürlich haben die sich da halbwegs geschützt. Da kam deshalb sozusa- gen als Beifang das Influenza-Virus A. Es hat Schaden genommen, in dem Sinn, dass es sich nicht ausbreiten konnte. Das haben wir in Deutschland auch so ähnlich gesehen. Da gibt es ganz gute Zahlen, das eigentlich die ganz normalen Erkältungskrankheiten jetzt am Schluss der Saison, die wir hier hatten, deutlich zurückgegangen sind, dadurch, dass die Men- schen Schutzmaßnahmen wegen Covid19 er- griffen haben. Das ist für mich die Erklärung für die Influenza-Lage auf der Südhalbkugel.

[0:06:03]

Camillo Schumann

Bei uns war so schnell vorbei wie noch nie die Influenzasaison. Diese Dame hat ihre Frage auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen. Es geht um FFP2-Masken.

[0:06:26]

Zuhörerin

Ich dachte, die könnte man 4-mal in den Back- ofen stecken bei 70°C nach Gebrauch und dann entsorgen. Jetzt höre ich, dass die sensib- ler sein können. Wie lange kann ich die aufset- zen? Und wie oder überhaupt ob: Wie kann ich sie reinigen?

[0:06:37]

Alexander Kekulé

Also das kommt auf die Masken an. Da gibt es inzwischen ganz, ganz viele verschiedene Pro- dukte, die unterschiedliche Qualität haben. Ich weiß von einem Hersteller, der ein Standard- Hersteller immer war für Krankenhaus- Material. Zu der Zeit, als man das noch alles First-Class kaufen konnte. Die haben auf ihrer Webseite jetzt ein Protokoll veröffentlicht, wie man ihre Masken reaktivieren kann, also

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mehrmals verwenden kann, speziell für Kran- kenhauspersonal. Die haben das richtig aus- probiert, wie lange es geht und wie man das genau machen soll. Das müsste man mit jedem Hersteller machen. Und meistens sind es ja heutzutage neue Nebenprodukte, wo man nicht genau weiß, wo sie herkommen. Da müsste man das einzeln machen, weil das wirk- lich vom Material abhängt. Deshalb kann ich pauschal nicht sagen, wie das funktioniert und wie oft das funktioniert.

[0:07:29]

Camillo Schumann

Mit der Reinigung. Das ist ja eine sehr beliebte Frage, die immer wieder gestellt wird.

[0:07:36]

Alexander Kekulé

Die FFP2-Maske. Da würde ich ehrlich sagen, wenn die dicht ist. Also wenn ich merke, dass beim ganz normalen Atmen die Maske nicht mehr richtig zieht und ich also deutlichen Atem-Widerstand habe. Dann wird es erstens ungesund, weil das für die Lunge nicht so gut ist, gegen starken Widerstand zu atmen. Und zweitens wird es Zeit, die Maske einfach aus- tauschen. Dann würde ich sie wegschmeißen und eine neue kaufen. Inzwischen gibt es ja solche Masken wieder.

[0:08:06]

Camillo Schumann

Frau Mühlenhoff hat eine sehr spezielle Frage. Sie schreibt: „Gibt es Hinweise oder besteht überhaupt die Möglichkeit, dass eine Kreuz- Immunität von Menschen entwickelt wird durch Kontakt zu tierischen Coronaviren, die nicht als Zoonosen gelten? Könnten diese Vi- ren sich eventuell im menschlichen Körper vermehren, ohne eine Erkrankung auszulösen aber trotzdem eine Immunantwort hervorru- fen und vor Covid19 schützen? Mit freundli- chen Grüßen, Frau Mühlenhoff.“

[0:08:34]

Alexander Kekulé

Also, das wäre extrem selten der Fall. Wir ha- ben bei vielen Viren, die so im Tierreich vor- kommen, die Situation, dass wir bei Tierärzten zum Beispiel oder bei Tierpflegern. Gerade bei Tieren, die gehalten werden, bei Nutztieren.

Da ist es so, dass wir Antikörper sehen, ohne dass das eine bekannte Zoonose wäre. Bei diesen Coronavirus-Erkrankungen im Tierreich. Da gibt es eine ganze Reihe, die zum Beispiel bei Schweinen, bei Rindern auch bei Vögeln meistens, die dort Magen-Darm-Symptome machen, aber durchaus auch mal Atemweg- serkrankungen. Speziell bei Vögeln ist das nicht so selten. Wir sehen das ganz, ganz selten bei den Pflegern. Klar kommt das mal vor, wenn Sie jemanden haben, der intensiven Kontakt mit den Tieren hatte. Aber das wird nicht im größeren Stil dazu führen, dass wir irgendeine Art von Immunität in der Bevölkerung entwi- ckelt.

[0:09:29]

Camillo Schumann

Aber in der Theorie wäre es möglich?

[0:09:35]

Alexander Kekulé

Ja, rein biologisch ist es so. Ein Virus, das uns nicht infizieren kann. Das wäre ja so ein tieri- sches Coronavirus. Da gibt es, ich schätze mal 200 Arten in der Größenordnung. Und jetzt haben sie so ein tierisches Coronavirus. Und das befällt einen Menschen, wo es keine Chan- ce hat, sich zu vermehren. Dann heißt es ja trotzdem, dass das irgendwo auf der Schleim- haut erstmal landet. Und es wird vom Immun- system abgeräumt, weil das nicht richtig ando- cken kann. Weil es nicht richtig in die Zellen reinkommt oder vielleicht sogar, wenn es in die Zelle reinkommt, sofort erkannt und gleich erledigt wird. Und im Ergebnis davon sieht man manchmal irgendeine Art von Immunität. Das könnte rein theoretisch zumindest auf der Schleimhaut so eine lokale, sag ich mal, Kreu- zimmunität natürlich schon erzeugen. Wir ha- ben da besondere Antikörper, die auf der Schleimhaut eine Rolle spielen. IGA heißen die. Bei diesen IGA-Antikörpern gibt es auch manchmal Kreuzreaktivität. Das ist überhaupt nicht erforscht. Also das ist reine Spekulation. Ob das in diesem Fall so was gibt ... Mir ist kein Fall von einem Virus bekannt, wo man wirklich weiß, durch eine IGA Kreuzreaktivität, also durch eine reine Schleimhaut-Immunität. Wenn ich das mal so nennen darf. Dass das wirklich vor einem anderen Virus effektiv ge- schützt ist. Also rein theoretisch wird sowas

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sicherlich erforscht. Ich glaube, dass die Leute das jetzt interessiert. Weil das Thema Viruser- krankungen, die vom Tier auf den Menschen überspringen, davor haben ja einige Wissen- schaftler seit Jahrzehnten gewarnt. Das ist natürlich überall als Gefahr erkannt worden. Und deshalb wird es da auch mehr Untersu- chungen dazu geben. Aber im Moment kann ich nur sagen: Wir wissen es nicht. Möglich ist es, aber nicht sehr wahrscheinlich.

[0:11:26]

Camillo Schumann

Frau Schneider hört diesen Podcast schon sehr, sehr lange. Sie hat eine Frage zu einer Ausgabe, als wir über ein Ferienlager in den USA gesprochen hatten.

Frau Schneider

Da gab es zwei Gruppen. Die jüngere war hauptsächlich infiziert. Zum Zeitpunkt des Ab- bruchs waren die Kinder erst drei Tage im Feri- enlager. Jetzt wollte ich fragen: Wie kann das mit der Inkubationszeit in Übereinstimmung gebracht werden? Dass die Kinder nach drei Tagen infiziert waren. Eigentlich spricht man ja immer von fünf Tagen.

[0:12:04]

Camillo Schumann

Tja, was stimmt denn nun?

[0:12:06]

Alexander Kekulé

Man hat das ganz schnell abgebrochen. Aber es war so, dass der erste Fall schon vorher aufgetreten war. Das war in Georgia, dieses berühmte Camp, was so Wellen geschlagen hat, das war bis jetzt einer der ganz spektaku- lären Fälle. Und zwar war das so: Da ist eine Gruppe von Betreuern zuerst dagewesen. Die waren glaube ich eine Woche lang da. Und dann kamen die Kinder, die eigentlich diejeni- gen waren, die dieses Ferienlager machen sollten. Und es ist so gewesen, dass man an der Schnittstelle ... Kaum waren die Kinder da, ist der erste Betreuer krank geworden. Das hat von der Inkubationszeit schon gestimmt. Es war keine Inkubationszeit, die kürzer als fünf Tage war.

[0:12:45]

Camillo Schumann

Okay, also das ist sozusagen an der Definitio- nen, wie lange die Inkubationszeit dauert. Da- ran ist erst mal nicht gerüttelt worden?

[0:12:54]

Alexander Kekulé

Man muss es ja hier vereinfachen so ein biss- chen. Wenn man Epidemiologie macht, dann will man das nicht so akademisch machen. Man will praktische Anweisungen fürs Leben haben. Aber akademisch gesehen ist es so: Es gibt Fälle, wo wir vermuten, dass die Inkubati- onszeit bei zwei Tagen lag. Und es gibt andere Fälle, Extremfälle, wo es sogar bis zu drei Wo- chen dauerte. Das ist umstritten, weil der ein- zelnen Fall nie so exakt untersucht wurde, dass man wirklich sagen kann: Ja, das ist jetzt be- wiesen. Aber der Verdacht bestand immer, dass die Inkubationszeit bis zu drei Wochen sein kann. Aber nur in extremen Ausnahmen. Darum hat man sich auf diese 14 Tage Quaran- täne geeinigt. Inzwischen ist die Tendenz ja die, dass man innerhalb der 14 Tage Quaran- täne nach fünf Tagen ein Test macht und dann sagt: Okay, wenn du negativ bist, darfst du wieder raus. Das ist ja schon eine deutliche Lockerung dieser Maßnahmen zu vorher. Und auch wenn jemand krank war, ist es ja so, dass man am Anfang gesagt hat: Er muss mindes- tens zwei Wochen nach Abklingen der Symp- tome noch in Quarantäne oder Isolierung blei- ben. Und inzwischen hat man das reduziert auf zehn Tage. Also, das heißt also, man lenkt es jetzt ein. Nicht weil es keine Ausnahmen gibt, sondern weil man einfach sagt: Mensch, wenn ich da 95 Prozent der Fälle damit abgreife, dann muss ich nicht alle mit verlängerten Qua- rantänen und Isolierungsmaßnahmen quälen, wegen der paar, die man dann nicht erwischt.

[0:14:17]

Camillo Schumann

Herr Füllenbach hat geschrieben. Er ist Kinder- arzt. „Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr über die normale Berufsbekleidung? Wir sind eine größere Kinderarztpraxis und führen schon seit Anfang April recht intensive Testungen bei Kindern durch. Wir testen zwar inzwischen nicht mehr jeden Schnupfen, haben aber an die 800 Abstriche bei Kindern mit Husten,

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Schnupfen, Fieber durchgeführt. In Testzen- tren sind die Mitarbeiter immer komplett ver- mummt. Sie tragen Kittel, Brille, Handschuhe und Haube. Ist das aus Ihrer Sicht zwingend notwendig? Wir arbeiten bei den infektiösen Kindern teilweise auch den ganzen Tag mit FFP2-Maske und auch hin und wieder mit Bril- le. Aber ist das Tragen eines Kittels, einer Hau- be zwingend erforderlich?“

[0:14:58]

Alexander Kekulé

Das ist eine schwierige Frage. Also ich schätze mal, dass das Gesundheitsamt da seine Vor- stellungen hat, weil die ja heute in den Bun- desländern relativ genau den Arztpraxen sa- gen, wie sie es zu tun haben. Ganz allgemein kann man sagen, die Schutzkleidung bei sol- chen ärztlichen Maßnahmen hat den Zweck, vor direktem Tröpfchen-Flug zu schützen. Das heißt, wenn ich dem Kind einen Tupfer in den Rachen oder gar in die Nase schiebe, dann kommt es eben dazu, dass das Kind niest oder hustet oder Ähnliches. Und oder es schreit, was natürlich auch Tröpfchen produziert. Und wenn das alles als Nebel in meine Richtung fliegt, dann will ich natürlich nicht, dass ich das auf der Backe habe, auf der Nase und sonst wo. Sondern dann ist es besser, geschützt zu sein. Das Gleiche gilt für den Kittel. Natürlich könnte man pragmatisch sagen: Bei mir schrei- en die Kinder normalerweise nicht. In 99 Pro- zent der Fälle kriege ich das sauber hin. In so einem Fall, würde ich dann als Arzt sagen: Okay, das sieht auch irgendwie besser und netter aus dem Patienten gegenüber, wenn ich da nicht so komplett vermummt wie im Ebola- Zentrum rumlaufe. Ich hab halt ein normales T- Shirt an und im Schrank drei oder vier zum Auswechseln. Und wenn mich wirklich mal ein Kind anniese, dann muss ich schnell rausgehen, mir ins Gesicht gründlich waschen, neues T- Shirt anziehen und komme wieder zurück. Die Variante gibt es durchaus.

[0:16:23]

Camillo Schumann

Herr Riedel hat geschrieben: „Wann und bei welcher Gelegenheit sind eigentlich die vier anderen Coronaviren auf den Menschen über- gesprungen? Warum verbreitet die sich so langsam, sodass bisher nicht allzu viele Men-

schen mit ihnen in Kontakt gekommen sind? Viele Grüße Herr Riedel.“

[0:16:36]

Alexander Kekulé

Ach die haben sich schnell verbreitet, also die- se vier anderen Coronaviren, die bei den Men- schen eine Rolle spielen. Vielleicht gibt es übri- gens noch mehr. Wahrscheinlich sind die schon seit Jahrtausenden mit dem Menschen irgendwie in Kontakt und haben sich weltweit verbreitet. Also es ist so, dass wir auf allen Kontinenten Antikörper gegen diese Viren nachweisen können. Und jeder von uns hat irgendwann im Leben mit denen mal Kontakt. Das nennen wir halt dann Erkältung. Das ist jetzt nicht so der reine Schnupfen. Wenn man wirklich nur Schnupfen hat, dass sind andere Viren, Renoviren. Aber wenn man so eine klei- ne Erkältung hat, meistens als Kind oder Kin- dergärtner oder so was. Dann hat man damit Kontakt. Ja, seit wann sind die bei uns? Das wissen wir nicht genau. Wir wissen, dass die wahrscheinlich am Anfang relativ schwere Erkrankungen gemacht haben. Das ist so die Theorie, die im Moment im Raum steht, dass die mal angefangen haben wie Covid19, aber sich dann nach und nach zu benehmen gelernt haben, weil nur ein Virus, was seinen Wirt halbwegs in Ruhe lässt, natürlich massiv ver- breitet wird. Das ist ja viel netter, wenn man so ein Erkältungsvirus ist und zig Millionen Men- schen jedes Jahr infizieren kann, als wenn man als Corona-Virus weltweit zum Staatsfeind Nummer eins erklärt wird und alle laufen mit der Maske rum. Das ist aus Sicht des Virus natürlich dann nicht so erfolgreich.

[0:17:53]

Camillo Schumann

Frau Immler aus dem schönen Allgäu hat ange- rufen. Und zwar hat sie vor vielen, vielen Jah- ren Albert Camus gelesen und zwar seinen Klassiker „Die Pest“. Seitdem lässt sie eine Frage nicht mehr los:

[0:18:08]

Frau Immler

Und da war in diesem Buch ein Satz drin, dass die Menschen sich sicher wogen nach eine Zeit.

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Was sie aber nicht wussten, dass in alten Mö- beln, zum Beispiel in einem Schreibtisch in der Schublade in einem alten Schrank und so wei- ter. Dass da diese Überträger dieser Krankheit überleben konnten. Und das hat mich damals total erschreckt. Ich dachte: Das ist ja unglaub- lich. Ich hab von da an Abstand genommen, irgendwelche alten Möbel zu kaufen. Antiqui- täten und so waren für mich damit erledigt. Vielleicht stimmte das gar nicht, was da in die- sem Buch stand? Vielleicht war das schriftstel- lerische Freiheit.

[0:18:44]

Camillo Schumann

Schriftstellerische Freiheit. Frau Immler will natürlich wissen, ob sich Viren und Bakterien in alten Möbeln halten auch über Jahre, Jahr- zehnte, Jahrhunderte.

[0:18:52]

Alexander Kekulé

Jahrhunderte natürlich nicht. Erstens „Die Pest“ von Camus, lese ich übrigens immer in der ersten Vorlesungs-Stunde Mikrobiologie ein Stück daraus vor, weil das doch eine ganz spannende Schilderung ist. Das spielt ja in Nordafrika. Das sind Bakterien. Diese Pestbak- terien, die diese Krankheit auslösen, die wer- den von Ratten und von Flöhen übertragen. Und es ist so, dass insbesondere diese Flöhe eine Weile überlebt haben. Da ist es in der Tat so gewesen. Bei den Pestausbrüchen hat man zum Teil die Ratten eliminiert, aber dann über- sehen, dass die Flöhe noch da sind. Daneben können Pesterreger auch eine ganze Weile im Staub überleben, wenn die Ratten da reinge- pinkelt haben, so dass das bei Camus im Prin- zip schon alles richtig ist. Es ist nur so, dass kann man überhaupt nicht auf Covid19 über- tragen. Das ist eine ganz andere Situation. Es sind andere Erreger. Es sind Bakterien statt Viren. Und die Bedingungen, wie das übertra- gen wird, die sind komplett anders. Aber in der Tat, die Pest ist eine Krankheit, die bis heute nicht ausgerottet ist. In Madagaskar haben wir noch Ausbrüche gelegentlich, und da sieht man, dass es in manchen Regionen der Welt nicht einmal gelingt, eine Erkrankung, für die man eigentlich Ratten und Flöhe als Überträ- ger braucht. Dass man nicht einmal so was effektiv auszurotten kann, weil die hygieni-

schen Verhältnisse so schwierig sind. Und da können wir uns glücklich schätzen, dass wir hier in Deutschland solche Probleme schon sehr lange nicht mehr haben.

[0:20:21]

Camillo Schumann

Aber wie sich so etwas dann auch verfestigt, wenn man so einen Roman liest und Rück- schlüsse auf sein Leben schließt. Dann keine keine Antiquitäten mehr kauft und sich dann ganz anders einrichtet. Das ist in dem Fall ein bisschen übertrieben. Frau Immler kann jetzt das nachholen, was sie die letzten Jahrzehnte nicht gemacht hat.

[0:20:40]

Alexander Kekulé

Wenn sie wegen ihrer literarischen Begeiste- rung für Camus ihr Leben lang keine Antiquitä- ten mehr gekauft hat. Es ist auch so. Diese Pesterreger, die halten sich auch nicht ewig. Ich weiß jetzt nicht ganz genau, wie die Halt- barkeit im Staub ist. Aber Jahre sind es auf jeden Fall nicht.

[0:20:59]

Camillo Schumann

Herr Goedert, letzte Frage aus Wasserliesch, hat geschrieben: „Wir haben in diesen Corona- Monaten unsere sozialen Kontakte sehr einge- schränkt, und wenn sie stattfanden, möglichst nur draußen. Auf Grund unseres Ruhestandes sind wir meistens zu Hause im Garten. Einkäu- fe tätigen wir auf dem Wochenmarkt. Im Su- permarkt maximal einmal in der Woche. Kann es sein, dass durch die lange Zeit, in der das eigene Immunsystem weniger Krankheitserre- gern ausgesetzt war, beziehungsweise nicht mehr trainiert wurde, bei einer Rückkehr zum normalem Austausch mit Krankheitserregern, das Immunsystem anfälliger ist? Dass man später jedem kleinen Schnupfen und so weiter schutzlos ausgeliefert ist? Vielen Dank für die Beantwortung und viele Grüße.“

[0:21:37]

Alexander Kekulé

Ja, die Idee ist nicht ganz abwegig. Es ist sicher- lich so, dass unser Immunsystem gewöhnt ist, ständig zu trainieren. Die Atemwege haben so, wenn man so will, ihr Spezial-Immunsystem.

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Nirgendwo im Körper ist die Immunantwort so aktiv, so daueraktiv wie auf der Lungen- schleimhaut. Übrigens genauso in der Darm- schleimhaut, weil wir da extrem viel Kontakt mit Umwelt-Agenzien haben. Nicht nur Infekti- onserreger, auch Staub und was da so alles kommt. Es kann rein theoretisch sein, dass, wenn man sehr, sehr viele Menschen hat, dass man dann so einen Effekt hat: Dass es so eine Art Rebound gibt, dass die dann kurzzeitig stärker anfällig sind für Infektionskrankheiten. Auszuschließen ist es nicht. Bei Astronauten war es meines Wissens so: Da hat man eine minimale kleine Stichprobe, dass man solche Effekte nicht beobachtet hat. Aber befürchtet wurden die und diskutiert wurden die.

2 [0:22:25] : Camillo Schumann Das war das Kekulés Corona-Kompass Spezial. Herr Kekulé, vielen Dank! Wir hören uns dann am Dienstag, den 8. September wieder. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Alle Spezialausgaben und alle Folgen von Ke- kulés Corona-Kompass gibt es auf MDR- Aktuell.DE, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 03.09.2020 #103: Kinder wegen Corona gegen Grippe imp- fen?

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

[0:00:10]

Camillo Schumann

Donnerstag 3. September 2020.

1. Schreiverbot für Lehrer: Wie sich lautes und leises Sprechen auf die Verbreitung des Virus auswirkt. 2. In der Diskussion: Wie aussagekräftig ist ein PCR-Test überhaupt?

3. Kinderärzte fordern wegen der besonderen Corona-Situation eine Grippe-Impfung auch für Kinder. Gute Empfehlung? 4. Außerdem: Warum die Bordtoilette im Flug- zeug ein Problem sein könnte.

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Modera- tor bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag ha- ben wir einen Blick auf die aktuellen Entwick- lungen rund um das Coronavirus. Und wir be- antworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Ale- xander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.

Camillo Schumann

Fangen wir mal mit der Kanzlerin an.

„Ja, man muss damit rechnen, dass manches in den nächsten Monaten noch schwieriger sein wird als jetzt im Sommer. Wir alle haben ja im Sommer die Freiheiten und den relativen Schutz

vor Aerosolen genossen. Die sind möglich, das ist möglichst durch das Leben draußen. Und in den nächsten Monaten wird es jetzt darauf ankommen, die Infektionszahlen niedrig zu halten, wenn wir uns wieder drinnen aufhalten, an Arbeitsplätzen, in Schulen und in Wohnun- gen.“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel)

Mit dem Blick in den Herbst fordern die Kin- derärzte nun eine Grippe-Impfung, auch für Kinder. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat in einem Zeitungsinterview gesagt: „... deswegen haben wir diesmal zusätzlichen Grippe-Impfstoff besorgt. Jeder, der sich und seine Kinder impfen lassen will, sollte und kann das tun.“ Die WHO empfiehlt auch eine Grippe Impfung für Kinder ab sechs Monate. Würden Sie sich dieser Empfehlung anschließen?

[0:01:51]

Alexander Kekulé

Das ist ein schwieriges Thema. Wir diskutieren ja seit Jahren die Frage, ob man Kinder impfen soll gegen Influenza, um die Alten zu schützen. Bei den Kindern sterben an der Influenza – wir reden jetzt nicht von Covid-19 –, da sterben wirklich ganz junge Kinder tendenziell, die man eigentlich noch nicht geimpft hat zu dem Zeit- punkt. Sodass, wenn man die Schulkinder zum Beispiel impfen würde, das ist die Diskussion, dann würde man das deshalb machen, um die Personen über 65 aufwärts zu schützen. Das ist so die Idee, weil bei den Alten die Immunität nicht so richtig anschlägt. Diese Impfung funk- tioniert bei denen sehr, sehr schlecht. Und bei Kindern so mit sechs, sieben Jahren funktio- niert das gut, die tauschen sich aber intensiv aus in der Schule, tragen die Krankheit nach Hause, und so ist die Idee: durch Impfung quasi die Alten zu schützen. Einige Länder sagen: Ja, das machen wir. Es gibt in der EU ungefähr fünf, sechs Länder, die das empfehlen, ganz konkret. Aber selbst da ist das ganz unter- schiedlich. Die einen impfen die ganz jungen Kinder, die anderen impfen die Schulkinder. Selbst in den baltischen Staaten habe ich das mitbekommen – also Estland, Lettland, Litauen – da ist es so, dass nur Litauen die Kinderimp- fung hat, und die anderen zwei haben gesagt, wir machen das nicht. Also die Argumente sind unterschiedlich.

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[0:03:12]

Camillo Schumann

Aber warum sollte man jetzt sein Kind grippe- schutzimpfen, nur weil es das Coronavirus gibt? Also, wo ist da die Verbindung?

Alexander Kekulé

Die Verbindung ist in dem Fall, das ist so die die Logik, die dahintersteckt, dass man sagt: Wenn jetzt Kinder häufig Grippe kriegen, dann ist es schwer zu unterscheiden von Covid-19 (sofern man keinen Test hat). Und dass man in dieser Situation dann sagt: Je mehr geimpft sind gegen Influenza, desto weniger Vermi- schung gibt es, desto weniger Verdachtsfälle gibt sozusagen für Covid-19, die dazu führen würden, dass man eine Klasse schließen muss oder Ähnliches. Sodass man sich dann mehr auf Covid-19 fokussieren kann.

Die Gegenargumente sind so, dass wir erstens wissen, dass die Influenza-Impfung auch bei Kindern nicht so perfekt ist. Zum Beispiel ist es so, dass die Impfung mit einem Spray, wo ein Lebendimpfstoff drinnen ist – also ein abge- schwächtes, echtes Influenza-Virus – diese Spray-Impfung, die in den USA viel gemacht wird, ist eigentlich gut. Die wirkt sehr gut bei Kindern. Aber da gibt es Fragezeichen bei dem H1N1. Das ist ein bestimmter, wichtiger Sub- Typ von den Influenzaviren, ausgerechnet bei dem funktioniert es vielleicht nicht ganz so gut, zumindest sind die Daten da nicht so sauber. Bei den anderen Impfstoffen, die man jetzt spritzen muss, ist es die Frage: Gibt man den Wirkverstärker dazu, Adjuvans ja oder nein? Da ist es so, dass die Adjuvantien doch bei Kindern zum Teil starke Nebenwirkungen haben. Die kriegen dann wirklich einen dicken Arm, und sind ein paar Tage damit außer Gefecht. Und vor allem die Eltern sind dann immer sehr auf- geregt, wenn das passiert. Und wir wissen, dass die Adjuvantien altersabhängig unter- schiedlich wirken. Und da ist eben umstritten, ob das bei älteren Kindern überhaupt noch was bringt. Also bei ganz kleinen bringt es wohl was, bei älteren eher nicht, bei Schulkindern. Und da diese Kommission in Berlin, die sich da beim Robert Koch-Institut um so etwas küm- mert – die Ständige Impfkommission, die heißt STIKO abgekürzt – und die diskutiert das The- ma also gefühlt seit zehn Jahren – ich weiß nicht genau, wie lange und hat sich da noch

nicht dazu entscheiden können, dass das über- haupt was bringt. Aber wenn es natürlich jetzt wirklich nicht wirklich was bringt, dann ist die Frage: Hat es dann auch eine Wirkung auf die Unterscheidung zwischen Covid-19 und In- fluenza? Ich persönlich bin da ein bisschen zurückhaltend. Also ich finde, man sollte jetzt nicht Dinge, die vor Covid-19 schon ein Frage- zeichen hatten, bezüglich der Sinnhaftigkeit, jetzt hektisch aus der Kiste ziehen und sagen jetzt müssen wir das aber unbedingt machen wegen Covid-19. Also für mich ist die Argu- mentation nicht so zwingend, dass man jetzt hier eine Impfempfehlung aussprechen sollte.

[0:06:05]

Camillo Schumann

Also Wirkung möglicherweise noch ein biss- chen fragwürdig? Was ich mich frage: Verkraf- ten das Kinder eigentlich, sie müssten ja dann den Grippe-Impfstoff verarbeiten; und wenn dann noch das SARS-CoV-2-Virus anklopft, also verkraftet so ein Immunsystem eines kleinen Kindes so was überhaupt?

Alexander Kekulé

Naja, das ist jetzt die Frage nach der Doppelin- fektion. Also das ist noch mal ein ganz anderes Thema. Also wir wissen bei Erwachsenen, dass die wenigen Fälle, wo wir wirklich Doppelinfek- tionen haben, Influenza plus Covid-19. Da gab es extrem schwere Verläufe. Also, da gibt es einzelne Beispiele, wo die Menschen wirklich deutlich schwerer krank waren, als man das sonst bei Covid-19 im Durchschnitt sieht. Man hat es darauf zurückgeführt, dass man gesagt hat, das waren die zwei Viren, die da zusam- mengearbeitet haben. Da wissen wir über- haupt nicht, was bei Kindern passiert, also bei einer Doppelinfektion. Und jetzt umgekehrt bei der Impfung: Naja, da wäre jetzt eine In- fluenza-Impfung plus eine Covid-19-Infektion, das wäre zumindest weniger schlimm als eine Doppelinfektion, würde ich sagen. Also wahr- scheinlich wird bei Kindern sowieso nicht be- sonders viel passieren – also bei Schulkindern. Aber ich würde mal sagen im Zweifelsfall ist natürlich bei Kindern Impfung gegen Influenza plus Covid-19-Infektion besser als Doppelinfek- tion. Das würde man zumindest theoretisch so vermuten.

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Das ist natürlich eine besondere Frage, wenn man sich jetzt überlegen würde, in Deutsch- land diesen Lebendimpfstoff zu nehmen, der den Charme hat, dass man nicht spritzen muss, weil man den einfach durch die Nase quasi inhaliert. Da ist es so, es ist zwar ein abge- schwächtes Virus, aber natürlich, wenn, wenn jetzt das Kind ausgerechnet nach dieser Imp- fung Covid-19 bekommt, also eine SARS-CoV-2- Infektion zusätzlich, da weiß keiner wirklich, wie die zwei Viren sich dann zusammen im Körper verhalten: das sozusagen scharfe Coronavirus und das abgeschwächte Influenza- Virus, ob die dann zusammen Unsinn machen oder nicht. Das müsste man zum Beispiel auch wahrscheinlich vorher erst einmal in einer Studie untersuchen. Weil noch keiner bisher eine Influenza-Impfung vor dem epidemischen Hintergrund mit einer mit einem Coronavirus, also mit einem neuen Coronavirus, überprüft hat. Auch das wäre ein weiteres Fragezeichen. Ich bin sicher, dass die ständige Impfkommissi- on über diese Dinge nachdenkt. Da sitzen Pro- fis drinnen, die seit Jahren nichts anderes ma- chen als sich Gedanken zu diesen Impfstoffen. Ich bin sicher, dass die auch solche Aspekte mit im Kopf haben. Ich würde auf jeden Fall abwar- ten, was unsere Impfkommission sagt, ohne klares Votum der STIKO würde ich jetzt nicht empfehlen, dass jetzt einzelne Gruppen, auch wenn das jetzt besorgte Kinderärzte sind, da quasi so eine so eine singuläre Forderung ver- folgen.

Camillo Schumann

Singulär ist gut. Der Bundesgesundheitsminis- ter hat die Menschen aufgefordert, ihre klei- nen Kinder zu impfen.

Alexander Kekulé

Ja, ohne Hintergrund der STIKO. Der normale Weg ist bei uns einfach der, dass die Ständige Impfkommission Empfehlungen gibt. Die wer- den dann über das Robert Koch-Institut publi- ziert. Aber ich würde jetzt tendenziell an der Stelle sagen, das sind viele Fragezeichen, die man prüfen muss. Auch die Frage, ob es was bringt, weil, das ist jetzt wirklich so ganz konk- ret: Jetzt haben sie die Kinder dann geimpft gegen Influenza, und ein Teil von denen kriegt dann keine Influenza. Die Impfung ist nie hun- dertprozentig, andere kriegen Influenza. Jetzt

haben sie aber viele andere Erkältungsviren, die zirkulieren. Und alle diese Viren zusammen wollen sie eigentlich durch die Distanzierung und möglicherweise Masken in der Schule, sofern die eingeführt werden und Ähnliches, wollen sie verhindern oder zumindest reduzie- ren. Wie hoch ist der Anteil der echten In- fluenzaviren, die im Kindesalter eine Ver- wechslung mit Covid-19 verursachen würden? Das weiß keiner genau.

Die neuen Daten sehen ja so aus, das ist sozu- sagen neu aus der Druckerpresse, dass wir eine Studie nach der anderen jetzt kriegen, dass im Kindesalter die Covid-19-Infektion aussieht, wie eine ganz normale Erkältung und über- haupt nicht zu unterscheiden ist. Es gibt es aus Korea gerade auch wieder eine Studie, die das Gleiche nochmal sagt. Das heißt also, die Kin- der haben eher so eine Art Erkältung, sieht harmlos aus, sieht nicht nach Influenza aus, wenn sie Covid-19 bekommen. Warum muss ich jetzt gegen Influenza impfen und all die anderen Erkältungsviren, gegen die kann ich eh nichts machen. Also bringt es dann sozusagen quantitativ was? Vor dem gesamten Hinter- grund müsste man sozusagen eine Abwägung machen, wie viel Prozent der Erkrankungen im Kindesalter würden denn jetzt mit Covid-19 wirklich verwechselt werden? Wenn dann ganz am Schluss eine Expertenkommission – nach- dem all diese Dinge auch quantitativ berück- sichtigt wurden, die Häufigkeit der Nebenwir- kungen und alles –, wenn die dann am Schluss sagen, wir empfehlen die und die Impfungen dem und dem Alter lebend oder tot, mit oder ohne Wirkverstärker, dann würde ich sagen ist der Zeitpunkt gekommen, wo ein Politiker sa- gen kann, ich unterschreibe das und bin dafür, dass es gemacht wird.

Camillo Schumann

Mit lebend oder tot ist das Virus gemeint, das dann ...

Alexander Kekulé

Klingt dramatisch, ja. Wir nennen das interes- santerweise Lebendimpfung, obwohl natürlich jeder Virologe weiß, dass ein Virus in dem Sin- ne kein lebender Organismus ist. Aber wir sa- gen da Totimpfstoff und Lebendimpfstoff dazu.

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Camillo Schumann

Ich frage Sie jetzt mal ganz persönlich: Würden Sie Ihre kleine Tochter impfen oder nicht?

Alexander Kekulé

Gegen Influenza zum jetzigen Zeitpunkt nicht, nein. Aber ich habe es sehr einfach, weil meine kleine Tochter tatsächlich eine Erkrankung hat, eine Grunderkrankung hat, warum sie bei Imp- fungen extrem stark reagiert. Die war er schon einmal fünf Tage mit meiner Frau zusammen auf der Intensivstation deswegen, und deshalb ist bei mir die Antwort schnell gegeben.

[0:11:46]

Camillo Schumann

Okay gut, also was sehr Persönliches in dem Fall, also nicht anwendbar. Die Kinderärzte, weil wir gerade bei denen sind, die fordern außerdem, dass Lehrer im Unterricht eine Maske tragen sollen. Und dazu passt auch sehr gut eine Hörerfrage, nämlich. Frau H. schreibt:

„Wegen der großen Ansteckungsgefahr dürfen Kinder im Musikunterricht nicht mehr singen. In einem ihrer letzten Podcastfolgen haben Sie erklärt, dass diese Ansteckungsgefahr genauso hoch ist, wenn laut gesprochen oder geschrien wird. Meine beiden Kinder besuchen eine Grundschule und erzählen, dass manche Lehrer jeden Tag laut in der Klasse mit den Kindern schimpfen. Die meisten Lehrer tragen im Unter- richt keine Maske. Kinder anzuschreien ist eh schon ziemlich fragwürdig, aber zu Zeiten von Corona ist es anscheinend sogar gesundheits- gefährdend. Sollte man in Schulen über ein ‚Schreiverbot‘ nachdenken?“

[0:12:36]

Alexander Kekulé

Also lassen Sie mal die Kinder abstimmen, die sind bestimmt dafür. Ich würde jetzt die Lehrer verteidigen. Ich glaube, wenn sie so einen gan- zen Stall voller, voller wild gewordener Kleinen haben, das geht manchmal nicht, ohne die Stimme zu erheben. Außer sie haben irgend- welche magischen Kräfte.

Es gibt ja diese Studie, die ich da schon zitiert habe, die es von der Universität Bristol ge- macht worden in Großbritannien. Die haben etwas Lustiges, ein Experiment gemacht. Die

haben 25 Sänger genommen, so richtig Profis, die ihre Stimme kontrollieren können und ha- ben gesagt: Jetzt singt mal ganz leise und dann sozusagen mezzo, und dann forte und fortissi- mo, in jeder Lautstärke. Und statt singen ha- ben sie dann eben auch Sprechen genommen in den verschiedenen Lautstärken. Das geht mit Profis ganz gut. Die können sich, wenn sie vor allem als Chor aufeinander eingestimmt sind, da ganz gut auf eine Lautstärke einigen. Da hat man die Lautstärke natürlich auch ge- messen mit einem entsprechenden Gerät, wie laut das ist und hat dann – nicht direkt die Coronavirus-Produktion, die waren natürlich alle gesund – aber einfach die Tröpfchen- Produktion gemessen: wie viel Nebel produzie- ren die? Und das ist genau gleich, ob man singt oder laut spricht. Das heißt also hier, dass die Daten, die wir ja haben von Kirchenchören, dass da besonders Superspreading-Ereignisse auftreten können. Das gilt wohl eins zu eins auch für das laute Sprechen.

Camillo Schumann

Und das würde dann dazu führen, dass man eine Maske tragen sollte, also die Lehrer, wenn sie sich nicht im Zaum halten, dann lieber eine Maske tragen sollten?

Alexander Kekulé

Sie wissen ja, dass meine Antwort sowieso ist, dass man alle testen soll, weil das der geringste Eingriff ist, also sowohl die die Juristen, die ja so ein bisschen überlegen immer – heutzutage sind ja die Gerichte beschäftigt mit diesen Din- gen – bei uns, bei den Eingriffen in die Grund- rechte der Menschen gilt dann sozusagen das das geringste, das mildeste geeignete Mittel. Man muss das mildeste geeignete Mittel neh- men. Und das mildeste geeignete Mittel ist eindeutig, die Leute regelmäßig zu testen, weil das keine große Einschränkung ist. Das Gleiche sagt der Arzt ja auch, dass er eigentlich in ers- ter Linie den seinen Patiente nicht schaden will. Wir nennen das dann primum nil nocere, so sagt man da schön auf Lateinisch, damit es keiner versteht. Das Wichtigste ist nicht zu schaden. So und mit diesen allgemeinen Re- geln ist das natürlich nur ein Behelfskonstrukt zu sagen was machen wir jetzt mit den Mas- ken? Also okay, wenn man jetzt partout nicht testen kann oder will, dann ist es so, dass es

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natürlich sinnvoll ist, wenn der Erwachsene im Raum eine Maske aufhat. Weil das jemand ist, der das kontrollieren kann, der natürlich am meisten spricht von allen hoffentlich im Unter- richt. Und da er nicht getestet ist, es könnte es sein, dass der Covid-19-positiv ist und die In- fektion weitergibt an alle Kinder. Deshalb wäre es selbstverständlich so, dass man jetzt im Winter, wo man nicht mehr immer nicht mehr effektiv lüften kann, eine Maske aufzieht. Es gibt ja von den Lehrern Hilfeschreie, von denen man in den Medien liest. Und das glaube ich aus meiner kleinen Stichprobe, die ich habe, sofort. Das kam in vielen Bundesländern. Das war jetzt konkret NRW. Aber das gilt für die anderen sicher auch, diese Auflagen mit Min- destabstand, Kohortierung, also Gruppenbil- dung in der Schule, regelmäßige Stoßlüftung und was es alles gibt, dass diese Auflagen im praktischen Alltag nicht umsetzbar sind. Und das glaube ich sofort. Das kann man sich ja, wenn man den Schulbetrieb in Deutschland ein bisschen kennt – da gab es ja schon vorher ein paar Dinge, die nicht ganz optimal waren – da kann man einfach sagen, das ist doch klar, dass man hier in der Schule das nicht hinkriegt, dass da immer frische Luft drinnen ist und die Leute Abstand haben. Also aus meiner Erinnerung ist es sogar so, wenn ich in die Schule gehe, da gibt es schon einen typischen Mief in der Schu- le, wenn die ganzen Kinder da sind. Der hat natürlich damit zu tun, dass nicht so gut gelüf- tet wird. Vor dem Hintergrund ist halt die Mas- ke die zweitbeste Möglichkeit, wenn man nicht testet.

[0:16:44]

Camillo Schumann

Um noch einmal ganz kurz auf diese Studie zurück zu kommen. Was bedeutet das jetzt eigentlich für die Chöre? Bleibt der Status quo?

Alexander Kekulé

Ja, für Chöre ist ganz klar zu sagen, das ist an so vielen Stellen jetzt belegt: Lautes Singen gemeinsam im geschlossenen Raum geht nicht, wenn man nicht sicher ist, dass kein Covid-19- Ausscheider im Raum ist. Also wenn da jemand dabei ist, er krank ist oder auch asymptoma- tisch infiziert ist, dann darf man nicht zusam- men singen.

[0:17:10]

Camillo Schumann

Gerade mit Blick auf den Herbst wird sich auch das Problem der Test-Kapazitäten vergrößern. Schon jetzt klagen die Labor, dass mit rund einer Million Tests pro Woche sie langsam ihre Grenzen stoßen. Und in der wissenschaftlichen Diskussion wird auch die Aussagekraft dieser Tests groß diskutiert. Gerade auch ein Artikel der Washington Post wird von vielen ihrer Kollegen auch bei Twitter und Facebook ge- teilt. Und darin geht es um die sehr unkonkrete Aussagekraft dieses Tests. Die Hörer dieses Podcasts wissen ja, so ein PCR-Test weißt ja nur das Virus selbst nach nicht aber, ob ein Mensch ansteckend ist oder ob ein Infizierter auch krank ist, oder jemals krank werden wird. Die Virusmenge im Körper eines Patienten ist entscheidend, ob er ansteckend ist oder nicht. Wieso spielte das bisher bei der Testung keine Rolle? Können Sie sich das erklären?

[0:18:02]

Alexander Kekulé

Wir haben bis jetzt halt in Europa hauptsäch- lich diese PCRs verwendet. Da ist es so, diese PCR-Methode ist rein technisch gesehen eine quantitative Methode, wo man also die Menge bestimmt. Aber es gibt verschiedene Gründe, warum man das nicht sinnvoll quantitativ aus- werten kann, das ist zumindest meine Mei- nung dazu. Und warum kann man das quanti- tativ nicht sinnvoll auswerten? Erstens ist es nicht dafür standardisiert, sondern das wird normalerweise so gemacht, dass man sagt ab einer bestimmten Konzentration heißt der Test positiv. Und wenn es drunter ist, dann ist das Ergebnis negativ. Das heißt also, der wird im Grunde genommen nur mit Ja/Nein, also quali- tativ ausgewertet. Und diese quantitative Auswertung, die ist nicht standardisiert bei den PCRs. Wir wissen aber trotzdem, wenn wir dann mal richtig sauber quantitativ versuchen, irgendwie das nachzuweisen, wieviel Virus hat jemand wirklich im Rachen, das ist ja relativ schwierig. Da muss man spezielle Tests ma- chen. Es geht mit der Standardmethode nicht. Da muss man genau analysieren, wie viel hat man zum Beispiel auf einem Tupfer drauf. Dann stellt man fest, dass Menschen, die ganz wenig Virus im Rachen haben, wohl auch nicht infektiös sind oder nur im Extremfall, also zu-

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mindest keine Superspreader sein können. Und da ist eben jetzt schon die Frage worauf geht man? Superspreader kann man wohl nur sein, wenn man viel Virus ausscheidet. Wenn Sie jemanden küssen, dann können Sie natür- lich fast jeden infizieren, je nachdem, wie lange Sie küssen. Ich glaube, das Robert Koch-Institut spricht er bei engen Kontakten immer von 15 Minuten oder mehr. Ich weiß nicht, ob man das hier jetzt auch übertragen soll, aber auf jeden Fall genügt dann relativ kurzer Zeitraum, um das Virus zu übertragen. Und dazwischen gibt es natürlich auch alle Varianten. Wenn man miteinander spricht und sich relativ nah ist und lange miteinander redet, kann sicher- lich auch jemand, der wenig Virus im Rachen hat, jemand anderes anstecken. Oder wenn man aus Versehen das Trinkglas oder einen Löffel tauscht oder so was. Und jetzt ist halt die Diskussion: Gibt es so eine Art untere Schwelle, wo wir die Leute epidemiologisch nicht mehr berücksichtigen müssen, weil sie nur so wenig Virus ausscheiden?

[0:20:14]

Camillo Schumann

Ja, und diesen Grenzwert, den gibt es ja schon vom Robert Koch-Institut empfohlen. Und Sie haben ja schon ab und zu im Podcast hier er- klärt, wie das Ganze funktioniert. Also was konkret gemacht wird, um das Virus in der PCR-Methode nachzuweisen. Denn es ist ja nicht so, wie viele denken: Man macht so ei- nen Test, dann gibt es eine positive oder eine negative Reaktion und dann hat man das Er- gebnis. Das ist ja wesentlich aufwendiger.

[0:20:36]

Alexander Kekulé

Das ist ja so eine Art Verstärkerreaktion. Da wird also in Zyklen immer wieder das, was schon da ist, noch mal verdoppelt, verdoppelt, verdoppelt. Deshalb kann man sagen je mehr Zyklen man machen muss, bis man ein positi- ves Ergebnis sieht, desto weniger war am An- fang drinnen. Und deshalb ist diese Zahl der Zyklen etwas, wo man sagt, ab so und so viel Zyklen hören wir dann auf. Und das Robert Koch-Institut oder wie die meisten anderen auch sagen eben, ab 40 Zyklen höre ich auf. Da gilt es dann ab als negativ. Da ist es dann nicht mehr wichtig. Also wenn dann noch was drin

war, gilt es nicht so zu sagen, weil die PCR rein technisch gesehen so empfindlich wäre, dass die schon bei zehn toten Viren, die da irgend- wo rumliegen, rein theoretisch positiv werden könnte – irgendwann mal. Und jetzt gibt es Leute, die sagen, wir sollen statt 40 Zyklen eben 35 Zyklen nehmen oder Ähnliches. Ich persönlich halte dann nicht so viel davon: Weil, erstens, wie gesagt, die PCR dafür nicht adap- tiert ist. Also die Standardmethoden, die wir machen, sind darauf nicht optimiert, bisher. Und zweitens ist es so wir wissen ja, dass zum Beispiel Kinder – die ja nicht als Treiber der Infektion gelten, das kann man schon sagen, das sind nicht die Hauptmotoren der Infektion – dass die aber trotzdem durchaus schon nach 25 Zyklen sind positiv. Das heißt also, so ein Kind, was asymptomatisch oder mit ganz leich- ten Symptomen Covid-19 hat, springt bei die- ser PCR schon bei einer relativ niedrigen Emp- findlichkeit an. Und dann ist einfach die Frage, wo sagen sie dann Stopp, an welcher Stelle an gilt es dann nicht mehr? Da haben wir über- haupt keine Daten dafür. Sodass ich glaube, es hat keinen Sinn, eine Methode, die man hat, hier technisch zu begrenzen und zu sagen, wir zählen die dann aber künstlich als negativ. Das ist noch nicht genau genug standardisiert.

[0:22:29]

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz, wenn man das hört und wenn man das jetzt einordnet und anwendet auf die Zahl der Neuinfizierten, die man jeden Tag vom Robert Koch-Institut präsentiert be- kommt, mit diesem Hintergrund sieht man die jetzt in einem völlig anderen Licht. Also, das würde bedeuten, z.B. 1.300 Neuinfizierte, aber eigentlich sind es dann Infektiöse, vielleicht 200. Oder ist das jetzt ein bisschen sehr salopp geschätzt?

[0:22:56]

Alexander Kekulé

Doch, das muss man kann man schon so abstu- fen. Aber man muss jetzt vorsichtig sein, die sind ja deswegen nicht nichtinfiziert. Das sind natürlich trotzdem Infizierte, auch wenn sie da wenig nachweisen. Wenig heißt: Das Virus ist da! Die Spezifität dieses Tests ist extrem hoch, liegt fast bei 100Prozent. Wenn Sie etwas nachweisen, hat er sich angesteckt.

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Die zweite Frage ist muss ich den in Quarantä- ne stecken? Das ist ja mehr so die Frage. Das heißt, die Robert Koch-Zahlen sind richtig. Man darf jetzt nicht sagen, das sind Falsch-Positive. Aber die Frage ist, was mach ich mit jeman- dem, der wenig Virus ausscheidet. Und ich glaube dafür, ich würde das bei niemanden riskieren, wenn der bei so einem Standardtest so grenzwertig war, also nicht so viel Virus hatte, jetzt zu sagen, du hast doch nicht so viel, nur so 80 Prozent vom von Grenzwert, du darfst trotzdem weiter in die Schule oder zur Arbeit. Sie wissen nicht, was mit dem am nächsten Tag ist, ob der dann mehr Virus im Rachen hat. Das kann ja auch hochgehen, je nachdem zu welchem Zeitpunkt der Krankheit Sie ihn erwischen. Sie wissen nicht, ob die Stel- le, wo sie den Tupfer gerade hingehalten ha- ben, ob da gerade auf der Schleimhaut beson- ders viel oder besonders wenig Virus war. Also, da müssten Sie jeden mindestens dreimal an drei verschiedenen Stellen zu verschiedenen Tageszeiten testen. So macht man das übri- gens auch bei so Quantifizierungsstudien dann, das wäre aber in der Praxis überhaupt nicht machbar. Und wir wissen auch überhaupt nicht, wie wichtig die Viruskonzentration im Rachen wirklich für diese Superspreading- Ereignisse ist. Es kann sein, dass das mit den Stimmbändern zusammenhängt, wie viel Tröpfchen jemanden produziert und ähnliche Dinge. Das ist nicht so, dass wir jetzt sagen könnten, wenig Virus im in der PCR heißt, der Patient ist nicht gefährlich, der kann weiter in irgendwelche Räume gehen, wo ganz viele andere dabei sind. Da würde ich dringend da- von abraten.

Camillo Schumann

Aber beantwortet der Antigen-Schnelltest die Frage besser, ob ein Infizierter auch anste- ckend ist?

Alexander Kekulé

Andersherum funktioniert das. Es ist es so, dass wir bei denen, die im Antigen-Schnelltest positiv sind, unter diesen Personen sind mit hoher Wahrscheinlichkeit natürlich viele, die auch ansteckend wären. Also so rum stimmt es. Das heißt, der Antigen-Schnelltest ist ja einfach unempfindlicher. Und da gibt schon regelrecht eine gewisse Tendenz. In der New

York Times ist darüber eben auch gesprochen worden, dass jetzt seit neuerdings auch in den USA meine Kollegen sagen, es wäre vielleicht gar nicht so schlecht, so einen Test zu haben, der so ein bisschen halbblind ist, weil wir dann quasi die Eisberge, die Spitzen der Eisberge, die besonders hohen infektiösen Fälle, die fischen wir am ehesten raus. Das heißt also, das ist epidemiologisch ein Argument dafür zu sagen: Ich mache lieber ganz viele Tests, die nicht so qualitativ hochwertig sind, weil die besonders schlimmen möglichen Supersprea- der, die fische ich da raus. Ganz praktisch ge- sehen: Sie machen eine PCR, aber zwei Tage später könnte derjenige vielmehr Virus aus- scheiden. Wenn Sie jetzt statt einer PCR alle zwei Tage einen Billigtest machen, dann haben Sie natürlich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Sie den irgendwann an dem Tag erwi- schen, wo er viel Virus ausscheidet. Und mit dieser Überlegung, dass man sagt viele Tests, die eine geringere Sensitivität haben, sind bes- ser als einmal einen teuren Test machen (und dann auch mit dem Riesenapparat ins Labor schicken, wie lange es dauert, bis das Ergebnis kommt und so weiter). Das ist einfach effekti- ver als der Labortest. Und das ist ja etwas, das habe ich, glaube ich, jetzt zu genüge schon – ich habe mal nachgeschaut, am 29.03. habe ich das zum ersten Mal doch sehr deutlich bei „Zeit online“ geschildert, dass die Antigene- Schnelltests dringend notwendig sind. Ich habe ja damals dafür plädiert, dass wir eine nationa- le Anstrengung dafür unternehmen. Jetzt seit letztem Monat ist es so, dass in den USA meine Kollegen von Harvard kam – haben wir hier auch schon berichtet – was Ähnliches vor- schlagen. Und falls die deutschen Politiker immer noch nicht überzeugt sein sollten, kann man dann auch noch einmal daran erinnern, dass vor ein paar Tagen selbst Donald Trump, der jetzt nicht hier als der innovativste Corona- Bekämpfer gilt, der hat 150 Millionen Schnell- tests bestellt, die Kosten 5 Dollar das Stück angeblich. Wahrscheinlich wird der Preis noch sinken. Aber 150 Millionen Tests, das ist, glau- be ich, doppelt so viel, wie jemals in den USA bisher durchgeführt wurde. Die will er jetzt von einer Firma, Abbott, will er die herstellen las- sen und insbesondere zum Schutz der Risiko- gruppen verwenden. In den USA muss man dazusagen, dieser spezielle Abbott-Test, das ist

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wieder typisch USA, fast hätte ich gesagt ty- pisch Weißes Haus, also dieser Abbott-Test, der ist natürlich jetzt noch nicht so toll über- prüft worden. Also ich hätte wahrscheinlich, bevor ich so viele Tests bestelle, den Leuten gesagt, jetzt legt mir mal mehr Daten vor, wie gut der dieser konkrete Test wirklich ist. Aber das Prinzip, dass man mit Antigen-Tests sehr, sehr gut solche Viren nachweisen kann, das ist ja schon lange klar. Und hier geht es eben um Masse und Geschwindigkeit, das zählt mehr als die hohe Qualität.

[0:28:11]

Camillo Schumann

Es ist in der breiten Diskussion, und die Diskus- sionen nimmt ja gerade Fahrt auf. So etwas brauchen wir dann immer so ein bisschen, das sieht man ja bei mehreren Maßnahmen, die wir auch schon hier im Podcast warum haben. Meinen Sie, dass diese Antigene-Schnelltests dann auch für jedermann in der Apotheke jetzt das nächste große Ding sind, was dann auch tatsächlich kommt – dieses Jahr noch?

Alexander Kekulé

Ich würde es mir sehr wünschen, das ist jetzt wahnsinnig schwer, das vorherzusagen. Also als ich für die Masken plädiert habe und eine richtige Grass-Root-Kampagne dafür gemacht habe, hätte ich auch nicht geglaubt, dass es vier Wochen später quasi sogar unter Strafe dann zum Teil steht, wenn man sie nicht anhat. Ich glaube, das ist der Weg, wie wir mit diesem Virus einfach umgehen können. Sicherlich werden dann Leute sagen, ja, jetzt habe ich aber einen Antigen-Schnelltest gemacht, und der war negativ. Und hinterher war ich doch ansteckend. Also solche Einzelfälle wird es geben. Und das ist die Frage, ob wir das jetzt noch bekommen, wenn wir jetzt damit anfan- gen, bevor die Erkältungssaison losgeht. Das ist natürlich technisch gar nicht so einfach zu lö- sen das Problem, aber ich glaube, man sollte jetzt wirklich dringend auf die Karte setzen. Ich kann hier vielleicht verraten, dass ich schon vor Monaten tatsächlich auch über die Europäi- sche Kommission und die EU-Präsidentin von der Leyen versucht habe, denen klarzumachen, dass das ein tolles europäisches Projekt wäre. Weil die EU ist ja in dieser ganzen Covid-19- Diskussion erstaunlich unscheinbar bisher. Und

ich war damals dringend der Meinung, dass das ein ganz tolles Projekt wäre, wenn man so einen Schnelltest in Europa produzieren wür- de, gerade weil es eben den Nachschub aus dem Ausland gibt und hier mal zeigen würde, dass auch Brüssel hier die eine oder andere Initiative ergreift. Da besteht ja auch noch die Chance dazu, das jetzt zu machen.

Camillo Schumann

Gibt es denn auch das technische Know-how? Also gibt es denn die Firmen, die das dann auch hier in Europa herstellen könnten? Oder gibt es möglicherweise dann auch schon An- strengungen?

[0:30:09]

Alexander Kekulé

Wie das geht, ist relativ einfach. Man braucht dafür Firmen, die das können. Wir haben in Deutschland mehrere, die das tatsächlich draufhaben, solche Antigene-Schnelltests zu machen. Da gibt es verschiedene Verfahren, über die wir, glaube ich, schon gesprochen haben. Nur noch einmal als Stichpunkt: Entwe- der man braucht eine kleine Maschine mit einem Fluoreszenz-Test, der ist sehr gut. Aber man braucht eben eine Maschine oder eben diese kleine Plastik-Kassette, wie ein Schwan- gerschaftstest, den man selber machen kann. Das ist das, was der Donald Trump jetzt 150 Millionen Mal bestellt hat. Für beides ist das Know-how selbstverständlich da. Die einen Geräte könnte man bestellen von den Herstel- lern und die anderen könnten wir hier jeder- zeit produzieren. Der limitierende Faktor ist da interessanterweise, dass man Lamas braucht, weil die Antikörper, mit denen diese Tests be- schichtet werden, damit man die Antigene, also die Viruspartikel, im Speichel nachweisen kann, die kommen typischerweise von Lamas heutzutage. Aber selbst das habe ich schon mal recherchiert: Es gibt genug Lama-Herden in Europa, das wir auch autonom wären.

Camillo Schumann

Von Lamas? Warum denn ausgerechnet von Lamas?

Alexander Kekulé

Früher hat man das mit Pferden gemacht, hauptsächlich. Da gab es den Emil von Behring,

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von dem berühmten Behringwerken dann in Marburg, da hat man massenweise Pferde stehen gehabt. Und irgendwann kam jemand drauf, das Lamas eigentlich ganz toll Antikör- per produzieren und – ich sage mal pflege- leichter sind als Pferde, also nicht so störrisch wie so manches Pferd – und lassen das eher mit sich geschehen, weil die müssen ja als Her- de gehalten werden. Die werden dann immu- nisiert. Und dem Lama geht es eigentlich gut, außer dass es halt ich weiß nicht, wie oft von Zeit zu Zeit eben Blut spenden muss. Und aus einemLiter Lamablut kann man erstaunlich viele Antikörper machen. Das reicht für eine ganze Menge von Schnelltests.

Camillo Schumann

Gut, dass es noch keiner mit Meerschweinchen probiert hat.

Alexander Kekulé

Das hat natürlich mit der Größe des Tieres zu tun. Das ist klar. Bei Elefanten wäre wahr- scheinlich noch mehr Blut drinnen. Aber ich weiß nicht, ob sie so ein Elefant ... Also der Quotient zwischen ökonomischer Frage, Hal- tung der Tiere und all diese Dinge. Aber die Lamas, die wurden extra zu diesem Zweck für die Antikörperproduktion nach Europa impor- tiert.

Camillo Schumann

Ach so. Und man braucht nur dieses Trans- portmittel Blut? Dann ist es völlig egal, von welchem Tier?

Alexander Kekulé

Ja, es ist so, dass ganz viele Tiere produzieren Antikörper, natürlich, wenn man sie mit Parti- keln von diesem Covid-19 immunisiert. Und das ist technisch nicht so ganz einfach. Dann müssen sie aus dem Tier Blut rausnehmen, also Serum, das ist so die gleiche Idee wie die- se Serumtherapie, über die wir ja schon ein paar Mal gesprochen haben. Das kann man mit menschlichem Serum machen. Aber in dem Fall nimmt man sie herum vom Tier und da sind die Antikörper drinnen. Und jetzt besteht die Kunst darin, dass sie von verschiedenen Tieren und auch von verschiedenen Zeiten- punkten, wo sie das abgenommen haben, ei- gentlich immer die gleiche Qualität herkriegen

müssen. Also das ist nicht so ganz trivial. Da- rum bin ich auch dafür, dass man das in Europa produziert und nicht importiert irgendwo aus Fernost, weil das wirklich das Problem dabei ist, dass man kontinuierlich gleichbleibende Qualität hat. Dass also die Tests immer die gleiche Empfindlichkeit haben und die Chargen alle gleich gut sind. Aber das können wir in Europa selbstverständlich, das ist gar kein Thema,

[0:33:23]

Camillo Schumann

Ich bin mal gespannt, wie viele Schweinezüch- ter jetzt auf Lama-Zucht umsteigen. Wir sind sehr gespannt. Ein Markt ist da. Herr Kekulé, wir besprechen hier im Podcast ja viele Studien. Das haben wir in dieser Ausgabe schon gemacht. Wir sollten noch über eine sprechen, die im praktischen Alltag dann noch eine Rolle spielen kann: nämlich für alle, die mit dem Flugzeug unterwegs sind. Da weiß man ja, funktionieren alle Luftreinigungssys- tem optimal und alle haben eine Maske auf, dann ist das Infektionsrisiko recht überschau- bar. Man kann schon fast sagen gering, bis zu dem Moment, wo man sich vom Platz erhebt und auf Toilette geht. Da wird es dann so ein bisschen brenzlig, hat jetzt eine Studie erge- ben. Warum wird es denn da brenzliche in der Toilette?

[0:34:11]

Alexander Kekulé

Ich liebe so Studien, wo man wirklich so ein- zelne Infektionsketten wirklich nachgewiesen hat im Detail. Und das ist wieder mal so eine. Und zwar gab es einen Evakuierungsflug am 31.03., also noch im Ende März, wo südkorea- nische Bürger evakuiert wurden aus Nordita- lien. Die hat man also heimgeflogen aus dem Krisengebiet damals, und es waren konkret 310 Passagiere, die aus Mailand nach Seoul geflogen sind – elf Stunden Flug. Die Südkore- aner sind uns da weit voraus gewesen zu dem Zeitpunkt. Die hatten also alles perfekt ge- macht. Jeder hat eine FFP2-Maske auf dem Gesicht gehabt. Die wurden untersucht, bevor sie eingecheckt wurden. Erstens hat mal medi- zinisch geguckt, ob sie was haben. Zweitens hat man Temperaturkontrolle gemacht. Drit- tens hat man ein Interview gemacht, also so

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eine klassische Entry Control, Einreisekontrolle, quasi gemacht. Und ganz interessant: Von den 310 durften dann elf nicht mitfliegen, weil die schon beim Check durchgefallen sind. Die mussten in Mailand bleiben. Die anderen, die geflogen sind, da hat man alles gemacht, zwei Meter Abstand und so weiter, und eben die Maske, die ganze Zeit. Nur zu zwei Gelegenhei- ten haben sie die Masken kurz abgesetzt: ers- tens zum Essen und zweitens, wenn sie auf die Toilette gegangen sind. Und da ist dann eben passiert, hinterher in Korea ist man genauso sorgfältig weiterhin gewesen, da hat man diese sorgfältig rausgeholt aus einem Flugzeug und sofort zwei Wochen in Quarantäne. In der Quarantäne sind dann tatsächlich mehrere krank geworden – das ist ganz interessant. Am ersten Tag der Quarantäne hat man nochmal Covid-19-Tests gemacht und festgestellt, sechs waren positiv. Das war aber nicht so schlimm, die waren eh in der Isolierung und die hätten ja sowieso die Maske auf und am Ende der Qua- rantäne ist eine junge Frau, 28 Jahre alt, die ist plötzlich am Ende der Quarantäne positiv ge- wesen, hat zwischendurch Husten bekommen. Das heißt, die hatte sich wirklich während des Fluges angesteckt.

Camillo Schumann

Und zwar auf der Toilette.

Alexander Kekulé

Ja, man hat alles verfolgt, was da als Möglich- keit in Frage gekommen ist. Die hat jetzt nun beim Essen, steht, zumindest in der Studie drin, nicht die Maske abgesetzt. Sie hat also nichts gegessen, die ganzen elf Stunden. Sie sagt, sie hat wirklich nur auf der Toilette kurz die Maske abgenommen. Daraus schließen jetzt diese Leute, okay, die hat sich tatsächlich so infiziert, dass ein anderer Passagier auch die Maske abgesetzt hat. Einer von denen, die da positiv waren. Sechs waren ja asymptomatisch positiv, und derjenige oder diejenige hat jetzt diese eine Passagierin tatsächlich infiziert auf dem kurzen Aufenthalt auf der Toilette. Das ist nicht nur für Fliegende, das Gleiche gilt natür- lich für eine Zugtoilette. Das ist genau das Glei- che. Das ist so ein kleiner, geschlossener Raum. Wenn da einer drin sitzt, der mächtig Viren ausscheidet, auch wenn er nicht laut singt, wahrscheinlich, das weiß ich jetzt auch

nicht, was die da so gemacht haben, dann ist das einfach ein gefährlicher Ort.

[0:37:11]

Camillo Schumann

Die Frage ist natürlich hat sie sich angesteckt, über Aerosole oder über Tröpfchen. Also hat sie dann möglicherweise den Wasserhahn angefasst und sich dann ans Gesicht gefasst. Konnte das denn eruiert werden?

Alexander Kekulé

Das weiß man nicht. Aber es ist unwahrschein- lich, dass es eine Kontaktinfektion war. Weil sich auf so einem Flug, das war ja ein Evakuie- rungsflug, ich gehe davon aus, dass die sich wirklich gründlich die Hände gewaschen ha- ben, nachdem sie da auf der Toilette waren. Und wenn man rausgeht, die Hände kurz vor- her gewaschen hat, ja, das dann müsste halt sozusagen ein Schwein vorher auf der Toilette gewesen sein und sie angesteckt haben. Das glaube ich nicht. Das waren ja Leute, die jetzt ganz selektiv evakuiert wurden. Und die wuss- ten, dass sie in so einem Risiko stecken. Die hatten ja auch die ganze Zeit, diese FFP- Masken im Gesicht. Ich gehe davon aus, dass das der geschlossene Raum dort mit den Aero- solen war. Es gab übrigens noch einen anderen Flug, haben sie dann hinter festgestellt, dass ist nicht so genau untersucht worden, aber ein anderer Evakuierungsflug auch von Mailand nach Südkorea. Da ist auch eine Person wäh- rend des Flugs positiv geworden. Ohne dass man das so genau nachverfolgt hat. Ich finde eine Kleinigkeit noch interessant dabei, und zwar das sind die elf Leute, die nicht mitfliegen durften. Es ist tatsächlich so, dass diese elf dann SARS-CoV-2-positiv waren: elf von 310. Das heißt also, man hat hier immerhin einen erheblichen Teil rausgezogen und vorher schon identifiziert als krank, durch die ganz normalen Einreisekontrollen. Sechs weitere sind in durch die Lappen gegangen. Das heißt also bin ich das jetzt mal zusammenzähle, dann sind von 17, die da offensichtlich im Flieger gewesen wären, die Covid-19-positiv waren, ohne Symp- tome zum Teil sind, immerhin elf von 17 identi- fiziert worden, vor der Abreise – mit ganz nor- malem Thermoscanner Scanner, plus- Interview, plus so eine kleine Untersuchung aber halt, ob sie Husten oder Schnupfen ha-

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ben. Das ist doch ein deutliches Argument, dass solche Einreisekontrollen auch was brin- gen würden. Natürlich nicht 100 Prozent, aber ich sage mal so, die Hälfte würde man wohl rausfischen.

[0:39:13]

Camillo Schumann

Wir kommen zu den Hörerfragen und begin- nen mit einer Frage dieser Lehrerin aus Nie- dersachsen:

„Leider habe ich eine Schwerbehinderung. Und ja, ich habe 2018 zwei Krebserkrankungen durchgemacht und könnte jetzt auf Antrag zu Hause im Home-Office arbeiten. Ich würde aber ganz gerne wieder in die Schule gehen, und mit dem derzeitigen Kohortenprinzip ist das für mich sehr schwierig oder sehr riskant. Hat Herr Kekulé, wie wir schwerbehinderte Lehrer in dieses System integrieren kann, wie uns gute Sicherheit gewährleistet werden kann und wir weiterhin unterrichten können? Das würde mich sehr freuen, weil, ich vermisse die Schule und die Schüler sehr. Danke.“

Alexander Kekulé

Erstens natürlich testen. Ich muss es an der Stelle noch einmal sagen. Man könnte natür- lich das Lehrerkollegium regelmäßig testen. Wenn man das nicht macht oder nicht kann im Moment – ich glaube, es wäre wichtig, dass man die Lehrer untereinander, die sind ja dann im Lehrerzimmer und haben auch miteinander zu tun, die müssten natürlich, wenn da eine schwerbehinderte Kollegin ist, müssten die natürlich quasi Protokolle entwickeln, wie sie darauf Rücksicht nehmen können. Das heißt also, es müsste klar sein, dass die dann nicht alle zusammen mit ihr sitzen, dass sie, wenn sie zusammen sind, Masken aufhaben und das übliche mit Abstand und Lüftung.

Das Zweite wäre, dass man im Klassenzimmer, tja, das ist natürlich schwierig, weil, Sie können mit einer FFP2-Maske wahrscheinlich nicht unterrichten. Da können sie im besten Fall so einen einfachen OP-Mundschutz aufsetzen. Ich glaube, eine echte FFP2-Maske zum Unterrich- ten, das wird nicht funktionieren. Das versteht auch kein Schüler, was der Lehrer dann genau sagen wollte. Da müsste man sich überlegen, ob man zumindest dafür sorgt, dass das immer

die gleichen Schüler sind, die sie unterrichtet. Dass es da keine große Durchmischung gibt und mit den üblichen Lüftungsprotokollen arbeitet.

Das sind alles, Sie hören es schon so durch, so zweitbeste Lösungen. Es fällt mir dann immer schwer, weil die offensichtlich gute Lösung wäre, regelmäßig alle zu testen. Dann hätte man eine extreme Reduktion des Risikos, dass es zu einem Superspreading-Ereignis kommt. Abgesehen von Superspreading-Ereignissen kann man die meisten Situationen durch Ab- stand kontrollieren. Das sind nur diese beson- deren Situationen, wo jemand ein Aerosol über eine größere Strecke produziert, also mehr als die eineinhalb Meter, auf die man Rücksicht nehmen muss in dem Fall. Und die man natür- lich nie ganz ausschließen kann. Am Ende des Tages, ein Restrisiko wird auch diese Hörerin haben. Ich finde es aber durchaus überlegens- wert, ob man sagt: Ich nehme jetzt dieses Restrisiko, wenn wirklich alles getan ist, um eine Infektion, soweit es geht, zu verhindern,

[0:41:56]

Camillo Schumann

Von der Schule zur Kita. Herr S. hat gemailt:

„In einer Kita in unserem Ort hat es letzte Wo- che einen Corona-Fall gegeben. Danach wur- den alle Kinder aus der Gruppe getestet. Alle Kinder müssen noch zehn Tage in Quarantäne, obwohl sie negativ getestet worden sind. Gleichzeitig dürfen die Geschwisterkinder, die in einer anderen Gruppe der gleichen Kita sind, weiterhin in die Kita gehen. Was ist denn aus wissenschaftlicher Sicht der Hintergrund, dass die Kinder trotz negativen Tests in Quarantäne müssen? Und wieso dürfen die Geschwisterkin- der weiter in die Kita? Das ergibt für mich auf den ersten Blick keinen Sinn. Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Ja, wir haben in Deutschland, übrigens wie überall auf der Welt, viele solche Dinge, die so ein bisschen mit zweierlei Maß gemessen wer- den, oder dreierlei. Das gibt natürlich keinen Grund, dass das Geschwisterkind sich nicht anstecken könnte. Wogegen die Kontakte Kin- der aus der Kitagruppe dann als Risikoperso- nen eingestuft werden. Das ist schon richtig beobachtet, dass das schwer zu erklären wäre.

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Und es gibt eine Diskrepanz. Das ist aber auch eines der Dinge, die ich ehrlich gesagt, auch nicht so richtig nachvollziehen konnte, dass man, zeitweise muss man sagen, ja, umge- schwenkt ist von der von der grundsätzlichen Ansage, dass man gesagt hat, wenn jemand eine Kontaktpersonen war, Kontaktpersonen sozusagen erster Ordnung, enger Kontakt zu jemandem, der Covid-19 positiv ist, dann muss der zwei Wochen in Quarantäne. So war das ja eigentlich immer. Und dann hat man gesagt irgendwann, okay, man kann die Quarantäne verkürzen, wenn man am 5. Tag, solange ist die Inkubationszeit typischerweise, wenn man am 5. Tag negativ getestet ist, kann man die Qua- rantäne verkürzen. So weit ist es ja sinnvoll. Aber das ist zum Teil im Zusammenhang mit der Diskussion um die Rückkehrer aus Risiko- gebieten dann aufgeweicht worden, dass man gesagt hat, die können den Test machen und hinzu in hinterher sowieso so sozusagen sofort freigesprochen und haben keinen Covid-19. Da müssen wir schon der eine oder andere, der diesen Podcast hört, sich gefragt haben, das kann ja irgendwie nicht ganz schlüssig sein. Das hat man ja jetzt auch geändert. Jetzt ist die Regelung eine andere, dass man sagt fünf Tage Quarantäne zu Hause und dann wird der Test gemacht. Da ist dann die Frage bei den Rück- kehrern, ob man die dazu bringt, zuhause zu bleiben. Und aus diesem ganzen Sammelsuri- um haben sich offensichtlich die Gesundheits- behörden dort, wo jetzt diese Anordnung in der Kita passiert ist, so eine Art Mischung raus- gesucht. Die haben sich von dem einen dies genommen und vom anderen jenen. Das heißt, sie sagen Kinder, die negativ getestet sind, müssen trotzdem noch in Quarantäne. Aber wenn es Geschwisterkinder sind, dann gilt es nicht. Das ist ... ja, das ist schwierig nachzuvoll- ziehen. Ich hoffe, dass es in den nächsten Wo- chen da eine gewisse Kohärenz geben wird in Deutschland, dass wir uns auf halbwegs eine einheitliche Maßstäbe einschießen und das dann auch in allen Situationen und in allen Bundesländern gleich handhaben.

Camillo Schumann

Was würden Sie mit Herrn S. beipflichten, dass es seiner Meinung nach keinen Sinn ergibt?

Ja, sie merken schon, ich bin da immer vorsich- tig, weil ich Angst habe, das als Nächstes das Gesundheitsamt einen Brief schreibt. Aber ja, es ist für mich nicht nachvollziehbar. So, wie er es schildert, ist es nicht nachvollziehbar. Also, das muss man fairerweise sagen.

[0:45:11]

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 103. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen SPEZIAL.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

Alexander Kekulé

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 01. September 2020 #102: Kekulés Corona-Kompass

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

1 [0:00:03]: MDR Aktuell -Kekulés Corona-Kompass. 2 [0:00:11]

Dienstag 1. September 2020. „Corona ist vor- bei und kommt auch nicht wieder.“ „Die meis- ten sind immun“ und „Covid19 ist auch nicht gefährlicher als eine Grippe“; mehrere Aussa- gen im Faktencheck. Dann wie das frühzeitige Einnehmen von Blutverdünnern bei Covid19 Leben retten kann. Außerdem ein Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen und die Alltags- frage: Wenn schon Handwerker an der Woh- nung, dann nur mit Maske?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Modera- tor bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag ha- ben wir einen Blick auf die aktuellen Entwick- lungen rund um das Coronavirus. Und wir be- antworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Professor Ale- xander Kekulé.

Camillo Schumann:

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Ein kurzer Blick aufs Infektionsgeschehen - international und national. Die Zahl der bestä- tigten Corona-Infektionsfälle ist er weltweit auf mehr als 25 Millionen gestiegen. Allein in den USA wurden fast 6 Millionen Infizierte ver-

zeichnet. Dann folgt Brasilien mit fast 4 Millio- nen. Einen rasanten Anstieg erlebt derzeit Indien, am Wochenende fast 80.000 Corona Infektionen innerhalb von 24-Stunden, der höchste Wert bisher. Wie bewerten Sie das internationale Infektionsgeschehen aktuell?

[0:01:28]

Alexander Kekulé:

Da muss man unterscheiden. Wir haben zum einen Länder wie Indien oder wahrscheinlich auch Regionen wie Afrika, wo man es gar nicht genau weiß. Bei ist der Zug schon abgefahren. Die machen eine natürliche Durchseuchung mit. Anders kann man es nicht sagen. Die kön- nen sich die Schutzmaßnahmen, die wir tref- fen, wirtschaftlich nicht leisten. Und es ist dort auch zum großen Teil praktisch gar nicht mög- lich. Man hat keine Masken, die Menschen wohnen eng zusammen. Die einzige gute Nachricht dabei ist, dass in vielen dieser Länder die Altersstruktur so ist, dass wir ganz wenig schwere Fälle sehen, zumindest verglichen mit Mitteleuropa oder den USA, und man daher hoffen kann, dass das schnell vorbeigeht, dass die schnell eine Grundimmunität erreichen, eine Herdenimmunität, ohne allzu viele Co- vid19-Tote zu haben.

[0:02:22]

Camillo Schumann:

Kommen wir nach Europa. Bei unseren Nach- barn in Frankreich wird ein exponentielles Wachstum gemeldet. Wie schauen Sie nach Frankreich?

[0:02:33]

Alexander Kekulé:

Die Gesundheitsbehörde dort hat explizit die- ses exponentielle Wachstum jetzt in ihren ak- tuellen Bericht hineingeschrieben. Das muss man mit großer Sorge sehen. Das ist vergleich- bar mit der deutschen Situation. Die hatten zwischendurch eine Phase, wo die Neuinfekti- onen ganz gut im Griff schienen. Frankreich macht vieles ähnlich wie wir. Sie haben zum Beispiel auch diese 50 Fälle pro 100.000- Einwohner-Grenze eingeführt als Alarmgrenze. Vorher haben sie noch eine Art Gelblicht. Das ist bei zehn Fällen pro 100.000 Einwohner. Und es ist so, dass aktuell in der vorletzten Woche von heute aus gesehen sind in 78 Departe-

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ments in Frankreich diese gelbe Schwelle über- schritten mit zehn Fällen. Und in 9 Departe- ments hat man diese Alarmschwelle über- schritten. Jetzt muss man sagen, so ein Depar- tement ist ziemlich groß, also eins von denen zum Beispiel ist der Großraum Paris, Ile de France. Da gehören viele Departements zu- sammen, dazu 75 für Paris natürlich, das ken- nen viele von den Autokennzeichen, und noch eine ganze Reihe weiterer. Und die ganze Cote d'Azur ist betroffen, plus sieben weitere. Aus meiner Sicht ist in Frankreich die Situation so, dass wir es ähnlich haben, wie wir es in Italien schon mal hatten. Das Virus breitet sich lan- desweit aus, und es ist nicht sinnvoll, jetzt zu sagen, in diesem Departement ist rot, in jenem ist gelb. Sondern von Deutschland aus gesehen muss man sagen: In ganz Frankreich ist die Situation außer Kontrolle im Moment. Und man kann eben daran sehen, was bei uns im Grunde genommen passieren könnte. Nur eine letzte Zahl vielleicht. Aktuell haben die die 34. Kalenderwoche im Bericht, also die vorletzte Woche von heute. Im Vergleich zur Vorwoche von 33. auf die 34. sind die Fälle in Frankreich um 74 Prozent gestiegen, also dreiviertel in- nerhalb von einer Woche. Das ist dramatisch. Und das werden die auch nicht in den nächs- ten Wochen in den Griff bekommen.

[0:04:43]

Camillo Schumann:

Die Urlauber - und damit der Blick nach Deutschland - sind in Deutschland weitestge- hend zurück. Die Schulen sind bis auf Bayern und Baden-Württemberg auch wieder offen. Heute wurden vom Robert-Koch-Institut 1.218 Neuinfektionen innerhalb von 24-Stunden gemeldet, die meisten in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen.

Herr Kekulé, das ist der dritte Dienstag in Folge mit über 1.200 Neuinfektionen. Weil wir gera- de Frankreich hatten: Ist das Glas jetzt bei uns halb voll oder halb leer?

[0:05:14]

Alexander Kekulé:

Gute Frage, wir sind irgendwie auf so einem Steady-State, auf einem kontinuierlichen Zu- stand eingeschwungen. Wir müssen jetzt mal sehen, wie sich das weiter entwickelt. Die wichtige Frage ist: Haben die Schulöffnungen

jetzt einen Effekt, ja oder nein? Denn alle an- deren Menschen in Deutschland halten sich weitgehend an die Sicherheitsmaßnahmen. Man versucht, Abstand einzuhalten. An vielen Arbeitsplätzen werden Masken getragen und man arbeitet schichtweise usw. Das einzige Großexperiment, das wir jetzt im Moment in Deutschland machen ist, das wir die Schüler zusammen in die Klassen setzen ohne Maske, und hoffen, dass es nicht zu einem erneuten Ansteigen der Neuinfektionen kommt. Davon wird es letztlich abhängen in der nächsten Zeit, denn die Großveranstaltungen sind ja schon abgesagt. Das ist in der jetzigen Lage vernünf- tig. Und auch bei allen anderen Dingen ist man so halbwegs auf der Bremse und will sich das erst einmal ansehen.

[0:06:11]

Camillo Schumann:

Auf der Positivseite könnte man auch sagen: Von Superspreader-Events ist in den letzten zwei Wochen kaum noch die Rede, oder?

[0:06:20]

Alexander Kekulé:

Ich habe den Eindruck, dass die Menschen das verstanden haben. Das ist eine der wichtigsten Maßnahmen für den Herbst, die man jetzt noch einmal wiederholen darf. Wir müssen proaktiv Superspreader-Events meines Erach- tens vorhersehen. Ich glaube, dass es darauf angekommt, in welchen Situationen das unge- fähr stattfindet. Ich glaube, dass dort klar ist, dass man nicht hinterher die Tests machen soll und sich dann fokussiert auf die Supersprea- der-Events, sondern dass man vorher analysie- ren muss, in welchen Situationen passiert das? Das wird ja jetzt auch derzeit im Arbeitsschutz gemacht. Ich höre auch persönlich von vielen Unternehmen, die wissen wollen, welche Situ- ation müssen wir vermeiden, damit es nicht zu solchen Ausbrüchen kommt. Da sind wir ei- gentlich eine Stufe schlauer als vor drei Mona- ten.

Bei diesem sogenannten Smart-Konzept - das A hieß immer Aufklärung - aber im Grunde ge- nommen ist die Aufklärung der Infektionser- eignisse, die epidemiologische Eingrenzung eigentlich weitgehend geschehen. Inzwischen

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wissen wir, wie diese Super-Spreading- Ereignisse zustande kommen. Interessanter- weise ist es genauso wie beim SARS-Ausbruch 2003. Da hatte man die gleiche Situation. Und was damals gefährlich war, ist heute auch ge- fährlich.

[0:07:39]

Camillo Schumann:

Wenn ich das so heraushöre, dann professio- nalisiert sich so langsam das Wissen und auch die Maßnahmen gegen das Virus?

[0:07:48]

Alexander Kekulé:

So würde ich das sehen. Am Anfang gab es einzelne, die gesagt haben, das und das sollte man machen. Und wir haben in Deutschland viele verschiedene Einzelmeinungen. Und lei- der ist es auch so, dass unter den Fachleuten mal der eine dieses sagt und der andere jenes. Bis zum einem gewissen Grad ist das das nor- males Geschäfte unter Wissenschaftlern. Aber dadurch, dass das öffentlich passiert, gibt es so einen Zickzack-Kurs. Politiker sagen dann im- mer gerne: Die Faktenlage ändert sich jede Woche. Darum mussten wir mal so mal so entscheiden.“ Das ist natürlich nur eine Sicht- weise auf die Dinge. Letztlich ist es so, dass viele Sachen, die frühzeitig relativ klar waren, sich jetzt einfach mehrheitlich durchgesetzt haben. Und dadurch gibt so eine Art Konsoli- dierung der Maßnahmen. Das finde ich eigent- lich ganz gut. Und wenn es jetzt zum Herbst rechtzeitig stattfindet, dann haben wir in Deutschland eigentlich eine gute Chance, den ganz positiven Kurs, den wir bis jetzt hatten, beizubehalten.

[0:08:49]

Camillo Schumann:

Mit dem angesprochenen Zickzack-Kurs und den Einzelmeinungen wären wir quasi beim nächsten Thema. Fast 10.000 Fragen haben uns bisher in den über hundert Ausgaben die- ses Podcasts erreicht. Gerade wenn prominen- te Politiker oder Wissenschaftler im Fernsehen oder bei YouTube kontroverse Aussagen tref- fen, dann schreiben wir uns auch viele Po- dcast-Hörer und wollen eine Einordnung dieser

Aussagen von uns. Uns haben viele Mails zu den Aussagen des AfD-Politikers Björn Höcke erreicht und zu Professor Sucharit Bhakdi. Wir können ja mal mit Björn Höcke beginnen. Im MDR Thüringen-Sommerinterview hat er ge- sagt, dass Corona vorbei sei und begründet das folgendermaßen:

[0:09:29] „Also Zahlen sie ja viele im Umlauf. Und wenn man den Faktencheck macht, dann wird man erkennen, dass wir im Augenblick etwa 100.000 Testungen am Tag in Deutschland haben. 100.000 Testungen. Der Standardtest, der durchgeführt wird, hat eine falsch Positiv- meldungen von etwa zwei Prozent. Zwei Pro- zent von100.000 sind 2.000. Wie sind die Zah- len des RKI im Augenblick? 1.000. Wir haben wahrscheinlich statistisch nur den Ausfluss von positiv falsch getesteten Menschen. Corona ist vorbei.“

[0:09:57]

Camillo Schumann:

Gehen wir mal kurze der Reihe nach: 100.000 Tests pro Tag. Das stimmt so nicht. Es sind mehr, es sind über 140.000. Und nun die zwei- te Behauptung: Der Standard-PCR-Test hätte eine falsch-positiv Rate von zwei Prozent, und wir haben wahrscheinlich statistisch nur den Ausfluss von positiv getesteten, falsch positiv getesteten Menschen. Stimmt das?

[0:10:15]

Alexander Kekulé:

Grundsätzlich bin ich immer vorsichtig, Aussa- gen von Politikern - vor allem aus dieser Cou- leur - zu kommentieren. In dem Fall muss man es wohl machen, weil das viel wiedergegeben wurde in der Vergangenheit. Ich höre das oft: Wir haben ja so viele Falsch-Positive. Das stimmt absolut nicht. Positiv-falsch heißt ja, dass der PCR-Test falsch ist. Das heißt ja, dass Covid19 nachgewiesen wurde, wo gar kein Covid19 drinnen war. Diese Falsch-positiven- Rate, so der technische Ausdruck, also die Spe- zifität des Tests, liegt in der Größenordnung von 99,8 Prozent ungefähr. Da gibt es ver- schiedene Zahlen. Die eine Zahl ist die, die der Hersteller eines typischen Tests angibt. Dann

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gibt es Untersuchungen von Leuten, die sich das noch einmal unabhängig angeschaut ha- ben. Die kommen auf 100 Prozent. Die kom- men bei dieser Spezifität darauf, dass wirklich kein einziger der getesteten Fälle falsch war. Sicherlich kann man argumentieren, im Labor werden mal Proben verwechselt oder ähnli- ches oder jemanden macht im Labor und an- deren Fehler. Da gibt es durchaus Überlegun- gen, dass es nie ganz 100 Prozent sein wird, auch bei den positiven. Aber das ist so ver- schwindend gering, dass man sagen muss: Diesen Fehler haben wir hier nicht. Und die Rechnung von Herrn Höcke ist einfach von den Daten her falsch.

Camillo Schumann:

Die große Frage, die man sich stellt, ist nun: Diese zwei Prozent geistern ja immer wieder rum. Wie kommt man eigentlich auf diese zwei Prozent?

Alexander Kekulé:

Es ist so, dass es in den USA vor einiger Zeit einen Rückruf eines Tests gab, das ist auch in der Presse gewesen. Becton Dickinson ist einer der vielen großen Hersteller. Die haben mal drei Prozent sogar Falsch-positive gehabt. Und daraufhin hat die amerikanische Gesundheits- behörde FDA einen Rückruf gestartet und eine Warnung gemacht und gesagt: „Da ist eine falsche Charge quasi ausgeliefert worden. Die dürft ihr nicht verwenden.“ - Ich vermute, dass daher diese Zahl kommt, dass man das so ge- rechnet hat. Rein wissenschaftlich gibt es kei- nen Grund, von zwei Prozent falsch positiven Testungen zu sprechen.

[0:12:31]

Camillo Schumann:

Das ist das eine. Zum einen sind die PCR-Tests nahezu hundert Prozent richtig. Auf der ande- ren Seite muss man ja auch für die Interpreta- tion des Ergebnisses sagen, dass nicht nur das Ergebnis genommen wird, sondern auf viele Parameter geschaut wird.

[0:12:46]

Alexander Kekulé:

Na gut, wir haben immer den Hintergrund, den

man sich ansehen muss. Das eine ist die Frage: Ist der Test technisch richtig, also wie groß ist seine diagnostische Spezifität? Das meint quasi wenn ich einen Patienten vor mir habe, der wirklich Covid19 hat. Wie hoch ist die Wahr- scheinlichkeit, dass ich das bei ihm feststelle? Wir sagen da auch diagnostische Spezifität dazu. Und das andere ist die Frage: Beeinflusst sich das vor dem Hintergrund? Wenn ich einen Hintergrund habe, wo ganz wenig Menschen positiv sind und vor diesem Hintergrund quasi einzelne raussuchen würde, dann ist so, dass der positive Vorhersagewert höher ist als diese 0,02 Prozent Fehler, die in der Technik auftre- ten. Es ist aber trotzdem weit weg von den zwei Prozent. Sie haben keine falsche Vorher- sage in dem Sinn, dass sie bei zwei Prozent oder sowas landen, sondern das ist deutlich drunter. Man kann sagen: Jemand, der Co- vid19 bei uns positiv getestet wird, der hat in der Regel das Virus auch tatsächlich am Hals. Wo man die Frage stellen muss ist eher an- dersherum: Wie viele von denen sind wirklich infektiös, wie viele von denen sind epidemiolo- gisch relevant? So herum ist die Frage sinnvoll. Aber an den positiven Testungen zu zweifeln, halte ich nicht für sinnvoll.

[0:14:09]

Camillo Schumann:

Kommen wir zur einer 2. Aussage des AfD- Politikers Björn Höcke, die nicht nur von ihm geäußert wird, aber bei ihm im MDR Thüringen -Sommerinterview.

[0:14:19] „Wer positiv durch diesen Standardtest getes- tet worden ist, der von der Charité entwickelt worden ist, der ist ja nicht zwangsläufig krank. Der ist vielleicht mal von einem halben Jahr mit dem Coronavirus in Kontakt gekommen, viel- leicht auch mit einer anderen Art von Corona- virus. Corona ist schon seit vielen Jahren jedes Frühjahr bei dem Grippevirus dabei.“

[0:14:36]

Alexander Kekulé:

Da sind ganz viele Sachen falsch. Also erstens

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muss man sagen: Der Standardtests, der jetzi- ge, ist nicht von der Charité entwickelt worden. Vielmehr ist es so, dass inzwischen viele inter- national übliche Tests vorhanden sind. Die Charité hat damals einen der ersten zur Verfü- gung gestellt weltweit, als Covid19 losgegan- gen ist. Zwar auch nicht der 1. weltweit, weil die Chinesen ja schon getestet haben, bevor hier natürlich Informationen rüberkamen. Das ist die Nummer 1.

Die Nummer 2 ist falsch. Denn es geht nicht darum, wer vor einem halben Jahr mal etwas durchgemacht hat. Wir sprechen hier von ei- ner PCR, also von einem Virusnachweis und der Virusnachweis, von einem Rachenabstrich oder vom Nasen-Rachen-Abstrich. Das bedeu- tet, dass jetzt aktuell das Virus vorhanden ist. Und keiner scheidet das Virus sechs Monate, als ein halbes Jahr lang aus. Also das passt ir- gendwie nicht zusammen. Das hat er mit dem Antikörpertest verwechselt, mit dem direkt eine Antikörper-Test mit dem Infektiösitäts- Nachweis.

Womit er natürlich recht hat, ist der positiv Covid19-Test. Wer da positiv ist, muss deswe- gen erstens nicht infektiös sein. Das ist eine Frage, wo wir wissenschaftlichen ein Fragezei- chen haben. Das wissen wir nicht. Genau das wird seit vielen Monaten weltweit diskutiert. Und natürlich ist es so, dass wir wissen, dass die nicht unbedingt krank sind. Also die aktuel- len Schätzungen sehen so aus, dass von denen, die infiziert werden, allerhöchstens die Hälfte Symptome haben. Eher ein Drittel oder ein Viertel.

[0:16:14]

Camillo Schumann:

Aber nichtsdestotrotz stand von Anfang an fest: Jemand, der positiv auf das Coronavirus getestet wird, ist nicht gleich ein Fall, hat nicht leicht Symptome und muss ins Krankenhaus. Sondern es ist der einzig und allein erst einmal nur der Virus nachgewiesen worden und nichts anderes. Deswegen ist er die Verbindung: posi- tives Ergebnis = krank nie gemacht worden.

[0:16:35]

Alexander Kekulé:

Fachleute zumindest haben das nicht gemacht.

Kann schon sein, dass es in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Aber was mir das wichtigste Statement ist, ist eigentlich, dass die anderen Coronaviren mitnachgewiesen werden. Das erinnert mich an die Frühzeiten. Wir haben auch mal über die Aussagen von Herrn Wodarg gesprochen, der aus Griechenland YouTubes aufgenommen hat, die viel geklickt wurden. Der hat auch schon gesagt, es sei so, dass diese Covid19-Tests andere Coronaviren nachweisen würden. Da muss man einfach sagen: Da ha- ben wir technisch keinen Hinweis darauf. Das wird immer wieder überprüft. Die Labore müs- sen regelmäßig sogenannte externe Qualitäts- kontrollen machen. Da kriegen die so ein paar Röhrchen zugeschickt, wo sie nicht wissen, was drin ist. Und in einigen dieser Röhrchen sind immer andere Coronaviren, damit es ein biss- chen schwieriger ist mit drinnen. Und wenn da auffallen würde, dass die Labore andere als diese normalen Coronaviren aus Versehen als Covid19 diagnostizieren, dann würden zumin- dest in Europa sofort die Alarmglocken läuten. Das heißt also, dieses Gerücht, dass in diesen Tests auch die anderen Coronaviren nachge- wiesen werden würden, ist absoluter Unsinn.

[0:17:50]:

Camillo Schumann:

Die Aussagen von Björn Höcke sind also hier im Faktencheck im Podcast durchgefallen. Kom- men wir zu den aktuellen Aussagen eines Kol- legen von Ihnen. Dazu haben wir auch viele Zuschriften erhalten. Professor Sucharit Bhak- di, ehemaliger Leiter des Instituts für Medizini- sche Mikrobiologie und Hygiene am Uniklini- kum Mainz. Er macht auch Videos bei YouTu- be. Die werden 100.000-fach geklickt. Am An- fang des Podcasts hatten wir auch schon mal einige Aussagen von ihm besprochen. Aktuell ist ein Video von ihm zu sehen mit dem Titel „Das beste Covid19-Aufklärungsvideo“. Und darin erklärt er unter anderem sehr detailliert eine Tübinger Studie, die Blutproben vergli- chen hat. Und er kommt, nachdem er diese Studie erklärt hat, zu folgender Schlussfolge- rung:

[0:18:36] „Das heißt, wahrscheinlich aufgrund der TCL- Kreuzimmunität, denn es gibt nichts anderes,

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was das erklären würde, sind bereits ungefähr 85 Prozent der Bevölkerung bereits ausrei- chend geschützt. Auch das muss man realisie- ren. Das ist die Herdenimmunität, denn Immu- nität heißt nicht, nicht infiziert werden. Immu- nität heißt, gefeit sein gegen die Krankheit, die schwere Erkrankung, das muss man sich wirk- lich überlegen.“

[0:19:03]

Camillo Schumann:

Herr Kekulé, Sie kennen die Studie. Haben wir das Ziel Herdenimmunität schon erreicht?

Alexander Kekulé:

Den Herrn Bhakdi kenne ich schon lange, das ist ein geschätzter Kollege, ein sehr kultivierter Mikrobiologe. Nicht alle sind so kultiviert wie er in der Zunft. Deshalb will ich persönlich nichts auf ihn kommen lassen. Ich weiß, dass er besorgt ist. Das einmal vorweg. Das ist fast schon unzulässig, den sozusagen in der gleichen Sendung wie den Herrn Höcke zu besprechen. Er bezieht sich auf eine Studie von Herrn Rammensee aus Tübingen. Rammensee ist einer der Top-Immunologen in Deutschland. Der hat jetzt noch mal detaillierter das nach- gewiesen, was wir das eine oder andere Mal schon besprochen haben: dass Menschen, die keinen Kontakt mit Covid19 hatten und die keine Antikörper gegen Covid-19 haben, also gegen Sars-CoV-2 haben, dass die scheinbar trotzdem eine Immunität haben oder eine Teilimmunität haben durch reagierende T- Zellen. Diese zelluläre Immunität spielt oft eine Rolle bei der Virusabwehr, auch bei der Ab- wehr von Bakterien. Aber anders als bei Anti- körpern, steckt die Erforschung hier noch in den Kinderschuhen, die Methoden, mit denen man das detailliert nachweisen kann. Dabei ist herausgekommen, dass bis zu 80 Prozent der Menschen, die noch nie Kontakt zu Sars-CoV-2 hatten, tatsächlich reagierende kreuzreagie- rende T-Zellen haben. Der Schluss, den glaube ich ja Bhakti und auch viele andere gemacht haben, ist, dass man dann sagen kann: dann sind 80 Prozent immun und nur 20 Prozent empfänglich. Das erklärt vielleicht auch, wa- rum nur so wenige schwerkrank werden. Der Schluss ist aber viel zu kurz. So kurz kann man den Schluss nicht machen. Immunologisch

ist es so bei diesen T-Zellen: Wenn man nach- weist, dass die reagieren, diese T-Zellen- Reaktivität, geschieht das so: Man nimmt ein- fach die T-Zellen des Patienten, gibt da Be- standteile von Sars-CoV-2-Virus drauf, also kleine Bausteine des Virus. Die hat man künst- lich hergestellt. Dann guckt man, ob diese T- Zellen wie ein Wachhund anschlagen und bel- len. Das merkt daran, dass sie ein in eine Sub- stanz freisetzende Interferon Gama heißt, und das misst man dann einfach. Und wenn es freigesetzt wird, ist die T-Zelle aktiviert.

Für eine echte Immunität braucht man aber viel mehr als das. Da kommt es 1. auf die quan- titative Aktivierung an. 2. gibt es verschiedene Sorten von T-Zellen. Also nur ein Stichwort: Es gibt die sogenannten Killerzellen, die toxischen T-Zellen; und es gibt Helferzellen, die dann wieder etwas zu tun haben, auch mit den Anti- körper-Produkt. Es gibt also verschiedene Sor- ten. Und dann ist auch so, dass jede einzelne T- Zelle anders ist. Und es kommt immer darauf an habe ich nur eine Sorte, eine ganz spezielle Art von T-Zellen aktiviert, oder ist es eine brei- te Antwort. Man kann sich das so vorstellen, als wenn in einer Armee nur eine Sorte von Soldaten ist, die alle genau das Gleiche haben, z.B. ein Gewehr mit Bajonett. Und aber um ein Virus zu bekämpfen, braucht man verschiede- ne Waffengattungen. Da brauchen sie Panzer plus Marine und so weiter. Und diese ver- schiedenen Arten von T-Zellen, die alle gegen das gleiche Virus gehen, das sieht man nur bei denjenigen, die eine echte Covid19-Infektion durchgemacht haben und nicht bei denen, die wahrscheinlich durch andere zirkulierende Coronaviren so eine Art Reaktivität bekommen haben. Sodass man also keine Abkürzung nehmen kann, dann zu sagen, alle diejenigen, wo die T-Zellen reagieren, sind auch wirklich immun oder auch nur teilimmun gegen Covid- 19.

Camillo Schumann:

Das heißt, zu sagen, alle diejenigen, bei denen die T-Zellen reagieren, sind auch wirklich im- mun oder auch nur teilimmun gegen Covid19, reicht nicht aus, um eine Gesamtaussage dar- über zu treffen, ob man dann tatsächlich im- mun ist.

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Alexander Kekulé:

Das wäre ungefähr so, als wenn Sie analysieren wollen, ob der FC Bayern das nächste Spiel gewinnt. Und sie würden sagen ja, da spielt dieser Fußballer, etwa Manuel Neuer ist im Tor. Deshalb gewinnen die das nächste Spiel. Aber die anderen zehn Spieler auf dem Platz haben sie nicht interessiert, und das ist eben verkürzt. Sie brauchen viele verschiedene Spie- ler auf dem Platz, die verschiedene Fähigkeiten haben. Ich sehe schon, dass Fußballer-Beispiel kommt bei Ihnen besser an als das militärische. Sie brauchen verschiedene Disziplinen, die zusammenwirken. Und da sind wir bei den T- Zellen einfach wissenschaftlich noch nicht so weit, dass wir das so gut erklären können.

Das ist ein super interessantes, komplexes Thema. Aber ich würde mal sagen, Herr Bhakti hat einen interessanten Gedanken gehabt: Er hat es nur in seiner Schlussfolgerung etwas zu einfach gemacht.

Camillo Schumann:

Zur Gretchenfrage: Auf die Frage, wie gefähr- lich Sars-CoV-2 eigentlich ist, hat Professor Bhakti ebenfalls eine Antwort. Wir hören mal rein:

[0:24:13] „Ungefähr 100 bis 150 Menschen über 80 Jah- re pro 10.000. Menschen sterben an Atem- wegsinfektionen in Deutschland jedes Jahr. Dieses Jahr hat sich Covid19 an 10 beteiligt. Das ist eine Beteiligung, die in der Größenord- nung ist wie jedes Grippevirus, wie andere Viren wie Adenoviren und sogar normale Rhi- novieren. Das ist der Grund, weswegen wir immer wieder gesagt haben: Covid19 oder Sars-CoV-2 ist nachgewiesenermaßen nicht gefährlicher als eine saisonale Grippe oder als eine mittelschwere Grippe.“

[0:24:55]

Camillo Schumann:

Was ich mich jetzt gefragt habe: Professor Bhakti spricht von diesem Jahr. Aber das ist ja noch nicht vorbei. Der Herbst mit möglicher- weise vielen Infizierten und auch mehr Toten, kommt er erst noch. Oder meint er diese Sai- son? Aber gibt es überhaupt eine Sars-CoV-2 - Saison? Wie bewerten Sie diese Aussage?

[0:25:10]

Alexander Kekulé:

Das kann ich zeitlich nicht so genau zuordnen. Ich schätze, er hat einfach die Zahlen, die vom Robert-Koch-Institut publiziert sind, genom- men.

Insgesamt muss ich sagen: In diesem Video heißt es an einer Stelle, dass die Wahrschein- lichkeit, wenn man unter 65 ist, zu sterben, ist nur 1:20.000. Diese ganzen Daten sind epide- miologisch nicht nachvollziehbar. Ich wäre dafür, dass das Robert-Koch-Institut mal vor- rechnet und sagt: Schaut mal her, so und so sind die Zahlen. Deshalb stimmt es nicht, was euch andere Leute sagen. Oder sie müssten zumindest andere Zahlen bringen. Aber keiner zählt ja in Deutschland oder sonst wo auf der Welt selber nach. Die Zahlen sind ja immer von den Gesundheitsbehörden. Und wenn man die Zahlen der Gesundheitsbehörden nimmt, etwa die vom RKI, um konkret mal gegenzurechnen, haben wir in Deutschland 243.599 offizielle Covid19-Fälle. Das sind im Wesentlichen Leute, die positiv getestet wurden, und 9.302 Tote. Da kommt man auf 3,82 Prozent, sozusagen rohe Sterblichkeitsquote. Ich werde das jetzt nicht Letalität nennen, aber das ist so diese hohe Quote. Die hat natürlich viele Fehler, über die wir schon gesprochen haben.

Das Interessante ist jetzt: Ab 65 gibt das RKI für Deutschland gar keine Zahlen raus. Und ich wüsste auch im Ausland nicht, wo das ab 65 gemacht wird, weil die meisten das in Zehner- schritten machen. Ich muss jetzt sagen ich weiß nicht genau, wie Herr Bhakti da gerech- net hat. Aber wenn wir einfach mal die Zahlen ab 70 anschauen, - die sind in Deutschland publiziert -, dann ist es schon interessant und bemerkenswert, dass die über 60-Jährigen zwar nur 15 Prozent der Covid-Fälle sind, aber 85 Prozent der Todesfälle haben. Das ist schon relevant, um dann kommt man, wenn man das einfach teilt, kommt man ungefähr auf 21 Pro- zent Sterblichkeit. Dass es echt krass für die über 70-Jährigen ist, natürlich mit tausend Fragezeichen dran. Das heißt nicht, dass jeder einzelne dieses Risiko hat, sondern dass ist dieser Quotient, der auch fehlerbehaftet ist.

Aber wenn man das Gleiche rechnet für die unter 70, dann wäre die Sterblichkeit 0,7 Pro- zent. Das sind die deutschen Zahlen. Und das

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passt ziemlich genau zu dem, was überall auf der Welt publiziert wird: Wenn man die ganz Alten rausnimmt, die ein hohes Risiko haben, kommt man auf 0,5 bis 0,7 Prozent Sterblich- keit.

Wenn man jetzt auch noch für Deutschland die Personen, die unter 20 sind, rausnimmt, die machen ungefähr zehn Prozent aller Infizierten aus, also eine Menge. Aber die haben ja prak- tisch nie Todesfälle. Da gab es in Deutschland insgesamt bisher drei gemeldete Todesfälle, übrigens alle mit weiteren Grunderkrankun- gen. Und wenn man die rausrechnet und nur die 20-bis 70-Jährigen anschaut, dann kommt man so auf fast 0,8 Prozent rein rohe Letali- tätsquote.

Das heißt also, man ist im Bereich von 0,8 Pro- zent, also noch deutlich über dem, was Herr Bhakti ausgerechnet hat, und weit über dem, was die normale Influenza macht. Sodass ich jetzt nicht genau weiß, wie er auf diese Zahl kommt.

Dann müsste man eine sehr große Dunkelziffer an unbekannten Infektionen annehmen, um sich das hinzurechnen. Aber diese Dunkelziffer, da können wir schätzen, was wir wollen. Die meisten Leuten Leute sagen, der Faktor ist fünf vielleicht auch zehn. Aber um auf die Zahlen von Herrn Bhakti zu kommen, müssen sie mit einem 100-fachen der Dunkelziffer rechnen.

Camillo Schumann:

Noch mal ein großes Fragezeichen an die Zah- len. Wo hat Professor Bhakti seine Zahlen her?

Alexander Kekulé:

Es gibt weltweit Leute, die die offiziellen Zah- len in Frage stellen. Der Champion ist John Ioannidis. Er ist ein halb Grieche, halb Ameri- kaner. Er lehrt in Stanford an einer renommier- ten Universität und schreibt populärwissen- schaftliche Bücher. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie oft und wo machen Wissenschaftler Fehler. Das ist das, was ihn interessiert, also sozusagen die Meta-meta-Analyse der Wissen- schaft. Einer seiner berühmtesten Artikel war vor einigen Jahren hieß: Warum sind die meis- ten wissenschaftlich publizierten Forschungs- ergebnisse falsch? Das ist also einer der Top- Artikel von allen gewesen. Er ist so ein Infant terrible, kann man sagen. Ich finde auch völlig in Ordnung, dass es solche Leute gibt.

Er publiziert schon seit Monaten in den USA eine Studie nach der anderen, wo er so ähnli- che Zahlen wie diese 1:20.000 herrechnet. Da sagt er, dass es ganz wenig Sterblichkeit und die meisten sind gesund, und alle unter 60 haben Vorerkrankungen gehabt und, und, und. Er rechnet speziell für die amerikanischen Zah- len dann immer ein bisschen schön. Es ist so, dass bis jetzt seiner Studien, ich kenne drei, die relativ ausführlich waren, zu Covid, hinterher von den anderen Epidemiologen in den USA Stück für Stück zerlegt worden. Die ist kom- plett auseinandergenommen worden. Es wur- de dann öffentlich gezeigt, das ist falsch, das ist falsch, das ist falsch. Die Amerikaner sind da viel gnadenloser als die Deutschen, wenn sie so etwas machen. Das heißt, sich auf den zu berufen, ist relativ riskant. Aber der hat auch solche Zahlen. Ich nehme an, dass Herr Bhakti bei Ioannidis nachgeguckt hat, wenn er so was schätzt.

Aktuell - auf die Gefahr hin, dass die nächste Studie vom Ioannidis auch wieder in den Corona-Kritiker-Kreisen diskutiert werden will, aktuell hat er eine Studie, wo er wieder sagt, dass die Gefahr durch Covid19 ein minimales ist und kaum Menschen unter 65 eben sterben würden. Da hat er ganz viele Studien zusam- mengefasst, die er sich zusammengeklaubt hat - über 30 Studien, glaube ich. Das Problem ist nur: Die hat er so zusammengesucht, dass er selber entschieden hat, welche er hinein- nimmt. Man versteht nicht, warum die eine drin ist und die andere nicht. Er hat die jeweili- gen Qualitätskontrollen nicht berücksichtigt. Er hat nicht berücksichtigt, dass die Tests, die gemacht werden, unterschiedlich gut waren. Und er hat, so, wie es aussieht, einige Daten systematisch weggelassen, z.B. die von Regie- rungen. Das ist klar. Das sind auch die Daten, die ihm nicht gefallen. Sodass ich davon aus- gehe, dass auch die neueste Studie wieder von den Epidemiologen, wenn Sie das genauer lesen, widerlegt werden wird.

[0:31:45]

Camillo Schumann:

Jetzt haben wir über Aussagen des Politikers Björn Höcke und ihres Kollegen Professor Bhakti gesprochen. Auch wenn sie darauf hin- gewiesen haben, dass man die eigentlich nicht

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in einem Atemzug so nennen kann. Aber wir haben ja Hörerfragen beantwortet, bezie- hungsweise wurden aufgefordert, mal ein biss- chen was dazu zu sagen, das Ganze einzuord- nen.

Was glauben Sie so grundsätzlich, warum es so einen offenkundigen Widerspruch der einzel- nen Meinungen gibt? Hat die Wissenschaft, hat die Politik im Laufe der Pandemie oder am Anfang Fehler gemacht, nicht richtig kommuni- ziert? Was meinen Sie? Ist es normal?

[0:32:17]

Alexander Kekulé:

Ja, ja und nein. - Vielleicht noch eines zu John Ioannidis zum Abschluss dazu: Es ist so, dass in den Vereinigten Staaten, wo wir über 180.000 Tote haben, 25.000 Menschen unter 65 ge- storben sind. Nur so viel zu der Aussage, dass man unter 65 kein Risiko hätte, an Covid19 zu sterben.

Ja, warum ist das so? Warum wird das so un- terschiedlich diskutiert? Wir haben in der Wis- senschaft oft Leute, die sagen nein, das stimmt nicht, was ihr da sagt. Auch bei Kongressen kenne ich das, dass es immer irgendeinen gibt, der aufsteht und sagt: Ich glaube das nicht. Und klar, die werden dann zum Teil belächelt. Zum Teil diskutiert man höflich ihre Argumen- te. Und ich bin ganz sicher, dass einige von denen sich dann durchsetzen und zu einem Paradigmenwechsel in der Wissenschaft bei- tragen. Denn nur wenn man Leute hat, die mutig sind und sagen: Mainstream, ich glaub euch nicht, dann ändert sich was in der For- schung. Das heißt, dass müssen nicht die Schlechtesten seien die, die am Anfang viel- leicht ein bisschen wie Spinner aussehen. Dieser normale Prozess wird in dem Moment schwierig, wenn die Wissenschaft mit runter- gelassenen Hosen zuguckt und die ganze Zeit diskutiert. Weil uns ständig Zuschauer bei dem, was wir machen, zuschauen. Das haben wir durch diese Preprint insbesondere also dadurch, dass Veröffentlichungen vorab raus- gegeben werden und leider dann auch manche Kollegen einen riesen Pressewirbel mit ihren Preprints machen. Und weil sie wollen, dass diese Daten im politischen Raum diskutiert werden, führt das dazu, dass die Politiker, die verzweifelt auf der Suche nach Argumenten

sind, die Rosinen rauspicken, um ihre eigene Argumentation am besten voranzutreiben. Das heißt, ich glaube, wir haben speziell in Europa den Fehler gemacht, dass die Politik einzelne Wissenschaftsmeinungen immer als Begründung für ihr Handeln genommen hat. Und man hätte sicher besser daran getan, wenn man von Anfang an so ein ganzes Gremi- um genommen hätte, einen runden Tisch ohne Publikum, aber mit Fachleuten. Meine Erfah- rung ist, dass man so zu Lösungen kommt.

Ich würde jemanden wie Herrn Bhakti zum Beispiel an den runden Tisch mit dransetzen. Das tut doch nicht weh, wenn da einer Kontra geben kann, im Gegenteil. Und die anderen prüfen mal, wie solide ihre Argumentation ist. Das muss man aber eben intern machen. Und dann muss die Politik sagen: Okay, wir haben uns das angehört. Und auf dieser Basis treffen wir jetzt eine Entscheidung.

Wenn stattdessen der Bundesgesundheitsmi- nister gestern im Fernsehen wieder gesagt hat: Ja, es ändert sich ständig die Lage, und wir müssen ständig nach der Lage neu entschei- den, dann glaube ich, dass viele Bürger ir- gendwann nicht mehr mitgenommen werden. Es muss so sein, dass die Menschen wirklich verstehen, welches Ziel die Politik verfolgt und warum sie es macht und auch einen Plan da- hinter erkennen.

Das ist für einen Virologen nicht so schwierig. Aber ich glaube damit, dass es wirklich jeder versteht, dafür muss man die Menschen mit- nehmen. Und immer, wenn man das nicht macht – hier natürlich auch der Eile der ganzen Situation geschuldet, es muss schnell, schnell gehen. Und wenn man dann vergisst, den Menschen zu erklären, was die Strategie da- hinter ist und immer nur sagt: Wir fahren auf Sicht, wir haben keine richtige Strategie. Dann glaube ich, dann springen einem die Leute von der Stange. Und das sind dann die, die man bei solchen Demos wie am Wochenende sieht.

[0:36:10]

Camillo Schumann:

Soweit also die Einordnung der kritischen Stimmen, der unterschiedlichen wissenschaft- lichen Standpunkte und wie man das Ganze vielleicht hätte auch ein bisschen besser ma- chen können, möglicherweise dann auch meh-

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rere Meinungen zusammenfassen können hätte, besser miteinander kommunizieren hätte können. Herr Kekulé, dieser Podcast wird auch gehört, weil wir regelmäßig über Studien sprechen. Wir haben gerade eben über Todeszahlen ge- sprochen. Damit Menschen vor dem Tod ge- rettet werden können, weiß man auch, dass Blutverdünner eine große Hilfe sein können, weil viele Menschen, die schwere Verläufe haben, ja zu Thrombosen neigen. Und nun haben US-Mediziner nachgewiesen, wie stark sich die Gabe von Blutverdünnern auf die To- desrate auswirkt. Die Hälfte der Todesfälle kann verhindert werden. Das ist doch eine gute Nachricht, oder?

[0:37:01]

Alexander Kekulé:

Ja, das ist eine aktuelle Studie des am 26. Au- gust erschienen vom Mount Sinai Hospital in New York. Das war nur ein Krankenhaus. Inzwi- schen gibt es ganz viele, die zu dieser Gruppe gehören. Und die haben von diesen Kranken- häusern zusammengefasst insgesamt 4.389 Patientenakten mit Covid 19-Patienten analy- siert. Da ist man als Wissenschaftler fast nei- disch, dass die so viele Fälle hatten, natürlich in Anführungszeichen. Das ist ja ein Drama gewe- sen in New York. Das waren diese schlimmen Monate März und April.

Da haben die von der Mount Sinai Gruppe die Daten analysiert. Da haben viele diese Blutver- dünner bekommen, weil man vermutet hat, das könnte was bringen. Vielleicht kennt man Heparin zum Beispiel. Das ist so ein Klassiker. Heparin und ähnliche Substanzen werden in die Bauchdecke gespritzt werden mit einem ganz kleinen Piks jeden Tag einmal bei Leuten, die im Krankenhaus sind. Oder man kann so etwas Ähnliches in höherer Dosierung machen. Dann sprechen wir von der therapeutischen Blutverdünnung, die dann sozusagen vollver- dünntes Blut hat, beispielsweise bei Leuten mit Herzklappenfehlern. Das Interessante ist hier, das es eigentlich egal ist, aus welchem Grund und mit welchem Medikament man diese Blut- verdünnung macht. Die haben sechs verschie- dene Therapie-Schemata miteinander vergli- chen. Alle bringen einen deutlichen Effekt, wie sie es richtig gesagt haben bei der Überlebens-

chance. 50 Prozent überleben. Da würde sich Remdesivir gerne eine Scheibe abschneiden. Und es ist auch so, dass ein Drittel weniger beatmet werden musste, also maschinell be- atmet werden musste. Das zeigt, dass diese Thromben, dieses Verklumpen von Blut bei Covid 19-Erkrankungen einen erheblichen Ef- fekt hat. Und bei den Menschen, die daran sterben, damit zu tun hat, dass sie gestorben sind.

Camillo Schumann:

Dann werden jetzt ganz viele Hörer dieses Podcasts zum Apothekerschränkchen gehen und sich den allgemeinen Blutverdünner aus der Apotheke gleich mal einschmeißen, weil sie denken, dann kann nichts passieren. Das ist aber Quatsch, oder?

Alexander Kekulé:

Das wäre nicht zu empfehlen. Klar, da hat man Aspirin, das gibt man niedrig dosiert, das darf man. Darf man schon. Das ist ein Allerwelts- medikament, das würde ich nicht empfehlen. 1. weil das auch Nebenwirkungen hat. Da sind sogar die Nebenwirkungen aktuell wieder stär- ker in der Diskussion bei diesem niedrig dosier- ten Aspirin. Hier wird es völlig reichen, wenn man das zu dem Zeitpunkt gibt, wo die Covid 19-Erkrankung einen schweren Verlauf nimmt, weil diese Blutverdünner schlagartig wirken. Die wirken schnell. Und es ist nicht sinnvoll - da ja immer noch wenige Menschen das bekom- men - wenn sich gesunde prophylaktisch mit behandeln.

Was ich ganz interessant fand, ist: Die haben einen Teil der Patienten, nur 26, haben sie in New York eine Sektion analysiert. Und da ist es so, dass elf von 26 vorher nicht bemerkte Thrombosen hatten. Das war ein Patient, der gestorben ist an Covid19. Und dann hat man gesehen: Elf von 26 hatten vorher klinisch überhaupt nicht bemerkte Verstopfungen der Blutgefäße in der Lunge, im Herz oder sogar im Gehirn gehabt. Das heißt, das scheint ein wich- tiges Phänomen zu sein. Und die, die da jetzt verunsichert sind, denen kann man dazu sa- gen: Das wissen wir schon lange. Nicht nur die Podcast-Hörer wissen das seit Monaten, son- dern seit Ende Juni ist es auch in den Empfeh- lungen der Intensivmediziner in Deutschland.

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Da gibt es so Leitlinien von der Arbeitsgemein- schaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Die heißt dann AWMF- Leitlinie. Und da steht seit Ende Juni drin, dass man diese Mittel geben soll bei den Intensivpa- tienten.

Camillo Schumann:

Aber das Neue ist ja hier, wie viele Menschen man retten kann oder retten konnte?

Alexander Kekulé:

Ja, genau. Aus der Probe aus New York konnte man das so nachweisen. Ich glaube, dass das jetzt gar nicht mehr möglich wäre, es ohne Studie zu machen. Das war März/April, am Anfang, da haben 35 Prozent in der Studie keine Blutverdünner bekommen, auch von den Schwerkranken. Da würde man die Frage stel- len, warum, denn im April zum Beispiel war das ja schon ziemlich deutlich, dass diese Throm- bose eine Rolle spielen. Warum haben 35 Pro- zent keine Blutverdünner kriegt? Und die glei- che Frage würde sich jetzt so stark stellen, dass man die Studie nicht mehr machen könnte. Das wäre fast schon ein Kunstfehler, wenn sie nämlich schwerkranken Covid 19-Patienten in Blutverdünner vorenthalten.

[0:41:51]

Camillo Schumann:

Das ist auch Teil einer Antwort, warum zwar die Zahl der Infektionen nach oben geht, aber die Zahl der schweren Verläufe und die Todes- fälle relativ niedrig sind. Wir haben von Profes- sionalisierung des Wissens und der Maßnah- men gesprochen. Das ist es ein Teil davon.

[0:42:08]

Alexander Kekulé:

Ich glaube, das ist der wichtigste Teil: Dass die intensivmedizinische Behandlung, zum Beispiel die Frage, wann fängt man an, Sauerstoff zu geben, wann fängt man an zu intubieren? Da hat man früher andere Vorstellungen gehabt. Da dachte man, man muss möglichst früh mit der Atmung anfangen, um die Leute zu retten. Heute ist man davon abgekommen, weil man sieht, dass die autoimmune Antwort unter

Umständen stimulieren kann, wenn man da zu viel Sauerstoff ins System bläst. Die Frage, wann gibt man die Blutverdünner, die Frage, zu welchem Zeitpunkt ist es sicher, ist es sinnvoll, eine Immunsuppression zu ma- chen, also eine Unterdrückung des Immunsys- tems mit Cortison, mit Dexamethason als Bei- spiel, sind ja auch ganz klar positive Resultate zu dem Thema. Bis zur Frage: Wann ist es sinn- voll, Interferon zu geben? Also ein Medika- ment, was die frühe Immunantwort anschiebt. Und da weiß man inzwischen schon. Es ist ein bisschen Stochern im Nebel. Aber letztlich weiß man, wenn man früh Interferon gibt, dass es von Vorteil ist, weil am Anfang des Infekti- onsgeschehens das Virus in der Lage ist, diese angeborene Immunantwort zu unterdrücken. Das kann man unter Umständen, wenn man ganz früh Interferon gibt, ausschalten. Und später ist es dann sinnvoll, Dexamethason zu geben, also die Immunantwort insgesamt zu besänftigen. Wenn die Menschen in diesen Zytokinsturm reinrutschen. Bis hin zu der Fra- ge, wie beatmet man konkret, also diese Bauchlage, über die wir schon mal gesprochen haben. Man bringt offensichtlich das ganze Portfolio zusammen.

Ich würde sagen, es gibt noch keine guten Da- ten darüber. Aber ich würde sagen, insgesamt wird die Intensivmedizin wahrscheinlich weit mehr als 50 Prozent der Patienten retten. Im Vergleich zum Anfang, wo man noch gar nicht wusste, was man machen soll.

[0:43:49] Camillo Schumann: Das sind die guten Nachrichten. Wir kommen zu den Hörerfragen. Frau G. aus Hamburg hat- te angerufen:

„Ich lebe allein und lasse seit einem halben Jahr niemanden mehr in meine Wohnung. Nun kommt der Heizungsmonteur zwecks Wartung. Kann ich von ihm verlangen, dass er eine Mas- ke bei der Arbeit trägt? Er ist 30-45 Minuten in meiner Wohnung. Wenn ich dann alle Fenster während dieser Zeit offen habe, wie lange muss ich dann hinterher noch lüften, bis alle Aerosole aus der Wohnung sind? Und ich habe

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Fliegengitter an allen Fenstern. Behindern die die Lüftung?“

[0:44:30] Die Frau Glüß ist sehr besorgt. Was kann man ihr mit auf den Weg geben?

Alexander Kekulé:

Das sind ja mehrere Fragen. Das eine kann ich nicht beantworten. Ob man den Monteur qua- si anweisen kann, eine Maske zu tragen? Ich würde, wenn ich so beunruhigt wäre, ihn ein- fach bitten, eine Maske zu tragen. Im Zweifels- fall machte er das, wenn man ihm eine frische Maske hinhält und freundlich bittet. Das Zwi- schenmenschliche sollte eigentlich immer noch funktionieren. Klar ist es rein theoretisch bes- ser und ist vor allem natürlich psychologisch ganz gut, wenn man sich da verunsichert fühlt. Auch das zweite ist sinnvoll. Lüftung ist auf jeden Fall sinnvoll. Man weiß, dass diese Stoß- lüftung länger erfolgen müssen, als man so denkt, denn wenn ich einfach nur das Fenster aufmache und draußen ist die Luft kalt, dann gibt es ja gerade im Winter, wenn man geheizt hat, diesen Effekt: Man macht das Fenster auf, und nach zwei Minuten fängt man schon an zu frieren, weil die kalte Luft hineinschwallt. Und dann denkt man jetzt, ist gut gelüftet, das ma- che ich wieder zu. Das ist ein Irrtum. Das weiß man schon lange, dass man die sogenannte Stoßlüftung länger machen muss. Wirklich so lange, bis eben der ganze Raum einmal das Luftvolumen ausgetauscht hat. Ich sage mal so als Hausnummer: Bei halbwegs vernünftigen Fenstern ist zehn Minuten eine gute Zahl. Klar, wenn, wenn draußen eine steife Brise pfeift, da im Norden Deutschlands, dann wird es wahr- scheinlich nach einer Minute schon durchge- lüftet sein. Und wenn es absolut windstill ist an einem stickigen Sommertag, dann dauert es vielleicht 15 Minuten. Aber so in der Dimensi- on ist es.

Ich muss jetzt zugeben, bei den Fliegengittern muss ich ehrlich gesagt passen. Da weiß ich nicht genau, welchen Einfluss die haben. Im Zweifelsfall ein bisschen länger lüften, falls kein starker Wind draußen ist. Und insgesamt stelle ich mir noch die Frage: Wenn sie Angst davor hat: Wenn der Heizungsmonteur durch ist, könnte sie natürlich mal einkaufen gehen und

dann auf diese Weise einfach den gefährlichen Ort eine Weile meiden.

Camillo Schumann:

Und ein bisschen desinfizieren.

Alexander Kekulé:

Nein, das mit dem Desinfizieren finde ich per- sönlich übertrieben, vor allem wenn er nur an den Heizungen herumschraubt. Etwas anders wäre es, wenn er bei ihrem Küchentisch sitzt und noch was zum Mittagessen kriegt. Dann als Gegenleistung dafür, dass er vorher die Maske getragen hat. Also in so einem Fall wür- de man desinfizieren. Aber wenn jemand nur als Monteurstätigkeiten macht, ist das nicht nötig.

[0:46:58]

Camillo Schumann:

Derr Herr T. aus dem wunderschönen Qued- linburg in Sachsen-Anhalt hat geschrieben: „Warum ist das Infektionsgeschehen des neu- artigen Coronavirus in den neuen Bundeslän- dern noch immer so sehr viel geringer als in den alten Bundesländern? Ich erinnere mich, dass gesagt wurde, im Laufe der Pandemie werden sich die Zahlen angleichen. Jetzt, wo die Ferienreisewelle dem Ende zugeht, ist der Trend aber immer noch für uns zum Glück sehr eindeutig, für mich inzwischen aber nicht mehr zu erklären. Im Scherz sagen wir auf Arbeit: Wer weiß, womit und wogegen die uns im Osten alles geimpft haben.“

[0:47:27]

Alexander Kekulé:

An der Impfung, liegt es, glaube ich, nicht. Im Osten ist zum Teil konsequenter geimpft wor- den als im Westen. Nein. Ich glaube, dass das ein Zeitfenster-Phänomen ist. Es gibt viele, die es zuerst erwischt. Die erwischt es am schlimmsten. Und die, die schon gesehen ha- ben, wie es jemand anders erwischt hat, haben entweder aktiv durch die Politik oder mehr intuitiv durch die Bürger selbst Schutzmaß- nahmen ergriffen.

Und in Deutschland ist es so: Wir haben die Infektionszahlen relativ schnell runtergebracht. Und jetzt ist es für das Virus nicht so einfach,

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wenn alle Abstand halten und viele Masken auf haben, sich vernünftig wieder auszubreiten. Und insofern kommt es im Osten der Republik nicht so richtig an. Ich sage das deshalb so deutlich, weil da schon eine kleine Nachlässig- keit genügen könnte, um in einem der neuen Bundesländer einen richtig massiven Ausbruch zu haben. Und deshalb sollte man es schätzen, das ist jetzt ein Gottesgeschenk, dass wir hier in einer besseren Startposition sind. Das wollen wir aber nicht verschenken.

[0:48:42]

Camillo Schumann:

Herr T. schreibt auch, durch das Pendeln zwi- schen Osten und Westen scheint wenig Infek- tionen eingeschleppt zu werden. Das kann er sich nicht so richtig erklären.

[0:48:54]

Alexander Kekulé:

Das hängt eben damit zusammen, dass wir alle insgesamt vorsichtiger sind. Auch wenn da jemand hin- und he pendelt. Er geht ja in eine Region, wo es wenig Ausbrüche gibt. Er wird ja nicht in einer Fleischfabrik im Westen zu arbei- ten. Wenn jetzt viele Menschen aus den neuen Bundesländern pendeln würden in diese Ur- laubshochburgen, wo abends in abgeschlosse- nen Räumen richtig Disco gefeiert wird und wo diese massiven Ausbrüche stattfinden, dann gäbe es auch Ausbrüche in den neuen Bundes- ländern. Aber das war ja schon am Anfang so. Die Bayern hat es erwischt, weil die Bayern so gerne in Österreich und in Südtirol Skifahren gehen. Und die Hamburger hat es erwischt, weil die auch erstaunlich viel in diesen Regio- nen Skifahren gegangen sind. Irgendwie scheint es da eine Affinität zu geben. Aber die Statistik hat eben gesagt, dass es aus den neu- en Bundesländern wenig Menschen gab, die dort Urlaub gemacht haben. Die haben die Mitteldeutschen Mittelgebirge eher als Skige- biete. Deshalb glaube ich, dass das von so klei- nen Zufällen letztlich abhängt, wo und ob ein Ausbruch stattfindet oder nicht.

[0:50:08]

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe #102. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé:

Gerne, bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 29.08.2020 #101: SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

1. Sollten Hunde im Bus eine Maske tragen? 2. Wie kann man eine kaputte Maske sicher selbst reparieren? 3. Welche Nebenwirkungen eines möglichen Impfstoffs wären denkbar? 4. Und die Wurstfrage mal anders.

Damit herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-SPEZIAL. Die Fragen kommen wie immer von Ihnen und die Antworten wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann.

Camillo Schumann

Herr L. hat eine Frage zu Hunden.

„Das Amt für Land- und Forstwirtschaft in Loui- siana hat am Anfang August die Infektion eines Hundes mit SARS-CoV-2 bekannt gegeben. Inwieweit erachten sie daraufhin eine Masken- pflicht für Hunde in öffentlichen Verkehrsmit- teln als sinnvoll? Ich freue mich auf Ihre Ant- wort.“

Alexander Kekulé

Spontan hätte ich jetzt gesagt, nur beim klei- nen Hund; beim großen hätte ich Angst, ihm die aufzuziehen.

Camillo Schumann

Das muss ja das Herrchen dann machen. Das müssen ja nicht Sie machen.

[0:01:10]

Alexander Kekulé

Es wäre natürlich total übertrieben, also eine Maske für einen Hund. Ja, es kann sein, dass Hunde auch infektiös sind. Das ist theoretisch nicht auszuschließen. Wir wissen inzwischen, dass SARS-CoV-2 auch Hunde und übrigens auch Katze infizieren kann – im Prinzip. Wir haben aber nicht den geringsten Hinweis, dass das irgendwie im Zusammenhang mit der Pan- demie eine Rolle spielt. Deshalb würde ich sagen, sollten wir uns lieber auf die menschli- chen Maskenträger konzentrieren, auch auf die, die im Bus die Maske nicht aufhaben, ob- wohl es vielleicht vorgeschrieben ist und die Hunde erst mal in Ruhe lassen. Die kommen dann, wenn wir die letzten drei Fälle in Deutschland auch noch ausmerzen wollen.

[0:01:50]

Camillo Schumann

Wir wissen ja, dass Singen und vor allem lautes Sprechen und vielleicht sogar rumschreien auch dafür sorgt, dass die Viruskonzentration wesentlich höher ist. Wenn jetzt so ein Hund, da gibt es welche, die gern mal rumbellen, die ganze Zeit kläffen, die könnte man theoretisch mit einer Maske versehen, oder?

[0:02:12]

Alexander Kekulé

Das wird nicht funktionieren, von der Atmung her. Der Hund wird das nicht zulassen, selbst der normale Maulkorb, den nehmen nicht alle Hunde an. Bei so einem richtigen Kläffer, wür- de ich mal sagen, auf dem Dach vielleicht mit- fahren lassen.

[0:02:24]

Camillo Schumann

Frau R. aus Oberösterreich, aus Linz, hat ge- mailt:

„Könnte man nicht zum Beispiel die Rachenab- striche von zum Beispiel zehn Personen zu- sammen in ein Röhrchen geben? Das testen und wenn das negativ ist, sind alle zehn nega- tiv. Ist eine positive Anzeige, testet man indivi- duell nach. Das müsste doch die Testerei be- schleunigen.“

Frau R. aus Oberösterreich.

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[0:02:48]

Alexander Kekulé

Das ist eine gute Idee. Leider passiert mir das auch ständig. Ich denke, ich habe was Neues erfunden und gucke in die Literatur und je- mand anders hat das schon gemacht. Das ist schon bekannt, das nennt man Pool-Testung. Das haben wir, glaube ich, auch schonmal be- sprochen. Und das geht auf jeden Fall bei zehn. Es gibt sogar eine Arbeit, die andeutet, dass es Richtung 30 gehen könnte, dass man also bei normalen Routinetests 30 einzelne Proben poolen kann und trotzdem noch in dem Be- reich bleibt, dass man ausreichend empfindlich vom Nachweis her ist.

Es ist nicht ganz so ökonomisch, wie man am Anfang gedacht hat. Da gab es eine kleine Eu- phorie bei diesem Pool-Tests. Es gibt eine andere Schwelle, und zwar ist es so wenn man sich so einen Tupfer so vorstellt, der kommt dann in so ein Röhrchen mit Flüssigkeit, und dann nimmt man ja im Labor im Prinzip nur diese Flüssigkeit, und die wird in so einen Vollautomaten gesteckt. Der zieht die Röhr- chen eines nach dem anderen durch und spuckt hinten das Ergebnis aus. Wenn man jetzt poolen will, also zehn zusammenfasst, dann muss sich ein Laborassistent hinsetzen und jedes Röhrchen einzeln aufmachen, mit der Pipette die zusammenpipettieren, dafür sorgen, dass die Tupfer alle gut ausgedrückt werden, das Ganze mischen und dann wieder einen Teil da rausnehmen, und das dann in die Maschine geben. Dann muss man auch noch eine Liste führen, was man gepoolt hat, weil, da ist ein Barcode drauf, den die Maschine automatisch liest. Das muss man irgendwie dann einzeln mit einem Scanner einlesen und irgendwie dokumentieren. Wegen dieser Vor- behandlung ist der Effekt, den man durch das Poolen hat, nicht so toll, wie man sich das vor- gestellt hat.

Aber es wird in der Tat billiger, vor allem, weil die Nachweis-Reagenzien immer noch ein teu- rer Faktor sind. Dadurch hat das Poolen den Vorteil, dass es preisgünstiger wird, sofern man unbedingt diese PCR-Tests machen will.

Camillo Schumann

Was sind so die klassischen Anwendungsgebie- te für Pool-Tests bisher?

Alexander Kekulé

Wir machen das zum Beispiel bei Blutbanken, da wird es relativ viel gemacht. Also es wird ja im Blut regelmäßig kontrolliert, natürlich auf Krankheitserreger. Und da muss man sich vor- stellen, das sind ja viele, viele tausend Proben, alle möglichen Spender und ganz selten mal einer, der wirklich was hat. Da kann man, je nachdem, was das für einen Test ist, durchaus auch Pool-Tests machen: immer in Bereichen, wo man weiß, dass eigentlich nur ganz selten mal ein Positiver vorkommt. Das ist aber im Labor wichtig, dass man das sehr, sehr genau standardisiert: Weil mit dem Pool-Test, die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Positiven übersieht, die steigt schon, und das muss man dann sehr genau nachrechnen. Das kann man für jeden Test dann einzeln berechnen und ausprobieren. Und wenn man innerhalb der Bereiche bleibt, die da in Ordnung sind, dann ist das eine gute Sache. Bei SARS-CoV-2 haben wir das Stichwort begrenzte Kapazitäten bei den PCR-Maschinen. Da würde uns das Pool- Testen unter Umständen etwas helfen, weil hier tatsächlich auch die Reagenzien für die Maschine zum Teil das Problem sind. Da gibt es da einen großen Roboter, der wird von einer Firma wie Roche zum Beispiel produziert und verkauft – es gibt auch andere, die so etwas verkaufen –, und wenn natürlich diese Reagen- zien, die man da speziell für diese Maschine braucht, knapp sind, dann kann man durchaus ans Poolen denken, insbesondere dann, wenn man viele Personen hat, die sowieso eigentlich negativ sind und keine Symptome haben.

Camillo Schumann

Also, Frau R. aus Oberösterreich. Sehr gute Idee, wird aber schon gemacht.

Frau S. aus Leipzig hat angerufen und folgende Frage:

„Wir haben FFP2-Masken bestellt über das Internet, die waren relativ günstig und jetzt wissen wir auch warum: weil nämlich die Bügel, die über die Ohren gehen sollen, abreißen. Nun habe ich angefangen, die mit Nadel und Faden zu befestigen und wollte gerne wissen, ob dadurch die Funktionsfähigkeit, also die Wirk- samkeit der Masken beeinträchtigt wird.“

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Hoffentlich sind nicht nur die Bügel das einzige Manko.

Alexander Kekulé

Diese FFP2-Masken sind, wenn sie im Internet bestellt sind, von der Qualität her extrem un- terschiedlich. Und es ist in der Tat so, dass diese Gummibänder, mit denen man die fest- macht, die sind tatsächlich häufig das Problem. Auch die von den teuren Firmen, die man so im Krankenhaus verwendet oder verwendet hat, als es noch genug gab, die haben interes- santerweise immer ein Verfallsdatum drauf. Und ein Vertreter hat mir mal gesagt, der Hauptgrund, warum da auf so einem Teil, was eigentlich nur aus Vlies besteht, ein Verfallsda- tum draufsteht, ist, dass die Gummibänder alt werden und irgendwann reißen. Also das ist tatsächlich eine bekannte Schwachstelle.

Ja, das fest zu nähen, wenn man das mit einer dünnen Nadel macht und dann wirklich nicht lauter Löcher reinpickst, sondern den Faden durch das Loch zieht, wo dann die Nadel durchgegangen ist, ich meine, das kann man verantworten. Sicherlich ist das eine ganz klei- ne Undichtigkeit. Aber im Vergleich zu dem, was zwischen der Haut und der Maske an Un- dichtigkeiten entsteht, also diese Beiluft, die man immer hat, wenn man die Maske nicht perfekt anpasst, da würde ich sagen ist das zu verantworten, was da durch die Löcher geht.

[0:07:48]

Camillo Schumann

Herr H. aus Naumburg hat angerufen. Er macht sich große Sorgen um die Nebenwirkung einer möglichen Impfung gegen SARS-CoV-2, und das Ganze nicht ohne Grund:

„2009 wurde geimpft gegen die Schweinegrip- pe. Ich habe mich impfen lassen, und drei Tage später fiel bei mir die Netzhaut. ‚Zu Risiken oder Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.‘ Welche Nebenwirkungen könnte dieser Virus haben? Ist man davor ge- feit?“

Also, man könnte es ein bisschen schlecht ver- stehen, aber Herr H. fehlte offenbar dann die Netzhaut nach der Impfung. Aber mal so ganz grundsätzlich: Mit welchen Risiken müsste man

bei so einer SARS-CoV-2 Impfung rechnen? Kann man das jetzt schon sagen?

Alexander Kekulé

Das ist jetzt schwer zu sagen. Die Schwei- negrippe-Impfung von 2009 war ja umstritten. Sie wissen vielleicht, dass es da eine, sage ich mal auch, öffentlich ausgetragene Auseinan- dersetzung zwischen dem Paul-Ehrlich-Institut und mir gab. Weil ich der Meinung war, dass man diesen Impfstoffverstärker, den man da drin hatte, das sogenannte Adjuvans, was deutliche Nebenwirkungen macht, nicht ge- braucht hätte. Dass ist damals so ausgegangen, dass dann doch die Einschätzung vom Paul- Ehrlich-Institut falsch war – retrospektiv ist man da manchmal schlauer. Wir wissen jetzt erstens nicht, ob irgendwie etwas, wie das Fehlen einer Netzhaut, also das eine Netzhaut- ablösung wäre, das ist eine augenärztliche Erkrankung, die manchmal vorkommt. Das habe ich jetzt ehrlich gesagt noch nie gehört, dass das im Zusammenhang mit einer Impfung aufgetreten ist. Aber vielleicht gibt es das ganz selten, das würde ich jetzt nicht ausschließen. Aber es wäre extrem untypisch. Davor muss man, glaube ich, jetzt mal grundsätzlich selbst bei einem adjuvantierten Impfstoff keine Angst haben. Wir haben bei allen Impfstoffen mehre- re Kategorien von Nebenwirkungen. Das eine ist, kann man ja vielleicht als erstes sagen: Manchmal muss man den Impfstoffverstärker dazu machen unter bestimmten Bedingungen. Damals bei der Schweinegrippe 2009 wäre es nicht notwendig gewesen. Aber wir wissen nicht, ob es jetzt bei dem SARS-CoV-2 notwen- dig ist. Das kann zwei Gründe haben.

Der eine ist, wenn man einen proteinbasierten Impfstoff hat, wo also ein Eiweiß drin ist, letzt- lich irgendein inaktiviertes Viruspartikel drin ist oder Teile davon, dann ist es manchmal so, dass insbesondere bei älteren Menschen das nicht stark genug wirkt. Oder man hat einfach von der Produktion her nicht genug von die- sem Protein. Dann kann man den Wirkverstär- ker dazu tun, um mit kleinerer Menge zu imp- fen. Oder aber um bestimmte Bevölkerungs- gruppen, hauptsächlich Ältere, bei denen das Immunsystem auch schon gealtert ist, dann besser zu immunisieren. Das ist nur manchmal notwendig. Ich habe so den Eindruck, bei SARS-CoV-2 wird es nicht nötig sein, weil die

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bisherigen Experimente doch so aussehen, dass die Immunantwort auch bei Älteren ganz gut aussieht. Das ist der eine Grund, warum es Nebenwirkungen geben kann.

Der andere wäre noch schlimmer. Das wäre, wenn man wirklich durch die Impfung Antikör- per erzeugt, die eine Verstärkung des Krank- heitsverlaufs in manchen Patienten machen. Das ist dann nie bei allen. Aber bei manchen kommt es dann zu so einer überschießenden Immunreaktion. Das ist so eine Verstärkung quasi durch Impfung oder eine Verstärkung durch vorher bestehende Antikörper oder im- munisierte Lymphozyten, also weiße Blutkör- perchen, die dann verrückt spielen, wenn man so sagen kann. Das wäre ein Fall.

Das ist einer der Gründe, warum man dringend solche Impfungen an vielen, vielen Menschen testen muss. Für eine Bevölkerung wie Deutschland mit über 80 Millionen würde man auf jeden Fall 10.000 oder 8.000 bis 10.000 Tests verlangen, Probanden verlangen, um abzuschätzen, seltene Nebenwirkungen für die Gesamtbevölkerung. Weil man vor so etwas natürlich besonders Angst hat. Das wäre be- sonders unangenehm.

Und dann gibt es natürlich die häufigen Ne- benwirkungen, sogenannten Nebenwirkungen, Impfreaktionen, sagt man eher dazu. Dass an der Einstichstelle das mal dick wird oder dass man sich zwei Tage lang schlapp fühlt oder so was. Das sind aber Sachen, wo Impfärzte jetzt keine kalten Füße kriegen, weil das in der Regel von selber wieder weggeht. Also, wir haben eine breite Palette, und es wird eine interes- sante Diskussion, weil man natürlich parallel mit der Impfung auch eine Durchsuchung der Bevölkerung haben. Wir wissen auch, dass viele Menschen von vornherein keine schwe- ren Erkrankungen kriegen. Wir werden wahr- scheinlich in den nächsten Monaten weitere Erkenntnisse haben: darüber, wieviel Prozent der Bevölkerung natürlicherweise eine gewisse Immunität gegen SARS-CoV-2 Viren haben. Das wird noch interessant werden, dann alle zu überzeugen, zur Impfung zu gehen. Das das ist in Deutschland nicht immer ganz einfach.

[0:12:32]

Camillo Schumann

Herr A. hat eine Mail geschrieben. Er ist ein wenig verunsichert.

„In Folge 96 war ich ein wenig schockiert über die Aussage von Herrn Kekulé, dass er eine Nanosilber-Maske nicht am Gesicht tragen würde. Schockiert, weil ich diese benutze und jetzt total unglücklich darüber bin. Als ich mich entschieden habe, welche Maske ich tragen soll, habe ich mich dadurch verleiten lassen, was die Stadt ihren Mitarbeitern als Maske ausgehändigt hat. Das waren diese Nanosilber- Masken. Ich dachte, wenn die Stadt diese sogar zur Nutzung austeilt, das wird doch schon gut sein. Jetzt denke ich leider das Gegenteil. Müs- se die Stadt nicht einen Rückruf der Masken anfordern? Viele Grüße.“

Alexander Kekulé

Das ist immer die Gefahr, wenn man so eine konkrete Empfehlung macht. Ich rechne quasi in jeder Sendung mit so was. Also ja, in dem Fall kann ich ein bisschen in Deckung gehen. Es ist so, es gibt eine Bewertung des Bundesamts für Risikobewertungen (BfR). Und die haben ganz konkret gesagt, dass Nanosilber aus ihrer Sicht von den Gesundheitsfolgen nicht ausrei- chend erforscht ist. Dass das eben in dieser kleinen Partikelgröße in die Zellen eindringen kann, und auf die Weise die Immunantwort schwächen kann, oder weitere Schäden ma- chen kann, die noch nicht absehbar sind. Und dass deshalb dringend davon abgeraten wird. Sodass ich jetzt mal sagen würde, ich schließe mich entspannt einer oberen Bundesbehörde an. Diese Studie, die kann man im Internet sich mal anschauen – Stichwort „Nanosilber und Bundesamt für Risikobewertung“. Die sollte man vielleicht mal der Stadt schicken.

Camillo Schumann

Dann wäre die Frage ja beantwortet, Rückruf der Masken. In dem Fall hätte man dann zu- mindest eine Grundlage.

Alexander Kekulé

Na, Rückruf ist nochmal so eine andere Stufe. Ja, das ist ja ein Auto, wird zurückgerufen in die Werkstatt, wenn die Bremsen nicht funkti- onieren. Aber weil der Scheibenwischer klap- pert, wird man ein Auto nicht zurückrufen. Hier ist es die Frage ja, es wird davon abgeraten, aber auch das jetzt gleich einen Rückruf sozu- sagen verursacht. Die Masken haben ja eine

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natürliche Haltbarkeit. Irgendwann sind die dann auch hin. Ich würde eher sagen, dass man vielleicht von der Stadt hier die Empfeh- lung überarbeiten sollte für die nächste Gene- ration, die dann ausgegeben wird.

[0:14:45]

Camillo Schumann

Herr S. hat angerufen, er hat keine „Wurst- Frage“. Hörer dieses Podcasts, die erinnern sich: Am Anfang kam häufig die Wurst-Frage also, wir haben sie dann so genannt, weil häu- fig gefragt wurde, wie lange hält sich eigentlich das Virus auf der Wurst, wenn sie von der Fachverkäuferin oder dem Fachverkäufer ein- gepackt wird? Herr S. hat ein anderes Lebens- mittel im Blick.

„Ich mache gerade Urlaub in Schleswig- Holstein, und dort hat in den Bäckereien nie- mand vom Verkaufspersonal eine Maske auf. Es ist auch laut Corona-Verordnung Schleswig- Holstein wohl nicht notwendig. Die Verkäufe- rinnen sind ausgenommen. Sie sind aber den ganzen Tag hinter ihrer Auslage hinter ihren Brötchen und sprechen den ganzen Tag mit Kunden. Und da denke ich doch, dass das ein oder andere Tröpfchen auf der Auslage landet. Meine Frage ist nun: [...]kann ich mich über diese Brötchen anstecken, wenn da entspre- chend Material drauffliegt von einer infizierten Verkäuferin? Vielen Dank.“

[0:15:40]

Camillo Schumann

Ja, wir haben lange nicht darüber gesprochen.

Alexander Kekulé

Das Thema hat aber auch eine gewisse Eigen- dynamik. Also in dem Bäcker, wo ich immer einkaufen gehe, da ist es so, dass die Dame hinter einer Plastikscheibe steht, aber auch keine Maske im Gesicht hat. Also durch die Plastikscheibe natürlich sind direkte Tröpfchen, die beim Kunden landen, mehr oder minder ausgeschlossen, kann man sagen. Aber klar, rein theoretisch könnte so etwas auf der Ware landen. Und rein theoretisch könnte sich das auch mal halten, bis es dann zu Hause ist und bis es verzehrt wird. Und es ist nicht völlig aus- zuschließen, dass es so zu einer Infektion kommt. Man muss aber sagen auf allen organi-

schen Lebensmitteln, auf allen Lebensmitteln hält sich das Virus nicht besonders lange. Diese rauen Oberflächen, auch von Backwaren, sind für Viren nichts, wo sie jetzt wirklich beständig drauf sind. Und es ist ja auch nicht der typische Infektionsweg, dass wir das Virus über die Ma- gensäure aufnehmen oder Ähnliches. Das ist jetzt kein klassisches Virus, was jetzt übertra- gen wird durch Verspeisen. Sondern es müsste so sein, dass das Virus von dem Brötchen dann irgendwie beim Essen auf die Schleimhäute gerät und auf diese Weise eine Infektion macht. Sie merken schon, diese Kette von müsste, könnte, sollte ist so lang, dass ich sa- gen würde, das ist ein Restrisiko, auf das wür- de ich mich jetzt einlassen. Ich halte das für kein Risiko, was einen Streit mit Verkäufern lohnt.

Camillo Schumann

Also keine Angst beim Bäcker. Frau M. hat angerufen. Sie beobachtet die gestiegenen Fallzahlen gerade mit Blick auf die Reiserückkehrer und den Krankenhausaufent- halten. Und ihre Frage auf unserem Anrufbe- antworter ist Folgende:

„Während im März April, Mai ja zum größten Teil erkrankte Menschen getestet wurden, ich denke schon, dass das eine Auswirkung auf Krankenhäuser hat, wie es auch schon festge- stellt wurde, dass es zurzeit weniger schwere Verläufe mit Krankenhausaufenthalt gibt. Und ja, mich würde das mal interessieren, ob auch dieses Verhältnis von positiv getesteten Men- schen zu wirklich erfassten Erkrankungen fest- gehalten und bewertet wird.“

[0:18:02]

Camillo Schumann

An der Stelle ein kurzer Hinweis: In Ausgabe 96 haben wir ausführlich darüber gesprochen, über schwere Verläufe und Hospitalisierungs- Quoten et cetera. Aber vielleicht eine ganz kurze Antwort für Frau M.

Alexander Kekulé

Ja, das wird natürlich bewertet. Das ist ganz wichtig, weil es ja immer so Leute gibt, die heißen dann Corona-Kritiker oder überhaupt Skeptiker im weitesten Sinne, die sagen: Ja, ja, ihr habt nur so viele Fälle, weil ihr so viel tes-

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tet. Der amerikanische Präsident hat ja ernst- haft sogar empfohlen, weniger zu testen, da- mit man weniger Fälle im Land hat. Da gibt es natürlich einen Zusammenhang, und deshalb schauen die Behörden ganz genau drauf – nicht von Anfang an, aber seit einiger Zeit schauen Sie drauf, wie viel wird eigentlich ge- testet und wie viel Prozent sind davon positiv? Die Positiven-Quote, die schaut man sich an. Die hat schon so ein paar Fragezeichen, weil wir wissen nicht, wie viele Leute da mehrmals hingehen. Es sind ja meistens die völlig gesun- den, die beim Testen negativ sind. Die sagen, ich will es nicht wirklich glauben. Eine Woche später haben sie doch wieder schlecht ge- träumt und gehen wieder zum Testen. Und dann, ein paar Tage später, hustet sie jemand in der Straßenbahn an, dann lassen sie sich noch mal testen. Und diese Leute, die sich mehrmals testen lassen und negativ sind, die verändern natürlich die Positiven-Quote. Das ist ganz klar.

Es wird ja auch gesagt, dass es relativ sinnlos sei, Reiserückkehrer zu testen, weil man da so viele hat, die negativ sind und nur ganz, ganz wenige Positive darunter, und deshalb würde sich nicht lohnen, das zu machen. Das war ja ein Argument, was zum Teil auch von Virolo- gen-Kollegen von mir gekommen ist, deshalb habe ich mal ausgerechnet: Also in Bayern gab es ja mal diese berühmte Zahl, ich meine 40.000 waren das, wo man gesagt hat, das ist unklar da, die haben ihre Testergebnisse nicht bekommen, weil was schiefgegangen ist. Und unter diesen 40.000 waren ungefähr 900 Posi- tive, die dadurch ihr Ergebnis noch nicht hat- ten. Wenn man das nur mal so als Stichprobe nimmt, das ist natürlich jetzt einfach irgendei- ne Stichprobe wahrscheinlich von den bayeri- schen Landesgrenzen gewesen. Dann sind es etwa zwei Prozent, die positiv sind. Und wenn die ganz normalen Untersuchungen, die das Robert Koch-Institut immer wieder bekannt gibt, wenn da die Positiven-Quote bekanntge- geben wird, dann lag die zum Teil bei 0,7 Pro- zent, manchmal bei 1,5, manchmal auch bei zwei. Aber zwei Prozent ist eigentlich eine rela- tiv hohe Positiven-Quote, verglichen mit dem, was wir so sonst zu produzieren. Das ist des- halb interessant: Weil das Argument, wir sollen nicht an der Grenze testen, die sind alle nega- tiv, mit dem gleichen Argument könnte man

dann alle Tests gleich sein lassen, weil die eben zum Teil noch geringere Positiven-Quoten haben. Also die Antwort ist kurz gesagt, ja, das wird gemacht und wird wild diskutiert, was es für Ergebnisse hat und die Zahlen sind ein ge- wisser Hinweis darauf, wie das Infektionsge- schehen in Deutschland ist, aber wirklich nicht mehr als ein gewisser Hinweis.

[0:20:59]

Camillo Schumann

Und nochmal der Hinweis auf Folge 96. Da haben wir dann ausführlich über den Zusam- menhang zwischen Infizierten zahlen und den schweren Verläufen und wie es in den Kran- kenhäusern aussieht, gesprochen.

Das war Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen- SPEZIAL. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 01. September wieder. Bis dahin, bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Bis nächste Woche, bis September, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass als Podcast auf mdraktu- ell.de, in der ARD-Audiothek bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 27.08.2020 #100: Neues zur Viruslast bei Kindern

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Donnerstag 27. August 2020.

1. Kinder infektiöser als Erwachsene? Eine neue und sehr genaue Studie gibt Aufschluss. 2. Wie gut muss Contact Tracing sein, damit es auch was bringt? 3. Hongkong will die gesamte Bevölkerung durchtesten. Kann das Virus dadurch komplett eliminiert werden? 4. Hoher CO2-Gehalt = mehr Aerosole?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Modera- tor bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag ha- ben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwick- lungen rund um das Coronavirus. Und wir be- antworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Alexander Ke- kulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Es gibt vermutlich kaum ein Thema, das so kontrovers und emotional diskutiert wird, wie das Thema Schul- und Kita-Öffnungen und der richtige Umgang in diesen Einrichtungen. In vielen Schulen muss auch Maske getragen werden. Und die Gretchenfrage ist ja, wie in- fektiös sind Kinder und welche Rolle spielen Sie für das Pandemiegeschehen? Wir haben schon

häufig hier im Podcast darüber gesprochen. Eine neue und sehr detaillierte Studie aus den USA liefert nun Antworten. Was macht diese Studie so besonders im Vergleich zu anderen Studien, die zu diesem Thema ja auch schon durchgeführt worden?

Alexander Kekulé

Wir haben bei diesen ganzen Abnahmen, wenn wir so mit dem Tupfer was abnehmen, immer das Problem, dass wir nicht wissen, wie viel Material an diesem Tupfer dran ist. Der eine hat sehr viele Rotz an so einem Tupfer, wenn er den rauszieht; und bei anderen ist es so, da nimmt der Arzt, oder wer auch immer das macht, von der Rachenmandel nur ein biss- chen ab. Und die Viruskonzentrationen werden natürlich immer als Konzentration, also Virus- partikel pro Milliliter angegeben. Und deshalb ist die Standardisierung, wie viel habe ich da am Tupfer, ganz entscheidend, und auch der Vergleich dieser Methoden untereinander. Da leiden sehr, sehr viele Studien darunter, dass sie eigentlich nicht wirklich quantitativ, son- dern nur qualitativ ein Ergebnis haben. Und hier hat man jetzt einen Trick gemacht, den ich eigentlich ganz gut finde – es ist nicht die erste Studie –, aber das ist einer, der sich so langsam durchsetzt. Man hat zugleich mit dieser PCR auf ein Gen getestet, auf ein Stück Erbinforma- tion, was nur in menschlichen Zellen vor- kommt. Das ist ein Stück, was zu tun hat mit dem Zellkern bei menschlichen Zellen, und es kommt also in diesen Rachenzellen vor. Dadurch kann man, wenn man das auch quan- tifiziert, feststellen, wie gut der Abstrich war. Also, ist da genug Material drinnen gewesen? Man kann so ungefähr sagen, wieviel das ge- wesen ist, war man jedes Mal, wenn man ei- nen Abstrich macht, natürlich auch Schleim- hautzellen und Ähnliches mit dran hat. Sodass man jetzt so eine Art Referenz mitlaufen lässt. Wenn sie ein Milliliter Blut haben, dann ist es ein Milliliter Blut. Dann kann man daraus Vi- ruspartikel pro Milliliter machen, und so eine Art Standardisierung hat man hier jetzt auch. Zugleich wurden die Tests mit tausend inter- nen Kontrollen gemacht. Man hat jeden Test dreimal wiederholt, die Tests standardisiert, von vornherein die Patienten in die Liste auf- genommen, wo dann auch das Abnahmever- fahren exakt gleich war. Also man wollte es

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hier wirklich wissen. In dem Sinn, dass man gesagt hat, es muss doch möglich sein, auch einen Abstrich wirklich quantitativ sauber zu messen.

Camillo Schumann

Man kann sagen, so gut wurde dieses Thema noch nie behandelt. Oder?

Alexander Kekulé

Das ist jetzt so gefühlt ungefähr die fünfte Stu- die, die so etwas nachweisen will. Einige davon sind publiziert, andere noch nicht. Und wir haben hier bestimmt drei, glaube ich, schon besprochen. So genau ist es bis jetzt bei keiner gewesen. Das Einzige, was hier noch fehlt, kann man vielleicht sagen als kleine Einschrän- kung für die, die ganz genau zuhören. Man hat jetzt die PCR-Tests gemacht. Man hat aber nicht ausprobiert, ob das Virus auch anzücht- bar ist. Das ist relativ klar, dass es anzüchtbar ist, weil die hohe Konzentrationen im Rachen hatten. Aber rein formal gesehen wollen die Virologen dann immer noch sehen, dass es nicht nur totes Virus war, was man nachgewie- sen hat, sondern dass das in der Zellkultur dann auch Zellen infiziert, also sich wirklich vermehrt.

Camillo Schumann

Also eine sehr, sehr gründliche Studie. Und jetzt natürlich das Allerwichtigste: Wie lautet das Ergebnis?

Alexander Kekulé

Da ist eben dabei rausgekommen, dass tat- sächlich die Kinder mindestens genauso viel Viren im Rachen haben wie die Erwachsenen. Also, es ist unter den Kindern quantifiziert worden, die Dosis wirklich, also, wie viel haben die quantitativ. Man hat es mit einer sehr gu- ten Statistik dann durchgerechnet und festge- stellt: Es gibt keinen Unterschied zwischen Jungen und Alten, sogar eine leichte Tendenz dazu, dass bei den Jüngeren die Viruskonzent- ration höher ist. Das heißt also tatsächlich, das, was wir hier immer so diskutiert haben. Ist es jetzt so, dass die Kinder überhaupt das Virus ausscheiden, ja oder nein? Da haben die ganz klar gesagt: Jawohl, die Kinder scheiden das aus, auch wenn sie kaum Symptome haben. Und die Autoren dieser Studie warnen drin-

gend davor, Kinder in die Schule zu schicken unter der Vorstellung, die seien vielleicht nicht infektiös. Und sie empfehlen auf jeden Fall, wenn man sie in die Schule gibt, entweder Masken oder testen.

Camillo Schumann

Was ich interessant fand, ist, man hat es mit den Erwachsenen verglichen, die auch im Krankenhaus gelandet sind und schwere Ver- läufe hatten. Und da war die Viruslast die glei- che und teilweise sogar noch höher. Das fand ich persönlich ein wenig erschreckend.

Alexander Kekulé

Ja, doch das ist tatsächlich so. Weil bei denen, die symptomatisch sind, also die so richtig das klassische Covid-19 haben, da ist ja typisch dann, dass irgendwann mal so eine Atemnot dazu kommt. Das ist bei Erwachsenen. Da ist es so, dass wir dort wissen, dass die Viruslast höher ist bei Patienten, die stärkere Symptome haben – nicht immer, nicht sicher. Aber es gibt so eine Korrelation, so eine gewisse Tendenz. Übrigens, die mit den stärkeren Symptomen haben dann tendenziell auch höhere Antikör- per-Titer hinterher, wenn man mal die Anti- körper bestimmt. Das ist so ein klassisches Bild. Das kennen wir auch von anderen Virusinfekti- onen. Und bei den Kindern ist es jetzt so: Die haben zum Teil eben genauso hohe Konzentra- tion gehabt wie schwere Verläufe, wie bei Er- wachsenen. Aber überhaupt nichts oder keine Krankheit, die irgendwie aussieht wie Covid-19. Das sieht aus wie eine ganz normale Erkältung. Das heißt, diese Coronaviren, die hier sind, können offensichtlich beim Kind das gleiche fabrizieren wie alle Coronaviren; also auch diese vier Typen, die zirkulieren und die schon immer Erkältungen machen. Und bei Erwach- senen machen Sie dann relativ häufig diese sehr schweren Verläufe.

Camillo Schumann

Sie sind sozusagen „Virus-Schläfer“, dann die Kinder?

Alexander Kekulé

Die Kinder sind „Virus-Schläfer“. Und das Virus hat so ein Januskopf. Es kann eigentlich zwei Krankheiten machen. Ich wäre schon fast da- für, diese Kinderkrankheit gar nicht Covid-19

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zu nennen, weil die sieht aus wie eine Erkäl- tung. Also, die haben das auch noch einmal ganz genau sich angeschaut. Die haben gesagt, die Kinder haben 50 Prozent Fieber, fast

50 Prozent Husten – also, das bleibt wieder das Klassische, aber mein Gott, das haben sie mit Erkältung auch – bisschen häufiger Halsweh als bei anderen Erkältungen; Muskelschmerzen kommen vor, auch Schnupfen. Und etwas häu- figer als sonst ist die Anosmie, also, dass man nichts riecht, das ist bei 20 Prozent, einem Fünftel, der Kinder. Aber Mensch, welches Kind, sagt schon, dass es schlecht riecht, wenn die Nase verstopft, oder wenn es sonst krank ist. Das heißt für mich, wenn man so in den Herbst blickt, wenn wir Kinder haben, die mit den klassischen Erkältungssymptomen, wie Fieber, Husten, Schnupfen und so weiter da- herkommen, müssen wir damit rechnen, dass ein Teil davon Covid-19 hat. Und bei denen, die hier untersucht wurden, in Boston, da war das tatsächlich so: Ein Drittel aller Schulkinder, die in dieser Zeit, wo das untersucht wurde, mit Erkältungssymptomen aufgelaufen sind. Ein Drittel von denen hatte tatsächlich Covid-19. Das ist für mich eine erschreckende Perspekti- ve, wenn wir hier in den Herbst blicken.

Camillo Schumann

Würden Sie dann bei ihrer Empfehlung blei- ben: Kinder-Schnupfen ist dann kein Grund, das Kind daheim zu behalten?

Alexander Kekulé

Ja, das muss man unter diesen Umständen ehrlich gesagt relativieren. Also, wenn man diese Studie sieht, ist es so, dass Kinder tat- sächlich eine andere Erkrankung zeigen als Erwachsene. Also etwas, was nicht aussieht wie Covid-19, sondern was aussieht, wie das, was andere Coronaviren fabrizieren. Wir haben natürlich noch keinen Fall gehabt, wo nur ein Schnupfen aufgetreten ist. Das machen dann typischerweise die Rhinoviren. Also man muss sagen, es gibt diese klassischen Schnupfenvi- ren, die machen eigentlich keine schweren Erkrankungen, sondern machen bei Kindern häufig einen reinen Schnupfen, diese Rotznase, ohne irgendetwas anderes. Das sind auch die häufigsten, die sind wesentlich häufiger, min- destens doppelt so häufig, wie die Coronavi- ren. Solche Erkrankungen kann man vielleicht,

als Arzt auseinanderhalten, von dem, was die Coronaviren machen. Aber ich denke jetzt mal so praktisch an die Eltern: Das Kind rotzt, dann wissen sie ja nicht, ob es dann morgen viel- leicht noch Fieber kriegt, oder ob es vielleicht heute Nacht anfängt zu husten oder so ähnlich. Darum glaube ich jetzt, so von der medizini- schen Seite stimmt es weiterhin, dass ein iso- lierter Schnupfen typischerweise nicht zu Co- vid-19 passt – beim Erwachsenen sowieso nicht, aber wir sind ja jetzt bei den Kindern. Aber ich sehe das von der praktischen Umset- zung her eigentlich nicht als praktikabel an, dass man den Eltern sagt, lasst die Kinder bei Schnupfen in die Kita gehen. Weil das für die Eltern, glaube ich, nicht zu unterscheiden ist, ob das jetzt eine Covid-19-Infektion ist, also eine SARS-CoV-2-Infektion ist oder ein anderes Coronavirus.

[0:09:37]

Camillo Schumann

Jetzt sind natürlich viele Eltern, die jetzt diesen Podcast hören, verunsichert. Kann man so eine Handreichung geben, also sagen: Kinder mit Schnupfen, wir warten zwei Tage, und wenn keine weiteren Symptome sind, dann kann es gerne wieder in die Kita gehen?

[0:09:51]

Alexander Kekulé

Wenn man jetzt diese Studie ernst nimmt, und das ist bis jetzt die erste, die mal so wirklich klar gezeigt hat, dass die Kinder eigentlich eine andere Krankheit haben; das ist eine andere Krankheit als bei Erwachsenen. Und die sieht eben so aus wie bei Erwachsenen, die klassi- sche Coronavirus-Infektion, die wir nicht bei SARS-CoV-2 sehen. Wenn man das jetzt ernst nimmt, wir wissen nicht, ob das in weiteren Studien bestätigt ist. Dann kann man eigentlich nur sagen es gibt keine andere Möglichkeit, als zu testen. Weil das im Grunde genommen für die Allgemeinbevölkerung heißt: Ich kann es nicht unterscheiden. Und wenn man es nicht unterscheiden kann, dann muss man natürlich den Eltern, die ja nicht ärztlich vorgebildet sind, sagen: Schnupfen ist auch schon ein Grund, das Kind erst mal zu Hause zu lassen. Das heißt also, wir hätten dann die Situation im Herbst, die ich immer befürchtet habe: Wir haben keine Tests, wir haben Kinder mit Rotz-

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nase und Husten und Fieber. Und wir können es uns nicht leisten, dass jeder zu Hause bleibt und dann auch in Quarantäne geht, bis das Testergebnis vorliegt, wer solche kranken Kin- der hat – und bei jeder Erkältung. Das wird im Herbst noch eine „interessante“ Phase. Vor allem kommt dann irgendwann auch noch die echte Grippe dazu. Ich glaube, dass wir da auf eine echt schwierige Zeit zusteuern.

Camillo Schumann

Also der Druck wächst, die Schnelltests dann flächendeckend einzuführen, dass die Eltern dann auch was an der Hand haben, dann auch frühmorgens, bzw. abends eine Entscheidung für den nächsten Tag treffen zu können.

[0:11:26]

Alexander Kekulé

Ja, aber das wäre jetzt, muss ich auch fairer- weise sagen – wir haben jetzt schon August – das wäre eine Herkulesaufgabe, das in der Kürze der jetzt noch zur Verfügung stehenden Zeit hinzukriegen. Man muss ja sehen, dass in den meisten Bundesländern die Schulen schon wieder angefangen haben. Die Eltern wollen auch wieder halbwegs normal arbeiten, weil die ganzen Lockdowns runtergefahren werden. Zugleich haben wir steigende Infektionszahlen mit einem hohen Hintergrundgeschehen. Das heißt, weit im Land verteilte, viele einzelne Infektionen. Man kann gar nicht mehr sagen, wo man sich infiziert hat, kann nicht mehr sagen, das und das Risiko nehme ich sozusagen mit rein in meine Überlegung, sondern man muss im Grunde genommen sagen, jeder, der Erkältungssymptome hat, also jedes Kind, das Erkältungssymptome hat, könnte Covid-19 haben. Und in der Lage müssten wir dringend diese Tests irgendwie beibringen.

[0:12:25]

Camillo Schumann

Aber egal, wer sich wo infiziert, das oberste Gebot lautet ja: Infektionsketten durchbre- chen. Die Gesundheitsämter, die haben ja mit Kontakt-Nachverfolgung alle Hände voll zu tun: Contact Tracing Teams befragen tausende Menschen, füllen Listen aus; dann wird mit den Infizierten oder mit möglichen Infizierten Kon- takt aufgenommen, es wird viel telefoniert. Aber wie wirkungsvoll ist Contact Tracing wirk-

lich. Also, wie wirkt es sich auf das Pandemie- geschehen aus? Eine Studie aus den USA hat mal verglichen, wie sich der R-Wert verändert, einmal mit und einmal ohne Contact Tracing. Das Ergebnis, finde ich, war relativ ernüch- ternd. Für Sie auch?

[0:13:04]

Alexander Kekulé

Ja, das fand ich auch ein bisschen deprimie- rend. Das sind Kollegen aus Stanford gewesen, die haben da auch ziemlich gute Modeler, Leu- te, die können mit den Computern wirklich spielen wie andere mit dem Jojo. Und die ha- ben das mal durchgerechnet, wie das ist in verschiedenen Szenarien. Und in den USA ist die Riesendiskussion, dass die jetzt den Lock- down haben in einigen Bundesstaaten, und darüber diskutieren, ob man das irgendwie lockern kann. Weil dort ja viel stärker noch als bei uns so der politische Druck ist, dass es so nicht weitergehen kann, dass man die Wirt- schaft so abwürgt. Darum haben die letztlich geprüft, kann man mit Test and Trace, also Positive finden und dann die Kontakte nachver- folgen, kann man damit sozusagen Distanzie- rungsmaßnahmen, Abstandsregeln, Maske und so weiter ersetzen. Und da haben sie festge- stellt in ihrem Modell war sie da gerechnet haben. Das ist natürlich eine reine Modell- rechnung gewesen, sehr aufwendig. Da haben Sie gesagt: Das wirkt erst dann vernünftig auf den R-Wert, also auf diese Reproduktionszahl, wo man die Gesamtdynamik der Epidemie mit abbildet, das wirkt erst dann, wenn man über 50 Prozent aller Infektionen erwischt. Man muss 50 Prozent und mehr erstens detektieren und dann auch noch erfolgreich nachverfolgen, und dann die positiven Kontakte in Isolation bringen. Nur wenn man da über 50 Prozent liegt, dann kommt man überhaupt auf eine Reduktion dieses R um 10 Prozent. Also wenn man R zum Beispiel von 1,0 auf 0,9 senken will, muss man die Hälfte aller Fälle gefunden ha- ben und nachverfolgt haben, sagen die. Das ist echt deprimierend. Weil, da kommt man schwer hin. Wenn man sich jetzt Deutschland gerade anschaut mit unserer momentanen Situation bezweifle ich, dass wir auch nur an- satzweise in den Bereich von 50 Prozent kom- men. Man muss sich ja klarmachen, dass wir in Deutschland durch diese Situation, in der wir

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sind, eine hohe Dunkelziffer haben. Also die ist sicherlich viel höher, als es im März und April war, weil wir Menschen haben, die nicht mehr so richtig mitmachen wollen bei den Corona- Maßnahmen, weil das Geschehen fein verteil- ter ist, mehr Einzelinfektionen, keine Ausbrü- che, die man im Ganzen erwischen kann. Das heißt, wir haben eine hohe Dunkelziffer, jetzt im Moment und eine steigende Zahl von Neu- infektionen. Wir kommen nie und nimmer auf diese 50 Prozent.

Camillo Schumann

Und dieses Mantra „Infektionsketten durch- brechen“, gilt das dann nicht mehr?

Alexander Kekulé

Doch, also ich würde da trotzdem noch eine Lanze dafür brechen. Das ist hier eine zwar viel beachtete, aber eine reine Simulationsarbeit. Und da sind zwei Sachen, die außerhalb dieser Simulation liegen, die wurden da nicht mit berücksichtigt. Das eine ist, wir wissen ja, dass die sogenannten Superspreader eine riesige Rolle spielen. Das heißt also, es gibt einzelne Personen, da kann man mal so grob sagen, einer infiziert so viel, wie 20 andere oder so. Also, die schaffen es einfach, wesentlich mehr andere zu infizieren. Das liegt nicht nur an den Menschen selber, sondern wahrscheinlich auch an bestimmten Situationen in geschlos- senen Räumen, wenn die Luft steht. Diese Superspreading-Ereignisse, die natürlich diese Epidemie immer einen Sprung voranbringen, die wurden da gar nicht in der Simulation be- rücksichtigt. Wenn man jetzt beim Contact Tracing, speziell Superspreader natürlich – die erwischt man ja immer leichter, aber aus ver- schiedenen Gründen: einer ist, wenn einer viele angesteckt hat, dann kann man auch schneller zurückverfolgen –, wenn man solche Ereignisse feststellt oder sogar proaktiv ver- hindert, dann wäre es noch besser, dann ist das wirksamer, als es hier in der Statistik aus- sieht. Und das andere, was man nicht mit be- rücksichtigt hat, ist das Thema Subpopulatio- nen. Also diese Studie hier hat, wie viele ande- re auch, einfach die Gesamtbevölkerung sozu- sagen als eine homogene Masse genommen. So ähnlich ist auch dieses R, was das Robert Koch-Institut immer bekanntgibt. Da geht man davon aus, dass die Gesamtbevölkerung eine

Population ist. Und das stimmt aber praktisch nicht. Wir sind ganz viele Subpopulationen, die alten unter sich, die jungen Agilen unter sich und so weiter, auch verschiedene ethnische Gruppen, die gar nicht so stark sich durchmi- schen. Selbst Schüler und Lehrer treffen sich außerhalb des Klassenzimmers nicht so oft. Und deshalb ist hier die Voraussetzung der sogenannten homogenen Durchmischung nicht gegeben. Und wenn man jetzt das run- terrechnen würde, auf bestimmte Risikogrup- pen, also die per Contact Tracing nachverfol- gen würde, die wirklich ein besonders hohes Risikohabenandereanzustecken,dannwäre die Effizienz schon lange vor diesen 50 Prozent gegeben.

[0:17:38]

Camillo Schumann

Contact Tracing machen natürlich die Gesund- heitsämter ganz analog, greifen zum Telefon- hörer und rufen dann an. Aber über 17 Millio- nen Menschen haben sich auch die Corona- Warn-App runtergeladen. Das ist ja auch Kon- takt-Tracing. Kann man das irgendwie in Ein- klang bringen?

Alexander Kekulé

Ja, diese Studie hier, die ist eigentlich eine schlechte Nachricht für die App. Weil die App ja genau das macht, dass sie alle über einen Kamm schert. Und die Studie sagt im Grunde genommen, wenn man das macht, dann braucht man so viele Erfolge beim Contact Tracing, dass wir da nicht rankommen werden. Um in dem Bild zu bleiben mit diesen einzel- nen Subpopulationen und denen, die agiler sind: Es ist so, diejenigen, die die meisten Kon- takte haben und die, „Party-People“ sind, die haben natürlich die meisten Infektionen. Und wenn sie die unter Kontrolle hätten, sei es, dass die immun sind, dann würden sie so eine Art Herdenimmunität auslösen, ohne dass sie die Gesamtbevölkerung immun haben. Oder sei es, dass sie die konsequent nachverfolgen, dann würden sie natürlich sehr, sehr, sehr, sehr effektiv die Epidemie unterbinden. Aber das Problem ist eben, dass genau die natürlich diese App nicht haben und wahrscheinlich, wenn sie positiv sind, das tendenziell auch nicht in die App eingeben, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben: sprich, nicht in Qua-

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rantäne wollen. Das heißt also, dieses Modell sagt letztlich, wenn wir die App genau bei den Leuten hätten, die ein besonders hohes Risiko haben, dann wäre es wirklich gut, dann wäre es toll. Aber das ist natürlich die Frage, ob man die, die sich nicht an die Regeln halten, ob man die überzeugen kann, das Contact Tracing be- sonders effektiv zuzulassen, entweder mit einer App oder bei Anruf des Gesundheits- amts. Also ich weiß, dass es Regionen in Deutschland gibt, da gehen die Gesundheits- behörden nicht hin. Da klingeln die nicht an der Tür, außer sie haben vier Polizisten außen- rum stehen, die ihnen beiseite stehen. Und in diesen Regionen, da hatten wir schon bei Ma- sern immer Probleme, in diesen Regionen werden sie auch mit dem Contact Tracing, ob sie es mit der App machen oder ohne nicht wirklich weiterkommen.

[0:19:37]

Camillo Schumann

Wir haben den Ausgaben 99 darüber gespro- chen, dass sich die Teststrategie in Deutsch- land ändern wird. Also keine kostenlosen Tests mehr für alle Reisenden und auch keine ver- pflichtenden Tests mehr für Rückkehrer aus Risikogebieten. Der Grund die Labore, die scheinen an ihrer Belastungsgrenze zu arbei- ten, eine ganz andere, Teststrategie scheint Hongkong zu verfolgen. Regierungschefin Car- rie Lam hat angekündigt, dass sich “alle Bür- ger!“ kostenlos testen lassen können. Also alle über 7 Millionen Menschen. Das hört sich sehr ambitioniert an. Herr Kekulé, was könnte das Ziel sein dieser umfangreichen Teststrategie?

[0:20:13]

Alexander Kekulé

Man versucht hier offensichtlich das, was wir in der Epidemiologie eine Eliminationsstrategie nennen. Elimination heißt, dass man wirklich alle Fälle, möglichst alle Fälle identifiziert oder auf ein ganz, ganz niedriges Level bringt und dann so wenige hat, dass man sagen kann, die wenigen, die wir haben, die verfolgen wir dann ganz schnell nach. Sodass die Bevölkerung sozusagen sich ein bisschen lockern kann, weil das Virus eigentlich kaum noch da ist. Wir sa- gen eliminiert. Erradiziert sagen wir übrigens, wenn es weltweit dann weg ist. So etwas macht Neuseeland, zum Beispiel. Da ist es so,

dass die eine echte Eliminationsstrategie fah- ren. In Hongkong, wer da schon mal war, weiß, dass die Nordgrenze von Hongkong fließend übergeht in Guangdong, eine südchinesischen Provinz, eine der industriell wichtigsten Provin- zen, die einerseits Häfen haben, riesige Indust- rie haben, eine der bevölkerungsreichsten Gegenden dort sind, einige der größten Städte Chinas haben, und dann im Hinterland auch noch Landwirtschaft sehr viel haben – und von dort kommen immer wieder die Viren. Es ist so, dass das SARS-1 aus Guangdong kam und ganz viele andere auch. Wir haben auch Vogel- grippeviren, die dort ihren Ursprung genom- men haben. Jetzt die Idee zu haben, dass man Hongkong quasi da abgrenzen könnte, das ist völlig absurd. Das heißt, die machen jetzt sozu- sagen ihren eigenen Haushalt sauber. Dass ist so, als wenn Sie bei sich zu Hause wirklich put- zen, am Schluss mit dem kleinen Taschentuch und noch mit einem Wattestäbchen die Ecken sauber machen in der Wohnung. Sie haben aber zehn Kinder, die ständig rein- und raus- laufen und den Dreck bringen. So ähnlich ver- suchen die in Hongkong jetzt eine maximale Maßnahme. Ich glaube, das wird nicht viel bringen. Und die Frage ist, wann wiederholt man es? Wenn ständig die Grenzen offen sind, müssen sie nach einer Woche alles noch mal machen.

[0:22:03]

Camillo Schumann

Weil Sie Neuseeland als Beispiel angeführt haben. Dort ist es über 100 Tage auch gut ge- gangen. Da gab es keine Neuinfektionen. Jetzt treten wieder in Neuseeland Infektionen auf. Der Lockdown wurde jetzt erst kürzlich verlän- gert. Also, es ist ja ein Irrsinn, gegen das Virus so zu kämpfen, dass man es besiegen möchte zu 100 Prozent.

[0:22:23]

Alexander Kekulé

Ich glaube, die beste Lösung, auch für Europa, ist immer zu sagen, das mit der Elimination schaffen wir nicht. Da würde man sich verrückt machen. Aber wir können es so weit unterdrü- cken, dass die Gesundheitsämter nachkom- men. Wenn man das schafft, dass man sagt die Initialfälle sind so, dass wir die schnell genug nachverfolgen können, natürlich nicht zu 100

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Prozent, aber in einer Dimension, dass wir nicht wieder in diese exponentielle Wachs- tumsphase reinrutschen. Das ist sozusagen das Ziel. Das würde man so eine Art Gleichge- wichtszustand letztlich nennen zwischen den Nachverfolgungsbehörden, zwischen Testen und Tracen, also Contact Tracing und Testen einerseits und der Virusausbreitung anderer- seits. Ich glaube, das ist möglich. Aber dazu muss man eben immer die Außengrenzen be- achten und gucken, wie viel da so reinkommt. Und in Hongkong, meine ich, die wollen jetzt eine Woche lang ab 01.09. alle durchtesten, haben schon gesagt vielleicht verlängern wir es auf zwei Wochen. Ich fürchte, die werden da- mit auch nicht viel weiter kommen. Aber man muss sagen, Hongkong ist ja sehr erfolgreich gewesen. Die hatten die letzten Wochen einen starken Anstieg wieder der Neuinfektionen. Was heißt stark, es waren einige Hundert. Im Vergleich zu Deutschland ist das natürlich nicht so viel. Aber sie haben auch weniger Einwoh- ner. Und einige hundert Fälle hatten die zum Teil. Das haben sie aber aktuell wieder im Griff. Das heißt, da ist die Bevölkerung enorm dis- zipliniert, trotz der politischen Verwerfungen, die es bekanntlich gibt, die haben alle ihre Masken. Die gehen, allerdings muss man sa- gen, freiwillig überhaupt nicht mehr zum Es- sen. Ich weiß gar nicht, ob die Restaurants offiziell irgendwelche Auflagen haben, aber de facto geht kaum noch eine raus. Die nehmen Covid-19 extrem ernst, und darum bekommen sie es dort auch immer wieder im Griff.

Camillo Schumann

Das ist auch ein kulturelles Problem, wie man auch damit umgeht – bei uns nie umsetzbar.

Alexander Kekulé

So direkt wird das bei uns nicht funktionieren. Die haben natürlich in Hongkong, genauso wie in Singapur und Taiwan, haben die SARS 2003 so dermaßen hautnah erlebt, dass die eine ganz andere Bereitschaft haben, sich vor so etwas zu schützen. Es gab Menschen, die ha- ben die letzten 17 Jahre immer Masken im Gesicht gehabt, seit dem Trauma von damals. Hier in Europa muss man die Leute eher über- zeugen. Und wir sind es auch eher gewohnt, dass wir mehr persönliche Freiheiten haben. Und deshalb meine ich nach wie vor, wir müs-

sen da eine europäische, eine demokratische Antwort finden, sozusagen eine freiheitliche, individuelle Antwort auf diese Pandemie. Und das heißt eben, dass der Einzelne die Möglich- keit hat, sein Risiko so ein bisschen selbst zu beurteilen. Und Sie ahnen es: Ich finde, jeder Einzelne muss sich testen lassen können.

[0:25:06]

Camillo Schumann

Ich habe es schon irgendwie vermisst. Die letz- ten fünf Minuten haben Sie es nicht erwähnt.

Wir kommen zu den Hörerfragen, Herr Kekulé. Frau S. aus Kassel hat angerufen:

„Ich habe gehört, dass eine hohe CO2- Konzentration, also hohe Kohlendioxidwerte in Innenräumen ein Indikator für zu hohe Aerosol- konzentrationen sein können. Stimmt das, dass sich das entspricht? Und ist das dann ein Grund für die Anschaffung eines CO2-Messgeräts?“

[0:25:39]

Alexander Kekulé

Also privat würde ich mir so etwas nicht an- schaffen. Aber es ist tatsächlich so, dass die CO2-Konzentration ganz allgemein im Arbeits- schutz – in Deutschland haben wir einen sehr ausgefeilten, gründlichen Arbeitsschutz – da wird die CO2-Konzentration in Räumen als Indikator für die Luftqualität genommen. Das heißt, wenn die Luft steht und stickig ist und viele Leute ausatmen, dann steigt eben das Kohlendioxid. Das ist ja das Gas, was wir aus- atmen als Stoffwechselprodukt: Sauerstoff wird eingeatmet, CO2 wird ausgeatmet. Und je mehr Leute da was ausatmen und je weniger die Luft gewechselt wird, desto eher steigt die CO2-Konzentration. Es gibt tatsächlich schon Vorschläge, das als Indikator für die Co- vid-19-Infektionsgefahr zu nehmen. Weil man gesagt hat, das ist im Arbeitsschutz sowieso verbreitet. Die Geräte gibt es auch häufig. Und dann lasst uns doch das mal nehmen, um zu messen in Situationen, wo wir nicht ganz sicher sind, ob die Lüftung in Ordnung ist oder nicht. Das ist bisher noch nicht standardisiert. Aber ich finde das einen ganz simplen und guten Ansatz. Ich sage mal, zum Beispiel in Neben- räumen oder in Waschräumen oder Ähnli- chem, dass man dort so ein CO2-Messgerät

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hat, falls die Lüftung nicht funktioniert oder auch mal ausfällt oder Ähnliches. Weil das hat zwei Parameter: Erstens, wie viele Menschen sind drinnen und zweitens wie gut ist der Luft- wechsel? Dadurch korreliert es schon ein biss- chen.

[0:27:04]

Camillo Schumann

Aber trotzdem wäre es ja Pi mal Daumen. Oder gibt es eine Korrelation zwischen CO2-Gehalt und Aerosole-Bindung, -Konzentration und die muss ja dann auch noch infektiös sein?

[0:27:15]

Alexander Kekulé

Naja, das sagt im Grunde genommen nur, ob man eine Risikosituation hat. Das ist ja eine der ganz wichtigen Dinge, die meines Erachtens noch auf der To-do-Liste der Politik sind. Dass man ja inzwischen nicht mehr sagen kann: Wir wissen nicht, in welcher Situation es zu diesen Superspreader-Ereignissen kommt. Da gibt es verschiedene Ansätze. Manche Kollegen sagen, lass uns retrospektiv beim Contact Tracing diese Superspreader insbesondere ins Auge nehmen. Und ich sage, lasst uns proaktiv ver- hindern, dass das überhaupt passiert, indem wir uns die Situationen anschauen, wie sind viele Leute in engen Räumen zusammen, ohne dass die Luft ausreichend bewegt wird. Und sozusagen als Risikoindikator kann man sagen: Personenzahl × Zeit × Kubikmeter Raum × Luftwechsel pro Stunde, und da irgendeine Formel draus machen. Oder man misst einfach das CO2. Das ist schon ein gewisser Hinweis darauf, dass da die Luft zu lange gestanden hat, im Sinne eines grundsätzlichen Risikos für Superspreader-Ereignisse. Nicht, dass man wirklich feststellt, ob da Viren drin sein, das zeigt es natürlich nicht.

Camillo Schumann

Gibt es also über einen Daumen so ein so ei- nen Grenzwert dafür, möglicherweise?

Alexander Kekulé

Die gibt es sicher, die weiß ich nicht auswen- dig. Es ist, so dass die Leute vom Arbeitsschutz da genaue Werte haben, ab welchen Konzent- rationen die Luft gut oder schlecht ist. Da kann es Ihnen passieren, wenn sie jetzt zum Beispiel

in der Umkleide haben im Sportverein, wenn da alle Fußballer zurückkommen und sich um- ziehen, dass der CO2-Wert eine gewisse Gren- ze überschreitet. Dann kommt die Gewerbe- aufsicht und sagt, ihr müsste aber da einen Ventilator einbauen oder Ähnliches. Aber diese Grenzwerte kenne ich nicht.

[0:28:55]

Camillo Schumann

Frau F. hat geschrieben:

„Ich arbeite als Lehrerin an einer Berliner Grundschule und habe vor Corona mit meiner Klasse jeden Schultag mit einem gemeinsamen gesungenen Lied begonnen. Nach der Berliner Hygieneverordnung darf ich das nun nicht mehr tun, zumindest nicht im Klassenraum. Mir und auch den Kindern fehlt aber dieses Ritual. Und deshalb habe ich mir das Vier-Ecken-Singen ausgedacht. Das geht so: Vier Kinder stellen sich jeweils in die vier Ecken des Klassenzim- mers, haben somit guten Abstand zu den Mit- schülern und trällern mit mir ein Lied. Die ande- ren Kinder Summen mit oder singen innerlich. Kann ich das so durchführen? Oder ist das aus Ihrer Sicht Quatsch. Über eine Antwort würde ich mich besonders freuen. Viele Grüße.“

[0:29:37]

Alexander Kekulé

Also, erstens finde ich das eine ganz entzü- ckende Idee mit den Kindern, die da in der Raumecke stehen und die anderen summen mit. Zweitens ist es virologisch leider nicht zu empfehlen. Weil wir ja wissen, dass beim Sin- gen und beim lauten Sprechen – da gibt es gerade eine aktuelle Studie, die gezeigt hat, es kommt nicht darauf an, ob man spricht oder singt –, es kommt auf die Lautstärke an. Da produzieren einfach manche Menschen ziem- lich viel Aerosol, also ganz fein verteilte Wölk- chen. Die können auch mehr als diese 1,5 Me- ter sich ausbreiten. Das ist etwas, was man nicht oft genug sagen kann, weil auch im Ar- beitsschutz und zum Teil die Gesundheitsäm- ter immer noch so die Idee haben – das hat ja auch die Politik oft genug gesagt – 1,5 Meter, und dann ist alles in Ordnung. Das gilt eben für geschlossene Räume nicht, wenn wir diese Aerosole haben. Und es besteht die Gefahr, wenn jetzt eins von den vier Kindern wirklich

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einen Superspreader wäre, also zu dem Zeit- punkt gerade besonders viel Virus ausscheidet, dass das sozusagen aus der Ecke den ganzen Raum beschallt und auch mit Viren bestäubt. Im schlimmsten Fall haben sie vier Super- spreader da stehen. Dann nahm sie quasi eine effektive Vernebelung von allen Seiten, weil die 1,5 Meter oder 2 Meter eben in dieser Situation nicht gelten. Ob man Superspreader ist, das hängt von ganz vielen Sachen ab. Das Virus kann eine Rolle spielen, ob man gerade eine hohe Konzentration im Rachen hat, in dem Moment. Aber es gibt wohl auch tatsäch- lich individuelle Unterschiede, wie wir Töne erzeugen. Und der eine hat da einen stärkeren Nebelfaktor mit dabei und der andere sozusa- gen ein Ende, nicht so feuchte Aussprache. Das ist aber tatsächlich noch nicht so genau er- forscht. Man weiß nur, dass es individuelle Unterschiede gibt, und deshalb würde ich da- von abraten, nur auf den Abstand zu setzen.

[0:31:18]

Camillo Schumann

Tja, damit sind wir am Ende von Ausgabe 100, eine ganze Menge, nicht? Da kann man an dieser Stelle ja mal ein Dank aussprechen an alle treuen Podcast-Hörer, die uns von Folge 1 hören – das war am 16. März, da ging es los – und die unzähligen Menschen, die uns angeru- fen, E-Mails geschrieben oder ihre Frage bei Twitter gepostet haben: Von unserer Seite, herzlichen Dank!

[0:31:41]

Alexander Kekulé

Ja, also ich finde es auch ganz wunderbar, dass so viele Menschen sich für Virologie und Wis- senschaft jetzt interessieren. Das ist ja viel- leicht ein kleiner Nebeneffekt. Ich muss auch sagen, „Hut ab“. Die Fragen sind zum Teil so differenziert, dass ich sagen muss, das geht schon fast an Studentenniveau ran. Da haben wir wirklich eine gute Hörerschaft.

Und jetzt muss ich Ihnen, Herr Schumann – ich weiß, Sie wollen das nicht hören – ich muss Ihnen auch dafür danken, was die Leute ja nicht so wissen, im Radio ist, dass sie jedes Mal diese Ausgaben hier vorbereiten, dass sie sich überlegen, welche Themen man nehmen könnte, dass Sie die Politik screenen. Ich muss ja nicht besonders viele politische Dinge anse-

hen. Ich gucke mir mehr die wissenschaftlichen Arbeiten an. Deshalb an dieser Stelle trotzdem auch einen Dank an Sie!

[0:32:26]

Camillo Schumann

Vielen Dank. Wir haben eine gute Arbeitsver- teilung, würde ich mal sagen. Sehr schön. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen Spezial. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Ich wünsche Ihnen alles Gute, bis zum Wo- chenende.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 30.07.2020 #99: Zweit-Infektionen sind keine Hiobsbot- schaft

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Dienstag 25. August 2020.

1. Ein Forscherteam aus Hongkong hat erst- mals eine Zweitinfektion mit SARS-CoV-2 ein- deutig nachgewiesen. Warum das keine Hiobs- botschaft ist.

2. Keine kostenlosen Corona-Tests mehr für Reisende. Und die Testpflicht für Rückkehrer aus Risikogebieten soll auch wegfallen. Macht das Sinn?

3. Und sollte man auch die Augen vor einer Ansteckung schützen?

Camillo Schumann

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Modera- tor bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag ha- ben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwick- lungen rund um das Coronavirus. Und wir be- antworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Alexander Ke- kulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann Es gibt wieder eine Menge zu besprechen. Fangen wir mit einer Top-Meldung aus der Wissenschaft an. Es geht um eine erneute In- fektion mit SARS-CoV-2. Also kann jemand, der

die Krankheit durchgemacht hat, sich wieder infizieren. In den letzten Monaten gab es ja immer mal wieder Berichte, wonach Covid-19- Patienten nach ein paar Wochen oder Mona- ten wieder positiv getestet wurden. Die Frage war aber ungeklärt: War es eine Zweitinfektion mit derselben Virusvariante, die für den ersten Ausbruch verantwortlich war, also quasi eine Reaktivierung? Oder war es eine Infektion mit einer neuen Virusvariante, also quasi einer zweiten „Neuinfektion“? Und genau das wurde jetzt nachgewiesen. Ist das so ein wissen- schaftlicher Paukenschlag? Was meinen Sie?

[0:01:42]

Alexander Kekulé

Ich glaube schon, dass es ein Paukenschlag ist. Bis jetzt war es ja tatsächlich so, dass wir das immer schöngeredet haben, wenn so vier Wo- chen, acht Wochen nach der Infektion – wir hatten auch schon Fälle, wo es mal drei Mona- te war, dann plötzlich das Virus wieder positiv war, also der Virusnachweis wieder positiv war. Da hat man immer gesagt, ja, das Virus war die ganze Zeit da. Zwischendurch waren die Nachweise eben negativ. Vielleicht weil sie schlecht gemacht haben oder weil die Kon- zentration zu gering war. Und jetzt ist aber sehr, sehr eindeutig, dass das eine echte Zweitinfektion ist. Also jemand, der die Krank- heit durchgemacht hat, hat nochmal eine In- fektion bekommen.

Ich kann vielleicht illustrieren: Gestern, als das in der Hongkong Universität bei einer Presse- konferenz bekanntgegeben wurde, kurz darauf habe ich das dreimal zugeschickt bekommen, von Kollegen aus Südostasien. Und wenn die so aufgeregt sind, dass sie es mir gleich dreimal schicken, drei verschiedene Leute, dann hat es etwas zu bedeuten.

Camillo Schumann

Also, es wird jetzt heftig diskutiert in der Wis- senschaft. Was haben die Kollegen in Hong- kong genau herausgefunden?

Alexander Kekulé

Ja, das sind die Mikrobiologen an der Hong- kong University. Das ganze Paper ist noch nicht offiziell publiziert, aber jemand war schlau und hat da quasi in einem sozialen Medium so ein paar Fotografien veröffentlicht, die jetzt natür-

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lich viral gegangen sind. Was die gemacht ha- ben, ist Folgendes: Da gab es einen Mann, der war 33 Jahre alt, und der hatte schon vor län- gerer Zeit leichte Covid-19-Symptome. Also war ein leichter Fall von Husten, Halsschmer- zen, Fieber, Kopfschmerzen. Und das Ganze ging aber nach drei Tagen weg. In Hongkong ist es üblich, dass man da, wenn es immer ir- gendwie geht, im Krankenhaus stationär be- handelt wird. Sobald Symptome da sind, emp- fehlen die die stationäre Behandlung, und hat- ten hier offensichtlich noch die Kapazitäten. Und deshalb war er dann im Krankenhaus gan- ze zweieinhalb Wochen. Und das Interessante ist, dass er nach dem wirklich langen Kranken- hausaufenthalt – da hat man sicherlich auch ein paar Studien gemacht und ihn deshalb so lange behalten – da war er eben zweimal wirk- lich negativ im Rachenabstriche, im Nasenab- strich war er negativ. Das heißt also, er hat definitiv kein SARS-CoV-2 mehr ausgeschieden. Und er war auch interessanterweise während des Krankenhausaufenthalts negativ für Anti- körper, hat kein IgG gebildet, zumindest wäh- rend des Krankenhausaufenthalts. Und das ist jetzt eigentlich ein klassischer Fall, wo man sagt: Der Patient ist geheilt, dem geht es gut, der hat nichts weiter. Der hatte wohl auch keine, sag ich mal, so chronischen Probleme. Manche haben ja dann hinterher noch Schwie- rigkeiten, dass sie Kopfschmerzen noch haben oder immer mal wieder Atemnot, oder so. Das hat er alles nicht. Und dann ist er wirklich lange später, am 15.08., vor zehn Tagen, ist er am Hongkong Airport bei der Einreise gecheckt worden. Das ist dort Standard, so wie es in deutschen Flughäfen zum Teil auch ist. 142 Tage nach der Entlassung. Und da ist er beim Airport durch Zufall – der hat überhaupt keine Symptome, wieder positiv getestet worden.

Camillo Schumann

Er war ja im Urlaub in Spanien und müsste sich wahrscheinlich dort angesteckt haben.

Alexander Kekulé

Ja, der hat sich ziemlich eindeutig da in Spani- en was geholt. Das ist vielleicht auch eine Warnung an die deutschen Urlauber, dass das tatsächlich vorkommt und man wirklich kom- plett symptomlos dann da nichts ahnend an- reist. Der wird sich wahrscheinlich auch ge-

dacht haben, was soll das? Ich war da ja über zwei Wochen im Krankenhaus und habe es auskuriert. Ich bin doch immun. Vielleicht hat er sich auch ein bisschen, sag ich mal, unvor- sichtiger verhalten. Aber was eben dann das wissenschaftlich interessante ist, ist Folgendes: Von diesem ersten Aufenthalt – weil er eben auch an der Universitätsklinik unter, sage ich mal, maximal wissenschaftlichen Bedingungen untersucht und versorgt wurde – hatte man das Virus, und man konnte die Sequenz des Virus feststellen. Das heißt also, das ist so eine Art Fingerabdruck, dass man wirklich die Erbin- formationen des Virus, die auf seinem langen Molekül, auf einer RNA codiert ist, dass man die Punkt für Punkt analysiert. Und daraus kann man ganz exakt sagen, wo das Virus her- kommt und was es für einen Stamm ist. Bei diesen Stämmen von Coronaviren oder über- haupt von Viren, da sprechen wir von Kladen. Das ist quasi eine Klade. Und die Klade V, die er beim ersten Mal hatte, die ist eindeutig defi- niert gewesen. Und das Spannende ist eben jetzt beim zweiten Mal hatte er eine Infektion mit einer anderen Virusklade gehabt, also mit dem anderen Stamm. Das heißt, es ist völlig eindeutig, dass das eine Zweitinfektion war und nicht irgendwie ein Virus, was er noch im Körper hatte, reaktiviert wurde.

Camillo Schumann

Also sozusagen der spanischen Variante bei- spielsweise.

Alexander Kekulé

Ja, das kann man schon so sagen. Diese bei der Zweitinfektion gefundene Klade G, ist in der Tat in Europa relativ verbreitet. Übrigens auch in den USA ist ja so, dass die Virusverbreitung tatsächlich von Europa in die USA oder zumin- dest an die Ostküste der USA am Anfang statt- gefunden hat. Und diesen Typ hat man da ge- funden. Das sind ein paar Besonderheiten ge- netisch dran. Das ist ja so die Frage: Wieso ist es zu dieser zweiten Infektion gekommen? Der Stamm, der die erste Infektion gemacht hat, den kannte man schon. Da weiß man, dass ein Teil des Virus ausgeschaltet ist, was normaler- weise in der Lage ist, das Immunsystem zu unterdrücken, ein Teil des Immunsystems, die sogenannte angeborene Immunantwort un- terdrücken kann. Und das ist bei diesem

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Stamm teilweise ausgeschaltet. Es wird vermu- tet, dass Menschen, die damit eine Infektion haben, tendenziell nicht so schwere Verläufe haben, wie es bei ihm ja auch der Fall war. Und es gibt auch die Vermutung, dass, wenn der Verlauf nicht so schwer war, wenn man eine leichte Infektion hat, das dann die Antikörper schneller wieder verschwinden oder man überhaupt keine große Menge von Antikörpern im Blut entwickelt, also dieses IgG dann nicht nachweisbar ist. Und das passt auch bei diesen Patienten. Da war ja zumindest bei der einen Probe, die man genommen hat – danach gab es leider keine Nachuntersuchungen mehr – hat man das IgG nicht gefunden. Sodass man sagen kann, das war offensichtlich jemand, der so völlig unterm Radar war, der wäre ja beim Antikörpertest negativ gewesen, hätte man gar nicht festgestellt, dass der schon mal eine In- fektion hatte, wenn der nicht für zweieinhalb Wochen im Krankenhaus gewesen wäre. Also insgesamt ein sehr interessanter Fall. Leichte Infektion, verleiht offensichtlich einen Schutz, weil er beim zweiten Mal praktisch überhaupt nichts hatte. Der hat das gar nicht gemerkt. Und das Interessante ist, nach der zweiten Infektionen, da hat es dann auch wieder paar Tage gedauert, kam tatsächlich das IgG in ei- nen Bereich, wo man es nachweisen konnte. Also, nach der zweiten Infektion, ganz aktuell, konnte man bei ihm, also jetzt vor fünf Tagen ungefähr, das IgG tatsächlich nachweisen.

[0:08:29]

Camillo Schumann

Wenn jetzt einer unterm Radar ist, dann könn- ten, dass er möglicherweise noch viele sein. Denn, Sie haben es eben beschrieben, die Vo- raussetzungen da in Hongkong, sind ja ganz andere wie in anderen Ländern. Der wird sozu- sagen gleich in die Klinik eingeliefert. Da wird dann wahrscheinlich eine Karteikarte angelegt, und da wird dann alles überwacht. Und der Rest ist ja „Kommissar Zufall“, glücklicherweise in dem Fall.

[0:08:48]

Alexander Kekulé

Ich gehe davon aus, dass es die Spitze eines riesigen Eisbergs ist. Die Hong Kong University, das sind ja die, die das SARS-Virus 2003 ent- deckt haben. Damals war der Malik Peiris der

Direktor, jetzt seine Nachfolgerin Susanna Lau ist auch sehr bekannt. Susanna ist immer ganz lustig. Die Hongkong-Chinesen lieben es, euro- päische Vornamen ihren Kindern zu geben, und das ist aber eine Chinesin. Und das sind wirklich Topleute, kann man sagen. Das ist klar, wenn man jetzt so einen Patienten hat, der also an einem der weltbesten Institute war, da ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man so etwas aufdeckt. Wenn so etwas in Indien pas- siert, ich sage jetzt mal ganz mutig, oder in Spanien irgendwo in der Provinz oder so, dann merkt es natürlich niemand.

Camillo Schumann

Ja, was heißt das jetzt? Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Alexander Kekulé

Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass es eine schlechte Nachricht ist, weil die meisten Medien haben ja auch so darauf rea- giert, dass sie sagen: Oh weh, Zweitinfektion möglich, werden dann die Impfstoffe über- haupt wirksam sein? Haben wir dann über- haupt eine Chance, jemals diese Viren über- haupt loszuwerden, wenn man sich immer wieder damit infizieren kann, eben mit etwas abgeänderten Varianten? Ich sehe das nicht so pessimistisch, weil eben hier auch das einge- treten ist, was man erwarten musste: Nämlich, dass die Zweitinfektion in dem Fall komplett asymptomatisch verlaufen ist. Wir müssen uns ja immer klarmachen, das ist jetzt ein neues Coronavirus, was beim Menschen Infektionen macht. Am Anfang machen solche Viren – das vermuten wir auch für die vier, die es schon gibt –, machen solche Viren schwerere Erkran- kungen, eben so etwas wie das richtige Co- vid-19-Bild. Wenn die dann eine Weile zirkulie- ren, dann müssen sie sich genetisch nach und nach an den Menschen anpassen, insbesonde- re an sein Immunsystem. Wenn das dann Virus immer häufiger auf Menschen trifft, die so eine Teilimmunität haben oder vielleicht richtig immun sind, dann muss das Virus darauf rea- gieren. Das heißt, es wird quasi genötigt, sich genetisch zu verändern. Und durch diese gene- tische Veränderung kommt es dann einerseits zu Viren, die meistens ein bisschen anstecken- der sind. Das ist dann sozusagen der Trick, mit dem es sich trotzdem noch weiterverbreiten

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kann, trotz einer gewissen verbreiteten Immu- nität in der Bevölkerung. Aber parallel dazu wird die Wirkung abgeschwächt. Dieser Pro- zess, wo ich jetzt ganz ehrlich gedacht habe, das dauert mindestens ein Jahr, bis es so weit kommt. Ich meine, ich habe das im Podcast auch mal gesagt, dass ich damit rechnen, dass wir in einem Jahr dann so rezirkulierende Ty- pen haben, wo man zum zweiten Mal Infektio- nen kriegt. Dieser Prozess geht jetzt wesentlich schneller als vermutet. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen.

Camillo Schumann

War das denn bei anderen SARS-Viren anders?

Alexander Kekulé

Bei anderen Coronaviren hatten wir dann die Situation, bei diesen vier Typen, die schon zirkulieren, dass die wahrscheinlich am Anfang, als die aufgetreten sind, tatsächlich ähnlich schwere Erkrankungen gemacht haben, wie jetzt das Covid-19 oder vielleicht auch, wie SARS von 2003. Wir haben sogar relativ kon- krete Hinweise bei einem dieser vier Typen. Da wissen wir, dass das von einem von einer Fle- dermaus wohl kam. Und es gibt sogar Men- schen, die vermuten – das ist jetzt eine Speku- lation, aber man kann das ja an der Stelle viel- leicht kolportieren – dass die sogenannte russi- sche Grippe, die ist im 19. Jahrhundert die letzte große Grippe gewesen, vor der Jahrhun- dertwende, dass die möglicherweise gar nicht von dem Influenza-Virus hervorgerufen wurde. Es gibt Hinweise darauf. Aber das ist eine Spe- kulation, sage ich mal, die manchen Leuten gefällt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sogar in der dokumentierten Geschichte es schon Epidemien, Pandemien von Coronaviren gab, möglicherweise eins von den vieren, die wir heute so als harmlose Erkältungsviren haben. Das Ganze ist natürlich so eine Geschichte, die man deshalb gerne erzählt, weil das ja in die Zukunft blickend bedeutet, das jetzige Corona- virus wird nicht verschwinden. Es wird in ver- schiedenen Varianten weiter existieren. Wir werden mehr und mehr immun dagegen. Und es gibt zwei gute Nachrichten. Das Eine ist, dass die Vermutung, dass das Virus sich nach und nach ändert und quasi wir in der Situation sind, dass es so eine Anpassung zwischen Wirt und Virus gibt, die dann auch zu harmloseren

Erkrankungen führt, die ist eigentlich bestätigt, dadurch, dass es solche Zweitinfektionen gibt. Und das Andere ist das, dass das Virus sich so schnell verändert, dass es den gleichen Patien- ten nochmal infizieren kann, das bedeutet, dass es unter einem erheblichen Selektions- druck steht. Also so im Darwin’schen Bild kann man sich vorstellen, eine Wasserschildkröte hätte kein Panzer entwickelt, wenn es keine Haie gibt, die gelegentlich versuchen, diese Tiere zu fressen. Und so ist es so, unter dem Druck, dass es nicht weitergeht, ändern sich die Arten. Und hier ist es offensichtlich so, dass es für das Virus schon einen Druck durch be- reits immune Personen gibt. Wir wissen nicht, ob das jetzt in Spanien ist oder in Indien oder sonst wo. Aber das Virus entwickelt sich doch relativ schnell in eine Richtung, wo es wahr- scheinlich dann ein angepasstes Virus wird.

[0:14:00]

Camillo Schumann

Das ist natürlich für diesen einen Patienten da in Hongkong ein toller Umstand, dass es, dass er es quasi jetzt noch einmal durchgemacht hat und es ihm ja sehr gut geht und er jetzt möglicherweise dann vielleicht sogar für im- mer dann immun ist. Aber was heißt das denn für die zu schützenden Risikogruppen? Ist er denn weiter infektiös? Weil, wenn er sich per- manent ansteckt, sage ich jetzt mal, und infi- ziert, dann kann er doch die anderen dann auch wieder anstecken. Also, was heißt das für die, die man eigentlich schützen sollte?

[0:14:28]

Alexander Kekulé

Das ist eine gute Frage: Das wissen wir tatsäch- lich nicht. Es ist so, dass die Menschen, die selber immun sind, die kommen immer besser mit diesen Viren klar. Wahrscheinlich kommen ja auch einige jetzt schon ganz gut damit klar, weil sie mit anderen Coronaviren Erfahrungen gemacht haben. Ob jetzt jemand, der also noch nie mit einem Coronavirus Kontakt hatte, also der gar keine Teilimmunität hat, der auch mit dem neuen SARS-CoV-2 oder seinen Vari- anten keinen Kontakt hatte, und der zusätzli- che eine Risikoperson ist, stark übergewichtig zum Beispiel, ob der im Lauf der Zeit durch ein weniger gefährliches, an den Menschen ange- passtes Virus wirklich weniger gefährdet ist,

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das kann man jetzt noch nicht sagen. Also die Wahrscheinlichkeit ist hoch, ja. Ich gehe davon aus, dass das früher oder später so ist. Aber man muss ja sagen, auch die normalen Coronaviren, diese vier Typen, die die Erkäl- tungen machen: Da gibt es auch Einzelfälle von Menschen, die dann wirklich daran gestorben sind, und zwar zum Teil sogar ganz einzelne, seltene Berichte, ohne bekannte Vorerkran- kungen. Also so was gibt es bei vielen Virusin- fektionen. Dass der eine vielleicht aufgrund seiner genetischen Veranlagungen, das Im- munsystem ist vielleicht ein bisschen anders, dass der dann ganz anders und viel stärker reagiert und also auch in Lebensgefahr kommt. Aber so insgesamt, ich sage mal mit Blick auf die Gesamtbevölkerung, hätte ich die Hoff- nung, dass das Virus vielleicht schneller an Gefährlichkeit abnimmt, als wir bisher befürch- tet haben.

Camillo Schumann

Wenn man da jetzt so ein Fazit ziehen würde: ein Fingerzeig für was?

Alexander Kekulé

Also für mich heißt es: Erstens, das Virus ver- hält sich so wie erwartet. Das beruhigt mich immer. Wenn etwas Unerwartetes passiert, bin ich immer eher nervös. Das heißt, es ist ir- gendwie dabei, sich anzupassen. Zweitens, wir werden auch dann immun sein, wenn wir gar keine messbaren Antikörper haben. Das sind zwei gute Nachrichten. Vielleicht noch so eine wirklich hundertprozentige Spekulation zum Schluss. Das ist schon fast nicht zitierfähig, aber wenn es so ist, dass das Virus sich so schnell anpasst, schneller, als wir dachten, dann darf man natürlich auch hoffen, dass es offensichtlich häufiger auf immune Menschen trifft und es deshalb macht. Und dass deshalb so der Gesamtverlauf der ersten großen Wel- len dieses Virus, die ja wohl noch bis nächsten Sommer geht, wirklich nach hinten begrenzt ist. Also es besteht die Hoffnung, dass das, was wir da jetzt sehen, dass das Virus sich so ver- ändert und schon in der zweiten Variante wie- derkehrt, dass das in gewisser Weise der An- fang vom Ende sein könnte von dieser Pande- mie, im Sinne einer schweren Erkrankung. Dass dann die leichteren Erkrankungen nach und nach zunehmen und wir immer häufiger davon

hören, dass die Letalitäten möglicherweise sinken. Das ist aber, muss ich noch einmal be- tonen, eine Spekulation. Aber ein Virologe dafür auch mal ein Bauchgefühl äußern.

Camillo Schumann

Selbstverständlich und so eine Spekulation in Ausgabe 99 ist doch auch was. Also da kann man doch auch nicht meckern. Das hätten wir vor einem halben Jahr auch nicht gedacht.

Alexander Kekulé

Ja, das stimmt. Also ich hätte damit gerechnet, dass das wesentlich länger dauert, bis das Virus so deutliche Subtypen bildet, die dann auch Reinfektionen machen können.

[0:17:46]

Camillo Schumann

Apropos, wesentlich länger dauert: Wir müs- sen über die Teststrategie von Bund und Län- dern sprechen. Da scheint Einigkeit zu herr- schen. Die verpflichtenden Tests für Rückkeh- rer aus Risikogebieten. Und die grundsätzli- chen kostenlosen Tests für Reisende, die ka- men ja kurz vor Ende der Ferien, als schon viele Rückkehrer das Virus wieder ins Land gebracht haben. Damit soll schon wieder Schluss sein. Kostenlose Test für Reisende wird es wohl nicht mehr geben. Die Gesundheitsmi- nister der Länder sind sich da sehr einig. Und Herr Spahn erklärt das folgendermaßen, unser Bundesgesundheitsminister:

„Gleichzeitig sind wir uns einig, dass mit Ende der Rückreisewelle wir die Testkapazitäten stärker wieder nutzen wollen, auch für die so- wieso vorhandene Teststrategie, also Pflege, Gesundheitswesen, Krankenhäuser. Und gleich- zeitig bei denjenigen, die dann noch aus Risiko- gebieten zurückkehren.“ (Bundesgesundheits- minister Jens Spahn)

Menschen ein Altenheim testen statt Urlaubs- rückkehrer? Gute Idee?

Alexander Kekulé

Na ja, wenn man die Wahl hat, selbstverständ- lich gute Idee. Es ist ganz klar, die alle allerers- te Priorität, das wissen Sie, ist aus meiner Sicht ist es der erste Buchstabe des Smart-Konzepts ist der Schutz der Risikogruppen. Da sind wir

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noch lange nicht da, wo wir hinwollen. Das Robert Koch-Institut berichtet praktisch stän- dig von neuen Ausbrüchen in Pflegeheimen, auch in Krankenhäusern. Und da muss man schon sagen, jetzt machen wir das schon so lange und haben diese Gruppen immer noch nicht geschützt, obwohl wir inzwischen eigent- lich wissen, wie es gehen würde. Das ist ganz klar, dass zum Beispiel das Personal in Alten- heimen, in Pflegeheimen aller Art, auch Behin- dertenpflege-Einrichtungen, dass dieses Per- sonal regelmäßig getestet werden muss, um wirklich alles zu tun, um zu verhindern, dass dort Einschleppungen passieren. Und mit den Tests kann man ja auch den Menschen, die dort wohnen, das Leben wesentlich erleich- tern, weil sie dann ihre Angehörigen sehen können ohne Plexiglasscheiben dazwischen und so weiter. Das heißt also, das ist natürlich die erste Priorität. Die Frage, die man natürlich so einem Politiker stellen muss, ist: Es also gut, jetzt hast du das erste nicht erledigt da mit den Pflegeheimen und mit den Krankenhäusern, wie Dir das Robert Koch-Institut, deine eigene obere Bundesbehörde, quasi jede Woche mehrfach vor die Nase hält. Jetzt hast du die Tests im Herbst nicht beschafft, diese Schnell- tests, die wir gebraucht hätten, um eben ohne Belastung der PCR-Kapazitäten in den großen Laboren trotzdem die Möglichkeit zu schaffen, große Mengen von Reiserückkehrern zu tes- ten, Kinder bei der Einschulung und so weiter. Jetzt gibt es diese Möglichkeiten nicht. Jetzt wird der Kurs wieder korrigiert, und jetzt sagt man okay, wir haben das schlecht geplant, jetzt wollen wir die Kapazitäten doch wieder für unser Kerngeschäft nutzen. Ja, klar in der jetzi- gen Lage, vielleicht das einzige, was man ma- chen kann. Aber ich hätte mir gewünscht, dass diese Ansage jetzt zugleich damit verbunden wird, dass man sagt: Wir machen das jetzt endlich, dass wir diese Schnelltests, also Anti- gen-Schnellteste und Lab-Schnellteste, dass wir das jetzt wirklich auf die Schiene bringen.

[0:20:35]

Camillo Schumann

Die geplante Neuausrichtung wird unter ande- rem damit begründet, dass die Labore in Deutschland inzwischen an ihre Grenzen stie- ßen, sowohl beim Personal als auch bei der

Verfügbarkeit von Materialien. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte:

„Wenn wir wochenlang Volllast fahren in dem Bereich, werden wir Material- und Personal- probleme bekommen. Deshalb müsse man die Teststrategie entsprechend anpassen.“

Pro Woche werden dem Sprecher zufolge rund 875.000 Corona-Tests gemacht, und theore- tisch wären 1,2 Millionen Tests pro Woche möglich. Also da ist doch eigentlich noch Luft, oder?

Alexander Kekulé

Da ist noch Luft, ja. Aber es ist so, dass einfach die Laborbetreiber sich beschwert haben, dass es das ist so eine Dynamik, die ist ganz viel- schichtig. Am Anfang haben natürlich die Labo- rärzte „Hier!“ gerufen, weil sie das Geschäft gewittert haben. Das ist klar. Dann kamen die harten Verhandlungen. Sie wissen, am Anfang haben die Tests, zum Teil, wenn sie es privat gemacht haben, unverschämte 250 Euro ge- kostet. Inzwischen, wenn natürlich jemand wie das Bundesland Bayern da verhandelt mit so einem Tester, dann können die, ich kenne den Preis nicht, aber ich schätze mal, nicht mehr als 30 Euro aufrufen für so was. Dadurch ist das Geschäft weniger lukrativ. Sie sind aber dann sozusagen in der Hand des Staates, weil sie eine national wichtige Aufgabe erfüllen. Und jetzt hissen die also die weiße Fahne. Was rich- tig ist, dass es natürlich da begrenzte Kapazitä- ten gibt. Das ist aber klar gewesen, schon be- vor die Corona-Krise losgegangen ist. Das war von vornherein vollkommen klar, dass man, wenn man die diese PCR-Maschinen, also die Tests, die für wirklich kranke Patienten sind, wo man dann hinterher Medikamente gibt, eine Diagnose stellt, und es also wirklich sicher sein muss das Ergebnis, also Kranken- haus-Standard haben muss, 99 % plus sozusa- gen bei der bei der Sensitivität, also bei der Nachweisempfindlichkeit. Klar, diese Maschi- nen, die sollte man als allererstes für mögliche Patienten mit Symptomen haben. Als zweites für solche, die im Krankenhaus arbeiten oder anderweitig im Risikobereich: Altenheime und so weiter. Dann kommt lange nichts. Und dann muss man die Frage stellen, braucht man so ein Hightech-Equipment jetzt wirklich, um die

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ganzen, meistens asymptomatischen, Reise- rückkehrer und so weiter prophylaktisch zu testen? Und da wissen Sie, dass ich seit März dringend dafür plädiere, das nicht zu machen. Das ist ja nicht meine private Vorhersage ge- wesen, dass die Kapazitäten der großen Labore dann schnell überlastet sind, sondern das ha- ben ja viele andere auch gesagt. Und wenn sie sich an die Heinsberg-Leute erinnern, da mein Kollege Streeck, der hat mit einer mit ein paar anderen Leuten zusammen schon damals ge- sagt, wir brauchen vielmehr Tests: aber er hat nicht gesagt, die müssen alle auf PCR-Basis sein.

[0:23:25]

Camillo Schumann

Jetzt gibt es noch Uneinigkeit darüber, wann diese Teststrategie verändert werden soll. Manche Ministerpräsidenten sagen zum 01. September, manche zum 15. September. Dann hätten wir so ein Zeitraum von irgendet- was zwischen drei und fünf Wochen, in denen dann die Urlaubsrückkehrer getestet worden. Ist das signifikant dann für das Pandemiege- schehen in Deutschland? Oder hätte man sich die fünf Wochen dann auch sparen können?

[0:23:49]

Alexander Kekulé

Doch das war schon wichtig, weil man dadurch einfach erkannt hat, wo es herkommt. Also diese Angabe, dass man sagt, wir wissen jetzt, dass 40 % ungefähr sind, so die Zahlen, die man hört, der neuen Infektionen von Reise- rückkehrern kommen. Das wüsste man ja gar nicht, wenn man, wenn man solche Stichpro- ben nicht hätte. Also, daher war das schon richtig. Ich bin auch dringend dafür, weiterhin zu testen. Also aus meiner Sicht ist es so: Wenn man eine vernünftige Strategie zur Be- kämpfung dieses Virus, bis der Impfstoff da ist, fahren will, dann muss man im weitesten Sinne Einreisekontrollen haben. Und Einreisekontrol- len heißt einfach, es hat keinen Sinn, im Land sozusagen maximalen Aufwand zu betreiben, um alles aufzuräumen, bis hin zu der Frage, dass Kinder Masken im Unterricht tragen müs- sen und so – was ja auch nicht so toll ist. Und zugleich hat man die Grenzen offen und es kommen ständig neue Infektionen rein. Das leuchtet jedem ein, dass das nicht sinnvoll ist.

Deshalb brauchen wir Einreisekontrollen, und die kann man entweder so machen, dass man die Einreise begrenzt aus bestimmten Regio- nen. Diese Diskussion: Müssen wir überall in Urlaub hinfahren? Ist das überhaupt notwen- dig, dass die Menschen jetzt in Europa und zum Teil auch außerhalb Europas ständig über die Grenzen wechseln? Und die zweite Option, die man hat, ist eben: testen bei der Einreie? Viel mehr gibt es nicht.

[0:24:09]

Camillo Schumann

Weil schon ganz viele Urlauber die Infektionen wieder ins Land gebracht haben, steigt ja auch die Zahl der Neuinfizierten. Stand heute wur- den 1.278 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden gemeldet. Am vergangenen Samstag war mit über 2.009 Fällen erstmals seit April die 2.000er-Marke gerissen worden. Das wird uns in dieser Woche vermutlich auch wieder drohen. Was also tun? In dieser Woche wer- den Entscheidungen getroffen. Die Minister- präsidenten der Länder diskutieren am Don- nerstag mit der Kanzlerin über eine Strategie für die kommenden Wochen. Und wie weit man da auseinander liegt, das zeigen diese beiden Aussagen: einmal von Bayerns Minis- terpräsident Markus Söder und einmal gleich im Anschluss Sachsens Ministerpräsident Mi- chael Kretschmer.

„Der Rahmen muss einheitlich sein. Das ver- steht doch sonst kein Mensch, warum man für Masken völlig unterschiedliche Bußgelder zahlt. Manchmal gar nix und anderen Fällen, wie bei uns, viel, viel mehr. Oder warum manche Feiern und Veranstaltungen in einigen Ländern er- laubt und in anderen nicht erlaubt sind. Wir brauchen jetzt mehr Einheitlichkeit.“ (Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder)

„Wir haben eine sehr unterschiedliche Situation in Deutschland, und wir können in Sachsen nicht die Regeln von Bayern übernehmen. Wir wollen nicht diese Einschränkungen für die Bevölkerung, für die Wirtschaft. Wir haben ein sehr niedriges Infektionsgeschehen. Das haben die Menschen durch ihre Disziplin so ermög- licht. Und deswegen bleiben wir bei den 100 Personen, die bei einer Familienfeier möglich

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sind, und bei den 50 Personen, wenn es eine Betriebsfeier ist.“ (Ministerpräsident Sachsen, Michael Kretschmer)

[0:26:28]

Camillo Schumann

Das ist so ein bisschen Westen gegen Osten. Und unterschiedlicher könnte auch das Infekti- onsgeschehen kaum sein. Der eine will alles vereinheitlichen, der andere will regional für sich entscheiden, weil kaum was los ist. Wie kriegt man da die Kuh vom Eis?

Alexander Kekulé

Also, da kann ich nur empfehlen, was wir seit Jahrzehnten bei unserem Pandemieplänen machen, die wir für Großunternehmen ma- chen. Und da gibt es ein Ampelsystem: rot- gelb-grün. Ehrlich gesagt, deshalb, weil ich immer gesagt habe, Manager verstehen es nur, wenn es so einfach ist (schmunzelt) – Ent- schuldigung an die, die zuhören, Das ist natür- lich kleiner Spaß. Aber letztlich muss man von der Behörde her sagen, wir haben mindestens drei Stufen. Rot-gelb-grün finde ich relativ ein eingänglich. Und das ist dann insofern einheit- lich das bundesweite, gleiche Regeln gelten, wenn rot ist, und bundesweit die gleichen Re- geln gelten, wenn gelb oder grün ist. Und in diesem Schema wäre dann eben Bayern wahr- scheinlich gerade auf dunkel-gelb. Und einige Länder im Osten wären noch auf grün oder grün-gelb. Und das müsste man natürlich nicht so machen, dass das jede Firma selber festle- gen kann oder jeder Landkreis. Sondern, das müsste man halbwegs vernünftig bundesland- weise machen. Dass also das Bundesland sagt, wo welche Regel gilt. Und das müsste man den Bürgern und auch so kommunizieren. Da muss man eben sagen okay, jetzt hier, in einer be- stimmten Region von Thüringen sind wir gera- de auf grün und in bestimmten Teilen Bayerns oder in anderen Gegenden in Deutschland, in Hessen haben wir Problemregionen, in NRW natürlich, da sind wir einfach schon auf rot. Und dann gelten andere Regeln. Und wenn es heißt, Maske auf, dann versteh ich jetzt, das ist jetzt natürlich kein virologisches Argument, aber ich verstehe jetzt so als Bürger nicht wirk- lich, warum das Bußgeld dann unterschiedlich sein muss. Also dass man einmal sagt, ihr müsst keine Maske tragen, ist okay. Aber das

Bußgeld unterschiedlich zu machen, das ist natürlich noch mal so ein Soft Factor, der ja eigentlich so ein bisschen die Sprache zwischen den Zeilen spricht. Wir verbieten euch das liebe Leute, aber wir meinen es nicht so ernst als Regierung. Und ich glaube, in die Position sollte man sich in der Politik nicht begeben, dass man selbst dafür sorgt, dass man nicht mehr ernst genommen wird.

[0:28:36]

Camillo Schumann

Also, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Dieses Ampelsystem rot, gelb, grün gilt dann für Gesamtdeutschland. Und auch die Maß- nahmen gelten für Gesamtdeutschland. Nur die Ampel steht eben in den unterschiedlichen Bundesländern denn eben auf unterschiedli- chen Farben.

Alexander Kekulé

So ist es, genau so ist es. Sie haben, wenn sie wie Autofahren, noch nicht nur grüne Ampeln vor sich. Das wichtige wäre eben, dass die Kri- terien ganz knapp glasklar vereinbart sind. Also, dass man wirklich bessere Kriterien hat als jetzt diese 50 Fälle pro 100.000 Einwohner. Das war jetzt mal so ein erster Versuch. Aber da gibt es ja durchaus Möglichkeiten, diesen Infektionsdruck, wie wir das dann nennen, also die Infektionswahrscheinlichkeit, regional wirk- lich besser abzubilden. Weil, aus der Sicht des Betroffenen ist ja das eigentlich das wichtige. Also, wir interessieren uns ja nicht so wirklich, sag ich mal ganz egoistisch wie die Zahlen in Südamerika. Und vielleicht gibt es auch Men- schen, die irgendwo in Halle leben und sich nicht so sehr für die Zahlen in München inte- ressieren, weil sie gar nicht vorhaben dahinzu- fahren, ihre Verwandten von da gerade nicht besuchen. Aber da, wo wir sind, da wollen wir doch eigentlich den Wetterbericht haben. Und so wie der Wetterbericht brauchen wir im Grunde genommen so eine Festlegung, wie das Risiko ist, eine Warnung dazu. falls jemand auf die Idee kommt, das zu machen. Es ist tat- sächlich so, man muss da das machen, was das Robert Koch-Institut Nowcasting nennt. Das heißt, man muss aufpassen, dass man nicht die heutigen Infektionszahlen sich anschaut, son- dern man muss im Grunde genommen rück- wärts rechnen von den vergangenen auf heute

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und von heute ein bisschen in die Zukunft. Also man braucht so tatsächlich so eine Art Virus- Vorhersage. Ich glaube aber, dass das möglich ist. Die wird nicht perfekt sein, aber so gut wie die Wettervorhersage allemal.

Camillo Schumann

Die ist ja auch nicht perfekt.

Alexander Kekulé

Eben. (lacht)

Camillo Schumann

Kommen wir zu den Hörerfragen. Frau Müller aus Leipzig ist jeden Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, und sie hat fol- gende Frage:

„Ich fahre täglich mit sowohl der S-Bahn als auch der Straßenbahn. Und dann brauche ich auch noch einen Bus, um auf Arbeit zu kom- men. Und hätte ich gern mal einen Tipp von Herrn Kekulé. Und zwar, sollte ich lieber die Sitze, also um mich festzuhalten, die Sitze an- fassen, die ja mit Stoff bespannt sind, gerade so die Rückenlehnen und so was. Oder lieber die Griffe, die sind ja glatt. Gäbe das jetzt ir- gendeinen Vorteil, wenn ich mehr den Stoff anfasse, oder ist das sowieso alles Blödsinn?“

Oder ist das sowieso alles Blödsinn?

Alexander Kekulé

Also, das Wichtigste ist, um das vorwegzu- nehmen, das man, wenn man die Sitze oder die Griffe oder irgendetwas anderes oder ei- nen anderen Menschen angefasst hat, den man nicht kennt: Dann soll man sich mit den Händen hinterher selbst nicht ins Gesicht fas- sen und nichts essen, außer man hat zwi- schendurch die Hände gewaschen. Das ist die ganz einfache Regel. Klar, man kann jetzt sagen auf glatten Oberflächen halten sich die Viren länger, insbesondere wenn es dort in irgendei- ner kleinen Schleimspur verpackt ist. Da kann man in manchen Experimenten nachweisen, dass die Viren noch tagelang haltbar sind. Und auf einem Stoff halten sie sich kürzer, weil die diese raue Oberfläche nicht mögen. Umge- kehrt ist es so, wenn der Bus dann abends gereinigt und vielleicht sogar desinfiziert wird, dann ist es natürlich so, dass das auf den Stoff-

polstern nicht so wirksam ist wie auf einer glatten Plastikoberfläche. Sodass man jetzt sehr schwer sagen kann, was am nächsten Tag vielleicht noch dranbleibt. Typischerweise, wenn jemand gerade eben auf gut Deutsch seinen Rotz dahin geschmiert hat, dann ist es egal, ob das auf einem Polster oder auf dem an einem Griff ist. Dann wollen sie das definitiv nicht im Gesicht haben. Und deshalb kann ich nur dringend empfehlen, die Hände unter Kon- trolle zu halten, wenn man im öffentlichen Bereich war.

Camillo Schumann

Mund-Nasen-Schutz tragen ja die meisten. Aber wie sieht es eigentlich mit den Augen aus? Dieser Herr hat angerufen:

„Um sich vor einer Infektion zu schützen, wird immer wieder darauf hingewiesen, dass eine FFP2-Maske sehr gut geeignet ist. Nun stellt sich die Frage, ursprünglich hieß es, dass man auch die Augen schützen müsse, die Augen- schleimhäute. Nun spricht da niemand mehr davon. Ist es nicht immer noch so, dass man auch die Augen schützen sollte, die Augen- schleimhäute? Und dann stellt sich die Frage, wie man diesen voll schützen kann?“

Die Augen als Einfallstor für SARS-CoV-2?

Alexander Kekulé

Ja, der Zuhörer hat da wirklich gut aufgepasst, dass ist in der Tat so, dass diese Diskussion so ein bisschen abgeflaut ist, weil wir es nicht genau wissen. Also die Situation ist die: Wir wissen definitiv, dass dieses konkrete Virus über die Nasen- und Mundschleimhaut aufge- nommen werden kann. Und wir wissen, dass andere Coronaviren und tendenziell die aller- meisten Viren, die Atemwegsinfektionen ma- chen, auch über die Augen reinkommen kön- nen. Bei SARS-CoV-2 ist es meines Wissens aber noch nicht eindeutig bewiesen, dass das ein weiteres Einfallstor für die Infektion sein kann. Aber die Arbeitshypothese steht im Raum. Darum gehen wir alle weiterhin davon aus. Auch die Weltgesundheitsorganisation hat in ihrer ganz aktuellen Empfehlung – die jetzt gerade wieder alle wissenschaftlichen Daten sich angesehen hat – die hat gesagt jawohl, die Augen sollen geschützt werden, zum Beispiel

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durch ein Gesichtsschild oder Ähnliches, weil das ein Einfallstor für die Infektion sein kann. Am Anfang, als auch in diesem Podcast immer empfohlen wurde, die Augen mit zu schützen, wenn man es jetzt hundertprozentig machen will, da haben wir typischerweise an die Infek- tionen gedacht, die durch Tröpfcheninfektio- nen beim Sprechen und Husten kommen. Also die, die direkt fliegen. So was fliegt natürlich gerne mal ins Auge. Ob so ein Nebel, der indi- rekt ist und er eine größere Distanz überschrei- ten kann, ob da eine echte aerogene Infektion, ob da genug Viruspartikel drin sind, um auch auf der Bindehaut des Auges eine Infektion herbeizuführen, das ist meines Wissens nicht geprüft worden. Aber die Arbeitshypothese heißt einfach: Ja, die Augen, wenn man auf Nummer sicher gehen will, soll man natürlich schützen. Jeder im Krankenhaus macht es, wenn er mit hochinfektiösen Patienten zu tun hat. Also wenn jetzt wirklich ein Co- vid-19-Patient im Krankenhaus liegt, auf der Intensivstation. Und man muss da zum Beispiel für die Atmung irgendwelche Geräte einstellen oder wechseln, dann wird man selbstverständ- lich immer auch die Augen schützen. Das wird keiner riskieren, da kleine Tröpfchen in die Augen zu bekommen.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 99, Herr Kekulé. Und heute haben wir doch was Positi- ves oder?

Alexander Kekulé

Eigentlich haben wir heute eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass es die Chance gibt, dass die Immunität steigt, dass das Virus sich schneller als gedacht eigentlich anpasst an den Menschen. Und da- mit im Grunde genommen der Verlauf, den wir immer gehofft haben, dass es harmloser wird, vielleicht in Sicht ist – rein spekuliert natürlich. Andere positive Nachricht von heute ist, dass Menschen, die keine Antikörper haben, höchstwahrscheinlich trotzdem weitgehend geschützt sind gegen eine Zweitinfektion, wenn sie schon mal infiziert waren. Die schlechte Nachricht kommt für mich so ein bisschen aus dem menschlichen Bereich, dass wir beim Schutz der Altersheime und vor allem bei den Schnelltest nicht weiterkommen und

die Politik jetzt sogar wieder zurückgehen muss beim Testen, weil sie die Vorbereitungen nicht getroffen hat. Da sag ich jetzt mal, das Virus arbeitet wie erwartet. Die Politik könnte noch den einen oder anderen Gang hochschal- ten, würde ich mal sagen.

[0:36:04]

Camillo Schumann

Mal sehen, was dann am Donnerstag beim Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsi- denten rauskommt. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns am Donnerstag wieder, dann schon zur hundertsten Ausgabe.

Alexander Kekulé

Ich freue mich, bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 22.08.2020 #98: Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-Spezial

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Samstag, 22. August 2020. 1. Wie groß ist die Ansteckungsgefahr bei einer Tuba? 2. Dann: Wie sind Viren überhaupt entstanden? 3. Muss man bei Naturbädern und Badeseen etwas beachten? 4. Heißt mehr Tests auch mehr Infizierte. 5. Dann: Eine Hochzeit mit 100 Gästen in einem geschlossenen Raum. Hingehen oder nicht?

Willkommen zu einem Kekulés Corona- Kompass Hörerfragen-Spezial. Die Fragen kommen von Ihnen und die Antworten vom Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Dieser Herr aus Hamburg hat angerufen, und am liebsten hätte er sofort eine Antwort bekommen. Warum? Das erzählt er selbst:

"Ich bin am Donnerstag zurückgekommen von einer Schiffsreise. Wir sind mit dem Bus über fünf Stunden von Hamburg nach Düsseldorf gefahren, dann auf einem kleinen Schiff eine Rheintour gemacht. Wieder zurück, wieder mit dem Bus von Düsseldorf nach Hamburg und jetzt hier in Hamburg. Jetzt sitzen wir draußen auf der Terrasse, und die Enkelkinder sind

ungefähr 3 bis 4 Meter von uns entfernt. Und die Eltern sagen jetzt: Nein, nein, ihr könntet euch infiziert haben. Im Bus zum Beispiel, Klimaanlage im Bus, egal. Aber die Enkelkinder, sagen wir, sollen auf Abstand bleiben. Aber selbst da haben die Kinder jetzt Angst. Wir könnten die Enkelkinder anstecken. Der eine davon ist acht. Sie ist fünf. Wir halten die Enkelkinder auf Abstand. Aber nicht mal das dürfen wir: Draußen kurz kommunizieren oder einen Ball werfen. Auch im Abstand von 5 Metern zum Beispiel. Ist das nicht ein wenig übertrieben? Vielen Dank."

[0:01:44]

Camillo Schumann

Ja, da bin ich mal gespannt.

Alexander Kekulé

Aus meiner Sicht ist es übertrieben. Ich finde, wir müssen wirklich ein Augenmaß für solche Alltagsmaßnahmen entwickeln. Das gilt für die Behörden. Das gilt natürlich auch für die Menschen im Privaten. Wenn man sich Gesicht zu Gesicht gegenübersteht und miteinander spricht oder sich vielleicht sogar anschreit, da würde ich sagen, ist im Raum wie im Freien 2 Meter Abstand eine gute Sache. Im Freien würde wahrscheinlich 1,5 Meter reichen oder so. Sofern Sie in eine Richtung schauen und nicht miteinander sprechen, also Rücken an Rücken, würde ich im Freien sagen, können Sie auf 1 Meter runter gehen. Das ist jetzt so die Situation, wenn man aneinander vorbeigeht oder Ähnliches. Aber alles andere wäre völlig übertrieben. Wenn man jetzt Ball spielt mit einem Kind, muss man keine Angst haben, dass über Schmierinfektion, über den Ball, da groß die Infektion stattfindet. Wir waschen uns ja alle relativ häufig die Hände inzwischen und vermeiden, dass wir in die Hände niesen und dann hinterher diesen Ball anfassen. Das macht ja heutzutage keiner mehr. Was ich aber schon auch sagen würde, ist, dass so eine Busfahrt immer ein Risiko ist. Während so einer Busfahrt von Düsseldorf nach Hamburg oder zurück würde ich doch empfehlen, eine FFP2-Maske zu tragen, solange wie möglich.

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[0:03:06]

Camillo Schumann

Aber in dem Fall übertriebene Vorsicht. Und wenn der Herr aus Hamburg das mit seinen Kindern jetzt ausdiskutieren will, auch vielleicht lautstark, dann sollte er Abstand wahren?

Alexander Kekulé

Ich habe immer so ein bisschen Angst, dass wir in der einen oder anderen Familie mit diesem Podcast auch Zwietracht säen. Auf die Gefahr hin muss ich aber in dem Fall sagen: Ja, es ist wohl übertrieben. Man muss es ja auch so sehen, das macht ja mit Kindern dann auch was, wenn sie ihr Leben lernen, den Opa und die Oma darf ich nicht mehr anfassen. Die sind gefährlich, weil die haben in dem Bus gesessen. Nächstes Mal sitzt das Kind dann selber im Bus. Da muss man ihm erklären, dass es jetzt aber mitfahren muss und das nicht gefährlich ist. Man darf nicht unterschätzen, dass Kinder Gefahren gerne verallgemeinern und nicht so differenzieren können wie Erwachsene. Nach dem Motto: Jetzt ist es gefährlich, jetzt nicht so sehr. Deshalb erzeugt man bei Kindern leichter so ein allgemeines Unwohlgefühl und so eine allgemeine Angststimmung. Vor allem, wenn die Eltern das verbreiten. Dann übernehmen Kinder von ihren Eltern diese Stimmung mehr oder minder ungefiltert. Und ich glaube, da müssen wir in dieser Covid-Krise aufpassen, dass wir keinen Kollateralschaden erzeugen.

[0:04:13]

Camillo Schumann

Birgit aus dem schönen Aachen hat uns geschrieben:

"Wir sitzen zu viert in einem sehr geräumigen Arbeitsraum. Ein Abstand von 1,5 bis 2 Metern wird eingehalten. Masken tragen wir allerdings nur, wenn wir kurzzeitig den Mindestabstand nicht warnen können. Der Raum hat Fenster zu zwei Seiten, wird regelmäßig komplett durchgelüftet. Jetzt, bei den hohen Temperaturen sogar ständig. Bedingt durch die Hitze benutzen nun einige Kollegen gelegentlich Fächer, um sich zwischendurch

abzukühlen. Nun entstand die Frage, ob man mit dem Fächer jemandem anderem seine Viren vor die Nase fächelt. Viele Grüße."

Alexander Kekulé

Also rein theoretisch ist die Antwort leider ja. Das ist tatsächlich möglich. Sowohl mit dem Propeller als auch mit einem Fächer verteilt man natürlich die Viren, die man direkt vor dem Gesicht hat, weiter im Raum. Und rein theoretisch würde man, wenn man das Virus ausatmet und dann wegfächert, natürlich die Wolke ein bisschen vergrößern. Ob das jetzt jemals praktisch eine Rolle spielt. Und da dadurch jetzt mehr Menschen infiziert werden als in einem geschlossenen Raum sowieso, wenn sie miteinander sitzen? Ja, vielleicht gibt es dann, wenn die ganze Pandemie vorbei ist, mal eine Studie, die so etwas zeigt. Ich würde sagen, es ist ein Grenzrisiko an der Stelle. Aber gut sind die Fächer natürlich nicht, weil man in der Tat die Luft besser im Raum verteilt, die man ausatmet.

[0:05:34]

Camillo Schumann

Von den Fächern zu denen angesprochene Propellern bzw. Ventilatoren. Herr Müller hat aus Berlin angerufen. Er hat eine Frage zum Großraumbüro:

"Wenn Mitarbeiter getrennt von einer Glasscheibe im Abstand von 2 Metern sitzen, wäre es dann möglich, so kleine Tischventilatoren zu nutzen, wenn die Fenster immer geöffnet sind? Wäre toll, wenn ich dazu eine Antwort bekommen würde."

Alexander Kekulé

Ja, da kann ich gut in Deckung gehen. Es gibt nämlich da Empfehlungen, die letztlich vom Bundesarbeitsministerium und den nachgeordneten Behörden herausgegeben werden. Da ist es relativ klar, dass Propeller am Arbeitsplatz, also typischerweise solche Tischventilatoren, nur empfohlen werden, wenn das Einzelräume sind. Wenn jemand alleine im Raum sitzt. Sobald es ein Großraumbüro ist, wird ganz klar von diesem Propellern abgeraten. Und da würde ich jetzt

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nichts hinzufügen. Das ist im Prinzip vernünftig.

[0:06:39]

Camillo Schumann

Frau Haupt macht sich große Sorgen. Sie hat gemailt:

"Ich arbeite in einer Werkstatt für geistig behinderte Menschen, die an eine Wohn- einrichtung angegliedert ist. Vom 16. März bis 6. Mai lebten unsere zum Teil auch sehr jungen und aktiven Beschäftigten im totalen Lockdown. Sie durften ihre Wohngruppen nicht verlassen et cetera. Sollte sich die Situation wieder verschärfen, fürchte ich, dass dieser Zustand wieder eintreten wird, da die Behinderteneinrichtungen den Altenheimen gleichgestellt werden. Das wäre eine Katastrophe für unsere Leute. Müssen wir so einen heftigen Lockdown wieder befürchten? Vielen Dank."

Camillo Schumann

Ich weiß, es jetzt eine fiese Frage.

Alexander Kekulé

Das ist gemein. Ich habe darüber nicht zu entscheiden. Es ist so, dass die Rahmenbedingungen, die damals zu dem Lockdown geführt haben, könnten möglicherweise noch einmal entstehen. Das ist einfach so, dass die Fallzahlen steigen und wir in einen Bereich kommen, wo man unter anderen Umständen über Lockdowns nachdenken würde. Ich glaube aber, dass die Politik verstanden hat, dass die eigentlich ausgegebene Devise, Beschleunigen und Bremsen, also Lockdown auf, Lockdown zu, dass das nicht funktionieren kann. Man guckt wahrscheinlich nicht so sehr auf die Behinderten, sondern vielmehr auf die Wirtschaft, die dann natürlich stranguliert wird. Ich glaube, das kann insgesamt nicht gehen. Wir brauchen deshalb dringend eine Alternative dazu. Es ist auch möglich, das zu verhindern, dass man noch mal einen Lockdown macht. Wenn er noch einmal stattfinden soll. Und wenn sowohl Behinderte als auch alte Menschen so extrem dann in

ihrer Freiheit eingeschränkt werden, dann gäbe es bein nächsten Mal die Ausrede nicht mehr, dass man sagen kann, wir konnten so schnell nichts anderes machen. Sondern dann müsste man wirklich sagen ist, es ist in Ermangelung von einem guten Alternativplan.

[0:08:26]

Camillo Schumann

Frau Hofmann aus Chemnitz hat angerufen. Sie nimmt SARS-CoV-2 mal zum Anlass, eine grundsätzliche Frage zu stellen:

"Ist bekannt, wie lange es schon Viren und Bakterienauf unserer Erde gibt? Wann und wie könnten sie entstanden sein?"

Camillo Schumann

So, bitte jetzt keine Vorlesungen, nur ganz kurz.

Alexander Kekulé

Ich wollte gerade fragen, ob Sie die 1-Stunden- oder die 4-Stunden-Version haben wollen?

Es gibt ja verschiedene Ideen, wie überhaupt das Leben entstanden ist. Im naturwissen- schaftlichen Bereich geht man davon aus, dass etwas über 4 Milliarden Jahren zum ersten Mal kleine Genabschnitte Stückchen von RNA, also so eine Art Gene angefangen haben, sich selbst zu Replizieren. Daraus sind dann so nach einer halben Milliarden Jahre die ersten Zellen geworden. Aus den ersten Zellen wurden bakterienähnliche Organismen und irgendwann kamen wir dann hervor. Die Viren stammen aus der Zeit, bevor es überhaupt das erste Leben gab. Höchstwahrscheinlich ist es so, dass diese Zeit, bevor dieser erste Einzeller entstanden ist, der der Vorfahr von allem Leben war, dass wahrscheinlich da schon die ersten Viren entstanden sind. Da sagen auch manche Menschen RNA-Welt dazu. Und die Bakterien sind damals die ersten Einzeller gewesen. Wir stammen in gewisser Weise von Bakterien ab. Die Dinosaurier haben es nicht überlebt, der Säbelzahntiger wurde auch ausgerottet. Aber die Bakterien sind seit Anbeginn des Lebens auf der Welt. Und zwar sehr, sehr viele Arten und nach wie vor

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erfolgreich und traktieren uns auch erfolgreich. Das heißt also, beide gibt es schon immer.

[0:10:05]

Camillo Schumann

Mensch. Und das ist einer reichlichen Minute. Sehr schön. Frau Kassner aus Ulm hat uns geschrieben:

"Ende August bin ich auf eine Hochzeit eingeladen. Es werden voraussichtlich um die 100 Personen anwesend sein. Das Ganze wird sich hauptsächlich drinnen abspielen. Ich gehöre zwar nicht zur Risikogruppe, trotzdem habe ich ein ziemlich ungutes Gefühl dorthin zu gehen. Zumal es keine Abstands- und Maskenpflicht gibt. Sollte man Umarmungen anderer ablehnen? Was würden Sie raten beziehungsweise wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie Gast wären?"

Alexander Kekulé

Au weia, ich habe gerade das Gesicht verzogen. Das sieht man zum Glück im Radio nicht. Ich würde da nicht hingehen. Das sage ich mal ganz klar und hart. Also im geschlossenen Raum, viele Leute ohne Maske. Nein. Es gibt gewisse Konzepte, wie man so etwas machen kann, wenn alle vorher in Quarantäne waren. Wenn man wirklich weiß, dass vorher niemand gefährliche Kontakte hatte. Und wenn man unmittelbar vorher testet. Die Idee ist ja immer fünf Tage, sieben Tage gefährliche Kontakte vermeiden und dann unmittelbar vorher testen, dann ist man in einem relativ sicheren Zeitfenster. Absolute Gewissheit gibt es nicht. Wenn man dann zusätzlich noch sagt, Personen mit besonderem Risiko, also die die Großeltern des Brautpaars, die kriegen dann noch eine FFP- Maske oder kriegen größeren Abstand. Dann kann man so was irgendwie machen und organisieren im geschlossenen Raum. Aber wenn ich jetzt höre, das alles ist nicht geplant, also ich bin ein vorsichtiger Mensch. Ich würde da nicht hingehen. Aber das ist so eine Typsache. Es gibt ja auch Leute, die erleben viel mehr als Naturwissenschaftler, weil sie sich einfach im Leben mehr getraut haben. Da will ich jetzt niemandem reinreden. Die

Risikoabwägung muss jeder für sich selbst machen.

[0:11:50]

Camillo Schumann

Vielleicht ist die Hochzeit auch bis Ende August sowieso von den Behörden schon verboten. Dann hat die Frau Kassner das Problem nicht, wenn sie nicht hingehen möchte. Dann darf sie gar nicht mehr hingehen. Wir sind gespannt.

Alexander Kekulé

Alle warm anziehen und in den Park gehen.

Camillo Schumann

Genau. Noch eine Alltagsfrage kommt Von Frau Krumphuber. Sie schreibt:

"Ich bin Musikpädagogin und arbeite mit Bläsergruppen in Schulen. Nun sollen zum neuen Schuljahr neue Bläsergruppen starten und die Kinder sollen, um ihr Instrument zu finden, alle Instrumente einmal ausprobieren. Einzig bei der Tuba gibt es ein Problem. Da pro Orchester nur eine Tuba vorhanden ist, müssten dann jede Woche vier bis fünf Kinder hintereinander die Tuba ausprobieren. Das Mundstück aus Metall kann abgenommen und desinfiziert werden. Aber die Atemluft bleibt natürlich auch zu einem gewissen Grad im Instrument. Allerdings atmet man die Luft aus dem Instrument ja auch nicht ein, sondern atmet nur ins Instrument aus. Es kann auch sein, dass etwas Spucke im Instrumente landet. Die Schüler kämen damit aber nicht in Berührung, da das Mundstück ja saubergemacht wird. Halten Sie dieses Ausprobieren der Tuba für ein Risiko, das man nicht eingehen sollte?"

Alexander Kekulé

Wenn da jemand dabei ist und gut aufpasst, dass die wirklich nur reinpusten und nicht ansaugen, dann kann man das sicher machen mit Desinfektion zwischendurch. Das Problem ist, dass Blasinstrumente nicht ganz einfach zu spielen sind. Ich habe auch mal versucht, mit dem Saxofon ein paar Töne rauszubringen. Ich kann mir schon vorstellen, dass so ein Kind beim Einatmen zwischendurch dann doch den

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Mund am Mundstück hat und nicht weggeht. Das müsste man also genau kontrollieren. Weil wenn Sie die Luft aus der Tuba inhalieren und da Speichel drinnen ist von dem, der vorher reingeblasen hat, das wäre ein extrem hohes Risiko. Ich sehe eher diese Inhalationsgefahr. Ich kann vielleicht noch hinzufügen: Viele wissen vielleicht, wie diese Instrumente aussehen, wenn man die eine Weile gespielt hat. Ich habe mal bei so einer Posaune, die jemand anders gespielt hat, da die zwei Teile auseinandergenommen, mit denen man den Ton einstellt. Also diesen Griff. Entschuldigung, ich weiß leider nicht, wie der heißt. Da läuft richtig viel Saft raus hinterher. Die Aussage, dass der Speichel hinterher im Gerät ist, die kann ich nur unterstreichen. Der wird natürlich vaporisiert, während man bläst. Beim Inhalieren würde man sich definitiv infizieren. Also wenn man sicherstellen kann, dass die Kinder wirklich nur reinblasen und nicht ansaugen, dann würde ich sagen, kann man es machen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob man das hinkriegt. Das muss der Musiklehrer sagen, der Erfahrung hat, ob Kinder so etwas können.

[0:14:29]

Camillo Schumann

Herr Gissmann hat gemailt:

"Ich frage mich schon lange, warum nicht zusätzlich zur absoluten Zahl der positiven Tests auch der Anteil der positiven im Verhältnis zu allen Tests angegeben wird. Damit könnte man doch das Argument, siehe Trump, entkräften, dass es gar keinen Anstieg der Fallzahlen gibt. Sondern dass dieser durch eine erhöhte Testfrequenz nur vorgetäuscht wird. Habe ich da was verpasst? Vielen Dank."

Alexander Kekulé

Ja und nein. In Deutschland wird das angegeben. Das wird gemacht. Die Überlegung ist genau richtig von Herrn Gissmann, dass man hier genau das daraus feststellen kann. Und deshalb werden diese Zahlen veröffentlicht. Ich meine, die sind auch beim Robert Koch-Institut immer einsehbar. In den USA kommt es dadurch, dass das ein Potpourri

von verschiedenen Einrichtungen ist, die da testen. Zum Teil staatliche, zum Teil private. Da werden diese Zahlen großenteils nicht zentral erfasst. Es gibt dort Studien, wo man versucht, die Zahlen rauszukriegen und dann immer wieder auch Ergebnisse hat. Aber so ordentlich wie in Deutschland geht es dort nicht zu. Drum kann der Trump immer behaupten, wer mehr testet, kriegt auch mehr Fälle. Oder durch dauerndes Testen kriegen Sie Covid nicht weg. Und solche Sprüche wie er immer bringt. Da gibt es ja ganze Spruchsammlung im Internet. Aber man kann ganz klar sagen, testen ist eines der wichtigsten Instrumente, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen.

[0:15:55]

Camillo Schumann

Herr Hiergeist hat eine Frage zu einem möglichen Mittel gegen SARS-CoV-2. Er schreibt:

"Warum ist es so schwierig, einen Wirkstoff zu entwickeln, der das Virus direkt angreift, wenn die Oberflächenmoleküle des Virus bekannt sind und ähnlich wie bei Giftstoffen ein Gegengift zu entwickeln ist? Schlüssel-Schloss- Prinzip. Hat die Pharmaindustrie möglicherweise gar kein Interesse?"

Alexander Kekulé

Doch, doch, die haben schon Interesse. Weil so viel Geld wie dafür gibt es sonst nicht. Da haben ganz viele Interesse. Es wird sogar viel Unsinn gemacht, sage ich mal ehrlich. Weil einfach das Geld da ist. Nein, das ist nicht so einfach. So einem Virus ist es zunächst relativ egal, was da auf seiner Oberfläche passiert. Hauptsache, die Erbinformation wird in die Zielzelle irgendwie eingeschleust. Deshalb muss etwas, was an der Virusoberfläche angreift, das Virus erstens unbedingt erwischen, bevor es in die Zelle reingeht. Denn sonst kommt man nicht mehr ran. Dass vermehrt sich in der Wirtszelle. Also bei uns innerhalb einer Lungenzelle, eine Zelle von der Lungenschleimhaut. Zweitens ist es so, dass diese Inaktivierung oder diese Berührung mit der Oberfläche des Virus, die muss extrem stabil sein. Das muss wirklich binden wie Pech

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und Schwefel und sich da festhalten, damit das Virus nicht doch irgendwie auskommt. Weil es so wahnsinnig viele Partikel sind. Wenn Sie sehr viele Partikel haben und nur eine schwache Bindung haben, dann gehen immer ein paar durch. Deshalb braucht man etwas wie ein Antikörper. Die Antikörper machen das, dass sie sich bombenfest an die Oberfläche von Viren binden und auch nicht mehr loslassen. Solche Therapien werden gemacht, dass man mit Antikörpern versucht, Infektionen entweder zu verhindern oder auch Infektionsverlauf die Krankheitssymptome abzuschwächen.

[0:17:40]

Camillo Schumann

Weil Sie eingangs der Antwort gesagt haben, da wird auch viel Schindluder getrieben. Was meinen Sie damit?

Alexander Kekulé

Es gibt ja viele Forschungsbereiche. Die haben irgend so ein kleines Projekt. Wenn jetzt ausgeschrieben wird, wie natürlich weltweit: Wir müssen was gegen Covid-19 finden. Und das Geld liegt auf der Straße dafür, zu Recht. Dann gibt es ganz viele, die sagen: Ja hier, ich habe da eine Idee. Das ist dann irgendeine, die sie schon seit Jahren in der Schublade haben, die noch nie so richtig funktioniert hat. Und jetzt soll es halt gegen Covid-19 wirken. Da werden zum Teil die Mittel großzügiger vergeben, als es sonst der Fall wäre. Weil man erstens nicht so viel Zeit zum Prüfen hat. Zweitens auch gar nicht das Personal, so viele Anträge zu prüfen. Und letztlich auch immer die Hoffnung, dass es eine ungewöhnliche und auf den ersten Blick nicht Erfolg versprechende Idee ist, die dann doch funktionieren könnte.

[0:18:32]

Camillo Schumann

Frau Frei hat eine sehr emotionale Mail geschrieben:

"Mein Schwager hat eine Kollegin, die positiv auf Covid-19 getestet wurde. Weil die Mutter im Hospiz liegt und er sie vor ihrem Tod noch besuchen möchte, hat er sich sofort am

Samstag beim Testzentrum gemeldet. Dort wurde er abgewiesen und auf Montag und das örtliche Gesundheitsamt Münster verwiesen. Dort bekam er aber auch noch die Antwort, dass er selbst bei einem negativen Test 14 Tage in Quarantäne müsse, weil die Tests zu ungenau seien. Heißt das, dass man sich das Testen eigentlich sparen könnte? Sind Besuche im Hospiz besonders streng reglementiert? Gibt es keine Lösung in solchen Fällen? Hier geht es immerhin um eine sterbende Verwandte ersten Grades. Viele Grüße, Frau Frei."

Alexander Kekulé

Ja, die Behörden sind halt unsicher. Und es gibt leider von oben da nicht so viele eindeutige Anweisungen, die man wirklich durchdeklinieren kann. Da entscheidet letztlich jedes Gesundheitsamt, was es will oder was es meint, was richtig ist. Man kann ja schon die Frage stellen, wenn jemand sowieso im Sterben liegt, was das dann für eine Rolle spielen soll, falls dann irgendwie mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:1000 irgendein Angehöriger vielleicht doch infiziert wäre. Und ob es dann überhaupt bei so einer Begegnung wirklich zur Infektion kommen würde. Das ist einer von vielen, vielen Fällen. Solche Fragen kriegen wir immer wieder, wo man nicht so wirklich nachvollziehen kann, was die Anweisung soll. Ich habe sogar die Befürchtung, dass sich sowas häuft. Und dass das so ein bisschen die Zuversicht der Menschen und das Vertrauen der Menschen in die Behörden einschränken könnte. Also in dem Fall verstehe ich es tatsächlich nicht genau, was da das Problem sein soll.

[0:20:18] :

Camillo Schumann

Aber der Zusammenhang zwischen negativen Test und dann noch 14 Tage in Quarantäne ist eigentlich ein Ausschlusskriterium?

Alexander Kekulé

Naja, es ist ja so, entweder habe ich jetzt ein Risiko oder ich habe keins. Man muss das hier schon so kommentieren, dass in Deutschland klammheimlich die Strategie geändert wurde. Es hieß ja immer, nach möglicherweise

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gefährlichem Kontakt muss man zwei Wochen in Quarantäne. Jetzt heißt es: Oder testen. Obwohl natürlich jeder weiß, auch die Behörden wissen das, dass bei diesen Tests von einer Größenordnung von 20 Prozent nicht alle erkannt werden aus verschiedenen Gründen. Und es kann sein, dass man ganz kurz vorher sich angesteckt hat, also deshalb erst nach dem Testen positiv wird. Diese zwei Probleme sind bekannt. Trotzdem hat man die Strategie geändert und gesagt: Nein, wir wollen nicht mehr 14 Tage Quarantäne. Der Test reicht als Alternative zum Beispiel bei Urlaubsrückkehrern oder auch bei Krankenhauspersonal macht man es ähnlich. Wenn man das jetzt allgemein mal bekannt geben würde und sagen würde, jawoll, das ist jetzt unsere offizielle Strategie. Dann würde vielleicht auch das örtliche Gesundheitsamt sagen, ja, das ist jetzt die offizielle Linie. Und deshalb können wir diesen Menschen erlauben, seinen sterbenden Angehörigen zu besuchen. Weil da reicht uns dann der Test. Aber es wird eben nicht diese klare Anweisungen gegeben, sondern es gibt eben immer nur Einzelfalllösungen, wo man dann so eine Schlussfolgerung wie die, die ich gerade gemacht habe, so raus extrahieren muss. Da wäre es wahrscheinlich auch hilfreich für die Gesundheitsämter, wenn ganz klar gesagt würde: Test reicht. Aber da muss man dann auch dazu sagen: Test reicht und wir nehmen das Restrisiko in Kauf, was dann im Raum steht.

[0:22:05]

Camillo Schumann

Und um der Frau Frei noch was an die Hand zu geben, FFP2-Maske auf und die Mutter besuchen, oder?

Alexander Kekulé

Ja, natürlich, das kann man auf jeden Fall empfehlen. Das sollte in dem Fall eine ohne Ausatemventil sein. Aber es ist so, dass ich jetzt Zweifel habe, dass die Behörde da mitmacht. Das ist ja immer das Problem. Die haben dann immer ihre Vorschriften. Das kann man sicher versuchen. Es ist vielleicht jetzt der

naheliegendste Weg, zu sagen: Können wir da nicht eine Lösung finden, wie man diesen Kontakt sicher gestalten kann? Ich nehme an, es geht nicht nur um die Angehörige, sondern überhaupt um den Zutritt zum Krankenhaus oder zum Hospiz. Da wird wahrscheinlich die Regelung sein, dass jemand überhaupt nicht ins Hospiz rein darf unter diesen Umständen. Da müsste man dann eben einen Weg finden, wie man auf dem Weg zum Zimmer der Angehörigen halt Infektionen weitgehend vermeidet. Das ist durchaus möglich durch das Tragen von FFP2-Masken und sicherstellen, dass man nichts anfasst. Ich darf daran erinnern, dass im ganz normalen Alltag von Krankenhäusern das schon immer vorkam, dass wir Patienten hatten, die mit einer offenen Tuberkulose da waren. Dann machen Sie eine Diagnose, und plötzlich stellen Sie im Röntgen oder in der Labordiagnostik fest, der hat eine offene Lungentuberkulose, eine potenziell tödliche Erkrankung. Da kriegt der Patient dann so einen Mund-Nasen-Schutz aufgesetzt und wird auf dem kürzesten Weg natürlich in ein Isolierzimmer gefahren. Aber trotzdem musste er ja irgendwie durchs Haus gefahren werden. Und da gibt es Wege, solche Personen, die also möglicherweise infektiös sind, durchs Haus zu bugsieren, ohne dass alle angesteckt werden. So etwas muss man auch haben für Besucher, zum Beispiel in Krankenhäusern, in Altersheimen, in Hospizen. Damit die da rein können zu ihren Angehörigen.

Camillo Schumann

Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort. Diese Dame aus Bayern geht gerne schwimmen:

"Wir haben hier einen in Wörth an der Isar. Das ist ausgebaut worden. Das war ursprünglich mal naturnäher mit Vogelinsel und Fischen am Ufer. Aber jetzt wird da ein Riesengeschäft gemacht. Das sind die Massen. Die Parkplätze sind ausgebaut worden, das Wasser sieht aus wie umgekippt. Ich bin da nicht mehr rein gegangen, weil ich gesagt habe, es ist einfach unerträglich. Und wenn im Abwasser schon das

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Virus nachweisbar ist, wie ist das dann mit solchen Badeseen, wo sich die Leute in Massen jetzt diesen Sommer aufhalten? Dankeschön."

Alexander Kekulé

Ich bin da optimistisch. Es ist so, dass es keinen Fall gibt, wo irgendwie durch ein offenes Gewässer das Virus übertragen wurde. Diese Viruspartikel sind optimiert auf eine aerogene Übertragung, also sozusagen keine typischerweise übers Wasser übertragenen Erreger. Es gibt ja welche, die übers Wasser gerne übertragen werden. Das ist nicht ihr typisches Metier. Und es ist so, dass auch in so Seen eben massenweise kleine Mikropartikel drinnen sind. Da ist Sand drinnen, da sind irgendwelche biologisch aktive Substanzen drinnen. Je schmutziger der See sozusagen, desto besser. So Moorseen zum Beispiel. Der hat extrem viele kleine Partikel drinnen. Und da bleiben diese Viren hängen und werden inaktiviert. Sodass ich jetzt, bis wir gegenteilige Meldungen von irgendwo vielleicht bekommen, sehr zuversichtlich bin, dass man mit offenen Gewässern nichts übertragen kann.

[0:25:29]

Camillo Schumann

Das war das Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-Spezial. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 25. August wieder. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Sie auch, Herr Schumann. Ein schönes Wochenende für Sie.

Camillo Schumann

Alle Spezialausgaben und alle Folgen Kekulés Corona-Kompass gibt es zum Nachhören auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 20.08.2020 #97: Kekulés Corona-Kompass

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

1 [0:00:03] : Mdr Aktuell Kekulés Corona-Kompass,

2 [0:00:10] : Camillo Schumann Donnerstag, 20. August 2020

17 Millionen Downloads, aber nur 1500 positive Testergebnisse. Macht die Corona-Warn-App epidemiologisch aktuell Sinn?

Schnelltests für jedermann. Wie funk- tionieren sie? Wo gibt es sie? Was kos- ten sie?

Außerdem: Sars-CoV-2 nicht direkt be- kämpfen, sondern austricksen.

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin ein Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichten- radio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Sams- tag werfen wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen, Professor Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wir starten mal mit einem O-Ton, der kommt von Regierungssprecher Steffen Seibert.

3 [0:00:59] : Regierungssprecher Steffen Seibert Es ist das Prinzip der Freiwilligkeit, das von vornherein bei dieser App geherrscht hat. Das ist auch ganz wichtig ist, um Vertrauen in diese App zu generieren. Die Menschen können sel- ber entscheiden, ob sie sie runterladen. Sie können auch selber entscheiden, ob Sie, wenn Sie ein positives Testergebnis erhalten haben, das tun, was aus meiner Sicht verantwortungs- voll wäre: Nämlich dieses positive Testergebnis ins Netz also in die App zu geben, damit ande- re gewarnt werden können. Aber es ist Ihre Entscheidung.

2 [0:01:28] : Camillo Schumann Tja, offenbar haben sich sehr, sehr viele ent- schieden, die App herunter zu laden. Aktuell über 17 Millionen. Aber nur rund 1500 Men- schen haben bisher ihre positiven Testergeb- nisse auch hochgeladen und damit auch ande- re Menschen gewarnt. Aktuell melden rund fünf Prozent der Neuinfizierten ihr Ergebnis der App. Ausgehend von diesen Kennziffern macht die App mit dieser Quote aus epidemio- logischer Sicht aktuell Sinn?

4 [0:01:56] : Alexander Kekulé Mit Betonung auf aktuell macht es keinen Sinn. Nein, das kann man ganz klar sagen. Das ist ein Prototyp, der wird verbessert. Nach dem Ba- nanen-Prinzip. Grün ausliefern und beim Kun- den reifen gelassen. Das ist auch sinnvoll. Ich habe schon ein paar Mal gesagt, ich glaube, das ist eine tolle Sache sowas zu haben. Jeder Epidemiologe träumt davon. Aber ich bezweif- le, dass uns das bei dieser Pandemie helfen wird. Das ist kein Votum dafür, die App nicht zu benutzen, sondern dann haben wir sie für die nächste Pandemie oder für das nächste Problem. Grundsätzlich ist diese Idee, Kontakte zu registrieren und elektronisch zu melden, etwas, wovon man nur träumen kann, wenn es um Nachverfolgung von Infektionsketten geht.

5 [0:02:39] : Camillo Schumann Und diesen Reifungsprozess, wie Sie es formu- lieren, den kann man beobachten. Die Zahl der

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Menschen, die ihre positiven Ergebnisse der App melden. Von Kalenderwoche zu Kalen- derwoche nimmt die zu. In der Kalenderwoche 31 waren es rund 200, Kalenderwoche 32 230, in der KW 33 362. Es kommt jetzt immer or- dentlich was drauf. Ab wann wär es denn signi- fikant und epidemiologisch sinnvoll?

6 [0:03:06] : Alexander Kekulé Ja, es gibt ja zwei verschiedene Ansätze. Das eine sind die Zahlen, die am Anfang immer genannt wurden von Kritikern. Dass die gesagt haben: „Damit das was hilft, müssten 60 Pro- zent der Bevölkerung das benutzen und auch wirklich alle ihre Daten melden.“ Das sehe ich nicht so kritisch. Es wäre schon sinnvoll, wenn diese App tatsächlich in vielen Fällen den Ge- sundheitsämtern bei der Nachverfolgung eine Hilfe wäre. Die Referenz, die wir hier haben, ist doch nach wie vor: wie viele Fälle können wir nachverfolgen in der Weise, dass wir die Infek- tionsketten wirklich unterbrechen. Wenn das gelingt. Das ist die Idee, die dahinter steht. Solange wir das haben, haben wir die Infektion in Deutschland im Schach. Wir haben keine Eliminierung. Es gibt ja Eliminierungs- Strategien. Die sehen so aus, dass man ver- sucht, quasi auf null zu kommen. Neuseeland hat so ein Konzept. Wir haben keine Eliminie- rung, aber sozusagen eine Eliminierung light. Die heißt, wenn immer was auftritt, dann kön- nen wir das nachverfolgen und größere Aus- brüche gibt es nicht. So halten wir alles auf dem niedrigen Niveau bis der Impfstoff kommt. Dass ist die Idee. Dafür muss die App einen wirksamen Beitrag leisten. Mit den bis- herigen Daten tut sie das noch nicht.

5 [0:04:17] : Camillo Schumann Jetzt kommt die Kommastellen-Frage. Wirkt sich die App mit allen Parametern eher hinter oder eher vor dem Komma aus?

7 [0:04:26] : Alexander Kekulé Das können wahrscheinlich wirklich nur die Gesundheitsämter beantworten. Ich würde provokativ in den Raum stellen: Es wirkt sich hinter dem Komma aus. Ich bin aber gerne lernfähig. Dann müssten mal die Leute, die für

die Apps sind, aus der Deckung kommen und erklären, in welchen Fällen jetzt wirklich signi- fikante Infektionsgeschehen durch diese App entdeckt wurden. Weil es geht letztlich darum, wenn Sie positiv sind und Sie haben vor einer Woche ihren Nachbarn angesteckt. Der ist aber hauptsächlich zuhause geblieben und es hat keine weitere Konsequenz gehabt. Viel- leicht ist er auch gesund geblieben und hätte es gar nicht gemerkt. Dann ist es ja etwas, wo sie mit der App oder mit der Nachverfolgung eigentlich keinen großen Vorteil haben. Wenn jetzt ein Gesundheitsamts-Beamterdie gleiche Situation überprüft und dann sagt: „Was hat der Nachbar für einen Beruf?“ Und dann sagen Sie: „Mein Nachbar ist Busschaffner.“ Dann sagt er: „Oh weh, den müssen wir aber ganz genau untersuchen. Aber wenn der positiv ist, das könnte ja ganz fürchterliche Folgen ha- ben.“ Diese Intelligenzleistung bringt die App nicht. Deshalb ist einfach die Frage: Gibt es irgendwelche Situationen, wo man sagt: Mensch, das ist jetzt ein wichtiges Supersprea- der-Ereigniss oder ein möglicher Ausbruch. Oder jemand, der eine besondere Risikoperson war im Sinne von Verbreitung. Da haben wir das gestoppt, nur weil uns die App den Tipp gegeben hat. Solche Geschichten würde ich gern in der Zeitung lesen oder zumindest von den Fachleuten hören. Mein Eindruck ist, kei- ner weiß, ob überhaupt es solche Situationen gab. Und die Gesundheitsämter haben durch die App zusätzliche Informationen, die sie nach verfolgen müssen. Sie haben viel zusätzliche Arbeit, weil die Leute anrufen, weil zum Teil auch mit der Übertragung der Infos das nicht so richtig funktioniert. Wenn jemand positiv ist, dann muss vieles telefonisch geklärt wer- den. Dann ist auch wieder die Frage mit dem Datenschutz, ob das alles in Ordnung ist. Also Mehrarbeit, ja. Aber ob es Ihnen Arbeit gespart hat, das müssen die Behörden mal öffentlich erklären.

5 [0:06:22] : Camillo Schumann Vielleicht können sich ja mal einige Betroffene oder aus dem Gesundheitsamt jemand gern anonym bei uns melden. Die E-Mai-Adresse gibt es wie immer am Ende der Sendung. Jetzt hat Herr Seibert auf die Freiwilligkeit noch einmal sehr ab gezielt. Diese App sollen alle

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freiwillig runterladen. Ob man dann Initiative ergreift, dann zu Hause bleibt oder zum Arzt geht und sich selber in Quarantäne begibt et cetera et cetera. Müsste man nicht bei der Übertragung auf die Freiwilligkeit verzichten und den Gesundheitsämtern diese Macht ge- ben, jeden Neuinfizierten dieser App zu mel- den?

[0:06:59] Alexander Kekulé Ich glaube, das würde nicht so viel bringen, weil die, die sich die App heruntergeladen ha- ben, die haben freiwillig gemacht. Das ist ja so ein Open-Source-Projekt, wie das die Compu- ter-Leute nennen. In dem Fall ist tatsächlich so, dass der Code, also die Programmcodes von dieser App veröffentlicht worden sind, damit jeder sieht, dass da kein Datenklau stattfindet. So finde ich die Idee gar nicht so schlecht, zu sagen: Power to the People. Die Leute sollen sich selber kümmern, dass ist unser Projekt ... Ich erinnere mich an unser Projekt für die Masken, was wir damals gestartet haben, als die Behörden nicht mitmachen wollten. Das hat auch am Schluss Erfolg gehabt. Und jetzt sagen die Behörden: Wir geben das den Leu- ten. Wir wollen, dass die das selber machen. Ich finde es eine ganz gute Idee. Das ist nicht so klassisch politisch. Aber mir gefällt eigent- lich dieser Ansatz, weil wir ja auch alle bedroht sind von dieser Erkrankung. Dass man da so ein gemeinsames Gefühl erzeugt und hofft, dass die Leute deshalb was machen. Das finde ich richtig. Die Leute, die dann wirklich sagen: Ich habe zwar die App und jetzt bin ich krank. Aber ich will nicht, dass das irgendwie bekannt wird. Und jetzt meldet er es nicht. Ich weiß gar nicht, ob das so viele sind. Der kleine Anteil, den Sie am Anfang genannt haben. Das liegt wahr- scheinlich eher daran, dass die Schnittmenge derer, die positiv getestet wurden in Deutsch- land, dass die einfach nicht besonders groß ist mit der Schnittmenge derer, die diese App auf dem Smartphone haben. Etwa zehn Prozent werden gemeldet. Jetzt sind wir ja auf jeden Fall deutlich über tausend und ungefähr ein Zehntel. So hoch ist angeblich die Zahl derer, die über die App ihren positiven Status be- kannt geben. Ich glaube nicht, dass das heißt, dass 90 Prozent es nicht bekannt geben. Son- dern das heißt einfach, dass die Leute, die jetzt

das Risiko eingegangen sind, die jüngeren Leu- te. Dass die vielleicht zum Teil auch aus ande- ren Kulturkreisen kommen oder bei uns ein- fach sagen: Nein, ich mach da nicht mit bei dem ganzen Masken-Quatsch und so weiter. Die laden sich die App nicht runter. Das sind ja die, die im Moment alle positiv werden.

[0:08:59] Camillo Schumann Gut, aber trotzdem unterm Strich, die App ist auf einem guten Weg. Für den Herbst mög- licherweise. Für nächstes Jahr oder für andere Epidemien, die dann kommen.

[0:09:11] Alexander Kekulé Das ist ein interessantes Experiment. Man muss das ja in der historisch sehen. Ich erinne- re mich, vor ungefähr 20 Jahren saßen wir in den USA in einem Raum zusammen und haben mögliche Pandemien simulieren. Das war da- mals in USA Volkssport, Pandemien zu simulie- ren. Mann wurde fast jeden Monat zu irgend- einer Simulation eingeladen. Da war immer die Frage: Mensch, wie viele Leute geben das denn weiter? Wie viel Kontakte haben die Menschen überhaupt? Da gab es Rechenmodelle, wo man Geldscheine genommen hat. Wo man überlegt hat, wie oft wird ein Geldschein weiterge- reicht? Das berühmte Programm damals hieß Where is George? Wo ist George? Von George Washington, weil dessen Kopf auf der ameri- kanischen Dollar-Note ist. So hat man alle mög- lichen Simulationen gemacht, um zu gucken, was für Kontakte haben Menschen eigentlich. Was müssen wir für Parameter für die Simula- tion von Epidemien eingeben? Und für solche Zwecke ist das Gold, was diese App liefert, weil wir tatsächlich da Realdaten kriegen. Ich bin ganz sicher, dass das interessante Ergebnisse liefert. Also ich bin nicht gegen die App.

[0:10:17] Camillo Schumann Bleiben wir bei weiteren Zahlen und Fakten zu dieser App. Über 80.000 positive Diagnose- schlüssel wurden bisher verbreitet. Allerdings sind in dieser Zahl auch vom Server generierte Fake-Schlüssel integriert. Das Verhältnis liegt da wohl bei vier zu eins. Also rund 20.000 ech- te, positive Diagnoseschlüssel wurden da ge-

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teilt. Dann muss die App mit ihrem Algorith- mus ausrechnen, ob es wirklich ein relevanter Kontakt war oder nicht. Also die üblichen Pa- rameter: mehr als zehn Minuten-Kontakt oder der Abstand zum Infizierten war zu gering. Das siebt ja auch noch mal ordentlich. Da bleibt gar nicht mehr viel hängen, oder?

[0:10:54] Alexander Kekulé Ja, das sind zwei verschiedene Themen. Das eine ist das mit diesen Schlüsseln. Das ist ja im Internet hämisch kritisiert worden. Das ist eine clevere Lösung, weil man gesagt hat, es könnte ja sein, dass in bestimmten Regionen zumin- dest ganz wenige positive sind. Jetzt stellen wir uns mal vor, der wäre in einer Stadt wahr- scheinlich dann in Ostdeutschland. Da wären nur zwei positive gewesen. Und jetzt hieße es, dass ein schlauer Hacker rückverfolgen kann, wer die zwei waren, wenn die aus einer Region die einzigen waren, die gemeldet haben. Da- rum generieren diese Apps ständig ein Hinter- grundrauschen durch falsche Schlüssel. Damit jemand, der Zugriff auf die Daten hat, nicht Rückschlüsse schließen kann, wer das war. Das ist völlig in Ordnung. Das ist also so eine Art Spuk. Wie sagt man. So eine Art Täuschungs- manöver, mit dem man versucht, die Daten zu schützen. Das andere ist jetzt die Frage, wie gefährlich waren die Kontakte. Das übermittelt die App ja zusammen mit dem Diagnoseschlüs- sel. Diagnoseschlüssel heißt nichts anderes, als dass man sagt: Ich war positiv. Zusammen mit dieser positiven Meldung übermitteln die im- mer etwas. Das heißt Transmissions-Risiko- Level, TRL. Das Transmissions-Risiko ist das Übertragungsrisiko-Level. Da gibt's Werte zwi- schen eins und acht. Acht heißt hohes Risiko, eins geringes Risiko. Und das ist jetzt ganz inte- ressant, sich anzuschauen. Weil das wird tat- sächlich zusammengesetzt aus verschiedenen Parametern, die da in der App drin sind. Sie haben es gerade schon gesagt. Das eine ist: Wieviel Tage ist es her, dass diese Exposition, also dieser mögliche Kontakt stattgefunden hat? Das Zweite ist: Wie lange war die Exposi- tion? Also wie lange war der Kontakt mit der Person, die da quasi auch gemeldet wird? Dann ist die Frage: Wie stark wurde das Signal? Da geht es ja um Bluetooth-Signale. Wie stark wurde das abgeschwächt? Wenn die Abschwä-

chung gering ist, war derjenige nah dran. Wenn sie starke Abschwächung haben, war der andere weiter weg. Und der letzte Faktor ist so einer, der für die App spezifisch ist und meines Wissens noch nicht benutzt wird. Dar- aus werden dann Werte von eins bis acht ge- neriert. Aber das Interessante ist: Wenn jetzt diese Website, die das veröffentlicht, recht hat. Dann ist es so, dass die Hälfte aller vermit- telten Kontakte die Stufe eins hatten, also fast ungefährlich waren. Auf der Stufe eins bis acht wurden die Hälfte eingeordnet mit eins, etwa 25 Prozent mit acht. Dazwischen gibt es ganz wenig Fälle auf den Stufen zwei bis sieben. Da sagt der Statistiker immer: Da stimmt irgen- detwas nicht. Das kann eigentlich nicht sein, dass die eins und die acht so überdominiert sind. Da ist dann irgendetwas am Algorithmus nicht in Ordnung, weil die Verteilung dazwi- schen scheinbar nicht benutzt wird. Da gibt es scheinbar Gewichtung Richtung eins und acht. 25 Prozent waren in der gefährlichen Katego- rie. 50 Prozent waren in der Kategorie eins, also fast ungefährlich. Sodass man auch da wieder die Frage stellen muss: Wenn die App zur Hälfte Kontakte meldet, die, die ganz nah an der Schwelle sind zu dem, was man dann keinen Kontakt nennen würde. Bringt es dann wirklich was?

[0:14:07] Camillo Schumann Genau das ist die große Frage, die sich dann in den kommenden Wochen und Monaten be- antworten lässt. Wenn dann auch die Zahl derer steigt, die ihre positiven Ergebnisse hochladen. Wenn man dann vielleicht auf eine gleiche Summe kommt, also die Anzahl der Neuinfizierten, die auch gleichzeitig in der App hochgeladen werden. Dann könnte es interes- sant werden, oder?

[0:14:27] Alexander Kekulé Das wird meines Erachtens nie passieren. Das sehe ich nicht, dass wirklich alle Leute, die ins Risiko gegangen sind, die App haben. Es gibt ja durchaus die Hemmung, wenn man sich da outet. Ob es jetzt mit der App ist oder ander- weitig. Dass dadurch, dass die Kontaktperso- nen gewarnt werden, müssen wir damit rech- nen, dass dann auch die Freunde gewarnt

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werden. Man selber weiß ja am besten, mit wem man Kontakt hatte. Und jetzt stelle ich mir vor, ich wollte meinen Freunden eigentlich nicht sagen, dass ich positiv bin. Und jetzt klin- gelt bei denen überall die App und zwar genau bei meinen Freunden überall. Und die wissen dann relativ schnell, wer der gemeinsame Nenner ist. Wenn ich sozusagen die Verbin- dungsperson bin. Ich kann mir schon vorstel- len, dass jemand, dem das irgendwie peinlich ist, dass er positiv ist. Jemand, der will das aus irgendwelchen Gründen verheimlichen, dass er über die Stränge geschlagen hat oder sonst- was. So jemand will dann auch nicht, dass alle seine Freunde gewarnt werden.

Camillo Schumann

Na gut, das passiert aber auch nur, wenn man sehr wenig Freunde hat. Dann kann man nach- vollziehen.

Alexander Kekulé

Diejenigen, mit denen man in der letzten Wo- che Kontakt hatte, das weiß ich. Klar, da gibt es Leuten, die hatten da 200 Kontakte in der letz- ten Woche. Wissenschaftler tendieren da nicht so sehr dazu.

[0:15:44] Camillo Schumann Das verstehe ich gut. Machen wir einen Strich unter die Warn-App. Große Resonanz hatte unsere Podcast-Ausgabe 93. Darin hatten wir über die Probleme bei der Übermittlung der Testergebnisse von den bayerischen Autobah- nen für die Reiserückkehrer berichtet. In die- sem Zusammenhang haben Sie von Schnell- tests gesprochen, die vielleicht weniger genau, aber dafür dann schnell ein Ergebnis liefern können. Sie sprachen davon, dass es diese Tests gibt, die in den USA zugelassen, auch schon angewendet werden. Und nun wollten ganz, ganz viele Hörer wissen: Wo gibt es diese Tests? Welche Firmen bieten sie an? Was kos- ten sie? Und deshalb jetzt mal paar kurze Fra- gen zum Schnelltest. Grundsätzlich: wir reden hier über Antigen-Schnelltests, Also Tests, die bestimmte Eiweiße bestimmen, die vor dem Ausbrechen der Krankheit nachweisbar sind. Wir reden nicht über Antikörper-Tests.

Alexander Kekulé

Ja, das ist ganz wichtig. Also, es gibt die große Klasse der Antikörpertests. Das kann man sich so merken: Dafür muss man Blut abnehmen und stellt nur fest, ob jemand Kontakt mit dem Virus hatte. Darüber reden wir nicht. Diese Antikörpertests sind sozusagen zur Bekämp- fung des akuten Infektionsgeschehens nicht besonders nützlich. Es gibt die Tests, die nach- weisen, ob man im Moment ansteckend ist. Das ist ja die Gretchenfrage. Dazu kann man entweder die Erbinformation des Virus fest- stellen, also die Nukleinsäure, die da drin ist. Das ist eine RNA bei diesem Covid Sars-CoV-2- Virus. Oder man kann die Proteinhülle außen rum, den Viruspartikel nachweisen. Und dafür gibt es Antigentests.

[0:17:14] Camillo Schumann Und in anderen Ländern, ich habe es schon angesprochen, werden diese Antigen- Schnelltest ja auch schon verwendet.

[0:17:20] Alexander Kekulé Ja, die werden verwendet. In den USA gibt es die. Der erste Test wurde schon vor Monaten in Taiwan entwickelt. Dort wurde er verkauft Da gibt es verschiedene Varianten. Man kann so ganz grob sagen: Es geht ja bei diesem Test darum, dass möglichst viele Menschen die Möglichkeit haben, festzustellen, ob sie positiv sind. Wir haben gerade so ein bisschen über die Psychologie gesprochen. Was passiert mit jemandem, wenn er registriert ist? Will er das überhaupt? Will er, dass das bekannt wird? Das ist ganz wichtig, den Menschen die Mög- lichkeit geben, sich selber zu testen, möglichst schnell zu testen. Situationsbedingt ganz schnell zu wissen, was los ist. Dann kann man auch selbst zu entscheiden, was man damit macht. Ich bin fest überzeugt, dass die Men- schen im Prinzip vernünftig sind. Wenn sie schwarz auf weiß sehen, dass sie positiv sind, dass sie sich dann auch vernünftig verhalten. Dazu gibt's jetzt praktisch gesehen drei Verfah- ren. Das eine ist die PCR, die, glaube ich, all- gemein bekannt ist. Die wird in dem großen Labor gemacht. Nachteil ist, dass das eine auf- wendige Logistik ist und relativ teuer ist. Der Vorteil ist, dass es sehr zuverlässig ist. Das ist

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sozusagen unser Goldstandard. Die hat rein von der Methode her eine Zuverlässigkeit, die irgendwo bei 99 Prozent liegt. Mit 99 Prozent Wahrscheinlichkeit erwischt der Test einen Positiven wirklich als positiv. Da ist aber bei diesem Test wie bei allen anderen immer das Problem. Wie habe ich die Probe abgenom- men? Habe ich überhaupt mit diesem Tupfer genug Material von der richtigen Stelle? Hab ich es schnell genug ins Labor gebracht? Das haben alle Tests gemeinsam, dass das ein Problem ist. Aber die PCR ist zuverlässig. Das haben wir ja zum Beispiel in Bayern gesehen, wo anfangs über 40.000 Tests nicht zugeord- net wurden. Bis zuletzt glaube ich, wurde eine Handvoll positiver Personen nicht gefunden werden konnte. Das ist einfach logistisch schwierig. Da muss es ins Labor geschickt wer- den. Dann muss das ausgewertet werden.

Die zweite Stufe ist, und die finde ich eigentlich auch nicht so schlecht. Die ist, dass man kleine Maschinen dezentral aufstellt. Das wird in den USA jetzt ganz viel gemacht. Da können Sie zum Beispiel testen, wenn Sie eine Party ma- chen. Da können Sie einen Partyservice enga- gieren. Der kommt mit einer kleinen Testma- schine. Das sind entweder auch PCR- Maschinen oder sogenannte Lamp-test, lamp wie Lampe auf Englisch. Lamp steht aber für so ein kompliziertes Verfahren. Es ist also auch eine Methode, die RNA des Virus nachzuwei- sen hat. Der Vorteil: Die Maschinen sind klei- ner und es geht schneller. Dafür ist es etwas ungenauer als die PCR. Solche Maschinen, die kann man sich so vorstellen. Die sind so groß wie ein PC, so ein klassischer oder so. Sie kommen auf den Tisch. Die könnte man zum Beispiel in Apotheken aufstellen. Wir haben in Deutschland an jeder Ecke eine Apotheke. Und wenn da solche Maschinen stehen würden. Dann könnte man da hingehen und sich testen lassen. Oder auch Firmen könnten das benut- zen. Oder bei Veranstaltungen wie Bundesliga oder sonst was. Da kann man solche Lamp- Maschinen reinstellen. Die sind schneller und einfacher zu bedienen als die PCR.

Und die dritte Stufe ist der selbst gemachte Test. Dass man Antigen testet und nicht mehr die RNA des Virus. Da gibt es auch wieder ver- schiedenem Verfahren. Die einen laufen mit so

einer kleinen Maschine, die man sich hinstellen muss. Das liegt daran, dass die Auswertung mit einem Fluoreszenz-Signal ist. Das heißt also, man muss so eine Probe anregen mit einer UV-Lampe und misst dann ein Fluoreszenzlicht. Das geht nur mit einer kleinen Maschine. Das ist kein großer Kasten. Aber das geht nur mit einem Gerät.

Die ganz simplen heißen die Diffusionsteste. Die funktionieren wie ein Schwangerschafts- test. Da hat man so ein kleines Plastikding, wo man die Probe drauf pipettiert und es wird dann blau. Auf der ganzen Strecke von der PCR über Lampe bis über die Fluoreszenz-Antigen- Tests bis zu den schwangerschaftsähnlichen Testen. Da ist es natürlich so, dass die Sensitivi- tät immer schlechter wird. Das heißt also PCR liegt bei 99 Prozent und die schlechtesten Tests liegen dann so bei 80 Prozent. Trotzdem ist es egal, was ich verwende, wenn es in der Breite in der Masse verwendet wir. Dann ist es immer noch besser als nicht zu testen.

Camillo Schumann

Und in Deutschland setzt man ja nur auf PCR. Können Sie sich erklären, warum es nicht in die Masse geht?

Alexander Kekulé

Das stimmt, das ist ganz klar die Ansage. Es ist auch so, dass von offizieller Seite zumindest, dass von Bundesseite gesagt wird: Wir wollen nur diese Hightech-Tests. Da kann man nur spekulieren oder vielleicht ein paar Fakten nennen. Die Industrie, die diese großen Ma- schinen herstellt, die bei den Laborzentren zurzeit Zehntausende von diesen PCOS ma- chen. Die verdienen nicht Millionen, sondern Milliarden damit. Es ist so, dass die Laborärzte, die diese Tests machen, zu denen das einge- schickt wird. Die gehören zu den ganz großen Covid19-Profiteuren. Ich darf das so frech sa- gen. Ich bin selber Laborarzt. Aber in dem Fall muss man es beim Namen nennen. Als Labo- rarzt verdient man an diesen Tests natürlich viel, auch wenn die früher mal unverschämte Preise von 250 Euro aufgerufen haben. Inzwi- schen, wenn man gut verhandelt als Hotelbe- treiber zum Beispiel oder als große Firma, die die Mitarbeiter testen will. Dort wird es ja sehr viel gemacht. Im Gegensatz zum öffentlichen

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Bereich gibt es viele Firmen, die so etwas ma- chen. Die machen Verträge mit Laborärzten. Dann kriegen die vielleicht 35 Euro, 40 Euro pro Test. Wenn man das jetzt verbilligen würde in dem Bereich, wo ich es für sinnvoll hielte. Dass man wirklich nur noch eine Schutzgebühr von eins, zwei Euro hätte. Dann würden natür- lich ganz viele, die jetzt sehr viel daran verdie- nen, nichts mehr daran verdienen. Ein Schurke, der Böses darüber denkt. Ich will jetzt nieman- den unterstellen, dass er da seine eigenen Interessen vor die der Allgemeinheit stellt. Aber im Interesse der Allgemeinheit wäre es, einen Test zu haben, den jeder selber macht.

Wir haben ja so etwas schon mal bei den Mas- ken gehabt. Da habe ich dann am Schluss dazu aufgerufen, dass die Leute sich selber Masken nähen, weil es keine offiziellen Masken gab. Da war ich nicht der einzige. Gab's viele, die sol- che Aufrufe gemacht haben. Beim Test ist es halt einfach so: Den kann sich nicht jeder sel- ber backen. Da müssen wir die Unterstützung des Staates haben. Dass der solche Tests für jedermann, sei es in der Apotheke mit einem kleinen Gerät oder sei es dezentral Zuhause. Dass sowas zur Verfügung gestellt wird.

[0:23:47] Camillo Schumann Die Antigen-Schnelltests für jedermann sind aktuell auch noch ziemlich teuer. Außerdem gibt es nicht so viele Firmen, die sie anbieten. Für private Kunden so gut wie gar nicht. Ich habe mit einer Firma Kontakt aufgenommen, die ihre Schnelltests für jedermann aus Südko- rea bezieht und hier in Deutschland vertreibt. Die Box mit 20 Tests kostet im Einkauf 581 Euro netto. Da wird es in der Apotheke mög- licherweise auch noch ein bisschen teurer werden, also rund 30 Euro pro Schnelltest. Das ist ja auch eine ganze Menge.

12 [0:24:16] : Alexander Kekulé Solche Preise ändern sich mit der Menge. Das ist doch ganz klar, wenn sowas massenweise hergestellt wird. Und in Korea ist es eben so, dass sind die ganz frühen Hersteller, die das exportieren. Es wird um die ganze Welt ver- frachtet. Nicht alle dieser Tests sind übrigens gut. Da muss man genau hinschauen, welche

Tests gut sind und welche nicht. Mein Vor- schlag war deshalb von Anfang an. Ich habe ich ihn Anfang März mal zu Papier gebracht. Dass man wirklich in Europa dafür Facilitys aufbaut und sagt: Wir stellen diese Tests her in der EU. Wir sehen zu, dass die von der Qualität halb- wegs brauchbar ist. Dann ist man auch nicht weiterhin von Importen abhängig. Und dann werden die Preise viel niedriger.

Camillo Schumann

Ist ja kein Hexenwerk?

Alexander Kekulé

Das ist eben das, warum ich das so sage. Wir haben in Deutschland... Gerade im virologi- schen Testbereich muss man sagen. Da gibt es in Berlin an der Charité Christian Drosten. Das ist einer, der hat sowohl bei dem ersten Sars- Ausbruch 2003 als auch jetzt bei dem aktuellen Ausbruch jeweils einen der ersten Tests. Nicht den einzigen, aber einen der ersten Tests hat er weltweit zur Verfügung gestellt. Der hat wirklich in Windeseile ... Der ist ja Coronavirus Spezialist schon lange. Der hat in Windeseile diese Tests auf die Beine gestellt. Das heißt, so etwas können wir im Prinzip. Jetzt ist das Berli- ner Labor nicht spezialisiert auf Antigentests. Aber da kann ich nur sagen, es gibt ja solche. Teste für Influenza, also für Influenza A und Influenza B. Da können Sie direkt einen Test aus der Schublade nehmen und den machen. Es gibt die für RSV, das ist so ein Virus, was bei Kindern eine Rolle spielt. Es gibt die für Strep- tokokken. Es gibt ja auch Schwangerschaft und so weiter. Ich weiß gar nicht, wie viele Kisten voll dieser Tests Sie kaufen können. Warum gibt es so einen Test nicht für Sars-CoV-2? Das ist technisch machbar weltweit. Sie werden verkauft. Einige haben auch sehr gute Daten, dass diese Werte der Sensitivität und die Spezi- fität wirklich in dem Bereich sehen, wo man das empfehlen kann. Und ich bin der Meinung, dass wir sowas hier haben sollten, wenn nicht den Do-It-Yourself-Test dann zumindest so ein dezentrales kleines Gerät, was in jeder Apo- theke oder Arztpraxis stehen könnte.

[0:26:35] Camillo Schumann Wenn jetzt Apotheken genau so einen einfa- chen, schnellen Antigen-Test verkaufen, droht

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ihnen eine Strafe bis zu 30.000 Euro. Das wird auch diskutiert in der Branche. Viele aktiv am Markt agierenden Apothekern ... Das ist auch die Antwort des Unternehmens, das ich ange- schrieben habe, was diese Schnelltests nach Deutschland importiert. Viele am Markt agie- rende Apotheker haben die Situation so gere- gelt, dass sie mit Ärzten kooperieren und mit Gutscheinen arbeiten. Der Kunde geht in die Apotheke, zahlt dort für den Test, bekommt einen Gutschein mit der Zieladresse des Arztes, der diesen dann in der Praxis durchführt den Tests. Ärzte beziehen aktuell verstärkt unsere Antigene-Tests direkt und bieten dies ihren Kunden, ihren Patienten als Igel-Leistung an. Wir empfehlen den Menschen, ihren Arzt dies- bezüglich konkret anzusprechen, sofern der Wunsch besteht. Das ist ganz schön umständ- lich, oder?

[0:27:34] Alexander Kekulé Wir sind in Deutschland ein Ständestaat. Wir können da auch stolz darauf sein. Das Stände- wesen ist weltweit von den Teutonen erfunden worden. Die Stände, die sich noch am härtes- ten behaupten. Das sind die Ärzte, Apotheker und ähnliches. Vielleicht nur noch von den Fliesenlegern getoppt. Und es ist so, dass ist einfach klar, das ist so. Der Arzt will natürlich nicht, dass jeder daherkommen kann und sich selber testet. Das ist reglementiert. Es ist auch richtig, dass für die Apotheken extrem strenge Auflagen da sind, damit die nicht Quatsch ma- chen und Sachen verkaufen, die möglicher- weise für die Patienten schädlich sind. Wenn man sich das anschaut in den USA. Da gehen Sie in so einem großen grocery store irgendwo rein, in so einen Lebensmittelladen. Da gibt es hinten eine Ecke... Da steht Apotheke drüber. Da können Sie sich entweder die Pillen selber nehmen. Bei denen, die verschreibungspflich- tig sind, steht jemand. Der drückt Ihnen das in die Hand. Der ist mäßig dafür ausgebildet. Da sind wir in Deutschland wesentlich besser. Aber ich glaube, dass wir in dieser besonderen Situation, wo es ja wirklich um Leben und Tod für viele Menschen geht. Und auch darum geht, in eine wirtschaftliche Situation zu kom- men, wo wir mit diesem Virus klarkommen die nächsten Monate. Ich glaube, da müssen wir

diese partikularen Interessen unserer Stände mal hinten anstellen.

[0:28:59] Camillo Schumann Diese Tests muss werden ja auch getestet. Eine Schweizer Organisation macht das. Die Websi- te https://www.finddx.org/ . Was genau macht diese Organisation?

[0:29:11] Alexander Kekulé Der Finde ist so eine Non-Profit-Organisation. Eine von vielen, die sich schon seit vielen Jah- ren darum kümmern, dass Tests für unge- wöhnliche Erkrankungen entwickelt werden. Wir haben in der ganzen pharmazeutischen Branche ... Da könnte man lange drüber reden. Da haben wir diese Marktverzerrung durch die Industrieländer. Krankheiten, die bei uns wich- tig sind. Da wird richtig für geforscht, von Haarausfall bis zu Potenzproblemen. Und Krankheiten, wo die Dritte Welt, wo weniger entwickelten Länder Probleme mit haben. Da rentiert es sich nicht zu forschen, weil niemand da ist, der für die Produkte zahlt. Das ist schon lange erkannt bei den Therapeutika, also bei den Medikamenten. Und da gibt es spezielle Organisationen, die sich kümmern, dass zum Beispiel gegen Flussblindheit Medikamente entwickelt werden oder Impfstoffe entwickelt werden. Und Finde ist das Pendant dazu für die Tests. Die sorgen sich schon lange dafür, dass Tests für seltene Erkrankungen, die auch in den Tropen zum Beispiel brauchbar sind, ent- wickelt werden. Ich sag mal Beispiel Malaria oder Gelbfieber. Da wollen sie natürlich, dass man dann wirklich in jedem Dorf schnell, schnell gucken kann: Ja oder nein. Dafür sind eben solche Antigen-Schnelltests, die man unterwegs machen kann, ideal. Weil die zum Beispiel auch nicht so temperaturabhängig sind. Da brauchen Sie keinen Kühlschrank mit- nehmen und haben nicht groß Abfall mit Che- mikalien und so weiter. Gut das Plastikding landet dort natürlich meistens einfach in der Umwelt. Aber um so etwas kümmert sich Fin- de. Die haben auf ihrer Webseite auch das Angebot, dass jeder, der einen Covid19-Test hat. Man kann das dort hinschicken. Die beur- teilen das neutral. Das finde ich eigentlich sehr gut, weil das sonst so ein bisschen jeder selber

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macht. Gerade in der EU ist es ja so, dass die Zertifizierung für solche Medizinprodukte noch selbst gemacht werden kann. Das wird dem- nächst geändert. Aber es ist so, dass man das dort hinschicken kann. Und dann wird auf sei- ner Webseite, da gibt es ein interaktives Feld. Da können Sie nachgucken, wie die Sensitivität ist, die Spezifität. Wo man es kriegt, wo der Hersteller ist und all diese Dinge. Die führen das meines Erachtens vernünftig zusammen.

[0:31:21] Camillo Schumann Und um auch unter diesen Themenkomplex noch einen Strich drunter zu ziehen. Also Anti- gen-Schnelltests haben wir mal ein bisschen durchdekliniert. Viele Hörer dieses Podcasts werden sich jetzt fragen: Mein Gott, jetzt hat er schon die ganze Zeit von einer ominösen Firma gesprochen. Ich möchte in diesem Po- dcast keine Werbung machen. Googeln Sie einfach mal Antigen-Schnelltests. Sie werden schon fündig werden.

[0:31:41] Alexander Kekulé Es gibt meines Wissens fünf, die schon CE- zertifiziert sind, die so mobil sind. Und dann gibt es natürlich noch ein paar mehr. Also ich würde jetzt mal sagen: Tests, wo es sich loh- nen würde, dass wir die in Europa nachbauen und hier die Massenproduktion starten, gibt es bestimmt drei bis vier, die da in Frage kä- men. Und ich würde wahrscheinlich das so ähnlich machen wie beim Impfstoff. Da ist es sinnvoll, mehrere Programme parallel zu ma- chen: Einen Antigen-Fluoreszenz-Test, einen Antigenen-Test, der nur mit der Diffusion ar- beitet und vielleicht noch einen Lamp-Test mit einem einfachen Gerät. Da gibt es auch Ent- wicklungen in Europa. Also es gibt einen Lamp- Test zum Beispiel, der in Wien entwickelt wur- de und der auch sehr gut ist. Ich glaube, das wäre sinnvoll da wirklich zu überlegen, ob wir ein Netzwerk von Selbst-Testungen aufsetzen können. Dass die Leute wirklich selber das feststellen können.

Nur noch einmal zum Schluss. Ich bin fest überzeugt, dass selbst der härteste Covid19- Leugner. So etwas soll es geben. Wenn der schwarz auf weiß sieht: Ich bin jetzt positiv.

Dass der nicht mehr seine Oma besucht und dass dass der sein Verhalten ändert, weil so ist keiner bei uns, dass der sagt: Ich bin jetzt krank, und jetzt gehe ich gerade raus und ste- cke alle anderen an. Selbst wenn der sich top- gesund fühlt, bleibt er dann er zu Hause und geht abends nicht auf die Party.

[0:33:00] Camillo Schumann Zum einen kann man natürlich mit Tests eine weitere Infektion verhindern. Aber sicherlich geht der eine oder andere auch durch die Lap- pen. Dann gibt es ja auch die Möglichkeit, viel- leicht über den Umweg das Immunsystem da schon darauf vorzubereiten, dass möglicher- weise ein Virus eintritt, was vielleicht verhee- rende Folgen haben könnte. Welche Möglich- keit gibt es da?

[0:33:24] Alexander Kekulé Wenn das Immunsystem vorbereitet wird. Das wäre ja die klassische Impfung. Da gibt es zwei Varianten: aktiv und passiv. Die sogenannte aktive Impfung ist das, was jetzt auf der ganzen Welt versucht wird. Putin hat es wohl schon geschafft, sagt er zumindest. Das heißt also, Menschen impfen in dem Sinn, dass das Im- munsystem weiß: Hallo, da kommt jetzt gleich was. Passive Impfung wäre, wenn man Serum nimmt von Menschen, die schon die Krankheit durchgemacht haben. Von Menschen, die An- tikörper da drinnen haben. Dass man dadurch quasi ganz früh verhindert, dass die Krankheit auftritt. Oder auch Bestandteile von diesem Serum. Das sind die klassischen Methoden, wie wir das Immunsystem normal kennen. Das Immunsystem, denken die meisten Menschen, besteht eigentlich aus Antikörpern, die man gebildet hat bei einer Infektion. Und wenn der gleiche Erreger wiederkommt, dann fangen die Antikörper das weg. Und wer hier zugehört hat, der weiß, da gibt es aber auch noch Zellen. Es gibt eine zelluläre Immunität, die bei Co- vid19 eine Rolle spielt. Beides ist. aber nur ein kleiner Teil unseres Immunsystems, nämlich der lernende Teil des Immunsystems. Wir nen- nen das erworbene Immunität oder adaptive Immunität. Das ist was ganz modernes in der Evolution. Das gibt es nur bei Wirbeltieren und höheren Tieren. Aber vorher die schlappen 3,5

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Milliarden Jahre vorher in der Evolution war es so, dass die ganzen Lebewesen das noch nicht hatten. Die hatten etwas, was wir heute ange- borene Immunität nennen. Diese angeborene Immunität, die wir früher immer für ein primi- tives System gehalten haben. Da hat man ge- dacht, dass ist der Neandertal-Teil des Immun- systems. Aber erstens die allermeisten niede- ren Lebewesen, die es gibt. Von Insekten über Schnecken und Krebse und so weiter. Die ha- ben nichts anderes. Bakterien sowieso nichts anderes.

Und zweitens ist es so, dass auch die höheren Lebewesen, also Wirbeltiere, dass die beide Systeme parallel haben. Wir haben das mit den Antikörpern, das moderne, entwicklungsge- schichtlich modernere System. Aber wir haben sozusagen auch noch die alte Version des Windows 1.0. Das läuft bei uns auch noch im Hintergrund. Und das hat den Vorteil, das ist sehr, sehr schnell. Das ist ein extrem schnelles Abwehrsystem, dafür aber ziemlich ungenau. Das haben wir von Bakterien geerbt. Und die- ses Abwehrsystem, das hat man jetzt rausge- kriegt. Das spielt sowohl eine Rolle bei der Entwicklung schwerer Verläufe von Covid19. Es ist auch ein Ziel für therapeutische Ansätze.

[0:35:52] Camillo Schumann Ich wollte gerade sagen, das wirkt sehr schnell. Also die heftige Immunreaktion, die es ausge- löst wird, die den Körper schwächt und am Ende verletzlich macht. Genau das soll verhin- dert werden, diese schnelle Reaktion des Im- munsystems. Wie genau in diesem neuen The- rapie–Ansatz?

[0:36:06] Alexander Kekulé Dieser Ansatz von vielen wird gerade disku- tiert, weil es eine Arbeitsgruppe in Jena, eine Firma in Jena gibt, die Antikörper herstellt. Das ist ein Ansatz von vielen. Aber letztlich ist es so, man kann sich das so vorstellen, dieses einfache Immunsystem. Dieses primitive, an- geborene Immunsystem, funktioniert letztlich so, dass die Virus befallene Zelle in dem Mo- ment, wo das Virus da drinnen ist, sofort so eine Art Alarmsignal aussendet und zwar in Form von chemischen Botenstoffen. Soge-

nannte Zytokine. Das sind die ersten chemi- schen Botenstoffe. Das heißt also: Diese Zellen, die arbeiten nicht wie Nervenzellen mit Kabel, sondern die haben die drahtlose Kommunika- tion erfunden, aber eben mit chemischen Sub- stanzen. Die alarmieren ihre Umwelt. Dann kommen andere Zellen und produzieren ver- schiedene weitere Stoffe, die weitere Zytokine, die wieder neue Zellen anlocken, zum Beispiel Fresszellen. Da gibt es im Blut Zellen, die hei- ßen Makrophagen und Granulozyten, Neutro- phile Granulozyten. Das sind Fresszellen im Blut, weiße Blutkörperchen. Die werden ange- lockt und kommen ganz schnell und fangen an, alles zu verspeisen, was irgendwie im Entfern- testen aussieht, als wäre es virus-infiziert. Und wenn es gut geht, dann hat man ruckzuck eine Reaktion und das Virus ist so halbwegs im Schach. Es verschwindet wieder. Und ein paar Tage später kommen die Antikörper, damit das Virus, wenn es wieder auftaucht, keine Neuin- fektion machen kann. Eigentlich ein ganz gutes Konzept. Aber wir wissen, dass bei Covid19 das insofern außer Kontrolle gerät, als wahrschein- lich dieses Virus am Anfang dieses angeborene Immunsystem teilweise ausschalten kann. Das schafft es also tatsächlich, diese bisschen pri- mitivere Variante, dieses immunologische Fos- sil, auszuschalten. Dadurch kann das Virus sich am Anfang hemmungslos vermehren. Wenn es dann später zu der Immunreaktion kommt, auf diese inzwischen relativ stark Virusvermeh- rung. Dann gibt es eben eine zweite Krank- heitsphase. In dieser 2. Krankheitsphase, da werden die Leute dann plötzlich schlagartig krank, weil die angelockten Fresszellen anfan- gen, wie verrückt eigene Körperzellen kaputt- zumachen. Dann schaukeln sich diese Zytokine, diese Signal-Stoffe hoch. Es entsteht das, was wir Zytokinsturm nennen. Da kommt es letzt- lich zu Blutgerinnungsstörungen. Die Men- schen sterben letztlich an dem überreagieren- den Immunsystem. Was diese neue Therapie macht, ist, dass sie einen Faktor von dieser Signalübertragung, das ist dazwischen etwas - aktiviertes Komplement C5 - Was auch immer das ist. Das ist auf dieser Signal-Strecke ein Faktor, der dazwischen eine Rolle spielt. Der wird ganz gezielt ausgeschaltet, sodass sozusa- gen wie bei der stillen Post in der Signalkette ein Überträger fehlt. Wenn Sie bei dem Kinder- spiel Stille Post ein Kind rausnehmen, dann

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kommt hinten gar nix mehr an. Und so ähnlich ist es hier auch. Man inaktiviert ein Zwischen- Faktor. Dadurch ist diese Signalkette unterbro- chen. Das hat so eine, sage ich mal vorläufige, sehr, sehr vorläufige Studie gezeigt, dass das funktionieren könnte. Vorsicht, da muss man vorsichtig sein, das ist noch kein gutes Resul- tat. Aber es ist ein Prinzip, was man zumindest weiter verfolgen sollte.

[0:39:32] Camillo Schumann Das ist die Theorie. Das ist sozusagen etwas, was man sich jetzt vorstellen könnte. Sie haben mir gesagt, das ist alles noch nicht peer- reviewed, das ist alles noch nicht gegenge- checkt. Aber nichtsdestotrotz könnte das Ein- zug halten in die Therapie?

[0:39:45] Alexander Kekulé Ja, man versucht es tatsächlich schon praktisch mit verschiedenen Zytokinen im weitesten Sinne. Wir haben auch schon mal gesprochen über Interleukin-eins und Interleukin-sechs in der Vergangenheit. Da gibt's wirklich Substan- zen, die dagegen wirken. Und man versucht den besten Zeitpunkt rauszukriegen. Das ist das Entscheidende. Wann man das therapeu- tisch einsetzt, weil ganz klar ist, wenn ich das am Anfang der Krankheit mache. Zum Zeit- punkt, wo das Virus sowieso diese angeborene Immunantwort unterdrückt. Dann ist es natür- lich schlecht, wenn ich da auch noch mit mei- nem Interleukin draufkomme oder mit im- mununterdrückenden Substanzen wie dieses Dexamethason, also Kortison-ähnliche Sub- stanzen. Sondern man muss später, wenn das eigene Immunsystem der Hauptgrund ist, dass der Mensch krank wird. In dem Moment muss man diese Therapeutika einsetzen. Ich glaube, dass wir da dabei sind, Therapien zu entwi- ckeln, die wirklich die Sterblichkeit signifikant senken können, indem wir das Immunsystem beeinflussen, möglichst gezielt und genau zum richtigen Zeitpunkt.

[0:40:49] Camillo Schumann Wir kommen zu den Hörerfragen. Eine Dame hat uns geschrieben, sie möchte anonym blei- ben. „Ich arbeite in einer Zahnklinik und habe

während der Frühschwangerschaft eine FFP2- Maske und ein Visier in der Behandlung getra- gen, um mich vor dem Sars-CoV-2-Virus zu schützen. Leider habe ich das Baby in der neunten Schwangerschaftswoche verloren. Sicherlich können andere Gründe ursächlich gewesen sein. Ist es jedoch möglich, dass mit der FFP2/FFP3-Maske über mehrere Stunden die Sauerstoffversorgung unzureichend ist, während einer Schwangerschaft? Welche er- gänzenden oder alternativen Möglichkeiten währen Ihrer Meinung nach sinnvoll, um sich als Zahnärztin zu schützen? Viele Grüße.“

[0:41:28] Alexander Kekulé Das ist natürlich eine traurige Geschichte. Erst mal. Was hat da eine Rolle gespielt? Die FFP2- Maske sicher nicht. Es ist so: Zwischen Mutter und Kind ist die Sauerstoffversorgung so. So- lange das Kind noch im Bauch der Mutter ist, ist die Sauerstoffversorgung so. Dem Kind wird erst dann der Saft abgedreht, wenn die Mutter schon halbtot ist, um es mal auf den Punkt zu bringen. Das heißt also: Das Letzte, was der mütterliche Kreislauf macht, ist, dass er die Sauerstoffversorgung vom Fötus runterregu- liert. Das ist hier wirklich so, dass ein leichter Sauerstoffmangel bei der Mutter. Das kennen wir in vielen Situationen, wenn Schwangere Verkehrsunfälle haben und ähnliches. Das wirkt sich auf das Kind erst einmal gar nicht aus. Sondern das kommt erst ganz spät, weil das Kind in der Gebärmutter, weil das ein be- vorzugter Ort im Körper ist. So ähnlich wie man weiß, dass bei Sauerstoffmangel das Gehirn relativ spät abgekoppelt wird von der Versor- gung und andere periphere Bereiche des Kör- pers eher. Da muss man sich da insofern keine Sorgen machen. Also an der an der Maske hat es mit Sicherheit nicht gelegen.

[0:42:38] Camillo Schumann Trotzdem ist die Angst auch groß. Das ist auch etwas Irrationales. Deswegen die Frage: Wel- che ergänzenden oder alternativen Möglich- keiten gäbe es?

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[0:42:47] Alexander Kekulé Schwangere sollten sich natürlich auf jeden Fall vor einer Covid19-Infektion schützen. Wir ha- ben keine Hinweise darauf, dass das Kind be- sonders geschädigt wird. Das ist aber fast schon ein typischer Wissenschaftler-Spruch. Wir haben keine Hinweise darauf. Das liegt auch daran, dass wir so wenige Daten haben. Es gibt ganz wenig verwertbare Daten von Schwangeren, wo man das genauer beobach- ten konnte. Aber anhand der Daten, die bis jetzt da sind, gibt es keinen Hinweis auf eine Schädigung des ungeborenen Kindes. Das wür- de ich nicht unterschreiben, dass das so bleibt. Aber ist ja schon mal eine gute Nachricht, dass es nicht fruchtschädigend ist.

Das andere ist. Wir wissen sehr wohl, dass die Krankheitsverläufe bei der Mutter, also bei der Schwangeren, dass die schwerer sind bei Co- vid19. Also werdende Mütter, möglicherweise auch noch im Wochenbett. Das weiß ich jetzt nicht genau. Die sind stärker gefährdet, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist das Immun- system der Mutter dadurch, dass sie gerade das Kind im Bauch hat, in so einem besonders regulierten Zustand. Da sind bestimmte Fakto- ren hochreguliert und andere runterreguliert werden. Da ist es so, dass in dieser Situation es zu dieser überschießenden Immunsuppression, Immunreaktion, über die wir vorhin gespro- chen haben, häufiger kommt bei Schwangeren. Das kennt man auch im anderen Zusammen- hang. Und das Zweite ist, dass die Blutgerin- nung bei werdenden Müttern auch in einem anderen Zustand ist und die eine Neigung zu Thrombosen haben. Das wissen wahrscheinlich die Mütter, dass sie zum Teil Thrombose- strümpfe und so was tragen müssen. Die Thrombose-Neigung ist bei Covid-19 gefähr- lich, weil das Virus selber - auch auf Wegen, die wir nicht genau kennen - so eine Thrombo- se-Neigung macht. Wir wissen, dass so Mikro- Thrombosen in der Lunge, im Herz, in den Nie- ren vielleicht auch noch in anderen Organen. Dass die tatsächlich ein Teil des Problems bei Covid-19 sind. Da weiß man, dass es bei Schwangeren verstärkt ist. Das heißt, eine Schwangere sollte sich wirklich schützen vor der Infektion, hauptsächlich um ihrer selbst willen. Beim Kind gibt es nicht so viel nicht so

viel Sorge. Da sollte man die üblichen Maß- nahmen ergreifen.

[0:45:02] Camillo Schumann Apropos üblichen Maßnahmen. Diese Dame hat angerufen und möchte mit anderen Senio- rinnen und Senioren in einem Ferienhaus Ur- laub machen. Sie ist sich aber unsicher.

Hörerin

Ist es überhaupt zu verantworten, mit zehn Personen in diesem Haus Urlaub zu verbrin- gen? Und gibt es irgendwelche Ideen, mit wel- chem Sicherheiten wir hinfahren können? Also zum Beispiel testen? Einmal testen, zweimal testen, vorher testen? Es wäre schön, wenn diese Frage beantwortet werden könnte.

[0:45:37] Camillo Schumann Das machen wir in aller Kürze.

Alexander Kekulé

Es kommt darauf an, wie diese Senioren sich vorher verhalten haben, wenn die sich relativ konsequent geschützt haben. Und wenn die keine gefährlichen Kontakte in der letzten Zeit hatten. Dann können Sie unter Umständen sagen: Jawohl, da gehen wir einfach hin. Und wir wissen, dass keiner von uns ein Risiko dar- stellt. Wenn natürlich einer von denen ständig Kontakt mit den Enkeln hatte, die im Kinder- garten auf dem Spielplatz oder sonst wo waren und man auf Nummer sicher gehen will. Dann würde ich einfach empfehlen, kurz vor der Abreise den Covid19-Test zu machen. Das ist auch keine 100-prozentige Sicherheit. Aber wenn man dann die letzten fünf Tage vorher keine gefährlichen Kontakte hatte und vor der Abreise den Test macht. Dann ist es als Paket etwas, wo ich sagen würde: Das reicht aus, um zu vermeiden, dass man in diesem Urlaubs- haus ständig stressigen Kontakt-Maßnahmen einhalten muss. Dann kann man sich in der Situation im Urlaub etwas entspannen.

[0:46:37] Camillo Schumann Damit sind wir am Ende von Ausgabe 97. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am

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Samstag wieder zu einem Hörer-Fragen Spezi- al. Bis dahin.

Alexander Kekulé

Ich danke Ihnen. Bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 18.08.2020 #96: Wir steuern auf ein Lockdown-Szenario zu

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Dienstag, 18. August 2020. 1. Wir haben wieder einen Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen. 2. Dann: Nehmen bei steigenden Infektionszahlen auch die schweren Krankheitsverläufe zu? 3. Außerdem: Corona-Erkältungsviren quasi als Not-Impfung gegen SARS-CoV-2. Denkbare Lösung? 4. Dann: Wie ein Rechenfehler das Kontakt- Tracing verändern könnte. 5. Und: Amerikanische Wissenschaftler haben ein Nasenspray gegen SARS-CoV-2 entwickelt. Wie funktioniert es? Wir wollen Orientierung geben.

Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin ein Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wegen der steigenden Zahl an Infektionen machen wir am Dienstag immer so einen kleinen Corona-Lagebericht. 1390 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden

meldet das Robert Koch-Institut heute. Zum Vergleich: Vor einer Woche waren es am Dienstag knapp unter 1000. Und wir wissen: In der ersten Wochenhälfte ist die Zahl der Neuinfektionen wegen des Meldeverzugs der Gesundheitsämter eher niedriger. In der zweiten Wochenhälfte eher höher. Nun stehen wir schon am Anfang der Woche bei fast 1400. Welche Botschaft senden uns diese Zahlen?

Alexander Kekulé

Ja, der Trend ist leider ungebrochen. Wir steuern wieder auf ein sehr aktives Infektionsgeschehen zu. Das ist schon fast ein Euphemismus, eine Beschönigung. Tatsächlich muss man einfach sagen, dass die Infektionen werden wieder exponentiell steigen, wenn wir nicht ganz massiv gegensteuern.

Camillo Schumann

Exponentiell steigen. Ab welchem Moment wäre das wieder der Fall?

Alexander Kekulé

Das ist letztlich dann, wenn die bremsenden Mechanismen, die Kontrollmechanismen, so schwach werden, dass sie nicht verhindern können, dass jede Person, die infiziert ist, statistisch mehr als einen anderen anstecken. Das heißt also, wir haben dann eine Situation, wo einfach die Fallzahlen nicht mehr durch die Gesundheitsbehörden und nicht mehr durch die bereits beschlossenen Maßnahmen, also Maskentragen, Abstand etc. reduziert werden können. So eine Situation hatten wir schon mal, als dann der Lockdown beschlossen wurde. Und ich glaube, man muss ganz klar sagen, wir steuern wieder auf so ein Szenario zu.

[0:02:39]

Camillo Schumann

Die Zahlen klingen erst mal dramatisch. Aber schaut man sich die Entwicklung in den Bundesländern an, haben wir wieder das Bild, das sich zum Beginn der Epidemie in Deutschland gezeigt hat: Der Westen Deutschlands punktuell zum Teil sehr stark betroffen, während das Virus in Ostdeutschland wieder fast keine Rolle spielt.

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Alexander Kekulé

Ja, das ist so. Das ist sozusagen einerseits eine gute Nachricht für die, wo es nicht so viele Infektionen gibt im Moment. Dort kann das natürlich noch nachziehen, weil wir ja keine Firewall zwischen Ost- und Westdeutschland haben, auch keine Mauer mehr. Und es ist so, dass wir im Westen, das ist die Kehrseite der Medaille, entsprechend mehr Fälle haben. Also dass das, was man sozusagen als Durchschnitt für ganz Deutschland betrachtet, das ist ja noch eine Unterschätzung bezüglich Nordrhein Westfalen, Teile von Hessen, Bayern und Baden-Württemberg. Das heißt, wir haben hier wirklich ein Problem im Land und müssen da dringend etwas tun. Wir können dem nicht einfach nur zusehen.

Camillo Schumann

Auf Maßnahmen kommen wir gleich. Wenn die Zahlen ansteigen, dann müssten doch auch die schweren Verläufe der Covid19-Krankheit zunehmen. Das ist eine sehr, sehr oft gestellte Frage unserer Hörer hier im Podcast. Aber Ziel aller Eindämmungsmaßnahmen ist es ja nicht, das Virus auszurotten, sondern die Gesundheitsversorgung nicht zu überlasten.

Alexander Kekulé

Nein, das kann man so einfach nicht sagen. Es ist ein Parameter, den man im Auge haben muss. Bei den Eindämmungsmaßnahmen will man die Gesundheitssysteme nicht überlasten, sprich nicht zu viele Menschen auf der Intensivstation. Wenn es dann eine Überlastung gäbe, würde die Sterblichkeit steigen, weil nicht mehr jeder optimal behandelt werden kann. Das ist aber die allerunterste Ebene, die man nicht durchbrechen will. In diese Lage sind wir in Deutschland noch nie gekommen. Das haben wir wirklich gut gemacht, dass die Intensivkapazitäten ja auch enorm aufgerüstet worden. Es gibt da drüben noch andere Ziele, die man hat. Das andere Ziel ist, dass wir keine schlagartige Durchseuchung der Bevölkerung riskieren wollen. Das ist einfach Strategie, dass man nicht gezielt durchseucht. Sondern wir wollen, dass die Ausbreitung der Erkrankung in

einem Bereich bleibt, wo wir mit dem Nachverfolgen der Gesundheitsämter noch eine Chance haben, das zu bremsen. Nur dann ist es ja kontrolliert. In allen anderen Situationen wissen Sie nicht, wer krank wird. Dann können auch Risikopersonen, Ältere krank werden. Und dann haben Sie ganz schnell volle Intensivstationen. Das heißt, man muss diese vorherige Ebene der Kontrolle durch die Gesundheitsämter wirklich sicherstellen. Und da ist der entscheidende Parameter: Welche Möglichkeiten haben die Gesundheitsämter, etwas nachzuvollziehen? Da hat der Bundesgesundheitsminister meines Wissens mal gesagt, so 1000 Fälle in Deutschland verkraften wir. Jetzt sind wir drüber. Das heißt, hier ist wirklich Handlungsbedarf.

Camillo Schumann

Also haben bald die Gesundheitsämter nicht mehr das Heft des Handelns in der Hand.

Alexander Kekulé

Ich glaube, sie haben es jetzt schon nicht mehr in der Hand. Das wird sicher regional unterschiedlich sein. Aber ich gehe davon aus, dass wenn Sie mit Leitern von Gesundheitsämtern sprechen, dass einige zugeben müssen, dass sie nicht mehr alle Fälle nachverfolgen können. Man hat einfach mal früher, diese Zahl so in den Raum gestellt: pro Amt fünf Fälle am Tag. Das war immer so die Idee. Dann hat man das mal fünf Arbeitstage genommen und gesagt, 35 Fälle pro Woche ungefähr kriegt man hin. Hat das dann so politisch aufgerundet auf 50. Das ist diese berühmte Alarmschwelle. 50 pro 100.000 Einwohner. Da sind wir jetzt drüber, wenn man es sich in manchen Regionen ansieht. Und das ist schon sportlich. Weil fünf Fälle heißt ja, die letzten fünf, sechs Tage müssen sie da nachverfolgen. Was hatten die alles für Kontakte? Dann diese Kontakte identifizieren, mit denen wieder sprechen. Das kann man nicht oft genug sagen. Das ist wirklich eine Herkulesaufgabe. Und ich glaube, es ist nicht gut, die Gesundheitsämter hier zu überlasten.

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[0:06:39]

Camillo Schumann

Aktuell haben wir um die 20 Landkreise, die keine Corona-Neuinfektionen gemeldet haben. Und wir lagen mal im Juni, ich glaube am 16. Juni bei 159. Mit anderen Worten, da kommt was auf die Gesundheitsämter zunehmend zu.

Alexander Kekulé

Das ist dieser Hintergrundrauschen-Effekt, wie ich das genannt habe, Noise-Effekt. Dass wir jetzt so viele Einzelfälle haben, die nicht mit bekannten Infektionsketten zusammenhängen, eben Initialfälle. Und das ist das, wovor wir schon länger auch in diesem Podcast gewarnt haben. Dass das ein Unterschied ist, ob Sie Einzelfälle haben, wo Sie bei jedem Einzelnen rauskriegen müssen: Was waren das für Kontakte? Oder ob Sie Infektionsketten haben, wo dann einfach noch einer dazu kommt, in irgendeinem Geschehen, was schon bekannt ist. Ich glaube, dass wir gerade diese Verteilung auf die Landkreise, dass viele Landkreise betroffen sind, dass es viele kleinere Geschehnisse sind. Das ist das, was eine neue Situation jetzt für uns ist.

Camillo Schumann

Wir machen diesen Podcast jetzt seit dem 16. März. Und wir haben uns ja schon sehr oft unterhalten. Aber ich höre so ein bisschen raus, Ihre Stimme ist sehr angespannt, oder Sie sind sehr angespannt.

Alexander Kekulé

Ja, das Sehen Sie richtig. Also ich bin jemand, der die Grundeinstellung hat: Wir schaffen das. Und ich bin auch nach wie vor der Meinung, dass wir in Deutschland weltweit hervorragend aufgestellt sind und die Möglichkeit hätten. Aber Sie wissen ja auch, dass es dieses Smart- Konzept gibt mit fünf Punkten. Die müsste man einhalten, um statt der Lockdowns eine Alternative zu haben für den Herbst. Und ich sehe zunehmend die Zeit schwinden, in der man das hätte vorbereiten müssen. Stattdessen steigen jetzt die Fallzahlen, und ich höre aus der Politik ehrlich gesagt keine Alternativen. Es ist ja nicht so, dass dieses eine Konzept, was ich da mal in den Raum gestellt

habe, das einzig mögliche wäre. Aber irgendein Konzept brauchen wir. Und das heißt nicht, zusehen, was passiert und das kommentieren. Sondern das heißt, wir müssen proaktiv verhindern, dass sich mehr Menschen infizieren.

[0:08:50] :

Camillo Schumann

Da kommen wir gleich noch einmal zu der Thematik: steigende Infektionszahlen. Und wie sieht es eigentlich mit den schweren Verläufen aus? Sie haben es ja schon geschildert, dass das Gesundheitssystem weit davon entfernt ist, überlastet zu sein. Ich habe die Deutsche Krankenhausgesellschaft mal gefragt, ob schwere Verläufe zugenommen haben. Die Antwort lautet:

"Als schweren Verlauf würden wir eine Covid- 19-Erkrankung dann definieren, wenn ein stationärer Aufenthalt zur Behandlung erforderlich ist. Zu erkennen ist, dass sich die Zahl Mitte Juni auf relativ konstantem Niveau um 500 pro Woche eingependelt hat. Diese Zahl bleibt auch seit dem neuerlichen Anstieg der Fallzahlen im Juli im selben Bereich. Ob das so bleibt, müssen wir jetzt engmaschig beobachten."

Dabei wird es vermutlich nicht bleiben, oder?

Alexander Kekulé

Das ist zunächst mal eine gute Nachricht. Das ist aber auch klar, weil man muss gucken, wer ist das, der sich im Moment infiziert? Das sind ja im Wesentlichen jüngere Menschen. Zum Teil welche, die aus dem Urlaub oder aus dem Familienbesuch zurückgekommen sind. Vielleicht auch welche, die hier in Deutschland so ein bisschen über die Stränge geschlagen haben. Das sind zum großen Teil Leute, die das Risiko kennen. Die sagen, das nehme ich in Kauf, weil ich weiß, dass meine Altersgruppe wenig Menschen schwer krank werden. Das ist objektiv richtig. Man kann dem vielleicht sogar etwas Positives abgewinnen, weil man ja sagen muss, viele Immunisierte schützen natürlich als Gruppe auch den Rest der Bevölkerung. Nach der Infektion ist man ja immun, zumindest für eine Zeit lang. Das heißt, wenn die sich

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sozusagen da in den Sturm begeben und sagen, wir wollen alle krank werden, bei uns wird es nicht so schlimm. Dann ist das eine große Gruppe von Immunen. Und wenn die besonders sozial aktiv sind, dann ist das auch eine besserer Schutzwirkung. Natürlich auch für die anderen. Andererseits gibt es eben zwei Faktoren, die da wichtig sind. Das eine ist, wir haben noch keinen zuverlässigen Schutz der Risikogruppen in Deutschland installiert. Das ist das S von diesem Smart-Konzept: Schutz der Risikogruppen. Ich habe gerade in einer "Zeit" gelesen von dem Boris Palmer, Bürgermeister von Tübingen, dass, so wie er das überblickt, keineswegs die Altersheime alle zuverlässig geschützt seien. Ich kenne auch da keine offiziellen Stellungnahmen, dass man in Altersheimen und anderen Situationen, wo Risikopersonen zusammen sind, dass man da wirklich konsequent das Personal zum Beispiel testet regelmäßig. Und das andere ist, dass wir natürlich auch unter denen, die jetzt keine typischen Risiken haben, immer mal wieder auch sehr schwere, zum Teil tödliche Verläufe haben. Wenn jetzt in der Gruppe der Nicht- Risikopersonen, die Krankheit komplett unkontrolliert durchläuft, dann können auch die zu einem Problem für das Gesundheitswesen werden. Weil sie dann einfach zu viele 25- bis 40-Jährige auch auf den Intensivstationen haben. Die sterben in der Regel nicht dran. Das kriegt man in Deutschland meistens hin. Aber trotzdem sind die Stationen natürlich voll. Wenn dann jemand aus dem Altersheim kommt, dann müssen wir eben Triage machen wie in Italien. Das heißt, feststellen, wer kriegt die Behandlung und wer kriegt sie nicht.

Camillo Schumann

Auch davon sind wir noch weit entfernt. Die Hospitalisierungsquote, 0,6 Prozent aktuell, die war auch schon wesentlich höher. Was meinen Sie, wie sozusagen die Krankenhäuser aufgestellt sind?

Alexander Kekulé

Ich glaube, wir sind nach wie vor gut aufgestellt. Wo ich die Krankenhäuser kenne,

ist eher die Tendenz, dass der Verwaltungsdirektor gelegentlich mal durchgeht und sagt: "Mensch musst das sein, dass ihr so viele Intensivbetten hier leer stehen habt." Das ist ja auch nicht so einfach unter dem Kostendruck das aufrechtzuerhalten. Ich weiß auch, dass zum Teil schon wieder rückgebaut wurde. Nicht in dem Sinn, dass es irreversibel wäre. Aber man hat zum Teil dann schon wieder gesagt: "Na ja, so viele Covid- Betten brauchen wir nicht frei halten." Man ist aber sehr dynamisch und kann flexibel das wieder anpassen. Ich glaube, wir sind da richtig aufgestellt. Wir haben auch mehr Beatmungsgeräte als früher. Aber wir müssen uns natürlich als Gesellschaft, und das ist eine politische Frage, wirklich fragen, wollen wird das denn, dass wir diese Kapazitäten volllaufen lassen? Und dann, was weiß ich, 25.000 Beatmungspatienten in Deutschland rumliegen haben. In der Größenordnung ist wohl die Kapazität. Ich wäre eigentlich dafür, dass nicht auszunutzen. Das ist für mich wie so ein Feuerlöscher, der an der Wand hängt. Aber ich möchte es eigentlich darauf ankommen lassen, den auszuprobieren.

[0:13:04] :

Camillo Schumann

Kurz noch eine aktuelle Zahl nachgereicht. Covid19-Fälle, die aktuelle invasiv beatmet werden müssen in Deutschland, Gesamtsumme 135. Da ist noch viel Luft nach oben.

Alexander Kekulé

Da ist viel Luft nach oben. Das finde ich auch richtig, dass man so operiert. Vielleicht noch etwas anderes Optimistisches. Es ist ja nicht ganz auszuschließen, dass wir es wirklich hinkriegen, dass wir eine Immunisierung im Land haben, die jetzt nach und nach stattfindet, langsam. Und dass wir durch den Schutz der Risikogruppen und der alten Menschen tatsächlich die Zahl der Schwerstkranken auf einem ganzen niedrigen Niveau halten. Wir kennen ja diese epidemiologische Situation in Ländern, wo die Bevölkerung sehr jung ist. Wir kennen die

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Zahlen aus Indien zum Beispiel und auch aus anderen Regionen, wo man sehr viele junge Menschen hat, die infiziert werden. Das ist zum Teil erstaunlich. Wenn man das Blut untersucht und schaut, wie viele haben sich da wirklich angesteckt, dann kommt man ja zum Teil auf Raten von 50 Prozent und mehr, die sich infiziert haben. Wenn wir natürlich in Deutschland oder in Europa so einen Effekt hätten, dass es zu einer Immunisierung kommt, ohne dass die gefährdeten Personen betroffen sind. Dann kann das sein, dass wir, sozusagen ohne das zu wollen, relativ gut durch die Krise kommen. Bis jetzt hat noch kein Politiker gesagt: Jawohl, ich gehe dieses Risiko ein und versucht es mal. Und ich kann es auch nicht empfehlen, weil wir nicht wissen, wie das ausgeht. Wir wissen nicht, welche Langzeitschäden die Menschen haben, die scheinbar ohne große Symptome da durchgekommen sind. Und deshalb kann ich nicht empfehlen, sozusagen auf natürlichem Weg die Seuche laufen zu lassen.

Camillo Schumann

Und noch eine Zahl nachgereicht. Die Gesamtzahl der aktuell betreibbaren Intensivbetten sind 30.565. Davon belegt 21.700 und frei demnach 8860. Und wen das mal interessiert: Intensivregister.de. Dort sind die täglich aktualisierten Zahlen auch nach Bundesländern, um das sozusagen noch mal zu unterstützen, dass da glücklicherweise noch sehr, sehr viel Luft nach oben ist. Herr Kekulé, die Frage: Wie geht man eigentlich mit dem aktuellen Infektionsgeschehen auch mit Blick auf den Herbst um? Wir hören mal kurz Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu:

"Ich denke nicht, dass es Sinn macht, die Entscheidung wieder zu treffen, zum Beispiel den Einzelhandel zu schließen oder Friseure. Wir sehen mit Alltagsmaske, mit Abstand kann man mit geringem Infektionsrisiko natürlich dort weitermachen. Wir sehen, bei Feierlichkeiten, Veranstaltuneng überträgt es sich sehr, sehr schnell. Und deswegen finde ich, müssen wir mit den Ländern noch mal schauen, was sind die Grenzen? Was sind die

Regelungen für die Größe etwa von Veranstaltung?"

[0:15:59] :

Camillo Schumann

Auch der Marburger Bund, der größte deutsche Ärzteverband, fordert auch von der Politik einheitliche Vorgaben für private Feierlichkeiten. Also Hochzeiten, Taufen, Partys etc. Eine Gästeobergrenze. Wären Sie auch für so eine Gästeobergrenze? Und wo könnte die liegen?

Alexander Kekulé

Das ist schwierig zu sagen. Aus infektiologischer Sicht kommt es extrem auf die Situation an. Ich weiß auch nicht, ob das wirklich praktikabel ist, weil die Menschen, die jetzt Veranstaltungen machen, wo es zu solchen kleineren Ausbrüchen kommt. Das sind ja Personen, die wissen, wo das Risiko ist. Und sie sagen, wir nehmen das letztlich in Kauf. Ich bezweifele, dass da Hochzeiten dabei sind, wo die Planer sich wirklich gute Gedanken gemacht haben, wo sie fast alles im Freien stattfinden lassen. Wo sie dafür sorgen, dass halbwegs die Mindestabstände eingehalten werden und vielleicht die Menschen auch in vielen Situationen Masken tragen. Oder, das gibt es übrigens in den USA jetzt bei sehr vielen Hochzeiten, wenn man kommt, muss man einen Test mitbringen, ein negatives Testergebnis. Wenn man solche Dinge macht, dann ist es natürlich nicht sinnvoll, die Veranstaltung zu verbieten. Wir haben ja viele Situationen, auch Konzerte zum Beispiel, wo es durchaus sinnvoll sein kann, das zuzulassen unter strengen Auflagen. Das Problem sind diejenigen, die sagen, wir machen es trotzdem. Uns sind die ganzen Auflagen egal. Wir machen hier die Türen zu, die Rollläden runter. Es sieht ja keiner, was wir hier veranstalten. Und ich bezweifle, ob der Bundesgesundheitsminister mit gesetzlichen Regelungen das in den Griff bekommen wird, weil wir ja in bestimmten Teilen der Bevölkerung keine so große Bereitschaft haben, weiterhin sich da dem Virus zu unterwerfen. Und wenn man da mit dem gesetzlichen Hammer kommt, dann führt

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das eher dazu, dass diese Teile noch schwieriger zugänglich wären für Aufklärungskampagnen. Dass sie noch weniger offen agieren und man es dann eben gar nicht mehr mitkriegt. Also zum Beispiel, wenn sich jemand auf einer Hochzeit oder auf irgendeiner Party infiziert hat und weiß, ich habe mich auf der Party von meinem Freund XY infiziert. Jetzt gehe ich zum Testen, dann haben sie mich. Dann fragen sie mich, dann erwischen sie meinen Freund. Dann kommt er vielleicht ins Gefängnis oder muss Strafe zahlen dafür, dass er die Party veranstaltet hat. Das führt dann zu so einer Kriminalisierung, dass die Leute dann auch eine Aversion dagegen haben, sich testen zu lassen. Und ich glaube, wir müssen umgekehrt auf die Verantwortung des Einzelnen setzen.

Camillo Schumann

Also könnte dann möglicherweise auch die Stimmung kippen. Wenn ich so raushöre, dann eher mehr Kontrollen, schärfere Kontrollen und höhere Bußgelder?

Alexander Kekulé

Nein, das glaube ich nicht, dass das viel bringt. Ich würde es eher positiv sagen. Aber das ist jetzt so ein bisschen ein politisches Argument. Stellen Sie sich vor, Sie haben wirklich das Angebot, das sich jeder anonym und individuell überall testen lassen kann. Das ist ja die Forderung, die ich ganz massiv in den Raum gestellt habe. Und was würde das praktisch bedeuten? Das ist natürlich so, wenn jemand sich krank fühlt und auch wenn er sonst nicht so viel von den Covid-Maßnahmen hält, wird er dann wahrscheinlich einen Test machen, bevor er seine Familie infiziert. Wenn dann jemand wirklich ein Ergebnis in der Hand hat und sagt: "Wow, jetzt bin ich hier positiv. Ich bin ansteckend." Ich glaube, dass ganz viele von denen, die sonst so easy going sind, wenn sie sehen, jetzt bin ich wirklich positiv, dass die dann auch ihr Verhalten ändern. Es ist ja nicht so, dass die Leute quasi rücksichtslose Mörder wären oder das billigend in Kauf nehmen. Sondern sie verdrängen einfach die Möglichkeit, krank zu sein. Aber wenn man

ihnen die Chance gibt und das überall möglich wäre, an jeder Ecke festzustellen, habe ich das Virus oder nicht. Dann glaube ich, würde man auch das Verhalten aktiv ändern. Selbst von den radikalsten Covid-Gegnern würde sich die Position ändern, wenn sie ein positives Testergebnis in der Hand halten. So würde ich arbeiten. Das ist das eine. Das andere, was man wirklich machen muss, ist proaktiv Risikosituationen identifizieren. Die Leute müssen wirklich wissen, in welcher Situation ist ein hohes Risiko für eine aerogene Übertragung. Und da ist es ja so, dass nicht einmal die Arbeitgeber das zum Teil wissen, weil die Richtlinien das noch gar nicht aufgenommen haben. Da steht dann drinnen, wenn jemand 1,50 Meter Abstand hat, Plastikwand dazwischen. Die Plastikwand muss mindestens 1,50 Meter hoch sein oder Ähnliches. Und dann ist gut. Tut sozusagen noch so, als gäbe es keine aerogene Übertragung, die natürlich um diese Wand rumgehen kann, wenn keine Lüftung ist und der Raum klein ist. Und da glaube ich, kann man auch sehr viel tun in diesen proaktiven Bereich. Und eben den Menschen ganz individuell die Möglichkeit geben, sich testen zu lassen und dann individuell zu reagieren auf die Gefahr.

Camillo Schumann

Gut, also sozusagen das humanistische Weltbild. Noch mal ein Plädoyer dafür.

Alexander Kekulé

Tja, der Waldorfschüler bricht an dieser Stelle durch. Aber so ist es nun mal.

Camillo Schumann

Herr Kekulé, wir müssen jetzt mal über einen Rechenfehler sprechen. Wissenschaft, die kontrolliert sich ja immer selbst. Der eine Wissenschaftler findet was raus, ein anderer Wissenschaftler prüft das Ganze. Und ein dritter gibt dann auch noch seine Meinung ab. Da kann im Prinzip ja eigentlich nichts schief gehen. Eigentlich. Und bevor wir auf einen aktuellen Rechenfehler kommen, erklären Sie

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uns doch mal ganz kurz, wie so ein Peer- Review eigentlich funktioniert.

Alexander Kekulé

Normalerweise ist es so, wenn man eine wissenschaftliche Arbeit publizieren will, dann schickt man die zu einem Journal ein, zu einem wissenschaftlichen Spezialmagazin. Und wenn man glaubt, es ist eine sehr gute Arbeit, schickt man sie zu einem guten Journal und wenn man glaubt, naja, das ist jetzt nicht so spannend, dann zu einem, wo man leichter reinkommt. Und egal wie, die haben ein Verfahren, was eben Peer-Review-Verfahren heißt. Das heißt, Personen, Wissenschaftler, die auf Augenhöhe sind mit demjenigen, der es eingereicht hat, kriegen das anonym zugeschickt. Meistens kennt man sich untereinander. Die müssen dann die Arbeit lesen und sagen, ist sie Wert, publiziert zu werden? Bei diesem Prozess kommt es nach meiner Erfahrung, zumindest bei den guten Journalen, eigentlich immer zu Rückfragen und Verbesserungsvorschlägen. Das heißt, diese Reviewer, die Gutachter sagen dann, das und das sollte man besser machen. Da und da müsst ihr noch was machen, die und die Zahl habt ihr falsch berechnet. Und dann geht der Pingpong ein paar Mal hin und her. Häufig wird es dann am Schluss, wenn es eine gute Arbeit war, natürlich akzeptiert und veröffentlicht. Das ist so eine Art Qualitätssicherungssystem in der Wissenschaft. Ich persönlich finde, dass ist eigentlich ganz gut. Das ist uralt, aber funktioniert nach wie vor gut.

[0:22:25] :

Camillo Schumann

Aber trotzdem kann es ja immer mal wieder zu einem Lapsus kommen. Zu dem kommen wir jetzt. Und zwar die große Frage, ab wann ist eigentlich ein Infizierter vor Ausbruch der Krankheit auch ansteckend für seine Mitmenschen? Bisher, und so sagt es auch das Robert Koch-Institut, kann ein Infizierter ein bis zwei Tage vor Ausbruch der Krankheit andere anstecken. Aber offenbar ist diese Zeitspanne nicht so ganz richtig. Sie liegt offenbar bei bis zu sechs Tagen. Also sechs Tage vor Beginn der

ersten Symptome ist ein Infizierter ansteckend für andere. Und Grund ist ein Rechenfehler, der bisher niemandem seit dem 15. April aufgefallen ist.

Alexander Kekulé

Ja, unter uns Kollegen, unter den Fachleuten ist das ein kleiner Lacher schon fast. Oder eigentlich auch peinlich. Man darf aber nicht so weit gehen, wie Sie es gerade gemacht haben. Es ist ein Rechenfehler passiert. Ja. Das ist eine Arbeit, die ist damals sehr spektakulär erschienen. Da ist ausgerechnet worden, aufgrund von Daten, die man aus China hatte, wann ist eigentlich statistisch gesehen der Infektionszeitpunkt gewesen vor Ausbruch der Symptome? Da hat man einfach Daten genommen, die schon da waren. Man hat gesagt, wann haben die Patienten ihre ersten Symptome gehabt. Dann wurde so eine Häufigkeitsverteilung ausgerechnet. Also mit der Statistik geguckt, was ist häufig der erste Infektionszeitpunkt vorher, der schon stattgefunden hat. Dabei kam heraus, dass vor Symptombeginn, also ein bis maximal zwei Tage vorher, schon die ersten Infektionen stattgefunden haben können. Und bei dieser reinen Berechnung ist ein reiner Rechenfehler passiert, der ziemlich krass ist. Aber es ist am Ende des Tages nur einen Rechenfehler, der bis jetzt übersehen worden war.

Camillo Schumann

Dieser Rechenfehler ist einem Forscherteam um Sebastian Bonhoeffer, Professor für theoretische Biologie an der ETH Zürich, aufgefallen. Können Sie uns diesen Rechenfehler ganz einfach erklären?

Alexander Kekulé

Hut ab vor dem Herrn Bonhoeffer, dass er das bemerkt hat. Da sind viele, viele andere, die das vorher nicht gesehen haben, auch Top- Institute vom Robert Koch-Institut über die CDC in den USA. Und ganz viele haben auf diese ursprüngliche Arbeit, ihre Empfehlungen gesetzt und haben das niemals so richtig nachgerechnet, wie man eigentlich zu dem Ergebnis kam. Da gibt es eine Software, mit der

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man normalerweise solche Statistiken ganz gut aufarbeiten kann. Es gibt viele Softwares. Aber eine, die ganz berühmt ist, heißt einfach R. Nach dem Buchstaben R, weil die beiden Autoren, die das mal erfunden haben, beide mit R losgingen. Dieses Programm muss man sich so vorstellen, das hat eben so einen richtigen Code innen drinnen. Wenn man irgendwann mal eine Programmiersprache gelernt hat, kennt man solche Programmieranweisungen, die da drinnen stehen. Und irgendwo ist eine Programmzeile drinnen, die ausschließt, dass unendliche Ergebnisse weiter verwendet werden dürfen. Das ist bei Computern relativ häufig, dass man so etwas einbaut. Weil der Computer sonst schachmatt ist, wenn er praktisch mit der Zahl unendlich weiter rechnen muss, dann bricht der Computer häufig zusammen. Das kann jeder mal mit dem Excel-Sheet ausprobieren, was dann passiert. Dann gibt es eben eine Fehlermeldung. Deshalb haben die diese Zeile drinnen gehabt, wo es heißt, wenn das Ergebnis unendlich ist, nimm es bitte raus. Das Problem ist nur, dass bei einem Ereignis, was die Wahrscheinlichkeit null hat, davon dann der Logarithmus minus unendlich ist. Dadurch wurden alle Ereignisse mit der Wahrscheinlichkeit null, und das waren in dem Fall zwei ganz wichtige Datenpunkte, automatisch weggefiltert. Dadurch ist die ganze Rechnung schief gewesen. Und die Kurve, die dabei rauskommt, ist nicht mehr symmetrisch. Das ist wahrscheinlich dem Herrn Bonhoeffer aufgefallen, dass das Ergebnis nicht mehr stimmen kann, weil es eben nicht mehr symmetrisch ist. Und so hat er diesen Fehler gefunden. Man muss auch den Autoren der ursprünglichen Arbeit zugute halten, die haben hier ihre gesamten Daten, komplett einschließlich aller Rechenprogramme, ins Internet gestellt. Von Anfang an. Und es ist selten möglich, dass man so sauber etwas noch einmal nachgerechnet, weil das kaum einer macht, dass er so dermaßen die Hosen runterlässt. Also kann man sich bedanken bei den ursprünglichen Autoren. Die haben das auch schon korrigiert.

Aber tatsächlich bei dieser Rechnung kommt jetzt raus: Man ist nicht zwei Tage vorher, sondern fünf oder vielleicht sogar sechs Tage vorher infektiös.

Camillo Schumann

Das war ein kleiner Ausflug in Mathematik und Codierung von Software für Feinschmecker sozusagen. Aber gut, dass es diesen Feinschmecker da in Zürich gab.

Alexander Kekulé

Ja, ich würde mich gerne dafür interessieren, wie er da drauf gekommen ist. Weil das ist ja wirklich im Code versteckt. Und ich kann mir vorstellen, dass die einfach nur ein bisschen mit diesen Code spielen wollten und gesagt haben, wir rechnen jetzt mal mit der gleichen Datenbasis was anderes aus. Aber das müsste man ihn wirklich mal fragen, wie er darauf kam. Umgekehrt muss man die Frage stellen, warum alle anderen das sozusagen einfach so übernommen haben.

[0:27:35]

Camillo Schumann

Aber jetzt die Frage, was bedeutet das ganz praktisch. Bisher gilt jemand als Kontaktperson, wer zwei Tage vor Auftreten der Symptome Kontakt zu einem Corona- Infizierten hatte. In dem Fall muss man sich dann testen lassen. Und diese zwei Tage sind ja auch Grundlage für das Kontakt-Tracing der Gesundheitsämter. Vermuten Sie, dass dieser Zeitraum jetzt vergrößert wird? Das RKI schaut sich diese Studie auch schon an.

Alexander Kekulé

Ich hoffe, dass es nicht vergrößert wird. Das ist jetzt aber meine persönliche Meinung. Wenn Sie fünf Epidemiologen fragen, kriegen Sie wahrscheinlich fünf verschiedene Antworten. Das Entscheidende ist ja, wann glaubt jemand, dass er Symptome hatte zum ersten Mal? Und wenn Sie jemanden im Krankenhaus fragen ... In China sind die Menschen gerade am Anfang schwerstkrank gewesen. Fragt man: Wann hast du zum ersten Mal gemerkt, dass es dir schlecht geht? Dann wird er den Zeitpunkt

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nennen, wo er halt ganz übel angefangen hat zu husten oder Ähnliches. Und wirklich so die Sensibilität dafür, wann war eigentlich zum allerersten Mal etwas, wo ich gemerkt habe, da stimmt was nicht? So morgens beim Aufstehen, irgendwie die Gliederschmerzen anders als sonst. Nachmittags plötzlich mal Kopfschmerzen, die nicht weggehen wollten. Kratzen im Hals, diese Dinge, wo so was eben losgeht. Und ich glaube, da ist die individuelle Sensibilität extrem unterschiedlich. Bei diesem Covid19 wird es nicht viel anders sein als bei anderen Erkältungskrankheiten, dass man typischerweise einen Tag, bevor die ersten Symptome losgehen, infektiös ist und nicht schon viele Tage vorher. Man muss sich ja auch im statistischen Mittel klarmachen, die Inkubationszeit ist ja bei fünf Tagen. Also zwischen Ansteckung und Ausbruch der ersten Symptome liegen so fünf Tage im Mittel. Wenn Sie jetzt sagen, der kann schon sechs Tage vorher ansteckend gewesen sein. Das geht ja gar nicht. Das heißt also, wir reden hier von Extremfällen, wo Menschen angesteckt wurden, ganz lange die Symptome nicht bemerkt haben. Und dann ist es vielleicht mal so, dass man sagt, der ist relativ lange bevor es bemerkt hat, schon ansteckend gewesen. Ich werde dringend dafür, für die praktische Nachverfolgung hier nichts zu ändern.

[0:29:36]

Camillo Schumann

Mit anderen Worten: Das ist so ein individueller Toleranzspielraum, den man ja sowieso hat. Der eine ist, vielleicht ein bisschen sensibler, und der andere kann vielleicht ein bisschen mehr ab. Und merkt es dann erst ein bisschen später. Die ein, zwei Tage waren ohnehin schon sehr verwässert, oder?

Alexander Kekulé

Die waren verwässert. Ich war da sowieso nicht so glücklich damit, dass manche gesagt haben, das können auch zwei bis drei sein. Der Klassiker ist, einen Tag, bevor die Symptome losgehen, ist man ansteckend. Das sagt jeder Professor in der Vorlesung, wenn es um

Virologie geht. Solche allgemeinen Merksätze würde ich jetzt noch nicht ändern. Vielleicht ist das Covid19 die komplette Ausnahme. Aber es geht ja hier um die praktische Frage, wie man seine Software programmiert. Es gibt allerdings einen Aspekt, den darf man nicht aus dem Auge verlieren. Wir wissen ja hier bei Covid19, dass es diese Fälle gibt. Und das ist gar nicht so selten, dass jemand am Anfang erst mal fast nichts hat. Also die Art von Symptomen, die man vielleicht dann gar nicht meldet. Wo man sagt, das habe ich gar nicht bemerkt, mal ein bisschen Kopfschmerzen. Und dann ist das Immunsystem eigentlich in der ersten Phase dieser Erkrankung oft in der Lage, dass ist die Situation in Schach hält. Dann kommt aber eine zweite Phase, die dann gar nicht mal so sehr mit der Virusvermehrung zu tun hat. Sondern damit, dass das Immunsystem plötzlich aus bestimmten Gründen übermäßig hochfährt, quasi verrückt spielt. Und in dieser zweiten Phase kommt dann die schwere Krankheit. Es geht noch einmal richtig los mit ganz schlimmen Atembeschwerden, Intensivstation und so weiter. Und das darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass es hier diesen zweiphasigen Verlauf manchmal gibt. Wahrscheinlich gar nicht so selten. Das könnte auch mit diesen Zahlen zusammenhängen, dass manche Menschen eben lange vorher infektiös sind, wenn man nur die zweite Phase betrachtet. Die haben dann möglicherweise vorher eine fast asymptomatische erste Phase der Krankheit gehabt. Bei den meisten geht es ja zum Glück weg. Und dann war es das. Aber bei einigen kommt eben nach einer gewissen Zeit dieser zweite Krankheitsverlauf, der es dann schlimmer macht.

Camillo Schumann

Wie man darauf begegnen kann, das werden wir in Ausgabe 97 besprechen. Schon mal ein kleiner Teaser auf die nächste Ausgabe. Herr Kekulé, wir haben sehr viel Zuschriften bekommen, und zwar zur Ausgabe 94. Daran hatten wir über das Rätsel der asymptomatischen Virusträger gesprochen.

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Wir haben unter anderem die Frage erörtert, warum es offenbar so viele Menschen gibt, die das Virus und die damit verbundene Krankheit gar nicht oder sehr wenig spüren. Neben vielen weiteren Faktoren kam er eine kalifornische Studie zu dem Ergebnis, dass alte Corona- Erkältungsviren, die die Menschen schon mal durchgemacht haben, für diese fast unerkannte Infizierung sorgen. Und viele Hörer haben uns geschrieben, die das in Ausgabe 94 ausführlich gehört haben. Sie haben gefragt: Wenn nun alte Corona-Erkältungsviren offenbar für milde Verläufe sorgen, wäre es da nicht denkbar, mit genau diesen alten Coronaviren so eine Art Not-Impfstoff herzustellen gegen SARS-CoV-2?

Alexander Kekulé

Es ist eine Superidee. Da kann ich ja verraten, dass ein gestandener Biochemiker mit mir diese Frage vor einiger Zeit auch mal diskutiert hat. Der hat auch diese Idee gehabt. Ich wäre da eher dagegen. Und zwar aus folgendem Grund: Auch bei den normalen Erkältungsviren haben wir Menschen, die da schwerstkrank werden. Meistens sind die dann immunologisch nicht so fit gewesen. Die haben immunologische Probleme oder Ähnliches. Aber trotzdem, da gibt es Schwerkranke und auch Tote. Wir wissen ja, dass diese Exzessmortalität, die Überschussmortalität bei Influenza, die wird ja jedes Jahr quasi so als Bilanz der Influenzasaison berechnet. Da sind durchaus auch Tote dabei, die gestorben sind an anderen Viren als Influenzaviren. Das ist nicht genau rausgerechnet. Und ein paar sterben natürlich auch mal an einem normalen Coronavirus. Das ist zwar eine Ausnahme, kommt aber durchaus vor. Und deshalb können wir das nicht riskieren. Das wäre ja quasi ein super gefährlicher Impfstoff. Wenn Leute, die ein persönliches Risiko haben, dann auch die Gefahr haben, daran zu sterben. Ich kann nur erinnern bei Polio, bei dem Kinderlähmungsimpfstoff. Da hat man mal Versuche gemacht und dann aus Versehen bei der Herstellung Fehler gemacht. Dann hatten Kinder Kinderlähmung bekommen davon. So

was geht bei der Impfung gar nicht, weil sie ja praktisch nur gesunde Personen im Auge haben. Das heißt, ein Impfstoff muss wirklich viel, viel sicherer sein, als das so eine absichtliche Immunisierung wäre. Der andere Aspekt ist folgender: Jeder Geimpfte, wenn Sie jetzt die Coronaviren als Impfstoff nehmen, wäre ja infektiös. Das heißt, Sie hätten es gar nicht unter Kontrolle, wie diese Welle losgeht. Dann stecken Sie ganz viele Menschen möglicherweise indirekt noch an. Wo man gesagt hätte, nein, bei dem will man es lieber nicht versuchen.

[0:34:26]

Camillo Schumann

Aber in der Theorie denkbar, wenn schon ein Wissenschaftskollege mit dem Gedanken gespielt hat?

Alexander Kekulé

Theoretisch wäre es, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Und wenn wir jetzt hier reden würden vom Ebola-Virus ... Wenn das SARS-CoV-2-Virus, eine Letalität hätte von 50 Prozent plus X und wir keine Möglichkeit hätten, das zu begrenzen, also sozusagen so gefährlich wie Ebola und so ansteckend wie die Grippe, dann würde ich so was als Ultima Ratio durchaus in Betracht ziehen. Weil man natürlich ein Virus viel schneller herstellen und ausbreiten kann, als das Ganze mit dem Impfstoff möglich ist.

Camillo Schumann

Also wenn man am Abgrund gestanden hätte.

Alexander Kekulé

Wenn wir einen Schritt vor dem Abgrund stehen und die einzige Alternative ist, dass alle zu Hause bleiben müssen, bis der Impfstoff kommt. Dann müsste man sowas diskutieren. Ich hoffe, dass es in meinem Leben die letzte Pandemie war. Aber wir wissen nicht, was in der Zukunft noch kommt. Bei diesen Impfprogrammen, da haben wir schon darüber gesprochen, dass es Impfstoffe gibt, die die ausgehöhlte Viren sozusagen als Vehikel, als Vektor verwenden. Da hat man durchaus in der Vergangenheit überlegt, ob man nicht nur

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ausgehöhlte Viren nimmt, sondern auch Viren nimmt, die noch infektiös sind. Bei dem Polio- Impfstoff ist es ja so gewesen. Der wird inzwischen nicht mehr verwendet. Früher hatte man tatsächlich ein Impfvirus, das zwar abgeschwächt war, aber dass im Prinzip noch infektiös war. Also da war sozusagen der Effekt, dass der Geimpfte vielleicht auch sein Geschwisterchen infiziert und das dann auch immunisiert wird. Das war sogar durchaus gewünscht damals.

[0:36:06]

Camillo Schumann

Herr Kekulé, was vielleicht vorübergehend gegen SARS-CoV-2 helfen könnte, ist ein Nasenspray, entwickelt von amerikanischen Wissenschaftlern in San Francisco. Auch ein deutscher Forscher hat seine Hände im Spiel. Der aus Berlin stammende Biochemiker Peter Walter. Dieses Spray funktioniert mit synthetischen Nanokörpern. Können Sie uns kurz erklären, wie genau?

Alexander Kekulé

Das ist toll. Also diese Nanobodys, Nanokörper. Es gibt nichts mehr, was deutsch benannt wird. Die Nanobodys, das ist ein Phänomen gewesen, was vor vielen Jahren entdeckt wurde. Das war so in den 80er-Jahren, Ende der 80er-Jahre vielleicht. Wir wissen ja, wie ein Antikörper funktioniert. Das ist so ein ziemlich großes Molekül. Das hat einen Teil vorne dran, der zum Beispiel ein Virus erkennen kann. Das ist so die Erkennungsstelle. Und dann ist da hinten noch ziemlich viel dabei, damit der Antikörper richtig funktioniert. Das Verhältnis ist so 1:10 vom Volumen her. Ein Zehntel braucht man, um das Virus, das Antigen zu erkennen. Und der Rest ist quasi Transportmedium dafür. Das kann man sich so ähnlich vorstellen wie so ein Lastwagen, wo eben hinten die Anhängerkupplung ist. Und nur die Kupplung braucht man, um den Antikörper festzumachen. An den ganzen Lkw braucht man eigentlich gar nicht dafür. Da hat man durch reinen Zufall ... Das waren Studenten, die das mal an der Uni in Brüssel gemacht haben. Die haben durch Zufall gesagt,

wir untersuchen mal in so einem Praktikum ein Serum von einem Dromedar. Das war da zufällig angeblich noch im Kühlschrank. Sie haben das rausgeholt und einen Test gemacht. Und gemerkt, komisch, diese Dromedare. Die haben nicht nur diese großen Antikörper, sondern die haben auch so kleine Stückchen, die eben wie die Anhängerkupplung von einem Lastwagen quasi ganz alleine darum schwimmt. Da hat man überlegt, ob das vielleicht Abbauprodukte oder Ähnliches sind. Man kam dann tatsächlich drauf, dass nur bei kamelartigen Tieren und interessanterweise bei bestimmten Haien gibt es das tatsächlich, dass diese Mini-Antikörper ein Teil des ganz normalen Immunsystems sind. Also das ist wirklich eine spektakuläre, interessante Entdeckung gewesen. Und die haben natürlich den Riesenvorteil, die kann man massenweise herstellen. Das sind ganz kleine Moleküle, die nicht in irgendwelchen Sprays verkleben. Und die kann man auch künstlicher herstellen.

Camillo Schumann

Und was haben die Kollegen in San Francisco daraus gemacht?

Alexander Kekulé

Was an der Uni San Francisco gemacht wurde, man hat letztlich eine riesige Bibliothek von künstlichen Nanobodys genommen. Das waren 2 Milliarden von diesen Nanobodys. Die hat man natürlich technisch hergestellt in großer Menge. Man hat ausprobiert, ob welche gegen dieses neue SARS-CoV-2-Virus irgendwie wirken. Da hat man eine kleine Gruppe gefunden, die tatsächlich gegen das S-Protein anheften, also das Spike, dieses kleine Teil, was da so raussteht aus dem Virus. Jedes Spike hat drei Anhaftstellen. Das haben die dann weiter optimiert und gesagt: Dann nehmen wir drei Nanobodys, machen da eine kleine Kette dazwischen. Damit wir alle drei Anhaftstellen blockiere, also alle drei Stellen, wo dieser Spike sich eine Lungenzelle festmachen könnte. Und dann haben sie das Ergebnis noch mal gentechnisch so verändert, dass es noch ein bisschen besser bindet. Von dem ersten, das sie gefunden haben, haben sie die

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Bindungsfähigkeit dieser Nanobodys mehr als 200.000-fach verstärkt. Und das Ergebnis ist wirklich spektakulär. Die kleben wie Pech und Schwefel an den Viren dran. Sie hemmen diese SARS-CoV-2 Viren an der Infektion von Zellen in der Zellkultur. Sodass jetzt der Vorschlag ist, dann machen wir jetzt ein Spray draus. Statt einer Atemmaske kann man sich das Spray inhalieren. Und dann kann man ja gerade quasi die Infektion nicht mehr bekommen. Aber wenn so ein Virus eindringen sollte, dann werden sofort die für die Infektion notwendigen Stellen des Virus sehr, sehr effektiv blockiert. Das ist erst mal nur ein Vorschlag. Das gibt es noch nicht auf dem Markt. Natürlich schon weit davon entfernt. Aber die ganze Idee ist natürlich für Biochemiker schon faszinierend. So was löst Begeisterung aus.

[0:40:14]

Camillo Schumann

Ich merke schon. Sie sind auf einmal gut drauf in diesem Podcast heute. Am Anfang ein bisschen so Moll und jetzt wieder Dur. Schön. Kommen wir abschließend zu den Hörerfragen mit Blick auf die Uhr bitte um eine kurze Antwort. Frau Schwarzer aus Leipzig hat eine Frage zu Masken:

"Vor einigen Wochen habe ich mir in der Apotheke, eine Nanosilber FFP2-Maske gekauft, die bis zu 40-mal waschbar sein soll. Da sie angenehm zu tragen ist, wollte ich eine solche Maske nachkaufen. Dies ist aber nicht mehr möglich, da dieses Produkt wohl aus dem Verkauf genommen worden sein soll. Gibt es gesundheitliche oder andere Bedenken gegen Nanosilber-Masken? Welche Art FFP2-Masken sind dann empfehlenswert? Welche nicht? Herzliche Grüße."

Alexander Kekulé

Jetzt geht es wieder um Nano. Das heißt einfach, immer nur ganz klein. Nanosilber sind ganz kleine Silberpartikel. Also richtiges Silber, kleiner als ein Zehntausendstel Millimeter. Und da weiß man schon lange, dass Silber, klein oder nicht, Bakterien abtötet. Bei Viren ist es noch nicht so eindeutig. Aber antibakteriell ist

es. Das so ein alter Trick. Die Omis haben schon Silbermünzen in die Milch geworfen, damit die sich länger hält. Aber es ist so: Ja, die schädigen Bakterien, weil das Silber löst sich dann so ein bisschen auf. Sowohl die Partikel selber machen einen Effekt, weil die von den Bakterien aufgenommen werden, als auch das aufgelöste ionisierte Silber, das stört die Enzyme in den Bakterien. Das wirkt antibakteriell. Aber es wirkt eben auch gegen andere Zellen. Wir wissen, dass es Zellen, die für die Wundheilung gebraucht werden, das sie auch gehemmt werden davon. Es kann Immunzellen stören. Und deshalb ist die Empfehlung, nicht unkontrolliert solche Nanosilber Partikel irgendwie in den Körper zu lassen. Bei so einer Maske, die ich vom Gesicht habe, dann inhaliere ich die möglicherweise. Die könnten sich da ablösen. Das würde ich nicht riskieren. Darum sage ich mal in dem Fall eine klare Empfehlung: So was würde ich mir nicht vor den Mund hängen.

[0:42:39]

Camillo Schumann

Diese Dame aus Erfurt hat angerufen und folgende Frage:

"Das Krankenhauspersonal, wird das auch regelmäßig auf Corona getestet? Das wäre ja dringend notwendig, weil ins Krankenhaus kommen ja kranke und geschwächte Menschen. Viele Leute haben eben auch Angst, ins Krankenhaus zu gehen. Ich weiß jetzt nicht, warum. Das würde mich mal interessieren. Das wäre nett, wenn Sie das mal in einer Ihrer Sendung mit beantworten könnten."

Camillo Schumann

Dazu habe ich die Deutsche Krankenhausgesellschaft angefragt. Die Testverordnung sieht vor, dass medizinisches Personal bei Tätigkeitsbeginn und danach höchstens einmal innerhalb von zwei Wochen auf SARS-CoV-2 getestet werden kann. Die Tests können allerdings nur auf Veranlassung des Gesundheitsamtes durchgeführt werden. Und da es sich hier um Tests bei asymptomatischen Personen handelt, sind diese grundsätzlich erst einmal freiwillig.

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Inwieweit eine verpflichtende Anordnung seitens des Arbeitgebers denkbar wäre, wäre eine juristisch zu klärende Frage.

Herr Kekulé, einmal innerhalb von zwei Wochen getestet. Ist das ein praktikabler Weg?

Alexander Kekulé

Ja, das ist ein praktikabler Weg für solche Teile des Personals, die jetzt nicht regelmäßig Kontakt mit Covid-Patienten haben. Bei Personal von Intensivstationen, wo solche Patienten behandelt werden, müsste man das häufiger machen, mindestens einmal die Woche. Das wird meines Wissens in den Kliniken sehr unterschiedlich gehandhabt. Das war ja am Anfang so, dass das Robert Koch- Institut ganz klar gegen solche proaktiven prophylaktischen Tests sich ausgesprochen hat. Und es gab dann die Situation in Aachen zum ersten Mal. Auf einer Kinderintensivstation waren einfach so viele Kontaktpersonen, dass man gesagt hat, wir müssten jetzt die Station zumachen, wenn wir nicht proaktiv testen würden. Das waren die tapferen Schneiderlein, die quasi dem RKI widersprochen haben. Und heute wird dieses sogenannte Aachener Modell von vielen Universitätskliniken angewendet. Dass einfach das Personal regelmäßig auf Covid getestet wird. Natürlich abgestaffelt nach Risiken. Intensivstationen werden häufiger getestet. Ich kann Ihnen jetzt aber wirklich nicht sagen, ob das in allen Krankenhäusern so ist. Und ob sozusagen diese Anfangsregelung, die man hatte, als das Thema gerade hochgekocht ist, ob das bis heute durchgehalten wird oder ob man da inzwischen vielleicht seltener testet. Das weiß ich tatsächlich nicht. Das unterscheidet sich aber von Krankenhaus zu Krankenhaus mit Sicherheit.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 96. Mal ins Blaue gefragt: Haben Sie die gute Wohlfühl- Meldung zum Schluss?

Alexander Kekulé

Ich finde es schon eine Wohlfühl-Meldung, dass wir sowohl auf der therapeutischen Seite so kleine Schritte nach vorne machen als auch, dass wir, obwohl wir eine Zunahme von Fällen haben, in Deutschland nicht so eine starke Zunahme von Schwerkranken haben. Wir sind also noch in einem Korridor, wo wir das Ganze beherrschen können. Und deshalb gebe ich mal meinen Optimismus nicht auf.

Camillo Schumann

Vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Sehr gerne. Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben noch Fragen? Dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder greifen Sie zum Hörer. Rufen Sie uns einfach an, es kostet nix: 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 15.08.2020 #95: Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass

Camillo Schumann Alexander Kekulé

[0:00:10]: Camillo Schumann

Wie ist man eigentlich auf Sars-CoV-2 aufmerksam geworden?

Kinder mit laufender Nase und Hals- kratzen dürfen in die Kita. Wie gefähr- lich ist das für das Betreuungsperso- nal?

Und: Wie ist das Hygienekonzept der Deutschen Bahn zu bewerten?

Damit herzlich willkommen zu einem Hörerfra- gen Spezial. Die Fragen kommen wie immer von Ihnen und die Antworten wie immer von Virologen und Epidemiologen Alexander Ke- kulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo Herr Schumann!

Camillo Schumann

Sabrina aus Berlin hat angerufen. Sie hat keine Frage zu Medikamenten, Impfstoffen oder Singen im Chor. Nein, sie geht mit Ihrer Frage einen großen Schritt zurück.

[0:00:47]: Camillo Schumann Alexander Kekulé

Bevor alles anfing. Da fehlt mir ein logischer Faden. Wie ist aufgefallen, dass es das Virus gab und wie wurde der Test gefunden. Bei einer Erkältung wird ja nicht gleich getestet. Wie ist man darauf gekommen?

[0:01:12]: Camillo Schumann Eine schöne Frage von Sabrina aus Berlin.

Alexander Kekulé

Ja, ja, die Frage ist auch gar nicht abwegig, weil es tatsächlich Leute gab, die gesagt haben, das Virus war schon immer da. Nur seit wir testen merken wir es. Das kommt von Seiten der Corona-Leugner.

Das ist tatsächlich so losgegangen, dass man in Wuhan in China, in einer Stadt, die sonst ei- gentlich nicht so beachtet wird, aber 11 Millio- nen Einwohner hat, am Jangtse. Da hat man festgestellt, dass sich merkwürdige Lungener- krankungen gehäuft haben. Also Menschen haben gehustet, wurden schwer krank und relativ viele von denen mussten dann beatmet werden und zwar in verschiedenen Kranken- häusern zugleich. Darauf haben die lokalen Gesundheitsbehörden so eine Art Alarmsystem aktiviert. Das hatte man, weil man immer Angst hat vor neuen Influenzaviren, weil die Angst ist, dass die neue Grippe-Pandemie kommt. Darum hat man so eine Art Überwa- chungssystem für Atemwegserkrankungen. Das wurde aktiviert von der dortigen lokalen CDC, also von der Gesundheitsbehörde in Chi- na. Die haben sich dann die Fälle angeschaut und gesehen, dass die alle sehr ähnlich sind, besonders schwer verlaufen und das eben alle Tests auf andere Viren, insbesondere natürlich Influenzaviren, Grippeviren alle negativ waren. Und ehrlich gesagt, ist mein deutlicher Ein- druck, dass man damals auch schon den Ein- druck hatte am Anfang, dass das auch von Mensch zu Mensch übertragen wird. Offiziell hieß es ja, dass diese Menschen hätten alle Bezug zu einem Markt dort gehabt. Dann musste man also herausfinden, was es ist. Glücklicherweise, vielleicht zufällig, ist in Wuhan das chinesische Forschungsinstitut schlechthin für Coronaviren. Dort hat man das dann genauer untersucht. Es gibt für Coronavi- ren Testverfahren, die allgemein feststellen

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können, ob das ein Corona-Virus überhaupt ist. Da gibt es ja ganz viele verschiedene. Aber könnte es in diese ganze Gruppe reinfallen. Diese Tests wurden angewendet. Dann hat man gesehen, da ist mit hoher Wahrschein- lichkeit ein Corona-ähnliches Virus. Dann hat man dieses Virus sequenziert, wie wir sagen. Das heißt also, man hat die genetische Se- quenz, die Abfolge der Gen-Bausteine unter- sucht. 30.000 Stück ungefähr sind das. Anhand dieser Sequenz konnte man durch einen Ab- gleich mit internationalen Datenbanken fest- stellen: Jawoll, dass ist ein neues Coronavirus, was ganz ähnlich aussieht wie das alte Sars- Virus von 2003. Es hatte irgendwo in der Grö- ßenordnung von 80 Prozent Ähnlichkeit. Dann hat man Teile von diesem Virus genommen, wo man weiß, dass die besonders gut für Tests geeignet sind. Man hat Erfahrung damit, was man dann nimmt. So kleine Stückchen, die sind vielleicht 20-30 Bausteine lang. Mit diesen kleinen Stückchen hat man ein Testverfahren entwickelt, diese sogenannte PCR macht man dann damit. Dann ist man mit diesem Test- Verfahren... Das hat man in Wuhan ruckzuck gehabt, weil da eben auch Topleute sind. Da ist man mit diesem Test-Verfahren wieder ins Krankenhaus gegangen. Man hat alle getestet, die gehustet haben und Bingo: Die meisten waren positiv. So war der erste Corona-Test in der Welt. Dann hat man unmittelbar sofort noch im Januar diese Ergebnisse international publiziert. Daraufhin haben dann andere Labo- re auf der Welt das nachgebaut. Die amerika- nische CDC, ein bekanntes Labor in Hongkong, in Berlin der Christian Drosten, der in Deutsch- land sehr bekannt ist. Die haben alle diese Sequenz genommen und das nachgebaut, was man in Wuhan gefunden hatte. Mit diesem Test ist auf der ganzen Welt untersucht wor- den.

Camillo Schumann

Sabrina aus Berlin, das war sie, die kleine Chronologie der Erkennung des Sars-CoV-2 Virus in drei Minuten. Da bleiben keine Frage mehr offen. Herr Martin aus Leipzig hat ange- rufen.

[0:05:16]: Herr Martin aus Leipzig

Ich bin Schlaganfall-Patient und nutze ein Be- atmungsgerät nachts. Schützt mich das Gerät vor Corona?

Alexander Kekulé

Das Gerät schützt weder vor Corona noch ist es als solches ein Risikofaktor, wenn man es richtig bedient. Ich würde mal sagen, wenn jemand ganz isoliert nur eine Schlafapnoe hat und sonst kein Problem, dann ist er deshalb kein Risikopatient. Leider ist es häufig so, dass diese Erkrankung mit anderen Problemen zu- sammenkommt. Dann müsste man mal sehen, ob unser Hörer an der Stelle vielleicht als Risi- kopatient einzustufen wäre. Sollte er vielleicht mit seinem Hausarzt mal besprechen. Die ken- nen die Liste der Erkrankungen, die da eine Rolle spielen.

[0:05:52]: Camillo Schumann Annalena hat eine Mail geschrieben. Ich bin Mutter und Erzieherin, lebe in Baden- Württemberg und habe zwei Fragen bezüglich der neuen Empfehlung der Landesregierung zum Umgang mit erkälteten Kindern in Kitas während der Pandemie. Laut dieser Empfeh- lung sollen künftig Schnupfen, leichter oder gelegentlicher Husten, Halskratzen und Tem- peratur bis 37,9 kein Ausschlussgrund in der Kita mehr sein. Dass wir nicht alle Kinder mit laufender Nase zu Hause betreut werden kön- nen, leuchtet mir als berufstätige Mutter völlig ein. Aber da inzwischen bekannt ist, dass Kin- der bei Covid19 eher leichtere Symptome auf- weisen, finde ich die anderen Kriterien schon kritisch. Die meisten Berufsgruppen können sich durch Abstand, Maske, Visier oder Plexi- glas schützen. Das ist in Kitas eher unrealis- tisch. Deshalb wäre es für uns Erzieher und Erzieherinnen der einzige Schutz, dass krän- kelnde Kinder zu Hause bleiben. Wie sehen Sie das? Was wären Alternativen? Viele Grüße.

[0:06:44]: Alexander Kekulé Also ich bin da durchaus überrascht, dass es da solche Anordnungen gibt. Es hat ja vor kurzem gerade die Bundesfamilienministerin gewagt zu sagen, dass Schnupfen kein Covid19- Kriterium sein soll. Sie hat damit dem Robert Koch-Institut widersprochen. Wenn auch Fie-

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ber und Husten nicht mehr auf der Liste sind. Dann sind da viele Fragezeichen dran.

[0:07:09]: Camillo Schumann Ich hab es kontrolliert. Das stimmt alles, was Annalena da geschrieben hat. Temperatur wirklich erst ab 38 Grad wäre ein Ausschluss- grund in der Kita. Also noch mal die Frage: Wie sehen Sie das? Wie bewerten Sie das also?

[0:07:25]: Alexander Kekulé So kann man es nicht machen. Es ist so, dass wir viele Kinder haben mit Covid19, die keine Symptome haben, aber auch viele, die Fieber unter 38 Grad haben. Gerade der Husten fehlt oft oder es ist nur leichter Husten. Oder er kommt später im Verlauf. Die haben dann erst mal ein paar Tage erhöhte Temperatur, dann irgendwann mal Husten. Das geht ja stufen- weise bei diesen Erkrankungen wie bei den meisten erkältungsähnlichen Erregern. Nur in dieser Anfangsphase sind die Kinder auf jeden Fall infektiös. Deshalb ist es meines Erachtens komplett der falsche Weg. Was man hier letzt- lich versäumt hat, ist: die Möglichkeit zu schaf- fen, dass die Kinder getestet werden. Weil spätestens, wenn das Kind auch nur die leich- testen Symptome hat, sollte es meines Erach- tens getestet werden. Wenn man das Tester- gebnis sehr, sehr schnell bekommt, dann weiß man, ob man es isolieren muss oder nicht. Stattdessen zu sagen, wir weichen die Kriterien auf und schicken die in die Kita und warten ab was passiert. Da ist mir ehrlich gesagt, ein biss- chen mulmig.

[0:08:28]: Camillo Schumann Wir haben ja in dieser Woche über asympto- matische Virusträger gesprochen. Dieser Herr hat eine sehr interessante Frage zur Teststra- tegie auf unserem Anrufbeantworter hinterlas- sen.

[0:08:38]: Zuhörer Ich habe ein Problem mit der Definition der typischen Symptome, für die man einen Corona-Test bekommt: Fieber, Husten, Kurz- atmigkeit. Mit Fieber, Husten bleibt man so-

wieso zu Hause. Wenn aber 70 – 80 Prozent der Personen asymptomatisch sind, dann müsste doch eigentlich das das Hauptsymptom sein, dass man keine Symptome hat. Das heißt, man sollte eigentlich die testen, die sich kom- plett gesund fühlen, und zwar hauptsächlich die, weil die anderen wissen ja, dass sie krank sind. Was halten Sie davon, kein Symptom als Corona-Hauptsymptom zu definieren?

[0:09:20]: Alexander Kekulé Ja, das wäre dann sinnvoll, wenn die, die keine Symptome haben, eine kleine Gruppe wären, die man gut abgrenzen kann. Ich weiß nicht, wie viele Menschen gerade in Deutschland symptomatisch rumrennen. Ich sag jetzt mal geschätzt, vielleicht 10.000 oder so. Vielleicht sind es auch 20.000. Alle anderen müssten Sie dann durch-testen. Das funktioniert praktisch nicht. Es gibt ja solche Vorschläge, dass man die gesamte Bevölkerung testen soll. In einem kleinen Inselstaat wäre es sogar etwas, was man sich überlegen könnte. Aber für so viele Einwohner wie in Deutschland ist es aus meh- reren Gründen nicht praktikabel. Erstens na- türlich teuer und aufwändig. Aber zweitens ist es auch so, dass die Tests, wenn man ganz viele Menschen hat, die negativ sind und wenn man nur Nadeln im Heuhaufen sucht. Dann sind ganz wenig positive darunter. Dann wird die Vorhersagekraft dieser Tests, wenn sie dann mal positiv sind, sehr, sehr schlecht. Das heißt, man findet dann einen großen Teil, die nur noch falsch-positive sind und beim Nach- testen beweisen die sich dann als fehlerhaft. Sodass diese ganze Strategie die gesamte Be- völkerung durchzutesten, eigentlich von den meisten Fachleuten abgelehnt wird.

[0:10:31]: Camillo Schumann Frau Franke aus Wien hat gemailt: „Ich muss Anfang September 1 Seminar mit 20 Personen halten. Der Raum ist etwa 80 Quadratmeter groß. Es gibt drei nebeneinander liegende Fenster. Sollten alle im Raum Masken tragen? Wieviel Abstand zwischen den Sesseln muss sein? Der vom Organisator empfohlene Min- destabstand von 1 Meter ist mit Einschränkun- gen beim Sprechen zu wenig. Der Pausenkaf- fee ist vermutlich auch gestrichen. Ich bin 64

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und möchte mich und die Teilnehmer natürlich bestmöglich schützen. Falls nicht machbar, dann müssen wir zoomen. Ich wäre äußerst dankbar für eine rasche Antwort. Viele Grüße, Frau Franke.“

[0:11:09]: Alexander Kekulé Also, das ist immer schwierig, in einem Einzel- fall wirklich Empfehlungen zu geben. Grund- sätzlich kann man sagen, wenn drei große of- fene Fenster sind und man davon ausgeht, dass der Luftwechsel sehr, sehr gut funktio- niert. Dass die gesamte Raumluft sich auf je- den Fall 20-Mal pro Stunde austauscht in der Größenordnung. Dann ist es so eine ähnliche Situation wie im Freien. Dann würde ich sagen, genügt 1 Meter Abstand solange man sich nicht direkt ins Gesicht spricht. Kommt darauf an, was die dort machen. Wenn die alle nach vorne auf eine Leinwand gucken und nicht miteinander groß kommunizieren, dann wäre das aus meiner Sicht unter diesen Bedingun- gen in Ordnung. Wenn aber vorgesehen ist, dass die Menschen unmittelbar miteinander sprechen oder möglicherweise der Luftwechsel nicht so in dieser Weise stattfinden kann, dann würde ich schon für das Maskentragen plädie- ren.

[0:11:58]: Camillo Schumann Herr Wichmann hatte eine Mail geschrieben. „Ich bin 64 Jahre alt. Bisher wurde im Fitness- studio meines Vertrauens bei nicht so hohen Außentemperaturen die Luft über eine ent- sprechende Anlage meines Erachtens gut aus- getauscht. Nun, bei über 30 Grad Außentem- peratur will man nur die Klimaanlage verwen- den, die ja nur die vorhandene Raumluft um- wälzt. Aber ich finde eine Abkühlung auf 19-20 Grad zu heftig. Ich bin leicht verunsichert, was einen weiteren Besuch des Studios angeht, zumal dort die Beschränkungen weiter zurück- gefahren werden. Macht die Verwendung der Klimaanlage Sinn oder treibt das die Corona- Gefährdung nur unnötig nach oben? Viele Grüße.“

[0:12:36]: Alexander Kekulé Wir wissen nicht genau, welchen Einfluss ganz normale Klimaanlagen haben. Es gibt Hinweise darauf, dass eine deutliche Runterkühlung der Raumluft in einem Bereich von zehn Grad. Dass das die Viren konservieren könnte. Das sind aber auch nur Hinweise. Das ist nicht be- legt worden. Das war dieser Ausbruch bei Tön- nies da. Da sah das so aus, als hätte das eine Rolle gespielt. Aber man hat natürlich nicht den Parallel-Versuch machen können, einmal mit Kühlung und einmal ohne Kühlung. Sodass man nicht genau weiß, ob es nur an der Um- wälzanlage lag, ob es an der Nähe der Perso- nen zueinander lag oder ob es tatsächlich auch an der Kühlung lag, dass dort in kurzer Zeit sich viele Menschen auf relativ engem Raum infi- ziert haben. Bei einem Fitnessstudio würde ich sagen ja. Wenn die Klimaanlage als Ersatz da- für dient, dass neue Frischluft reinkommt. Dann macht sie keinen Sinn, weil die normalen Klimaanlagen vor allem die, die jetzt nicht so besonders teuer gewesen sind bei der Installa- tion. Die wälzen in der Tat nur die Raumluft um, ohne Frischluft zu zuzuführen. Aber es ist auf jeden Fall zu fordern, dass der Frischluft- Anteil hoch sein muss. Oder anders gesagt zehn bis 20 Luftwechsel pro Stunde braucht man auf jeden Fall, um eine Art Lüftungs-Effekt zu haben. Den bekommt die Klimaanlage nor- malerweise nicht hin.

[0:13:53]: Camillo Schumann Herr Gogel hat uns eine Mail geschrieben. Ihn interessiert, warum in Restaurants oder ähnli- chen Einrichtungen jede zweite Toilette mit Plastikbeuteln abgeklebt sind. Macht das Sinn?

[0:14:07]: Alexander Kekulé Das hab ich mich ehrlich gesagt auch schon gefragt. Es kommt ein bisschen drauf an, wie nah die zusammen sind. Es ist ja normaler- weise so, dass die Herren der Schöpfung, wenn sie auf der Toilette sind, am Pissoir sind. Dass sie sich nicht wirklich gegenüberstehen dabei. Sodass man sich schon die Frage stellen kann. Man redet ja auch dann nicht groß miteinan- der, ob, wenn jetzt alle, also schweigend auf die Wand blicken vor sich, ob da eine große

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Infektionsgefahr besteht? Ich glaube, es gibt auch in Deutschland ... Da hat man ja für alles Maße. Es gibt Mindestmaße, wie weit Pissoirs voneinander angeordnet sein müssen. Ich würde mal sagen, wenn 1 Meter Abstand da- zwischen ist und die Menschen nicht sprechen und die auch typischerweise nicht 15 Minuten lang da sind. Das ist die Robert-Koch-Schwelle für die Infektiosität. Dann sehe ich da keine große Infektionsgefahr. Das größere Problem bei solchen Toilettenanlagen ist die stehende Luft im Raum und die Tatsache, dass man dort die Belüftung nicht so einfach hinbekommt.

Camillo Schumann

Manche bleiben da auch länger 15 Minuten am Pissoire.

Alexander Kekulé

Wenn einer am Oktoberfest das eine oder andere Maß getankt hat. Da kann man sich schon vorstellen, dass das dann länger dauert.

[0:15:20]: Camillo Schumann Herr Blach hat angerufen. Herr Blach hat eine Bahncard 100. Er ist also sehr viel mit der Deutschen Bahn unterwegs. Und bevor er sei- ne Frage stellt, versucht er sich mal als Bahn- hofs Sprecher.

[0:15:34]: Zuhörer Schön, dass Sie da sind. Mit uns kommen Sie sicher ans Ziel. So lautet zumindest die elekt- ronische Ansprache der Bahn. Allerdings bin ich als Bahncard 100 Besitzer über das Vorge- hen der Bahn, ein Beitrag zur Eindämmung der Pandemie zu formen, sehr verwundert. Denn in den Fernverkehrszügen ICE sind alle zur Verfügung stehenden Sitzplätze wieder buch- bar. Meine Frage hinsichtlich dessen, dass man Flugzeuge untersucht und analysiert. Da fehlt mir ein Konzept zur Eindämmung von Verbrei- tung von Viren-Trägern im Fernverkehr. Wie sieht Herr Kekulé das? Wie kann man sich auf Grund der nicht-pharmazeutischen Abstands- regel, die aufgehoben ist, schützen. Meinen besten Dank.

[0:16:24]: Camillo Schumann Herr Blach bemängelt, dass alle Plätze bei der Bahn voll buchbar sind. Ich habe die Presse- stelle der Deutschen Bahn kontaktiert und folgende Antwort habe ich erhalten:

[0:16:33]: Zitat Deutsche Bahn Wir achten bereits im Buchungsprozess ver- stärkt darauf, dass wir unsere Züge möglichst gleichmäßig auslasten und im ganzen Zug aus- reichend Sitzplätze ohne Reservierungen vor- halten. Um Kunden bereits beim Buchen die Orientierung zu erleichtern, hat die DB eine neue Auslastungsanzeige eingeführt. Kunden sehen auf bahn.de und in der DB Navigator App, sobald ein Fernverkehrszug zu mehr als 50 Prozent ausgelastet ist. Die Zahl der Reser- vierungen wird begrenzt. Bei Zügen mit vo- raussichtlich sehr hoher Auslastung kann der Ticketverkauf zudem ausgesetzt werden. Da unsere Kunden auch die Möglichkeit haben müssen, gemeinsam zu reisen, beispielsweise als Familie, schränken wir die Reservierungs- möglichkeiten von nebeneinander liegenden Sitzplätzen nicht ein. Jeder Kunde hat aber, mit Hilfe der grafischen Sitzplatzreservierung, die Möglichkeit, sich seinen Wunschsitzplatz zu reservieren.

10 [0:17:25]: Camillo Schumann Das heißt also, online sind unter Umständen nicht alle Sitzplätze reservierbar. Durch ein- steigende Fahrgäste sind die freien Plätze dann doch wieder belegt und man hockt aufeinan- der.

Alexander Kekulé

Ich kann ganz praktisch berichten: knallvolle Züge gibt es bei der Bahn. Das ist einfach so. Warum gibt es da kein allgemeines Konzept? Es ist so, dass in der Luftfahrt das Thema Raumluft natürlich hochkam und eine Hoch- leistung der Ingenieurkunst darstellt. Auch seit Beginn der ganzen Jet-Flugzeuge ein Rie- senthema war. Deshalb hat man diese Luft- Kontrollsysteme im Griff. Da weiß man, welche Luftwechsel da sind, wie häufig die das ma- chen, wie die Luft verteilt wird. Es gibt auch Vorschriften dafür. Bei der Bahn ist es so, da ist

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ja schon fast jeder Waggon anders. Die ver- schiedenen Generationen der ICEs haben un- terschiedliche Lüftungssysteme. Wenn Sie dann im D-Zug umsteigen, ist es wieder kom- plett anders, sodass man sehr, sehr viel For- schungsarbeit erst mal machen müsste, um festzustellen, wie sind die ganzen Lüftungssys- teme. Wir wissen, wo das mal sehr gründlich gemacht wurde. Interessanterweise bei den U- Bahnen in den USA. Da hat man festgestellt, dass die Belüftung gar nicht so schlecht ist, weil die durch den Tunnel fahren und quasi durch die Fahrt im Tunnel selbst belüftet wer- den. Ähnliches gibt es aber meines Wissens für fahrende Züge im Freien nicht. Wir können nur schätzen, wie die Belüftungs-Situation ist, wie die Luftwechsel sind. Klar ist, dass jede Art von Klimaanlage immer nur einen relativ kleinen Teil von Frischluft hat. Das ist aber von System zu System unterschiedlich. Deshalb gibt es da keine allgemeinen Richtlinie oder Empfehlun- gen. Ich glaube, das Hauptproblem ist tatsäch- lich nicht so sehr die unmittelbare Kontaktin- fektion von jemandem, der neben einem sitzt. Das geht jetzt nicht in Richtung der Frage: Soll man die Sitze auslasten oder nicht? Sondern das Problem ist: Wie viele Personen sind pro Kubikmeter Raum zusammen? Und wie oft wird in diesem, in dieser Raum-Einheit die Luft gewechselt? Ich glaube definitiv, dass es bei der Bahn da Situationen gibt, die gefährlich oder bedenklich sind. Das ist ganz klar. Das heißt, die einzig richtige Antwort darauf ist: Wer mit der Bahn fährt und wer sich schützen will, der sollte eine FFP2-Maske dabei haben. Der sollte die wirklich auf haben die allermeis- te Zeit während der Fahrt.

[0:19:51]: Camillo Schumann Noch einmal auf die Sitzplätze zu kommen. Da müsste doch eigentlich per Ihrer Definition die Hälfte, wenn nicht sogar zwei Drittel der Plätze nicht belegt werden, damit man dann auf die- ses Verhältnis von Fahrgast zu Volumen kommt. Oder?

1[0:20:06]: Alexander Kekulé Ja, das kann man so ganz pauschal leider nicht sagen. Bei Flugzeugen habe ich mich ja dafür ausgesprochen, zwischen den Reisegruppen

immer einen Platz freizulassen. Das haben die Fluggesellschaften aus ökonomischen Gründen abgelehnt. Bei den Flugzeugen ist so, dass die Rahmenbedingungen relativ klar sind. Da kann man das kalkulieren, ob das sinnvoll oder not- wendig ist. Bei den Zügen fehlen eben die Rahmendaten. Aber ich sag mal so als Dau- menpeilung da wäre das natürlich sinnvoll, auch hier die Züge nicht komplett vollzuma- chen. Zumal man einfach sagen muss, de facto gibt ist da nun wirklich Züge, die sind auch jetzt in der Corona-Krise komplett überfüllt. Also es gibt ja Situationen, da muss der ICE stehen- bleiben, weil irgendein technisches Problem besteht. Alle müssen aussteigen. Dann kommt der D-Zug auf ein anderes Gleis und nimmt die ganzen Leute mit. Da sitzen die Leute dann im wahrsten Sinne des Wortes zum Teil überei- nander. Das ist vollkommen klar, dass da die Kapazität, die man epidemiologisch empfehlen würde, in Zeiten, wo eine solche Viruserkran- kung grassiert, ganz klar überschritten werden.

[0:21:14]: Camillo Schumann Wenn ich Ihnen so zuhöre und das Problem bei der Deutschen Bahn vor Augen führe, dann kommt man eigentlich zu dem Schluss: Es gibt nicht das Hygienekonzept, mit dem alle ge- schützt werden.

1[0:21:25]: Alexander Kekulé Das ist genau so. Ich weiß auch nicht, ob man das von der Bahn fordern muss. Da gibt es ja auch wieder Subunternehmer, die zum Teil die Nebenstrecken bedienen. Ob man von all de- nen fordert, jeden Waggontyp einzeln zu prü- fen und die Lüftungstechnik zu überprüfen. Dass daraus dann irgendwelche Ableitungen getroffen werden. Ich glaube, es wäre sinnvoll, insgesamt eine Höchstkapazität festzulegen, die pauschal sein sollte. Letztlich kann man pro Quadratmeter Waggon-Fläche gehen. Man kann sagen: „Das ist die Höchstgrenze, die wir an Belegung zulassen.“ Dass man parallel die Empfehlung ausspricht, dass die Menschen, die auf Nummer sicher gehen wollen, sich hier mit FFP2-Masken schützen. Das Problem ist ja, dass in der Bahn auch das Tragen normaler Masken, also Mund-Nasen-Schutz, empfohlen wird. Aber es ist nicht so, dass der Schaffner

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rumgeht und das kontrolliert. Viele Menschen halten sich da auch nicht mehr dran. Gerade wenn man isst und trinkt. Da ist ja schon von vornherein auch bei der Empfehlung klar, dass man die Maske abnehmen darf. Wenn man schaut bei so einer längeren Reise, da gibt es aber ganz schön viele Leute, die mehr oder minder durchgehend essen und trinken. Dadurch ist dieses Hygienekonzept als solches noch nicht so perfekt.

[0:22:44]: Camillo Schumann Das war das Kekulés Corona-Kompass Hörer- fragen Spezial. Herr Kekulé vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 18. August wieder. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Sie auch, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns:

mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

Alle Folgen von Kekulés Corona-Kompass auch als Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 11.08.2020
#94: Kekulés Corona-Kompass 


Camillo Schumann, Moderator
MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte
Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle



1 [0:00:03]:

MDR Aktuell: Kekulés Corona-Kompass


Camillo Schumann:

Donnerstag, 13. August 2020. 

1. Auch Kita-Personal soll getestet werden. Und was ist mit den Kindern? 

2. Kinder im Falle eines positiven Falles in der Kita von der Familie fernhalten. Diese Anordnung mehrerer Gesundheitsämter sorgt für Aufregung. Übertreiben es die Behörden dann? 

3. Wie infektiös sind Menschen, die an Covid19 erkrankt sind, es aber nicht merken? Und warum gibt es so viele asymptomatische Virusträger? 

4. Und: Was ist von einem Corona-Salzwasser-Gurgel-Test zu halten? 


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus.


Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.


Alexander Kekulé:

Guten Tag, Herr Schumann. 


Camillo Schumann:

Wir fangen mal mit einer Aussage von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey an.




3 [0:01:06]:

„Wir haben ein großes Ziel, nämlich dass die erneute flächendeckende Schließungen von Kitas und Kindertagespflege unbedingt verhindert werden sollen.“


4 [0:01:16]:

Camillo Schumann:

Herr Kekulé aber besteht überhaupt die Gefahr einer flächendeckenden Kita-Schließung? 


Alexander Kekulé:

Das hoffe ich mal nicht. Das wäre ja wieder ein neuer Lockdown. Ich glaube, was sie letztlich meint, ist: Sie will verhindern, dass viele Kitas schließen. Flächendeckend hieße ja, dass man es von oben nach unten anordnet. Das ist, glaube ich, im Moment nicht beabsichtigt.


Camillo Schumann:

Im Moment fährt man ja die Strategie, lokal zu analysieren und dementsprechend an die Konzepte anzupassen, also über mehrere Bundesländer hinweg sozusagen Maßnahmen zu ergreifen. Es steht eigentlich nicht auf dem Plan.


5 [0:01:50]:

Alexander Kekulé:

Nein, das nicht. Und ich finde es auch gut, dass man das lokal differenziert zieht. Es kommt ja auch immer auf die Möglichkeiten an, die man hat. Die eine Kindertagesstätte hat viel Platz und viele Betreuer und kann die Kinder auch gut voneinander trennen und das dem Gesundheitsamt deutlich machen, wie das funktioniert. Und andere sind am Limit und haben nicht so viele Möglichkeiten. Je nach dem, wie man die dann aufgestellt, sind natürlich auch die Maßnahmen, die man im Falle eines positiven Tests ergreifen muss, unterschiedlich.


6 [0:02:19]:

Camillo Schumann:

Damit Kita-Schließungen kein Thema werden, hat Bundesfamilienministerin Giffey angeregt, dass sich auch Erzieherinnen und Erzieher testen lassen können.


3 [0:02:27]:

„An dieser Stelle sind die Länder als Arbeitgeber der Erzieherinnen und Erzieher in der Pflicht, dann auch genauso wie für die Lehrerinnen und Lehrer zu ermöglichen, dass eben dieser Aspekt von Arbeits- und Gesundheitsschutz auch realisiert werden kann. Die Tests selber müssen natürlich aus den entsprechenden Landeshaushalten finanziert werden.“


6 [0:02:46]:

Das war ja ein richtiger Appell der Ministerin. Kommen diese Tests der Erzieherinnen und Erzieher zum derzeitigen Zeitpunkt nicht ein bisschen spät?


7 [0:02:55]:

Alexander Kekulé:

Naja, gut, es sind ja in vielen Ländern noch Ferien. Und zum Teil machen die Kitas auch Ferien. Ich glaube, wir sind in einer Entwicklung, die wir im perspektivisch im Herbst sehen müssen. Im Moment wird ja vieles damit gelöst, dass man die Fenster aufmacht, dass man die Kinder draußen spielen lässt, dass man zumindest eine Lüftungspausen hat und ähnliches. Wenn es aber dann kalt ist, wird das alles nicht mehr möglich sein. Und dafür müssen wir uns jetzt wappnen. Was ich mich so ein bisschen frage, ist also: Die Erzieher, die Erwachsenen, die wissen ja, wie man sich schützt. Die dürfen sich jetzt also testen lassen, und die Kinder werden da zusammengesteckt und werden nicht getestet. Und wenn sie nach Hause kommen, stecken sie möglicherweise ihre Familien an. Da sehe ich eine gewisse Diskrepanz, ehrlich gesagt.


9 [0:03:44]:

Camillo Schumann:

Den systematischen Test für Kinder soll es erst geben, wenn es einen Corona-Fall in der Kita gibt. Dann sollen auch Kindererzieherinnen, Erzieher und Eltern getestet werden. 


Alexander Kekulé:

Naja, das ist halt immer die Frage: Geht man proaktiv oder reaktiv vor, sagt man: Uns ist es egal, was die Tests kosten. Wir schaffen billige Schnelltests ran und machen die im Vorhinein, um zu verhindern, dass es Ausbrüche gibt, um zu verhindern, dass Kitas geschlossen werden müssen und die Eltern dann zuhause bleiben müssen und was da alles hinten dranhängt. Oder sagt man nur: Wir machen erst einmal auf, sehen, war passiert und schicken dann alle in Quarantäne. Und die Eltern, die dann vielleicht gerade wieder angefangen haben zu arbeiten, müssen dann auch wieder in Quarantäne gehen oder in Isolierung, je nachdem, ob sie schon getestet wurden. Da bin ich gegen diesen reaktiven Ansatz. Vor allem, weil ja auch einmal die Zeitschiene dabei ist. Reaktiv heißt ja auch: Ich muss erst einmal ein Testergebnis haben. Und Testergebnisse dauern ein paar Tage. Bis ich ein Ergebnis  habe, hat derjenige vielleicht schon andere infiziert und hat sich die Sache weiter ausgebreitet. 


Darum verstehe ich nicht, warum man nicht insgesamt auf die proaktive, sozusagen präventive Strategie umschwenkt. Denn das ist praktisch gesehen eine Wunschvorstellung, die man da in Berlin offensichtlich hat, dass die Kinder in Gruppen wirklich getrennt werden. Klar ist ja, die können die Hygieneregeln nicht einhalten. Das heißt: Ein krankes Kind in der Gruppe heißt ganze Gruppe muss zu Hause bleiben. Aber praktisch gesehen in den Randzeiten in der Kita die Gruppen zusammengelegt, weil nicht mehr so viele Betreuer da sind. Dann gibt es Betreuer, die krank sind. Das ganz große Thema, auf das ich mich im Herbst schon freue ist: Ja, was machen wir mit Kindern, die so leicht krank sind? Ja, wo die Nase läuft oder sonst was? Das ist alles ungelöst bisher. Dann zu sagen, nur die Betreuer werden getestet und die Kinder nicht, ist zu kurz gedacht. 



Camillo Schumann:

Franziska Giffey hat auch gesagt, die laufende Nase ist kein Kriterium. Also müssen die Kinder dann nicht zwangsläufig zu Hause sein. Das hat sie dann, dass dieser Woche auch noch einmal gesagt.


Alexander Kekulé:

Ui, das sagt sie als Bundesministerin? Da sind die Länder zuständig. Gesundheit ist Ländersache, und da muss ich daran erinnern, dass das Robert Koch-Institut auf dem Standpunkt steht, dass ein normaler Schnupfen beim Kind ein Zeichen für Covid19 sein kann. Da gab es ja eine auch eine öffentliche Diskussion zu dem Thema, wo einige Virologen-Kollegen sich klar auf die Seite des RKI geschlagen haben. Da müsste jetzt das Robert Koch-Institut meines Erachtens mal Stellung beziehen, denn wenn eine Bundesministerin jetzt dem RKI widerspricht, ist das eine Sache, die muss man mal ausdiskutieren muss.


Camillo Schumann:

Wir sind gespannt, ob es diese Reaktionen gibt. Sie haben es angesprochen: Reaktiv zu reagieren, steigert die Gefahr von Quarantänemaßnahmen. Und wenn es dann so ist, dann sieht es für Kinder ein bisschen traurig aus. Stellen Sie sich ein Kind von 4 Jahre vor, das allein in Quarantäne zu Hause sitzt, allein im Zimmer hockt. Es darf nicht in die Kita, keine Freunde treffen, keine Familienmitglieder. Es muss in seinem Zimmer alleine frühstücken, Mittag essen, Abendbrot ebenfalls. Na ja, wie hört sich das für Sie?


11 [0:07:08]:

Alexander Kekulé:

Es hört sich gruselig an, als wäre es vielleicht so ein hübsches Plastikzelt von Ikea. Da gibt es welche, wo die Kinder gerne drin sitzen. Aber es hört sich abgesehen von dem kleinen Spaß nach Isolationshaft an. Da wäre ich vorsichtig. 


2 [0:07:22]:

Camillo Schumann:

Genau über so eine Isolationshaft oder Quarantäne-Anordnung wird heftig diskutiert. Es gibt mehrere dieser Art, unter anderem in der Region Hannover. In der Anordnung, heißt es, und die liegen uns auch alle vor. „Die häusliche Absonderung bedeutet, dass ihr Kind in der Wohnung beziehungsweise dem Haushalt möglichst eine räumliche und zeitliche Trennung zu allen im Haushalt lebenden Personen einhalten soll, indem sie und ihr Kind sich in unterschiedlichen Räumen aufhalten, keine gemeinsamen Tätigkeiten ausführen und insbesondere ihre Mahlzeiten nacheinander oder räumlich getrennt voneinander einnehmen.“ Für den Kinderschutzbund ist das psychische Gewalt. Was ist es für Sie?


5 [0:08:03]:

Alexander Kekulé:

Ich bin jetzt kein Psychologe, aber das erscheint mir doch ein bisschen übertrieben. Ich würde gleich mal fragen: Was ist es mit Kindern, die gestillt werden? Die gibt es ja durchaus auch. Wie man das dann in räumlicher Trennung machen muss. Dann muss man die Milch in Flaschen abfüllen und vielleicht einen Roboter hinstellen. Ich glaube, da hat jemand ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen. Es gilt ja für die Hörer dieses Podcasts zumindest der Grundsatz: Man soll niemanden umarmen, mit dem man nicht bereit ist, Viren auszutauschen. Und das, glaube ich, gilt in so einer Familie natürlich auch. Man kann sich von dem eigenen Kind anstecken. Und ich meine, dann müssen die Eltern wirklich entscheiden, ob sie dieses Risiko in Kauf nehmen oder nicht. Das machen sie bei anderen Erkrankungen auch. Es ist ja nicht so, dass Covid19 die einzige Krankheit wäre, wo Eltern gefährdet sind, wenn sie sich anstecken. Und ich glaube, das muss man den Eltern überlassen. Ob sie jetzt sagen, das Risiko nehme ich in Kauf oder nicht? Klar ist: Wenn die Eltern ein krankes Kind, also ein Kind in Isolierung haben oder eins in Quarantäne haben in der Wohnung, dass sie dann, solange das Kind möglicherweise ansteckend ist, selber nicht zur Arbeit gehen dürfen und sich mitisolieren müssen. Aber ich glaube, diese gemeinsame Familienisolierung - das hat man ja in München bei dem Webasto-Fall auch gemacht - ist meines Erachtens die richtige Antwort in so einem Fall.


4 [0:09:25]:

Camillo Schumann:

Sind diese formalen Kriterien, die ja vorgegeben werden vom Robert Koch-Institut, in diesem Fall ein wenig zu streng umgesetzt?


8 [0:09:34]:

Alexander Kekulé:

Die formalen Kriterien sind ja im Fluss. Man muss unterscheiden zwischen Isolierung und Quarantäne. Quarantäne ist, wenn nur ein Kontakt bestanden hat. Da hat man ja bis vor Kurzem gesagt: 14 Tage Quarantäne. Da ist inzwischen eigentlich der Standard inzwischen. Man wartet ein paar Tage, nach Möglichkeit 5 Tage nach dem möglichen Kontakt. Und dann macht man einen Test. Und vielleicht macht man den Test dann noch mal 24-Stunden später. Und sind beide Testergebnisse negativ, kann man die Quarantäne nach 5-6 Tagen beenden. Bei der Isolierung sind es Menschen, die positiv getestet wurden. Da hat man früher gesagt: mindestens 2-3 Wochen. Da ist nach den aktuellen Richtlinien der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC diese Isolationszeit verkürzt worden auf 10 Tage. Und auch da kann am Schluss ein Test helfen. Die Daten sehen eher so aus, als ob die Menschen nach 8 Tagen schon nicht mehr infektiös sind, selbst wenn sie mal positiv getestet wurden. Und in diesem Rahmen kann man das stark verkürzen. Und dann kann man dafür sorgen, dass die Kinder nicht alleine sind, sondern wenige Tage eben mit einem Elternteil vielleicht allein gemeinsam sich isolieren oder in Quarantäne begeben. Und das Ganze abkürzen, indem am Schluss getestet wird. All diese Dinge sind in der Diskussion. Ich nehme auch an, beim Robert Koch-Institut aber noch nicht in die endgültigen Empfehlungen eingeflossen.


4 [0:10:57]:

Camillo Schumann:

In diesem Fall betrifft dass Kinder, die in einer Kita möglicherweise Kontakt zu einem Kind mit Covid19 hatten oder zu einer anderen Person, die sozusagen nicht selber schon erkrankt sind, sondern nur im Verdacht stehen, Kontakt zu haben. Also ist sozusagen der Unterschied zwischen Quarantäne und Isolation vielleicht ein bisschen eng gegriffen?


12 [0:11:20]:

Alexander Kekulé:

Nein, das ist in dem Fall eine Kontaktperson, die nicht positiv ist, das ist dem Fall vom Begriff her eine Quarantäne. Das war ursprünglich mal die Idee, dass man die Leute eben 40 Tage eingesperrt hat, um zu gucken, ob sie krank werden. Das kommt ja noch aus dem Mittelalter. Und heute ist das Ganze etwas moderner, sodass man die Menschen nur noch einige Tage unter Quarantäne hält. Sinnvoll ist hier, 5 Tage nach dem Kontakt zu warten, weil nach 5 Tagen nach dem Kontakt die allermeisten krank  werden, wenn sie sich angesteckt haben. Und wenn dann jemand keine Symptome hat und in der PCR negativ ist. Und man wartet dann noch 48 Stunden, macht einen 2. Test, dann kann man mit einer epidemiologisch vollkommen hinreichenden Sicherheit sagen, dass man jemanden wieder zurück in die Kita oder zur Arbeit lassen kann. 

Camillo Schumann:

Aber unterm Strich, ist diese Anordnung streng ausgelegt?


Alexander Kekulé:
Ich glaube nicht, dass das so umgesetzt wird. Da hat irgendjemanden den Amtsschimmel geritten, und da hat er irgendwie 1:1 die Vorschriften abgeschrieben. Solche Sachen sind gefährlich. Da gibt es Beispiele, dass in Baden-Württemberg in Parks das Maskentragen zum Teil angeordnet wurde im Freien. Eines meiner Lieblingsbeispiele ist, dass eine amerikanische Firma allen Ernstes vorgeschrieben hat, dass Teilnehmer von Zoom-Konferenzen, also von Videokonferenzen, eine Maske zu tragen haben, auch wenn sie allein im Raum sind. Das ist kein Witz. Solche Sachen gibt es, das sind eben die Blüten, die solche Regelungen treiben. Da müssen wir aufpassen, weil wir ein auf Konsens basiertes System haben in Deutschland. Wir haben zwar Anordnungen, aber ob die am Ende des Tages befolgt werden, ist individuell begründet. Und wir müssen diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt und diesen Konsens und das Verständnis für die Maßnahmen aufrechterhalten. Das ist das Wertvollste, was wir haben. Und das können wir kaputt machen, indem wir so übertriebene Maßnahmen anordnen. Eine von diesen geht meines Erachtens in die Richtung der gefährlichen Anordnung ist, dass die Kinder ganz alleine in Isolation oder in Quarantäne sollen.


4 [0:13:35]:

Camillo Schumann:

Das lassen wir mal so stehen, Herr Kekulé. Wir kommen wir zu einem Themenkomplex asymptomatische Krankheitsverläufe, also Menschen, die das Virus in sich tragen, aber von einer Erkrankung nicht viel mitbekommen, bestenfalls sogar gar nichts. Und 2 große Fragen stellen sich zum einen: Warum gibt es so viele Menschen, die keine Symptome haben? Und die 2. große Frage: Sind asymptomatische Virusträger genauso oder weniger infektiös wie Menschen, die auch Symptome zeigen und die Krankheit mit allem Drum und Dran durchmachen? Wir haben ja sporadisch immer mal wieder im Podcast drüber gesprochen. Es gibt zumindest neue Erkenntnisse, die die Frage nach dem Warum ein wenig präzisieren?


13 [0:14:15]:

Alexander Kekulé:

Ja, und die Zahl der asymptomatisch Erkrankten landet jetzt ziemlich deutlich bei 40%. Das sind im letzten Monat Juli jetzt gerade die aktuellen Untersuchungen der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC gewesen. 40% von allen Infizierten sind asymptomatisch. Das ist schon ein relativ großer Anteil. Der kann sich auch noch steigen. Ein bisschen ist es auch meine persönliche Fieberkurve bei der ganzen Epidemie. Am Anfang habe ich gehofft, dass 90% asymptomatisch sein würden. Dann gab es zwischendurch Untersuchungen, die wieder in die andere Richtung gehen, dass das nur wenige sind. Jetzt scheinen es doch wieder mehr zu sein.  Je mehr asymptomatisch Infizierte wir haben, desto mehr Menschen immunisieren sich, ohne dass es zu Erkrankungen kommt und ohne dass wir sie impfen müssen. Und das ist natürlich eigentlich zunächst mal eine gute Nachricht. 


Woran das liegt, darüber wird seit Anbeginn dieser ganzen Epidemie gestritten. Das gab es ja auch schon bei dem 1. Sars-Virus. Da gab es auch asymptomatische Verläufe, gar nicht so wenige, wo man sich auch gefragt hat: Wie kann das sein, dass einige so schwerstkrank sind und sterben und andere überhaupt nichts davon spüren? Und ich habe das Gefühl, dass bei dieser Covid-Pandemie diese Grundfrage, die in der gesamten Virologie eine Rolle gespielt hat, der Lösung ein deutliches Stück näher gebracht wird. 


Camillo Schumann:

Und die Lösung ist scheinbar eine Erkältung, die jeder schon einmal durchgemacht hat?


Alexander Kekulé:

Na, das wissen wir nicht genau. Es gibt tatsächlich jetzt mehrere Diskussionen, wie wieso was sein kann. Das eine, was ganz nahe liegend ist und immer wieder diskutiert wird, ist die Infektionsdosis. Wir wissen, dass Menschen, die viele Viren auf einmal abkriegen, unter Umständen ihr Immunsystem an der Infektionsstelle überfordern und es dadurch zu einer schnellen Verbreitung des Virus im Körper kommt. Also dass es nicht am Anfang lokal begrenzt wird und dadurch die Krankheit schwerer verlaufen kann. Das kennen wir von anderen Virusinfektionen. Und deshalb ist es durchaus möglich, dass das hier bei Covid19 auch so sein könnte. 


In dem Zusammenhang wird dann diskutiert, dass Gesichtsmasken möglicherweise etwas bringen, weil die, wenn man sich überhaupt infiziert, auf jeden Fall die Infektionsdosis verringern. Man hat dann weniger Viren. Und es gibt tatsächlich einige Studien, die sagen, dass Menschen, die sich trotz Gesichtsmaske infiziert haben, dass die leichtere Verläufe hatten. 


Dann gibt es die Idee, dass möglicherweise der Allgemeinzustand eine Rolle spielt. War man vorher krank oder nicht, ist man jung oder alt. Die ganze genetische Frage, vielleicht Blutgruppen, und was wir alles diskutiert haben, bis hin zu anderen Impfungen in der Kindheit zu einer Art Immunschutz verleitet haben. Das wird schon ewig diskutiert, wir hatten ja diese Fälle in Deutschland, wo in Asylbewerberheimen viele Menschen infiziert waren, aber keiner krank wurde, keine Symptome gezeigt hat. Das Gleiche gab es in Griechenland in verschiedenen Migranten-Auffangstationen. So etwas Ähnliches gibt es aber auch in den USA. Man hat in mehreren Bundesstaaten Gefängnisse untersucht mit über 3.200 Infizierten. Das ist eine Ansage, so viele Infizierte im Gefängnis in USA. Aber 96%, also fast alle, hatten in den Gefängnissen keine Symptome. Und da könnte man lange drüber reden. Wir haben ja auch kürzlich über Mumbai und Delhi in Indien gesprochenen. Es zeichnet sich ab, dass ein Faktor von vielen ist, dass die Menschen möglicherweise, wenn sie immun sind, vorher Infektionen mit anderen Coronaviren durchgemacht haben. Das ist aber nur eine Möglichkeit von mehreren. Und dafür verdichten sich im Moment die Daten.


4 [0:17:59]:

Camillo Schumann:

Mit anderen Worten: Die These, dass man schon mal eine Erkältung durchgemacht hat in den vergangenen Jahren, kann nur zuträglich sein, um Sars-CoV-2 besser zu überstehen.


Alexander Kekulé:

Das ist die Überlegung. Das kennen wir übrigens auch von der Influenza. Da ist es auch so wenn sie immer wieder eine Grippe durchgemacht haben und dann die nächste Grippe kriegen, verläuft die nicht mehr so schwer wie die ersten. 


Wir haben vor einiger Zeit über eine Arbeit gesprochen, die von einer Gruppe von einem Institut für Immunologie aus La Jolla erschienen ist. Die haben damals schon gesagt, dass von den Menschen, die Sars-CoV-2 abgekriegt haben, 100% Prozent diese CD4-Zellen, also diese T-Helferzellen haben, die in der Lage sind, später noch das Virus abzuwehren, falls es mal zu einer Infektion kommt nochmal. Das war ein wichtiger Hinweis darauf, dass so eine Impfung eine Chance auf Erfolg hat, obwohl wir wissen, dass diese Antikörper, die man messen kann, das IGG, nach 2-3 Monaten bei vielen wieder verschwinden. Aber diese zelluläre Antwort, diese weißen Blutzellen, die sich spezialisiert haben auf SARS CoV-2, die bleiben aber offensichtlich. Und die sind bei denen, die die Krankheit durchgemacht haben, praktisch immer nachweisbar. Und die gleiche Studie aus La Jolla, das ist ein Ort an der Küste in Kalifornien, hat eben damals überraschenderweise gezeigt, dass ungefähr die Hälfte der Menschen, die nicht jemals mit dem Sars-CoV-2-Virus Kontakt hatten, trotzdem halbwegs immun ist. Und das war natürlich ein bisschen mysteriös. 


Eine ähnliche Studie gab es auch an der Charité in Berlin. Die wurde gemeinsam mit der Technischen Universität gemacht. Und aktuell hat die Gruppe aus La Jolla noch mal nachgelegt. Die haben gesagt: Okay, jetzt wollen wir es genau wissen. Jetzt wollen wir mal nachschauen. Sie ist gerade vor ein paar Tagen in der „Science“ erschienen. Sie sagen: Jetzt wollen wir mal nachschauen, was ist es denn genau, was diese Immunzellen da erkennen, die da an einen Schutz machen vor Sars-CoV-2, obwohl die Menschen noch nicht mit diesem Virus infiziert waren. Und da haben sie etwas gemacht, was wir Epitope Mapping nennen. Das ist eine Art, eine Landkarte zu erstellen von den Dingen, die die Immunzellen auf dem Virus 

erkennen können. Da kann man feststellen, was „sieht“ das Immunsystem bei dem Virus? Man hat dann festgestellt, dass das, was bei dem Sars-CoV-2 erkannt wird, identisch ist mit dem, was die gleichen Zellen erkennen bei den 4 anderen Coronaviren, die ja schon lange zirkulieren und normale Erkältungen machen. Das heißt also, diejenigen, die Immunzellen haben, die gegen das neue Virus sind, haben diese Immunzellen höchstwahrscheinlich deshalb - zumindest bei den Patienten, die untersucht wurden , weil sie früher schon mal ein anderes Coronavirus, also ein normales Erkältungsvirus, „gesehen“ haben. 



Camillo Schumann:

Laut der Studie hat man 142 Merkmale identifiziert. Eine ganz schöne Sysiphus-Arbeit, oder?


Alexander Kekulé:

Das ist nicht so einfach. Aber es eine der interessantesten Teile der Virologie heutzutage, dass man feststellen kann, was „sieht“ eigentlich das Immunsystem auf so einem Virus, was erkennt es da? Was ist sozusagen sein typisches Muster, auf das es anspringt. So wie der Stier angeblich auf das rote Tuch. Wir wissen alle, dass hat mit der Farbe nichts zu tun. Aber so kann man das bei den Viren auch testen. Und dann hat man diese 142 Merkmale. Da kann ich nur sagen, dass es echte Fleißarbeit gewesen. Da hat man diese 142 Merkmale genommen und geguckt bei den Patienten, die immun sind, die Immunität haben gegen Covid19, ohne dass sie das Virus jemals gesehen haben. Woher haben Sie diese Merkmale also? Womit decken sich diese Merkmale? Und dann hat man festgestellt: Das deckt sich mit Erkennungsregionen auf den ganz normalen 4 Coronaviren, die sowieso zirkulieren. 


Und diese Affinität, wie wir sagen, also die Stärke, mit der das Immunsystem auf dieses Merkmal losgeht, ist tatsächlich exakt gleich stark gewesen, sowohl für das neue Virus als auch für diese 4 bekannten Erkältungsviren. Und das sind alles zusammen deutliche Hinweise. Ich will es jetzt noch nicht als endgültigen Beweis sehen. Aber er sind deutliche Hinweise, dass Menschen, die Infektionen mit den normalen Erkältungsviren durchgemacht haben, zumindest eine Zeit lang danach auch eine Teilimmunität gegen Sars-CoV-2 haben. Das könnte vielleicht sogar erklären, warum Kinder seltener krank sind: Weil die ständig solche Erkältungsviren abkriegen und dadurch das Immunsystem noch frisch auf diese anderen Erkältungsviren aktiviert ist. Es könnte durchaus sein, dass das eine Rolle spielt. Aber mit Kindern speziell wurde in der Studie noch nichts untersucht. 


Camillo Schumann:

Ich überlege gerade, was das jetzt für den praktischen Alltag für unsere Podcast-Hörer bedeuten könnte. Da können Sie mal in sich gehen, ob sie, ob sie schon von den 4 Coronaviren heimgesucht wurden.


Alexander Kekulé:

Man darf sich jetzt nicht in Sicherheit wiegen, bloß weil man jedes Jahr so viel krank gewesen ist. Wahrscheinlich kann mir das Virus nichts mehr anhaben. Das können auch andere Viren gewesen sein. Im praktischen Alltag würde ich davor warnen, sich jetzt in Sicherheit zu wiegen, weil man sowieso ständig krank war, dass einem dieses Virus vielleicht nichts mehr tut. 


Aber es hat 2 verschiedene wichtige Implikationen für die Wissenschaft. Die eine ist: Man kann ziemlich klar sagen, dass diese über zell-vermittelte Immunität eine große Rolle spielt bei der bei der Impfstoffentwicklung. Deshalb ist es extrem wichtig, ein Impfstoff zu entwickeln und auch daraufhin zu testen, dass er wirklich diese zell-vermittelte Immunität macht und nicht so sehr diese Antikörper, die wir vorher so stark im Auge hatten. Und das 2. ist, dass wir einen Test entwickeln könnten, um festzustellen: Ist der eine oder andere jetzt empfänglich für Sars-CoV-2, ja oder nein? Das würde viel bringen, bevor man den Impfstoff hat. Da kann man dann sagen: Der und der ist sowieso immun? Da müsste man keine Angst haben, dass die sich anstecken oder wenn sie sich anstecken, dass sie schwer erkrankten. 


Camillo Schumann:

Die anschließende Frage sind Menschen, die Covid19 nicht merken oder fast nicht merken, auch weniger infektiös und somit für andere weniger gefährlich? Da kann eine koreanische Studie zumindest einen Hinweis geben. 


Alexander Kekulé:

Ja, da gibt es ja inzwischen ganz viele Untersuchungen, die in verschiedene Richtungen gehen. Ganz grob muss man leider sagen: Bei diesem Virus deutet alles darauf hin, dass auch Menschen, die überhaupt keine Symptome haben, diese asymptomatischen Infizierten, dass auch die hochansteckend sind. Ich bin da nicht so glücklich darüber, weil es eine Ausnahme ist. Bei den allermeisten Virusinfektionen ist es so, dass Menschen, die schwer krank sind, einfach deutlich infektiöser sind. Bei Ebola beispielsweise hat jemand, der schwer krank ist, dem es richtig schlecht geht, auch deutlich mehr Viren ausgeschieden. Und da war ganz klar, dass das diejenigen sind, die die meisten angesteckt haben. 


Es deutet sich aber an, dass es bei diesem Sars-CoV-2-Virus so eine Art Ausnahme gibt, dass also Menschen, die schwer krank sind, ähnlich viel oder weniger Virus ausscheiden wie Menschen, die keine Symptome haben.


Da gibt es jetzt eine gerade erschienene neue Studie dazu. Aber es gibt relativ viele. In einer Studie vom 6. August 2020, die ist noch ganz frisch, hat eine Arbeitsgruppe aus Südkorea eine neue These publiziert. Die haben 303 Patienten nachuntersucht, die im März in einem Community Treatment Center in so einem Behandlungszentrum, also kein großes Krankenhaus, sondern so ein kleineres Zentrum. Das waren keine schwerkranken Patienten. Die meisten von denen hatten sehr leichte Verläufe und 30% von denen - das passt jetzt zu den aktuellen Zahlen ungefähr - waren tatsächlich auch asymptomatisch, die hatten überhaupt keine Symptome. Und da hat man 2 Sachen festgestellt: Das eine ist von der Diagnosestellung bis zu dem Zeitpunkt, wo die Patienten wirklich negativ werden, getestet mit der PCR-Methode - vergehen ungefähr 17 Tage, egal, ob man Schwerkranke oder leichter Erkrankte hat oder ganz asymptomatische. Dieser Zeitraum scheint relativ konstant zu sein für die PCR +/- 1 Tag. Das spielt keine große Rolle. Das andere ist: Bei den symptomatischen und bei den asymptomatischen Fällen ist die Viruslast, die man mit der PCR bestimmt, die gleiche gewesen. Das heißt also, die scheiden zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt ungefähr gleich viele Viren aus. 


Camillo Schumann:

Also sind ja jetzt für Risiko-Patienten oder Menschen, die zur Risikogruppe gehören auf einen Schlag alle gefährlich.


Alexander Kekulé:

Ja, das ist ganz wichtig. Wir müssen als Arbeitshypothese davon ausgehen, dass die asymptomatischen Träger oder die Asymptomatischen, die vielleicht später erst krank werden und vorher asymptomatisch sind, - das ist ja in dem Fall nicht so wichtig -, also Menschen, die keine Ahnung haben, dass sie das Virus in sich tragen, können infektiös sein. Und so, wie die Zahlen aussehen, müssen sie überraschenderweise ungefähr genauso infektiös sein wie Menschen, die richtig krank sind. 


Man muss allerdings Folgendes dazu sagen: Da gibt es noch eine Parallel-Studie über die ich gleich sprechen möchte. Und zwar ist die von Malik Peiris herausgekommen. Das ist ein wichtiger Mann, der ist, glaub ich, inzwischen um die 70 Jahre alt und war der Entdecker des Sars-Virus, des 1. Sars-Virus von 2003. Der ist immer noch aktiv an der Universität von Hongkong beschäftigt und hat die „Gretchenfrage“ versucht zu beantworten. Der hat bei 35 Patienten, von denen die meisten leichte Verläufe hatten, geguckt, wie es eigentlich mit dieser PCR-Untersuchung bestellt ist. Korreliert die überhaupt mit der Infektiösität? Denn wir machen ja immer nur so einen Test. Diese PCR sucht ja eigentlich nur danach, ob die Erbinformation des Virus vorhanden ist oder Teile davon. Und ob das Virus insgesamt zu dem Zeitpunkt noch ansteckend ist, ob es sich vermehren kann. Ob der vermehrungsfähige Viruspartikel im Speichel sind, das stellt ja die PCR gar nicht fest. Und dazu hat der Malik Peiris eben gesagt: Jetzt machen wir mal eine Untersuchung und finden heraus, was diese PCR überhaupt für eine Aussagekraft hat. Und ja, es ist so, dass die PCR oft, oder über einen langen Krankheitsverlauf hinweg, tote Viren nachweist,  also Reste von Viren, die nicht mehr infektiös sind. Wenn man das parallel untersucht, dass man einerseits diese PCR macht und andererseits einen Test macht, der guckt, ob das Virus noch anzüchtbar ist, also das Virus in der Zellkultur im Labor. Und schaut man, ob sich das da vermehren kann, stellt man fest, dass diese vermehrungsfähige Zeit nur 8 Tage sind, im Gegensatz zu den etwa 17 

Tagen, die es dauert, bis die PCR negativ wird. Das heißt, der Zeitraum, in dem sich die PCR-Ergebnisse mit Infektiösität decken, ist relativ kurz. Und da kommt es darauf an, wie hoch die Dosis ist. Wenn die PCR perfekt gemacht ist und man feststellt, dass man in der Größenordnung von mehr als 100.000 einzelnen Genomen pro Milliliter nachweist, korreliert es ganz gut mit der Infektiösität. Wenn man aber in der PCR nur einen schwachen positiven Test hat, dann läuft es eben auseinander. Dann weist man letztlich tote Viren nach, die nichts mehr damit zu tun haben, dass der Mensch infektiös ist. Und ich glaube, an der Stelle müssen auch epidemiologisch in die Zukunft blicken und überlegen: Was sagt eigentlich so ein positiver PCR-Test aus? Und wie lange muss man Menschen isolieren, nachdem sie krank geworden sind? 


Camillo Schumann:

Genau das wäre jetzt meine Frage gewesen. Rückblickend könnte man ja sagen, dass die Hälfte der positiv Getesteten eigentlich überhaupt keine Gefahr mehr darstellt. 


Alexander Kekulé:

Es kommt auf den Zeitpunkt an. Das Blöde ist halt: Da nimmt man etwas ab aus dem Rachen. Und dann ist dann mal mehr Virus drin, mal weniger. Bei Kindern ist es so: Die wehren sich manchmal. Dann gibt der Arzt auf und hat gar nicht so viel Schleim drauf. Selbst bei verschiedenen Regionen der Schleimhaut ist an einigen Stellen mehr Virus vorhanden und an anderen weniger. Und auch im zeitlichen Ablauf der Krankheit gibt es große Unterschiede. Das heißt also: Verschiedene PCR-Proben einfach miteinander zu vergleichen, bringt nicht viel, weil die aus rein technischen und organisatorischen Gründen unterschiedliche Konzentrationen haben. Aber wenn man das perfekt machen würde - rein theoretisch: Bei einer Person im Krankheitsverlauf ist es wahrscheinlich so, dass sie nur 2-3Tage wirklich hochinfektiös und ansteckend ist und isoliert werden müsste. Und den Rest der Zeit hat man positive PCR-Ergebnisse für 3 Wochen. Manchmal hat man das ja auch noch Monate später nachgewiesen. Aber ohne dass es korreliert mit einer Infektiösität, weil die PCR tote Viren nachweist, wo die Erbinformation noch da ist, aber das Virus nicht mehr vermehrungsfähig ist. 


Camillo Schumann:

Und wenn man die Tests verändert und dementsprechend welche hat, die eben ausschlagen, wenn es dann wirklich wichtig ist?


Alexander Kekulé:

Man könnte das Argument sogar umdrehen und sagen: Das spricht schon fast wieder für die Schnelltests, die eine schlechtere Sensitivität haben, denn die weisen ja Anti-Gen nach. Das Anti-Gen ist das Protein, das Virus hingegen den Partikel selber. Und wenn dieses Virus selber da ist, dann ist es in der Regel auch infektiös. Diesen Fehler, dass die quasi von kaputten Viren nur den Müll finden, wenn ich mal so sagen darf, und dann glauben, dass seien infektiöse Partikel ist der Fehler. Das macht nur die PCR, das ist bei den Schnelltest nicht der Fall. Sodass man vielleicht fragen muss, ob unsere Tests, die wir anwenden, möglicherweise zu empfindlich sind, um das herauszufiltern, was wir eigentlich brauchen. In diesem Zusammenhang kann man diese PCR-Methode auch ein bisschen umgestalten. Das ist jetzt keine Standardmethode, die man kaufen kann. Sondern im Labor kann man das machen, dass man so genannte subgenomische RNA nachweist, also die normale PCR weist quasi nach, ist die Erbinformationen eines Virus vorhanden, ja oder nein? Und es gibt aber kürzere RNA-Stücke, die nennen wir subgenomische Stücke, die treten - so ist zumindest die Theorie - nur dann auf, wenn sich das Virus aktiv in der Schleimhaut vermehrt. Denn die sind quasi Zwischenprodukte  bei der Virus-Herstellung. Malik Peiris hat in dieser Untersuchung diese subgenomischen RNAs angeguckt. Und da ist er der Meinung, dass diese subgenomischen RNAs gut mit der Frage korrelieren, ob das Virus zu dem Zeitpunkt gerade infektiös ist. Vermehrungsfähig ist. Sodass man perspektivisch überlegen könnte, ob man vielleicht Spezialtests macht, die auch diese subgenomische RNA mit untersucht. Ich muss aber dazu sagen, es gibt andere Kollegen, die sind der Meinung, dass das ein Irrweg ist und dass diese subgenomische RNA nicht wirklich geeignet ist, um die Infektiösität des Virus nachzuweisen. Aber da muss man also noch ein bisschen Forschung betreiben, um zu gucken, ob das was bringt. 


Camillo Schumann:

Damit sind wir bei den Hörer-Fragen. Herr H. hat angerufen mit folgender Frage:

„Ich habe gesehen, dass mehrere Medien über die Stadt Augsburg berichten. Diese Stadt schickt Proben aus dem Abwasser beziehungsweise aus Toilettenspülung an die TH München, um sie auf Coronaviren überprüfen zu lassen. Meine Frage lautet nun: Könnte man Teststreifen, Flüssigkeiten und so weiter herstellen, damit jeder Bürger sich selbst zu Hause auf Coronaviren untersuchen lassen kann?“


8 [0:34:08]:

Alexander Kekulé:

Die gibt es schon, diese Teststreifen, die werden angeboten. Die Firmen sind verzweifelt, dass sie keiner kauft, weil es keine entsprechende Empfehlung von Bundesseite gibt. Und weil es auch deutlichen Widerstand bei den Ärzten gibt, die Erhebliches verdienen an der PCR-Reaktion. Die Teststreifen gibt es, aber man muss dazu sagen: Falls jetzt die Idee war,  diese Teststreifen ins Abwasser zu halten, das wäre jetzt nicht der richtige Weg. Davon würde ich abraten. Das sind Untersuchungen, die nur epidemiologisch Sinn machen. Da müsste man sich den tatsächlich so einen Tupfer in den Hals bringen, dann hinterher in einer kleinen Flüssigkeit den Tupfer ein bisschen ausdrücken und die Flüssigkeit dann auf so einen Schnelltest rüberbringen, der so ähnlich aussieht wie ein Schwangerschaftstest.


4 [0:34:57]:

Camillo Schumann:

Ich habe Herrn H. auch so verstanden wie Sie, dass er den Test ins Toilettenwasser halten möchte, um dann das Virus nachzuweisen. Aber wie wir jetzt wissen, sind das Viren, die eigentlich überhaupt keine Rolle mehr spielen.


8 [0:35:09]:

Alexander Kekulé:

Ja, das ist so, dass bei diesen Infektionen - das ist  auch bei Covid19 so - klassischerweise übrigens bei neuen Erregern, die noch nicht so an den Menschen angepasst sind, finden wir die interessanterweise immer im Stuhl. Das haben wir bei den Vogelgrippeviren gesehen. Das haben wir bei dem 2009er pandemischen Influenza-Virus gesehen. Und auch in den anderen Beispielen, dass wir im Stuhl Reste von diesen Viren finden. Manchmal sind die auch noch ein bisschen infektiös. Aber das sagt letztlich nichts darüber aus, ob der Patient zu dem Zeitpunkt noch in den Atemwegen das Virus ausscheidet. Und darauf kommt es ja nur an.


2 [0:35:43]:

Camillo Schumann:

Herr und Frau R. hören den Podcast seit Folge 1. Das ist seit dem 16. März. Nun haben sie eine Frage zu einem Erlebnis, das sie hatten. Herr R. schreibt: „Meine Frau wurde erfolgreich an der Uniklinik Augsburg operiert. Im Rahmen der Voruntersuchung wurde auch ein Corona-Test durchgeführt. Dieser lief jedoch ungewöhnlich ab. Sie musste ca. 30 Sekunden mit Salzwasser Gurgel und dann alles in einen Behälter spucken. Das Testergebnis war negativ. Meine Frau war allerdings etwas verunsichert. Zum einen, weil sie und auch ich nach einiger Recherche nichts von dieser Testmethode gefunden haben und sie auch ein Gespräch von 2 Krankenschwestern mitbekommen hat, die die Genauigkeit dieses Tests stark angezweifelt haben. Nun, die Frage: Hat Herr Kekulé schon etwas von dieser Testmethode gehört und kann er etwas über die Qualität des Tests sagen? Viele Grüße.“


12 [0:36:37]:

Alexander Kekulé:

Ja, das ist der berühmte Gurgel-Test, den gibt es tatsächlich. Und der wird auch erprobt. Und es gibt Leute, die schwören Stein und Bein drauf. Ich kenne Kollegen an der Universität in Wien, die schwören Stein und Bein darauf, dass der genauso gut ist wie die anderen mit dem Abstrichtupfer. Das ist noch nicht bewiesen. Das ist ja immer so: Man hat erstmal einen Test, dann muss man das an verschiedenen Patienten ausprobieren, dann muss man gucken, ob diejenigen, die da beim Gurgel-Test vielleicht nicht identifiziert werden, Patienten waren, die vielleicht sowieso nicht infektiös waren. Dann wäre ja die Leistungsfähigkeit dieses Tests vielleicht sogar besser als einer, der zu viele Positive findet. Und all diese Daten sind noch nicht ausgewertet, sodass ich sagen würde: Da waren unsere Hörer Teil eines Experiments, Teil einer kleinen Studie. Und es ist aber auch völlig in Ordnung. Ich würde jetzt nicht ausschließen, dass am Ende des Tages dieser sogenannte Gurgel-Test von der Epidemiologie her genauso gut funktioniert wie der mit dem Abstrich. Es ist ja auch so, dass es ganz viele Untersuchungsämter gibt, die absolut auf diesen Test schwören, wo man den Tupfer durch die Nase einführen muss, was eine unangenehme Sache ist. Und viele andere sagen, nein, das brauchen wir nicht. Ein Rachenabstrich ist genauso gut. Da sind so Glaubenskämpfe unterwegs. Und ich glaube, wir werden in den nächsten Wochen und Monaten wahrscheinlich bessere Studien haben, die eben den Nasentest, den Rachentest, den Gurgeltest und diese Antigene-Schnelltests dann parallel untersuchen und sagen, was eigentlich epidemiologisch wirklich sinnvoll und notwendig ist. 


Camillo Schumann:

Und wie läuft dieser Gurgel-Test ab? Klar, man gurgelt, man spuckt das aus und danach? 


Alexander Kekulé:

Das ist ungefähr das Gleiche wie bei der normalen Abstrichtestung. Nur mit dem Unterschied, dass dann aus diesem Salzwasser auch ein Nachweis der Gene des Virus geführt wird. Der Test, den ich jetzt vor Augen habe, ist so, dass man das nicht mit PCR macht, sondern mit einer ähnlichen Methode, die heißt Lamp L. A. M. P. Dass es auch eine Methode, mit der Erbmaterial der Viren nachgewiesen wird, technischen bisschen anders. Aber im Ergebnis führt zum gleichen Resultat, dass man also feststellen kann, ob Virus Erbmaterial in dem Speichel drinnen war. Die Befürworter des Gurgel-Tests sagen: Wir haben hier nicht den Nachteil wie beim Abstrich, dass man beim Abstrich nur eine bestimmte Region erwischt, sondern egal, wo man da im Mund gerade die Viren hat. Wir haben die dann hinterher in der Lösung. Wir sind dafür von der Konzentration her mindestens eine Zehnerpotenz (Faktor 10, vielleicht Faktor 50 oder so) sind wir schlechter. Aber diese Leute sagen: Die Nachweisgenauigkeit dieser Test ist sowieso so hoch, das heißt, die sind so empfindlich, dass es auf die Verdünnung, die man durch das Gurgeln macht, eigentlich gar nicht ankommt, nach. Außerdem hat man beim Gurgeln hinterher relativ viel Speichel mit hinübergenommen. So viel kriegt man auf einen normalen Tupfer gar nicht drauf.


2 [0:39:40]:

Camillo Schumann:

Also Familie R., Sie wurden da am Klinikum nicht veralbert, sondern sie waren möglicherweise ja Teil eines Experiments. 

Herr Kekulé, vielen Dank für diese Ausgabe.

 

Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann wie immer, wie gewohnt zu einem Hörer-Fragen SPEZIAL.

 

Alexander Kekulé:

Gerne, bis dann, Herr Schumann.


Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: 

mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00. 

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführlicher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 11.08.2020 #93: Kekulés Corona-Kompass

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

1 [0:00:03] :

MDR Aktuell - Kekulés Corona-Kompass

2 [0:00:10] : Dienstag, 11. August 2020. 1. Wir haben einen Blick aufs aktuelle Infekti- onsgeschehen. 2. Wie sind die Tests für Reiserückkehrer ange- laufen? 3. Mit Maske und Abstand zum Konzert. In Düsseldorf sollen 13.000 Zuschauer feiern dürfen. 4. Russlands Präsident Putin hat einen Corona- Impfstoff zugelassen. Was weiß man darüber?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin MDR-Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell - das Nachrichten- radio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Sams- tag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé.

Camillo Schumann:

Ich grüße Sie, Herr Kekule.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Zu Beginn ein kurzer Blick aufs Infektionsge- schehen, Stand heute, 11. August, meldet das Robert-Koch-Institut 966 neue Corona- Infektionen innerhalb eines Tages. Damit nä-

hert sich die Zahl wieder der Marke von tau- send Neuinfektionen. Und über tausend hatten wir ja in der vergangenen Woche schon am Donnerstag, Freitag und Samstag. Mit dem Meldeverzug stiegen die Zahlen ja immer in der 2. Wochenhälfte. Jetzt schon in der 1. Wo- chenhälfte. Macht Sie das unruhig?

3 [0:01:20]:

Alexander Kekulé:

Insgesamt haben wir eine Phase, wo die Infek- tionen wieder ansteigen. Ob das jetzt ein paar Fälle unter tausend oder über tausend sind, ist letztlich egal. Und man muss sagen, dass wir schon am Dienstag Zahlen haben in diesem Bereich. Das lässt befürchten, dass es am Don- nerstag wieder einen deutlichen Anstieg über 1.000 geben wird.

4 [0:01:38]:

Camillo Schumann:

Was würde das bedeuten? Werden wir dann signifikant über 1.000 kommen ab Mittwoch, Donnerstag, Freitag und so weiter?

3 [0:01:46]:

Alexander Kekulé:

Wir müssen diesen Trend durchbrechen. Einige Tage über 1.000 ist kein Problem. Aber es geht um die Kapazitäten der Gesundheitsämter, die das nachverfolgen. Und klar ist, wenn das ein- zelne verteilte Fälle sind, also viele Initialfälle, die mit keiner Infektionskette zusammenhän- gen, die man schon kennt, ist es so, dass die Kapazitäten der Gesundheitsämter bei über 1.000 Fällen am Tag überfordert sein können, zumindest in einigen Ballungsgebieten. Und deshalb können wir uns das einfach nicht leis- ten

2 [0:02:17]:

Camillo Schumann:

Welche Rolle Reiserückkehrer bei diesem In- fektionsgeschehen spielen, ist ja eine Frage, die enorm wichtig ist. Fakt ist: Seit Samstag, den 8. August, gilt für Rückkehrer aus Risiko- gebieten eine Testpflicht an Flughäfen, Bahn- höfen oder Autobahnraststätten. Aber auch alle anderen Urlauber können sich dort kosten- los testen lassen.

Das hat auch Frau W. aus Nordrhein-Westfalen getan. Sie hat sich auf einer Autobahnraststät-

te in Bayern testen lassen und uns ihre Erleb- nisse zugemailt. Ich habe das Ganze einspre- chen lassen. Und so klingt es: „Also sind wir auf dem Rückweg bei Donautal- Ost abgefahren und haben dort einen Test vornehmen lassen. Dort musste man 2 Formu- lare ausfüllen. Eines davon hatte einen QR- Code für die Übermittlung an die Corona- Warn-App. Dann folgte der Abstrich. Uns wur- de gesagt, dass wir nach 24 bis 72 Stunden mit einem Ergebnis rechnen könnten. Die QR- Codes haben wir mit unserer Corona-Warn- Apps eingescannt, und als die 72 Stunden ver- strichen waren, hatten wir weder ein Ergebnis in der App noch eine andere Nachricht erhal- ten. Daher habe ich mich bei unserem örtli- chen Gesundheitsamt gemeldet, um zu fragen, ob das Ergebnis eventuell in einer Datenbank ersichtlich sei. Mir wurde mitgeteilt, dass man hier in NRW leider nicht die Daten aus Bayern einsehen könne. Ich habe dann weiter recher- chiert und unter anderem einen Zeitungsarti- kel gefunden. Hier wird berichtet, dass es bei dieser Teststation zu organisatorischen Schwierigkeiten gekommen sei, wodurch die Zuordnung der Tests zu den Patienten nicht funktioniert hat. Heute habe ich die in dem Artikel genannte Hotline des bayerischen Lan- desamtes kontaktiert. Unsere Ergebnisse wa- ren dort in der Datenbank nicht aufzufinden. So haben wir nach mehr als 1 Woche immer noch kein Testergebnis erhalten. Den Corona- Test haben wir übrigens auf Anraten unseres örtlichen Gesundheitsamt an einer Teststation hier in NRW wiederholt und hoffen, dass wird das Ergebnis des 2. Tests in den nächsten Ta- gen mitgeteilt bekommen.“

2 [0:04:11]:

Camillo Schumann:

Frau Wittmann ist auch nicht allein. Im Netz berichten viele Menschen von denselben Er- lebnissen. Wie hört sich das für Sie an?

6 [0:04:18]:

Alexander Kekulé:

Naja, das ist ein enormes logistisches Unter- fangen, so viele Menschen mit einem laborba- sierten Test zu untersuchen. Man muss sich klarmachen: Da werden Abstriche gemacht am Fließband. Dann darf soll man kleine Fehler machen bei den Zuordnungen, das muss ja

alles beschriftet werden und dann eingeschickt werden. Dann wird es im Labor untersucht. Und dann müssen die Laborergebnisse meitens händisch übertragen werden in Datenbanken. Händisch deshalb, weil das improvisierte Sys- teme sind, die man schnell zusammengebaut hat. Man muss sich vorstellen, dass das so ein normales Labor ist, was so etwas macht. Ich leite ja selber so ein Laboratorium. Wir haben da elektronische Schnittstellen, die von mehre- ren Experten eingerichtet werden und die im Detail überprüft werden, dass die keine Fehler machen bei der Übermittlung von Daten, von denen, die sie anfordern. Also Einsendern, zum Beispiel im Krankenhaus, bis am Schluss zum Befund. Und selbst diese krankenhausbasier- ten Systeme, die aufwendig sind bei der Da- tenverarbeitung, machen manchmal Fehler. Selbst da kommt es vor, dass Proben verwech- selt werden. Es gibt sogar Studien, die sagen, dass im in manchen Situationen bis zu 5% der Proben verwechselt werden. Das heißt, es ist ein riesen logistisches Unterfangen. Und das ist klar, dass das nicht einfach funktioniert, was hier geplant wurde.

2 [0:05:43]:

Camillo Schumann:

Frau W. hat sich bei uns gemeldet, darüber hinaus noch mehrerer Hörer. Auch im Netz sieht man viel Kritik daran. Es sind Schilderun- gen von vielen Stichproben. Da scheint doch einiges im Argen zu sein, gerade bei der Über- mittlung, wenn die Daten überhaupt nicht übermittelt werden. Und wenn die 72 Stunden abgelaufen sind, braucht man das Testergebnis dann auch nicht mehr.

8 [0:06:07]:

Alexander Kekulé:

Naja, das ist klar, Sie wissen ja, dass ich drin- gend für Schnelltests plädiere, die man vor Ort machen kann, die nicht so viel kosten würden. Was hier wichtig ist, ist Folgendes: Wir haben letztlich 3 Parameter, die man sich epidemio- logisch anschauen muss, falls die Tests funkti- onieren. Und der 1 Parameter ist die Sensitivi- tät. Das heißt: Wie gut ist der Test? Wie viele Corona-Patienten werden möglicherweise nicht erkannt von dem Test. Das ist ja ein Prob- lem, wenn man Leute hat, die einem durchs Netz gehen. Die 2 anderen Faktoren sind: Wie

schnell bin ich, also der zeitliche Faktor. Weil wir wissen, dass jemand, der ansteckend ist, ein kleines Fenster hat, wo er andere infizieren kann. Und wir wollen den vorher aus dem Ver- kehr ziehen und nicht erst hinterher, wenn er seine Munition schon verschossen hat. Denn nach ein paar Tagen ist der Patient nicht mehr ansteckend. Und das 3. ist der quantitative Aspekt. Wir hatten über eine Harvard-Studie gesprochen, die besagt: Mehr testen, aber dafür schlampiger ist besser als wenig und dafür aufwendig und teuer. Warum? Weil man mit einer höheren Testfrequenz und höheren Testzahlen - epidemiologisch gesehen - eher die Chance hat, infektiöse Patienten aus dem Verkehr zu ziehen. Dem kann man unter Um- ständen auch Qualitätskriterien opfern. Das heißt, alles spricht dafür, einen Schnelltest direkt vor Ort zu machen. Dann können die Leute kurz warten und fahren weiter und Wis- sen zu dem Zeitpunkt an der Raststätte schon, sind wir positiv oder nicht.

2 [0:07:43]:

Camillo Schumann:

War das Vorhaben mit PCR-Testung, nämlich alle Reiserückkehrer auf freiwilliger Basis zu testen, und dann auch die die Pflichttests ei- gentlich eine Mammutaufgabe, die von vorn- herein zum Scheitern verurteilt waren?

9 [0:07:57]:

Alexander Kekulé:

Gescheitert ist es ja nicht. Es sind ja Einzelfälle. Aber es ist eine Mammutaufgabe, die man meinem Erachten nach nur vorübergehend so einsetzen konnte. Klar, die anderen Tests muss man erst besorgen. Da muss man sich dann auch erst mit den Laboren darüber abspre- chen. Die verdienen natürlich dann kein Geld mehr. Sie können sich vorstellen, dass die viele Laborärzte gegen solche selbstgemachten Tests sind, wie überhaupt viele Ärzte. Und bis man das Ganze auf den Weg bringt, ist es schon gut gewesen, mal das, was man schon hat, nämlich die laborbasierten PCA-Tests mal zum Einsatz zu bringen. Man muss aber auch immer wissen, wen man da beauftragt. So ein Gesundheitsamt mit ein paar Mitarbeitern sind solche Aufgaben überhaupt nicht gewohnt. Großlabore, die Zehntausende von Tests am Tag machen können, haben ja einen Riesen-

Management-Stab, der solche Sachen macht. Da geht es ja auch um viele Millionen Einnah- men, die die damit generieren. Und da ist eine andere Power dahinter, als wenn man so einen armen Gesundheitsamt, was zufällig an dieser Autobahnraststätte lokalisiert ist, sagt, so, jetzt organisier mal die Tests.

10 [0:09:03]:

Camillo Schumann:

Weil wir das Beispiel aus Bayern hatten. Bay- erns Ministerpräsident Markus Söder sind die- se Probleme nicht verborgen geblieben. „Wir haben ja jetzt nichts gemacht, wenn je- mand ein Kennzeichen aus Wuppertal hat oder aus Castrop-Rauxel oder aus Dresden oder aus Hamburg. Dass wir dann sagen, das kontrollie- ren wir nicht. Wir bieten kostenlos für alle an. Ein Service für ganz Deutschland. Und dann ist es so, dass es unglaublich in Anspruch ge- nommen wurde. Das muss man sagen. Durch die hohe Inanspruchnahme war es am Anfang auch logistisch nicht ganz einfach. Dann hat das gedauert, bis die Dienstleister, die als Ver- tragspartner ausgesehen wurden, zum Zuge kamen. Und da haben zwischenzeitlich die Hilfsorganisation mitgeholfen und dann wirk- lich Großartiges geleistet haben. Ein Danke- schön an sie. Aber es wird in dieser Woche endgültig professionalisiert. Und die entspre- chenden Verzögerungen müssen natürlich reduziert und abgestellt werden, ganz klar.“

Camillo Schumann:

Haben Sie auch die Hoffnung?

12 [0:09:53]:

Alexander Kekulé:

Ich glaube schon, dass man das im Prinzip ver- bessern kann. Die Frage ist nur, wo man per- spektivisch hin will. Und das wird ja nie so sein, dass diese laborbasierten Tests im Durch- schnitt schneller als 24 Stunden sind. Die reine Methode ist schneller. Das kann man in 1 Stunde bis 90 Minuten erledigen. Aber mit der ganzen Logistik außenherum: zum Labor schi- cken und das Ergebnis zurück und die Zuord- nung, dauert es einfach mindestens 1Tag. Das ist schon die optimistisch. Und ich meine, man muss das ja so sehen. Die Menschen kommen aus der Urlaubsregion zurück. Sie haben häufig mehr als 5Tage dort verbracht. Das heißt, sie

sind möglicherweise infektiös. Deshalb macht man ja diesen Test. Warum soll ich den noch 1Tag lang rumlaufen lassen ohne Ergebnis? Das ist so eine Sache. Ich sehe einfach nicht ein, dass man da diese lange Zeitschiene zur Regel macht. Ich glaube, in Einzelfällen kann es ja sein, dass es an der einen oder anderen Autobahnstationen zufällig direkt daneben ein super Labor gibt oder man vielleicht ein mobi- les Labor hinsetzen kann, dass das ähnliche Geschwindigkeiten erzeugt wie ein Schnelltest. In solchen Einzelfällen, glaube ich, kann man dafür plädieren. Aber ganz grundsätzlich als allgemeine Methode ist es zu schwerfällig.

2 [0:11:14]:

Camillo Schumann:

Sie sagen also, lieber einen möglicherweise ungenaues Verfahren anwenden, dafür hat man schnelleres Ergebnis. Sind denn diese Schnelltests A) zertifiziert und B) stehen die da und müsste dann C) die Politik nur den Schalter umlegen und sagen: Gut, jetzt konzentrieren wir uns darauf?

13 [0:11:29]:

Alexander Kekulé:

Es gibt mehrere zertifizierte Tests. Es ist ja so: In Deutschland ist für solche Tests - das kann man kritisch sehen - gar keine Zulassung erfor- derlich. Es gibt so ähnliche Tests. Sie sind in den USA ganz offiziell zugelassen von der FDA, Dazu gehört der zuständigen Behörde. In Eu- ropa ist das so, dass man so eine Zulassung für sogenannte Medizinprodukte demnächst ha- ben wird. Das ist gesetzlich, glaube ich, schon verabschiedet, ist aber noch nicht in Kraft.

Das heißt, im Moment ist es so, dass ein Her- steller selber feststellen kann: Jawohl, mein Test entspricht den Standards, die in Europa erforderlich sind. Und dann bringt er diesen CE-Stempel darauf an, dass das also europäisch konform ist. Und dann ist es sozusagen selbst zertifiziert. Auf dieser Basis sind unterschied- lich gute Tests im Umlauf. Es gibt aber in der Schweiz eine Institution, die mehr oder minder ehrenamtlich die vorhandenen Tests über- prüft. Und da kann man auf der Webseite nachsehen, wie gut die momentan verfügba- ren Tests sind. Es ist in der Tat so, dass mehre- re definitiv geeignet wären, solche Schnellver- fahren zu machen. Wir reden von Menschen,

die keine Symptome haben. Das sind ja proak- tive Tests. Sobald sie natürlich Symptome ha- ben und man sozusagen medizinisch ärztlich testet, mit der Frage: muss ich jetzt eine Isolie- rung vornehmen, muss ich eine Therapie ma- chen, welche Art von Therapie ist erforderlich usw., ist natürlich eine viel höhere Zuverläs- sigkeit gefordert.

Camillo Schumann:

Noch einmal die Frage: Sollte jetzt ein Umden- ken stattfinden?

Alexander Kekulé:

Ja, ich meine definitiv, dass man umdenken sollte von den laborbasierten Tests hin zu Tests, die im Schnellverfahren selbst gemacht werden können. Und dabei muss man in Kauf nehmen, dass diese Tests weniger sichere Aus- sagen machen. Das ist aber im epidemiologi- schen Bereich gar nicht erforderlich.

2 [0:13:25]:

Camillo Schumann:

Wir sind gespannt, ob so eine Maßnahme überhaupt Erfolg hat. Jetzt gibt es einen Test der Reiserückkehrer. So bekommt man mehr heraus, wenn man alle Zahlen und Fakten kennt. Interessant wäre zu wissen, wie viele der getesteten Reiserückkeh- rer, auch die aus Risikogebieten, positiv getes- tet wurden und wie viele Tests überhaupt ge- macht wurden. Genau das wollte ich vom Ro- bert Koch-Institut wissen und bekam folgende Antwort: „Das Robert Koch-Institut hat derzeit keine Erkenntnisse über die Anzahl an Tests bei Rei- serückkehrern oder Einreisenden. Sollten wir die Möglichkeit haben, diese Zahlen gesondert zu erheben, würden wir sie zu gegebener Zeit auch veröffentlichen. Das ist aktuell aber nicht der Fall.“ Herr Kekule, wer, wenn nicht das RKI und so- mit das Gesundheitsministerium in Berlin, müsse doch ein Interesse genau an diesen Zahlen haben?

8 [0:14:11]:

Alexander Kekulé:

Das ist extrem wichtig, weil die ja auch politi- sche Konsequenzen hatten. Zum einen wollen Politiker, auch Landespolitiker, wissen, unter

welchen Rahmenbedingungen sie Entschei- dungen treffen, beispielsweise aus welchen Regionen die Tests am verpflichtend sein sol- len.

Andererseits meine ich, bei diesen Dingen muss man immer auch den Bevölkerungsas- pekt sehen. Die Menschen haben ja verstan- den, worum es geht. Die haben verstanden, dass hier hunderte von Milliarden Euro von Wirtschaftsleistung quasi verloren gegangen sind. Die erleben auch, dass ihr Leben von den Schülern über die Kindertagesstätten bis zu den Freizeitbereichen, Kneipen und so weiter, alles massiv eingeschränkt ist. Und wenn man den Eindruck hat, bei so einer wichtigen Sache, die die ganze Welt jetzt bewegt, kann die Bun- desrepublik Deutschland als Industrieland nicht einmal die Daten zusammenbringen, wer von wo positiv getestet wurde und wer nicht, dann kann das auch dazu beitragen, dass die Über- einstimmung mit der Politik, die wir in Deutschland sonst eigentlich haben, dahin- schwindet.

2 [0:15:14]:

Camillo Schumann:

Da muss noch nachjustiert werden. Zum einen die Tests, die dann auch übermittelt werden müssen, also die Testergebnisse, und zum an- deren die Zusammenführung von Informatio- nen.

Jetzt haben wir, was das Pandemiegeschehen angeht schon ein halbes Jahr Erfahrungen. Aber jetzt hat man eigentlich noch so Proble- me, die eher so nach Kinderkrankheiten klin- gen.

15 [0:15:39]:

Alexander Kekulé:

Wir hatten das Thema mit der Datenübermitt- lung schon von Anfang an. Ich erinnere mich an eine Pressekonferenz des Robert-Koch- Instituts, bei der man sich entschuldigt hat, dass die Johns Hopkins University immer bes- sere, schnellere, vollständigere Daten hat. Da hat man angekündigt, dass das in wenigen Wochen das Problem erledigt sein wird. Ich bin sicher, dass man beim Robert Koch-Institut, das als Bundesinstitut keinen Einfluss darauf hat, was ihnen geliefert wird, selber darüber nicht glücklich ist. Und der das ist einfach so. Ich erinnere mich an 2009, an die sogenannte

Schweinegrippe. Da hat der damalige Bundes- gesundheitsminister auch schon angekündigt, er will diese zögerliche Datenübermittlung an das RKI verbessern. Jetzt haben wir es einige Jahre später und sind in einer ähnlichen Situa- tion. Ich hoffe, dass wir diesmal die Lektion gelernt haben.

2 [0:16:34]:

Camillo Schumann:

Genau, das lassen wir mal so stehen. Herr Kekulé, wir müssen in diesem Podcast über Großveranstaltungen sprechen. Groß waren die Hoffnung, die Deutsche Fußball-Liga und auch die Profiklubs zum Saisonstart wieder mit Fans im Stadion spielen zu können. Die Politik hat den Vereinen einen mächtigen Dämpfer verpasst. Bis zum 31. Oktober seien Spiele vor Fans nicht vorstellbar. Aber parallel laufen in Düsseldorf Vorbereitung für ein Großkonzert mit Bryan Adams und Sa- rah Connor vor nicht weniger als 13.000 Zu- schauern. NRW-Gesundheitsminister Karl Josef Laumann findet das überhaupt nicht gut. Er habe be- gründete Zweifel an der rechtlichen Grundlage. Die Stadt Düsseldorf zeigte sich sehr über- rascht über diese Kritik. Man habe das Konzept untersucht und es auf der Grundlage der gel- tenden Corona-Schutzverordnung des Landes NRW geplant. Herr Kekulé, offenbar scheint die Politik in Sachen Großveranstaltung ziemlich nervös zu sein. Sind Sie es auch?

8 [0:17:29]:

Alexander Kekulé:

Ich bin nicht nervös, weil am Schluss immer die richtigen Entscheidungen getroffen wurden. Soweit von der Sache her ist es doch so: Im Prinzip kann man Großveranstaltungen mit sehr großem Aufwand durchführen. Das ist ganz klar. Da müsste man eben bestimmte Dinge machen. Wir haben es bei dem DFL- Konzept ja schon besprochen, wie Contact- Tracing für die Personen, die in den Stadien sind, dass man wirklich gefährliche Kontakte auch einzeln hinterher identifizieren kann. Es ist eher die Frage, ob der Datenschutz da am Ende mitmacht. Dann müsste man unter Um- ständen vorher Tests machen, dass man weiß, ob die Menschen drinnen infektiös sind. Und dann muss man viele logistische Probleme

lösen, bis hin zu der Frage, wie es auf den Toi- letten ist und Ähnliches? Das Gleiche gilt auch für so ein Konzert. Auch bei so einem Konzert - es ist seine Freiluftver- anstaltung - ist das Problem im Prinzip lösbar. Die sind ja nicht mehr Betrunkene drinnen als in dem Fußballspiel. Und 13.000 ist jetzt deut- lich weniger als die Zahl, die man da aufgeru- fen hat für Bundesligaspiele. In beiden Fällen gilt aber Folgendes: Das hat ja auch eine psy- chologische Signalwirkung. Jetzt haben der Bundesgesundheitsminister und die Gesund- heitsminister der Länder gesagt, sie wollen diese Fußballspiele nicht hauptsächlich wegen der Signalwirkung angesichts der steigenden Fallzahlen.

Und diese Überlegung gilt natürlich für das Konzert auch. Man muss sich fragen, was den- ken sich die Menschen, wenn da 13.000 zu- sammenkommen? Und wenn es noch so sicher war, aber die Fallzahlen steigen?

Da habe ich schon auch die Befürchtung, dass man das Gefühl bekommt, es ist alles wieder normal, alles wieder in Ordnung, wir müssen uns nicht mehr so sehr schützen vor diesem Virus. Und was machen wir, wenn wir im Herbst dann wirklich in eine Katastrophe schlit- tern?

2 [0:19:16]:

Camillo Schumann:

Aber man muss man nicht auch ein bisschen Normalität testen oder Vorbildcharakter- Veranstaltung haben? Das Konzept sieht vor, dass alle Zuschauer schon beim Ticketkauf registriert werden, nur in zeitlichen Abständen ins Stadion gelassen werden. Außerdem gilt beim Konzert Maskenpflicht und Alkoholver- bot. Und zwischen den Sitzplätzen gibt es ei- nen Abstand von 1,50 m. Die Veranstalter wol- len mit dem Konzert nach eigenen Angaben ein Signal der Hoffnung in die Welt setzen. Aber wäre es das nicht?

13 [0:19:46]:

Alexander Kekulé:

Ja, das glaube ich schon, das ist ein Proof of Principle. Man will beweisen, dass so etwas im Prinzip möglich ist. Ich habe mich jetzt auch nicht gegen das Hygienekonzept ausgespro- chen. Ich glaube von Anfang an, dass solche Großveranstaltungen zum jetzigen Zeitpunkt,

wenn man es genau kontrolliert, möglich sind. Aber das ist halt ein sehr großer Aufwand. Und die Frage, ob das politische Signal das richtige ist, will ich nicht beurteilen. Das sind nur diese 2 Seiten in der Waagschale. Ich als Epidemiolo- ge hätte schon Spaß daran, so was mal auszu- probieren. Das ist ja auch ein großes Experi- ment. Ich möchte jetzt nicht der Politik in die eine oder andere Richtung da eine Empfehlung geben.

2 [0:20:27]:

Camillo Schumann:

Hier im Podcast nehmen wir uns regelmäßig auch Schlagzeilen vor, die auf den 1. Blick gut klingen, aber unbedingt eingeordnet werden müssen. Beispiel: Impfstoffe. Die ganze Welt wartet sehnsüchtig auf einen Impfstoff, der die Rückkehr zu einem normalen Leben verspricht. Vielleicht dann auch wieder Großkonzerte und Fußballspiele. Aber noch hat es ja keinen Her- steller über die Ziellinie geschafft. Da sorgt dann diese Überschrift. „Putin lässt fragwürdi- gen Impfstoff zu. Tochter schon geimpft?“ für Aufsehen. Krankenhausmitarbeiter sollen auch zur Immunisierung eingeladen worden sein. Da scheint ein Impfstoff gefunden worden zu sein. Sagen Sie, was Sie dazu gefunden haben. Viel ist es nicht. Was kann man über diesen Impf- stoff sagen?

16 [0:21:13]:

Alexander Kekulé:

Ich habe ein bisschen recherchiert, worum es da geht. Bei den russischen Kollegen haben wir in diesem Bereich in Deutschland keine wirkli- chen Einblicke in das, was die machen. Das ist anders als in Hongkong, wo man unmittelbaren Kontakt hat und anderen Gegenden der Welt. Es ist hier unklar, was die entwickelt haben. Diese Studie, dieser Impfstoff um den es da geht, der heißt Gam Covid-Vac-Lyo. Vac wie Vacin, Lyo von lyophilisiert, also gefrierge- trocknet offensichtlich. Und Gam ist das Gamalea-Forschungsinstitut. Das ist ein großes russisches immunologisches Institut, was es schon lange gibt. Dieser Nicolas Gamalea war ein berühmter Immunologe in Russland, ein Schüler von Metschnikow, den vielleicht viele kennen. Und es ist so, dass man nach der offi- ziellen Studie, die da jetzt publiziert wurde, nur 38 Patienten hatte. Das ist so die Zahl, die so

im Raum stand. Der Impfstoff, den man da verwendet hat, ist ein Vektor-Impfstoff, also einer, der mit einem Virus funktioniert, so ähn- lich wie der vom Jenner-Institute in Oxford, über den wir gesprochen haben. Nur dass hier der Vektor wieder ein Adenovirus ist, aber nicht wie bei dem Jenner-Institut, einen A- denovirus, der vom Schimpansen stammt, sondern eine Kombination von 2 menschlichen Adenoviren, die man als Basis für diesen Impf- stoff verwendet hat.

Camillo Schumann:

Das ist ja etwas Neues, oder?

Alexander Kekulé:

Das ist nicht so neu, wie es klingt. Der Schim- pansen-Impfstoff ist relativ neu. Aber diese Adenoviren, da gibt es den Adeno 5. Das ist so ein klassischer Erkältungserreger, und der ist einer der Urgesteine der viralen Therapie ge- wesen. Die Idee, Viren umzuprogrammieren, um damit Krebs zu bekämpfen oder eben auch zu impfen ist schon uralt. Adeno 5 ist einer der ältesten, mit denen das gemacht wurde.

Es steht in der Studie nicht drin, welche Gene- ration von diesem Impfstoff es war. Und das ist aber ein wichtiges Thema, weil wir bei diesem Impfstoffen wissen, dass das am Anfang ziem- lich schiefgegangen ist. Das ist ja ein Virus, der auch Erkältungen machen kann. Da baut man einen Teil raus aus dem Virus und stattdessen baut man etwas ein, das dazu führt, dass die befallene Zelle ein Protein produziert, was so ähnlich aussieht wie ein Stück vom Covid19- Erreger. Und dadurch kommt es dann zur Im- munisierung.

Das Problem ist nur, dass dieses Virus, was man da so ein bisschen ausgehöhlt hat, dass das trotzdem noch eine Teilfunktion behält. Das stimuliert zum Beispiel das Immunsystem, dort den angeborenen Teil der Immunantwort. Und deshalb hat man mit diesen Sektoren am Anfang auch richtige Probleme gehabt, und zwar in dem Sinn, dass die Menschen zum Teil eine Überstimulation des Immunsystems hat- ten. Zum Teil war es aber auch dann umge- kehrt so, dass andere, die mit dem einem ähn- lichen natürlichen Virus schon Kontakt hatten, aufgrund dieser Kreuzimmunität sofort den Adeno-Impfstoff eliminiert haben und darauf nicht immunologisch richtig reagiert haben.

Und es gab eben auch so Verstärker-Effekte, insbesondere wenn man da eine 2. Impfung gemacht hat. Oft muss man ja bei einer Impfung 2-mal nacheinander impfen, damit die Wirkung rich- tig da ist. Und bei der 2. Impfung hat man be- sonders viele Probleme gesehen.

Wie alle diese Dinge überwunden werden sol- len, steht da nicht drin. Man will offensichtlich in diesem Fall die 1. Impfung mit einem Vektor machen, der heißt Adeno 26. Der ist nicht ganz so häufig. Da gibt es nicht so häufig Immunität in der Allgemeinbevölkerung. Und dann den 2. Schuss machen mit einem Adeno 5-Vektor. Ob das jemals in Russland funktioniert hat, ist unklar. Wir haben mit diesen Systemen mit der 1.Generattion und 2. Generation von Viren keine guten Erfolge gehabt. Es gibt jetzt die 3. Generation, bei der ich aber nicht weiß, ob die Russen das überhaupt haben. Ich bin gespannt, ob es funktioniert und ob es Nebenwirkungen hat, denn die Nebenwirkungen werden natür- lich fürchterlich, wenn man da Millionen von Menschen impft und dann feststellt, dass ein erheblicher Teil von denen zum Beispiel im- munologische Probleme bekommt.

Camillo Schumann:

Russlands Präsident Putin sagt auch, dieser Wirkstoff bildet eine beständige Immunität.

Alexander Kekulé:

Wir wissen, dass die IGG-Antikörper, also das, was man misst, wenn man einen Bluttest macht um festzustellen, ob jemand die Infekti- on durchgemacht hat. Die verschwinden ja nach 2-3 Monaten, bei dem Sars-CoV-2 nicht immer, aber sehr häufig. Und das ist ein Prob- lem für den Nachweis.

Aber wir wissen ja schon seit einiger Zeit - das war auch übrigens bei dem 1.Sars-Virus so ähnlich -, dass es eine T-zelluläre Antwort gibt. Also nicht diese Antikörper, sondern die Im- munzellen, die weiße Blutzellen, die sich das einfach gemerkt haben, wie dieses Virus aus- sieht. Und wenn es dann wiederkommt, kön- nen sie auch nach vielen Jahren richtig darauf reagieren. So etwas in der Art ist höchstwahr- scheinlich auch mit einem Adeno-Vektor zu erzielen.

Ich würde davon ausgehen, wenn es eine Im- munisierung gibt, dass es auch mit diesem

System eine Immunisierung geben wird, das kann schon funktionieren. Ich habe nur noch ein bisschen Bedenken wegen der Nebenwir- kungen.

2 [0:26:27]:

Camillo Schumann:

Eine seiner beiden Töchter habe sich schon impfen lassen, so hat es Putin gesagt. Und die Töchter sind ja noch relativ jung. Da dürfte es mit den Nebenwirkungen auch nicht so toll sein, oder?

17 [0:26:38]:

Alexander Kekulé:

Das kann man schwer vorhersagen mit den Nebenwirkungen. Aber es ist klar: Der erinnert sich an den berühmten Sputnik-Schock von 1957, 1 Jahr bevor ich geboren wurde. Aber das ist ja historisch. Damals haben die Russen oder die Sowjets damals noch den Sputnik als 1. Satelliten in den Weltraum geschossen, und die Welt war geschockt. Und da hat er jetzt offensichtlich Spaß dran, an die gute alte Zeit anzuknüpfen. Und jetzt sagt er: Schaut her, wir sind wieder die ersten. Ich glaube, der 1. Mann im Weltraum, Gagarin, war auch aus der Ge- gend. Das heißt also, daran anzuschließen und setzt deshalb eins drauf mit seiner Tochter. Eine geimpfte Person ist natürlich überhaupt nichts. Und ob die jetzt krank geworden ist, wird niemand erfahren. Man muss aber Fol- gendes sagen: Mit diesen Adeno-Impfstoffen, also mit den klassischen wie dieser Adeno 5 zum Beispiel, ist ja schon viel versucht worden. Ich erinnere mich an die HIV- also AIDS- Impfstoffe, die man versucht hat zu machen. Da hat 2005 bis 2007 Merck eine riesige Studie gemacht, wo man versucht hat, Immunisierung herbeizuführen, die sogenannte Step-Trails. Damals ist es auch so gewesen, dass man rela- tiv erfolgreich Immunzellen gegen AIDS-Viren generiert hat. Da waren alle begeistert. Und dann hat man aber festgestellt, dass, in einer größeren Studie - da wurden ein paar tausend Patienten untersucht - von den geimpften Menschen mehr AIDS bekommen haben als von den nicht geimpften. Und zwar deshalb, weil man festgestellt hat, das eine vorherige Infektion mit dem Adeno 5-Vektor oder auch mit dem Original-Virus dazu führt, dass die Empfindlichkeit für AIDS höher ist und das

Immunsystem Aids-Infektionen nicht so leicht abwehren werden kann. Ähnliche Ergebnisse hatte man bei späteren Studien noch mal in Südafrika. Es gibt andere Versuche mit solchen humanen Adeno-Vektoren gegen Tuberkulose, Malaria, Ebola. Sogar gegen die Vogelgrippe hat man es versucht. Und nirgendwo ist bisher was Vernünftiges rausgekommen, sodass das jetzt nicht meine 1. Wahl gewesen wäre. Es wäre jetzt Glück, wenn es in dem Fall einfach mal klappt.

Das will ich nicht ausschließen. Aber Putin hat da im Grunde genommen auf ein System ge- setzt, wo wahrscheinlich die Leiter des Impf- stoffprojektes am Jenner Institute, die das mit dem Schimpansen-Virus machen, sagen wür- den, neben dem hätten wir gar nicht erst ange- fangen.

2 [0:29:10]: Camillo Schumann: Okay, wir sind gespannt. Mal sehen, wie dann die Flächenwirkung dieses Impfstoffs ist. Wir halten Sie, lieber Hörer, auf dem Laufenden. In Deutschland werden Impfstoffe vom Paul- Ehrlich-Institut zugelassen. Dessen Leiter Klaus Cichutek hat nun gesagt, ich gehe derzeit da- von aus, dass es Ende 2020 und Anfang nächs- ten Jahres eine Zulassung geben wird. Voraus- gesetzt, die Phase3-Prüfungsdaten sind positiv. Man muss ja sagen: Zulassung bedeutet nicht, dass man sich kurz darauf impfen lassen kann.

13 [0:29:38]:

Alexander Kekulé:

Wenn Sie der Eigentümer der Firma sind, dann schon. Zulassung heißt Zulassung. Wenn Sie den Impfstoff haben, dann haben sie ihn. Normalerweise laufen solche Zulassungen stufenweise. In dem Fall ist es fast sicher zu erwarten, weil man ja hier das sehr beschleu- nigt haben will. Das heißt, man wird wahr- scheinlich sagen, um für 80 Millionen Deutsche eine Abschätzung zu bekommen: Wie häufig da Nebenwirkungen auftreten, man wird wahrscheinlich verlangen, dass 10.000 Men- schen geimpft sind in einer Phase drei und die lange genug beobachtet wurden. Ich weiß nicht, wie lange die da verlangen werden. Ich würde mal schätzen 6-8 Wochen in der Grö- ßenordnung. Und wenn man sagt, gut, bei den allen gab es keine relevanten Nebenwirkun-

gen, und es gab aber eine erkennbare Immuni- sierung - sowohl was die Antikörper betrifft als auch diese T-Zellen - , dann wird das Paul- Ehrlich-Institut den Impfstoff zulassen und normalerweise so eine Liste von Auflagen ma- chen. Dann sagen die dann immer: Diese Da- ten hätten wir noch gerne eins, zwei, drei, vier, fünf, und das muss man dann sozusagen nach der Zulassung noch liefern. Da kriegt man eine gewisse Frist, um das abzuliefern. Das heißt, die ersten Impfungen laufen quasi im Rahmen von Studien, die aber Nachzulassungsstudien, Phase4-Studien, sind. Bis eine Großproduktion läuft, bis das alles in Röhrchen verpackt ist und dann vor allem die Gesundheitsämter bereit sind, Massenimpfungen zu machen, dauert es eine Weile, sodass ich jetzt vom Zeitplan, den wir hier immer so ein bisschen in den Raum gestellt haben, frühestens April, wahrscheinlich im Juni nächsten Jahres, wenn es gut geht, bis Ende nächsten Jahres, dass das bis Ende nächs- ten Jahres die Sache halbwegs erledigt ist. Ich glaube, von diesem Zeitplan müssen wir an dieser Stelle keine Korrektur vornehmen.

Camillo Schumann:

Aber das ist ja auch schon mal eine positive Nachricht, dass sich das eigentlich in den letz- ten Monaten überhaupt nicht verändert hat.

Alexander Kekulé:

Ja, das ist so genau. Wenn so ein optimisti- scher Plan im Grunde genommen nicht korri- giert werden muss, dann ist das eine sehr gute Nachricht. Und ich muss jetzt sagen, ich be- obachte genau die Daten der verschiedenen Impfstoff-Entwicklungen, die jetzt gerade lau- fen, die auch in Phase 3 sind. Es sieht überall so aus, dass diese Coronaviren, auch dieses Sars-CoV-2, keine Problembären im Reich der Viren sind in dem Sinne, dass sie wahnsinnig schwierig zu impfen wären. Wir haben ja AIDS, wir haben Hepatitis. Wir haben viele Bereiche, wo es so ist, dass der Erreger selber uns ein Schnippchen schlägt. Das ist bei Sars-CoV-2 offensichtlich nicht der Fall. Also sieht alles so aus, als könnte es eine Punktlandung werden, die sozusagen beim 1.Landeanflug gleich gut geht.

19 [0:32:30]:

Camillo Schumann:

Wäre ja super, so Herr Kekulé, wir kommen im Potcast noch zu Urlaubserlebnissen. Wir haben unsere Hörer aufgerufen, Erlebnisse aus dem zu erzählen, nämlich wie dort mit dem Virus umgegangen wird. Und Herr R. hat uns geschrieben und hat eine War- nung. Er schreibt:

„Kroatien muss sofort als Risikoland eingestuft werden, damit es nicht zu einem 2. Ischgl kommt. Vor allem in der Partyhochburg Noval- ja dürfen junge Menschen feiern, als ob es kein Corona gibt. Die Diskotheken sind bis weit nach Mitternacht geöffnet, Abstand und Hygi- eneregeln werden komplett außer Acht gelas- sen. Erste Corona-Heimkehrer, wie mit den neuen Abiturienten aus Donstorf oder den 2 Abiturienten aus Altötting zeigen dies ja auch. Nur, wer lässt sich denn freiwillig testen? Vor allem, welche Partyurlauber? Niemand.“ Und jetzt kommt seine Forderung, Kroatien muss ganz dringend als Risikoland eingestuft wer- den. Grundsätzlich: Wann wird ein Land ein Risikoland? Da gibt es mehrere Parameter. Finden Sie, dass die Parameter dann auch im- mer gut geupdatet werden, dass man auch immer rechtzeitig reagieren kann?

20 [0:33:38] :

Alexander Kekulé:

Man gibt sich natürlich alle Mühe. Das macht das Robert-Koch-Institut zusammen mit dem Auswärtigen Amt gewissenhaft. Die Parameter sind ja hauptsächlich Statistiken aus dem Land. Man schaut sich an, wie viele Fälle gibt es da pro Einwohner, und man guckt sich dann als 2. an, wie gut wird da getestet? Also können die das überhaupt wissen, was sie da behaupten. Und als 3. gibt so einige schwache Bewertung noch mit dabei wie, sind das unsere Freunde oder sagen die uns vielleicht nicht die Wahr- heit. Mit diesem Dreigestirn wird letztlich eine Risikobewertung gemacht. Klar, das ist eine Daumenpeilung. Aber ich glaube, dass die nicht so schlecht ist.

Die Frage, die man stellen muss, ist ja eine ganz andere. Ich weiß jetzt nicht, wie die Zah- len in Kroatien sind. Aber was dort passiert, ist ja etwas, was man aus Ischgl eben aus be- stimmten Kneipen in Mallorca, aus der Situati- on am Wörthersee z.T. gesehen hat: Dass einzelne Urlaubergruppen einfach im Urlaub feiern, als gäbe es kein Morgen.

Und da wird man, wenn man die Zahlen des gesamten Landes ermittelt oder auch die ge- sundheitlichen Bemühungen im gesamten Land betrachtet, nicht viel weiterkommen. Deshalb muss man vielleicht eine andere Stufe da einziehen. Wie verhalten sich denn die Tou- risten im Ausland? Bei Kroatien ist nun be- kannt, dass es ganz viele preisgünstig angebo- tene Reisen für Abiturienten gibt. Das hat schon Tradition, dass die da in großen Zahlen hinkommen und feiern und dann dort ihre Abitur-Partys veranstalten. Da braucht man ja eigentlich kein Experte zu sein, um zu sagen, dass da ein hohes Risiko für eine Übertragung im Raum steht. Man müsste bei den Urlaubs- destinationen prüfen: Ist dort, von der Art, wie dort Urlaub gemacht wird, ein hohes Risiko, dass viele Menschen zusammen auf engem Raum mit schlechter Lüftung sind. Und wenn man das antizipieren kann. Und da glaube ich, dass Reiseveranstalter und das Auswärtige Amt durchaus des Know-how hätten, das zu ma- chen, dann müsste man vielleicht bei dieser Art von Reisen wirklich von vornherein sagen: Wenn ihr das macht, dann müsst ihr euch tes- ten lassen, wenn ihr zurückkommt.

2 [0:35:50]:

Camillo Schumann:

Wir kommen zu den Hörer-Fragen. Frau A. aus Bremen hatte angerufen. Sie will im Septem- ber mit dem Zug von Bremen nach München fahren und hat dazu folgende Frage:

„Die Apotheke hat mir empfohlen, 2 verschie- dene FFP2-Masken zu nehmen, damit ich sie wechseln kann auf der langen Strecke. Aber sehen Sie es als okay an, dass man zwischen- durch mal einmal im Speisewagen mit dem eigenen Partner am Tisch sitzt, also nicht mit Fremden etwas isst und was trinkt auf der Strecke, es ist doch so lang. Vielen Dank für Ihre Antwort.“

15 [0:36:28]:

Alexander Kekulé:

Ich kann nur sagen also ich selber fahre viel Zug, und ich setze mich nicht in den Speisewa- gen. Einfach deshalb, weil man da gemütlich isst, kann man nicht die ganze Zeit die Maske im Gesicht lassen. Ich habe tatsächlich im Zug auch eine FFP2-Maske auf, und ich setze die nur ab, um Wasser zu trinken oder mal zwi-

schendurch eine Brezel zu essen. Jetzt können sie natürlich sagen naja, wenn jemand sein Leben lang mit Viren zu tun hatte, dann ist er vielleicht ein bisschen übervorsichtig. Aber so mache ich das halt einfach. Deshalb kann ich jemanden anders nicht einfach empfehlen, sich in den Speisewagen zu setzen. Sie wissen nicht, wer da sonst noch ist. Wir wissen, dass im Sommer zum Teil sogar die Klimaanlagen nicht so gut funktionieren in den Zügen. Und es ist ja so, dass ein Großteil der Luft rezirku- liert wird in der Bahn. Ich weiß nicht genau, wie viel Prozent beim Flugzeug es sind, etwa 50%, meine ich. Bei der Bahn geht es Richtung 70%, die re-zirkuliert werden. Das heißt, das ist Luft aus dem Raum, die wieder in den Raum geblasen wird. Wenn so ein Zug richtig voll ist, würde ich mich da unwohl fühlen, selbst wenn der, der neben mir im Speisewagen sitzt, viel- leicht jemand ist, vor dem ich keine Angst ha- ben muss.

2 [0:37:37]:

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 93. Heu- te gibt es mal wieder die positive Nachricht zum Schluss, Herr Keklué: Deutschland ist in der Corona-Pandemie nach Einschätzung vieler Menschen enger zusammengerückt. Das ist zumindest das Ergebnis einer Umfrage, über die eine große Boulevardzeitung berichtet. Deutschland ist in der Corona-Krise zusam- mengerückt. Das ist doch was.

13 [0:37:59]:

Alexander Kekulé:

Na, dann hoffe ich mal, dass es auch so bleibt und dass das Virus nicht zum Spaltpilz wird, sondern uns halbwegs vereinigen kann.

2 [0:38:07]:

Camillo Schumann:

Vielen Dank. Wir hören uns dann am Donners- tag wieder.

Alexander Kekulé:

Bis dann, Herr Schumann, danke.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns:

mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00. Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 08.08.2020 #92: Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass

[0:00:10] Camillo Schumann

Was sind Initial-Fälle?  Ist eine schnelle Umarmung ohne

Maske, ohne Gefahr möglich?  Besser die Jüngeren und nicht die Älte-

ren impfen?  Wieso ist man gegen manche Viren le-

benslang immun und gegen manche

nicht? Diese und viele weitere Fragen wollen wir wie- der in einem Kekulé Corona-Kompass Spezial beantworten. Die Fragen kamen von Ihnen. Die Antworten von dem Virologen und Epidemio- logen, Alexander Kekulé. Ich grüße Sie.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Herr S. hat gemailt. Er schreibt: „Ich bin 53 Jahre alt, 1,92 Meter groß. Ich wiege 100 kg und habe Blutgruppe A positiv. Nun kommt meine Frage: Ich bin impfaffin und lasse mich seit circa 15 Jahren jeden Herbst gegen die Grippe impfen. Auch die angebotenen Impfun- gen gegen die Hühner- und die Schweinegrip- pe habe ich vornehmen lassen. Ist es möglich, dass ich im Falle einer Infektion durch das SARS CoV2-Virus nicht so heftig erkranke, da mein Immunsystem durch die vorangegangenen Impfungen schon an ähnliche Coronaviren gewöhnt ist und die Immunantwort früher und besser erfolgt?“

Alexander Kekulé

Typisch wäre das nicht. Wir wissen, dass es Kreuzimmunität gibt, wenn eine ähnliche Imp- fung stattgefunden hat. Zum Beispiel wenn man lebenslänglich immer wieder diese In- fluenza-Impfungen gemacht hat. Auch wenn die im Einzelfall oft nicht so gut funktionieren und manchmal in dem Jahr der Impfstoff nicht optimal gewählt wurde. Dann baut man suk- zessive eine Immunität gegen andere Arten von Influenzaviren auf. Das könnte theoretisch auch bei einem ganz neuen Influenza-Virus einen gewissen Schutz herleiten. Zumindest, dass man keine so schwere Erkrankung hat. Das ist zumindest theoretisch möglich. Das Gleiche gilt für die Coronaviren. Wenn man im Laufe des Lebens diese Coronaviren gesam- melt hat. Da gibt es ja auch welche, die ganz normale Erkältungen machen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass es einen gewissen Schutz gibt gegen Covid19. Es gibt keine Studie dazu. Aber es wäre zumindest nicht völlig unplausibel. So kann man es viel- leicht mal formulieren. Aber es gibt keine Imp- fungen gegen Coronaviren, sodass also der Hörer dadurch, dass er sich gegen andere Vi- ren geimpft hat, wahrscheinlich nicht irgend- wie geschützt hat gegen Corona. Das ist leider so, dass man davon in dem Fall nicht ausgehen kann.

[0:02:28] Camillo Schumann Dieser Herr hat angerufen. Er ist ein bisschen schlecht zu verstehen. Die Frage ist aber inte- ressant.

[0:02:35] Zuhörer Der Unterschied zwischen Initial-Fällen und Sekundär-Fällen ist nicht so richtig klar. Eine Klarstellung wäre schön. Dankeschön!

[0:02:44] Camillo Schumann Der Unterschied zwischen Initial- und Sekun- där-Fällen?

Alexander Kekulé

Das kann man nicht so gegenüberstellen. Initi- al-Fälle, das ist ja ein Begriff, den ich da ins

Spiel gebracht habe. Damit sind gemeint sol- che Fälle, die nicht zu einer bekannten Infekti- onskette gehören. Das heißt aus Sicht des Ge- sundheitsamts: Wenn die einen neuen Fall haben, den sie keiner bekannten Infektionsket- te zuordnen können. Dann ist das ein Initial- Fall. Und wenn Sie bei Tönnies den Fall Num- mer 1215 haben, dann ist das ein Fall, der eben einem bekannten Infektionsgeschehen zugeordnet ist. In der Literatur benutzt man das, um Wahrscheinlichkeiten auszurechnen, wie gut Behörden hinterherkommen bei der Nachverfolgung. Weil, wenn sie einen Aus- bruch in einem bekannten Geschehen haben, in einem Krankenhaus zum Beispiel und dann sagt jemand: Da ist übrigens noch eine Schwester krank. Dann ist es relativ einfach, die auch noch in Quarantäne zu bringen. Oder vielleicht war sie schon vorher in Quarantäne, kommt dann in die Isolierung. Wenn es aber ganz neue Fälle sind, dann ist das eine viel höhere Belastung für das Gesundheitsamt. Und darum habe ich ja dafür plädiert, dass man diese Initial-Fälle als Maßstab nimmt und nicht einfach pauschal die neue Erkrankungen. Dafür ist der Begriff wichtig.

Camillo Schumann

Sekundär-Fälle?

Alexander Kekulé

Wir sagen Sekundär-Fall, wenn ich einen Fall schon kenne. Und dann stelle ich fest, dass eine Kontaktperson krank geworden ist. Das wird ja oft bei der Nachverfolgung gemacht. Die Leute geben an, mit wem Sie Kontakt hat- ten. Und dann stellt man fest, jemand von denen hat sich infiziert. Das wäre ein Sekun- där-Fall. Und dann wird dieser Infizierte natür- lich auch wieder sauber interviewt und muss sagen, wo er wiederum in den letzten vier Tagen war. Und wenn man dann noch jeman- den findet, dann wäre das ein Tertia-Fall, also dritte Stufe. Das ist sozusagen die Nachverfol- gung an primär sekundär und tertier.

[0:04:32] Camillo Schumann Und Patient Zero wäre der Patient, der es überhaupt ins Land gebracht hat. Zum Beispiel in Deutschland die junge Dame aus China.

[0:04:42] Alexander Kekulé Nein, es kommt immer auf die Ausbruchssitua- tion an. In Deutschland wäre der Patient Zero. -Die Deutschen sagen da Index-Fall dazu. - Der Index-Fall ist quasi der, der einen bestimmten Ausbruch, der eine kleine Epidemie verursacht hat. Also diese Chinesin, die bei Webasto in der Nähe von München gearbeitet hat und dort dann eine Reihe von Mitarbeitern ange- steckt hat. Das war der Index-Fall dieses Aus- bruchs. Aber natürlich nicht der Index-Fall für die ganze deutsche Epidemie, weil wir später ganz viele Einschleppungen insbesondere aus Norditalien hatten. Da gab es theoretisch für jede einzelne Situation wieder einen Index- Fall. Dieser berühmte Ausbruch in Gangelt in Nordrhein Westfalen. Da gab es sicher jeman- den, der das eingeschleppt hat. Genauso wis- sen wir bei dem ersten SARS-Ausbruch von 2003. Da ist sogar höchstwahrscheinlich der Index-Fall für den weltweiten Ausbruch be- kannt. Da weiß man, wer in einer Region von China in Guangdong dort es war. - Ein Mann glaube ich und sein Sohn. - Es waren tatsäch- lich die zwei allerersten registrierten Fälle dort in der Region. Das ist das ist dann immer der Index-Fall entweder eines bestimmten Aus- bruchs oder eines kleineren Geschehens oder auch einer ganzen Pandemie, wenn man den mal zu fassen kriegt. Es gibt auch bei dieser Pandemie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen Index-Fall, weil die so wie die Viren aus- sehen. Da war am Anfang wahrscheinlich eine einzige Übertragung vom Tier auf den Men- schen verantwortlich für diese konkrete Pan- demie.

[0:06:14] Camillo Schumann 30 Grad im Schatten oder noch heißer wird es die kommenden Tage und diese Dame will ins Freibad gehen.

[0:06:19] Zuhörerin Gibt ist eine Ansteckungs-Gefahr im Wasser, wo die Menschen zugleich schwimmen und eventuell ausspucken oder rein pinkeln? Wie gefährlich ist das Baden mit mehreren anderen in einem öffentlichen Freibad, was ja kein rich- tiges Fließgewässer ist.

[0:06:43] Alexander Kekulé Ich gehe davon aus, dass die Infektionsgefahr in Freibädern übers Wasser minimal ist. Die würde ich vernachlässigen, weil das Virus im Wasser in Freibädern, es ist ja sogar gechlort in der Regel, das Virus hält sich da nicht beson- ders lange und es wird schlagartig verdünnt. Selbst wenn jemand das auf der Haut hatte oder im Speichel oder sonst wo. Es gibt auch keinen Fall, wo wirklich über so einen indirek- ten Weg, eine Übertragung stattgefunden hätte. Man kann es natürlich nie ausschließen. Vielleicht ist das am Ende dieser Pandemie so, dass wir weltweit zehn Fälle beschrieben ha- ben, wo man das Schwimmbad bekommen hat. Aber selbst wenn es dieses Risiko gäbe, würde mich das nicht davon abhalten, an ei- nem heißen Tag ins Wasser zu springen.

[0:07:26] Camillo Schumann Herr R. hat uns gemailt. Er macht sich wegen der steigenden Infektionszahlen und auch we- gen der Schulöffnung große Sorgen. Deshalb seine Frage: „Sollten wir nicht in vorauseilen- dem Gehorsam vor Schulbeginn die Chance nutzen, alle Schüler, Lehrer, Hausmeister und so weiter verpflichten zu testen. Das heißt ohne aktuelles Testergebnis kein Schulbe- such?“

[0:07:48] Alexander Kekulé Wenn Sie, wenn Sie den Virologen fragen, kriegen sie eine virologische Antwort und keine politische. Und wenn ich das gemacht hätte, hätte ich wahrscheinlich gesagt: So wir neh- men den Ort XY und machen da erstmal zwei Kindergärten und zwei Schulen auf unter ge- nauer Kontrolle. Und die testen wir alle vorher genau, wie es der Hörer vorgeschlagen hat. Bundesweit das zu machen. Das weiß ich nicht, ob das logistisch irgendwie möglich wäre. Selbst wenn Sie pro Bundesland sagen: Alle müssen am Tag vorher getestet werden. Das gibt einen Ansturm auf die Labore. Das müsste man logistisch schon ganz gut machen. Aber es ist völlig klar, dass in Situationen, wo die Ab- stände nicht mehr eingehalten werden können und wo Menschen im geschlossenen Raum

keine Masken aufhaben sollen und wo wir einen Hintergrund haben, wo doch immer wieder Infektionen zu erwarten sind. Dass da der Test eine zusätzliche Sicherheit bringt. Keine 100-prozentige. Ich glaube, es ist allen klar. Kann sein, dass man in der Inkubationszeit ist. Kann sein, dass man sich am nächsten Tag erst ansteckt. Aber es ist auf jeden Fall eine erhebliche zusätzliche Sicherheit. Gerade am Ende der Ferien, wo ja viele sich in den Ferien anders verhalten haben, als es hier in Deutsch- land vorgeschrieben ist.

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen, denn sie hat eine interessante Beobachtung gemacht

[0:09:02] Zuhörerin Ich habe eine Beobachtung gemacht im Fern- sehen, dass unsere Bundeskanzlerin einen Mund-Nasen-Schutz trug. Aber dieser Mund- Nasen-Schutz bewegte sich wie ein Ballon vor und zurück, vor und zurück. Ich frage mich: Ist da diese Maske noch sicher?

[0:09:23] Alexander Kekulé Ja, schon. Also dieser normale Mund-Nasen- Schutz hat nicht den Zweck wie eine Sicher- heitsmaßnahme, also FFP-Maske, FFP2 oder FFP3. So einer hat nicht den Zweck, wirklich den Träger halbwegs zuverlässig vor Viren zu schützen. Das macht den Mund-Nasenschutz nur bedingt sicher. Aber kleine Tröpfchen, die beim Ausatmen abgegeben werden, die blei- ben eben an der Maske hängen, auch wenn die Luft um die Ecke geleitet und über die Backe rausgeblasen wird. Als Bei-Luft sozusagen. Und auch beim Einatmen. Wenn es so ist, dass in dem Fall die Kanzlerin vielleicht mal tief schnaufen muss, weil sie irgendeine schwere Entscheidung treffen muss. Wenn die dann tief einatmet, kann es schon mal sein, dass sie die Luft seitlich neben einer Maske reinzieht. Da ist nun auch die Frage, wie sollen da Tröpfchen hinkommen? Da müsste quasi im gleichen Moment sie jemand von der Seite intensiv ansprechen, damit sie sozusagen dessen Abluft direkt in die Maske bekommen, sodass ich sage, für den Alltag selbst einer Bundeskanzle- rin ist das ein zuverlässigste Instrument, so ein

Mund-Nasen-Schutz. In Extremsituationen, wo man mit Aerosolen rechnen muss. Stichwort Fernbus, Stichwort Zug, Stichwort Flugzeug oder vielleicht Toilette im Fußballstadion. Demnächst, da würde ich dann eher den FFP-2 Schutz empfehlen, weil der in der Tat natürlich sicherer ist als ein einfacher Mund-Nasen- Schutz.

[0:10:43] Camillo Schumann Herr W. hat uns geschrieben: „Ich habe eine Frage, die mich schon fast mein ganzes Leben beschäftigt. Woran liegt es eigentlich, dass manche durchgemachte Viruserkrankung eine lebenslange Immunität hinterlassen und man- che eben nicht. Viele Grüße.“

Sie haben sich ja als Virologe ein ganzes Leben lang damit beschäftigt. Haben Sie eine Antwort gefunden?

Alexander Kekulé

Es gibt keine endgültige Antwort darauf. Aber ich kann sagen, was so ein bisschen die Idee dabei ist. Das sind zwei Faktoren: Das eine ist das Virus und das andere ist die Immunab- wehr. Beim Virus ist es relativ einfach gesagt. Es gibt Viren, die sich nicht besonders stark verändern, die genetisch stabil bleiben. Be- rühmt ist dafür das Masernvirus zum Beispiel oder auch das Pockenvirus, was ausgerottet wurde. Das sind Viren, die, obwohl sie viele, viele Menschen infiziert haben und weltweite Pandemie ausgelöst haben. Die haben sich genetisch in diesem ganzen Lauf wenig verän- dert haben. Da waren offensichtlich Faktoren am Spiele, die das Virus gezwungen haben, so zu bleiben, wie es ist, damit es in seiner ökolo- gischen Nische überleben kann. Sozusagen Survival of the fittest nach einem Darwinschen Prinzip.

Dann gibt es andere Viren. Dazu gehören die Coronaviren natürlich, die verändern sich ständig. Da ist es so: die können nach einem Jahr wiederkommen. Fast das gleiche Virus hat seine Oberfläche bisschen verändert und das Immunsystem ist nicht mehr immun dagegen, weil es ein bisschen anders aussieht. Dann macht man die Krankheit noch mal durch. Das ist der virologische Faktor und das andere ist

die Immunantwort des Wirts. Das ist der Grund, warum wir gegen bestimmte Erkran- kungen immun sind. Es ist nicht immer genau der gleiche. Wir erleben das als immun. Ja, man sagt: Ich bin immun. Aber warum ist man immun? Warum wird man überhaupt nicht krank? Das ist nicht immer der gleiche Mecha- nismus. Da gibt's Riesenunterschiede zwischen Viren, Bakterien, Pilzen und Parasiten. Das wäre eine lange Vorlesung. Aber bei den Viren ist das so, dass die Immunantwort sehr stark antikörper-getragen ist, also von den B-Zellen. Die produzieren die Antikörper. Manchmal ist sie auch sehr stark von der zellulären Antwort getragen. Je nachdem welche Zellen im Körper von dem Virus bevorzugt befallen werden. Da sind manchmal Zellen notwendig, um ein Virus, was in einer anderen Zelle drinnen ist, aufzu- spüren und zu eliminieren. Und weil es ver- schiedene Immunantwort-Mechanismen gibt und jeder genetisch unterschiedlich ist, gibt es eben Menschen, bei denen hält die Immunität länger und bei anderen nicht so lange.

[0:13:14] Camillo Schumann Diese Dame hat einen ganz wichtigen Grund, warum sie angerufen hat. Sie würde gern mal wieder körperliche Nähe spüren. Wenn auch nur ganz kurz.

Zuhörerin

Wenn ich meine Freundin sich in den Arm nehmen in der Wohnung ohne Mundschutz. Das ist eine Sache von vielleicht zehn Sekun- den. Können wir uns da anstecken? Und wie ist das, wenn wir Mundschutz tragen. Das wäre meine Frage, ob das in irgendeiner Art und Weise gefährlich ist.

[0:13:42] Alexander Kekulé Also es gibt da zwei Möglichkeiten, das sicher zu gestalten. Das eine ist, wenn Sie beide si- cher sind, dass Sie sich sehr, sehr gewissenhaft verhalten und glauben, dass Sie die Infektionen vermieden haben. Dann können Sie sich so wie in der Familie natürlich umarmen. Wenn Sie da nicht so ganz sicher sind, weil ihre Freundin vielleicht Krankenschwester ist und berufliche Risiken hat und gar nicht anders kann, als gele- gentlich mal ein Risiko einzugehen. Dann gibt

es die Variante, dass man bei der Umarmung versucht, die Infektion zu minimieren. Das eine ist, dass man hinterher, wenn es irgendwie geht, sich das Gesicht wäscht. Aber es wäre von Vorteil, wenn man eine Gesicht-zu-Gesicht Berührung hatte. Das andere ist, man muss sich ja nicht direkt gegenseitig anatmen beim Umarmen. Man kann sich ja so umarmen, dass man sich nicht die Atemluft ins Gesicht bläst. Im Extremfall gibt es ja auch Leute, die halten zehn Sekunden die Luft an. Manche Teenager sind ja so aufgeregt, dass sie beim Umarmen immer unwillkürlich die Luft anhalten. Deshalb kann man sich so etwas vorstellen. Also das Gefährliche bei dieser Infektion ist hauptsäch- lich die Ausatemluft und die Schmierinfektion. Nur dann, wenn man das Virus auf der Haut behält und sich hinterher in die Schleimhäute einreibt. Mit diesem Wissen kann man eine Umarmung so gestalten, dass das sicher ist.

[0:15:02] Camillo Schumann Apropos Luftanhalten. Mir geht es genauso. Reflexartig halte ich die Luft an, wenn ich je- manden im Treppenhaus sehe oder mir je- mand entgegenkommt auf dem Bürgersteig. Das mache ich übrigens auch, wenn vor mir jemand raucht auf der Straße. Dann halte ich die Luft an. Ich gehe dann rüber. Genauso ma- che ich es auch in brenzligen Corona- Situationen. Einfach mal ein Luftanhalten. Ist ja auch eine Variante?

[0:15:27] Alexander Kekulé Das können wir natürlich im Podcast nieman- dem empfehlen. Nachher fallen die Leute blau um und wir waren schuld. Nicht jeder ist ja sozusagen Hobbytaucher. Also ich glaube, sol- che Erlebnisse hat jeder. Der Reflex ist nicht falsch. Das ist ja so, dass man früher ... Die Malaria heißt ja nach Malaria, also schlechte Luft. Und die Menschen haben schon immer bei der Pest im Mittelalter genauso irgendwie die Überzeugung gehabt, dass solche Erkran- kungen auch durch schlechte Luft übertragen werden und dass man Frischluft braucht, um sie zu vermeiden. Und wenn man so die Emp- fehlungen hört, Fenster auf bei Sitzungen und in Schulklassen. Dann merkt man, die haben

damals im Mittelalter nicht so komplett dane- bengelegen.

[0:16:09] Camillo Schumann Herr O. hat geschrieben: „Wenn es irgendwann einen Impfstoff geben würde. Warum muss man dann Menschen über 65 Jahre impfen, wenn er bei der Altersklasse vielleicht gar nicht wirkt wie bei den älteren Personen? Das heißt nicht, dass mir Ältere egal sind. Meine Eltern sind 80 und ich hoffe, sie werden 120. Über 65 sind nur 19 Prozent der Bevölkerung. Reicht es denn nicht, alle anderen unter 65 zu impfen, um einen Schutz für die Älteren zu haben?“

[0:16:36] Alexander Kekulé Na ja, das wäre sozusagen der Plan B, wenn es nicht funktioniert. Bei den Älteren könnte man so eine Art indirekten Herdenschutz für die aufbauen. Das ist ein Teil der Strategie, zum Beispiel bei der Grippe. Bei der Grippe- Impfung wissen wir einfach, auch wenn das öffentlich nicht so gerne zugegeben wird. Dass genau bei denen, wo es am wichtigsten wäre, nämlich bei den Älteren über 60 Jahren, der Impfstoff am schlechtesten wirkt. Deshalb ist die Hoffnung, dass der Rest der Bevölkerung halbwegs gut immunisiert ist, damit die Alten das Virus nicht abkriegen.

Aber bei Covid19 ist es doch noch gar nicht gesagt. Ich bin da nicht pessimistisch, was die Wirksamkeit des Impfstoffs betrifft. Der wird natürlich in den Studien erst einmal an jungen, gesunden Menschen getestet. Aber dann in der nächsten Stufe selbstverständlich auch an Älteren. Es ist durchaus möglich, dass der Impfstoff dann so konzipiert ist, dass der auch eine gute Wirksamkeit bei älteren hat. Natür- lich ist es so: Das Immunsystem eines älteren Menschen ist schwächer. Es reagiert nicht mehr so gut auf neue Viren und baut dann nicht so gut ne Immunität auf. Das hängt aber sehr, sehr vom Impfstoff ab und vom Einzelfall. Und es würde schon reichen, wenn es eine Teilimmunität ist, die den Krankheitsverlauf deutlich abgemildert. Das würde ja genügend. Dann haben die alten Menschen halt eine Er- kältung statt einer lebensbedrohlichen Erkran- kung. Ich wäre in dieser Phase noch nicht pes-

simistisch, dass man so einen Impfstoff dann auch wirklich bekommt.

[0:18:03] Camillo Schumann Wir haben eine Mail abschließend. Wir haben eine Mail von einer sehr besorgten Mutter erhalten: „Ich habe eine Frage bezüglich des Verhaltens des Aerosols im Alltagsverhalten mit einem hochrisiko-gefährdeten Kind. Das Kind hat eine Lungenkrankheit. Das Kind darf sich nicht anstecken! Drei Ausrufezeichen. Die Eltern sollen von ärztlicher Seite beim Einkau- fen FFP2-Maske tragen. Und jetzt die Frage: Bietet ein Fahrradanhänger für Kinder mit Kin- derwagen-Funktion einen Schutz vor Aerosol?

Dann beschreibt sie das. Man kann vorne ein Regenverdeck schließen, der Wagen ist was- serdicht, Luft kommt nur von unten herein und durch einen kleinen Spalt oben. Das würde, wenn das Kind damit zum Einkaufen fahren würde, den Alltag erleichtern. Und auch das Kind hätte in seiner Entwicklung viel davon. Es kann wieder etwas mehr Menschen sehen.“

[0:18:48] Alexander Kekulé Grundsätzlich ist es so, dass so ein Kinderwa- gen-Anhänger keinen perfekten Schutz vor Aerosolen bietet. Auf der anderen Seite darf man das sich ja nicht so vorstellen, dass in so einem Supermarkt das Aerosol im ganzen La- den steht. Sondern es ist nur im Umkreis von einzelnen Personen, die da unter Umständen krank sind. Wenn die gerade gehustet haben oder gesprochen haben, dann muss man sich das als eine kleine Wolke vorstellen. Wenn man also mit so einem Kinderwagen, der ge- schlossen ist, mehr oder minder da durchgeht und zusätzlich Nähe zu anderen Menschen ein bisschen meidet, vielleicht in der Schlange bisschen Abstand hält. Dann würde ich sagen, ist es trotzdem noch sicher.

Camillo Schumann

Und es gibt ja auch Studien, dass die Infektion in Supermärkten und Geschäften auch relativ gering sind.

Alexander Kekulé

So was kann man immer nicht den Prozent ausdrücken. Sondern das sind einzelne Ereig- nisse. Wenn da gerade jemand drinnen war bei stehender Luft. Der hat zweimal gehustet und ist Superspreader. Dann steckt er in der Folge- zeit mal schnell zehn Leute an. Dieses eine Ereignis müssen Sie halt dann vermeiden, wenn Sie eine Risikoperson sind. Und jemand, der sagt: Nein, das ist nicht so schlimm für mich. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich das kriege, ist gering. Und wenn ich es kriege, wer- de ich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Krank- heit überleben. So jemand kann sagen: Da ziehe ich ein einfacher Mundschutz an. Da brauche ich keine FFP-Maske.

[0:20:07] Camillo Schumann Das war das Kekulé Corona-Kompass Hörerfra- gen Spezial. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hö- ren uns dann am Dienstag 11. August wieder bis dahin. Bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Sie auch. Ich danke Ihnen, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 06.08.2020 #91

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

[0:00:03] Camillo Schumann MDR Aktuell. Kekulés Corona-Kompass

2 [0:00:10]:

Donnerstag, 6. August 2020, erstmals seit Mai wieder über 1.000 Neuinfektionen innerhalb von 24-Stunden. Stehen wir vor einem 2. Lock- down?

Wieder Fußballfans im Stadion: die DFL und die Klubs wollen mit einem gemeinsamen Konzept die Politik überzeugen. Werden sie das zu die- sem Zeitpunkt auch schaffen?

Außerdem, es gibt einen Ort, an dem schon fast Herdenimmunität entstanden ist. Welcher das ist, das erfahren Sie in dieser Ausgabe.

In den USA ist ein mit dem Coronavirus infizier- ter Hund gestorben. Das Virus und Haustiere eine interessante Studie aus Italien gibt Auf- schlüsse. Wir wollen Orientierung geben.

Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Re- dakteur, Moderator bei „MDR aktuell“, das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemio- logen Alexander Kekule.

Camillo Schumann:

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Das Wort hat erst einmal Bundesgesundheits- minister Jens Spahn.

„Unser Robert-Koch-Institut meldet heute zum ersten Mal seit längerem mehr als 1.000 Neu- infektionen binnen 1Tages. Das sind deutlich mehr als in den vergangenen Wochen.“

Camillo Schumann:

1.045, um genau zu sein. das ist die Zahl des Tages. Das heißt: Erstmals seit Mai gibt es wie- der über 1.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden. Es war ja zu erwarten. Trotzdem wie bewerten Sie die auch psychologisch wich- tige tausender Marke?

5 [0:01:38]:

Alexander Kekulé:

Ja, ich glaube schon, dass es wichtig ist, weil man sich daran erinnern muss: Als wir den Lockdown noch hatten und darüber diskutiert haben, ob man ihn lockern kann und wann man in lockern kann, da waren die Bayern die allerletzten. Andere Bundesländer haben vor- her gelockert. Damals waren wir ja schon unter 1.000. Das heißt also 1.000 Fälle ist eigentlich eine Zahl, die wir in der Spätphase des Lock- downs hatten. Und das muss uns zu bedenken geben, zumal wir jetzt auch nur relativ wenige Ausbrüche haben.

In Bayern gibt es bei Erntehelfern Probleme und in einer Konservenfabrik. Aber insgesamt ist ein relativ hoher Anteil von Infektionen dabei, der keinem konkreten Ausbruch zuge- ordnet werden kann. Sie erinnern sich an die- sen Vorschlag, dass man Initialfälle zählen soll, also solche, die wirklich neu und einzeln aufge- treten sind und nicht einen bekannten Aus- bruch zugehören. Und unter dieser Überschrift ist das jetzt eine bedrohliche Situation.

Camillo Schumann:

Da Sie schon einen Rückblick gemacht haben: Ich gehe mal einen kleinen Schritt zurück. Wir

hatten am 9. März ähnlich viele bestätigte Neuinfektionen, nämlich 1.085. Wir alle wis- sen, was danach passierte: exponentielles Wachstum. Jetzt tragen wir alle, naja, weitest- gehend. Masken halten einigermaßen Abstand. Auf der anderen Seite wiederholt sich die Ge- schichte ein bisschen zunehmend. Urlauber bringen das Virus nach Deutschland, genau wie Anfang des Jahres. Und aktuell bei den Reise- rückkehrern gibt es auch eine sehr hohe Tref- ferquote. Außerdem gibt es Ausbrüche in grö- ßeren Gruppen, genau wie Anfang des Jahres. Stichwort Karneval. Das ist jetzt Tönnies. Sind die Parameter einer 2. Welle gegeben aus Ihrer Sicht?

5 [0:03:18]:

Alexander Kekulé:

Naja, ich nenne es ja eben ungern 2. Welle. Es ist so, dass wir hier 2 Effekte haben: Das eine sind eben Ausbrüche, die immer mehr werden. Und wenn Urlauber zurückkommen, dann steht dahinter häufig, dass sie sich infiziert haben in einem Hotspot im Ausland, den wir nicht zu greifen bekommen. Aber wenn die irgendwo auf einer Party in Mallorca oder so ähnlich waren, dann ist das letztlich ein Aus- bruch, der nur bei uns nicht registriert wird. Die Ausbrüche sind das eine Phänomen. Das 2., was wirklich neu ist, sind diese einzelnen Fälle. Insofern, glaube ich, ist es schon eine andere Situation als am Anfang, weil wir einen Großteil der Bevölkerung haben, die sich weiterhin an diese Schutzmaßnahmen halten. Sodass ich glaube, wenn man jetzt für die Gesamtbevöl- kerung mal das R berechnen würde, diese be- rühmte Reproduktionszahl, dann wäre es nicht so, dass durchschnittlich jeder Infizierte eine hohe Zahl Weitere ansteckt, wie es am Anfang war. Da hatten wir an Werte von R bis 3,0. Das heißt, jeder Infizierte hatte statistisch gleich 3 weitere angesteckt. Ich glaube, da sind wir weit weg inzwischen, weil wir uns anders ver- halten. Aber es gibt eben bestimmte Situatio- nen und bestimmte Verhaltensweisen, die nach wie vor zu einer Zunahme der Fälle füh- ren. Und das müssen wir jetzt wirklich ganz

gezielt und sehr, sehr konsequent angehen. Sonst stimmt es natürlich, was da zum Teil angedroht wird, das dann die Politik möglich- erweise wieder über Lockdowns nachdenkt.

4 [0:04:41]:

Camillo Schumann:

Das Sie gerade Politik angesprochen haben: Der Gesundheitsexperte Karl Lauterbach von der SPD, sieht sämtliche Parameter für eine 2. Welle gegeben. Ist das Alarmismus auf höchs- ter Ebene?

5 [0:04:52] :

Alexander Kekulé:

Nein, das würde ich überhaupt nicht so sagen. Das ist eine andere Betrachtungsweise. Ich lehne das mit der 2. Welle ja aus verschiede- nen Gründen als Konzept ab. Man kann das deskriptiv so sagen. Aber es ist ja nicht so, dass wir eine Welle haben, die halbwegs gleichmä- ßig über die Bevölkerung rollt, sondern es sind mehr oder minder einzelne Ausbrüche. Und wir sind jetzt rein epidemiologisch, wenn man das jetzt technisch beschreiben möchte, diese Definition der Wellen, dass kennen wir ja von Influenzapandemien, die früher stattgehabt haben: Wir sind rein definitionsgemäß immer noch in der 1. Welle. Das ist hier nicht die 2. Welle, weil diese echte, klassische 2. Welle hätte etwas damit zu tun, dass ein Teil der Bevölkerung immun wird und sich dann da- nach weitere Menschen noch einmal infizie- ren. In so einer Situation sind wir hier nicht, sondern wir haben die 1. Welle. Wir stemmen uns gegen die 1. Welle. Wir haben in Deutsch- land einige Maßnahmen spät, aber dann er- folgreich ergriffen. Und jetzt ist einfach die Frage, indem wir diese Maßnahmen zum Teil ja wieder gelockert haben, ob wir dieses Stem- men, gegen die 1. Welle aufrechterhalten kön- nen oder ob sie eben doch noch mal durch- bricht.

4 [0:05:58]:

Camillo Schumann:

2. Welle oder nicht, das sind ja Begrifflichkei- ten. Was dahinter steckt, ist die Angst des ex- ponentiellen Wachstums und dann möglicher- weise wieder eines 2. Lockdowns, was die Wirtschaft nie verkraften würde. Noch mal gefragt, sozusagen die Rahmenbedingungen für exponentielles Wachstum, dass man die Infektionsketten nicht mehr verfolgen kann, dass man es nicht mehr im Griff hat, sind die Parameter gegeben.

5 [0:06:27]:

Alexander Kekulé:

Die Gefahr besteht. Aber auch da muss man noch einmal unterscheiden. Ich glaube, so ein richtiges exponentielles Wachstum habe ich umschrieben mit dieser Reproduktionszahl. Dass die einfach hohe Werte annimmt, hängt davon ab, wie die einzelnen sich verhalten, wie viele jeder einzelne Mensch im Durchschnitt ansteckt. Das heißt, das ist der Teil, der an jedem von uns liegt.

Man kann das Problem in 2 Teile aufteilen: Das eine ist das verstreute Phänomen, was ich ja neues Noise nenne, also dieses Hintergrund- rauschen, das dadurch entsteht, dass viele einzelne Menschen entweder nicht entdeckt werden, wenn sie infiziert sind, oder bei den Ausbrüchen nicht mit registriert werden, so- dass man, wenn das eine Weile läuft, nach und nach verteilte Einzelfälle im ganzen Land ha- ben. Diese verstreuten Fälle, dieses Hinter- grundrauschen, kann nur jeder selber bekämp- fen, das können die Gesundheitsämter nicht. Die können nicht jeden, der irgendwo so mehr oder minder symptomlos infiziert ist, dann identifizieren. Das ist die Eigenverantwortung, dass die Leute sagen, ich habe Symptome, ich lasse mich testen, oder ich begebe mich frei- willig in eine Heimquarantäne-

Und das andere ist eben die Situation, was die Behörden machen können. da glaube ich, es ist ganz wichtig. Das ist ja jetzt auch schon er-

kannt in der Politik, dass die Behörden sich auf Super-spreading-Ereignisse konzentrieren und diese proaktiv vorher verhindern. Dass man so etwas wie Tönnies gar nicht erst passieren lässt, sondern durch Analyse der Situationen verhindert. Wenn Menschen in geschlossenen Räumen sind, die Luft sich nicht bewegt, dass man solche Situation wirklich vermeidet. Und das ist der Teil, den die Behörden leisten kön- nen, dass sie proaktiv tätig sind. Oder wenn dann Ausbrüche tatsächlich Mal stattfinden wie bei den Erntehelfern in Bayern, dass man dann einfach extrem schnell reagieren muss und konsequent reagieren muss.

4 [0:08:18]:

Camillo Schumann:

Was Behörden machen können: Am Samstag gilt die Testpflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebieten. Es mussten ein paar Tage ins Land gegangen sein, mussten die Testkapazitä- ten an den betreffenden Flughäfen überhaupt erst einmal vorhanden sein. Das scheint jetzt der Fall zu sein. Am Samstag ist das. Da ist wie- der eine Woche ins Land gegangen.

5 [0:08:41]:

Alexander Kekulé:

Ja, das erinnert mich ein bisschen an die Situa- tion, als wir Schulschluss hatten in Baden- Württemberg und Bayern. Da waren die Ferien zu Ende, die Frühjahrsferien. Es war klar, dass Infizierte aus Norditalien einreisen würden. Da hat man einfach eine Weile gewartet, bis man gesagt hat, jetzt machen wir mal die Schulen zu. Hier ist es so ähnlich, dass es kritisch wird, dass man erkennen muss, dass so eine Pande- mie extrem zeitkritisch ist und die Maßnah- men, die man jetzt ergreift, viel schlechter sind, als wenn man das gleiche vor einer Wo- che gemacht hätte. Oder vor 10 Tagen. Da kommt es wirklich auf Tage und Wochen an. Und ich sehe, dass in mehreren Bundesländern jetzt die Ferien zu Ende gegangen sind und dass vor allem auch beim Landreiseverkehr,

Rückreise aus dem Balkan zum Beispiel, die ganzen Einreisekontrollen mit Tests nicht vor- gehalten werden. Und das erinnert mich an die Zeit, als die Flieger aus Teheran kamen und man schon hier so eine Art Lockdown und Aus- gangssperren hatte, aber die Flugzeuge aus Teheran nach wie vor nicht kontrolliert worden sind. Ich glaube, das muss konsequenter im Detail funktionieren und vor allem viel schnel- ler. Wir haben es mit einem sehr schnellen Gegner zu tun. Den darf man von seiner Ge- schwindigkeit her nicht unterschätzen.

7 [0:09:59]:

Camillo Schumann:

Wir sind gespannt, wie die nächsten Tage und Wochen verlaufen werden. Wir werden im Podcast einen Blick darauf haben. Und deswe- gen reden wir jetzt noch gar nicht über Lock- downs. Das ist sehr theoretischer Natur. Das machen wir dann vielleicht hoffentlich in einer der kommenden Ausgaben.

5 [0:10:11]:

Alexander Kekulé:

Vielleicht sage ich das eine noch dazu: Der Lockdown ist definitiv vermeidbar. Wenn wir im Herbst wieder Lockdowns haben, dann hat die Politik ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Denn es geht darum, auch diese Schnelltests zur Verfügung zu stellen. Bei diesem verteilten Szenario, was wir jetzt haben, mit den vielen Einzelfällen, muss jeder Mensch die Möglich- keit haben, eine Risikobewertung zu machen und sich sofort testen zu lassen. Und ich sehe nicht, wie das bis zum Herbst, wenn wir dann alle die Fenster wieder zumachen müssen, zur Verfügung gestellt wird.

4 [0:10:41]:

Camillo Schumann:

Kommen wir zu einem weiteren Thema, das angesichts der beunruhigenden Zahl an Neuin- fektionen vielleicht ein wenig deplatziert wirkt,

aber vielleicht ja auch seine Berechtigung hat: Es geht um den Lieblingssport der Deutschen, um Fußball.

8 [0:10:52]:

„Wir bereiten uns auf alle Möglichkeiten eines Saisonstarts vor. Und der reicht von Spiele ohne Zuschauer, Spiele mit wenigen Zuschau- ern, Spiele mit einem bisschen mehr Zuschau- en.“

4 [0:11:03]:

Camillo Schumann:

Christian Seifert war das, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga. Am Dienstag, den 4. August, hatten sich DFL und alle Profiklubs auf ein Konzept verständigt, wie man zum Start der neuen Saison, am 18. September, im bes- ten Fall wieder Fans ins Stadion bekommen könnte.

Bevor wir über die Einzelheiten kurz sprechen, was halten Sie von dem Zeitpunkt dieser Dis- kussion?

9 [0:11:22]:

Alexander Kekulé:

Ich finde, er hat es ja sehr diplomatisch ausge- drückt. Der Seifert sagt ja, wir bereiten uns auf alle Szenarien vor. Ich glaube, er weiß genau, was er da sagt. Dass es eben auch sein kann, dass die Fallzahlen im Land wieder so anstei- gend, dass man diese ganze Diskussion beerdi- gen muss. Aber es wäre umgekehrt für die Fußballfans auch nicht gut, wenn die Saison beginnt und wir hätten wenige Fälle im Land. Und man fragt sich, wieso gibt es kein Konzept, dass wir jetzt zumindest ein paar Zuschauer ins Stadion lassen? Planen darf man ja immer, wenn man ehrlich dazusagt, dass es nur für einen optimistischen Fall gilt.

4 [0:11:54]:

Auf folgende gemeinsame Maßnahmen hat man sich geeinigt: Zum Beispiel soll es keine Gästefans geben, damit kein großes Reiseauf- kommen in Deutschland entsteht. Auf Steh- plätze soll verzichtet werden wegen der Enge. Es soll keinen Alkohol geben, und mit persona- lisierten Tickets soll die Kontaktnachverfolgung möglich sein. Wie hören sich diese groben Beschlüsse da an?

5 [0:12:17]:

Alexander Kekulé:

Das ist alles richtig. Ich habe das DFL-Konzept im Detail durchgelesen. Das Konzept ist ein Rahmenkonzept, was dann umgesetzt werden muss von den lokalen Clubs und von den Ge- sundheitsämtern. Keine ganz einfache Aufga- be. Und es sind natürlich noch viele Fragezei- chen im Detail offen. Zum Beispiel ist unklar, wann und wo die Maske getragen werden soll.

4 [0:12:39] :

Camillo Schumann:

Genauso ist es. Es steht ja nicht eine eindeuti- ge Maskenpflicht im Konzept. Man kann es nur implizit herauslesen. Haben Sie das auch her- ausgelesen?

5 [0:12:48]:

Alexander Kekulé:

Nein, ich war mir da nicht so sicher. Es steht da, dass man für Menschen mit Behinderung Sonderregelung schaffen soll. Da würde jetzt ein Jurist möglicherweise herauslesen, dass alle anderen die Maske auf haben müssen.

Camillo Schumann:

Das habe ich raus gelesen.

Alexander Kekulé:

Damit würden Sie das 1. Staatsexamen viel- leicht schon bestehen. Aber man muss prak- tisch denken. In Restaurants ist es ja zum Bei- spiel so, dass man in vielen Bundesländern die

Maske aufhaben muss, bis man am Tisch sitzt. Und jetzt wäre es natürlich schon denkbar, dass man im Fußballstadion, dass es nur Sitz- plätze geben soll, die Maske auf hat, bis man am Tisch ist oder sie nur abnehmen darf, wenn man zwischendurch was verzehrt, in der Pause vielleicht etwas trinkt oder ähnliches. Das ist eine Sache. Die sollte man schon bundesein- heitlich festlegen, genauso wie die anderen Details, die da offen sind in dem Plan, weil sonst der eine Fan von dem einen Spiel kommt und sagt: Da mussten wir aber gar keine Mas- ken aufhaben und versteht dann gar nicht, warum er beim nächsten Spiel plötzlich die Maske nur abnehmen darf, wenn er seine Li- monade trinkt. Das ist regelungsbedürftig.

4 [0:13:55]:

Camillo Schumann:

Regelungsbedürftig sind die einzelnen Hygie- nekonzepte, die ganz individuell mit den Ge- sundheitsbehörden vor Ort abgestimmt wer- den müssen. Deshalb wird es auch unter- schiedliche Konzepte geben. Aber bei der Mas- ke würden Sie jetzt sagen grundsätzlich Maske auf in allen Bundesliga-Stadien?

5 [0:14:11] :

Nein, wenn die da sitzen auf dem Platz und alle in die gleiche Richtung schauen, sehe ich das mit der Maske nicht unbedingt notwendig, da es ja im Freien ist. Die Mindestabstände sollen, so steht es in dem Konzept einfach so prosa- isch drinnen, in jeder Situation in sämtlichen Stadionbereichen eingehalten werden. Wenn man das so machen würde,- ich bezweifele mal, dass das funktioniert, dass man immer diese 1,5-2m Abstand hat. Dann braucht man natürlich im Freien keine Maske auf haben. Das ist ganz klar. Da kennen sie meine Position von Anfang an. Und immer wenn Menschen im Freien Masken aufhaben, wo es jetzt nicht ganz dicht gedrängelt ist, halte ich das ehrlich gesagt, für übertrieben.

Ich glaube, was hier bei dem Konzept noch offen ist. Aus meiner Sicht ist das ganze The- ma: geschlossene Räume. So ein Fußballstadi- on besteht ja nicht nur aus dem offenen Be- reich, sondern sie haben Sanitäranlagen zum Beispiel. Und wenn nicht jetzt das Konzept Leser, also in jeder Situation den Mindestab- stand. Und dann stelle ich mir so eine Toilette im Stadion vor, oder wenn ich das Konzept lese. Es sollen nur Einbahnstraßensystem ver- folgt werden. Und dann stelle ich mir die Ein- gangstür von so einer Toilette vor. Die haben ja nicht 2Türen, dass man auf der einen Seite rein und auf der anderen Seite wieder raus kann, zumindest nicht in allen Stadien. Und ich glau- be, da haben dann die Betreiber noch den Schwarzen Peter bekommen, das im Detail wirklich umzusetzen. Und ich glaube auch, dass es zum Teil nicht funktionieren wird, ge- nauso wie die Nachverfolgung, um das Beispiel noch zu nehmen: Ja, die Tickets sind personali- siert, aber da steht dann der Name vielleicht dessen drauf, der das Ticket gekauft hat für sich und 5 Freunde. Wie will man das registrie- ren, wer dann noch drinnen war. Und der Hin- weis, dass es gut wäre, wenn die Leute die Warn-App dabei haben, geht ein bisschen ins Leere, denn wenn die Warn-App nicht beson- ders gut funktioniert, wird es im Stadion Nord auch keine zusätzliche Sicherheit geben.

10 [0:16:05]:

Camillo Schumann:

Und ob tatsächlich wieder vor Publikum im Stadion gespielt werden kann, womöglich auch schon zum Bundesliga-Start am 18. September. Das entscheidet ja die Politik, die Gesund- heitsminister der Länder. Die wollen über Großveranstaltung auf einer Konferenz am Montag, den 10. August sprechen. Mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen sind in der Praxis, Großveranstaltungen mit 250.000- 500.000 mit welchem Konzept auch immer aktuell überhaupt zu verantworten?

5 [0:16:32]:

Alexander Kekulé:

Ja, ich glaube schon, wenn das Konzept wirk- lich sozusagen wasserdicht ist, also 100% sind die das ja nicht. Aber ich kann wirklich nur dafür plädieren, dass man für Großveranstal- tungen zusätzlich das Element der Testung braucht. Das fehlt komplett. Die 2 Schwach- stellen sind, dass man die Kontakte während des Stadionbesuchs nicht wirklich nachvollzie- hen kann und dass man aber auch keine Tes- tung hat. Ich glaube, ab einer gewissen Durch- seuchung der Bevölkerung, und da kann man meines Erachtens nicht nur die am Ort des Stadions nehmen, das soll gestuft gemacht werden, je nachdem, wie viele Fälle gerade in der letzten Zeit in der Umgebung des Stadions registriert wurden. Ich glaube, dass es kein so guter Parameter ist, sondern dass man sagen muss, wie die Gesamtsituation in Deutschland ist. Da kann man in der Lage, in die wir uns jetzt gerade begeben, das ist ja deutlich er- kennbar, da kann man, ohne dass die Men- schen vorher getestet werden, Großveranstal- tungen nicht machen.

Camillo Schumann:

Das ist sozusagen der Appell an das Treffen der Gesundheitsminister: ohne Tests keine Groß- veranstaltung.

Alexander Kekulé:

Ja, das sehe ich tatsächlich so. Da bin ich der Meinung, dass man Schnelltests haben muss. Die können dann preiswert sein. Die haben auch Fehler. Aber wenn Sie 95% der positiven rausziehen, mit den Tests und nur 5% ins Sta- dion gehen und sie dann zusätzlich die ganzen von der DFL hier vorgesehenen Maßnahmen haben, dann ist man in einem Sicherheitsbe- reich, wo man sagen kann: Okay, das muten wir der Bevölkerung zu. Und ich würde Men- schen, die wissen, dass sie ein besonders ho- hes Risiko haben, deutlich über 70 sind oder schwere Vorerkrankungen, gerade aktuell ge- gen Krebs therapiert werden oder ähnliches, raten, Großveranstaltungen zu meiden.

10 [0:18:13]:

Camillo Schumann:

Wir sind gespannt, was die Gesundheitsminis- ter beschließen werden.

Sie haben es ja schon genannt. Das Thema Durchseuchen ist gerade gefallen. Impfstoff oder Herdenimmunität? Diese 2 Möglichkeiten gibt es ja. Und während wir auf einen Impfstoff warten, gibt es einen Ort, der sich darüber vermutlich jetzt nicht so große Gedanken ma- chen muss. Mumbai, 18 Millionen Einwohner, wichtigste Hafenstadt Indiens. Dort hat man möglicherweise die weltweit 1. durchseuchte Bevölkerung, zumindest bei einem speziellen Teil der Bevölkerung festgestellt. Eine Studie zeigt, dass in 3 dicht besiedelten Slums von Mumbai fast 6 von 10 Anwohnern bereits mit dem Coronavirus infiziert gewesen sind, das sind 60%. Und selbst der Autor der Studie, Ullas Cole Tor vom Tata Institut of Research ist im Schweizer Fernsehen sehr erstaunt.

11 [0:18:59]:

„Wir haben eine hohe Zahl erwartet, aber de- finitiv nicht eine so hohe Zahl. Die 1. Frage ist natürlich der Elefant im Raum. Bedeutet das nun Herdenimmunität? Das ist das Wichtigste. Wir glauben aufgrund dieser Zahlen, dass die Slums schon bald Herdenimmunität erreichen.

12 [0:19:18]:

Camillo Schumann:

Glauben Sie das auch?

Alexander Kekulé:

Ja, dass man muss. Dazu sagen die Her- denimmunität wird er nicht erst erreicht, wenn jetzt dieses rein mathematische 60-70%- Niveau erreicht wird von Menschen, die mit dem Virus Kontakt hatten. Sondern die Her- denimmunität beginnt wesentlich früher. Ef- fekte zeigen sich auf jeden Fall schon ab 40% Durchseuchung. Und es ist wohl auch so, dass es solche Zahlen aus Indien gibt, weil nicht nur

in Mumbai, sondern auch in anderen Städten, etwa in Neu Delhi, ist kürzlich eine Studie ge- macht worden. Da sehen wir, dass die Zahl der Neuinfektionen nicht mehr so stark ansteigt, in gerade in diesen Slam-Bereichen. Das ist des- halb erstaunlich, weil in der letzten Zeit die Testkapazitäten ständig erhöht werden. Die sind ja dabei, das aufzubauen nicht so wie wir das, die das einfach schon fertig in der Garage haben. Und bei aufbauenden Testkapazitäten gibt es eine Abnahme der Rate von Neuinfekti- onen. Das heißt, da muss ein anderer Faktor sein. Und diese Studie zeigt deutlich, das ist sozusagen das Negative, dass trotz des Lock- downs, der in diesen Slums enorme soziale Verwerfungen zur Folge hatte: Man muss sich vorstellen, die sind seit Ende März im Lock- down, und trotzdem hat sich das Virus so mas- siv ausgebreitet. Das heißt also, diese ganzen Social Distancing und Ausgangssperren und was es alles gibt, hat nichts gebracht in diesen Regionen. Aber es ist so, dass man abnehmen- de Fallzahlen hat und dass das schon ein Her- denimmunität-Effekt ist, den wir sehen.

Camillo Schumann:

Denn die ganzen Maßnahmen haben nicht gegriffen. Das hat er aber auch einen Grund.

Alexander Kekulé:

Da muss man sich nur die Fernsehbilder an- schauen. Viele waren vielleicht schon mal im Urlaub in Indien. Das ist selbst in den Regio- nen, die man nicht Slam nennt, so, dass da viele Menschen auf engstem Raum zusam- menwohnen. Die meisten leben nicht so, dass sie ein Bankkonto haben, mit dem sie notfalls noch 1-2 Monate überleben könnten. Die müs- sen täglich arbeiten, um sich für den nächsten Tag etwas zu essen besorgen zu können. Und vor diesem Hintergrund ist es so, dass diese Maßnahmen, die der angeordnet wurden, aus Delhi, letztlich nicht gegriffen haben und wahr- scheinlich auch gar nicht umgesetzt worden sind in den Slums.

4 [0:21:40]:

Statistisch gesehen hat jeder Slum-Bewohner nur 3 qm zur Verfügung, und man wohnt auf engstem Raum mit 4-6 Menschen. Da hat es so ein Virus super einfach.

14 [0:21:53]:

Alexander Kekulé:

Das ganze Leben findet völlig anders statt. Das kann man vielleicht noch mit den Favelas in Südamerika vergleichen. Das ist nichts, wo diese Dinge, die wir uns hier so schön am grü- nen Tisch überlegen, als Social Distancing ir- gendwie auch nur ansatzweise greifen würden. Es gab in Neu Delhi vor 2-3 Wochen eine vom indischen CDC, die übrigens dieser indischen nationalen Gesundheitsbehörde so ähnlich wie unser Robert Koch-Institut. Delhi ist ein biss- chen kleiner als Mumbai, aber gleiche Größen- ordnung. Ich glaube, so 17, Millionen Einwoh- ner. Und da war es so, dass man schon so ein Viertel positiv gefunden hat. Aber bei der ge- samten Bevölkerung knapp 25%. Die Delhi- Studie war längst nicht so gut wie die Mumbai- Studie jetzt, weil man nicht differenziert hat nach Alter, Geschlecht, wo die Menschen wohnen. Man hat eine mehr oder minder zu- fällig Probe gezogen. Und diese Mumbai- Studie, die jetzt aktuell ist, ist wirklich gut ge- macht worden. Das Tatar Institut ist tatsächlich dieser Tatar-Steel, den man vielleicht in Deutschland kennt. Also dieser Riesenkonzern in Indien, eine Jahrhunderte alte Tradition. Diese Familie Tatar hat viele Forschungsinstitu- te und Universitätsinstitute gestiftet, drum heißt es so. Und die haben gründlich das so gemacht, dass sie eine Zufallsstichprobe ge- nommen haben, wo sie gesagt haben, wir wol- len ganz bewusst Bevölkerungsschichten, die mehr Einkommen haben. Und wir wollen pro Haushalt nur 1 Person testen. Das fand ich sehr klug, denn wenn sie in einem Haushalt mehre- re testen, ist natürlich die Wahrscheinlichkeit in einer positiv ist und die anderen auch posi- tiv. Und dann kriegen Sie so eine Cluster Effek- te. Die haben die rausgerechnet und haben

auch verschiedene andere statistische Störfak- toren, die man erwarten konnte. Haben die von vornherein durch die Planung ausgeschlos- sen. Und daher glaube ich, dass das eine be- lastbare Zahl ist.

7 [0:23:53]:

Camillo Schumann:

Die große Mehrheit hat laut der Studie auch keine oder nur sehr geringe Symptome gezeigt. Und jetzt wird es interessant: Die Sterberate ist laut offiziellen Zahlen auch sehr tief, nämlich ungefähr 1 von 1.000 infizierten Personen ist gestorben. Das könnte auch damit zusammen- hängen, dass die Bevölkerung von Mumbai sehr jung ist. Ungefähr die Hälfte der Bevölke- rung ist unter 25. Ist das die Erklärung?

14 [0:24:13]:

Alexander Kekulé:

Das sieht sehr danach aus. Die Sterblichkeitsra- te, die hier von den Studien Leuten angegeben wird und wo die Stadt ganz stolz darauf ist, dass das so ein gutes Ergebnis sei. Die liegt tatsächlich sogar bei 0,05 bis 0,1 Prozent, das heißt: 1 von 2.000 bis einer von 1.000 sei ge- storben, und das ist bezogen auf die Fälle. Das ist also die sogenannte Case Fertility weit. Das ist also bezogen auf die Leute, die Symptome gezeigt haben, die Menschen, die überhaupt nur infiziert waren. Da ist die Sterblichkeitsrate natürlich noch geringer. Diese Zahl ist in zwei- erlei Hinsicht mit Vorsicht zu genießen.

Das eine ist: Wir wissen nicht, wie viele Tote in diesen Slums tatsächlich gezählt wurden. Na- türlich werden Tote immer besser gezählt als Infizierte. Das ist klar, ein Toter ist ein Toter, den Kammern registrieren. Aber es ist natür- lich von vielen Fachleuten auch dort in Indien, die das System gut kennen, geäußert worden, dass man dort nicht immer ein Strich bei Corona gemacht hat, wenn der irgendwie älte- re Menschen in den Slums gestorben sind. Vielleicht auch aus politischen Gründen. Das

heißt, die Todeszahl ist eine Unterschätzung. Dadurch ist diese Sterblichkeit vielleicht höher, und das andere ist, was man sich vor Augen halten muss. Indien hat 1,3 Milliarden Men- schen Bevölkerung. Wenn sie da nur die un- terste Kante nehmen würden, einer von 2.000 stirbt, dann kommen sie schon auf 680.000- 700.000 Tote. Und das ist schon die optimis- tischste Annahme. Das heißt, wenn man das jetzt so durchlaufen lässt durch Indien, dann haben Sie in der Größenordnung knapp 1 Mil- lion Tote allein in Indien durch dieses Covid19.

16 [0:25:54]:

Camillo Schumann:

Licht und Schatten dieser Mumba-Studie, weil man natürlich, wenn man einen Impfstoff tes- ten will, braucht man ja genau so eine Situati- on wie in Indien vorherrscht.

Alexander Kekulé:

Ja, das ist so. Das Serum Institute of India, das ist ja der größte Impfstoffhersteller der Welt, hat ja gerade eine milliardenschwere Koopera- tion gestartet mit AstraZeneca und den Jenner- Institute in Oxford, um den Impfstoff, der dort entwickelt wird und der ganz gut aussieht, herzustellen und zu verteilen. Und der be- rühmte Gründer oder Chef dieses Instituts, der Gründer war sein Vater, hat ja gesagt, die Hälf- te aller Impfstoffe bleibt in Indien. Das fand ich ein gutes Statement. Und das wird gerade getestet.

Letzten Mittwoch wurde die Freigabe be- kanntgegeben mit kleinen Einschränkungen, dass die ihre Phase II und Phase III starten dür- fen mit 1.600 Probanden. Und es ist es in Indi- en ein guter Platz, um das zu machen. Sonst müssen ja viele nach Brasilien oder Südamerika ausweichen. USA wäre vielleicht auch noch ganz gut in der aktuellen Situation, wo man solche Tests machen kann. Das, was ich mir so ein bisschen überlegt habe, ist, ob der Test, ob der Impfstoff in Indien selbst, die Facilities tatsächlich aufgebaut haben, die Fabriken sind ja schon im Bau. Man hat schon vor längerer Zeit darüber gesprochen, den Startschuss zu geben, dass die Fabriken sogar gebaut werden,

die den Impfstoff herstellen. Ich habe so ein bisschen Zweifel, wenn das jetzt so weitergeht in Indien mit diesen hohen Durchseuchungs- zahlen, dass der Impfstoff für Indien noch rechtzeitig kommt. Es sieht so aus, als würden sie diese Pandemie sozusagen auf die harte Tour überstehen und relativ schnell eine Her- denimmunität haben. Und wenn ich es mal so sagen darf, brauchen Sie vielleicht Ihre Hälfte des Impfstoffs gar nicht mehr oder nur für die Oberschicht in Delhi und Bombay und andere Städte, weil ein Großteil der Bevölkerung schon auf natürlichem Weg durchimmunisiert ist. Das ist ein bisschen tragisch in der Situati- on, weil Indien die Absicht hatte, endlich mal nicht nur der Impfstoffhersteller für den Rest der Welt zu sein, sondern was für das eigene Land zu machen. Aber wenn der größte Teil der Bevölkerung den Impfstoff nicht mehr braucht, dann ist das so. Dann war das Schick- sal.

10 [0:28:15]:

Camillo Schumann:

Noch ganz kurz nachgefragt: Kann man denn irgendwelche Rückschlüsse aus dieser Studie für Europa für Deutschland ziehen?

14 [0:28:24]:

Alexander Kekulé:

Man guckt natürlich auf die Zahlen bei uns. Sie wissen ja, in Schweden etwa 7,5%, sehr zur Enttäuschung des schwedischen Gesundheits- chefs, der immer hoffte, dass er so eine natür- liche Immunität im Land hinkriegt. In New York City ist vor einiger Zeit, wo das Virus fürchter- lich wütete, nachdem es wahrscheinlich aus Italien importiert wurde, da war vor einiger Zeit klar gewesen, dass nur ungefähr 14% der Erwachsenen immun sind, aber immerhin 14%, mehr als in Schweden. Und daraus kann man schließen, dass wenn man das Virus einfach so laufen lässt und nichts tut, in kürzester Zeit eine relativ hohe Immunisierung bekommt.

Wenn man das Umrechnen würde auf unsere europäische Bevölkerung, dann sind 2 Fakto- ren wichtig: Der eine ist, dass wir eine bessere medizinische Versorgung haben, aber auch, dass wir wesentlich mehr Menschen mit chro- nischen Erkrankungen haben und ältere Men- schen haben. Und wenn man das in die Waag- schale wirft, dann kommt eben dabei raus, dass wir es uns nicht leisten können, einfach die Schleusen aufzumachen und zu sagen, wir immunisieren alle durch. Das ist eigentlich keine Option bei uns wegen unserer Bevölke- rungsstruktur, obwohl wir bessere Kranken- häuser haben.

17 [0:29:43]:

Camillo Schumann:

Wir müssen noch über Tiere und Corona spre- chen, Herr Kekule. In großen Abständen ma- chen wir das hier im Podcast. Anlass diesmal war, dass in den USA Body gestorben ist. Body war ein 7 Jahre alter Schäferhund, er war der 1. Hund, bei dem eine Coronavirus-Infektion in den USA überhaupt bestätigt wurde. Und Body ist jetzt gestorben. Allerdings, und das muss man einschränkend dazusagen, Body ist ver- mutlich nicht an, sondern eher mit dem Virus gestorben. Er hatte eine Krebserkrankung. Man muss diese große Unterscheidung ma- chen. Also heißt jetzt nicht, wenn ein Tier das Coronavirus bekommt und stirbt, dass sozusa- gen das Coronavirus ursächlich ist.

14 [0:30:26] :

Alexander Kekulé:

Um es zu übertragen auf unsere Zahlen, bei der Übersterblichkeit würde Body mitgezählt werden. Und bei der kausalen Sterblichkeit müsste man halt genauer untersuchen, was da die Ursache war. Natürlich ist das sehr traurig, wenn ein Deutscher Schäferhund in den USA stirbt, sozusagen das 1. deutsche Tier im Aus- land, was verstorben ist. Aber ich glaube, die Frage ist doch letztlich: Können Haustiere Menschen infizieren und ist das eine Infekti-

onskette, die wir mit berücksichtigen müssen bei Covid19? Ich glaube, das ist die Frage, die eigentlich interessant wäre.

4 [0:31:03]:

Camillo Schumann:

Body hat sich ja etwa zur gleichen Zeit wie sein Herrchen infiziert, und man weiß ja jetzt nicht, wer wen infiziert hat und ob das separat pas- siert ist. Damit wären wir ja quasi schon bei einer aktuellen Studie aus Italien, Haustiere und Corona. Und gerade in Italien war das Virus besonders ab tief und dementsprechend auch viele Haushalte mit Hunden und Katzen betroffen. Dass das Virus vom Menschen auch an Haustiere weitergegeben wird, war relativ schnell klar im Verlauf der Pandemie.

14 [0:31:30]:

Alexander Kekulé:

Ja, wir haben schon immer wieder Einzelfälle gehabt, dass Haustiere positiv getestet wur- den. Und das ist jetzt eine aktuelle Studie, die es als Preprint nur erschienen, also als vorläu- fige Veröffentlichung, noch nicht überprüft von Fachleuten, am 23.07. rausgekommen. Italie- ner und britische Forscher haben das gemacht. Und die haben eben einfach Daten genommen von Tierärzten, die da in der Lombardei und Umgebung in Norditalien bei Routineuntersu- chungen Haustiere untersucht haben. Da wird ja manchmal Blut abgenommen und dieses Blut haben die genommen und dann eben getestet. Die haben das technisch gut ge- macht, aber nicht etwa einfach nur den menschlichen Test genommen, weil der Anti- körpertest, den man da machen muss, also um zu sehen, ob Antikörper gegen das Virus da sind, diese sogenannten IGG Antikörper, über die wir schon gesprochen haben. Da ist es nicht so ganz klar, ob der für Menschen opti- mierte Test auch bei Tieren so zuverlässig an- schlägt, das muss man je nach Spezies anpas- sen. Und da haben sie also nicht einfach nur den menschlichen IGG Test genommen, son-

dern sie haben wirklich sich die Mühe ge- macht, extra einen Neutralisationstest zu ma- chen, also sehr aufwendig im Labor. Sie haben das Virus angezüchtet, das Serum von dem Tier dazugegeben und geguckt, ob das Serum die Virusvermehrung ausbremsen kann. Und des- halb ist dieser Test eigentlich aussagekräftig.

Camillo Schumann:

Was ich sehr interessant finde es, dass er weit weniger Hunde und Katzen von ihren Herrchen und Frauchen angesteckt wurden, als man hätte annehmen können.

Alexander Kekulé:

Ich weiß nicht, ob die jetzt sozusagen noch einmal nach Schmusekatze und Schmusehund unterschieden haben. So vom Straßenbild, muss man sagen, in Norditalien ist es ja so: Diese Katzen, vor allem aber auch die Hunde, laufen auf der Straße rum, gehören irgendje- manden. Aber man hat nicht den Eindruck, dass die immer nur auf dem Sofa sitzen zum Kuscheln. Die genauen Infektionsketten nach- zuverfolgen ist ein wenig schwierig, besonders schwierig, vor allem, wenn die beim Betreten von Hundelokalen keine Karten ausfüllen und Ähnliches. Aber es ist so, dass es eine Korrela- tion gibt. Und zwar bei Hunden haben sie fest- gestellt, dass es mehr positiv getestete Hunde in Haushalten gab, wo ein Haushaltsmitglied Covid19 positiv war? Die konkreten Zahlen sind da: von 133 Hunden in Haushalten, wo kein Covid19 Patient war, sind nur 2 positiv gewe- sen. Keine Ahnung, wo die sich das geholt ha- ben. Vielleicht irgendwann beim Streunen, dann oder von einem anderen Hund oder sie haben beim Nachbarn gefressen. Und von 47 Hunden, die in Haushalten waren, wo Covid 19-Patienten dabei waren, sind 6 positiv ge- wesen, also ein deutlich höherer Anteil. Und daraus schließen die Autoren, dass es schon irgendwie entweder vom Herrchen zum Tier oder andersrum Übertragungen gegeben ha- ben kann.

Bei den Katzen gab es diese Korrelation nicht. Allerdings muss man dazusagen: Die hatten insgesamt überhaupt nur Serum von 2 Katzen, und beide Werte sind relativ gering. So sind

jetzt bei den Hunden, sagen die Autoren, 3,5 % ungefähr positiv gewesen, bei den Katzen et- was mehr. Das sind aber etwas schwache Zah- len, weil die nur kleine Stichproben hatten. Das waren nicht so viele Fälle.

Camillo Schumann:

Aber nichtsdestotrotz ist es ja ganz schön we- nig.

Alexander Kekulé:

Das ist wenig, ja.

Daraus würde ich jetzt schließen, dass der Kon- takt zu den Tieren, zumindest bei den Men- schen, die dann Covid19 positiv waren, nicht so intensiv dagewesen ist. Ich glaube, das ist natürlich, dass man jetzt von Mensch zu Mensch er eine Infektion bekommt als vom Mensch zum Tier oder andersrum. Mir ist wichtig zu sagen, auch wenn das jetzt so ganz nett ist, sozusagen das mal zu beleuchten. Also, ich sehe überhaupt keinen Hinweis da- rauf, dass Haustiere relevante Überträger die- ser Erkrankung sind. Also das gibt gar keinen Hinweis darauf, dass die Haustiere da eine Rolle spielen.

18 [0:35:19]:

Camillo Schumann:

Gut, dass Sie es noch mal gesagt haben, sonst hätte ich nachgefragt.

Auch noch mal für alle Tierheime: Am Anfang der Pandemie haben die Menschen ihre Hunde und Katzen abgegeben. Die Tierheime waren voll. Dann war der Lockdown und die Leute haben sich gelangweilt und die Tierheime wa- ren leer. Und wenn die Menschen so etwas jetzt höhen, wissen sie nun, dass sie die Tiere nicht wieder zurückbringen brauchen. Sie kön- nen sie jetzt auch behalten. Da passiert jetzt nichts.

14 [0:35:45]:

Alexander Kekulé:

Naja, was man schon sagen kann: Es geht in

Richtung Tierärzte. Wenn es jetzt wirklich so ist, das aus einem Haushalt, wo bekannt ist, dass das das Covid19 aufgetreten ist, ein Tier krank wird. Ich nehme an, dass zeigt dann auch irgendwelche Atemwegssymptome. Das wäre zumindest ungewöhnlich, wenn es nicht so wäre. Und man hat dann ein krankes Haustier aus so einem Haushalt, dann ist es auf jeden Fall sinnvoll, mal auf Covid19 zu testen. Wir wissen ja auch gar nicht, wie diese Weitergabe erfolgt ist. Es können Schmierinfektionen ge- wesen sein, die gar nicht über die Atemwege passiert sind. Also typischerweise ist es nicht bei jeder Tierart gleich. Und wenn der Mensch eine Tierart ist und der Hund und die Katze, dann ist es nicht gesagt, dass die alle genau auf gleichem Wege des Virus weitergeben.

Camillo Schumann:

Aus demselben Napf gefressen.

Alexander Kekulé:

Vielleicht aber derselbe Napf. Ich bin ja so- wieso dagegen, mit Haustieren zu sehr zu schmusen. Und vielleicht kann man zumindest die eine Einschränkung machen, das das Tier vom Nachbarn, wenn das mal im Garten ist, nicht zu sich aufs Sofa nehmen sollte, weil man nicht weiß, was es sonst noch so macht.

4 [0:36:48]:

Camillo Schumann:

Gut, das war jetzt die subjektive Meinung von Professor Kekulé.

Alexander Kekulé:

Sehr subjektiv muss ich zugeben.

Alexander Kekulé:

Ja, sehr schön. Wir kommen zu den Hörer- Fragen. An dieser Stelle auch ein kurzer Hin- weis an die Hörer dieses Podcasts: Ihre Fragen an uns reißen nicht ab. Im Gegenteil, sie neh- men wieder zu. Wir bemühen uns wirklich sehr. Allerdings kann es natürlich sein, dass es nicht jede Frage ist in die Sendung schafft oder vielleicht zu einem späteren Zeitenpunkt. Das

sei an dieser Stelle noch mal gesagt. Diese Dame hätte gern eine Begriffserklärung.

19 [0:37:16] :

„Meine Frage betrifft den Begriff der 2. Welle oder 3. oder 4. Welle. Was ist denn genau mit dem Begriff Welle gemeint? Ich kann mir da- runter im Grunde nichts Richtiges vorstellen. Gibt es eine wissenschaftliche Definition dieses Begriffes? Wenn ja, wäre ich dankbar, wenn Herr Professor Kekulé uns das mal erläutern würde.“

14 [0:37:39]:

Camillo Schumann:

Ich glaube, das macht er sehr gerne.

Alexander Kekulé:

Diese Begriffe ändern sich. Das Wort Lock- down, das wir alle benutzen, ist eigentlich aus dem militärischen Bereich und meint nicht das, was wir jetzt als Lockdown bezeichnen, son- dern ursprünglich war da auch in der Epide- miologie mal damit gemeint, wenn man wirk- lich Menschen in einer Region einsperrt, also wie ein Cordon Sanitair. Aber inzwischen sagen alle Lockdown zudem, was wir eigentlich „Aus- gangsbeschränkung“ nennen würden. Darum ändern sich die Begriffe. Und bei der Welle ist es so ähnlich. Diese Welle kommt ursprünglich aus der Beobachtung, dass insbesondere In- fluenza-Pandemien in mehreren Wellen ver- laufen. Das sieht man, wenn man Jahre später, wenn alles so mehr oder minder vorbei ist, aufzeichnet, wie viele Menschen sich pro Mo- nat infiziert haben. Dann geht es eben hoch steil, dass gibt so einen Berg geht wieder run- ter. Und dann ist oft so, dass man 1 Jahr später meistens ist der Abstand so 6-12 Monate zwi- schen den Wellen kriegt man so eine 2. Welle, die manchmal größer als die 1. ist und manchmal kleiner, manchmal 1, auch noch mal eine 3. Und weil es eben auf dem Papier dann eben so aussieht wie 2 Buckel, man hätte es eigentlich auch Kamelbuckel statt Welle nen- nen können. Weil es so aussieht, hat man das einfach Welle genannt.

Jetzt in der Situation, wo wir drinnen sind, kann man so was eigentlich als klassische Defi- nition nicht sagen, weil wir alle in der 1. Welle sind bezüglich der Definition. Was jetzt die Politiker damit meinen und auch viele von meinen Wissenschaftlerkollegen: Wenn Sie, wenn Sie diesen Begriff gebrauchen, dann meinen sie damit einfach, dass die Fallzahlen wieder ansteigen. Ganz allgemein, das Anstei- gen der Fallzahlen wird da als Welle bezeich- net. Das ist eine Änderung der Definition, die sich so hier jetzt im Prozess ergeben hat.

4 [0:39:34]:

Camillo Schumann:

Wir sind gespannt, welches sprachliche Bild sich dann am Ende der Corona-Pandemie durchsetzt. Frau G. hat folgende Frage. Sie scheint auch ziemlich verärgert zu sein. „Wa- rum ist es nicht möglich, dass einmal alle, mit Betonung auf alle, an einem Strang ziehen? Global weltweit zur gleichen Zeit einen circa dreiwöchigen Schatten down Lockdown wie auch immer am besten am 15. August. Danach strenge Maskenpflicht überall, auch auf den Straßen und so weiter. Solange, wie es eben braucht. Könnte man das Virus doch so aus- hungern, ausrotten, oder sehe ich das falsch? Viele Grüße.“

14 [0:40:11]:

Alexander Kekulé:

Ja, ich glaube, das haben wir hier auch schon mal gesagt, das ist komplett richtig. Ich hatte, der die gleiche Schnapsidee mal auf einem Symposium, wo es um Malaria ging. Da ist es ähnlich. Die Malaria gibt es nur beim Men- schen typischerweise. Und diese Mücken, die da rumfliegen, übertragen das von Mensch zu Mensch. Und wenn man es schaffen würde, da gibt es ein Mittel dagegen, alle Menschen, die in diesen ganzen Malariagebieten für 2-3 Wo- chen zeitgleich zu behandeln mit einem Medi- kament, was die Infektionsübertragungen ver- hindert, wäre die Krankheit ausgerottet, weg. Und genau so ist es hier auch. Das scheitert letztlich daran, dass wir in einer globalisierten

Welt es zwar schaffen, Fußballspiele zeitgleich auf der ganzen Welt für Milliarden von Zu- schauern perfekt zu übertragen in allen Spra- chen. Aber wir schaffen es nicht, die Medizin- systeme so zu koordinieren. Und vorhin haben wir über die Slums gesprochen. Wenn man sich anschaut, sieht man auch, warum. Das ist jetzt nicht menschliches Versagen, sondern diese Aufgabe wäre übermenschlich. Das ist praktisch nicht möglich, alle Menschen auf der Welt für 2 Wochen lang sozusagen kontaktzu- reduzieren. Das wäre das, was die Hörerin vorschlägt.

Theoretisch tolle Idee, am Computer würde jeder das so machen. Man würde auf einen Knopf drücken und ein Reset machen. Das ist nicht möglich. Ich hatte so ein Reset ja mal für Deutschland vorgeschlagen, innerhalb der Bundesrepublik, ganz am Anfang, als das los- gegangen ist. Mit Grenzen schließen. Das war eine Option, ist damals aber selbst für Deutschland nicht beschlossen worden, ob- wohl es da jetzt sage ich mal praktisch gese- hen, er vielleicht im Bereich des realisierbaren wäre. Aber weltweit gesehen ist so ein Reset, wie man das nennen würde, einfach praktisch nicht umsetzbar.

16 [0:41:52]:

Camillo Schumann:

Frau G, wir können festhalten, mindestens Zusatzqualifikationen, Epidemiologie, oder?

Alexander Kekulé:

Auf jeden Fall. Und ich träume davon, dass so etwas noch gemacht wird. Übrigens gibt es auch Beispiele, denn ich habe leider den Na- men gerade vergessen, den bekannten Epide- miologen. Der hat das auf einer Insel mit Mala- ria mal geschafft. Es war aber nur eine Insel, und da ist es tatsächlich gelungen, das auf einer Insel auszurotten. Das nächste Projekt war da meines Erachtens nach Madagaskar, das ist ja eine ziemlich große Insel mit vielen Einwohnern, und schon da hat es nicht mehr geklappt.

4 [0:42:24]:

Camillo Schumann:

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 91 schon. Wegen der gerissenen tausender-Marke. Alle Menschen machen sich jetzt so ein bisschen Sorgen und so weiter. Haben Sie vielleicht ei- nen mahnenden oder einen aufmunternden Satz für die Hörer dieses Podcasts?

14 [0:42:40] :

Alexander Kekulé:

Ich glaube, wir sind jetzt an einer entscheiden- den Stelle in dieser Pandemie in Deutschland. Die Stelle ist die, wo die Verantwortung ganz stark von den Behörden auf den einzelnen übergegangen ist, durch die Verteilung der einzelnen Fälle. Und jetzt kommt es wirklich stärker als je zuvor auf das Verhalten jedes Einzelnen an, weil dieses feinkörnige Gesche- hen nicht mehr von den Behörden nachver- folgt werden kann. Deshalb ist es ein Aufruf, dass man wirklich versucht, sich an die Hygie- neregeln zu halten. Und wenn man Symptome hat, sich selbst zu isolieren. Aber auch etwas Optimistisches: Wenn wir das machen, können wir diesen guten Zustand, in dem wir sind, ganz, lange aufrechterhalten. Wir haben also wirklich die Chance, das zu machen. Und ich glaube, diese Chance sollten wir jetzt wirklich nutzen.

4 [0:43:26]:

Camillo Schumann:

Vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder, dann zu einem Hörerfragen „Spezial“. Bis dahin.

Alexander Kekulé:

Gerne, bis Samstag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf MDR-Aktuell.de. In der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.

mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf MDR-Aktuell.de. In der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 04.08.2020 #90: Maske auf auch im Unterricht

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

[0:00:03] Camillo Schumann MDR Aktuell. Kekulés Corona-Kompass

[0:00:10] Camillo Schumann Dienstag 4. August 2020.

1. Die ersten Schulen öffnen nach den Sommerferien wieder. Welche Rolle kann die Maske dabei spielen?

2. Passend dazu: Welche neuen Erkennt- nisse gibt es zur Infektiosität von Kin- dern?

3. Und kann und sollte man eine FFP2- Maske 36 Stunden am Stück tragen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Na- me ist Camillo Schumann. Ich bin Redak- teur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Don- nerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renomierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag Herr Schumann.

Camillo Schumann

Für Millionen Kinder, Eltern, Lehrer geht es wieder los. In den ersten Bundesländern star- tet das neue Schuljahr mit regulärem Unter- richt direkt an der Schule. In Mecklenburg- Vorpommern ging es ja schon los. Ab Mittwoch dann in Hamburg und ab nächster Woche Ber-

lin, Brandenburg Schleswig-Holstein und Nord- rhein-Westfalen. Mit welchem Gefühl be- obachten Sie den Start der Schule?

[0:01:17] Alexander Kekulé Ja, ich habe da gemischte Gefühle. Einerseits freue ich mich natürlich für die Kinder und auch ein bisschen für die Eltern, dass es end- lich wieder losgeht mit etwas Normalität. Zum anderen ist es so, dass die von mir sehr favori- sierte Variante, dass man testet, bevor man die Klassen wieder zusammenbringt ... Das ist weitgehend nicht verfolgt worden. Zum Teil gibt es auch keine Masken in den Klassen. Da- rum ist es ein Experiment. Anders kann man es nicht nennen, und zwar eins, was schiefgehen könnte.

[0:01:49] Camillo Schumann Die Schulen müssen wieder öffnen. Dieser Appell ging am Montag, den 3. August von einer Pressekonferenz in Dresden aus. Mit dabei Sachsens Kultusminister Christian Piwarz und Professor Doktor Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder und Ju- gendmedizin des Uniklinikums Leipzig. Anlass waren zwei Studien. Zum Infektionsgeschehen an Schulen in Sachsen und zu psychischen Fol- gen der Schulschließungen für Kinder und Ju- gendliche. Zum Infektionsgeschehen hat Pro- fessor Kiess Folgendes gesagt:

[0:02:19] Professor Wieland Kiess In dem ersten Teil dieser Prävalenz-Studie im Mai-Juni in Sachsen waren Kinder kaum Träger von Antikörpern und nicht aktiv infiziert. Wer da über Schulschließungen reden will, den kann ich nicht verstehen.

[0:02:36] Camillo Schumann Keine akute Infektion, nur vereinzelt Antikör- per. An dieser Studie hatten Grundschüler und Gymnasiasten teilgenommen. Man muss dazu sagen, diese Studie zum Infektionsgeschehen an sächsischen Schulen wurde seit Anfang Juli im Peer-Review-Verfahren eines wissenschaft- lichen Magazins durchgeführt. Sie ist also noch nicht wissenschaftlich abgenommen. Aber

diese Studie deckt sich mit anderen Studien zu diesem Thema. Kann man dann so langsam einen Haken an das Thema Infektiosität von Schulkindern machen?

[0:03:00] Alexander Kekulé Das ist ja die ganz große Frage. Übrigens welt- weit. Das ist nicht nur in Deutschland ein Thema. Da gibt es einerseits die Ausgangsbasis, dass man früher beobachtet hat, dass sowohl bei Influenza, bei der Grippe, als auch bei an- deren Atemwegsinfektionen zum Beispiel RSV. Das ist so ein anderes Virus, was bei Kindern häufiger mal vorkommt. Da ist es einfach klar, dass die vor allem in Kindergärten und Schulen verbreitet werden. Deshalb ist man anfangs sehr vorsichtig gewesen, mich auf jeden Fall eingeschlossen kam. Dann gab es erste Unter- suchungen, dass möglicherweise Kinder relativ viel Virus im Rachen haben. Das war dann un- klar, ob diese Untersuchungen genau so gehal- ten werden sollen. Und man hat dann parallel untersucht in Schulklassen. Da hat man festge- stellt in Sachsen... Es gab es ja schon mal was Ähnliches aus Baden-Württemberg. Dass man gesagt hat: Irgendwie gibt es keine Hinweise darauf, dass die Kinder ein besonderer Motor sind. Rein biologisch und virologisch ist das so. Es gibt kein Hinweis darauf, dass Kinder aus irgendeinem Grund bei diesem Virus weniger ansteckend sein sollten. Das wäre auch relativ schwierig zu erklären. Klar ist, dass Kinder we- niger Symptome haben, deshalb vielleicht auch seltener entdeckt werden, wenn sie krank werden. Und klar ist natürlich, dass Kinder in Situationen, wo man vorsichtig ist, wo man weiß, die Seuche ist sozusagen im Land, besser geschützt werden. Die Eltern passen auf ihre Kinder auf. Wir haben keine Daten und auch die aus Sachsen belegen das nicht so, dass sie zeigen würden, dass Kinder weniger stark die Infektion weitergeben würden als Erwachsene. Und nur das wäre ein Grund Entwarnung zu geben.

[0:04:44] Camillo Schumann Aber die sächsische Staatsregierung inklusive Herr Professor Kiess. Die sagen ja: Keine Infek- tion, ganz wenig Antikörper. An Schulen wird es so gut wie gar nicht übertragen. Einschrän-

kend muss man natürlich auch dazu sagen, dass das Infektionsgeschehen in Sachsen nicht das größte ist. Und bei 4,4 Millionen Einwoh- ner und nur 2.600 Getestete. Da ist ein Ver- hältnis, was sozusagen die Aussagekraft ein wenig verwässert.

[0:05:13] Alexander Kekulé Das ist genau das Problem. Wenn man das wissenschaftlich genau anschaut, muss man immer eine Vergleichsgruppe haben. Das ist ja klar. Wenn Sie in einem Bundesland sind wie Sachsen, was glücklicherweise derzeit sehr wenig Fälle hatte. Dann können Sie die Tatsa- che, dass auch bei Kindern und Lehrern ... Die sind ja gemeinsam in einem großen Pool getes- tet worden. Da können Sie nicht davon ausge- hen, dass bei denen das viel mehr sein sollte. Das wäre ja abwegig. Man muss auch sagen, wenn man sich genauer ansieht, das Gesche- hen in Sachsen in den zwei Monaten: Mai und Juni. Da waren die Fälle, die die Statistik nach oben getrieben haben. Das waren lokale Aus- brüche. Da gab es konkrete Ausbrüche. Ich meine im Pflegeheim in Krankenhäusern waren das Situationen, wo man Häufungen auf einem bestimmten Ort hatte bei den Infektionen, die man nachgewiesen hat. Sodass man sagen muss, die allgemeine Durchseuchung im Land war einfach extrem gering. Wir haben in Sach- sen bis heute ungefähr 5.500 Infektionen überhaupt insgesamt von der gesamten Pan- demie bisher. Bei schätzungsweise 4 Millionen Einwohnern. Das ist etwas mehr als 0,1 Pro- zent. Und wenn Sie sagen: Okay, also ganz, ganz wenig Menschen hatten dort die Infekti- on. Wenn man das in Clustern, also in Häufun- gen und Sie haben 0,6 Prozent gefunden, dass sind die Antikörper, das ist die Prävalenz, also die Zahl der Antikörper, die man findet bei den in der aktuellen Studie durchgeführten 2.338 Proben. Das sagt dann eben nichts, weil man keine Vergleichsgruppe hat. Es kann sein, dass das genauso viel ist wie bei den Erwachsenen außerhalb der Kindergärten. Kann sein, dass es weniger ist. Vielleicht ist es sogar mehr. Das wissen wir nicht.

[0:07:01] Camillo Schumann

Aber grundsätzlich ist das Infektionsgeschehen auf einem sehr, sehr niedrigen Level. Und das, was man in der Schule anwenden kann, dass es dort kaum eine Rolle spielt, kann man dann für mehrere Bereiche des täglichen Lebens an- wenden. Somit spielt die Schule keine überge- ordnete Rolle mehr, oder?

[0:07:17] Alexander Kekulé Ja, ich glaube, so rum stimmt die Überlegung. Wo man sagen muss: In Regionen, wo die In- fektionszahlen extrem niedrig sind, kann man , solange die so niedrig bleiben, kann man na- türlich der Bevölkerung, sag ich mal, kleine Lockerungen erlauben. Das wird ja letztlich auch gemacht. Indem man sagt, die Freibäder sind wieder offen oder Versammlungen mit mehreren Personen sind wieder erlaubt. Das ist ja genau die Konsequenz aus solchen Be- obachtungen. Und ich finde es grundsätzlich auch richtig, dass man das inzwischen in Deutschland flexibel und lokal macht, zumin- dest nach Bundesländern und nicht mehr bun- desweit. Das ist sicher sinnvoll, so dass sich Länder wie Sachsen einen Moment lang auch mal locker machen können. Man muss aber zur gleichen Zeit zwei Dinge immer im Auge ha- ben. Das eine ist, dass in Regionen, wo das Virus bisher wenig war, natürlich für den Fall, dass es Ausbrüche gibt, dass dann besonders wenig immune Personen da sind. Und das an- dere ist, dass Menschen halt Menschen sind. Wenn man denen einmal sagt: Ihr müsst euch nicht so viel Mühe geben mit den Schutzmaß- nahmen, die lockern wir hier bisschen. Dann weiß ich nicht genau, wie das funktioniert, wenn man ein paar Wochen später sagt: So, jetzt gilt es aber doch wieder. So eine Art Am- pelsystem Rot-gelb-grün könnte man sich vor- stellen. Es gibt tatsächlich Länder auf der Erde, die haben so eine Art Corona-Alarm Level defi- niert und gehen mit den Levels rauf und run- ter, je nachdem wie die Infektionszahlen sind. Ich weiß nicht genau, ob man in einer Gesell- schaft, wo wir ja sowieso leider in einer Situa- tion sind, wo gerade gestritten wird um die Frage, wieviel Maßnahmen brauchen wir ge- gen Corona und wieviel nicht. Ob man in so einer Situation, das nicht zu kompliziert ma- chen würde und dann für noch mehr gesell- schaftliche Spaltung sorgen würde.

[0:09:05] Camillo Schumann Wie schnell sich das Virus unter Jugendlichen ausbreitet. - Um die geht es ja auch. Das würde auch die höheren Klassen betreffen. - Das zeigt eine neue Studie aus den USA. Dort wurde das Infektionsgeschehen eines Jugendcamps, eines Jugendlagers ausgewertet mit interessanten Ergebnissen.

[0:09:22] Alexander Kekulé Das ist eine interessante Studie. Ich mag solche Studien, wo Analysen gemacht werden, ganz konkret, wie sich so ein Ausbruch entwickelt hat. So ähnlich wie bei Tönnies. Hier ist es in einem Journal, was die amerikanischen Cen- ters for Disease Control and Prevention raus- geben, erschienen. Das ist sozusagen das Ro- bert Koch-Institut in den USA. Und die haben da gerade am 31.07. die Analyse von einem Ausbruch in einem Pfadfindercamp quasi vor- gestellt. Die Amerikaner lieben ja so was. Das war in Georgia. Es ist folgendermaßen abgelau- fen. Da waren 120 Mitarbeiter. Viele von de- nen aber auch relativ jung, also jugendliche Mitarbeiter. Und noch 138 Personen, die zu- sätzlichen zur Ausbildung da waren. Viele von denen auch noch jugendlich. Und 363 Camper, also alles zusammen knapp 600 Personen. Die waren in so einem Camp und ein Teil davon drei Tage zur Vorbereitung. Nach drei Vorbe- reitungstagen sollte es dann losgehen. Dann kamen die Gäste: 363 Camper. Diese Camper waren im Alter von sechs bis 19 Jahren. Da hat man als Voraussetzung gesagt: Ihr dürft nur kommen, wenn ihr negativen Test mitbringt. Allerdings hat man gesagt: Der Test darf bis zu zwölf Tage alt sein. Da werden sich die Hörer dieses Podcasts sofort fragen: Was ist das für eine komische Anordnung? Aber der durfte nun einmal bis zu zwölf Tage alt sein der Test. Das Interessante ist, sie haben praktisch alle Maßnahmen der CDC eingehalten. Das sind so ähnliche Maßnahmen wie bei uns: Händewa- schen, Kontakte vermeiden, Ellbogengruß. Was es alles gibt. Aber ein paar Maßnahmen haben sie weggelassen.

Camillo Schumann

Die zwei wichtigsten vermutlich. Dazu gehörte, dass keine Maske getragen werden musste.

Alexander Kekulé

Wie wir das hier besprechen, haben sie die zwei wichtigsten weggelassen. Erstens Masken mussten die Teilnehmer nicht tragen. Das war empfohlen für die Mitarbeiter. Aber selbst die haben das zum großen Teil nicht eingehalten. Und zweitens musste nicht gelüftet werden. Es gab keine Lüftungs-Protokolle. Das ist ja ganz interessant, wenn man die Entwicklung im Ausland verfolgt. Wir hier in Deutschland sind, glaube ich, sind doch ziemlich weit, dass selbst die Bevölkerung und natürlich alle Fachleute wissen, dass diese Aerosol-Bildung ein wichti- ges Thema ist. Dass die Gefahr von Super- spreading ein Thema ist und dass man aufpas- sen muss, dass man in geschlossenen Räumen keine stehende Luft hat, dass man deshalb lüftet. Das weiß jede Lehrerin, jeder Lehrer in der Schule. Im Ausland wird es heftig disku- tiert. In den USA ist das ein Riesenthema. Sol- len wir die Aerosol-Vermeidung zusätzlich in die Maßnahmen reinnehmen? Jedenfalls wur- de dort nicht gelüftet. Die haben zum großen Teil keine Masken aufgehabt. Sie haben täglich intensiv und mehr als intensiv... Die haben da wild gesungen. Und als Amerikaner haben die dann Schlachtrufe gerufen. Sie tanzen zum Teil dazu. Das haben die jeden Tag mehrmals ge- macht. Naja, können Sie sich vorstellen, was passiert ist?

Camillo Schumann

Es gab eine Ansteckung, beziehungsweise es gab mehrere Ansteckungen.

Alexander Kekulé

Es haben sich 44 Prozent der Campmitglieder mit Covid-19 infiziert. Es ist höchstwahrschein- lich von einem importiert worden. Das ist lei- der nicht ganz genau klar. Aber diese soge- nannte Attack-Rate, wie wir das dann nennen, also wie viele hat es sozusagen dann erwischt bei der Infektion, die lag bei 44 Prozent. 260 von 597 hatten das Virus hinterher. Das ist eine sehr, sehr hohe Zahl, also praktisch sehr konsequent durchimmunisiert haben die sich dort in diesen wenigen Tagen. Das waren ja nur diese drei Tage Vorbereitung. Das Camp

sollte eine Woche dauern, aber es wurde nach drei Tagen abgebrochen, als dann klar war, dass es diese Infektionen gab. Was ich span- nend finde, ist die Altersverteilung. Das ist hier genau aufgelistet. Und zwar die meisten Infek- tionen. 51 Prozent waren in der Altersgruppe zwischen 16 Jahren. Also die Sechs bis Zehn- jährigen hatten 51 Prozent. Bei den elf bis 14- Jährigen waren 44 Prozent infiziert, also auch fast die Hälfte. Bei den etwas älteren 18 bis 21, das waren wahrscheinlich Betreuer. Da waren nur 33 Prozent, also ein Drittel infiziert. Das heißt hier ganz klar: die Jüngsten haben am häufigsten des Virus abgekriegt. In diesem Camp und insgesamt von allen, die infiziert waren, war ein Viertel, 25 Prozent, komplett ohne Symptome. Das ist auch interessant. Bei so jungen Leuten war das nicht unerwartet, dass man wahrscheinlich viele symptomlose Überträger auch hatte.

[0:14:05] Camillo Schumann Das ist ja genau die Altersspanne, die auch die Schulkinder betrifft und wie dann damit umge- gangen wird. Dort wurden keine Masken ge- tragen. Es wurde nicht gelüftet. Das wird in Deutschland ja gemacht. An den deutschen Schulen wird gelüftet. Es gehört zum Hygiene- konzept mit dazu. Das Zünglein an der Waage ist die Maske. Die Bundesländer reagieren auf diesen Schulstart, wie wir es aus der Pandemie kennen, sehr sehr unterschiedlich. Man kann feststellen, die Maske wird nun auch zum Bild an den Schulen gehören. In Mecklenburg- Vorpommern, Hamburg, Bayern, Baden- Württemberg muss an den Schulen Maske getragen werden. Im Klassenzimmer offenbar nur in NRW. Da soll die Maske sogar im Klas- senzimmer getragen werden. Erst einmal grundsätzlich: Die Maske hält Einzug an der Schule. Gute Idee?

[0:14:52] Alexander Kekulé Ja, das ist auf jeden Fall eine gute Idee. Ich kann da nur noch mal plädieren. Das ist genau- so nervig wie früher der Sicherheitsgurt oder der Helm beim Motorradfahren oder Ähnli- ches. Da müssen wir uns erst einmal daran gewöhnen. Ich blicke in den Herbst. Vor allem, wenn man die Fenster nicht mehr ständig

aufmachen kann. Da ist die Maske ganz offen- sichtlich, das sagen die Studien weltweit, Mas- ken sind das, was von den einfachen Maßnah- men noch am besten wirkt.

[0:15:17] Camillo Schumann Aber Maske auch im Unterricht, so wie es NRW einführt. Niedersachsen sagt, das ist völlig un- verhältnismäßig. Wie bewerten Sie das?

[0:15:28] Alexander Kekulé Ja, ich gucke natürlich aus der Virologen-Seite da drauf. Wenn Sie mich als Vater fragen, da habe ich nur eine kleine Stichprobe mit Kin- dern, die gerade noch an der Schule bezie- hungsweise in der Kita sind. Das ist für die Kin- der natürlich schon ziemlich nervig, wenn die da drin sitzen müssen und eine Maske im Ge- sicht haben. Andererseits glaube ich schon, dass man Unterricht so machen kann. Wir ma- chen auch in meinem Institut alle Besprechun- gen mit Maske im Gesicht. Ich glaube, das ist bundesweit in Krankenhäusern absolut üblich. Es ist auch so, dass viele, viele Arbeitsplätze so sind, dass man den ganzen Tag eine Maske tragen muss. In Krankenhäusern sowieso. Da haben praktisch alle den ganzen Tag so eine OP-Maske auf. Aber auch in vielen anderen Bereichen wird das eingeführt. Das finde ich auch sehr sinnvoll. Und so wird man den Schü- lern das nicht ersparen können, dass sie nu- scheln beim Sprechen. Dann müssen sie sich halt melden und mit der Maske im Gesicht was sagen. Oder der Lehrer muss sich überlegen, dass derjenige, der vielleicht aufsteht und was Wichtiges zu erzählen hat, die Maske kurz ab- nimmt. Da wird man sicher Lösungen finden müssen. Ich finde das allemal besser als die Situation, wenn in Deutschland die Fälle wie- der hochgehen würden.

[0:16:44] Camillo Schumann Aber noch einmal nachgefragt ganz explizit. Sie haben aus der Sicht des Vaters gesprochen, der sicherlich Verständnis dafür hat. Und jetzt noch einmal die Bewertung des Virologen: Maskenpflicht im Unterricht?

[0:16:57] Alexander Kekulé Aus meiner Sicht klipp und klar. Wenn wir die Klassen voll haben und wir wissen ja, wie es in deutschen Schulklassen aussieht. Das ist nicht so, dass die alle in Turnhallen unterrichtet werden. Wenn die Klasse voll ist und sie im Herbst die Fenster nicht mehr dauernd aufma- chen können, ist die Maske das, was notwen- dig ist. Die Maske im Unterricht. Dafür würde ich plädieren. So lange, bis wir vielleicht andere Zahlen haben. Es ist möglich, dass sich die Er- gebnisse, die wir haben, sich doch in die Rich- tung entwickeln, dass die, aus welchem Grund auch immer, Kinder und Jugendliche nicht in- fektiös sind. Ich glaube es nicht, aber man lässt sich ja gerne belehren. Aber ich würde das ganze Experiment, wenn ich es noch einmal so nennen darf, nicht von der Seite anfangen, dass ich quasi ins Risiko gehe und sage: Okay, ich schau mal, was passiert. So sagen das auch viele Politiker dieser Tage. Wenn es schlimmer wird, dann machen wir es eben wieder zu. Aber ich meine, da riskieren sie letztlich Men- schenleben und auch, dass das Virus sich wei- ter ausbreitet. Ich glaube, andersherum wäre es vernünftig: Mit einer sicheren Methode anfangen, vielleicht dann in Einzelfällen unter starker Kontrolle in einzelnen Klassen die Mas- ken dann mal weglassen. Aber dann wirklich als Experiment, was auch wissenschaftlich direkt begleitet wird. Und nur wenn diese Din- ge sehr, sehr positiv ausfallen, kann man es dann schrittweise lockern. Wir wissen einfach, dass es massive Ausbrüche in Schulklassen gibt, wenn die Masken weggelassen werden

[0:18:17] Camillo Schumann In Sachsen. Da soll es keine Maskenpflicht im Unterricht geben. Aber dann vielleicht ja doch irgendwie. Folgendes hat Kultusminister Piwarz auf einer Pressekonferenz am Montag, 3. Au- gust gesagt:

[0:18:29] Kultusminister Christian Piwarz Dazu gehört für uns, dass wir eine Masken- pflicht generell im Moment nicht als notwen- dig erachten, aber trotzdem eine Masken- Mitführungspflicht im Freistaat Sachsen haben. Jeder, der ein Schulgebäude betritt, muss eine

Maske bei sich führen. Schulen sollen ... Und das haben sie in der letzten Zeit eigenverant- wortlich sehr, sehr gut getan. Schulen sollen entscheiden, ob außerhalb der Unterrichts- räume außerhalb der Unterrichtssituation Masken zu tragen sind, beispielsweise auf dem Pausenhof oder im Schulgebäude, wenn man sich also begegnet. Das wird auch weiterhin ganz selbstverständlich zum schulischen Alltag in Sachsen dazugehören, weil wir einen Regel- betrieb unter Pandemiebedingungen haben.

[0:19:06] Camillo Schumann Masken-Mitführungspflicht und jede Schule soll selbst entscheiden. Sie haben sich gerade eben für eine Maskenpflicht auch im Unter- richt generell überall ausgesprochen. Sie sagen aber auch, dass man immer regional unter- schiedlich reagieren soll. Warum trifft das auf die Maske nicht zu?

[0:19:24] Alexander Kekulé Naja, das Problem ist ja, dass wir auf jeden Fall immer und überall Superspreader-Ereignisse vermeiden müssen. Und beim Superspreader genügt ein einziger Infizierter. Das kann ein einziges Kind sein, das vielleicht mit den Eltern im Ausland war oder aus anderen Gründen sich irgendwo das Virus geholt hat. Und wenn das in einer Schulklasse dann 20 andere infi- ziert. Dann nützt Ihnen das nichts, dass das Bundesland insgesamt vielleicht sehr, sehr niedrige Fallzahlen hat. Deshalb würde ich hier von der sicheren Seite ausgehen, weil eine Schulklasse mit geschlossenen Fenstern und Kindern, die da die ganze Zeit sitzen, die da vielleicht auch sprechen müssen zwischen- durch. Das ist eine Situation, wo man mit sol- chen Superspreading-Ereignissen rechnen muss.

[0:20:10] Camillo Schumann Maske in der Schule. Das wird, wie gesagt, zum Bild mit dazugehören. Aber es wird in den kommenden Tagen auch richtig heiß in Deutschland. Temperaturen über 30 Grad im Schatten, praller Sonnenschein und jeder weiß: So ein Klassenzimmer. Das heizt sich dann auch gerne mal auf. Und dann noch eine Maske. Da

wird wahrscheinlich der eine oder andere Leh- rer sagen: Gut, dann setzt die Maske kurz ab, wenn es dann wirklich zu heiß ist, wenn man vielleicht auch schlecht Luft bekommt. Dass die Maske absetzen in so einer Situation an der Schule, wenn es sehr, sehr heiß ist. Dass das auch mal richtig nach hinten losgehen kann, zeigt das Beispiel einer israelischen Schule. Da ist es ja ziemlich nach hinten losgegangen, oder?

[0:20:53] Alexander Kekulé Ja, da ist endlich mal schwarz auf weiß publi- ziert worden, was eigentlich schon länger so per Hörensagen bekannt war. Eine Situation in Israel, wo an einem Tag gesagt wurde: Die Schulen, die Schüler dürfen, weil es so heiß ist, statt hitzefrei eine Zeitlang ohne Masken im Unterricht sein. Da hat man kurz darauf die bekannten Ausbrüche gehabt. Man hat aber nachgesehen, welchen Effekt hatte das Weg- lassen der Maske in dieser bestimmten Schule? Da war es so, dass 153 Schüler und 25 Mitar- beiter dort - also eine relativ hohe Zahl - tat- sächlich Covid19 positiv geworden sind. Die sogenannte Attack-Rate war dort ungefähr bei 13 bis 15 Prozent. Das heißt also, von denen, die hätten infiziert werden können, sind im- merhin 13 - 15 Prozent infiziert worden. Das ist noch kein Superspreader-Ereigniss, weil es dort relativ verteilt war in der Schule. Aber es zeigt relativ eindeutig, dass das Weglassen der Mas- ke eins zu eins zur Folge hat, dass hinterher die Zahl der Infektionen steigt.

Camillo Schumann

Bei einem entsprechenden Umfeld an Fällen.

Alexander Kekulé

Das ist natürlich ein wichtiger Punkt. Das ist eine Situation, wo in Israel, die sowieso das Problem hatten, dass die Fallzahlen angestie- gen sind und wahrscheinlich nie so ganz unter Kontrolle waren. Da kann man vielleicht zu Deutschland was sagen, was mir ganz wichtig ist, weil wir im Moment immer diskutieren, geht es wieder hoch irgendwo. Die täglichen Fallzahlen waren zum Teil wieder knapp unter Tausend. Andere Bundesländer sagen: Bei uns ist es ja gar nicht so hoch. Wir sind in einer Phase, wo sich das Bild der einzelnen Infektio-

nen verändert. Es war ja so, dass wir einzelne Ausbrüche hatten und diese Ausbrüche relativ gut erkennbar waren. Wenn Sie irgendwo 20- 30 Fälle haben, dann vielleicht auch noch im Krankenhaus oder im Altersheim. Das wird natürlich bemerkt. Das muss man sich so vor- stellen, dass parallel immer ein Infektionsge- schehen stattfindet, wo wenige Fälle da sind. Und diese wenigen Fälle werden vielleicht gar nicht bemerkt, weil die Leute niemanden an- ders angesteckt haben und von selber wieder gesund werden. Oder weil sie vielleicht wenig Symptome haben oder nicht zum Arzt gehen. Sodass man immer eine Situation hat, dass langsam die Zahl der unbemerkten verteilten Fälle... Diese Zahl steigt langsam in so einer Phase der Epidemie, wie wir sind. Und die Zahl der einzelnen großen Ausbrüche, die man rela- tiv schnell identifiziert, die ist plötzlich nicht mehr so wichtig, weil Sie die ja in den Griff bekommen. Das heißt, es entsteht etwas: Ich nenne es Noice-Effekt, ein Hintergrundrau- schen. Es entsteht langsam ein zunehmendes Hintergrundrauschen von verteilten Infektio- nen im Land, die im Einzelnen gar nicht mehr so wahrgenommen werden. Und die sind das Problem, was wir haben. Wir kommen in so einer Phase, wo es im ganzen Land verteilt einzelne Infektionen gibt, die irgendwo sein können, ohne dass ein großer Ausbruch statt- findet, sodass wir von einer generellen Ge- fährdung ausgehen müssen. Noch nicht so hoch wie in Israel. Aber durch dieses Hinter- grundrauschen, was langsam zunimmt, was sind quasi die Fälle, die man bei der Bekämp- fung der Ausbrüche nicht gesehen oder nicht erwischt hat. Irgendwas bleibt ja immer übrig, wenn man sauber macht. Und dieses Hinter- grundrauschen ist im Moment unser Problem.

[0:24:31] Camillo Schumann Besteht da die Gefahr, dass aus diesem Rau- schen, wenn wir das laufen lassen, wir nicht erkennen, dass möglicherweise das der Nähr- boden für ein exponentielles Wachstum ist?

[0:24:44] Alexander Kekulé Ja, das ist genau das Problem. Am Anfang hat- ten wir eingeschleppte Infektionen, einzelne Infektionen, Infektionsketten, die man gefun-

den hat wie Tönnies natürlich und andere, die man nicht gefunden hat. Aber wenn Sie dann plötzlich eine ganz allgemein fast schon normal verteilte Verteilung von diesen Fällen in ganz Deutschland habe. Dann sind die nicht mehr einzufangen. Da hat man dann nur noch die einzige Möglichkeit dagegen vorzugehen, das individuelle Verhalten der Bevölkerung. Das können die Behörden nicht mehr hinkriegen, wenn das nur so einzelne Fälle sind, die ir- gendwo quasi mal übersehen wurden bei ei- nem Ausbruch oder die Sekundär-Fälle waren, die dann nicht so schlimm verlaufen sind, sonst wären die ja ins Krankenhaus gegangen. Wenn das steigt, dieses Hintergrundrauschen, dann sind Sie wirklich in der Situation, dass Sie das nicht mehr einfangen können. Außer die Men- schen selber verhalten sich ganz, ganz konse- quent. Ich finde auch deshalb, muss man den Menschen die Möglichkeit in die Hand geben, um es zum hundertsten Mal zu sagen, sich wirklich individuell testen zu können, weil sie dann die Möglichkeit haben, dass jeder ein bisschen auf sich selber aufpasst. Wenn es ganz feinkörnig verteilt ist, das Problem, dann brauchen Sie die individuelle Verantwortung. Das kann man nicht mehr mit den Gesund- heitsbehörden regeln.

[0:25:56] Camillo Schumann Individuelle Verantwortung ist das Stichwort, um noch einmal über die Reiserückkehrer zu sprechen. Stichwort verpflichtende Test für Reiserückkehrer. In dieser Woche soll es ja nun losgehen. Wir haben im Podcast ja auch schon mal darüber gesprochen letzte Woche. Eine Frage stand besonders im Mittelpunkt, weil Sie die individuelle Verantwortung angesprochen haben. Wie will man denn Reisende aus Risiko- gebieten erkennen und dazu bringen, sich auch wirklich testen zu lassen? Bundesgesund- heitsminister Jens Spahn hat dazu im ARD- Morgenmagazin folgendes gesagt:

[0:26:26] Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Zuerst einmal sind natürlich Stichprobentests möglich. Zweitens hat jeder die Pflicht, übri- gens auch heute schon, der aus einem Risiko- gebiet kommt, sich bei seinem Gesundheits- amt am Wohnort zu melden. Und zum Dritten

würde ich mir wünschen, dass die Europäische Union, dass wir gemeinsam in Europa ganz grundsätzlich sagen: Wer aus Drittstaaten, aus Risikogebieten einreist, der muss vor Abreise einen Test machen, der negativ ist.

[0:26:50] Camillo Schumann Also Stichprobe-Pflicht zur Quarantäne. Das wissen wahrscheinlich viele gar nicht. Und dann diese Tests vor Abreise, was wahrschein- lich noch rein theoretischer Natur ist. Aber am Ende wird es doch wahrscheinlich nur eine Stichprobe sein. Reicht das?

[0:27:03] Alexander Kekulé Erstens ist es so, dass die Menschen, die aus Risikogruppen-Gebieten kommen, schon mal gar keine Informationen in die Hand bekom- men, wenn sie einreisen. Das wäre ja sinnvoll, weil viele tatsächlich, glaube ich, gar nicht wis- sen, dass sie zwei Wochen in Quarantäne müs- sen und sich beim Gesundheitsamt melden müssen. Das muss man den Leuten ... Das sind ja nicht nur deutschsprachige, die da einreisen. Das muss man denen einmal klipp und klar sagen: Pass mal auf, du musst nach Hause ge- hen und zwei Wochen lang dir die Brötchen von irgendjemandem bringen lassen. Das ist das Erste. Diese Information wäre er schon mal ganz, ganz wichtig. Das Zweite ist, es sind ja leider nicht nur Personen aus Risikogebieten, die diese Infektionen einschleppen. Mein Ein- druck ist, dass das nachlässige Verhalten im Urlaub mindestens eine genauso große Rolle spielt, wenn nicht die größere sogar. Und das sind natürlich Menschen, die haben dann keine Verpflichtung, in Quarantäne zu gehen. Die haben es im Urlaub nicht eingesehen, sich zurückzunehmen. Und warum sollen die dann in Deutschland was machen? Warum sollen die sich in die Schlange stellen am Flughafen, statt direkt nach Hause zu gehen, sich in die Schlan- ge stellen, um sich testen zu lassen. Deshalb glaube ich schon, dass man da noch mehr aufklären muss. Dass man den Leuten, das noch deutlicher machen muss, dass es notwendig ist. Aus Risikogebieten Tests absolut verpflichtend zu machen. Egal, ob die mit dem Flugzeug oder mit dem Bus oder sonst wie kommen. Wir haben ja auch Fälle von Busrei-

sen, wo im Bus es zu Superspreader- Ereignissen gekommen ist. Das heißt, da gibt es ganz, ganz viel zu tun. Die To-do-Liste ist wirklich lang. Ich warne davor zu sagen, das soll mal die EU regeln. Meine Erfahrung: Nicht nur in dieser Krise, aber in dieser ganz deutlich ist, wenn man will, dass ein Problem gar nicht mehr gelöst wird, dann sagt man: Wir warten, bis eine EU-weite Regelung kommt. Da gibt es dann so viele Partialinteressen, die eine Rolle spielen. Bis hin zu dem Problem, dass auch EU- Regionen de facto ein Risikogebiet sind. Wenn ich an Katalonien denke zum Beispiel. Auch andere Regionen innerhalb der Mitgliedstaa- ten sind ja Risikogebiete. Was natürlich die jeweiligen Mitgliedstaaten, die auch am Tou- rismus Interesse haben, nicht gerne hören. Ich würde ungern auf dieser politischen Ebene bewegen. Da passiert gar nichts. Man muss ganz klar sagen, diese Tests sind empfohlen. Diese Tests sind verpflichtend für bestimmte Gruppen. Und das muss man dann aber auch durchsetzen. Der Vorschlag, dass man ausge- rechnet für Regionen außerhalb der EU, also in sogenannten Drittstaaten vor Abreise den Test machen soll. Ich persönlich würde einem Test, der in einem nordafrikanischen Staat gemacht wurde oder in einem Land südlich der Sahara oder sonst wo auf der Welt. So einem Test- Zertifikat würde ich weniger vertrauen als ei- nem Test, der in dem deutschen Labor ge- macht wurde. Da bin ich ein bisschen konser- vativ. Es gibt so viele Länder der Erde, wo Sie für 20 Dollar jedes Zeugnis bekommen. Ich würde da nicht sagen, die sollen das vor Ort machen und nur das Zeugnis mitbringen.

[0:30:06] Camillo Schumann Gut die Test vor Abreise, das hat der Spanier auch gesagt. Das wäre dann quasi der dritte Schritt, der mittelfristig vielleicht irgendwann mal kommt. Aber trotzdem die Pflicht zur Qua- rantäne. Erstmal das Wissen darüber, dass man das tut. Und dann kann es am Ende nur eine Stichprobe sein. Dass man die Menschen dann verpflichtet: So, du lässt dich mal testen. Aber grundsätzlich wird an die Individualität, das Verantwortungsbewusstsein eines jeden Rückkehrers, egal woher er kommt, appelliert. Geht das gut?

[0:30:36] Alexander Kekulé Das weiß ich nicht. Das kann ich so nicht sagen. Ich glaube schon, dass die Menschen in Deutschland ... Ich bin nach wie vor Optimist, dass wir eigentlich sehr vernünftig sind, vergli- chen mit vielen Ländern der Erde. Und es gibt aber natürlich auch Methoden. Der Zoll ist ja auch erfahren im Einsammeln oder Identifizie- ren von Leuten, die irgendetwas geschmuggelt haben. Keine Ahnung, wie die das genau er- kennen. Aber es geht ja hier um die konkrete Frage: Kommt jemand aus dem Ausland nach Deutschland über die Grenze. Bei einer Flug- reise ist es einfach, weil der Abflughafen be- kannt ist. Es kommt jemand auf einem anderen Weg nach Deutschland und dann muss er eben direkt gefragt werden: Wo kommen Sie her? Und jemand, der das Poker-Face macht und den Zöllner komplett anlügt. Einer, der sagt: Ich komme aus Österreich. Und dabei ist er von sonst wo eingereist. Solche werden Sie nie richtig erwischen. Aber ich glaube, das ist nur ein kleiner Teil, der absichtlich eine Frage falsch beantwortet. Das Wichtige ist doch, dass jemand da stehen muss, der die Frage stellt. Das ist bis jetzt nicht der Fall. Selbst wenn Sie am Flughafen einreisen aus einer Destination, wo klar ist, dass der Abflugorten Risikogebiet ist. Es ist ja nicht so, dass alle Passagiere an langen Tischen vorbei gehen und einen Ra- chenabstrich machen müssen. Sondern der wird halt empfohlen. Es wird sozusagen nicht durchgesetzt. Ich glaube, da könnte man schon noch einiges tun, um zumindest das Sieb, sage ich mal, ein bisschen enger zu machen. 100 Prozent werden Sie nicht bekommen. Aber das stört epidemiologisch nicht. Wenn Sie, wenn Sie, wenn Sie bei 90 Prozent effizient landen, dann sind Sie auf jeden Fall hervorragend be- züglich der Bekämpfung der Epidemie.

[0:32:13] Camillo Schumann Bin ich ja mal gespannt. Wir kommen an dieser Stelle zu den Hörer-Fragen. Diese Dame hat eine wichtige Frage zur Maske. Diese Maske braucht sie unbedingt.

[0:32:23] Zuhörerin

Patienten auf der Transplantationsliste müssen einmal im Quartal zuvor für Pflichttests ins Krankenhaus. Hier meine Frage: Können Sie sich vorstellen, dass man circa 36 Stunden im Krankenhaus mit FFP-2 Mundschutz ohne Pau- se aushält. Es ist mir nicht gelungen mir vorzu- stellen, wie ich als Lungen-Patientinnen das aushalten kann. Ich möchte ganz ehrlich fra- gen, ob es überhaupt möglich ist oder ob es eigentlich kompletter Wahnsinn ist, weil man das sowieso nicht aushalten würde. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Antwort. Vielen Dank für den Podcast.

[0:32:55] Camillo Schumann Das ist ja auch eine Frage, die über Leben und Tod entscheiden.

Alexander Kekulé

Da muss das Krankenhaus natürlich Vorsorge treffen. 36 Stunden. Ich würde das auf keinen Fall versuchen, wenn ich was an der Lunge habe. Und ich kann ja mal von mir selber sa- gen, ich habe auch so eine FFP-Maske auf, wenn ich zum Beispiel im Flugzeug sitze oder Zug fahre. Und wenn dann der Zug, was in Deutschland leider manchmal vorkommen soll, Verspätung hat. Dann schnauft man ganz schön unter der Maske, gerade jetzt in den Sommermonaten. Ich kann mir nicht vorstel- len, dass jemand durchgehend FFP2-Masken länger als acht Stunden oder so was trägt, oh- ne das extrem unangenehm zu finden. Ich glaube auch, dass es am Ende des Tages sogar für die Lunge nicht gesund sein kann. Ich bin kein Pulmologe. Deshalb nein, das würde ich nicht versuchen 36 Stunden. Das Krankenhaus muss dafür sorgen, dass ein Patient, der ge- fährdet ist und wohl auch offensichtlich zur Risikogruppe gehör. Dass so jemand eben ge- schützt ist. Der braucht eben einen Raum, wo er sich nicht anstecken kann in der Zeit.

[0:34:03] Camillo Schumann Dieser Herr hat angerufen und folgende Frage:

[0:34:06] Zuhörer Immer wieder hört man von vielen Leuten, dass sie schon im Dezember oder Januar Prob-

leme hatten mit Erkältungs-Krankheiten, die sich wie Corona angefühlt haben. Ist es defini- tiv ausgeschlossen, dass sich Menschen infi- ziert haben vor dem ersten Ausbruch in Mün- chen? Oder ist es doch möglich, dass schon Leute im Dezember sich hier in Deutschland hätten infizieren können?

[0:34:29] Camillo Schumann Diese Frage bekommen wir übrigens sehr, sehr häufig. Also wie lange ist das Virus schon in Deutschland?

[0:34:35] Alexander Kekulé Also in Deutschland ist leider dazu noch nicht so eine richtig gute Studie gemacht worden. Aber es ist klar, dass es in Frankreich Fälle gab, die schon im letzten Jahr waren, also deutlich, bevor der Ausbruch in Italien bekannt wurde. Sodass wir davon ausgehen müssen, wenn diese Zahlen stimmen, wenn diese Untersu- chungen stimmen. Das ist natürlich immer so eine Untersuchung. Es kann immer sein, dass dann eine Weile später rauskommt, dass er technischen Fehler gemacht hat. Aber wenn das stimmt, ist es so, dass wir in Europa schon einzelne Infektionen hatten, deutlich bevor die Fälle in München bekannt wurden. Ich gehe eigentlich davon aus, dass insbesondere Leute, die in Norditalien waren oder in Tirol waren, dass die durchaus eine Chance hatten, sich beispielsweise im Januar schon zu infizieren. Ob es schon letztes Jahr Oktober vielleicht möglich war, sich zu infizieren in Europa. Da steht ein Fragezeichen dahinter. Das wird spe- kuliert. Da gibt es sicherlich demnächst Unter- suchungen, die so was prüfen, weil man ja Rückstellproben hat von vielen Menschen, die im Krankenhaus oder beim Arzt waren, in Form von tiefgefrorenem Serum, also Blutbestand- teilen irgendwo im Tiefkühler. Und so was kann man rausholen und untersuchen. Das wird mit Sicherheit gemacht. Und ich erwarte von solchen Studien schon ... Ich gehe eigent- lich davon aus, dass wir feststellen werden, dass das Virus aus China sich viel früher ver- breitet hat, als es offiziell festgestellt wurde. Das liegt sicherlich auch an der Informations- politik der Behörde in Wuhan ganz am Anfang. Das ist, glaube ich, inzwischen international

akzeptiert, dass die versucht haben, das Prob- lem zu lösen und nicht gleich ihr Problem an die große Glocke gehängt haben. Und in der Zeit sind natürlich auch täglich Tausende von Menschen mit einem Flugzeug aus der Stadt geflogen. Und rein statistisch müssen da ein paar Infizierte dabei gewesen sein.

[0:36:29] Camillo Schumann Wenn diese Rückstellproben aufgetaut und ausgewertet werden. Dann erfahren Sie es hier im Podcast. Damit sind wir am Ende von Aus- gabe 90. Vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Gerne bis Donnerstag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass als ausführlicher Podcast auf MDR-Aktuell.de. In der ARD Audiothek, bei YouTube und überall wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 01.08.2020 #89: Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen Spezial

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Samstag 01.08. 2020.

Mdr Aktuell Kekulés Corona-Kompass

[0:00:10] : Camillo Schumann:

Singen im Chor, tanzen im Verein und Laufen in der Gruppe. Mit welchem Hygienekonzept ist das möglich?

Dann, auf welche Labordaten sollte man bei einer möglichen Corona- Infektion achten?

Außerdem kann man Antikörper künst- liche herstellen und ist Achterbahnfah- ren ein Risiko.

Herzlich willkommen zu einem Kekulés Corona- Kompass Hörerfragen Spezial. Die Fragen kommen von Ihnen und die Antworten wie immer vom Virologen und Epidemiologen. Alexander Kekulé .

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé:

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann:

Frau F. aus Halle hat angerufen. Sie sang ja bisher im Chor. Durch Corona wurden die Chorproben aber abgesagt. Mitte August soll

es wieder losgehen. Chorprobe mit Hygiene- konzept. Dieses Hygienekonzept sieht Frau F. ein wenig skeptisch.

[0:00:58] : Frau F.:

Es soll dann so sein, dass die Gruppe des Cho- res nicht mehr als 25 Personen sein sollen. Die Abstände von einem zum anderen 1,50 m und von Reihe zu Reihe wohl 2 m. Was ich ein we- nig finde: Nach einer Dreiviertelstunde Singen eine Stoßlüftung von 5 Minuten. Das würde ich denken, ist zu wenig. Wir haben noch den Sommer. Da kann man vielleicht draußen sin- gen. Aber es kommt der Herbst. Da wird e wohl nicht mehr möglich sein. Was halten Sie von der Idee? Ich bedanke mich bei Ihnen und bleiben Sie gesund.

[0:01:43] : Camillo Schumann:

Man muss dazu noch ein paar Daten ergänzen. Ich habe Frau F. angerufen. Sie sagte mir, dass sie Chorprobe in einer ehemaligen Turnhalle stattfindet, also in einem sehr großen Raum. Die Chormitglieder sind überwiegend ältere Menschen über 70 Jahre. Frau F. macht sich Gedanken, weil ihr Mann schon im Kranken- haus lag und beatmet wurde. Sie ist also sehr, sehr ängstlich. Können Sie Frau F. die Angst nehmen?

[0:02:05] : Alexander Kekulé:

Aus meiner Sicht sieht es gar nicht so riskant aus dieses Konzept, sofern man diese Stoßlüf- tung macht und die Abstände einhält. Das ist ja eine Turnhalle, in der das stattfindet. Natürlich man kann sagen, die Lüftung hängt davon ab, wie gut die Luftzirkulation an dem Tag ist. Wenn es komplett windstill sein sollte, ist das vielleicht nicht so effektiv. Solche Sachen kann man vielleicht noch verbessern. Aber ich finde, grundsätzlich ist es ein vernünftiges Konzept. Die Frage ist völlig berechtigt. Was macht man dann, wenn es Richtung Herbst geht? Da ist meine Antwort, glaube ich bekannt: Testen, testen, testen. Gerade wenn das Menschen sind, die im Risikoalter schon sind, ist es aus

meiner Sicht sinnvoll, wenn man die Fenster nicht mehr aufmachen kann. Für solche Tätig- keiten, wo man in einem kleineren Raum zu- sammen sein muss, dass man tatsächlich die dann an dem Tag, wo diese Probe stattfindet, alle vorher testet.

[0:03:05] : Camillo Schumann:

Frau F., der Test im Herbst und ansonsten schön lüften. Und dann können Sie wieder anfangen, in der Gemeinschaft zu singen. Das ist doch eine gute Nachricht. Aber nicht nur die Chöre waren von der Corona-Krise betroffen, auch Tanzschulen und private Tanzgruppen. Deshalb diese Frage von Frau D.: Ich leite zwei Folklore Tanzgruppen mit zwölf bis 25 Teil- nehmern. Wir tanzen normalerweise im Kreis oder paarweise mit Händen anfassen. Beim Partnerwechsel. Wir kommen wir uns zwangs- läufig recht nahe. Die Tänze sind teilweise auch recht anstrengend. Das Alter der Teilnehmer liegt zwischen 40 und 80 Jahre. Teilweise gehö- ren die Teilnehmer auch Risikogruppen an. Abstand halten und Nasenschutz tragen, ist auf Grund der Natur der Tänze nur schwer mög- lich. Unter welchen Bedingungen ist eine Wie- deraufnahme dieser Tanzgruppen Ihrer Mei- nung nach denkbar? Viele Grüße Frau D.

[0:03:59] : Alexander Kekulé:

Tanzen ist wirklich ein Problem. Vor allem wenn vorgesehen ist, dass die Paare auch noch wechseln zwischendurch. Ich sehe wirklich ganz ehrlich keine andere Möglichkeit, als die Menschen zu testen, bevor sie zu dieser Tanz- veranstaltung gehen. Ich würde bei einer nor- malen Tanzgruppe sagen, wenn die weit genug auseinander sind. Wenn das eine große Halle ist, wo vielleicht auch noch die Fenster offen sind und die Paare als Paare zusammenblei- ben. Das heißt also zwei Personen kommen zu dem Kurs, tanzen gemeinsam und gehen wie- der nach Hause. In so einer Situation, würde ich sagen, kann man ein allgemeines Hygiene- konzept finden. Aber wenn da Partnerwechsel vorgesehen ist und das auch noch Risikoperso- nen sind. Das ist wirklich eine der schwierigs- ten Nüsse, die ich auch nicht knacken kann.

Das Einzige, was mir einfällt, ist wirklich kurz vorher zu testen. Aber selbst das wäre natür- lich nicht sicher. Bei jemandem, der mitten im Risikoalter ist, würde ich auch nicht das Restri- siko eingehen, was durch einen falsch- negativen Test entstehen könnte.

[0:05:08] : Camillo Schumann:

Kann es sein, dass bestimmte Hobbys, die man vielleicht Jahrzehnte gepflegt hat ... In Anbe- tracht der Corona-Krise sind die vielleicht grundlegend zu überdenken. Müssen wir uns vielleicht ein anderes Hobby suchen? Wir ha- ben ja schon sehr häufig über solche Hobbys gesprochen haben: Chöre, Tanzveranstaltun- gen oder Tanzgruppen. Dass man da vielleicht Umdenken muss, so grundsätzlich?

[0:05:34] : Alexander Kekulé:

Das ist natürlich kein virologischer Rat. Aber ich kann nur sagen, man muss sich darauf ein- stellen, dass das Problem uns noch eine Weile erhalten bleibt. Und man soll sich, wenn ich das mal so plakativ sagen darf, von der Pan- demie nicht den Spaß total verderben lassen. Bevor ich jede Woche jammere, dass mein Tanzkurs ausfällt. Da ist das genau, was Sie sagen, die richtige Konsequenz. Dann muss es halt mal was anderes sein. Ich glaube, da gibt es viele Möglichkeiten, dass man zumindest vorübergehend ein anderes Hobby wahr- nimmt. Ich glaube, wir alle müssen in dieser Zeit flexibel sein und versuchen, die Dinge, die noch gehen, irgendwie zu machen und uns darüber zu freuen. Viel mehr Alternativen blei- ben eigentlich nicht. Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel mit dem Tanzkurs. Wenn ich über 70 bin und dann einen Tanzkurs mit Partnerwechsel. Wenn es meine Mutter wäre, würde ich sagen: Nein, such dir etwas anderes. Aber suche auch was anderes. Nicht einfach zuhause sitzen bleiben. Dann wäre der Kollate- ralschaden ja auch enorm.

[0:06:39] : Camillo Schumann:

Chöre hatten wir, Tanzgruppen. Was durch Corona weggefallen ist, sind auch ein Mara- thons. Dazu hat uns Herr Z. folgende Frage gemailt: Sehen Sie zum Herbst bei den Volks- läufen Möglichkeiten, Hygienekonzepte aufzu- lockern. Es geht nicht um große Veranstaltun- gen wie Städtemarathons, sondern eher um kleine Veranstaltungen mit bis zu 500 Läufern ohne viel Zuschauer. Man könnte ja darüber nachdenken, den Start im Minuten-Rhythmus mit jeweils zehn Teilnehmern durchzuführen. Im Ziel ist der Aufenthalt nur mit Abstandsre- geln möglich. Wäre das eine Idee? Viele Grüße.

[0:07:12] : Alexander Kekulé:

Bei allen Veranstaltungen, die man im Freien durchführen kann, sehe ich Lösungsmöglich- keiten. Da kann man Hygienekonzepte ma- chen. Es ist ja zum Teil so, dass die Hauptge- fahr die ist, dass Zuschauer untereinander sich zu eng kommen oder dass im Nachgang zu den Veranstaltungen irgendwelche Partys stattfin- den. Aber das reine Bewegen im Freien. Da sehe ich eigentlich kein Problem. Das ist ja auch kein Mannschaftssport, wo man irgend- wie unbedingt Kontakt mit den anderen haben muss. Deshalb würde ich sagen, so etwas wie ein Marathon ist selbstverständlich im Prinzip realisierbar. Ich glaube das Gesundheitsamt hat da so ein paar Ideen, wie man das prak- tisch machen kann.

[0:07:51] : Camillo Schumann:

Herr T. hat uns geschrieben: Die Positivrate der Corona-Tests betrug laut Robert Koch-Institut in der 27. und 28. Kalenderwoche nur noch 0,6 Prozent. Da der PCR-Test eine Fehlerquote hat. Ist es möglich, dass bei 0,6 Prozent Positivrate eine große Zahl der Fälle falsch-positiv sind. Kleiner Einschub: Dies hat er auch Bundesge- sundheitsminister Spahn zu bedenken gege- ben. Hören wir kurz rein.

[0:08:20] : Bundesgesundheitsminister Spahn:

Weil die Tests ja nicht 100 Prozent genau sind, sondern wir auch eine kleine Fehlerquote ha-

ben. Wenn insgesamt das Infektionsgeschehen immer weiter runter geht und Sie gleichzeitig das Testen auf Millionen ausweiten, dann ha- ben Sie auf einmal viel mehr falsch-positive als tatsächlich Positive.

[0:08:38] : Camillo Schumann:

Also nun die Frage von einer T.: Wie hoch ist beim aktuellen PCR-Test die falsch-positiv Feh- lerquote beim derzeitigen Testniveau?

[0:08:45] : Alexander Kekulé:

Das kann ich als Zahl nicht beantworten. Das ist das Thema, was wir schon oft besprochen haben mit dem sogenannten positiven und negativen Vorhersagewert eines Tests. Da kommt es darauf an, wie hoch die Hinter- grund-Belastung ist. Also wie häufig ist sozusa- gen das Ereignis, was ich suche. Wenn rein technisch der Test eine gute Sensitivität und eine gute Spezifität hat, dann ist es von Vorteil. Aber es hängt immer davon ab, ob dass ein häufiges Ereignis ist, was ich suche oder ein seltenes Ereignis. Das kommt einem vielleicht statistisch erst mal ein bisschen merkwürdig vor. Aber wenn man es genauer durchdenkt, ist es richtig. Der Bundesgesundheitsminister hat es gerade richtig beschrieben. Es ist tat- sächlich so, wenn wir immer mehr testen. Das wäre natürlich von Vorteil. Wenn wir immer weniger Fälle haben, dann suchen wir die Na- del im Heuhaufen. Dann ist die Wahrschein- lichkeit, dass man falsch-positiv testet, plötz- lich deutlich höher als sonst. Die PCR-Reaktion ist aber insgesamt eine sehr, sehr gute Metho- de. Wo die falsch-positiven Tests oder die falsch-positive Vorhersage, ich würde schät- zen, selbst wenn Sie sehr wenig Fälle haben, unter zwei Prozent liegt. Also in einem sehr geringen Bereich. Das kommt vor. Kann man darüber nachdenken, so einen Test dann zu wiederholen. Das ist durchaus eine Variante. Aber ich glaube, dass die Labore, die so etwas machen. Diese positiven und negativen Vor- hersage-Werte. Die sind ja Standard. Das weiß jeder, der so einen Facharzt hinter sich ge- bracht hat. Das wird schon berücksichtigt. Also wenn man merkt, man kommt in einem Be-

reich, wo die Aussage nicht mehr ausreichend also valide ist, also nicht mehr stimmt. Dann wird man solche Tests wiederholen oder mit anderen Methoden noch einmal wiederholen.

[0:10:32] : Camillo Schumann:

Wir liegen jetzt bei einer halben Million Tests pro Woche. Wir haben auf der einen Seite eine halbe Million Tests pro Woche. Auf der ande- ren Seite haben wir steigende Fallzahlen. Und wenn man sich die Anzahl der Tests pro Woche anschaut, dann steigen die auch. Gibt es da eine Korrelation?

[0:10:50] : Alexander Kekulé:

Wir wollen ja auch mehr finden. Wir wollen ja tatsächlich möglichst alle Fälle identifizieren, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Man darf schon jetzt nicht irgendwie nur blind auf die Fallzahlen starren. Sondern man muss das in Korrelation zu der Test-Aktivität setzen und vor allem gucken, ob das Initial-Fälle waren oder ob das Fälle waren, die innerhalb bekann- ter Infektionsketten noch einmal aufgetreten sind. Man kann allerdings auch nicht schönre- den, falls es darauf hinausläuft: Sollte diese Zunahme der letzten Tage, die wir gesehen haben, dass die nur mit den mehr Tests zu- sammenhängen würde. Das ist definitiv nicht der Fall. Also wir testen nicht so viel mehr, dass wir nur deshalb diese zusätzlichen positiven Fälle identifiziert haben.

[0:11:34] : Camillo Schumann:

Herr P. hat eine Mail geschrieben: Zu Beginn einer Erkältung, die dann auch die Bronchien beeinträchtigt. Ich benutze dann gern einen handelsüblichen Vernebler. Bei dieser Feucht- Inhalation wird mittels eines Dyson- oder Membran-Verneblers aus einer flüssigen Wirk- stoff-Lösung zum Beispiel EMSA-Salz, ein inha- lierbarer Wirkstoff, Dampf-Aerosole, herge- stellt. Mir hilft diese niedrigschwellige Maß- nahme sehr gut. Covid19 siedelt sich ja zuerst im Rachen an. Könnte diese Inhalation dazu führen, dass Viren verstärkt in die Lunge ge-

langen, dass Aerosol sozusagen als Taxi be- nutzt.

[0:12:09] : Alexander Kekulé:

Das ist eine gute Frage. Das wissen wir tatsäch- lich nicht. Da würde ich sagen, ich würde das nicht absolut ausschließen, weil es tatsächlich so ist, dass die Ausbreitung des Virus in die tieferen Atemwege nachteilig für den Patien- ten ist. Vor allem, wenn sie früh im Krankheits- verlauf stattfindet. Es ist bei den meisten respi- ratorischen Viren, also die die Atemwege be- fallen, dass sie in wenigen Tagen vom Immun- system eliminiert werden. Wenn man in dieser Zeit, wo das Immunsystem sozusagen noch nicht fertig damit ist, künstlich das Virus auch noch in die Lunge runterbringt. Dann ist es rein theoretisch möglich, das kann man sich vor- stellen, dass dadurch der Krankheitsverlauf verschlimmert wird. Es gibt aber kein einziges Experiment, was irgendwie in diese Richtung einen Hinweis liefern würde. Das ist eine rein theoretische Überlegung. Ja, würde ich nicht völlig ausschließen.

[0:13:03] : Camillo Schumann:

War also ein richtiger Gedanke. Und sollte Herr P. diesen Inhalator, diesen Vernebler mal zur Seite legen und nicht benutzen?

[0:13:15] : Alexander Kekulé:

Das würde ich nicht sagen. Dazu müsste er erst einmal Covid19 positiv sein. Da müsste er erst mal das Covid19-Virus im Rachen haben und die Situation haben, dass das Virus gerade nur im Rachen ist, aber die Lunge noch nicht er- wischt hat. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist so gering, dass der Vorteil, den man dadurch hat, dass man die Inhalation macht, die Nachteile nicht überwiegen würde. Wenn ihm das gut tut. Und es gibt ja auch andere Lungenerkran- kungen, Und in dieser Richtung von Vorteil ist, dann würde ich damit auf keinen Fall aufhören.

[0:13:48] : Camillo Schumann:

Nicht nur das Coronavirus ist in der Welt un- terwegs. Auch andere Viren zum Beispiel das Mers Virus. Auf der arabischen Halbinsel gab es ein paar Fälle, in Europa gab es sehr verein- zelte Fälle. Diese Dame hat uns angerufen und hat folgende Frage:

[0:14:01] :

Anruferin Frau Schopf:

Wir waren im Oman und da gab es die Mög- lichkeit eine kombinierte Impfung zu machen mit dem Sars-CoV-2. Wie gefährlich ist der Mers-Virus. Gibt es da schon einen Impfstoff und kann man sich leicht damit anstecken oder weniger leicht mit diesem Mers?

[0:14:20] : Camillo Schumann:

Fragen zum Mers-Virus übrigens. Ich habe Frau S., die da angerufen hat, noch mal angerufen. Und sie sagte mir, dass sie im November 2019 im Oman war, also kurz vor der Corona- Pandemie. Aktuell gibt es ja für den Oman Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Also die Fragen zum Mers-Virus.

[0:14:37] : Alexander Kekulé:

Da könnte man noch einmal zwei Stunden reden. Vielleicht machen wir mal eine Sonder- sendung dazu. Es ist eine der zwei Geschwister von Sars-CoV-2. Da gibt es dieses ursprüngliche SARS-Virus aus 2003 und eben Mers. Und die- ses Mers hat den wichtigsten Unterschied zum einen, dass es tödlicher ist als Sars-CoV-2. Also wir haben sozusagen Glück gehabt, dass wir ein relativ schwach letales Virus haben. Die Sterblichkeit bei Mers ist deutlich höher und hat den Vorteil dafür, dass es nicht so stark infektiös ist. Das wird hauptsächlich vom Tier, von Dromedaren auf den Menschen übertra- gen. Meistens sind es dann primär Tierpfleger und ähnliche, die das bekommen. Es gab dann mehrere Ausbrüche. Einer der schlimmsten Satelliten-Ausbrüche war in Südkorea, wo tatsächlich eine große Zahl von Menschen gestorben ist, auch weil man es zu spät festge-

stellt hat, worum es sich handelt. Ich würde mal sagen der Impfstoff, um den es ging, der jetzt für Sars-CoV-2, also dieses Covid19 verur- sachende Virus, entwickelt wird. Der wird nicht gezielt gegen Mers funktionieren. Andererseits sind die Viren sich nicht so unähnlich, sodass ich mir vorstellen könnte, wenn großflächig geimpft wird auf der arabischen Halbinsel. Je nach dem, welcher Impfstoff bei Sars-CoV-2 das Rennen macht. Dass es eine gewisse Kreuz- Immunität gegen Mers auch gibt. Das ist durchaus möglich.

Kann man nicht wirklich vorhersagen, weil wir nicht genau wissen, welches Virus welcher Impfstoff am Schluss Verwendung findet. Ge- zielt diese sehr seltene Erkrankung ... Mers ist extrem selten und nur in bestimmten Regionen der Erde. Diese sehr seltene Erkrankung gezielt damit rein zu nehmen, so im Sinne einer Kom- binationsimpfung. Das wird man nicht machen. Das würde auf die Geschwindigkeit gehen. Wir wollen den Impfstoff so schnell wie möglich.

Camillo Schumann:

Frau S., wollte wissen, ob es explizit eine Imp- fung geben wird gegen das Mers-Virus.

Alexander Kekulé:

Ja, es gibt eine Impfung für Tiere. Man kann tatsächlich Tiere impfen. Dromedare. Ich weiß gar nicht, ob der Impfstoff schon zugelassen ist, muss ich ehrlich sagen. Aber der funktio- niert im Prinzip. Das ist ganz interessant. Ich war mal unten auf der arabischen Halbinsel und habe mit verschiedenen Tierärzten ge- sprochen und auch mit Leuten, die sich mit diesem Thema Mers beschäftigen. Das ist ganz interessant, dass das bei den Arabern nicht so beliebt ist, die Kamele zu impfen, weil die als Rennkamele zum großen Teil gehalten werden. Das ist der ganze Stolz des Besitzers, wenn so ein Kamel das Rennen gewinnt.

Die haben Angst, dass die Tiere durch die Im- pfung irgendwie schlapp werden und beim Rennen nicht mehr so schnell sind. Also solche Diskussionen haben wir dort unten geführt. Sieht man, unter welchen anderen Gesichts- punkten solche Krankheiten dann bei Tieren betrachtet werden.

[0:17:29] : Camillo Schumann:

Herr U. aus München hat uns eine Frage ge- mailt: Wir wissen, dass Sars-CoV-2 infizierte Personen neutralisierende Antikörper bilden und dass diese aus dem Blut gefiltert und an- deren Erkrankten verabreicht werden können. Wieso, und jetzt kommt seine Frage, ist es im 21. Jahrhundert nicht möglich, diese Antikör- per zu analysieren und synthetisch in großer Menge herzustellen? Fehlt uns dazu biochemi- sches Wissen oder Produktionsanlagen? Oder sind die neutralisierenden Antikörper bei je- dem Menschen notwendigerweise verschie- den? Viele Grüße.

[0:18:04] : Alexander Kekulé:

Die Antikörper sind eine Mischung. Wir nen- nen die polyklonal im Gegensatz zu mono- klonal, wo das nur eine Sorte wäre. Polyklonale Antikörper herzustellen, also eine ganze Mi- schung, wo man nicht genau weiß, welcher Anteil davon wirklich genau den besten Effekt hat. Das ist nicht ganz einfach.

Monoklonale Antikörper kann man herstellen. Da ist schon ein Nobelpreis für die Entdeckung dieses Verfahrens vergeben worden. Ich glau- be 1980 an George Köhler und Sesam Milstein. Es ist so, dass diese monoklonalen ... Ja, das funktioniert. Aber da ist immer die Gefahr, dass der eine Antikörper wirklich den Nagel auf den Kopf trifft, sprich das Virus wird komplett eliminiert und neutralisiert, da ist die Wahr- scheinlichkeit nicht sehr hoch, da geht man bei dieser antiviralen Therapie. Das wäre so eine Art Serumtherapie, wo man Antiserum oder eben Antikörper gegen das Virus gibt. Wo man auf die Mischung achtet, nach dem Motto irgendeiner funktioniert dann schon. Diese Mischung ist am leichtesten zu gewinnen. Ein- fach aus Patienten, die wieder gesund gewor- den sind, diese sogenannten Rekonvaleszen- ten-Seren. Aus denen gewinnt man das. Das wird ja auch gemacht, diese Serumtherapie. Die ersten Experimente sehen ganz erfolg- versprechend aus bei Covid19.

[0:19:27] : Camillo Schumann:

In Ausgabe 82 haben wir über künstliche Intel- ligenz gesprochen, wie sie in Großbritannien bei der Diagnostik im Krankenhaus hilft. Diese Dame hat das gehört und will nun offenbar auch Labordaten auswerten. Folgendes hat sie auf unserem Anrufbeantworter hinterlassen

[0:19:42] : Anruferin:

Könnten Sie doch noch mal erklären, welche Laborwerte relevant sind und auch noch mehr sagen über die Konstellation. Ich denke, das interessiert uns alles sehr. Wir bekommen ja auch von unseren Hausärzten immer die La- bordaten mit. Vielleicht könnten Sie erklären, welche Rolle Kalzium, Gerinnungsfaktoren, Entzündungsfaktoren spielen. Geht es da zum Beispiel um den CRP, der allgemein bekannt ist oder um die Blutsenkung und so weiter. Vielen Dank. Wiederhören.

[0:20:15] : Alexander Kekulé:

Diese Studie hat ja sehr, sehr viele Werte mit berücksichtigt. Ich glaube zu erinnern, dass es einige Hundert Werte waren. Die hat absicht- lich nicht weiter unterschieden. Das war sozu- sagen das Muster der gesamten Laborwerte, was der Computer jeweils interpretiert hat. Das kann man sich so vorstellen, dass der wirk- lich fast wie mit einer Videokamera so eine Art Mustererkennung gemacht hat am Gesamt- bild. Ich würde dringend davon abraten, Zu- hause, sage ich mal, dieses Kaffeesatz-Lesen mit den eigenen Laborwerten zu machen. Das macht einen nur verrückt. Ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll ist in dem Zusammen- hang, weil wir ja für Covid19 einen ganz einfa- chen Test haben. Der steht zur Verfügung im Verdachtsfall. Den würde ich in diesem Fall machen. Das war eine Studie, die grundsätzlich versucht hat, solche künstliche Intelligenz an- zuwenden auf die Auswertung von Labordaten. Ich glaube, ich habe, als wir die besprochen haben, auch schon dazu gesagt, dass ich per- sönlich immer so ein bisschen skeptisch bin bei solchen Verfahren. Ich will, dass der Arzt

selbst die Entscheidung trifft und nicht irgend- ein Computer. Und noch mehr würde ich da- von abraten, dass sich Laien den Kopf zerbre- chen, ob das Procalcitonin oder irgendein an- derer Wert, der in ihrem Laborbericht steht, ein Hinweis darauf sein könnte, dass Sie viel- leicht Sars-CoV-2 abgekriegt haben. Dann lie- ber, wenn man den Verdacht hat, dass so was vorliegt, wirklich ein Covid19-Test machen.

[0:21:48] : Camillo Schumann:

Marie hat uns gemailt: Wie bewertet Herr Pro- fessor Kekulé die Situation in Freizeitparks? Insbesondere bei Achterbahnen. Genügt eine Stoffmaske bzw. Mund-Nasen-Schutz oder empfehlen Sie eine FFP2-Maske? Wie sehen Sie das?

[0:22:02] : Alexander Kekulé:

In der Achterbahn? Da ist die gefährliche Situa- tion beim Einsteigen. Das kann sich jeder sel- ber vorstellen. Vor allem um die vorderen Plät- ze gibt es nach meiner Erfahrung Gedränge. Da wird man eben hoffen, dass die Menschen noch nicht vorher im Bierzelt waren und zu betrunken sind. Dass die da halbwegs diszipli- niert sich anstellen. Sonst während der Fahrt sehe ich da gar kein Problem. Ich würde mir, nachdem ich die Griffe und alles angefasst habe, vielleicht nicht ins Gesicht fassen. Oder vorher die Hände waschen oder desinfizieren. Vielleicht ist bei so einer Art Veranstaltung, wo es Achterbahnen gibt, es sowieso keine schlechte Idee, ein kleines Fläschchen Desin- fektionsmittel mitzunehmen, weil es nicht überall Waschbecken gibt. Aber sonst ist das reine Fahren mit der Achterbahn ungefährlich.

Camillo Schumann:

Der Mund-Nasen-Schutz müsste eigentlich auch nicht getragen werden.

Alexander Kekulé:

Ich würde den eher ausziehen. Da hätte ich Angst, dass er mir vor die Augen rutscht und ich dann die fünf Euro umsonst bezahlt habe.

[0:22:58]

Camillo Schumann :

Das war „Kekulés Corona-Kompass Hörerfra- gen Spezial“. Vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag, den 4. August wieder. Bis dahin bleiben Sie schön gesund.

Alexander Kekulé:

Sie auch. Ich danke Ihnen, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



Donnerstag, 30.07.2020 #88: Die Komplexität der Todes-Zahlen

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Donnerstag, 30. Juli 2020.

1. Wie viele Menschen sterben wirklich an Covid-19? Auswertungen aus Italien geben einen Hinweis. 2. Dann: Hunde können Corona-Infektionen riechen. Wie sicher ist die Corona-Spürnase?

3. Was läuft eigentlich in Brasilien schief? 4. Weitere Themen: Welche neuen Therapie- ansätze gibt es? Und ob möglicherweise Gin Tonic gegen das Coronavirus hilft?

Camillo Schumann

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Modera- tor bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag ha- ben wir einen Blick auf die aktuellsten Entwick- lungen rund um das Coronavirus. Und wir be- antworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Alexander Ke- kulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wir wollen zum Anfang mal über die Gretchen- frage schlechthin sprechen: Wie gefährlich ist Covid-19 wirklich? Anlass ist eine ziemlich inte- ressante Studie aus Italien, auf die wollen wir gleich mal eingehen. Aber mal grundsätzlich: Ob und wie sich SARS-CoV-2 auf die Sterblich- keit in Deutschland auswirkt? Es wird ja immer gesagt, das kann man erst nach dem Ende der Pandemie abschließend bewerten. Warum eigentlich?

[0:01:23]

Alexander Kekulé

Da gibt es viele Gründe. Das eine ist, dass die Mortalität natürlich immer hinterher schleppt. Und klar, die Menschen werden erst krank, und dann sterben sie. Und die Zuordnung, welche Menschen jetzt wirklich an einer Infek- tionskrankheit gestorben sind, das ist gar nicht so einfach. Da gibt es diese berühmte Unter- scheidung: ob man an der Infektionskrankheit oder mit der Infektionskrankheit gestorben ist. Und deshalb ist es in der Regel so, dass auch Versicherungen, zum Beispiel, wenn sie die Sterblichkeit einer Epidemie hinterher berech- nen wollen – die warten immer, bis alles zu- sammen ist und alle Daten wirklich auf dem Tisch liegen.

Camillo Schumann

Und warum das alles so komplex ist, das wol- len wir jetzt in den folgenden Minuten mal so ein bisschen auseinandernehmen, um Zahlen auch besser bewerten zu können. In Deutsch- land sind bisher an oder mit Covid-19 über 9.000 Menschen gestorben laut Robert Koch- Institut ein. Sie hatten ja Anfang März so ein Worst-Case-Szenario von rund 40.000 Toten prognostiziert. Das ist ja nicht eingetreten. Kann man denn erahnen, warum nicht?

Alexander Kekulé

Na ja, das Worst-Case-Szenario bezog sich auf diese zwei Jahre, von denen wir immer gespro- chen haben, in denen man hoffen würde, dass die Pandemie dann auf die eine oder andere Art zu Ende ist. Von der Größenordnung her, das war ja, was ich damals vorgestellt habe, die Gegenrechnung zu dem, was von offizieller Seite kam. Da wurde ja wurden ja Zahlen ge- nannt, die auf bis zu einer halben Million Toten schließen lassen. Und dem habe ich das Ge- genüber gesetzt. Ich gehe davon aus, dass wir hoffentlich nicht in diesen Worst-Case-Bereich kommen. Ich würde aber auch sagen, dass es zu früh ist, jetzt zu sagen wir haben das Ziel schon erreicht, weil, wir wissen nicht, was in den nächsten eineinhalb Jahren noch passiert.

[0:03:13]

Camillo Schumann

Man muss ja bei Zahlen immer dazusagen, von welchen Zahlen man eigentlich spricht. Zum Beispiel bei Influenza-Toten gibt es ja die labor- bestätigten Todesfälle. Und es gibt die soge- nannte Exzessmortalität, also die theoretische Entwicklung der Sterblichkeit in einem be- stimmten Betrachtungszeitraum. Konkretes Beispiel: In der besonders starken Influenza Saison 2017/2018 gab es 1.665 an das RKI ge- meldete laborbestätigte Influenza-Todesfälle in Deutschland. Die mit Influenza assoziierte Sterblichkeit in dieser Saison lag bei 25.000. Können Sie diesen gewaltigen Unterschied erklären?

Alexander Kekulé

Ja, bei der Influenza ist es ja so, dass seine Krankheit mit der haben wir uns seit vielen Jahrzehnten, fast hätte ich gesagt, abgefun- den, zumindest mal eingerichtet. Und es gibt ja auch viele Erkrankungen, die so ähnlich sind. Wenn im Winter die Erkältungen grassieren, weiß man ja nicht immer, ob es die echte In- fluenza war. Es hat, weil wir ja auch kein richtig gutes Influenza-Medikament haben, was jetzt wirklich die Krankheit massiv beeinflussen würde, hat sich es eigentlich nicht eingebür- gert, jeden der hustet im Winter dann auch auf Influenzaviren zu testen. Sondern das macht man so stichprobenartig, speziell natürlich, wenn Menschen sehr schwer krank werden und ins Krankenhaus müssen. Deshalb ist die Zahl der getesteten Fälle relativ klein, also der durch Labortests bestätigten Fälle relativ klein. Aber die Vermutung, dass viele Menschen an Influenza gestorben sind, ist natürlich trotzdem da. Und dann rechnet man eben diese Exzess- mortalität, auf Deutsch würde man sagen Übersterblichkeit, die rechnet man raus, indem man sagt:

Okay, von diesem bis zu jenem Zeitpunkt gab es eine Influenza-Aktivität. Da werden einfach die Meldungen dann tatsächlich der bestätig- ten Fälle genommen. Und auch die Zunahme der influenzaartigen Symptome in den Arztpra- xen. Da hat das Robert Koch-Institut bundes- weit so Arztpraxen, die da in einem Netzwerk zuarbeiten. Und es funktioniert seit vielen Jah- ren eigentlich sehr gut, dass man dann sieht. die Influenza-Aktivität nimmt zu in einer be- stimmten Woche. Und dann gibt es bestimmte Definitionen, wenn man sagt, jetzt ist sie vor-

bei. Und in dieser Zeit in dieser Influenza- Welle, in dieser Grippewelle, da guckt man einfach, wie viele Menschen sind da mehr ge- storben als rein statistisch gesehen sonst in diesen Monaten hätten sterben sollen. Es gibt noch ein paar mathematische Korrekturen, die man dann macht. Und am Ende sagt man okay, da sind also so und so viele Menschen zu viel gestorben, als erwartet wäre. Und die schiebt man einfach der Influenza dann in die Schuhe.

[0:05:44]

Camillo Schumann

Aber warum braucht man eigentlich diesen theoretischen Wert, wenn man ja die laborbe- stätigten Todesfälle hat? Also warum hat man diese zwei Rechnungen?

[0:05:52]

Alexander Kekulé

Naja, dann müssten sie ja dann alle laborbestä- tigten Fälle, die müssten sie dann wirklich alle testen. Das könnte man schon machen. Rein theoretisch könnte man sagen, Influenza wird eine meldepflichtige Erkrankung. Da müsste quasi jeder Arzt, der einen Influenza-Verdacht hat, müsste das melden. Dann müssten quasi zwangsweise dann auch Tests durchgeführt werden. Und dann könnte man relativ genau sagen, wer hat jetzt eine Influenza gehabt und wer nicht? Klar, die Tests machen auch Fehler. Aber die, die Zahlen werden dann wesentlich anders. Und eher so ähnlich, wie jetzt bei dem Covid-19. Das ist in der Praxis wahnsinnig auf- wendig. Man muss sich klarmachen, diesen 25.000 Exzess-Toten – es ist ein bisschen um- stritten, ob das dann wirklich alles echte In- fluenza-Tote waren – aber das ist tatsächlich die offizielle Zahl für diese Saison damals. De- nen standen über 10 Millionen Infizierte ge- genüber. Also, mehr als 10 Millionen Men- schen waren infiziert. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, die müsste man alle testen, plus die, die nicht infiziert waren, und dass das wäre sozusagen zu viel Aufwand für diese Erkran- kung. Und das macht man einfach nicht. Bei Covid-19 machen was jetzt versuchen wir es jetzt, weil wir ja da ein anderes Ziel haben. Wir wollen ja Covid-19 nicht so wie die Influenza einfach über uns ergehen lassen, sondern das Ziel ist jetzt schon, die Krankheit bzw. die Epi- demie so weit zu runterzudrücken, dass das

kontrolliert werden kann, dass die einzelnen Ausbrüche unter Kontrolle gebracht werden. Und dazu müssen sie alle testen.

[0:07:19]

Camillo Schumann

Dass ist jetzt genau die Frage. Ist denn die grundsätzliche Erhebung der Covid-19 Toten anders als bei der Erhebung der Influenza- Toten?

[0:07:28]

Alexander Kekulé

Ja, völlig anders. Also bei Covid-19 in Deutsch- land sagen wir eben, es gilt jeder als Covid-19 Toter, der Covid-19 nachgewiesen hatte und eben dann an einer dazu passenden Erkran- kung gestorben ist. Ja, wenn es einen Autoun- fall war, wird man denn nicht als Covid-19 To- ten registrieren. Aber alles, was mit Lunge zu tun hat oder Erkrankungen, die dazu passen würden. Da ist dann natürlich umstritten, ob jetzt jemand, der zum Beispiel sowieso schon schwerst lungenkrank war und den am Schluss dann, quasi, kurz bevor er vielleicht ohnehin gestorben wäre, dann auch noch dieses Virus ereilt hat. Ob das dann ein echter Covid- 19-Toter ist, aber ich glaube, diese Diskussion, die ist mehr so theoretisch, weil das Grenzfälle sind, die jetzt in Deutschland auch nicht so viel ausmachen – quantitativ. Unterm Strich ist es so: Jemand, der einen positiven Test hat und stirbt, der ist eben ein Covid-19 Toter. Und das wird eben hier nicht über diese Exzessmortali- tät bestimmt.

[0:08:26]

Camillo Schumann

Und die Todeszahl der italienischen Studie, die setzt sich aus drei Merkmalen zusammen: 1) Menschen, die direkt an Covid-19 gestorben sind, 2) dann Menschen, die an Vorerkrankun- gen gestorben sind, die durch Covid-19 ver- schlimmert wurden, 3) und dann sind Men- schen an Krankheiten gestorben, auch an an- deren Krankheiten gestorben, die wegen der Überlastung der Krankenhäuser verspätet be- handelt wurden. Alles Menschen, die direkt oder indirekt an den Folgen der Pandemie gestorben sind, obwohl die letzteren das Virus ja nie in sich hatten.

[0:08:58]

Alexander Kekulé

Ja, das ist eben das Wesen der Exzessmortali- tät. Also, die hat man hier zum ersten Mal be- stimmt. Das ist eine ganz interessante Studie. In der Lombardei hatten die natürlich sehr, sehr viele Fälle in kurzer Zeit. Und da haben sie einfach mal retrospektiv die Sterblichkeit in der Region verglichen und haben gesagt, bis An- fang April war das dort vergleichbar mit den Jahren 2015 bis 2019, also wie in den Vorjah- ren letztlich. Dann hat man gesagt: wir schau- en ganz, ganz gezielt nur auf den Monat März bis Mitte, oder 04. April oder so. Nur diese Zeit, wo das besonders schlimm dort gewütet hat, nur dieses eine Fenster anschauen,, im Vergleich zu den Vorjahren. Und für die ganze Region haben sie festgestellt, dass die Mortali- tät um über 100% gestiegen ist. Das heißt, es gab doppelt so viele Tote wie sonst. Das ist schon enorm. Also, die hatten über 40.000 Tote, und davon ist er dann logischerweise etwa die Hälfte auf Covid-19 indirekt oder di- rekt zurückzuführen. Und in der Lombardei, die besonders schlimm getroffen war, war es sogar 173 Prozent. Und das sind natürlich schon sehr, sehr bedenkliche Zahlen. Man muss schon sagen das ist ja letztlich für den Toten dann egal, ob er daran gestorben ist, dass das Virus indirekt getötet hat, oder dass das Virus der letzte Tropfen war, der sozusa- gen das Fass zum Überlaufen gebracht hat, weil er ohnehin schon eine Grundkrankheit hatte. Aber mit der hätte er vielleicht noch ein paar Jahre leben können. Oder ob eine wichti- ge Operation nicht stattfinden konnte und er deshalb gestorben ist. Als Folge der Pandemie sind dort 1,7 Mal so viele Menschen gestorben wie sonst in diesem kurzen Zeitraum. Das ist schon eine bedrückende Zahl, und ich bin si- cher, dass das in Brasilien zum Beispiel genau- so aussehen wird.

Camillo Schumann

Die Daten aus rund 1.700 Städten wurden dazu ausgewertet. Also das ist, sage ich mal, eine valide Grundlage. Oder?

[0:11:01]

Alexander Kekulé

Ich glaube schon. Ich meine, diese ganzen Mortalitätsstudien sind natürlich immer inso-

fern fehlerbehaftet, als man in der Situation, wo man jetzt anfängt, das genauer nachzuprü- fen – also, wir wissen, es ist Pandemie, und die diese Studie wird gemacht, und die Menschen fangen an, die Daten zu sammeln – da hat man natürlich dann auch immer so einen höheren Fokus auf diese Arten von Erkrankungen. Also wenn man nach etwas gezielt sucht, findet man immer mehr, als wenn man nicht so spe- ziell daran denkt. Und ich bin ziemlich sicher, dass in den Regionen in der Lombardei, wo eben dann dieser Ausbruch war, da ist natür- lich auch besonders gründlich dann registriert worden, was sich auch auf die Zahlen auswir- ken kann. Aber abgesehen von diesen Fehlern, die es immer gibt bei solchen Beobachtungs- studien, also, wenn, wenn man die Zahlen, die sowieso schon da sind, quasi analysiert. Abge- sehen von diesen Fehlern, die es immer gibt, glaube ich, ist das ein deutlicher Hinweis, dass der Gesamtschaden durch Covid-19, durch die Pandemie, eben noch lange nicht im repräsen- tiert ist, wenn man sich jetzt wirklich nur die gemeldeten und mit Labortest assoziierten Toten ansieht.

Camillo Schumann

Und deswegen sozusagen abwarten, damit man dann zum Schluss einen Strich darunter- ziehen kann, oder?

[0:12:12]

Alexander Kekulé

Also das ist das, was man dann machen wird. Also man wird am Schluss – in Norditalien ist das jetzt einmal richtig durchgelaufen, darum war das der richtige Zeitpunkt für so eine Stu- die –, wenn es dann einen abgeschlossenen Zeitraum gibt, wo man das ganz gut überblickt, dann ist der richtige Zeitpunkt auch so etwas wie eine Exzessmortalität mal zu berechnen. In Deutschland zum Beispiel wird es dann immer gemacht, wenn die Grippesaison wirklich zu Ende ist. Da setzt man sich dann hin und rech- net das aus. Und ein paar Wochen später kommen dann immer die Zahlen. Das hat man auch in Westafrika bei der Ebola-Epidemie genauso gemacht, dass die die offiziellen Zah- len der Toten, die sind ganz zuletzt erst be- rechnet worden.

[0:12:50]

Camillo Schumann

Nochmal kurz zur Lombardei. Vor allem die Sterblichkeit bei Männern und älteren Men- schen hat stark da zugenommen. Während es bei den Frauen dieser Region zu einem Anstieg der Mortalitätsrate von 85% kam, nahm die bei den Männern um 126% zu. Und in der Altersgruppe 65 bis 64 kam es in ganz Italien zu einer Zunahme der Mortalität von über 110 %, 111%, um genau zu sein. Ist das sozusagen jetzt, ich sage mal, der schwierigen, auch klini- schen Situation in Italien geschuldet und nicht anwendbar auf Deutschland? Also, dass wir sozusagen unsere Zahlen dementsprechend auch anpassen müssten?

[0:13:29]

Alexander Kekulé

Also wir müssen unsere Zahlen der ersten Mal nicht anpassen. Ich bin sicher, dass wir in Deutschland auch unerkannte Todesfälle ha- ben. Was heißt unerkannt? Die sind nicht asso- ziiert zu der Erkrankung bis jetzt. Und es kommt eben sehr darauf an. Es ist ja bekannt, dass in Belgien zum Beispiel die pro Kopf Sterb- lichkeit besonders hoch ist. Aber dort ist eben auch so, dass man von vornherein gesagt hat, dass auch Verdachtsfälle, die irgendwie assozi- iert sein könnte mit Covid-19, dann als Covid- 19 Tote gezählt werden. Und ich glaube nicht, dass wir in Deutschland da eine riesengroße Dunkelziffer haben, sondern unser Gesund- heitssystem ist anders. Wir haben, glaube ich, hier nicht die Situation, dass es viele Menschen gibt, die gestorben sind, weil sie suboptimal behandelt wurden. Das muss man ganz klar sagen: In der Lombardei, das hat sich inzwi- schen herausgestellt. Da gab es ja relativ früh die Anweisung, dass ältere Menschen, die schwer krank sind, von den Krankenhäusern angeblich sogar von den Intensivstationen zum Teil, dann in die Altersheime verlegt wurden. Und da kann man sich ja vorstellen, was pas- siert. Erstens kommt es zu Sekundärausbrü- chen in den Altersheimen. Und zweitens ist klar, dass das ein Todesurteil ist, wenn jemand aus dem Krankenhaus als alter Mensch ins Altersheim verlegt wird. Solche Dinge haben wir in Deutschland nicht ansatzweise stattge- funden oder wären geplant gewesen. Und ich

glaube auch in Italien, dass man sich heute darüber klar, dass das keine gute Idee war.

[0:14:59]

Camillo Schumann

Also unterschiedlicher Umgang mit der Krank- heit in den einzelnen Ländern. Dann auch eine unterschiedliche statistische Erhebung. Un- term Strich kann man ja sagen, dass man die einzelnen Sterblichkeitsraten untereinander auch überhaupt nicht vergleichen kann?

[0:15:15]

Alexander Kekulé

Ja, man muss vor allem aufpassen mit dem, was man manchmal dann sieht. In der Presse, manchmal, da werden die Zahlen der gemelde- ten Toten geteilt durch die Zahl der gemelde- ten oder registrierten Fälle. Und man gibt es dann quasi als Sterblichkeit an. Also, da gibt es ja ganz viele Gründe, warum das nicht sinnvoll ist. Das ist nur so ein ungefährer Hinweis auf das Geschehen. Aber da gibt es viele, viele Faktoren, die das beeinflussen. Und man darf auf keinen Fall da zu der Spekulation verfallen, dass der Stamm der Covid-19 in Deutschland verbreitet weniger gefährlich wäre als der in Nachbarländern, wo dieser Quotient von Toten zu registrierten Fällen besonders höher ist als bei uns.

[0:15:55]

Camillo Schumann

Die Frage ist ja warum macht man das? Warum gibt es nicht eine Statistik für alle vergleichbar? Dann auch Stichwort „EuroMoMo“? Das ist ja schön, es wird gemeldet, aber nicht jeder mel- det, und die Berechnungsgrundlage ist auch eine unterschiedliche. Also wünschten Sie sich da nicht ein bisschen mehr Vernetzung und grundlegendes Bewerten?

[0:16:16]

Alexander Kekulé

Naja, Wissenschaftler wünschen sich immer die perfekten Daten zum Auswerten. Auf der anderen Seite, wenn man das mal so mitkriegt, wo es dann wirklich hapert: Das geht ja schonmal so los, dass ganz viele Länder gerade in der Phase, wo besonders viele Fälle aufge- treten waren, mit der Kapazität mit der Test- kapazität überfordert waren. Dieses Phänomen hatten wir in Deutschland nach meiner Beur-

teilung nicht, obwohl man das auch erst am Schluss wirklich genau feststellen wird. Aber, wenn die Testkapazität überfordert ist, dann kriegen sie automatisch eine Riesendunkelzif- fer erstmal, und denen können Sie dann nicht sagen. Ihr müsst es aber perfekt berichten, damit das in unsere europaweite Standard- Statistik hineinpasst. Und dann gibt es natür- lich auch die Tendenz, in manchen Regionen, zu sagen naja, wer so viel testet, der kriegt auch viele Werte. Dann werden wir wieder angeschwärzt. Das hat manchmal politische Komponenten. Und natürlich, ganz wichtig in Deutschland jetzt, die neue Entwicklung, die jetzt endlich angesetzt hat, dass wir ja auch anfangen, in großem Stil proaktiv zu testen, sprich Reiserückkehrer und was es alles gibt. Also Leute testen, die absolut keinen Hinweis auf Covid-19 haben. Oder auch bei so epide- miologischen Ausbruch-Untersuchungen, wenn dann Tausende von Kontaktpersonen getestet werden, aber nur ganz wenige positiv sind. All das verwässert natürlich das Resultat in der Weise, dass man dann nicht einfach die Zahl der Infizierten, die man gefunden hat, ins Verhältnis setzen darf mit den Toten. Und das müsste dann alles einheitlich gehandhabt wer- den. Und da sehe ich jetzt während dieser Pandemie in Europa überhaupt kein Weg. Wenn man Deutschland, Italien, Frankreich hätte, könnte man noch über Amtshilfe reden. Das war ja das, was ich ganz am Anfang der Pandemie mal vorgeschlagen hatte, dass Deutschland seinen Nachbarländern hier auch hilft. Aber das können sie nicht für ganz Europa machen. Das ist undenkbar.

Camillo Schumann

Das wäre zumindest so eine To-Do-Liste, wenn wir alles hinter uns haben, dass man vielleicht auf vergleichbare Statistiken kommt.

[0:18:23]

Alexander Kekulé

Ja ich auch methodisch vergleichbar wird. Das ist natürlich was, wo wir alle lernen, da kann man ja niemandem einen Vorwurf machen. Ich erinnere mich an die Seuchenausbrüche in Afrika, als die ersten Ebola- und ähnlichen Ausbrüche waren. Da war das Hauptproblem, dass man überhaupt nicht diagnostizieren konnte vor Ort. Man hat, dass man hat einfach

nur klinisch die Diagnose gestellt, so ähnlich wie in Wuhan, wo die am Anfang auch keine Tests hatten, bei Covid-19. Man hat in Afrika einfach gesagt, der ist krank, und der ist nicht krank, und quasi Fieber als Indikation da ge- nommen, als Kriterium genommen. Und heute ist es so, dass wir mobile Laboratorien haben, unter anderem von so einer europäischen Gemeinschaftsaktion. Deutschland ist da ganz wesentlich auch beteiligt dran. Diese mobilen Labore, die werden dann ruckzuck da in den Ausbruchsgebieten aufgebaut. Und man kriegt also dann auch für exotische Erreger sehr schnell die Diagnostik. Global gesehen werden wir da schon besser und arbeiten und sozusa- gen voran. Aber jetzt sind wir mitten in einer Pandemie, auf die wir so eher mäßig vorberei- tet waren. Und da wäre das jetzt Zukunftsmu- sik zu sagen, alle müssten nach einheitlichen Standards diagnostizieren und die Daten wei- tergeben.

[0:19:34]

Camillo Schumann

Aber, weil Sie ja eine schier endlose To-Do- Liste haben, die Sie regelmäßig ergänzen. Das wäre aber zumindest einen Punkt zum Ergän- zen dann auf dieser Liste.

Alexander Kekulé

Es ist gerade auf den gelben Zettel gekommen.

Camillo Schumann

Das wollte ich doch hören. Sterblichkeit ist ein großes Thema auch in Bra- silien. Brasilien gilt als Negativbeispiel im Um- gang mit der Corona-Pandemie. Inzwischen haben sich mehr als 2,4 Millionen Menschen infiziert, mehr als 87.000 sind an oder mit dem Virus gestorben. Wir haben es ja gerade so ein bisschen durchdefiniert. Mehrere brasiliani- sche Gewerkschaften haben den Internationa- len Strafgerichtshof in Den Haag angerufen, Ermittlungen gegen Präsident Bolsonaro einzu- leiten. Sie werfen ihm wegen seiner Politik in der Corona-Krise Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Und quasi indirekte Unter- stützung bekommen die Gewerkschaften von einer Studie. Denn die kennzeichnet, wie sich das Virus in Brasilien ausgebreitet hat und was alles schiefgelaufen ist. Ganz interessant.

[0:20:30]

Alexander Kekulé

Ja, die Studie ist jetzt gerade ganz neu im „Sci- ence“, einem unserer besten Journale erschie- nen und ist sehr umfangreich. Und ich bin ganz sicher, dass Bolsonaro nicht glücklich sein wird darüber. Das zeigt sehr deutlich, dass man am Anfang sehr hohe Reproduktionszahlen hatte in Brasilien. In der Anfangsphase hätte man einiges machen können, weil nämlich die Aus- breitung erst in den einzelnen Bundesländern war. Brasilien hat ja auch so Bundesländer, die aber viel, viel größer sind als bei uns. Diese Bundesländer sind so, dass meistens sehr viel innerhalb dieser Länder stattfindet. Das heißt also, es gibt nicht so viele Menschen, die stän- dig über die Landesgrenzen wechseln. Und deshalb war das am Anfang so, dass die Aus- brüche tatsächlich innerhalb dieser Bundes- länder geblieben sind. Die Studie hat dann, ganz interessant, anhand genetischer Informa- tionen über diese Viren, die dort zirkulieren, gezeigt, dass da mindestens 100 Mal das Virus ins Land eingeschleppt wurde am Anfang. Also über 100 Einschleppungen ins Land, die aller- meisten davon, auf jeden Fall drei Viertel aus Europa. Und da muss man natürlich auch sa- gen Mensch, das Virus ist in Asien ausgebro- chen. Dann hat sie es erst in Asien ausgebrei- tet. Dann ist es nach Europa gekommen. Wir haben da noch relativ überrascht getan, zu- mindest unsere Politiker. Dann kam diese schlimme Sache in Italien. Und die ganze Zeit hat ja Südamerika Zeit gehabt zu warten, sozu- sagen zugeschaut. Und dann so viele Ein- schleppungen und drei Viertel aus Europa, und die Komfortsituation, dass das nun wirklich nicht auf dem Landweg geht. Das hätte man wirklich durch frühzeitige Maßnahmen, zumin- dest hier, dieses berühmte flatten the curve, also man hätte bewirken können, dass die Einschleppungen massiv reduziert werden, und man in Brasilien vielmehr Zeit hat, sich vorzu- bereiten. Beziehungsweise, ich halte sogar für nicht ausgeschlossen, wenn man jetzt für Süd- amerika eine ganz konsequente Abschottungs- strategie gefahren hätte von Anfang an. Dass man die Zeit sozusagen bis zum Impfstoff, bis der dann irgendwann mal kommt, wenn er schnell kommt, dass man die vielleicht sozusa- gen dann in Deckung ausgehalten hätte dort, ohne dass es zu diesem Ausbruch kommt. Und

das wird Bolsonaro natürlich jetzt zu Recht vorgeworfen.

Camillo Schumann

Steile Hypothese, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Naja, das ist tatsächlich, sodass man ja nach Brasilien eigentlich nur mit dem Flugzeug kommt. Und das ist die Frage, ob man Süd- amerika rein theoretisch nicht doch deutlich länger hätte schützen können vor Importen, als es hier geschehen ist. Das war so eine ähn- liche Situation wie in Deutschland, dass man am Anfang auf jeden Fall die Situation dort unterschätzt hat. Man hat die Gefahr unter- schätzt. Den Zeitpunkt, wo man die Chance gehabt hätte, die Importe zu stoppen, den hat man verpasst. Da gibt es Beispiele, wo das ganz gut funktioniert hat. Wenn Sie jetzt an manche afrikanische Staaten denken, die also keine so guten Gesundheitssysteme haben, die haben sehr frühzeitig zugemacht und haben dadurch zumindest mal Zeit gekauft. Also klar, kann man nicht sagen durch ewiges Zumachen oder durch Zumachen der Grenzen oder durch Kon- trolle der Einreisenden kann man die Krankheit langfristig raushalten. Das ist nicht möglich, weil es ist natürlich immer einzelne Fälle gibt, die ins Land kommen. Und dann braucht man im Hinterland eine zweite Stufe, wo man Infek- tionen gründlich detektieren und dann auch in Isolation bringen kann. Aber man kann durch solche Maßnahmen durchaus den Verlauf in der Anfangsphase abbremsen.

Camillo Schumann

Also zu spät reagiert. Aber, was er auch Aussa- ge dieser Studie ist zu inkonsequent dann im Verlauf.

Alexander Kekulé

Ja, im Verlauf war es dann so. Das ist ganz inte- ressant, da zeigt die Studie, die analysiert dann auch, wie ist eigentlich dann die Ausbreitung zwischen den Bundesländern in Brasilien ge- wesen. Und da wurden dann ja die Flüge mas- siv runtergefahren. Da gab es dann auch Maß- nahmen. Die Leute wollten dann auch nicht mehr fliegen. Es gab einen wesentlich kleine- ren Anteil von Menschen, die von Bundesland zu Bundesland geflogen sind, aber der Anteil

der Infektionen sozusagen pro Personen, die geflogen ist, ist massiv gestiegen. Das heißt also, man hat hier weniger Leute fliegen las- sen. Aber da waren dann mehr Infizierte drin- nen. Das ist klar, wenn Sie natürlich, was weiß ich, in Rio oder São Paulo sehr viele Fälle ha- ben, in den großen Städten, und von dort flie- gen die Menschen einfach dann in eine andere Stadt. Und es gibt überhaupt keine Kontrollen des Flugverkehrs. Dann wird die Krankheit natürlich weiter verbreitet. Und da war die zweite Chance zu kontrollieren, dass man zu- mindest dann im Land von den Ballungszen- tren, die des aus Europa bekommen haben, die Weiterverbreitung vermieden hätte. Weil na- türlich außerhalb der großen Städte die ge- sundheitliche Versorgung schlechter ist. Aber auch das hat man nicht wahrgenommen. Und dadurch ist Brasilien jetzt in dieser wirklich desolaten Situation.

Camillo Schumann

Und welche Prognose geben sie für Brasilien ab?

Alexander Kekulé

Ich habe da selber jetzt keine Privatprognose. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich glaube, alle Impfstoff-Tests, die ich kenne, die offiziell sind, mindestens einen Teil ihrer Tests in Brasilien machen. Weil ja die Impfstoffhersteller in der Situation sind, dass sie nur in einem Land, wo das Risiko, für die Menschen infiziert zu wer- den, wirklich vorhanden ist, und möglichst groß sein soll – so zynisch das klingt – nur dort können sie ja sinnvoll die Schutzwirkung über- prüfen. Und darum machen die alle ihre Tests dort oder die meisten zumindest, alle, die ich kenne. Und was heißt das? Das heißt, die Fach- leute sind der Meinung, dass es dort in dieser Weise ganz schlimm weitergeht.

[0:26:23]

Camillo Schumann

Apropos Impfstoffe. Einer, der keinen mehr braucht, ist Brasiliens Präsident Bolsonaro. Er wurde vor ein paar Wochen her positiv getes- tet, soll die Krankheit auch durchgemacht ha- ben, wie er selbst schrieb: mit mildem Verlauf. Nun hat er die häusliche Isolation verlassen, denn weitere Tests waren negativ. Wir werden immer mal wieder hier im Podcast einen Blick

auf Brasilien während der Pandemie haben. Und Tests ist genau das Stichwort. 50 Corona- Tests für 50 Dollar. Das amerikanische Start-up E25Bio hat ein solches Testkit entwickelt, war- tet jetzt auf einen großen Abnehmer. Entwe- der man gibt Geld aus. Wer einen Hund hat, kann seinen Bello auf das Virus abrichten. Hunde können nämlich das Corona Virus mit einer ziemlich hohen Trefferquote erschnüf- feln. Das hat eine Studie der Stiftung Tierärztli- che Hochschule Hannover ergeben. Herr Ke- kulé, welche Variante würden Sie bevorzugen? 50 Tests für 50 Dollar oder den Hundetest? Lassen Sie mich raten, der Hund ist es nicht.

[0:27:30]

Alexander Kekulé

(Lacht)Also, ich bin definitiv für die 50 Tests für 50 Dollar. Sie erinnern sich, dass ich immer gesagt habe, das muss ein Test sein, der einen Euro kostet und ein Dollar ist ja, wenn ich das richtig sehe, sogar noch besser als ein Euro. Und ich weiß, dass es da mehrere Initiativen gibt, die in diese Richtung gegangen sind. Und diese Tests sind ja im Prinzip ganz simpel und in verschiedenen Regionen verfügbar. Ich hoffe sehr, dass wir auch in Europa, selbst wenn jetzt dieser dringende Appell, den ich da ja gestartet habe, bis jetzt noch nicht so richtig aufge- nommen wurde. Dass wir aber trotzdem im Europa, bis die Welle im Herbst kommt, dann einen Test, den jeder selber machen kann, zur Verfügung haben. Das würde unser Leben schon erheblich vereinfachen.

[0:28:12]

Camillo Schumann

Aber Stichwort ist natürlich Genauigkeit. Da ist der Hund, wenn ich das so richtig einschätze, ein bisschen genauer als diese Selbsttests für zu Hause.

[0:28:20]

Alexander Kekulé

Also, der ist in der gleichen Größenordnung, sagt zumindest diese Publikation. Das kommt immer ein bisschen darauf an, was man alles mit hineinnimmt. Rein von der Sensitivität und der Spezifität. Also Sensitivität heißt, zum Bei- spiel, hundert Menschen, die positiv sind, wie- viel davon entdecke ich denn tatsächlich? Und bei dieser Sensitivität liegt dieser Hunde-Test, der gemacht wurde bei 83%. Und da sind also

die Schnelltests natürlich schon besser. Die sind schon in der Regel im Bereich von 90% Plus.

[0:28:53]

Camillo Schumann

Na ja, aber so viel ist da jetzt auch nicht mehr Spielraum. Jedenfalls ist die ist sie es, die Spür- nase des Hundes überraschenderweise gar nicht so schlecht oder vielleicht gar nicht so überraschenderweise, denn bei anderen Krankheiten schlägt so ein Hund auch an.

[0:29:07]

Alexander Kekulé

Ja, man weiß, dass eine ganze Reihe von Krankheiten nicht nur Rauschgifte beim Zoll, sondern auch wirklich Krankheiten durch 100 detektiert werden können. Keiner weiß genau, woran das liegt. Aber offensichtlich ist es so, dass die Menschen, wenn sie krank sind, ihre Körperausdünstungen verändern. Ehrlich ge- sagt, als Arzt merkt man auch, dass bei be- stimmten Erkrankungen, wenn man ins Patien- tenzimmer morgens reinkommt, es wirklich anders riecht als bei jemandem, der eine ande- re Krankheit hat oder vielleicht ganz gesund ist. Da hat man natürlich dann auch eine zu kleine Stichprobe, das merkt man auch nur gelegent- lich. Und daher hat sich das nicht so richtig zur Diagnostik durchgesetzt. Aber Diabetes – um den kleinen Schwank zu erzählen – die Zucker- krankheit ist ja früher tatsächlich durch einen kräftigen Schluck Harn vom Patienten diagnos- tiziert worden. Da hat man wirklich probiert, ob süß schmeckt und wenn der Urin süß war, dann hatte der Mensch den süßen Durchfluss, also Diabetes.

[0:30:05]

Camillo Schumann

Der Hund hat natürlich den großen Vorteil, dass er zum Beispiel bei einem Fußballspiel beispielsweise relativ schnell, ich sage mal, die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpf- chen aussortieren kann. Oder bei so einem bei so einem Test das dauert dann eine Weile. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, die Schnelltests sind auch nicht so langsam. Also so 20 Minuten, würde ich mal sagen, kann man sicherlich noch ein bisschen beschleuni-

gen. Aber der Hund ist rein theoretisch schnel- ler. Ich bin nur nicht sicher, also diese Studie, die der gemacht wurde, muss man vielleicht erzählen, dass das war unter anderem mit der Medizinischen Hochschule in Hannover und mit Kollegen aus Hamburg. Da hat man einfach mal acht Hunde genommen, und diese acht Hunde eine Woche lang trainiert und denen dann Proben gegeben, das waren gar nicht so wenig, insgesamt über 1.000 Proben, wo ein Teil eben aus dem Krankenhaus stammte, von Patienten, die relativ schwer erkrankt waren an Covid-19. Und da haben die Hunde doch mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit also 94 % der Fälle die richtige Diagnose abgegeben – entweder richtig Covid-19 diagnostiziert oder zu Recht festgestellt, dass derjenige nicht krank war. Die 94% beziehen sich auf die ins- gesamt richtigen Tests, also entweder richtig- positiv oder richtig-negativ. Und in die Rich- tung falsch-positiv und falsch-negativ hat es ungefähr gleich oft ausgeschlagen. Also der Hund macht auch mal einen Fehler. Und was wir eben wissen von diesen ganzen Verfahren, das ist ja auch bei der Rauschgiftsuche zum Beispiel ein Standard, dass Hunde da einge- setzt werden. Die Schwankungen sind einfach enormes und Hund ist auch nur ein Mensch. Ja, und dann hat er einen guten Tag und einen schlechten Tag. Und es gibt einfach Tage, wo diese Hunde einfach, das weiß jeder Hunde- führer, einen schlechten Tag haben. Dann können sie das nicht verwenden, was der Ihnen anzeigt. Und es ist auch nicht klar, wa- rum der bei manchen Patienten das nicht er- kannt hat. Es kann gut sein, dass es zum Bei- spiel an der Krankheitsphase liegt. Das waren ja alles besonders schwer kranke Patienten. Und man muss sich ja in Erinnerung rufen, dass unser Covid-19 Problem, der heißt, dass wir die Menschen, die keine Symptome haben, ent- weder weil sie insgesamt asymptomatisch sind oder weil sie noch keine Symptome haben, diese Menschen, die sind die Gefahr, haupt- sächlich. Und die würde man natürlich gerne detektieren. Darüber sagt diese Studie, die ich jetzt eher so ein bisschen mit einem lachenden Auge sehe, die sagt darüber eigentlich gar nichts aus, ob die Hunde das können.

Camillo Schumann

Da kann die kann die Spürnase nach dieser Studie zumindest erst mal nicht weiterhelfen?

Alexander Kekulé

Nein, also an der Stelle, glaube ich, kann die Spürnase nicht helfen. Ich plädiere auch dafür, dass jetzt nicht so ernst zu nehmen. Ich gehe davon aus, das war so eine Art – wir nennen das dann Proof of Principle, das ist einfach interessant, mal zu zeigen, dass im Prinzip Hunde so was auch können. Es gibt ganz viele Fehlerquellen. Um eine rauszufischen: Das ist so, dass die Proben, die wurden natürlich ano- nymisiert, und wahrscheinlich hat man auch sichergestellt, dass der Hund nicht lesen kann, was auf dem Spiel steht. Und das ist so, dass aber diese Proben natürlich aus Krankenhäu- sern stammten, die positiven. Und die negati- ven Proben stammten von Menschen, die ne- gativ getestet waren, aber dann logischerweise eben nicht im Krankenhaus waren. Und jetzt kann man natürlich alle möglichen Hypothesen aufstellen. Jemand, der so schwer krank ist, dass er in der Klinik ist, der wird natürlich the- rapiert. Das heißt, wir wissen überhaupt nicht, welche Therapien da stattgefunden haben und ob vielleicht das eine oder andere Medikamen- te verabreicht wurde, dazu geführt hat, dass der Hund in der Lage war, die Probe zu er- schnüffeln. Und ich muss ehrlich sagen, früher, als ich mal so im Krankenhaus so richtig auf der Intensivstation gearbeitet habe und von mor- gens bis abends da zu tun hatte. Und wenn ich dann nach Hause kam, dann haben meine Mit- bewohner sofort gerochen, wo ich herkomme. Weil Krankenhaus riecht einfach nach Kran- kenhaus. Und um zu vermeiden, dass der Hund sozusagen einen krankenhausspezifischen Geruch aufnimmt, haben die Macher der Stu- die gesagt er hat, dafür haben wir zwei ver- schiedene Krankenhäuser einfach genommen – positive Proben aus zwei verschiedenen Krankenhäusern. Dem muss man natürlich jetzt schon die Gegen-Hypothese aufstellen, dass alle Krankenhäuser irgendwie ähnlich riechen. Und daher ist jetzt die Frage: Würde ein Hund eine Probe von jemandem, der noch nie im Krankenhaus waren, der nicht therapiert wird, würde der Hund das auch erkennen? Und darüber können die natürlich keine Aussage machen. Und deshalb haben die Macher der

Studie des auch tausend mal geschrieben, dass das nur so eine nette Idee war, diese mal aus- probieren wollten. Und das nicht so gemeint ist, dass man ab morgen mit Hunden Covid-19 diagnostizieren soll.

[0:34:38]

Camillo Schumann

Dann lieber die 50 Tests für 50 Dollar. Weil Sie schon das Krankenhaus und die Therapie ange- sprochen haben: Wir werfen einen schnellen Blick zu Therapiemöglichkeiten. Das machen wir ja ab und zu hier im Podcast. Häufig wirken sich Medikamente auf leichte Verläufe ganz gut aus, was man ja so bewerten kann. Nun scheint ein Medikament auch Patienten mit sehr schweren Verläufen ihnen zu helfen be- ziehungsweise etwas positiv zu beeinflussen. Stichwort Prednisolon. Was kann man dazu sagen?

[0:35:07]

Alexander Kekulé

Prednisolon, muss man sagen, ist ja wieder ein Cortisonpräparat. Und wir wissen ja im Prinzip, dass Cortisonpräparate, die das Immunsystem in Schach halten, dass die in bestimmten Ver- laufsformen von Covid-19 und in bestimmten Phasen dann auch wirklich einen ganz deutli- chen Effekt haben. Das ist bei Dexamethason, einem anderen Cortisonpräparat, eindeutig schon gezeigt worden. Und das ist eigentlich, sage ich mal, nicht so ganz Abwegiges oder Neues. Das darf man sich jetzt nicht so vorstel- len, als wäre da ein ganz neues Medikament gegen das Virus entdeckt worden. Sondern wir wissen einfach, dass ein Teil von Menschen, die solche schweren viralen Infekte haben – das gibt es bei Influenza auch manchmal – dass die mit einer einem überschießenden Immun- system reagieren, mit einer überschießenden Immunreaktion. Im schlimmsten Fall gibt es etwas, was wir Zytokinsturm nennen. Also das wirklich diese Überträgerstoffe im Blut, die die Signalstoffe des Immunsystems sind, diese Zytokine, dass die völlig verrücktspielen. Die eine Sorte ist leergepowered, also da gibt es dann nicht mehr genug. Die andere Sorte ist ständig auf 180 Prozent aktiviert. Und dann kommt eben die Immunantwort durcheinan- der, und das muss man dann in den Griff be- kommen, indem man ein Immunsuppressivum

gibt, also ein Medikament, was das Immunsys- tem einfach mal pauschal unterdrückt. Und der beliebteste Hammer, mit dem man da drauf- hauen kann, sind also Cortisonpräparate. Und das hat man hier eben jetzt mal mit einem anderen gemacht, nämlich Prednisolon. Das ist ein Präparat, was heute ein anderes Cortison ist. Das gibt man typischerweise so als Stoßtherapie. Vielleicht kennt das der eine oder andere, der mal einen Hörsturz hatte. Da war das eine Zeitlang eine Idee, dass man Menschen mit Hörsturz ein, zwei Tage mit hoher Dosis von Cortisonpräparaten – da hat man auch Prednisolon manchmal genommen – behandelt, und hat festgestellt, dass das manchmal besser wird. Also unterm Strich war das bei den Hörsturz-Therapien so ein bisschen umstrittene am Schluss. Und hier hat man das gleiche versucht. Man hat über drei Tage jeden Tag so eine Stoßtherapie gemacht. Und dann wieder Schluss. Also anders als diese Dauer- Cortison-Therapie, die manche Allergiker ha- ben oder auch ältere Menschen, wenn sie rheumatische Erkrankungen haben. Wirklich nur drei Tage und fertig. Und diese Stoßthera- pie hat tatsächlich bei einem signifikanten Anteil der Patienten zu einer Verbesserung des Verlaufs auch hinsichtlich der Sterblichkeit geführt. Und das heißt, es ist ziemlich klar, dass uns diese Therapieform was bringt bei dieser Art von Patienten.

Camillo Schumann

Jetzt ist das ja eine Studie aus Spanien. Sind das dann Informationen, die dann schnell ab- gerufen werden, direkt im Krankenhaus, zum Beispiel in Deutschland oder anderswo, umge- setzt werden?

[0:37:47]

Alexander Kekulé

Ich glaube schon. Das hatte ich vorhin verges- sen zu sagen, ganz wichtig natürlich, das ist ein Preprint mal wieder, also eine vorab veröffent- lichte Studie. Wo auch groß draufsteht, das ist ein Preprint ist, muss man dazu sagen. Aber diese Preprints werden ja deshalb veröffent- licht, damit die Kollegen die Möglichkeit ha- ben, die Daten früh anzuschauen. Und ich glaube schon, dass man das berücksichtigt. Das war natürlich den Intensivmedizinern klar. Ob sie jetzt das Prednisolon nehmen oder ein an-

deres immunsuppressives Medikament. Es gibt auch welche, die ein bisschen spezifischer, also selektiver wirken. Das spielt dann nicht so eine große Rolle. Das wird selbstverständlich bei diesen Patienten probiert. Und meines Erach- tens war das ganz von Anfang an bei Covid-19 so, dass man natürlich diese Interleukine und anderen Zytokine, also diese Faktoren, die sozusagen die Alarmsignale des Immunsystems wiedergeben, die hat man analysiert und bei den Patienten, wo man festgestellt hat, dass das Immunsystem überaktiviert ist, da hat man natürlich von Anfang an solche immunsuppres- siven Therapien gemacht. Das würde ein Inten- sivmediziner auch schon ganz ohne Studie machen, weil das einfach naheliegend ist.

[0:39:02]

Camillo Schumann

Weil wir gerade bei Medikamenten sind, kommen wir zu den Hörerfragen. Diese junge Dame aus Berlin hat angerufen und folgenden sehr interessanten Gedanken geäußert:

„Chloroquin ist ja eigentlich eine Chinin- Verbindung. Jetzt wollte ich fragen, wenn man jetzt chininhaltige Brause immer trinkt oder Magenbitter, da ist auch Chinin drin – vielleicht sind alle die, die da so locker durchgekommen sind, ohne Symptome, vielleicht trinken die immer Magenbitter oder chininhaltige Brause. Das wäre ganz wichtig, weil man sich vielleicht mit chininhaltiger Brause vielleicht retten könn- te.“

Also, Gin Tonic hilft gegen Corona?

Alexander Kekulé

Ja, ich weiß gar nicht, ob das aktuelle Tonic noch Chinin tatsächlich enthält. Klar, das haben die Briten ja erfunden, die ja große Kolonial- herrscher waren. Und es war klar, dass man in den Tropen da immer mal Fieber bekommen hat – verschiedenste Art, im schlimmsten Fall Malaria. Und darum haben die diese chininhal- tigen Getränke gehabt. Weil die wussten, dass das diese fieberhaften Erkrankungen bisschen positiv beeinflussen kann. Wir sind natürlich heute muss man sagen, da medikamentös schon viele, viele Schritte weiter. Darum wäre es jetzt nicht so naheliegend, sage ich mal so eine relativ schwach wirkende Substanz, die dann auch in hoher Dosis Nebenwirkungen

hat, die da noch mal loszulassen. Also, wir ha- ben da bessere Sachen in der Kiste inzwischen. Darum müssen wir nicht auf die chininhaltige Brause und Gin Tonic zurückgreifen.

Camillo Schumann

Aber der theoretische Gedanke ist zumindest kreativ.

Alexander Kekulé

Der Gedanke ist kreativ und ist historisch auch eben nicht falsch. Es ist historisch tatsächlich so, zumindest sagt man das so. Historiker, die sich besser auskennen, mögen jetzt anrufen. Aber sozusagen auf dem Niveau eines Medizi- ners, der die Geschichte der Medizin natürlich nur oberflächliche ja kennt, ist es so, dass im- mer gesagt wird, die Briten haben diese Ge- tränke erfunden wegen der Tropenkrankhei- ten.

[0:40:59]

Camillo Schumann

Herr A. hat gemailt:

„Es ist immer nur von den bösen Viren die Re- de. Ich denke aber, diese Wesen oder wie im- mer man sie bezeichnen will, gibt es doch nicht zufällig. Mich interessiert, haben Viren in der Natur auch einen Nutzen oder Zweck? Viele Grüße aus dem Süden, Herr A.“

Alexander Kekulé

Also, da kann ich nur sagen das stößt bei mir eine offene Tür ein. Ich finde die Viren auch nicht böse. Ich finde die natürlich super inte- ressant. Das ist ja klar. Aber Viren haben ja auch eine enorme Ästhetik. Also, selbst wenn man da im Mikrokosmos sich anschaut, was das für symmetrische Strukturen sind, was mit welcher Einfachheit, die im Grunde genommen es schaffen, sehr komplexe Aufgaben zu ver- richten – das ist schon erstaunlich. Und man muss sich klarmachen, dass das Reich der Viren ja völlig unabhängig von den Tieren, von den Pflanzen und den anderen Reichen, die wir kennen ist. Das heißt also, wir sind hier in ei- nem Bereich, wo das überhaupt nicht um Gut und Böse geht. Die wollen, wenn sie überhaupt was wollen, wollen Sie sich eigentlich nur selbst vermehren? Fortpflanzen ausbreiten – wer will das nicht? Es ist so gesehen noch nicht böse. Und die die besten Viren sind ja die, die eigentlich gar nicht krank machen. Weil, wenn

der Wirt nicht schwer krank wird, sondern noch möglichst lange lebt und das Virus weiter verbreitet, dann ist es ja im Sinne des der ur- sprünglichen Idee für das Virus von Vorteil.

Camillo Schumann

Ich will jetzt nicht in die Lobhudelei mit ein- steigen, was die Viren angeht, aber ich habe gelesen, dass 90 Prozent der für den Men- schen tödlichen Viren zoonotischen Hinter- grund haben, also vom Tier kommen. Also das ist doch schon so ein bisschen das böse Virus.

Alexander Kekulé

Naja, oder der böse Mensch, der irgendwie die Tiere aus dem Urwald gezerrt und geschlachtet hat. Sonst wäre das Virus dageblieben, wo es war. Also, das ist fast immer so, dass diese Zoonosen, also dieses Überspringen vom Tier auf den Menschen, dass das mit ganz konkre- ten menschlichen Verhalten zu tun hat. Und meistens ist es so, dass dann ein Virus plötzlich beim Menschen unterwegs ist, das vorher eben nicht die Menschen befallen hat und dass deshalb an diesen neuen wird noch nicht an- gepasst ist. Bei Covid-19 sehen wir das exemp- larisch. Es ist ja gerade gezeigt worden, dass zum Beispiel das Virus tatsächlich auch die Nieren befällt. Das ist eine ganz aktuelle Stu- die. Früher war immer die Frage, sehen wir das Virus in der Niere, also dieses SARS-CoV-2, sehen wir das neue Niere nur deshalb, weil das Blut des dahin gespült hat? Oder ist das wirk- lich eine echte Infektion? Und Letzteres scheint jetzt der Fall zu sein. Dass ein Virus, die Lunge befällt, die Nieren, befällt weitere Orga- ne, dann die inneren Schichten, der der Gefäße befallen kann. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass das noch kein Zielorgan im Menschen hat. Und da würde ich mal sagen, das Virus sucht sich jetzt erst mal so seinen Weg, sich mit den Menschen zu arrangieren. Und wenn wir nichts dagegen machen, dann wird es in einigen Jah- ren so sein, dass wir nun weiteres Coronavirus haben, was keine besonders schlimme Krank- heit verursacht und wahrscheinlich dann auch etwas selektiver im Menschen nur einzelne Organe befällt.

Camillo Schumann

Herr Kekulé, damit sind wir am Ende von Aus- gabe 88. Vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen-Spezial.

Alexander Kekulé

Da freue ich mich drauf bis dann, Herr Schu- mann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



Dienstag, 28.07.2020 #87: Es droht der Kontrollverlust

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Dienstag, 28.07.2020. 1. Stehen wir vor einer zweiten Welle? Das Robert-Koch-Institut warnt eindringlich. 2. Dann: Verpflichtende Tests für Rückkehrer aus Risikogebieten. Wie groß ist der Nutzen dieser Maßnahme? 3. Außerdem: Wie gefährlich sind Aerosole wirklich? Zwei Harvard-Forscher haben die bisherigen Studienergebnisse neu bewertet. 4. Außerdem: Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Tönnies-Studie. 5. Und: Ihre Corona-Urlaubserlebnisse.

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Mo- derator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenra- dio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellsten Ent- wicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem Virologen und Epidemiologen Alexander Ke- kulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Fangen wir mit eindringlichen Worten an: Die kommen vom Präsidenten des Robert Koch- Instituts, Lothar Wiehler.

„Diese Entwicklung ist wirklich sehr beunruhi- gend. Wir sehen viele kleine Ausbrüche, die an verschiedenen Orten gleichzeitig auftreten. Und wir sehen, dass diese Ausbrüche häufiger werden. Wir müssen jetzt verhindern, dass das

Virus sich wieder rasant ausbreitet. Dass es sich unkontrolliert ausbreitet.“

Und Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hat gesagt, die zweite Welle, die hätte schon längst begonnen. Herr Kekulé, sind wir schon mittendrin und haben es nur nicht mitbekom- men?

Alexander Kekulé

Diese Wellen werden erst hinterher definiert. Das ist quasi der Blick, den man hat auf die gesamten Zahlen. Dann sieht es ebenso aus, wie eine Welle. Im Detail sind das typischer- weise einzelne kleine Ausbrüche. Und solange man diese Ausbrüche noch einzeln irgendwie identifizieren kann und in der Lage ist, diese Ausbrüche einzeln unter Kontrolle zu bringen, würde ich noch nicht von einer Welle spre- chen. Aber es besteht natürlich die Gefahr, dass sich das Infektionsgeschehen so in der Fläche verbreitet, dass die Gesundheitsämter nicht mehr hinterherkommen. Wir hatten hier schon ein paarmal über das Konzept der Initial- fälle gesprochen. Dass es also viele Fälle gibt, die neu auftreten und nicht mit bekannten Infektionsketten zusammenhängen. Und dann wäre das so eine Art zweite Welle. Zumindest von der Wirkung her kann sie dann einen um- hauen wie eine Welle.

Camillo Schumann

Aber wir sind noch in der Situation, wo die Gesundheitsämter das unter Kontrolle haben?

Alexander Kekulé

Ich gehe davon aus, zumindest nachdem, was das Robert-Koch-Institut und das Bundesge- sundheitsministerium immer gesagt haben. Es ist ja da so, dass die lokalen Kapazitäten bisher nirgendwo überfordert seien. Man muss natür- lich sehen, ob das, was quasi vermutet wurde an Kapazität, was man sich vorgenommen hat, ob das tatsächlich auch in der Praxis dann be- steht. Oder mit anderen Worten: es wurde ihr die Grenze von 50 Fällen pro 100.000 Einwoh- nern als Alarmgrenze genommen, weil man der Meinung war, dass das die Gesundheits- ämter das nachverfolgen können. Jetzt muss man sehen, wenn es mehr vereinzelte Fälle sind, Familienfeste oder Ähnliches, ob die Ge- sundheitsämter da wirklich hinterherkommen.

Falls ja, weil die Grenze richtig gesetzt, falls nein, muss man sie eventuell erniedrigen.

Camillo Schumann

Schauen wir uns die Zahlen an. Sie schwanken enorm: Am 19. Juli: 200 Neuinfektionen, einen Tag drauf 529.

Am 23. Juli: 569 Neuinfektionen und einen Tag drauf 815. Jetzt wird es interessant. Am 25. Juli wurden 781 Neuinfektionen ge- meldet, einen Tag drauf 305.

Am 27. Juli waren es 340, und heute, am 28. Juli, 633. Also enorme Schwankungen, aber mit einer klaren Tendenz, oder?

Alexander Kekulé

Naja, das sind die typischen Schwankungen, die wir eigentlich immer sehen im Verlauf der Woche. Deshalb hat das Robert-Koch-Institut ja zu Recht den siebentägigen Mittelwert ge- bildet. Weil aus Gründen, die nach wie vor unbefriedigend sind und nicht abgestellt wer- den konnten, die Meldungen an den Wochen- enden nicht richtig funktionieren. Deshalb gibt es immer so einen Nachholeffekt am Montag, und am Dienstag und Mittwoch. Insgesamt, unabhängig von diesen Tagesschwankungen, muss man sagen: Man sieht auch bei dem ge- mittelten Wert über die sieben Tage einen langsamen Wert nach oben. Und der passt leider so gut zu den Beobachtungen, die wir sonst machen. Nämlich, dass die Hygienere- geln nicht mehr so richtig eingehalten werden. Deshalb gebe ich dem Lothar Wiehler Recht, das ist ein sehr alarmierendes Zeichen.

Camillo Schumann

Weil Sie es gerade ansprechen, die Leiterin des Krisenzentrums des Robert Koch-Instituts, Dr. Ute Rexroth, die hat heute mal geschildert, wo und wie sich die Menschen aktuell anstecken.

„Es kann überall sein. Was wir mitkriegen, was uns berichtet wird, sind Familienfeiern, Hoch- zeiten, Treffen mit Freunden, das sind aber auch Ausbrüche am Arbeitsplatz, in Gemein- schaftsunterkünften und in Gemeinschaftsein- richtungen. Da sind leider auch Pflegeeinrich- tungen, das sind Altenheime und Einrichtungen

des Gesundheitswesens, wo wir natürlich be- sonders viel Sorge haben, wenn es Einrichtung des Gesundheitswesens betrifft. Es sind natür- lich auch Reiserückkehrer wieder mehr dabei. Es gibt mehr Fälle, die im Ausland exponiert waren. Aber der weitaus größte Teil hat sich tatsächlich in Deutschland angesteckt. Es gilt jetzt, diese Ausbreitung, diese Übertragungen in Deutschland weiter konsequent einzugren- zen.“

Herr Kekulé, dass hört sich so an, als ob die Menschen keine Lust auf Corona haben. Wie gefährlich ist die Situation? Sind wir schon so an einem Kipppunkt?

Alexander Kekulé

Ich würde schon sagen, wir steuern auf diesen befürchteten Punkt zu. Man muss bei den An- gaben zwei Sachen auseinanderhalten. Das eine sind wirklich die Ausbrüche in Altershei- men, die angesprochen worden und auch in Krankenhäusern. Muss man klar sagen, nach so vielen Monaten der Krise, wir haben gerade sechs Monate hinter uns, ist es nicht mehr entschuldbar, dass man Personen, die ein be- sonderes Risiko haben oder Krankenhäuser, wo man wirklich weiß, dass das eine gefährli- che Situation ist, dass man das dort nicht pro- fessionell in den Griff bekommen hat. Da kann man wirklich sagen, da sind die Länder gefragt, endlich abzusichern, dass die Altersheime und Krankenhäuser sicher sind. Man kann es jetzt auch nicht mehr auf die Masken schieben, die sind ja jetzt da.

Der weit größere Brocken ist das Verhalten der Menschen selber. Es gibt auch Hinweise da- rauf, an den Flughäfen, wo bisher schon bei der Einreise getestet wurde, dass tatsächlich von den Getesteten, tendenziell, wenn sie positiv waren die meist nicht aus den soge- nannten Risikoländern kamen bisher. Das kann viele Gründe haben. Das deutet eventuell da- rauf hin, dass Urlauber sich im Urlaub unvor- sichtig verhalten. Das gleiche sehen wir ja auch hier bei den Menschen im Land. Das ist ziem- lich deutlich eine Verhaltensänderung, viel- leicht auch eine Einstellungsänderung diesem Problem gegenüber, die wir beobachten.

Camillo Schumann

Eine Verhaltensänderung mit dramatischen Ausmaßen, möglicherweise?

Alexander Kekulé

Ich befürchte tatsächlich, wenn wir das psy- chologisch nicht in den Griff bekommen, wenn ich das so sagen darf, dass wir dann die Kon- trolle verlieren. Ich kann es nur noch einmal sagen, wir haben hier in Deutschland etwas erarbeitet, wofür uns die halbe Welt beneidet. Wenn man jetzt zusehen würde, wie das wie- der kaputt gemacht wird, weil die Menschen unvorsichtig werden, dann wäre das sehr schade. Ich habe auch den Eindruck, dass das ein kleiner Teil der Bevölkerung ist, die in einer gewissen Weise die Trotzphase übergegangen sind und das Problem nicht mehr wahrhaben wollen. Weil natürlich der Lockdown den Men- schen enorme Dinge abverlangt hat. Ich glau- be, es ist hier auch notwendig, das sehen wir bei Infektionskrankheiten übrigens häufig, wenn wir die kontrollieren müssen. Es ist hier notwendig, ganz gezielte Angebote zu machen für bestimmte Teile der Bevölkerung. Dort die Aufklärung zu verbessern, wo vielleicht auch die Kenntnisse nicht so weit fortgeschritten sind.

Camillo Schumann

Apropos gezielte Maßnahmen. Eine Maßnah- me von vielen um möglicherweise die zweite Welle zu verhindern sind die verpflichtenden Coronatests für Rückkehrer aus Risikogebieten. Wir haben es eben angesprochen, Reisende aus diesen Risikogebieten können an Flughä- fen, Bahnhöfen oder auch Autobahnen ver- pflichtet werden, sich testen zu lassen.

Wir hören Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kurz dazu:

„Wir wollen sicherstellen, dass nicht aus diesen Ländern dieses Virus zurück nach Deutschland getragen wird, wo wir doch unter großen Mü- hen es gerade erst unter Kontrolle gebracht haben.“

Jetzt hat Frau Rexroth vom RKI ja gesagt, die Urlauber sind schon zurück und die ersten Ausbrüche sind schon zu verzeichnen. Kommt diese Maßnahme überhaupt noch rechtzeitig?

Alexander Kekulé

Ich würde mal sagen, ob sie rechtzeitig ge- kommen ist, wird man erst in ein bis zwei Mo- naten sehen, wenn die Ferien zu Ende sind. Für die Bundesländer, die jetzt gerade erst die Ferien begonnen haben im Süden, kommt sie noch rechtzeitig. Für die Bundesländer, wie Nordrhein-Westfalen, wo die Ferien gerade zu Ende gehen, würde ich sagen, es ist reichlich spät. Aber wir wissen nicht genau, wie hoch der Anteil der Infektionen ist, die wirklich aus Risikogebieten eingeschleppt werden. Da hän- gen viele Dinge mit dran. Das Eine ist, was de- finiert das Robert-Koch-Institut überhaupt als Risikogebiet und was nicht? Und die andere Frage ist, ob die Menschen, die hier aus Risiko- gebieten zurückkommen, wenn sie sich nicht haben testen lassen bisher, ob sie ja dann die vorgeschriebene Quarantäne von 14 Tagen eingehalten haben. Da darf man getrost ein Fragezeichen dahinter machen.

Camillo Schumann

Lothar Wiehler, Chef des Robert Koch-Instituts hat heute noch einmal explizit darauf hinge- wiesen, dass nicht das Robert-Koch-Institut die Risikogebiete bestimmt, sondern das Auswär- tige Amt in Absprache mit dem Innenministe- rium und dem Gesundheitsministerien. Und das wird dann jeden Tag aufs Neue getan.

Alexander Kekulé

Also das ist interessant, natürlich ist in die nächsten Runden, außer dir haben jetzt etwas geändert, soweit ich das früher am Rande mit- erleben durfte, sind in solchen Runden immer die Leute vom RKI beteiligt. Weil natürlich das Auswärtige Amt und die oberen Behörden keine Chance haben, das medizinisch selbst zu beurteilen. Die Lagebeurteilung funktioniert ja letztlich so: Man sagt, erstens, wie hoch ist die Fallzahl dort? Das sind einfach die gemeldeten Zahlen aus dem Ausland. Zweitens gibt es ei- nen Art Qualitätscheck. Wie gut, glauben wir, ist dort die Kontrolle. Wie gut werden die Fälle überhaupt berechtigt? Und drittens: Wie sind die sonstigen Hygienemaßnahmen, die ge- sundheitlichen Maßnahmen?

Das finde ich interessant, dass sich der Herr Wiehler da distanziert vom Auswärtigen Amt und vom Innenministerium. Dann müsste man

vielleicht noch immer nachfragen, wer das genau gemeint hat.

Camillo Schumann

Diese Lageeinschätzung wird jeden Tag ge- macht und das können auch Länder oder Regi- onen in Europa sein, die plötzlich zum Risiko- gebiet werden. Am Ende muss die Information, wenn man sich festgelegt hat, auch an die Tester an den Flughäfen und Bahnhöfen ja auch irgendwie kommuniziert werden. Da kann ich mir vorstellen, der bleibt auch eine Infor- mation mal hängen. Jetzt gibt es auch keine Blaupause für so eine Aktion. Und dass Urlau- ber auch zurückkehren, das war auch schon vor der Urlaubssaison, vor Wochen, bekannt. Und einige Risikoländer sind schon seit Wo- chen Risikoländer. Hat die Politik da nicht zu spät gehandelt?

Alexander Kekulé

Ich habe ja schon im Februar ein Konzept vor- gelegt, wo ja klipp und klar drauf stand, dass man, sobald man die Lage unter Kontrolle hat, also einzelne Fälle nachverfolgen kann, und einzelne Infektionsketten nachverfolgen kann, dass sich Phase zwei dieser Epidemie genannt habe, dass man auch zugleich ganz massiv die Außengrenzen kontrollieren muss. Warum das erst jetzt auf der Todo-Liste steht, und vor allem, die Menschen nur sehr unvollständig getestet werden bei der Einreise, das kann ich nicht wirklich beurteilen. Die Kapazitäten hät- ten wir auf jeden Fall in Deutschland. Und ich glaube, in die Zukunft blickend, ist klar, wenn Sie im Badezimmer den Boden trockenge- wischt haben, weil vorher das Wasser überge- laufen ist, hat es keinen Sinn, den Wasserhahn offen zu lassen. Dann sind sie gleich wieder am Anfang zurück. Und so ähnlich ist es hier, wenn wir immer wieder Neuinfektionen von außen eingeschleppt bekommen, dann bekommen wir die Lage selbstverständlich nicht in den Griff. Und deshalb ist jetzt wichtig, egal ob es rechtzeitig ist oder nicht, das mit absolutem Druck zu machen, und dafür zu sorgen, dass die Menschen getestet werden, sofern sie sich in Risikogebieten befinden. Und natürlich, das ist eine wichtige Sache, egal wer das definiert, die Risikogebiet müssen großzügig und frei von politischen Erwägungen ausgewiesen werden.

Camillo Schumann

Was meinen Sie mit: frei von politischen Erwä- gungen?

Alexander Kekulé

Naja, wir haben natürlich die Situation, es gibt Regionen in Spanien zum Beispiel, wo ziemlich klar ist, dass dort der Infektionsdruck, wie wir das nennen würden, die Gefahr sich zu infizie- ren, ziemlich hoch ist. Da gäbe es gute Gründe, das zum Risikogebiet zu erklären, wie es auch das vereinte Königreich für Spanien gemacht hat.

Das ist aber nun ein EU-Land, ein befreunde- tes, was gerade erst wieder anfängt, vom Tou- rismus halbwegs Einnahmen zu erzielen, so- dass ich ziemlich sicher bin, dass da auch öko- nomische und politische Erwägungen in der Waagschale liegen. Das Gleiche gilt für osteu- ropäische Mitgliedstaaten der EU, wo man einfach natürlich weiß, dass dort die Kontrolle und die Zahl der Testungen eigentlich nicht repräsentativ sind. Aber es ist eben ein EU- Land. Und da gibt es eben dann EU-weite Be- schlüsse. Und ich bin eigentlich der Meinung, dass muss man unabhängig davon machen. Die Viren interessieren sich nicht für solche politi- schen Strukturen.

Camillo Schumann

Das Auswärtige Amt in Meldungen von heute, rät zum Beispiel wegen Corona nun von Reisen nach Katalonien ab. Also ist, das der Schritt in die richtige Richtung?

Alexander Kekulé

Ja, das Auswärtige Amt hat da das richtig ge- macht. Ich bin ganz sicher, dass das sofort böse Briefe aus Barcelona gibt. Aber das muss man dann einfach in Kauf nehmen. Am Ende des Tages geht es ja um die Sicherheit von allen. Die Spanier haben ja auch nichts davon, wenn im Musterknaben-Deutschland dann das Virus wieder ausbricht. Und ich glaube, es wäre wirklich gut, wenn das auch wirklich in dieser, sage ich mal, Feinkörnigkeit weitergemacht wird, dass man wirklich sagt, diese Region ist riskant, und jene Region ist riskant. Ich habe so ein bisschen die Befürchtung, dass das auch so schnell schwankt, und man mit der Beurteilung solange hinterher ist, weil man ja die ganze

Weile braucht, bis man dann mitkriegt, wo die Ausbrüche wirklich sind. Nicht alle Länder mel- den das ja so in kürzester Zeit. Dass man da auf jeden Fall lieber großzügig sein sollte. Ich erin- nere mich noch einmal an die Anfangszeit, es ist gerade sechs Monate her. Darum darf man vielleicht zurückblicken, kurz. Es ist ja so, dass am Anfang ein Kardinalfehler gemacht wurde. Egal, ob das jetzt das RKI war oder das Auswär- tige Amt, dass man in Norditalien wirklich zu- erst dörferweise die Risikogebiete definiert hat. Und dann so in der Salami-Technik, in der umgekehrten Salami-Technik, das sozusagen vergrößert hat. Dadurch sind ganz viele Men- schen nichtsahnend eingereist. Am Ende der Ferien sind die Kinder wieder in die Schule gegangen und so weiter. Diesen Fehler, dass man die Risikogebiete sozusagen zu spät und zu klein definiert, den darf man jetzt nicht noch einmal machen.

Camillo Schumann

Aber das bestdefinierte Risikogebiet bringt nix, wenn dann die Testung hier zwar schön klin- gen, aber vielleicht gar nicht so richtig prak- tisch umgesetzt werden können. Weil, ganz praktisch, sind es ja Stichproben. Die Rückkeh- rer sollen mit so einem Rachenabstrich, einem PCR-Test getestet werden, ist auch ein sehr aufwendiger Test, der auch Personal bindet, Zeit kostet. Und wenn dann ein Rückkehrer aus so einem definierten Risikogebiet getestet wird, laufen zehn andere am Testzelt vorbei. Also was bringt das?

Alexander Kekulé

Naja, die Vorschrift ist ja, das sollen ja jetzt verpflichtende Tests sein. Und verpflichtendes verstehe ich jetzt schon so, dass das heißt, dass im Prinzip alle getestet werden, die da kom- men. Es ist nur so, dass selbstverständlich die- se Tests ja auch Fehler machen, wenn man den Abstrich nicht richtig macht. Nicht so richtig viel erwischt vom Speichel da drinnen oder aber auch rein technisch gesehen ist es so während der Inkubationszeit so vier, fünf Tage, ist der Test die meiste Zeit negativ, und man könnte aber am letzten Tag schon ansteckend sein. Aus diesen Überlegungen, sage ich jetzt mal so als Hausnummer, muss man damit rechnen, dass einem 20-25 % der Infizierten bei diesen Testungen tatsächlich durch die

Lappen gehen. Das finde ich aber jetzt epide- miologisch nicht so wahnsinnig schlimm. Weil, es werden ja immer noch nur wenige Men- schen infiziert sein von denen, die der einrei- sen. Und wenn man da umgekehrt 75-80 % abfangen kann, dann ist dieser Test eine ver- nünftige Sache.

Camillo Schumann

Weil sie gerade verpflichtende Tests so inter- pretieren, dass die Menschen sich dann ganz treu zum Testzelt begeben, die Hand heben und sagen ja, ich war im Risikogebiet, bitte testen Sie mich. Glauben Sie das wirklich? Also ich habe das so verstanden, dass man auf die Menschen zugeht und sagt: Wo kommen Sie her? Da und da, bitteschön, dann werden Sie jetzt getestet, und Sie können sich nicht dage- gen wehren. Also das ist sozusagen Hol- und Bringschuld. Also glauben Sie wirklich daran?

Alexander Kekulé

Naja, das ist eine multidisziplinäre Frage, die Sie da stellen. Und das ist auch ganz wichtig, dass man da nicht nur einen Epidemiologen und Virologen fragt, sondern auch Leute, die sich jetzt mit polizeilichen Maßnahmen aus- kennen. Und aber von meiner Sicht ist es so, es wäre wünschenswert, dass alle getestet wer- den und die anderen, die nicht aus Risikogebie- ten kommen, wirklich ein komfortables Ange- bot bekommen, wo sie sehr schnell sich testen lassen können, ohne nach dem Urlaub dann viele Stunden am Flughafen zu verbringen oder bei der Einreise irgendwo gestoppt zu werden. Ob man das jetzt umsetzen kann, also ob die Leute die Wahrheit sagen, und wenn sie wis- sen ich muss mich jetzt eigentlich testen las- sen, oder die Variante gibt es ja auch: wirklich definitiv zwei Wochen in Quarantäne. Jetzt gehen. Wenn alle Menschen ehrlich wären und würde das funktionieren. Aber ich will da so ein bisschen den Schwarzen Peter an die Grenzschutzbehörden abgeben. Die haben ja Übung mit so was. Die haben auch irgendwie ein Auge dafür, wer was schmuggelt und Ähnli- ches. Und die müssen halt jetzt ein Auge dafür entwickeln oder irgendwelche Algorithmen entwickeln, mit denen sie feststellen können, ob jemand möglicherweise aus dem Risikoge- biet kommt, aber das nicht zugibt.

Camillo Schumann

Wer das Virus nach Deutschland schmuggelt.

Alexander Kekulé

Reinschmuggelt, Virus-Schmuggler.

Camillo Schumann

Sie haben es ja schon gesagt, ein Test ist ir- gendwie auch kein Test. Wenn der Test negativ ist, heißt das ja nicht, dass jemand nicht das Virus in sich trägt. Der kann ja trotzdem Tag später infektiös sein. Susanne Johna, Vorsit- zende des Marburger Bunds, plädiert deshalb für eine Kombination aus Tests und Quarantä- ne. Hier bei MDR aktuell, wir hören mal kurz rein:

„Insofern ist eine optimale Strategie sicherlich Menschen zu testen, die dann in einer fünf- bis maximal siebentägige Quarantäne, häusliche Quarantäne zu empfehlen und dann einen wei- teren, einen zweiten Test zu machen. Dann ist die Sicherheit schon fast 100 %.“

Bisher können die Rückkehrer ja mit einem Test die Quarantäne umgehen. Also Test statt Quarantäne. Aber wäre eine Kombination nicht die Lösung?

Alexander Kekulé

Naja, klar, das haben wir hier öfters bespro- chen. Die Hörer des Podcasts wissen das, klar wäre das optimal. Uns ist ja auch so, dass das offizielle Angebot so ähnlich lautet. Man darf sich dann tatsächlich noch einmal testen las- sen, ich glaube fünf Tage später. Aber das ist natürlich die graue Theorie, und das sinnvolle, das Gute daran ist, dass man quasi die Quaran- täne auf fünf Tage verkürzt, statt jetzt wirklich 14 Tage Quarantäne zu machen. Ja, das wäre optimal. Aber ich wäre ja schon froh, wenn die einfache Variante funktioniert. Weil, die einfa- che Variante heißt letztlich, dass die Politik jetzt ein Stück weniger rigide ist, weil eigentlich war die Vorstellung, alle müssen 14 Tage in Quarantäne. Und jetzt sagt man okay, ihr könnt euch stattdessen testen lassen. Und natürlich wissen die Menschen, die das anord- nen, auch, dass dadurch eine Lücke entsteht: nämlich von den Wenigen. Das sind ja zum Glück nicht so viele, die dann falsch negativ getestet wurden. Ich glaube, diese Lücke in Kauf zu nehmen, dafür, dass die Menschen

wirklich sagen okay, so ein Test, das mach ich doch gerne. Das ist doch immer noch besser als zwei Wochen zuhause bleiben. Ich glaube, diese politische, psychologische Überlegungen ist richtig, weil ja viele auch, das muss man sich klarmachen, nicht die finanziellen Mittel ha- ben, dann zu Hause, nachdem sie aus dem Urlaub oder vom Familienbesuch im Ausland zurückgekommen sind, dann zu sagen, jetzt arbeite ich mal zwei Wochen nicht, sondern begebe mich in häusliche Quarantäne. Ich glaube, das ist es leichter, den Menschen die Brücke zu bauen und zu sagen: Okay, testen reicht auch, wissend, dass da eine Lücke ent- steht.

Camillo Schumann

Um sozusagen jetzt nochmal einen Strich drun- ter zu ziehen. Sie sagen ja immer, man sollte epidemiologisch sinnvolle Maßnahmen umset- zen und nicht Maßnahmen, die so die Nach- kommastelle betreffen. Also ist das so eine Maßnahme, die sozusagen vor der Kommastel- le was tut oder nach der Kommastelle?

Alexander Kekulé

Das ist am heutigen Tag eine sehr gute Frage. Wenn Sie mich letzte Woche gefragt hätten, hätte ich ganz klar gesagt ja, das ist eine sinn- volle Maßnahme. Jetzt muss man natürlich Folgendes sagen: Die Zahlen, die das Robert Koch-Institut heute präsentiert hat, und auch die Erklärung, die dazu abgegeben wurde, sagt ja ganz klar, der Schwerpunkt ist auf Infektio- nen im Land, auf Fehlern, die wir hier zu Hause machen. Vielleicht auch dann auf Fehlern, die Urlauber selber durch ihr Verhalten unterei- nander im Urlaub machen. So Stichwort Mal- lorca oder Wörthersee oder so was. Und da muss man dann natürlich schon die Frage stel- len wenn wir uns alle so unvernünftig daheim Verhalten und das Virus im Land ist und sich sowieso relativ unkontrolliert deshalb ausbrei- tet, dann ist natürlich wieder die Situation, dass das Augenmerk auf die importierten In- fektionen nicht mehr so schlimm ist, weil man dann ja von der Phase II in diese Phase III schon wieder Rutschen zu droht, wo die Epi- demie sich exponentiell dann wieder ausbrei- tet. Da kann man natürlich in der Tat sagen, wenn es bei uns so zugeht, wie in Spanien oder in Katalonien, um es mal plakativ zu sagen,

dann brauchen wir die Einreisenden aus Kata- lonien auch nicht besonders ins Auge zu neh- men.

Camillo Schumann

Gut, da sind wir gespannt, wir beide und natür- lich Millionen Menschen hier in Deutschland, wie sich die nächsten Wochen und Monate entwickeln werden.

Wir kommen zum nächsten Thema. Die Ausbreitung des Virus verhindern ist ja sozusagen das Gebot der Stunde. Vor allem geschlossene Räume mit mehreren Personen sind besonders gefährliche Orte, Stichwort Aerosol-Übertragung, also die Übertragung durch winzige Partikel im Atemnebel. Über 240 Wissenschaftler, die hatten erst kürzlich die Weltgesundheitsorganisation aufgefordert, das Thema Aerosole wesentlich ernster zu neh- men. Nun haben Forscher der Harvard Medical School mal alle Studien, die es zum Thema Aerosole gibt, analysiert, neu bewertet. Und sie sagen, dass es Aerosole gibt, ist unbestrit- ten. Sie sagen aber, das bloße Vorhandensein von viraler RNA in der Luft beweist noch keine Übertragung. Und ob es zu einer Übertragung kommt, das hängt von ganz vielen Faktoren ab: die Größe des Viruspartikel, wieviel ausge- schieden werden, wie stark das Immunsystem das Virus abwehrt etc. Was halten Sie von die- ser grundsätzlichen neuen Bewertung?

Alexander Kekulé

Ich habe die Bewertung gesehen. Das sind Kollegen von der Harvard Medical School, inte- ressanterweise dort Epidemiologen und Spezi- alisten für öffentliche Gesundheit. Das ist ein sehr guter allgemeiner Überblick über die Probleme, die wir haben. Aber letztlich steht da das gleiche drin, was, glaube ich, viele Deut- sche inzwischen schon wissen. Nämlich, dass wir aufgrund der bisherigen Daten hauptsäch- lich diese die, die den Verdacht haben, dass diese Tröpfchen eine Rolle spielen. Tröpfchen- infektion, face-to-face unter zwei Meter. Und dass es aber offensichtlich einzelne seltene Superspreader-Ereignisse gibt, wo diese Aero- sole eine Rolle spielen. Und das Verhältnis von beiden ist eben unklar. Aber die Besonderheit dieses SARS-CoV-2 Virus ist eben, dass im Ge- gensatz zum Beispiel zu den Masern, die ja

ganz stark über Aerosole übertragen werden, die Hinweise auf die aerogene Übertragung, also echt über meterweite Entfernungen, die gibt es eigentlich nur in relativ wenigen Situa- tionen. Interessant ist ja, da diese sogenannte „secondary attack rate“, also die zweite An- griffsrate. Ich weiß gar nicht, wie man das auf Deutsch sagt. Und zwar wissen wir, dass Men- schen, die im gleichen Haushalt leben, in man- chen Studien ja nur zu 10 % ihre Mitbewohner angesteckt haben. 10-15 %, in Heinsberg hat- ten wir solche Zahlen von 15 %. In anderen Studien geht es rauf bis 40 %, je nachdem, wie der Haushalt auch war. Wenn man zusammen beim Abendessen ist, ist die Wahrscheinlich- keit, dass man den anderen von einem Essen ansteckt, bei 7 % nach einer Studie, und beim Einkauf ist es unter 1 %. Also den Verkäufer, zum Beispiel. Das heißt also, wir wissen, dass dieses Virus in so ganz normalen Situationen, wo offensichtlich jetzt diese Aerosole, diese feinen Partikel, die sich im Raum weiter über- tragen, keine so große Rolle spielen. Dass im- mer dann eigentlich das Virus gar nicht so in- fektiös ist. Das ist ja der Grund, warum wir es eigentlich ganz gut unter Kontrolle bringen können.

Camillo Schumann

Aber die Frage ist ja, warum man vor Chorpro- ben warnt, vor Feiern in geschlossenen Räu- men warnt, weil die Wissenschaftler sagen ja, auch und Sie haben es schon angesprochen: Die Reproduktionszahl von 2-3 sei angesichts der großen Anzahl von Interaktionen Men- schenmengen, persönlichen Kontakten, die die Menschen innerhalb einer Woche haben, recht klein. Und sie sagen auch, entweder sei die Virusmenge, die zu Infektionen führt, viel grö- ßer, oder Aerosole spielen eben nicht die ent- scheidende Rolle bei der Übertragung.

Alexander Kekulé

Ja, man muss hier unterscheiden, wie dieses „R“ sozusagen, diese Reproduktionszahl, auf was sich die bezieht. Wenn man das „R“ insge- samt von der von einer Bevölkerung sich an- sieht wie in Deutschland, wo wir am Anfang Werte um 3 hatten, dann ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass insgesamt auf die Ge- samtbevölkerung bezogen, diese aerogene Übertragung keine große Rolle spielen kann.

Sonst wäre es viel höher. Bei Masern, wo wir wissen, dass diese luftgetragene, aerogene Übertragung wichtig ist, liegt irgendwo im Be- reich von, ich weiß nicht, 18 oder so was. Also, diese Maximalgeschwindigkeit R0 heißt die dann am Anfang. Und das andere ist, dass aber ein einzelner Ausbruch jetzt bei der berühmten Chorprobe, das in dieser Ausbruchssituation, das „R“ natürlich in einem höheren Bereich liegen kann. Also, dass jetzt also eine aerogene Situation stattfindet bei einer Chorprobe, und man weiß, ein Sänger hat mit hoher Wahr- scheinlichkeit 20 andere angesteckt in einem Ereignis, dann ist eben „R“ in diesem bestimm- ten Ereignis gleich 20. Also das mittelt sich nur weg, wenn sie die Gesamtbevölkerung an- schauen, sodass das kein Widerspruch ist. Wir haben einerseits auf die Gesamtbevölkerung diese kontrollierbaren, bisher bei uns ja auch gut kontrollierten Ereignisse mit relativ gerin- ger Infektiosität, nur face-to-face. Und wir haben andererseits einige Situationen, wo diese hochinfektiösen Aerosole entstehen, wo eben tatsächlich dann ein Mensch viele anste- cken kann. Das Interessante ist, dass wir wirk- lich wissen, dass auch diese aerogene Übertra- gung durch Masken verhindert werden kann, weitgehend. Und das ist eine ganz wichtige Information.

Camillo Schumann

Zur Maske kommen wir gleich noch einmal abschließend dazu. Das würde sich ja dann auch mit den Aussagen decken, die das RKI heute getätigt hat, der Bewertung von Frau Rexroth, dass es eben in ganz Deutschland diese Übertragungen sind, große Familienfei- ern, Hochzeiten etc. Es würde sich ja sozusa- gen auch decken, oder?

Alexander Kekulé

Ich kenne jetzt die Daten vom RKI nicht. Und das, soweit ich weiß, werden die auch leider nicht so ganz vollständig immer übermittelt von den Bundesländern und von den einzelnen Behörden. Aber es ist genau, wie Sie sagen: Es geht einfach dahin, dass tatsächlich in den geschlossenen Räumen die Großveranstaltun- gen das Thema sind. Ich glaube, dass RKI wür- de uns sofort warnen, wenn diese Grundhypo- these, die wir hier in Deutschland haben – die übrigens im Ausland nicht überall so eindeutig

ist – aber bei uns ist er die Arbeitshypothese, dass wir sagen, im Freien passiert tendenziell eher nichts. Ich sage es mal so salopp. Und wenn es so wäre, dass man sagt, da ist bei einer Veranstaltung im Park irgendwo, von Leuten, die nebeneinander gegrillt haben, plötzlich über 1,50 m das Virus in großer Men- ge verteilt worden und hat zu einem Ausbruch geführt, dann würde uns, dass das RKI, glaube ich, sofort sagen. Oder andersherum gesagt: Ich gehe davon aus, dass alle größeren Ausbrü- che, die wir jetzt haben, in den letzten Wochen wirklich in geschlossenen Räumen stattgefun- den haben. Und wir deshalb die Arbeitshypo- these halten können, dass wir vor allem diese Superspreader-Ereignisse in geschlossenen Räumen vermeiden müssen.

Camillo Schumann

Und damit wären wir schon beim nächsten Thema. Forscher der Technischen Hochschule Mittelhessen haben getestet und sehr ein- drucksvoll grafisch dargestellt, wie sich Aeroso- le in geschlossenen Räumen so verteilen. Sie haben da so ein einmaliges Niesen simuliert, und wie sich der Nebel dann im Raum verteilt und auch wieder Nebel am besten abgewehrt werden kann. Und das Fazit: Dieser Nebel ver- breitet sich extrem schnell, und deshalb sei es unbedingt empfehlenswert, in geschlossenen Räumen einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Also heißt das jetzt die Maske auch im Büro tragen?

Alexander Kekulé

In meinem Institut ist es so, dass eigentlich von einer ganz frühen Phase dieser Epidemie die Mitarbeiter, wenn sie zu mehreren in einem Raum sind, immer einen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen. Und ich gehe davon aus, dass viele Chefs, auch wenn sie nicht gerade Mikro- biologen sind, ähnliche Anweisungen gegeben haben. Ich bin ganz sicher, wenn die Fließ- bandmitarbeiter bei Tönnies alle Masken im Gesicht gehabt hätten bei der Arbeit, dass es dann nicht zu diesem Ausbruch gekommen wäre. Und das hat diese ganz interessante Simulation dort von der Technischen Hoch- schule in Gießen wirklich gezeigt. Es gibt schon ähnliche Studien natürlich, ähnliche Simulatio- nen, die auch so aussahen. Ich frage mich dann manchmal immer, ob die Menschen jetzt noch

unbefangen zusehen, wenn jemand anders niest. Ja, da sagt man ja normalerweise Ge- sundheit. Wahrscheinlich ist dann die neue Antwort: „Raus hier!“, oder Ähnliches. Weil, wenn man diese Studien kennt und weiß, wie viele Meter sich das dann verbreiten kann, ist es ja schon ein bisschen beunruhigend. Ich fand an der Studie ganz interessant: Die haben das dann simuliert, aber auch mit einem mit einem Laserbeugungs-Gerät, einem Lasergra- nulometer heißt das, haben die das auch verifi- ziert, also diese Simulation nochmal überprüft. Und am schlimmsten war der Ventilator im Raum. Das kann ich jetzt im Sommer sagen. Also ein Ventilator im Büro, das geht gar nicht nach der Studie, weil, der verbläst wirklich das Ausgenießte dann im ganzen Zimmer.

Camillo Schumann

Okay, also mit anderen Worten. Der Virologe und Epidemiologe Alexander Kekulé empfiehlt das Maskentragen im Büro?

Alexander Kekulé

Definitiv. Also ich kann nur sagen, wenn Men- schen im Büro sind und im Herbst das Fenster nicht mehr aufmachen können und vor allem natürlich nicht so viel Platz haben. Es gibt ja so Luxusbüros, wo auf einem großen Raum zwei bis drei Leute sitzen. Aber wenn sie eng zu- sammensitzen und das Fenster zumachen müssen, wenn es demnächst kälter wird, dann würde ich die Maske dort tragen.

Camillo Schumann

Ich habe die Macht. Ich kann jetzt entscheiden, ob ich diese Aussage drin lasse hier im Podcast oder rausschneide.

Alexander Kekulé

Selbstverständlich, wenn Sie keine Maske tra- gen wollen, dann schneiden Sie es raus.

Camillo Schumann

Ist es Ihre Empfehlung? Ich lasse es drin. Wir müssen auch, Sie haben es schon angespro- chen, noch über ein Thema sprechen, das Deutschland wochenlang in Atem gehalten hat, im wahrsten Sinne des Wortes. Der massive Coronavirus-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies in Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein- Westfalen. Es ist nun klar, wie sich das Virus so

stark ausbreiten konnte. Und es gibt eine ab- schließende Studie dazu und auch eine kleine Überraschung. Denn die Unterkünfte osteuro- päischen Arbeiter, die waren es nicht.

Alexander Kekulé

Ja, das ist also wirklich interessant. Also diese Studie, die begeistert richtig. Deshalb muss man noch einmal sagen, das ist wohl unter Federführung vom Helmholtz-Institut in Braun- schweig gemacht worden. Das Pette-Institut in Hamburg und Eppendorf in Hamburg und die Hygiene in Bonn waren beteiligt. Die haben das also wirklich gründlich aufs Korn genommen, und das liest sich für einen Epidemiologen wie ein Krimi. Also das ist besser als jeder Tatort am Sonntagabend. Die Geschichte, die wir ja alle nur so indirekt aus den Medien mitbe- kommen haben, lief letztlich so: Es gab zwei Fabriken, um dies dagegen die 30 Kilometer auseinander waren. Und es war eben so, dass man einen Kontakt hatte von Mitarbeitern der einen Fabrik – wo schon klar war, dass ein Ausbruch stattgefunden hat – mit Mitarbeitern der anderen Fabrik. Und das Interessante hier war: Das waren insgesamt vier Leute, also zwei plus zwei, die sich getroffen haben an so einem T0, an so einem Tag, an dem es losging. Und man hat dann hinterher das Virus sogar gene- tisch so genau analysiert, dass man einen Ver- dacht hat, welcher von den beiden das gewe- sen sein muss anhand der genetischen Infor- mation des Virus. Und dann war es eben so, dass die festgestellt haben, später sie hatten Kontakt mit jemandem, der positiv war, haben das auch brav gemeldet, wurden dann selber auch gleich getestet - drei Tage später, nach diesem Kontakt. Und dann hat man aber ge- sagt ja, der Kontakt war so kurz, ihr könnt wei- ter zur Arbeit gehen. Und das war natürlich der große Fehler. Das war ein kurzer, angeblich kurzer Kontakt. Die zwei wurden zur Arbeit geschickt, während der Test noch lief, und als dann am vierten Tag zurückkam, dass sie posi- tiv sind, wurden sie in Isolierung geschickt. Aber dann nahmen eben die Ereignisse ihren Lauf. Am achten Tag wurde die ganze Früh- schicht von über 140 Leuten getestet. Da wa- ren dann 18 positiv, später nochmal nachge- testet: weitere elf. Und ab dem 19. Tag, also fast drei Wochen jetzt schon nach diesem ur- sprünglichen Einschleppen, haben Sie dann

gesagt jetzt müssen wir mal Umfragen ma- chen, wer mit wem sonst noch Kontakt hatte und so. Und haben ein sogenanntes risikoba- sierte Screening gemacht. Und da wurden dann über 110 Positive rausgezogen. Und erst nach einem Monat, ab dem 31. Tag, haben Sie gesagt: Oh, das ist jetzt aber ein schlimmer Ausbruch. Jetzt testen wir mal alle. Und dann kam das raus, was wir alle wissen, dass 1.413 laut dieser Studie von etwas über 6.000 Mitar- beitern positiv waren. Also man sieht richtig mit Schmerzen die Punkte, wo man das hätte verhindern können vorher. Und wo die Dinge stufenweise leider unterschätzt wurden, mit der Folge, dass wirklich mit hoher Wahrschein- lichkeit bewiesen ist, dass hier nicht aus be- stimmten technischen Gründen – da gibt es noch ein paar Fragezeichen – aber mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das wirklich eingetragen worden von einer Person und dann schrittwei- se in diesem anderen Betrieb losgegangen.

Camillo Schumann

Also eine Person sorgt dafür, dass am Ende 1.500 positiv getestet worden. Aber entschei- dend ist er jetzt auch, wo die Übertragung stattgefunden hat, da wurde auch ein be- stimmter Ort ausgemacht.

Alexander Kekulé

Ja, und das hat man, das war eben diese be- rühmte Frühschicht. 147 Leute waren in der Frühschicht im nicht alle zusammen. Also, die hatten verschiedene Positionen, wo sie gear- beitet haben, natürlich auch abwechselnd. Und das muss man sich als ein langes Fließband vorstellen, wo die Rinder zerteilt wurden. Und wahrscheinlich am Schluss das dann in diese kleinen Packungen abgegeben wurden. Das weiß ich nicht. Aber 32 Meter lang, 8,5 Meter breit war der Raum. Und dann ist quasi dann dieses Fließband durchgelaufen, und jeder hatte eine bestimmte Position. Und der ganze Raum war gekühlt, natürlich auf 10°C. Und die haben dann was ganz Interessantes gemacht. Die haben gesagt, wer stand denn wo von den Leuten, die infiziert wurden? Und wo standen die ihm Verhältnis zu diesem allerersten In- dexpatienten, der das da reingeschleppt hat? Und da haben sie wirklich quasi das zweidi- mensional aufgezeichnet und gesagt, wie viele Meter nach links, rechts, und wie viele Meter

nach vorne, hinten. Und dann kam raus, dass also ganz klar das Risiko von denen im Umkreis von acht Meter waren eindeutig weit erhöht war. Also statistisch eindeutig signifikant. Und diese starke Korrelation eines Infektionsrisikos mit der Position am Fließband dessen, der das offensichtlich eingeschleppt hat – das ist ein- malig, dass man so genau quasi gezeigt hat, dass das wirklich in dieser Distanz in diesem Raum stattgefunden haben muss. Das gleiche haben sie natürlich dann auch epidemiologisch durchgerechnet für die Wohnungen, wo die zusammen waren, die Behausungen, und auch durchgerechnet für die Busse mit denen, die dann zur Arbeit gebracht wurden. Und da gab es keine solche Korrelation. Man muss noch so ein bisschen da einen Wermutstropfen rein- schütten. Man weiß natürlich nicht, weil die Personen selber nicht wirklich befragt wurden, ob jetzt vielleicht die Leute, die da im Kreis von acht Meter zusammenstehen, sich irgendwie aus anderen Gründen auch vielleicht besser kennen oder miteinander sonst zu tun haben, oder zusammen vielleicht auch dann in die Pause gehen oder solche sozialen Faktoren. Also eine Infektion außerhalb dieses Raums ist nicht hundertprozentig auszuschließen. Aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit deutet das darauf hin, dass wir hier wirklich über acht Meter Entfernung Infektionen kriegen. Das ist übrigens nicht der erste Hinweis darauf. Es gibt auch ältere Studien aus China, wo Ähnliches auch bis acht Meter, bzw. 27 Fuß nachgewie- sen wurde.

Camillo Schumann

Natürlich jetzt die große Frage: Ansteckung mit oder ohne Maske?

Alexander Kekulé

Aus der Arbeit ist das nicht zu entnehmen. Ich gehe einfach davon aus, dass die dort keine Masken aufhatten. Ob es auch vorgeschrieben war, weiß ich natürlich nicht. Aber ich halte es für ausgeschlossen, dass sich so eine klare Infektionskette abzeichnet, wenn die alle Mas- ken und natürlich dann vernünftig aufgehabt haben. Man kann natürlich etwas anderes daraus ableiten. Man kann daraus ableiten, dass bei bestimmten Arbeiten, insbesondere unter gekühlten Bedingungen – es ist nicht sicher, aber es ist gut möglich, dass das auch

mit der Kühlung zusammenhängt, auch mit diesen Ventilatoren, die die Luft da im Raum verblasen haben –, dass man bei solchen Ar- beiten wahrscheinlich FFP2-Masken bräuchte. Das ist natürlich fürchterlich, weil das körper- lich anstrengend ist. Und das hält niemand lange durch mit seiner Maske, wenn er körper- lich anstrengend arbeiten muss.

Camillo Schumann

Soweit also die Einschätzungen zur Tönnies- Studie. Sehr interessante Ergebnisse. Da wer- den wir bestimmt ab und zumal, wenn es mal wieder so ein Thema ist, darauf Bezug neh- men.

Wir kommen zu den Urlaubserlebnissen unse- rer Hörer. In Ausgabe 84 haben wir unsere Hörer aufgefordert, uns mal zu schreiben, wel- che Beobachtung sie im Urlaub in Sachen Hy- gieneregeln so gemacht haben. Also wie in den Urlaubsländern mit der Corona-Situation um- gegangen wird. Herr F. war in Griechenland. Im Flugzeug, hatt er eine FFP2-Maske getragen. In der Clubanlage gab es eine Maskenpflicht am Buffet. Es wurde extrem viel Wert auf Desin- fektionsmaßnahmen gelegt: Strandliegen, Sportgeräte et cetera. Und jetzt kommt es. Es gipfelte darin, dass Schwimmwesten nur mit Unterzieh-T-Shirt getragen werden durften, damit sie keinen direkten Körperkontakt hat- ten. Also das ist ja vielleicht auf der einen Seite ganz gut, auf der anderen Seite, bisschen über- trieben. Wie bewerten Sie es?

Alexander Kekulé

Also das mit dem Unterzieh-T-Shirts ist natür- lich Unsinn. Wenn man im Meer ist, dann spült sich so was weg. Die einzige Situation, wo ich mir vorstellen könnte, wo eine gründliche Des- infektion sinnvoll ist zum Beispiel bei Tauchge- räten und Schnorcheln, die man wirklich in den Mund nimmt. Aber sonst finde ich das ehrlich gesagt, etwas übergründlich.

Camillo Schumann

Vom ganzen Gegenteil, berichtet Familie G. Sie war in Tschechien und ziemlich geschockt, wie dort in Marienbad mit dem Coronavirus umge- gangen wurde.

„Es gab keinerlei Schutzvorrichtungen. Ein win- ziges Desinfektionsfläschchen haben wir erst am dritten Tag unseres Aufenthalts entdecken können. Niemand hielt sich an Abstandsregeln. Nirgends gab es ein Hinweis auf eventuell Corona-Maßnahmen. Man bediente sich am Frühstücksbuffet selbst. Wer hustet, hat das in die Hand getan. Maske tragen war keine Pflicht. Selbst das Personal in der Küche trug keinen Mundschutz, und für das Tragen unse- rer Masken wurden wir belächelt und verächt- lich angesehen. So nach dem Motto: In Tsche- chien bräuchte man das nicht, da gibt es kein Corona mehr.“

Und ich habe mal geguckt. Tschechien meldet den höchsten Anstieg an Corona-Infektionen seit knapp einem Monat. Deshalb sind auch an der Grenze zu Sachsen das Tragen einer Maske in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, so wie der Besuch von Apotheken dann auch verpflichtend. Wie bewerten Sie jetzt, wie dort damit umgegangen wird?

Alexander Kekulé

Insgesamt, das kann man jetzt nicht speziell an Tschechien festmachen, haben wir immer die Situation, dass wir, dass so ein bisschen rein in die Kartoffeln raus aus den Kartoffeln ist. Tschechien hatte am Anfang sehr strenge Maßnahmen verhängt, die Einreise gestoppt und dadurch das Land eigentlich ganz gut ge- schützt – wenn man das so sagen darf – vor der ersten Welle. Jetzt sind die Grenzen wieder offen. Die Touristen kommen, und man nimmt es dort nicht ernst. Und das ist vielleicht ganz interessant zu beobachten, dass natürlich die Länder, die am wenigsten Erfahrungen mit sowas haben, die das bisher nicht ernst ge- nommen haben, weil das Virus einfach nicht groß vorhanden war, dass die dann die größten Fehler machen, wenn das Virus doch kommt. Es gibt sogar eine gewisse Parallele zu dem, was wir in Europa gemacht haben. Wir erin- nern uns, dass in Taiwan zum Beispiel oder in Singapur, in Südkorea – weil man das dort besser kannte von SARS, damals 2003 – relativ schnell die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden. Aber die Europäer haben sich da am Anfang nicht so richtig eingesehen, warum sie das tun sollen. Und ich befürchte, dass so was eben auch, wie das den Tschechen geht, könn-

te das auch Bundesländern gehen, die sehr wenig Fälle haben. Man darf da nicht nachläs- sig sein, sondern man muss davon ausgehen, dass die Menschen, die noch nicht geübt sind im Umgang mit dem Virus, dass die auch be- sonders gefährdet sind.

Camillo Schumann

Und wenn auch Sie Urlaubserlebnisse haben, dann rufen Sie uns doch an 0800 3002200. Damit kommen wir zu den Hörerfragen. Diese junge Dame hat angerufen. Sie macht sich Gedanken um die geringe Wirksamkeit von Impfstoffen bei älteren Menschen. Deshalb hat sie folgende Frage:

„Wenn aber viele junge Menschen geimpft wären und bei ihnen die Immunität zuverlässig ist, wären doch die älteren Menschen durch den Herdenschutz sicher, oder? Danke für die Antwort.“

Alexander Kekulé

Ja, das Herdenschutzkonzept ist ganz klar eins, was man im Auge hat, sozusagen als Notfallva- riante. Es wird selbstverständlich versucht, Impfstoffe zu entwickeln, die auch bei älteren Menschen wirken. Es gibt ein paar Tricks, mit denen man die dann verstärken kann. Eventu- ell. Aber falls es nicht so richtig gelingen sollte, falls also die Wirksamkeit bei älteren Men- schen schwach bleibt, dann bleibt noch der Herdenschutz. Das ist ganz klar, dass es eine schon, die wir haben. Man könnte rein theore- tisch sogar durch reinen Herdenschutz so ein Virus eliminieren in der Bevölkerung.

Camillo Schumann

Frau M. aus Dresden hat uns geschrieben: Sicher werden viele Enkel in den Ferien ihre Großeltern besuchen beziehungsweise von ihnen betreut. Also, Ferien bei den Großeltern. Worauf ist zu achten? So zwei, drei Tipps hätte die Frau M. gern.

Alexander Kekulé

Aus meiner Sicht ist in der jetzigen Phase – wir sind ja noch immer in einer Situation, wo das Virus in Deutschland, ich würde nicht sagen unter Kontrolle ist, aber doch sehr niedrig ge- halten wird – wenn die Kinder bisher keine Risikokontakte hatten und es im ganzen Um-

feld keinen Verdacht auf Coronavirus- Infektionen gibt, dann kann man, meines Er- achtens, das Risiko eingehen, dass die die Großeltern besuchen. Und natürlich muss man sich darüber im Klaren sein, wenn jetzt wirklich was eingeschleppt wurde, unbemerkt, dann könnten die Kinder auch die Großeltern anste- cken. Wenn noch genug Zeit vorher ist, ist natürlich immer die Möglichkeit, bevor die Kinder dorthin fahren, mal einen Test zu ma- chen. Die sind in einigen Bundesländern leider kostenpflichtig. Wenn man in bestimmten Bundesländern ist, kosten sie nix. Aber ich glaube, das wäre so eine typische Situation. Also ich persönlich würde wahrscheinlich den Test machen, so oder so, weil ich das nicht riskieren würde, meine eigenen Großeltern in oder meiner eigenen Eltern dann ins Risiko zu bringen.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 87. Herr Kekulé, wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Bis dann, Herr Schumann. Danke.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



Samstag, 25.07.2020 #86: Lebenslange Immunität eher unwahr- scheinlich

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Samstag 25. Juli 2020.

Camillo Schumann

Tötet Kernseife auf der Maske das Virus ab? Sollten Unterrichtsräume ohne Lüftung vorerst geschlossen werden? Ist ausgespuckter Ra- chenschleim ein Risiko?

Herzlich willkommen zu einem „Hörerfragen SPEZIAL“. Die Fragen rund ums Corona-Virus kommen von Ihnen. Und die Antworten wie immer von Virologen und Epidemiologen.

Alexander Kekulé, ich grüße Sie.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wir wollen so viele Fragen wie möglich schaf- fen. Frau D. hat geschrieben: „Ich bin 74 Jahre alt und durch COPD leider ein Risiko-Mensch. Für Anfang August haben wir eine Tagesfahrt mit einem Reisebus innerhalb Sachsens Rich- tung Pillnitz gebucht. Der Bus ist ziemlich neu, und der Reiseveranstalter sagt, der Bus hat eine moderne Lüftung. Die Fahrt wurde schon verschoben, der Termin war im Frühjahr. Kann ich die Fahrt wagen?“ Corona-Fälle sind ja zur- zeit nicht bekannt, und der Aufenthalt im Bus ist nicht so lange in Folge der kürzeren Fahrt- strecke. Vielleicht habe ich Glück und meine Frage wird beantwortet. Freundliche Grüße.“ Kann sie fahren?

Alexander Kekulé

Ich würde die Fahrt antreten mit 74 Jahren. Mit Verlaub, ich würde eine FFP2-Maske auf- setzen. Gerade wenn die Fahrt nicht solange ist. Kann man es doch machen. Ich bin da ein- fach vorsichtig in geschlossenen Bussen. Wahr- scheinlich wird es so sein, dass nur einer von mehr als tausend Bussen jemals einen richti- gen Ausbruch haben wird. In Deutschland viel- leicht überhaupt nie. Aber ich will nicht, dass einer unserer Hörer in diesem einen Bus ge- sessen hat. Und deshalb würde ich sagen: Set- zen Sie die FFP2-Maske auf und setzten Sie sie nur ab, wenn sie Wasser trinken wollen. Und am Zielort kann man ja dann wieder frische Luft schnappen.

1 [0:01:42]:

Camillo Schumann

Prima und an der Elbe können Sie dann auch noch eine Dampferfahrt machen. Da sind Sie dann auch an der frischen Luft. Viel Spaß. Herr H. aus Berlin hat angerufen. Er hatte eine Idee für eine weitere Möglichkeit, sich testen zu lassen: „Ich würde gerne wissen, warum man einen Test auf Antikörper nicht auch mit ausgeatmeter Luft machen kann. Also mit ei- ner hustenartigen Ausatmung. Dann können die Zellen, die ausgeatmet werden, getestet werden, ob sie infiziert sind oder nicht. Oder ob Antikörper da sind oder nicht. Dankeschön, tschüss.“

3 [0:02:19]:

Camillo Schumann

Einfach mal ein Husten-Test machen. Das hört sich doch eigentlich ganz gut an. Da müsste doch eigentlich genug Viruslast mit drin sein, oder?

Alexander Kekulé

Ich glaube, dass das interessanterweise im Prinzip technisch möglich ist. Weil wir Viren auf jeden Fall in der ausgeatmeten Luft haben. Weil die Viren ja auf den Schleimhäuten sitzen. Und weil es hauptsächlich auf diese Viren an- kommt bei der Infektion anderer Menschen. Es ist also rein theoretisch aus meiner Sicht tech- nisch möglich, so etwas zu machen, wo man einfach nur mal kurz reinbläst. Und hinterher weiß man, ob man positiv ist oder negativ. Dummerweise gibt es das noch nicht. Ich wür-

de da wahrscheinlich meinen Freund Leonard McCoy fragen. Kennen Sie den noch? Das ist „Raumschiff Enterprise“. Der hatte immer so schöne Hightech-Gimex‘. Der hieß Pille auf dem Raumschiff. Und der hat immer irgend- welche super Hightech-Sachen gehabt und hat auf die Medizin unserer Zeit geschimpft. Ich kann mich an eine Folge erinnern, wo er ge- jammert hat, dass früher in der Chirurgie die Menschen noch primitiv mit Nadel und Faden zusammengenäht wurden. Aber er hätte das sicher nicht rechtzeitig entwickeln für diese Pandemie.

1 [0:03:35]:

Camillo Schumann

Aber Pille lebt in Israel, denn dort wurde ein einminütiger Corona-Atemtest erfunden. Wie so ein Atemalkoholtest. Man pustet da rein. Da ist ein Chip drin und der sagt einem dann, ob man jetzt positiv ist oder nicht. Ich habe ihn daher einen Link geschickt. Was halten Sie davon?

5 [0:03:54]:

Alexander Kekulé

Dazu haben sie schon meine Antwort gehört. Ich glaube nicht, dass das zuverlässig funktio- niert. Wir können so etwas sicherlich entwi- ckeln. Und das ist auch interessant. Es gibt tatsächlich Methoden. „Lab on a chip“ sagen wir dazu. Das sind chemische Reaktionen, die letztlich auf so einem kleinen Mikrochip ablau- fen, Die untersuchen solche Sachen. Es ist nur so, dass die Nachweisgrenze, die man bräuch- te, um das wirklich in der Atemluft nachzuwei- sen, im Bereich einiger weniger Viren liegen würde. Diese Nachweisgrenze können die bis- herigen Systeme alle nicht erreichen, sodass ich nicht glaube, dass das israelische System, was da im Internet geschildert wird, funktio- niert. Das ist eigentlich eine Design- und Tech- nikstudie. Aber ich würde nicht davon ausge- hen, dass das funktioniert und so zuverlässig ist, dass man das empfehlen kann.

1 [0:04:50]:

Camillo Schumann

Frau F. aus Baden-Württemberg hat eine kon- krete Frage zur Situation an ihrer Schule. „Die Fachräume Bio, Chemie, Physik haben keine Fenster. Es gibt eine Belüftungsanlage, die

aber nicht richtig funktioniert, und von der auch keiner weiß, welche Leistungen sie noch erbringen kann und die auch nicht reguliert werden kann. Wie schätzen Sie das Risiko einer Ansteckung über Aerosole für Lehrer und Schü- ler in diesen Räumlichkeiten ein? Sollte oder darf dort überhaupt noch Unterricht stattfin- den? Herzlichen Dank und viele Grüße.“

6 [0:05:20]:

Alexander Kekulé

Das ist schwierig. Das ist wieder die berühmte Einzelfallentscheidung. Ich bin sicher, dass die Gesundheitsbehörden vor Ort sich das an- schauen, wenn man da mal nachfragt und da eine vernünftige Entscheidung treffen. So wie sich das anhört, würde ich aus der Ferne dazu sagen. Wahrscheinlich ist es nicht sinnvoll, dass da Personen mit besonders hohem Risiko drin sind. Und wahrscheinlich ist es sinnvoll, dass auf jeden Fall die Schüler Mund-Nasen-Schutz tragen während sie in solchen Räumen sind. Vor allem wenn es eben nicht möglich ist zu lüften, vor allem zwischen den verschiedenen Klassen, die in diesem Raum unterrichtet wer- den. Und man will ja auch nicht immer in so einem Saal dann die Luft aus der Vorbereitung haben, wo nebenan die rauchende Schwefel- säure steht und ähnliches. Daher ist das schon ein besonders schwieriger Fall. Ich würde sa- gen: Mund-Nasen-Schutz, mindestens!

1 [0:06:09]:

Camillo Schumann

Urlaubszeit. Viele Menschen bleiben dieses Jahr in Deutschland. Viele machen vielleicht in einer Ferienwohnung Urlaub. Aber selbst da- vor schrecken manche zurück, wie diese Dame aus Schleswig Holstein auf unserem Anrufbe- antworter folgendermaßen schildert:

7 [0:06:22] : Freunde von mir Ferienwohnung wollen nicht in ihre Ferienwohnung fahren, weil sie den Fahrstuhl benutzen müssten. Ist das wirklich eine Gefahr? Dankeschön.“

Alexander Kekulé

Aus meiner Sicht ist die der Fahrstuhl in einer Ferienwohnung in der Regel weniger gefährlich als in einem Hochhaus. Zum Beispiel einfach, weil sie weniger Personen haben, die so was

benutzen. Ich nehme noch an, es ist eine Wohnung in einem Haus, wo nicht viele Mieter wohnen. Und zweitens ist es so, dass da weni- ger Personen, aber auch eine seltenere Benut- zung eine Rolle spielen. Bei einem Fahrstuhl, der ständig benutzt wird von vier bis sechs verschiedenen Leuten, und man immer, wenn man einsteigt, gerade einen benutzten Fahr- stuhl vorfindet, ist das gefährlich. In einer Feri- enwohnung, würde ich da sagen, gibt es ei- gentlich keinen Grund zur Sorge vor dem Fahr- stuhl. Wer auf Nummer sicher gehen will, nimmt sich auch da wieder die FFP2-Maske mit und zieht die bei der Fahrstuhlfahrt auf. Ich persönlich würde das für übertrieben halten. Man sollte vermeiden, dass mehrere Parteien gemeinsam den Fahrstuhl benutzen. Aber ich glaube, das ist inzwischen weltweit angekom- men. dass das keine gute Idee ist.

1 [0:07:32]:

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen und eine Frage zu einem kreativen Test: „Wenn es doch Luftfilter gibt, die Viren herausfiltern können, könnte man diese Luftfilter auch dazu heranziehen, dass sie die Luft auf Coronavirus überprüfen, sodass man beispielsweise feststellen kann: In diesem Flugzeug muss jemand gewesen sei, der diese Viren von sich gegeben hat.“

5 [0:07:59]:

Alexander Kekulé

Ja, das ist im Prinzip möglich. So ähnlich wird es auch tatsächlich gemacht. Luftfilter in Kran- kenhäusern oder auch in Produktionsanlagen, die absolut steril sein müssen, werden tatsäch- lich auf diese Weise getestet, dass man da das Filter herausnimmt und diese oder Bakterien mal untersucht ist. Das ist extrem aufwendig, im Flugzeug an diese Filter heranzukommen. Das ist gar nicht so einfach. Und das Problem ist: Man darf sich so einen Filter nicht als etwas komplett Sauberes vorstellen, sondern gerade diese Hochleistungsfilter haben zwar vorher so eine Stufe, wo angeblich dann die Staubparti- kel abgefangen werden. Aber letztlich sehen die, wenn man sich die so praktisch vorstellen kann, so ähnlich aus wie ein Beutel aus dem Staubsauger. Also mit richtig viel Dreck dran, wenn die ausgewechselt werden. Das ist ganz normal. Das ist jetzt kein Hygienefehler. Aber

aus so einem Gemischt die Viren rauszuholen und festzustellen, ob da welche drin sind, ist relativ anspruchsvoll. Das ist möglich. Aber ich würde sagen, dies bei jedem Flug zu machen, wäre wirklich übertrieben.

1 [0:09:02]:

Camillo Schumann

Herr F. aus Moers macht sich Gedanken und will auf eigene Faust etwas unternehmen. Er schreibt: „Der Schulbeginn meines 6-Jährigen rückt näher, und meine Tochter hat das Down- Syndrom und geht bald wieder in die integrati- ve Kita. Ich habe die Vermutung, dass es kein offizielles Testprotokoll an den Einrichtungen meiner Stadt Moers gibt. Ich würde mir wö- chentliche Kohorten-Tests per Speichelprobe wünschen, um die Kinder, die Lehrer, Erzieher und die Angehörigen etwas zu schützen. Ich habe beim entsprechenden Gesundheitsamt nachgefragt, aber bisher keine Antwort be- kommen. Ich überlegen nun, ob es möglich ist, ein solches Testprotokoll privat zu organisieren und zu finanzieren. Leider fehlt mir diesbezüg- lich der Ansatz zum Beispiel Kontaktinformati- onen zu entsprechenden Laboren etc. Auch bin ich unsicher, ob eine solch privat organisierte Aktion überhaupt durchführbar ist.“

Also, Herr Kekulé, Corona-Tests auf eigene Faust?

2 [0:09:58]:

Alexander Kekulé

Das ist eine sehr gute Idee, zeigt aber auch ein bisschen, wie verzweifelt die Menschen sind. Ich kann da ja berichten, dass das nicht die erste Anfrage dieser Art ist. Das ist nahelie- gend, dass sich Eltern da zusammentun. Und wenn der Staat das nicht macht, dann sagen die, wir machen das jetzt selber. Umso ver- ständlicher, wenn es sich um eine Integrati- onskindertagesstätte handelt, wo auch Men- schen mit Behinderung aufgenommen werden. Das Problem ist mehrstufig.

Das eine, was ich erlebt habe, ist, dass man mit dem Vorschlag nicht nur überall Begeisterung bei den anderen Eltern erntet. Es ist nicht so, dass dann alle sagen: Jawohl, super, macht das mal. Wir freuen uns. Wenn unser Kind da mit- macht, dann gibt es einzelne, die sagen: Nö, will ich nicht.

Zweitens ist es so, dass man ja auch an die Betreuer denken muss, die oft nicht getestet werden in solchen Einrichtungen. Und die sa- gen: Wieso sollen jetzt nur in dieser einen Gruppe, wo vielleicht ein Elternteil besonders engagiert ist, getestet werden und alle ande- ren nicht? Wir haben doch insgesamt ein Hygi- enekonzept mit dem Gesundheitsamt über- legt: Wie wir das machen, wie wir die Gruppen trennen, wie wir das Essen gestalten, wie wir alle Nase lang die Hände waschen usw. Wieso soll jetzt das zusätzlich eine Rolle spielen? Und was sagen dann die anderen, wenn nur eine Gruppe plötzlich getestet wird und die ande- ren nicht.

Und das Gesundheitsamt sagt: Ja, der Pool- Test ist ja noch gar nicht nachgewiesen, dass der, wenn er negativ ist, wirklich zuverlässig für alle anderen auch gilt, weil man ja einen Ver- dünnungseffekt hat. Und wer soll das außer- dem durchführen? Wer hat die Abnahme ge- macht, dass das ordnungsgemäß gemacht worden ist? Mann stößt da auf eine Reihe von Widerständen, die ich selber schrecklich finde, sage ich offen. Und das gilt auch für Bayern, wo eigentlich der Ministerpräsident gesagt hat: Jeder kann sich jederzeit und immer gratis testen lassen. Da ist noch viel zu tun an der Stelle. Und ich kann nur da appellieren, viel- leicht mit einem Arzt, der bereit ist, diese Tests zu machen, zu versuchen. Gerade bei Men- schen, die die Distanz-Gebote nicht richtig einhalten können, ist es auf jeden Fall sinnvoll, stattdessen mit der Testung zu arbeiten. Aber es ist so bei Integrationskindertagesstätten gibt es dazu keine Empfehlung.

11 [0:12:20]:

Camillo Schumann

Weil sie gerade Bayern angesprochen haben: Was sind da so ihre Erfahrung?

2 [0:12:26]:

Alexander Kekulé

Was ich gerade geschildert habe, bezieht sich auf zwei Beispiele, die ich kenne. Das eine ist aus Sachsen-Anhalt und das andere aus Bay- ern. Und das war deckungsgleich. In beiden Situationen war es so, dass die Initiative eines Elternteils nicht dazu geführt hat, dass getestet wurde.

12 [0:12:43]:

Camillo Schumann

Aber es ist jetzt nicht am Veto des Gesund- heitsamtes oder der Behörden gescheitert? Oder doch?

Alexander Kekulé

Nein, in Bayern ist es so gewesen, dass die anderen Eltern das nicht wollten. Das war eine Schule, die von der Tendenz her anthroposo- phische Züge hat. Da hat ein Teil der Eltern und auch ein Teil der Betreuer gesagt: Nein, das wollen wir nicht.

In Sachsen-Anhalt.ist es daran gescheitert, dass ein Berater dieser Kindertagesstätte gesagt hat, das würde er nur empfehlen, ich weiß gar nicht mehr, ob es das Gesundheitsamt war: Ja, aber nur wenn es keine Pool-Tests sind, son- dern jeder einzelnen getestet wird. Und da waren dann die Kosten, die dafür aufgerufen wurden, so hoch, dass es an denen gescheitert ist.

1 [0:13:29]:

Camillo Schumann

Herr F. aus Moers, sie merken, dass es in der Theorie eine gute Idee ist, es aber möglicher- weise in der praktischen Umsetzung scheitern kann. Aber vielleicht können sie ja die anderen Eltern motivieren. Wir sind gespannt. Melden sich doch bitte bei uns, ob es geklappt hat.

10 [0:13:43]:

Alexander Kekulé

Ich glaube, bis zum Herbst müssen wir so et- was haben, weil wir dann so viele Fälle von einfachen Atemwegsinfektionen in den Kitas haben werden, dass wir sonst ständig die Kin- der aus den Kitas nehmen müssen. Das ist un- vorstellbar, dass wir jeden, der hustet, da rausnehmen, die Eltern dann zuhause bleiben müssen. Oder die Großeltern ranmüssen als Betreuung, die Risikopersonen sind. Deshalb glaube ich, dass wir ums Testen nicht drum herum kommen. Aber mal sehen, es sind ja noch ein paar Monate hin.

1 [0:14:09]:

Camillo Schumann

Bei der nächsten Frage vorab eine kleine War- nung: Es wird etwas unappetitlich. Eine Dame hat angerufen. Sie beschreibt eine Situation

und stellt anschließend ihre Frage: „Ich be- obachte mindestens 2-mal die Woche ein Ver- halten, das ich sehr unhygienisch und gefähr- lich finde,

was ich aber noch nie thematisiert gefunden habe – vor oder in Corona-Zeiten: Dass Leute Schleim auf den Boden spucken. Rachen- schleim. Ich habe auch schon mit Menschen, die das machen, gesprochen. Die sagen, das muss sein für die Gesundheit. Könnte man das nicht mal thematisieren,

dass das Ausspucken von Rachenschleim ein Ansteckungs-Risiko ist?“

Tja, das waren jetzt eine Frage und eine Be- hauptung zugleich. Aber die gebe ich gerne weiter.

Alexander Kekulé

Das ist einfach ein kulturelles Thema, ob man so etwas machen darf oder nicht. In Asien gibt es diese schönen Schilder in manchen Städten, wo ein Verbot draufsteht. Ich habe das in Sin- gapur gesehen. Da steht darauf: Wenn Sie an der roten Ampel stehen, steht “Don‘t, spit“. Also sie sollen nicht auf den Boden spucken. Wenn sie dabei von der Polizei erwischt wer- den, kann das richtig teuer werden. Da ist es explizit verboten, auf den Boden zu spucken. Nun muss man sagen, bevor das verboten wurde in asiatischen Ländern, es gesellschaft- lich toleriert war. Das war ein übliches Verhal- ten. Es wurde dann radikal verboten im Zu- sammenhang mit Sars. 2003 nach meiner Erin- nerung wurde das dann in vielen Ländern ver- boten.

Ich muss sagen: Rein epidemiologisch, wenn es darum geht, diese Pandemie zu bekämpfen, ist es nicht relevant. Das ist rein theoretisch. Wenn einer in den Schleim reintritt und hin- terher seine Schuhe anfasst und sich dann an die Nase fasst, kann man sich alles Mögliche vorstellen. Das kann Ihnen aber auch mit Hun- dekot passieren und mit irgendwelchen ande- ren Erkrankungen.

Man muss einfach davon ausgehen, dass der Boden draußen immer potenziell infektiös ist, nicht nur für Sars-CoV-2. Und darum zieht man ja vernünftigerweise, wenn man heimkommt, seine Schuhe irgendwie im Eingangsbereich aus und wäscht sich schön die Hände hinter- her, wie wir das hier schon ein paar Mal gebe-

tet haben. Ich glaube, da ist man eher auf der sicheren Seite, als wenn man so ein einzelnes Verhalten kontaminationsfrei halten will, so ein einzelnes Verschmutzungsverhalten sozusagen sanktioniert.

Camillo Schumann

Hat die Dame jetzt ein gutes Argument: Kekulé hat gesagt, man darf nicht mehr spucken?

Alexander Kekulé

Wüssten wir, dass durch dieses Spucken die Krankheit massiv verbreitet würde, müsste man darüber reden. Aber es geht ja hier um Spucken im Freien. Daher sage ich: Bevor wir anfangen, uns an der Stelle zu überoptimieren, sollten wir uns auf das fokussieren, was gerade wichtig ist.

Camillo Schumann

Kommen wir zum Thema Masken. Herr M. aus Stuttgart hat angerufen: „Meine Frage bezieht sich auf die Folge vom letzten Montag. Dort habe ich sie - zusammenfasst - so verstanden, dass sie den klassischen OP-Mundschutz für sicherer als eine Stoffmaske halten, weil er enger anliegt. Aber wenn die Maske enger anliegt, sind dann die Stoffmasken in der Regel nicht deutlich dicker und weniger durchlässiger als eine Papier-OP-Maske? Oder täusche ich mich da?“

2 [0:17:32]:

Alexander Kekulé

Wir haben über den Nylonstrumpf gesprochen. Das war vielleicht ein Missverständnis. Wenn über der Maske auch immer der Nylonstrumpf drübergezogen ist, um ein enges Anliegen zu bewerkstelligen, dann hat diese Studie, die wir da besprochen haben, gezeigt, dass das dann eine deutlich bessere Schutzwirkung gibt. Oder andersherum gesagt: Es kommt hauptsächlich auf die Dichtigkeit an und nicht so sehr auf die Qualität des Stoffes. Bei der Stoffqualität ist es so, dass die selbstgemachten Masken, die Stoffmasken, ganz unterschiedlich sind. Man- che sind tatsächlich so: Wenn man da mehrere Lagen zusammen macht, dass das dann als Schutz gegen Viruspartikel oder virushaltige Partikel wirklich gut ist. Die können sogar so gut werden wie wir eine FFP2-Maske, je nach- dem, was sie da alles mit reinpacken. Aber da

steigt eben dann immer auch der Atemwider- stand dadurch. Und dadurch, dass der Atem- widerstand steigt, werden kleine Undichtigkei- ten an der Seite dann zum Verhängnis, weil sich dann der Druck seinen Ausweg dort sucht, wo der Widerstand am geringsten ist. Und an der Stelle pfeift es dann raus oder rein aus der Maske. Deshalb bin ich dagegen, dass zu über- optimieren und jetzt da dreischichtige Masken zu machen. Sondern am besten nimmt man einfache Baumwolle, die halbwegs dicht ist. Und das kann man natürlich mit einer selbst hergestellten Maske bewerkstelligen. Wer dazu zu faul ist, kann sich einfach die normalen OP-Mundschutz-Masken kaufen. Das ist eher so eine Frage, ob das Design von einer OP- artigen Maske einen mehr anspricht oder nicht?

1 [0:19:10]:

Camillo Schumann

Apropos OP-Mundschutz: Was man auch häu- fig sieht, ist, dass einmal die blaue und einmal die weiße Seite nach außen getragen wird. Offenbar hat sich noch nicht herumgespro- chen, welche Seite eigentlich die richtige ist.

12 [0:19:22]:

Alexander Kekulé

Manchmal setze ich die tatsächlich auch falsch auf, oder ich bin dabei, sie falsch aufzusetzen. Bei vielen Masken ist es so, dass die eine Seite ganz leicht hellblau ist und die andere Seite eben weiß. da muss man schon in gutem Licht hingucken, welche Seite jetzt die richtige ist. Die blaue Seite gehört nach außen. Das liegt daran, dass dieser Clip, der über der Nase um- gebogen wird, außen sein soll, weil sonst Men- schen mit einer empfindlichen Nase irgendeine Scheuerstelle kriegen würden. Aber von der Schutzwirkung macht es keinen Unterschied.

1 [0:19:55]:

Camillo Schumann

Frau Vogel hat eine spannende Frage zu selbstgenähten Masken, um deren Wirkung noch einmal zu verbessern. Sie schreibt: „Könnte man nun die Schutzwirkung noch er- höhen, wenn man den Außenstoff mit fester Kernseife einreibt? Durch das Atmen wird die Maske ja leicht feucht, und diese Feuchtigkeit verbindet sich mit der Seife. Hat dies dann den

ähnlichen Effekt wie das Händewaschen und könnte diese Maßnahme die Viren ab töten?“

2 [0:20:18]:

Alexander Kekulé

Eine Art Desinfektionsschicht außen darauf würde ich nicht machen. Dann atmen Sie ja auch ständig durch die Seifenflüssigkeit durch und irgendwelche Tröpfchen kommen im Zwei- felsfall doch noch mal rein. Außerdem ist es so: Eine feuchte Maske will man sowieso nicht mehr anhaben. Sobald die Maske feucht ist, tritt der Effekt ein, dass man in diese Feuchtig- keit hineinatmet. Dort sind dann die Viren drinnen. In der Flüssigkeit können sich Viren wie in einer Lösung relativ gut bewegen und kommen dann deshalb nach außen und durch- dringend quasi die Schutzschicht. Und wenn man dann beim nächsten Mal ausatmet, dann bläst man die Feuchtigkeit von der Außenseite weg von sich und erzeugt so eine Art Mini- Nebel vor sich, wo dann die Viren drinnen sind, sodass eine feuchte Maske schon aus rein the- oretischen Gründen nicht mehr richtig schüt- zen kann. Der Atemwegswiderstand steigt auch durch die Feuchtigkeit, sodass es unan- genehmer wird zu atmen oder man eben mehr Beiluft kriegt, weil die Luft dann links und rechts vorbeigeht. Das heißt, wenn die Maske feucht ist, lieber trocknen lassen oder weg- schmeißen und keine Kernseife auf die Maske. Das würde ich nicht machen.

Camillo Schumann

Aber in der Theorie ist es ein richtiger Gedan- ke, oder?

Alexander Kekulé

Für die die Idee, die Luft zu desinfizieren, ja, aber man muss halt immer überlegen, wo wol- len wir hier überhaupt hin? Wir wollen ja ein- fach, dass Millionen von Menschen statistisch gesehen seltener des Virus ausscheiden und speziell diese Superspreading-Ereignisses sel- tener werden. Und da reicht uns schon eine Reduktion der Infektionswahrscheinlichkeit von 1:100 oder 1:1000. Das reicht völlig. Und ob Sie da mit der mit der Kernseife irgendwo am Ende noch an der letzten Nachkommastelle etwas verbessern oder nicht, das ist epidemio- logisch nicht wichtig, macht die Sache nur kompliziert. Außerdem glaube ich, dass dann

alle neidisch sind, wenn sie eine selbstgebas- telte Spezialmaske haben, die dann noch eine Desinfektionsschicht obendrauf hat.

1 [0:22:17]:

Camillo Schumann

Das war das „Kekulés Corona-Kompass Hörer- fragen SPEZIAL“. Vielen Dank, Herr Kekulé.

Wir hören uns dann am Dienstag, den 28. Juli, wieder. Bis dahin bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Ich danke Ihnen, Herr Schumann. Bis dann, das ist ja schon fast schon August. Bis dahin, kaum zu glauben.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“



Donnerstag, 23.07.2020 #85: Lebenslange Immunität eher unwahr- scheinlich

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Viro- logie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Donnerstag 23. Juli 2020.

1. Die ersten Covid 19-Patienten in China ent- wickeln noch immer starke Antikörper. Gute Nachrichten auch für uns? 2. Außerdem: Afrika vor der schlimmsten Pha- se der Pandemie? Was kann der Kontinent von Madagaskar lernen?

3. Außerdem: Halsspray und Gurgeln gegen das Virus. Bringt das wirklich was?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Mo- derator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenra- dio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Ent- wicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Werfen wir zu Beginn einen Blick an den Ort, an dem mutmaßlich alles begann – nach Wuhan. Von dort wurden rund 50.000 Infekti- onen und knapp 4.000 Tote gemeldet. Seit Monaten werden aus der zentralchinesischen Stadt keine aktiven Infektionsträger mehr ge- meldet. Im Juni wurden bei zweiwöchigen Massentests – wir hatten ja auch schon mal

darüber gesprochen –, von fast 10 Millionen Bürgern nur noch 300 asymptomatische Infek- tionen mit dem Erreger entdeckt. Das zumin- dest hat die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua vermeldet. Mal so unterm Strich: Was sagt uns das?

Alexander Kekulé

Wenn Wuhan jetzt dicht wäre und man keine Einreise und Ausreise hätte und weiterhin re- gelmäßig oder gelegentlich mal kontrollieren würde, dann würde ich sagen ist dort die Krankheit unter Kontrolle. Also man kann eine Epidemie tatsächlich unter Kontrolle bringen, indem man einen Teil der Bevölkerung kom- plett vom Rest abschneidet. Sowas haben wir schon in der Geschichte auf Inseln beobachtet. Nur ist Wuhan natürlich keine Insel, sodass man sehen muss, wie jetzt die Einschleppung weitere Infektionen verhindert wird.

[0:02:00]

Camillo Schumann

Aber grundsätzlich, dass man es geschafft hat, 300 asymptomatische Infektionen, also Men- schen, die nicht mal selber gemerkt haben, dass sie infiziert sind. Was sagt das für die Aus- breitung an sich und auch für die Veränderung des Virus, Mutationen, möglicherweise aus?

[0:02:18]

Alexander Kekulé

Ich glaube nicht, dass wir das für die Theorie einer Mutation brauchen. Sondern das ist das, was hier eben das Besondere an diesem SARS- CoV-2 ist. Es war eigentlich von Anfang an rela- tiv deutlich, dass man es im Prinzip kontrollie- ren kann. Es ist im Prinzip möglich, durch die Maßnahmen, die wir ergreifen, durch Ab- standsregeln, durch Maskentragen und diese Dinge und natürlich durch Herausfischen von Menschen, die dann doch positiv sind und Isolierung und Quarantäne, ist es möglich, tatsächlich diese Krankheit zu kontrollieren? Das ist eine andere Situation als wir, die bei einer höher infektiösen Krankheit hätten. Also wenn wir jetzt eine Krankheit hätten wie die Masern, die Windpocken oder wahrscheinlich auch die Influenza, wenn keiner von uns im- mun dagegen wäre, dann hätten wir die Situa- tion, dass das praktisch unmöglich ist, dass man sagen kann, wir können hier nur das ma-

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chen, was immer flatten the curve genannt wurde, also verhindern, dass die Welle zu schnell auf einmal kommt. Aber so oder so kommt sie. Und wie die Hörer dieses Podcasts wissen, habe ich immer dafür plädiert, dass man daran glaubt, dass man diese Sache unter Kontrolle bringen kann. Dass z.B. Einreisekon- trollen sinnvoll sind. Dass es sinnvoll ist, regel- mäßig Tests zu machen. Und in Wuhan ist vor- geführt worden, dass das möglich ist, obwohl die wirklich aus der schlimmsten, extremsten Situation von allen gestartet sind. Weil die erstens, im Umland zumindest, medizinisch nicht gut ausgestattet sind. Zweitens ganz am Anfang den Test noch nicht hatten und ja noch gar nicht wussten, was passiert. Die sind ja kalt erwischt worden.

Ich glaube, das soll uns alle anspornen, dass es möglich ist. Genau das chinesische Konzept 1:1 zu kopieren, wie manche westlichen Regierun- gen das versuchen oder versucht haben, halte ich nicht für gut. Weil ich glaube, dass wir vielmehr vom Virus inzwischen verstehen. Wir müssen nicht so mit dem Hammer draufhauen.

Camillo Schumann

Deutschland im Vergleich zu Wuhan. Da müss- ten wir es doch eigentlich auch unter Kontrolle haben bei ein paar Hundert Neuinfektionen, wo wir es auch genau wissen. Dann die Orte, an denen es gar keine Neuinfektionen gibt, fast überall. Also eigentlich haben wir uns doch auch unter Kontrolle oder nicht?

[0:04:25]

Alexander Kekulé

Naja, das mit der Kontrolle ist ein relativer Begriff. Also ich unterscheidet da immer gerne so Pandemie-Phasen. Das haben wir vor langer Zeit mal entwickelt für Influenza. Das gilt aber hier im Grunde genommen auch. Und die erste Phase ist immer die, wo man nur Fälle im Aus- land hat und durch Einreisekontrollen wirklich verhindern kann, dass es reinkommt. Also eine echte Prävention machen kann. In diese Phase ist Wuhan im Grunde genommen zurückge- kommen, und hat es geschafft. Wir sind in Deutschland in der 2. Phase. Da ist es so, dass man nicht nur importierte Fälle hat. Sondern auch Fälle im Land, sogenannte autochthone Fälle, die hier im Land stattfinden, die man aber durch eine sehr aufmerksame Vigilanz,

also durch Kontrolle aller Verdächtigen Infekti- onen, durch regelmäßige Verdachtskontrollen bei bestimmten Risikopersonen, zum Beispiel Leuten die in der Fleischindustrie arbeiten, und eben durch durch Social Distancing, sind wir in der Lage, das auf so einem niedrigen Niveau zu halten. Dass es so eine Art Kontrolle ist. Wir können dann Ausbrüche, jedenfalls größerer Art, wirklich verhindern in Deutschland. Wir müssen nur schnell sehen, dass wir die glim- menden Zigaretten, das ist ja immer das Bild, austreten, bevor es zum Flächenbrand kommt. Ich finde, wir sind in Deutschland im Moment in einer komfortablen Situation. Wenn wir die durchhalten, bis der Impfstoff kommt, dann haben wir das vorbildlich gemacht.

[0:05:52]

Camillo Schumann

„Art Kontrolle“ haben sie jetzt gesagt. Gern hätte ich natürlich gehört von ihnen: Wir ha- ben es unter Kontrolle.

Alexander Kekulé

Naja, unter Kontrolle heißt für mich, dass ich wirklich verhindern kann, dass sich sicher sein kann, dass das irgendwo aufflammt, ohne dass ich es merke. Und da muss ich sagen, gibt es mehrere Schwachstellen. Erstens halten sich nicht alle an die Social-Distancing-Regeln. Es ist so, dass ich auch das Gefühl habe, dass die Bereitschaft, da mitzumachen, jetzt gerade in den letzten Wochen so ein bisschen gesunken ist, auch in Deutschland. Und das andere ist, dass wir viel zu wenig testen. Dass unser pro- phylaktisches Testen, was zum Glück inzwi- schen auch empfohlen wird, das Netz ist noch viel zu grobmaschig. Wir müssen viel feinma- schiger, wirklich immer dann, wenn Risikositu- ationen sind, proaktiv testen. Auch ohne, dass irgendwelche Symptome da sind. Und da kön- nen wir noch relativ viel tun. Also, das Netz, mit dem wir sozusagen aufpassen, dass im Land nicht irgendwie einzelne Fälle plötzlich auftreten und kleine Ausbrüche machen, die- ses Netz ist mir noch zu grob, um von Kontrolle zu sprechen.

[0:07:00]

Camillo Schumann

Bleiben wir bei Wuhan, was ja so eine Art Blaupause ist für die Ausbreitung des Corona-

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virus. In der Fachzeitschrift „Nature“ wurde jetzt eine Untersuchung veröffentlicht, wonach während des Corona-Ausbruchs in Wuhan ein Großteil der Fälle unentdeckt blieb. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in der akuten Phase zwischen dem 01. Januar und dem 08. März bis zu 87 % der Infektionen unter dem Radar geblieben sein könnten. Das deckt sich auch mit anderen internationalen Studien, die zu so einem ähnlichen Ergebnis kommen. War das dann möglicherweise bei uns auch so ist das nicht immer so, ist das sehr überraschend? Wie bewerten Sie das?

[0:07:41]

Alexander Kekulé

Es ist so eine epidemiologische Arbeit gerade letzte Woche rausgekommen. Die Definition ist, dass man gesagt hat, unentdeckt könnte sein, dass das asymptomatische Fälle waren. Also das, was wir immer befürchten, dass Menschen ansteckend sind und gar keine Symptome haben. Da sind aber auch die dabei, die leicht symptomatisch waren und nicht zum Arzt gegangen sind, nicht untersucht wurden. Da muss man sich natürlich in die Anfangspha- se in Wuhan zurückversetzen. Das ist ja ge- macht worden, das ist eine statistische Aus- wertung, eine epidemiologische Auswertung, für die Zeit zwischen 01. Januar und 08. März gewesen. Interessanterweise ab 01. Januar, weil China ja nicht zugibt, dass es vorher schon Fälle gab. Aber, jedenfalls in diesem Zeitraum – das tut jetzt der Qualität der Studien kein Nachteil – ist es so, dass man den brutalen Lockdown hatte. Diese Situation, dass die Menschen mit einer unklaren Erkrankung dann ins Krankenhaus kamen, wo das Personal zum Teil infiziert war, und man wirklich Angst davor hatte, durch die Sicherheitsmaßnahmen, die dann ergriffen werden, wenn man positiv ist, eigentlich erst richtig in Gefahr gebracht zu werden. Sodass ich davon ausgehe, dass die Tendenz da groß war, dass Menschen, die nur leichte Symptome hatten und nicht unbedingt ein Arzt brauchten, mal lieber zuhause geblie- ben sind. Und deshalb ist wahrscheinlich diese Zahl mit 87 % Unentdeckten so hoch.

Camillo Schumann

Aber könnte das bei uns auch so gewesen sein?

Alexander Kekulé

Ich glaube, bei uns haben die Menschen weni- ger Angst vor staatlichen Eingriffen. Also die Mehrheit ist doch eher so in Deutschland, dass, wenn sie ein bisschen Kratzen im Hals haben, dass sie sofort hier sagen, ich will ein Arzt sehen. Und ich glaube nicht, dass man so eine Angst davor hat, dass das Gesundheitsamt einen dann wegsperrt oder Ähnliches. Das hindert vielleicht in bestimmten Bevölkerungs- gruppen, die jetzt aus anderen Gründen auch keine hohe Affinität zu staatlichen Autoritäten haben, oder die vielleicht einen unklaren Auf- enthaltsstatus haben, wo man dann Angst hat, dass dann die Polizei kommt oder Ähnliches, da kann ich mir das schon vorstellen. Aber so der Normalbürger, glaube ich, wenn der krank ist und man sagt ihm, du sollst dich dann mel- den und testen lassen, das macht er schon.

[0:09:54]

Camillo Schumann

Aber so grundsätzlich, wenn man zum Beispiel einen asymptomatischen Verlauf hat. Oder man hat nur so ein leichtes Halskratzen, was Sie ja eben gesagt haben – ich meine, da lebt eine ganze Branche davon. dass man in die Apotheke geht. Dann tut man das ja eben nicht, dass man zum Arzt geht oder geschwei- ge denn, sich krankschreiben lässt beispiels- weise.

Alexander Kekulé

Ja, da waren in Deutschland klar die Aufrufe, wenn man irgendwelche Symptome hat, die so ähnlich wie Covid-19 aussehen, dass man das immer untersuchen lassen soll und dem nach gehen soll und auf jeden Fall sich zumindest in Quarantäne begibt dann. Notfalls in häusliche Privatquarantäne. Ich glaube, dieses Grundge- fühl müssen wir behalten: Dass ein Verdacht auf eine Erkältungskrankheit, wenn es jetzt nicht nur so ein ganz trivialer, simpler Schnup- fen ist, sondern alles, was Richtung stärkere Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens geht, Halsschmerzen, starke Kopfschmerzen, wenn das ein bisschen anhält, dass man immer die Möglichkeit im Auge hat, dass das auch Covid- 19 sein könnte. Und sich testen lässt. Ich glau- be schon, dass die Leute das machen. Ich glau- be nicht, dass die dann in der Apotheke laufen und nur eine Pastille nehmen und sagen, ich

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gehe weiter zur Arbeit damit. In Wuhan ist es aus verschiedenen Gründen am Anfang wahr- scheinlich anders gewesen. Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland auch nur ansatzweise so viele unentdeckte Fälle haben. Wir hätten, wenn es so wäre, ja auch eine viel höhere Zahl bei den Durchseuchungsstudien. Wir machen ja schon erste Studien, wo Antikörper be- stimmt werden, wo man feststellen kann, ob sich jemand vielleicht unbemerkt oder nur mit leichten Symptomen infiziert hat. Und da sieht es in Deutschland ja, leider kann man fast sa- gen, so aus, als würden wir er so bei 5 % immu- nen Menschen liegen, wahrscheinlich darun- ter. Das wäre nicht so, wenn wir so wahnsinnig viele unentdeckte Fälle gehabt hätten.

[0:11:34]

Camillo Schumann

A propos Immunität, eine weitere, interessante und erfreuliche Meldung kommt aus Wuhan. 327 Covid-19-Patienten der ersten Stunde, so will ich sie mal nennen, die wurden untersucht. Und das Ergebnis bei mehr als 80 % der Patien- ten seien sechs Monate nach ihrer Erkrankung noch biologisch aktive Antikörper nachgewie- sen worden, die fähig seien, das Virus unschäd- lich zu machen. Das hört sich doch eigentlich ganz gut an. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, ich habe auch nur diese kurze Nachricht bekommen. Das hat der Kollege Dietmar in Essen zusammen mit dem Labor in Wuhan gemacht. Da gibt es eine Kooperation. Da ken- ne ich jetzt auch nur diese Überschrift. Ich nehme mir einfach mal an, dass diese biologi- schen, aktiven Antikörper, dass damit gemeint ist, dass das in einem Neutralisationstests ge- prüft wurde. Wenn der positiv ist, wenn man sieht, dass ein Antikörper, die wirklich das Vi- rus neutralisieren, dann ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass die auch schützen – also vor einer Zweitinfektion schützen würden. Aber kein Beweis natürlich. Wir haben es ja beim letzten Mal besprochen, dass bei der Impfstoffentwicklung die Briten deshalb gleich drei oder vier Neutralisationstests parallel verwendet haben, um ganz sicher zu sein, dass das irgendwie korreliert mit dem echten Im- munschutz. Man kann hier jetzt nicht komplett Entwarnung geben. Auf der anderen Seite, ich

gehe einfach davon aus, dass dieses Covid-19 oder das SARS-CoV-2-Virus: Warum soll das anders sein als die ganzen anderen Viren, die wir kennen. Und im Prinzip ist es einfach so, wenn unser Immunsystem einen Virus mal erlebt hat, live und in Farbe sozusagen, und sich dagegen gewehrt hat, dann produziert es Antikörper dagegen. Und dann ist die Zweitin- fektion mit genau dem gleichen Virus im schlimmsten Fall eine leichte Erkrankung. Meistens merkt man gar nichts mehr davon. Also, das wäre höchst ungewöhnlich, wenn ein immun-gesunder Mensch bei einer Zweitinfek- tion quasi nochmal lebensgefährlich erkranken kann. Und darum sage ich immer: Lass uns die Pferde da nicht scheu machen. Diese Antikör- pertests, die sind eben auch nur ein Surrogat- Test für die wirkliche Immunreaktion. Und das, was jetzt hier aktuell als Vorausmeldungen bekanntgegeben wurde, ist ja ganz optimis- tisch, wenn es dann alles stimmt. Die Daten muss man sich natürlich anschauen.

Camillo Schumann

Genau die Ergebnisse, die sollen in den nächs- ten Tagen einem Fachmagazin zur Begutach- tung vorgelegt werden. Wie das immer so ge- macht wird. Aber ich bin grundsätzlich ein biss- chen verwirrt nach dieser Vorabmeldung. Anti- körper-Studien bei uns. Wir haben ja auch letzte Woche darüber gesprochen kommt zu dem Schluss die Zahl der Antikörper sinkt, und zwar sehr, sehr schnell. Bei den Chinesen bleibt sie über ein halbes Jahr nach wie vor auch sehr, sehr stark. Auch so, dass es das Virus bekämpfen kann. Reagieren die Asiaten anders als die Deutschen? Sind die Deutschen ein bisschen zurückhaltender, also das Immun- system der Deutschen? Erklären Sie es uns.

[0:14:26]

Alexander Kekulé

Das ist eher die Frage, wie die Schlagzeilen formuliert werden. Ich glaube, die Asiaten reagieren da ganz ähnlich wie die Deutschen. Zumindest an dieser Stelle gibt es jetzt keinen typischen Unterschied. Ja, klar ist, aus der jet- zigen Studienlage folgendes. Dieser klassische ELISA-Test, mit dem wir IgG nachweisen, mit dem wir die klassischen nach Antikörper nach- weisen, um festzustellen hast du eine Infektion durchgemacht vor längerer Zeit, ja oder nein.

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Das sind die Tests, die überall gemacht wer- den. Zum Beispiel bei der berühmten Heins- berg-Studie. Die jetzt vom Robert Koch-Institut durchgeführt werden, bundesweit, um zu se- hen, ob Immunität besteht. Die bei dieser bay- rischen Erhebung gemacht werden, um zu sehen, haben die Menschen schon Kontakt mit diesem Virus gehabt. Diese Antikörper, die verschwinden offensichtlich irgendwann. Das hängt aber auch daran, wie der Test designt ist. Je nach Testverfahren misst man ein biss- chen andere IgG-Antikörper. Der Test, der meistens verwendet wird dafür in Deutsch- land, das kann man ja sagen, von der Firma Euroimmun, einer der eigentlich am häufigsten verwendete. Der hat halt eine bestimmte Emp- findlichkeit. Und wenn die unterschritten wird, dann wird der Test plötzlich negativ. Oder man kann fast nichts mehr messen. Das heißt aber nicht, dass der Mensch deswegen nicht mehr immun gegen das Virus ist. Sondern es heißt nur, dass dieser typische IgG-Test nach ein paar Monaten ganz schwach nur noch positiv ist oder sogar ins Negative rutscht. Das hat viele Konsequenzen für die epidemiologischen Studien, weil man dann sagen muss: Wenn ich sechs Monate später jemand teste zum Bei- spiel, dann heißt das noch lange nicht, dass der vor sechs Monaten nicht vielleicht doch Covid- 19 hatte. Das hat aber für mich jetzt nicht au- tomatisch die Konsequenz, dass wir befürchten müssen, dass das Immunsystem in seiner ge- samten Komplexität, also die T-Zellen, die B- Zellen, die anderen Antikörper, die sogenann- ten Gedächtniszellen, was da alles eine Rolle spielt, dass die alle miteinander sozusagen vergessen haben, wie man sich gegen dieses Virus wehrt.

[0:16:21]

Camillo Schumann

Aber so grundsätzlich, wenn Sie sagen, das Testverfahren müsse man sich dann genau anschauen – das Design des Testverfahrens. Aber davon hängt ja sehr, sehr viel ab. Auch politische Entscheidungen, wie man mit einer Pandemie umgeht und auch, was man danach macht. Müsste es nicht dann so einen Einheits- test auf der ganzen Welt geben, dass man eine so, so eine Grundlage hat und das dann auch vergleichen kann?

[0:16:45]

Alexander Kekulé

Ja, gut, das ist ein ganz guter Hinweis. Es ist tatsächlich so, dass es Versuche gibt, das, nicht als Einheitsfest, aber untereinander zu kalibrie- ren. Das Problem ist nur: Diese Tests sind ja nicht nur quantitativ unterschiedlich, sondern sie messen, auch wenn ich mal so sagen darf, verschiedene Aspekte des Virus. Das ist so, als wenn Sie wissen wollen, wie viele Hunde im Hinterhof sind. Und dann gibt es die eine Me- thode: Sie zählen nur das linke Ohr und die andere, Sie zählen nur die rechten Ohren, Sie zählen nur den Schwanz, oder sie messen, wie viel die Hunde gefressen haben. Und da gibt es verschiedene Verfahren, das festzustellen. Und je nachdem, wie sie das machen, kann man auch unterschiedlich feststellen wie diese, in welcher Menge diese Antikörper da sind. Und es ist eigentlich gut, dass wir die unterschiedli- chen Verfahren parallel haben, weil wir ja noch in so einem experimentellen Bereich sind, wo häufig der eine Test dann unklare Resultate liefert. Und dann ist man froh, dass man noch einen anderen in der Kiste hat. Den holt man dann aus dem Kühlschrank und probiert den auch noch aus. Also daher, wer jetzt so ein Einheitstest nicht so liebt, der hätte immer das Problem, dass dann vielleicht weltweites im- mer das Falsche gemessen wird. Und dann läuft man schneller in die Sackgasse.

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz man würde sich ja dann auf den besten einigen.

Alexander Kekulé

Das wissen wir noch nicht, welcher der Beste ist.

Camillo Schumann

Aber meinen Sie nicht ...

Alexander Kekulé

Es gibt noch nicht einen, wo man sagt, der ist absolut Turbo, den müssen wir nehmen. Die haben all das Problem. Und klar, es gibt bei anderen Erkrankungen, wenn Sie jetzt Masern nehmen, zum Beispiel und die IgG-Antikörper gegen Masern. Da gibt es Menschen, die ha- ben in der frühen Kindheit mal die Masern durchgemacht oder sind nur geimpft worden,

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was weniger starke Antikörperreaktionen in der Regel bewirkt. Und da können sie bei alten Leuten die Antikörper zum Teil noch nachwei- sen, mit einem ganz simplen Test, der überall verfügbar ist. Also das ist einfach so, diese Tests werden weiterentwickelt, und da darf man auch nicht ungeduldig sein. Vielleicht wird es irgendwann eine geben, der für SARS-CoV-2 perfekt dieses IgG immer und lebenslang nachweisen kann. Vielleicht ist es aber auch wirklich so, dass es keine IgG-Sorte geben kann, also Immunglobulin-G-Sorte geben kann bei diesem Virus, die wirklich lebenslänglich bleibt. Das kann durchaus sein, dass das immer wieder verschwindet. Weil, wir wissen ja, da- ran kann man noch einmal erinnern, dass diese Coronaviren ja als Erkältungsviren tatsächlich immer wieder neue Erkältungen machen kön- nen. Man kann ja jeden Winter immer mal wieder was kriegen. Und es scheint schon so zu sein, dass sie jetzt so eine lebenslange Immuni- tät gegen eine Coronavirus-Sorte, v.a. wenn das Virus sich dann genetisch im Lauf der Zeit ein bisschen verändert. Das ist wahrscheinlich eher die Ausnahme.

[0:19:23]

Camillo Schumann

Wir sind gespannt, Herr Kekulé, wir wollen mal nach Afrika schauen. Eigentlich hatte der Kon- tinent ja den schlimmsten Befürchtungen bis- her trotzen können. Sehr viele Staaten, die hatten sehr früh das öffentliche Leben einge- froren, Infektionsketten verfolgt. Doch es wird wieder gelockert, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Und auf dem Kontinent sind aktuell über 500.000 Infektionen nachgewiesen wor- den. Südafrika hatte an einem Tag mehr als 10.000 neue Fälle registriert. Das Land gilt als einer der aktuellen Brennpunkte der Pande- mie, und sie hatten zu Beginn der Corona-Krise auch schlimme Befürchtung, was den afrikani- schen Kontinent angeht, geäußert. Oder?

[0:20:05]

Alexander Kekulé

Ja, also für Afrika gibt es eigentlich kein Schutzkonzept. Das kann man ganz klar sagen. Weil, Sie können Lockdowns in den afrikani- schen Staaten nicht so komfortabel machen wie in Deutschland. Das sieht man ja schon in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dass das

einfach wirtschaftlich nicht durchzuhalten ist, wenn man jetzt ein größeres Land hat oder mehrere große Länder hat und die nicht ein- fach wahnsinnig viel Geld auf der Kante haben oder sich ganz einfach Kredite holen können. Das trifft ja dort alles nicht zu. Und für die Menschen dort wird nicht einfach so das Ge- halt weiter gezahl, sondern ganz viele sind Tagelöhner und müssen ganz kurzfristig Geld verdienen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass man eine rein von der Epidemio- logie so Dinge wie Social Distancing, das ist leicht gesagt, wenn viele auf engem Raum wohnen. Von der medizinischen Versorgung: Unser Konzept, dass wir sagen, wir wollen, dass die Intensivstationen immer bereit sind und man niemanden abweisen muss, weil es zu wenig Betten gibt. Auch das können Sie dort vergessen. Also eigentlich ist alles, was wir hier so entwickeln in unserer Komfortzone, um uns mit dem Virus auseinanderzusetzen – das meiste ist in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara jedenfalls nicht umsetzbar. Und deshalb ist einfach die große Frage: Werden denen die zwei Faktoren, die sie haben, auf ihrer Seite, nämlich: Erstens, dass das Klima eigentlich Erkältungsvirus nicht begünstigt, Atemwegsinfektion nicht begünstigt. Und der zweite Faktor, dass die Bevölkerung insgesamt zu deutlich jünger ist als bei uns. Und alte Menschen werden ja schwerer krank bei Co- vid-19. Diese zwei Faktoren, Klima und Alters- verteilung, werden die Afrika helfen? Dass sie bei einer leider wahrscheinlich nicht letztlich aufzuhaltenden Durchseuchung, dass sie da halbwegs glimpflich, wenn man so sagen darf, mit einem blauen Auge davonkommen.

[0:21:51]

Camillo Schumann

Und es gibt eine aktuelle Studie, wie in Mada- gaskar auf das Virus reagiert wurde und wie der Umgang dort ja schon fast modellhaft für Afrika stehen könnte.

[0:22:01]

Alexander Kekulé

Das hat mich insgesamt, ehrlich gesagt, über- rascht. Also, ich habe ja im Zusammenhang mit Tropenmedizin häufig Kontakt zu afrikanischen Staaten gehabt. Ich habe mir das viel schlim- mer vorgestellt. Aber die afrikanischen Staa-

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ten, Madagaskar ist ein Beispiel. Aber auch in Kenia ist es zum Beispiel vorbildlich. Die haben wirklich die Warnung der Weltgesundheitsor- ganisation, die ja ganz dramatisch war, ernst genommen und dichtgemacht. Die haben in erster Linie einfach die Grenzen dicht gemacht. Da die ja, wenn man so sagen darf, weiter hin- ten waren im Zeitverlauf – zuerst war es China, dann andere asiatische Bereiche, dann Staaten von Norditalien, Europa und die USA – da war Afrika relativ weit hinten, und die haben ein- fach zugemacht. Und das hat dazu geführt, dass dort tatsächlich vorbildlich wenig Fälle aufgetreten sind. Klar hängt es damit zusam- men, dass die kaum testen. In vielen Bereichen haben die gar keine Tests. Aber auch da, wo kleine Stichproben gemacht werden und man das Gefühl hat, die sind halbwegs repräsenta- tiv, sieht es so aus, als hätten die deutlich we- niger Fälle. Und diese Studie in Madagaskar, hat versucht rauszufinden: Woran liegt es ei- gentlich? Dass, wenn man jetzt Südafrika mal ausnimmt, Sie haben es gerade gesagt, die haben also zum Teil 10.000 Fälle da an einem Tag gehabt. Wenn man die rausnimmt, woran liegt es eigentlich, dass die anderen Staaten bis jetzt noch nicht so eine Katastrophe verzeich- nen? Also vor allem nicht so viele Todesfälle, daran würde man es ja letztlich bemerken.

[0:23:27]

Camillo Schumann

Ganz kurz, nur als Beispiel: Madagaskar, Stand 20. Juli 7.049 Infizierte 59 Todesfälle, zum Ver- gleich 26 Millionen Einwohner einfach mal so ein paar Zahlen zu haben.

Alexander Kekulé

Das ist eben eine winzige Zahl, wenn das stimmt. Klar ist da ein Erfassungsfehler dabei. Diese Studie hat eben dann gesagt, wir unter- suchen jetzt mal, liegt es an der späten Ein- schleppung des Virus, dass man rechtzeitig genug tätig geworden ist? Liegt es daran, dass die Fälle zu wenig nachgewiesen werden? Na- türlich in den meisten afrikanischen Staaten, in Madagaskar auch. Und liegt es vielleicht aber auch daran, dass aus welchen Gründen auch immer, könnte klimatisch sein, könnte das Verhalten der Menschen sein, die Krankheit dort sich nicht so schnell verbreitet? Also, dass dieses R0 dort einfach niedriger ist, als in ande-

ren Ländern? Oder liegt es tatsächlich an den Interventionen, also an den Maßnahmen, die man ergriffen hat, dass man gesagt hat: Ab- standsgebot, Masken tragen und Ähnliches. Da ist letztlich rausgekommen bei dieser Untersu- chung, das ist ein internationales Team gewe- sen, viele französische Arbeitsgruppen, weil Madagaskar traditionell Französisch ist. Ich meine, es gibt auch ein Ableger vom Pasteur- Institut in Antananarivo in der Hauptstadt. Und da ist es so, dass die dort das untersucht haben und gesagt haben: Es kann an jeder Kombina- tion dieser genannten vier Faktoren gelegen haben: die späte Einführung, die schlechte Detektion, epidemiologische Faktoren oder der Eingriff der Politik. Es kann jede Kombination gewesen sein. Die Studie konnte mit jeder beliebigen Konfiguration Kombination das so modellieren, dass das rauskommt, was die momentane Krankheitsausbreitung ist. Und deshalb sagen sie Vorsicht bei Lockerungen. Wenn man jetzt plötzlich alles wieder lockern würde, dann ist die Gefahr gegeben, dass man bis zu 30 % Infizierte da kriegt. Das heißt also bei knapp 30 Millionen Einwohnern hat man dann um die 10 Millionen Infizierte, und das Zweite ist, dass sie sagen, bis zu 50.000. Tote könnte es geben, wenn man jetzt einfach alles wieder lockert. Das konnte man für diese Insel, die auch eben abgeschlossen wurde, ganz gut modellieren. Und wenn das auf Afrika übertra- gen wird, dann heißt es, es ist ein Riesenprob- lem, weil die anderen Staaten, Madagaskar ganz genauso, die können im Grunde genom- men jetzt nicht diese lockdown-artigen Maß- nahmen bis zum Sankt Nimmerleinstag aushal- ten. Die können das nicht machen, bis der Impfstoff da ist. Die müssen jetzt lockern, sonst bricht die Wirtschaft zusammen. Da zeichnet diese Studie eigentlich ein kritisches Bild.

[0:26:17]

Camillo Schumann

Und das ist genau der Punkt, weil immer mehr Länder auf dem afrikanischen Kontinent sich auch entscheiden, ihren Luftverkehr, ihren kommerziellen Luftverkehr wieder zu öffnen. Die Wirtschaft liegt am Boden und hält das auch gar nicht mehr länger aus. Also hier wird dann ganz knallhart entschieden, Wirtschaft von Menschenleben. Und die Menschen kön- nen gar nicht anders entscheiden, oder?

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Alexander Kekulé

Ich glaube, die können nicht anders. Ich sehe es gar nicht so: Wirtschaft vor Menschenleben. Weil in diesen Ländern noch stärker als bei uns – bei uns kann man das indirekt natürlich auch nachweisen – da gilt einfach, wer kein Geld hat, stirbt. Ich übertreibe jetzt natürlich ein bisschen. Aber da ist eine starke wirtschaftli- che Not gleichbedeutend mit Verlust von Men- schenleben. Und dadurch ist es wirklich die Frage, auf welche Weise, welchen Tod willst du dir aussuchen? Willst du, dass Menschen ster- ben an Covid-19, oder willst du, dass sie zum Beispiel an Hunger sterben, weil sie wirtschaft- lich nicht mehr in der Lage sind, sich zu ernäh- ren und Ähnliches? Oder willst du, dass sie an anderen Krankheiten sterben, weil das Geld für die Gesundheitssysteme nicht mehr da ist? All das ist dort wirklich die ganz existenzielle Sa- che. Und deshalb wäre es aus meiner Sicht sehr, sehr wichtig zu sehen, ob die Faktoren Klima und Altersverteilung dort möglicher- weise bewirken könnten, dass die Krankheit in bestimmten Staaten oder zumindest einigen Regionen Afrikas möglicherweise, wenn die langsam über das Land geht und man weniger radikale Maßnahmen als einen Lockdown ein- führt, ob die dann in der Bilanz weniger Scha- den anrichtet, als wenn man diesen totalen Lockdown verhängt. Das ist jetzt kein Plädoyer dafür, das zu machen. Aber ich glaube, wenn man diese Option, die wir hier in Europa haben – und die die Amerikaner hätten, aber darüber diskutieren, ob sie das machen, nämlich sich konsequent gegen das Virus erst einmal zu wehren – wenn man diese Option nicht hat, dann muss man natürlich andere Möglichkei- ten prüfen.

Camillo Schumann

Ganz kurz noch gefragt: Sie haben einen guten Draht zum afrikanischen Kontinent, zu den Menschen dort. Wie ist dann die Zusammen- arbeit auch, was Unterstützung mit Tests, wis- senschaftlicher Expertise etc. angeht?

[0:28:28]

Alexander Kekulé

Das sind immer so Einzelkontakte. Und das ist selbst in einzelnen Ländern so, wenn Sie mit dem einen sprechen, dann sind das ganz ver- nünftigen Menschen, die sofort sagen, ja, da

arbeiten wir zusammen, da machen wir was. Und andere sagen, das kommt nicht in die Tüte. Ich mache das mit jemand anderem, der gibt mir Geld dafür, dass ich mit ihm zusam- menarbeite. Das ist in der Entwicklungshilfe wohlgemerkt gar nicht unüblich. Also ich glau- be, dass die meisten Länder erkannt haben, dort, dass die Testsysteme brauchen. Und glücklicherweise ist es so, dass die internatio- nalen Hilfsorganisationen und auch die Her- steller von solchen Testsystemen immer eine gewisse Quote auch an die weniger entwickel- ten Länder schicken. Das heißt, die kriegen dort schon Gerätschaften und Tests. Es ist nicht so, dass es dort sozusagen völlig rudi- mentär zugeht, weil eben die Lieferungen quo- tiert werden. Und das finde ich auch sehr ver- nünftig, dass die Hersteller da mit machen, dass sie nicht alles an die reichen Länder schi- cken. Was dann in dem Land passiert, das wäre mal was für eine investigative Reportage des Mitteldeutschen Rundfunks. Ich bin ziemlich sicher, dass die Mitglieder der Familien, die da was zu sagen haben in solchen Ländern, wenn sie krank sind oder wenn Sie getestet werden wollen, eher Zugang zu diesen Tests haben, als die, die es dringend brauchen.

[0:29:48]

Camillo Schumann

Herr Kekulé, wir kommen zu den Hörerfragen. Viele Fragen zu Impfstoffen sind gekommen. Dieser Herr zum Beispiel_

„Meines Wissens wird an Impfstoffen ge- forscht, der Generation 1 und der Generation 2. Generation 1 sind doch Impfstoffe, mit denen, wenn ich sie bekomme, gegen die Krankheit immun bin, aber selbst noch infektiös. Der Typ 2, der nicht sterilisierende Impfstoff schützt ja vor beidem. Wenn der überwiegende Anteil der Forschungslabore an Typ 1 aufgrund der Dring- lichkeit forscht, würde das doch bedeuten, dass der Pandemie-Verlauf sprich hinsichtlich der Herdenimmunität in weite Ferne rückt. Viel- leicht ist Herr Kekulé so nett und sortiert das Ganze einmal. Lieben, lieben Dank.“

Ja, gerne. Ist diese Schlussfolgerung richtig?

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Alexander Kekulé

Naja, zuerst einmal, das muss jetzt ganz ehrlich sagen, diese Typ 1 und Typ 2, so wie das gera- de gemacht wurde, das kenne ich nicht. Das kann aber jetzt an mir liegen, dass ich da viel- leicht irgendeine Terminologie, ältere Termino- logie vielleicht nicht so kenne. Bei der aktiven Immunisierung. Das ist die Impfung, von der wir hier immer sprechen, auf die wir warten. Da ist der wird der Körper aktiv, und das heißt, da bringt man den Körper dazu, dass er Anti- körper und zelluläre Immunantwort gegen ein Virus entwickelt. Und falls er dann wirklich mal mit diesem Virus infiziert wird, dann wird der Patient gar nicht krank oder nicht so schwer krank. Das nennt man aktive Immunisierung, weil der Körper da selber Antikörper fabrizie- ren muss. Und die zweite Variante wäre eine passive Immunisierung. Da spritzt man direkt den Antikörper. Man kann ja von einem ande- ren Menschen, der die Krankheit durchge- macht hat, kann man ja die Antikörper aus dem Serum holen. Und die kann man dann als Medikament verwenden und jemanden quasi schützen. Das wird zum Beispiel gemacht, wenn man Tollwutimpfung macht nach einem Hundebiss oder so was, oder Tetanus-Impfung, da gibt es passiv und aktiv. Diese passive Im- munisierung, wo man also direkt den Antikör- per spritzte, hat der der Hörer schon recht, die würde schneller wirken und sofort wirken. Und die würde wahrscheinlich auch einen thera- peutischen Effekt haben. Das wird ja auch aus- probiert in dem Sinn, dass jemand, der schon krank ist, damit noch die Krankheit, die Ent- wicklung der Krankheit abbiegen kann, dass die verbessert wird, dass er nicht so schwer krank wird. Der Nachteil ist, dass hält nur solange, wie diese Antikörper, die man da spritzt, dann im Blut sind. Die werden langsam abgebaut. Nach einer Weile sind die dann einfach weg. Ich weiß es nicht, es kann einen Monat dauern oder zwei. Irgendwann sind sie dann weg, und dann müsste man immer wieder neu immuni- sieren. Und das ist aus anderen Gründen unge- sund. Und deshalb denkt man hier natürlich grundsätzlich an eine aktive Impfung bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie. Das heißt also, wir wollen da wirklich nur so kleine Parti- kel von Virus dem Menschen spritzen, wo sie dann selber dagegen Antikörper produzieren. Dann produzieren sie dann Gedächtniszellen.

Und wenn alles gut läuft, ist man dann sogar sein Leben lang oder zumindest sehr lange immun. Und für die Durchbrechung einer sol- chen Pandemie würde es ja durchaus reichen, wenn die ganze Menschheit sechs Monate lang immun ist. Wenn alle zugleich immun sind, würde es eigentlich zwei bis drei Wochen rei- chen. Aber das kriegt man natürlich nicht hin. Aber ein Impfstoff, der sag ich mal sechs bis neun Monate lang halbwegs zuverlässig schützt, würde reichen, um die Pandemie zu durchbrechen. Und deshalb machen wir das eben mit der aktiven Impfung und nicht mit der passiven, was der Hörer hier gerade vorge- schlagen hat.

Camillo Schumann

Bleiben wir beim Impfstoff. Die Frage dieses Hörers geht in eine ähnliche Richtung.

„Damals bei der Schweinegrippe gab es auch einen Impfstoff. Allerdings gab es nicht einen, sondern zwei. Der eine war mit einem Wirkver- stärker, der andere war ohne Wirkverstärker. Was macht da den Unterschied? Und warum hat man dann den Impfstoff für eine Bevölke- rungsgruppe und den anderen Impfstoff für die andere Bevölkerungsgruppe verwendet? Gab es da irgendeinen Grund? Wäre es dann bei dem Coronavirus oder bei dem Corona- Impfstoff das Gleiche? Das würde mich sehr stark interessieren.“

[0:33:56]

Alexander Kekulé

Das ist deshalb spektakulär gewesen, weil da- mals ja für die, die sich noch erinnern, da gab es eine Auseinandersetzung zwischen mir und dem Paul-Ehrlich-Institut der Regierung und dem Robert Koch-Institut. Weil ich gesagt ha- be, ein nicht-adjuvantierter, ein nicht wirkver- stärkter Impfstoff ist ausreichend. Man braucht diese Kanone nicht von dem adjuvan- tierten Impfstoff. Und das war also eine mona- telange Diskussion, wo auch durchaus von der anderen Seite mit Dreck beworfen wurde, das darf ich jetzt schon so sagen. Und am Ende war es eben so, dass der Impfstoff, den ich nicht empfohlen habe, der adjuvantierte, in sehr großer Menge bestellt wurde. Die Bevölkerung wollte den nicht, weil die Symptome ja nicht so schwer waren. Und wie vorhergesagt wurde

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der eben nicht angenommen, wurde nicht gebraucht. Er hat Nebenwirkungen gehabt und wurde dann in Magdeburg, also im unmittelba- ren Sendegebiet, wurde der dann verbrannt, der Impfstoff. Das ist eine traurige Geschichte gewesen. Und da hat der Hörer recht. So was will man nicht wiederholen.

Camillo Schumann

16 Millionen Impfdosen waren es übrigens.

Alexander Kekulé

Ja gut, Sie haben es noch einmal recherchiert. Und das ist natürlich so, da könnte man jetzt Bücher darüber schreiben. Da wurde auch schon sehr viel darüber geschrieben. Da gab es eben den sogenannten Regierungsimpfstoff, so wurde der immer gemeinerweise genannt. Weil, die USA haben es so gemacht, wie ich das hier empfohlen hatte und übrigens die Schutz- kommission bei Bundesinnenminister das auch empfohlen hatte. Und bei denen lief alles su- per, und die haben eben einen nicht wirkver- stärkten Impfstoff gegen die Schweinegrippe genommen. Und dann kam raus, dass die Bun- desregierung für Beamte sich einen nicht wirk- verstärkten selber auch noch bestellt hatte.

Da war natürlich der Ärger groß. Also hier ist man in einer anderen Situation. Also beim Wirkverstärker kommen wir nur dann an, wenn wir feststellen, dass wir zum Beispiel zu wenig Protein haben, zu wenig An- tigen haben. Bei einem klassischen Impfstoff, wenn da zu wenig Antigen da ist, also, wenn man zu wenig produziert kriegt, dann kann man Antigen sparen. Also das eigentliche Oberflächenprotein dieses Virus, was man da spritzt, um das Immunsystem anzuschubsen. Da kann man einfach dann ein Fünftel neh- men, ungefähr. Und stattdessen so ein Wirk- verstärker mit reinmachen. Das ist etwas, was einfach eine relativ starke lokale Immunreakti- on herbeiführt. So Stoffe, die wirklich eine Entzündung absichtlich provozieren, weil dann die Immunantwort stärker wird und man dann mit einer kleinen Menge von Proteinen die gleiche Schutzwirkung hinkriegt. So weit sind wir bei diesem Covid-19 noch gar nicht. Kann sein, dass es dazu kommt, dass man das macht? Entweder weil die reine, die Immuni- sierungs-Wirkung dieses Antigens alleine nicht stark genug ist, dass man deshalb verstärken

muss. Oder weil man nicht genug produziert bekommt. Das sind, so die zwei Hauptgründe. Wobei man sagen muss, diese Wirkverstärker sind echt schwierig herzustellen, die sind auch patentiert. Und die, die da wirklich gut sind, es gibt ein, zwei Firmen, die haben da sehr gute Wirkverstärker. Die kann man auch nicht so in großer Menge einfach über Nacht produzieren. Und dass das andere ist: Wir haben ja jetzt sehr erfolgreich diese ganz neuen Verfahren, wo also DNA verwendet wird, oder RNA ver- wendet wird, oder auch genetisch veränderte Viren verwendet werden, als Impfstoff. In sol- chen Situationen gibt man natürlich keinen Wirkverstärker, erst mal dazu, weil da muss ja erst mal, das Antigen produziert werden, also das Protein produziert werden, was das Im- munsystem stimuliert. Und da ist es zumindest meines Wissens nicht üblich, da gleich einen Wirkverstärker mit reinzugeben, also lange Rede, kurzer Sinn als lässt sich lässt sich die Situation von 2009 von der Schweinegrippe nicht auf SARS-CoV-2 übertragen. Und ich rechne nicht damit, dass wir bei diesen mo- dernen, „Hightech-Impfstoffen“, sofern einer von denen das Rennen macht, überhaupt ei- nen Wirkverstärker brauchen. Und wenn über- haupt, dann brauchen wir Wirkverstärker bei den klassischen protein-basierten Impfstoffen. Und da wäre für mich der wahrscheinlichste Grund, das für alte Leute einzusetzen, die sonst keine richtige Immunsystemantwort haben. Oder wenn die Nachschubsituation so schlecht ist, dass man das einfach braucht, weil man nicht genug hat. Da würde ich aber erst mal entspannt abwarten. Ich glaube, in die Lage kommen wir noch nicht.

[0:38:08]

Camillo Schumann

Herr S. hat uns eine Mail geschrieben und ei- nen Link gleich mit dazu. Und er schreibt:

„... es soll mit Erfolg unter anderem an einem Spray geforscht werden, das sekundenschnell Coronaviren im Rachen unschädlich macht. Viele Grüße.“

Spray gegen das Coronavirus. Sie haben sich den Link angeschaut. Gibt ja auch noch was zum Gurgeln gegen das Virus. Was halten Sie davon?

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Alexander Kekulé

Es ist ganz klar, dass wir Desinfektionsmittel haben, die auch auf der Schleimhaut wirken. Und hier ist eins dieser klassischen Desinfekti- onsmittel, die so jodhaltig sind und im Kran- kenhaus verwendet wurden, mal getestet wurden. Und ja, die töten auch auf der Schleimhaut Viren ab. Das ist ja klar, sonst würden sie ja nicht richtig funktionieren, sonst wären sie für so etwas gar nicht zugelassen. Und das konkrete Desinfektionsmittel hier, das ist dieses braune Zeug, was man so aus dem Krankenhaus kennt, wenn man da irgendwie operiert werden soll oder Ähnliches. Was übri- gens ganz gruselig schmeckt, wenn man das zum Gurgeln verwendet. Aber es gibt Leute, die das machen. Ja, das wirkt natürlich gut gegen Viren. Das ist eins der wirklich guten antiviralen Mittel. Es ist auch zugelassen vom Robert Koch-Institut dafür. Und es hat gegen andere Coronaviren auch gegen diese gefährli- cheren, also das alte SARS-Virus und das soge- nannte MERS-Virus. Dagegen hat es auch schon gewirkt. Deshalb wäre es jetzt extrem ungewöhnlich gewesen, wenn jetzt ausgerech- net das SARS-CoV-2 nicht anspricht. Auf dieses Desinfektionsmittel. Die Frage ist nur: Das eine ist, man tötet momentan die Viren im Rachen ab. Das kann man damit sicherlich machen. Was passiert dann? Das Desinfektionsmittel bleibt ja nicht ewig auf der Schleimhaut des verschwindet im Lauf der Zeit. Entweder, weil man es runterschluckt, wegspült oder weil es sich anderweitig irgendwie verdünnisiert. Und dann haben sie natürlich die Zellen immer noch in der Schleimhaut, die Virus befallen sind. Und die produzieren ja munter weiter Viren, sodass sie dann, sobald das Mittel nicht mehr wirkt – ich sage mal, eine Stunde später oder so – haben Sie dann die Situation wie vorher. Dann ist das Virus wieder da, sodass ich nicht wüsste, was das Ganze bringen soll. Außer Sie wollen jetzt gleich jemanden küssen. Und kurz vorher machen Sie das Spray, legen überhaupt keinen Wert auf den Geschmack und sagen gut, dieser eine Kuss ... Da könnte man darüber diskutieren.

[0:40:22]

Camillo Schumann

Das war es wert. Oder wissen Sie, wie das dann riecht? Also man ist dann vielleicht nicht mehr

infektiös, aber man riecht aus dem Mund. Dass ist ja dann auch Quatsch.

Alexander Kekulé

Also dieses Mittel riecht, das weiß ich aus mei- ner Zeit im Krankenhaus in der Chirurgie, das riecht doch ziemlich stark. Also wenn man abends nach Hause kommt, hat man durchaus noch das Gefühl, manchmal diesen Jodgeruch in der Nase zu haben. Wie man aus dem Mund riecht, wenn man gegurgelt hat? Das habe ich noch nicht ausprobiert. Aber es bringt mich auf was.

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 85. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder zu einem Hörerfragen-Spezial.

Alexander Kekulé

Bis dann, Herr Schumann, tschüss.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

Kekulés Corona-Kompass auch als ausführli- cher Podcast auf mdraktuell.de, in der ARD- Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Dienstag, 21.07.2020 #84: Britischer Impfstoff hat die Nase vorn

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Dienstag, 21. Juli 2020. Wir haben wieder viel vor in dieser Ausgabe. 1. Durchbruch bei der Impfstoff-Suche? Großes Fragezeichen. Es gibt da vielversprechende Meldungen aus China und Großbritannien. 2. Dann, welche Rolle Gene für den Verlauf und Schwere der Covid-19-Erkrankung spielen wird uns beschäftigen. Außerdem Schwangere und Covid-19. Wie das SARS-CoV-2-Virus zum Ungeborenen gelangen kann. 3. Dann: Null Coronaviren in 25 Sekunden. Was bringen eigentlich UVC-Lampen an Flughäfen und Büros? 4. Und: Sollten sich Kreuzfahrtpassagiere vor Reiseantritt testen lassen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Coronavirus. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wer den Podcast schon länger hört, weiß es gibt am Ende ab und zu so eine positive Nachricht. Also die positive Nachricht zum Schluss. In dieser Ausgabe fangen wir aber mal mit einer positiven Nachricht an. Und um

ehrlich zu sein, gibt es sogar mehrere positive Nachrichten. Und ich bin mir nicht so richtig sicher, welche davon höher zu bewerten ist. Es gibt die gute Nachricht bei der Impfstoff- Suche. Und die andere gute Nachricht: US- Präsident Trump wirbt jetzt ganz offiziell für das Tragen von Masken. Was meinen Sie, Herr Kekulé, welche positive Meldung ist jetzt höher zu bewerten?

[0:01:45]

Alexander Kekulé

Ja, also ich würde fast sagen, obwohl man es nicht glaubt, die Meldung von Donald Trump. Weil das einfach einen unmittelbaren Effekt haben dürfte. Diejenigen, die die Masken ablehnen oder immer noch ablehnen, die machen das ja, weil auch ihre Führer das ablehnen. Und da kann man jetzt hoffen, dass das viele umschwenken in Amerika. Das Problem ist immer, wenn man zuerst sagt, Masken sind schlecht – und diese Kommunikation hatten wir in Deutschland auch – und dann plötzlich sich ändert und sagt, jetzt will ich sie aber doch empfehlen, so wie Donald Trump das jetzt macht. Da ist immer die Frage, ob man das Volk dabei mitnimmt oder ob da nicht alle, einige sagen: „Naja, ich mag keine Masken. Und bis vor Kurzem hieß es ja, die taugen auch nichts.“

[0:02:25]

Camillo Schumann

Ich mache es mal konkret, was Donald Trump getwittert hat:

"Wir sind vereint in unseren Bemühungen, das unsichtbare China-Virus zu besiegen." "Und viele Menschen sagen, dass es patriotisch ist, eine Gesichtsmaske zu tragen, wenn man keine soziale Distanz wahren kann."

Im Tweet postet Trump dann ein Foto, das ihn mit seiner Maske mit aufgesticktem Präsidentensiegel zeigt, dazu: „Niemand ist patriotischer als ich. Euer Lieblingspräsident.“

[0:02:50]

Alexander Kekulé

Ich glaube, der hat sich einfach dann letztlich von seinen Beratern breitschlagen lassen. Natürlich denkt er auch an die Wahlen in den USA. Und eine Schlacht, die nicht mehr zu

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gewinnen ist, da wechselt man gerne mal auf die Gegenseite über. Man muss sagen, das ist jetzt nicht nur Donald Trump. Wir hatten ja die Diskussion ganz massiv in Deutschland auch, selbst unter einigen Fachleuten. Und in Frankreich ist es gerade so, dass die Masken wieder eingeführt wurden. Jetzt müssen in den Geschäften wieder Masken getragen werden. Ich glaube, wenn wir in der Welt rumgucken, gibt es eigentlich kein Argument dafür, dass wir in Deutschland jetzt hier die Zügel lockerlassen.

[0:03:27]

Camillo Schumann

Österreich ist er dann das nächste Beispiel. Da soll heute dann wieder die Maskenpflicht beschlossen werden. Zum Zeitpunkt der Aufzeichnung dieses Podcasts ist es noch nicht passiert. Deswegen reden wir jetzt im Konjunktiv. Aber es ist doch schon interessant zu beobachten, das gerade in den USA Diskussionen, die vorher in Asien waren, dann nach Europa kam, dann zeitversetzt auch dort stattfinden. Warum wird denn nicht zeitgleich diskutiert? Also warum hat man nicht den gleichen oder denselben aktuellen Wissensstand? Und ist man dann eigentlich auf Augenhöhe? Warum ist das so zeitversetzt? Können Sie sich das erklären?

Alexander Kekulé

Das ist eine generelle Frage, die sich wahrscheinlich viele Menschen zurzeit stellen auf der ganzen Welt. Das ist nicht so einfach, wie es klingt. Wenn Wissenschaftler sagen, sie sind für Masken. Also, wenn jetzt jemand – Sie wissen, ich habe da früher mal eine Aktion gestartet richtig – sich massiv für die Masken einsetzen, dann macht er das, das muss man ehrlicherweise sagen, auch so eher aus einem Bauchgefühl heraus. Also, es ist ja nicht so, dass ich jetzt Belege in der Hand hatte, die das Robert Koch-Institut oder die WHO nicht hatten. Sondern es ist einfach die Frage, wie bewertet man die die Belege und welche Risiko-Abwertung macht man? Und das ist etwas sehr Individuelles. Bei den Masken war klar, dass auf jeden Fall diese Tröpfchen nicht durchgehen. Das ist klar, das kann man physikalisch ganz abstrakt belegen, dass Tröpfchen an so einem Stoff hängen bleiben.

Und zweitens gab es mehrere Studien, die gezeigt haben, dass unterschiedlich stark der Träger einer Maske geschützt werden kann vor Infektionen. Da hat man bei Influenza ganz viele Untersuchungen schon früher gemacht und hat eben festgestellt: Im Vergleich zu den echten FFP-Masken sind diese normalen Stoffmasken vom Schutz her eher lausig. Da gab es dann Zahlen, es hilft nur zu 10 %, hauptsächlich wegen der Luft, die außen vorbeigeht. Andere Studien haben so Richtung 30-50 % gedeutet. Aber im Vergleich zu den FFP2-Masken war immer klar, so etwas kann kann man einem Krankenhauspersonal nicht empfehlen. Und jetzt muss man eben den Transfer machen. Jetzt muss man sagen: Okay, das sind die Daten. Aber was braucht man in einer epidemiologischen Situation, wo es auch darum geht, dass Maskenträger, falls Sie krank sind, andere schützen? Da haben eben einige Fachleute, zu denen ich damals gehört habe, gesagt: Die Daten reichen mir für die Empfehlung, weil in dieser speziellen Fragestellung ist das sinnvoll. Und andere haben gesagt: Nein, ich will da erst mehr Untersuchungen dazu sehen, bevor ich eine Empfehlung abgebe. Und vorher sind die Masken nicht sinnvoll, weil ja auch die Befürchtung bestand, dass die Menschen dann die Abstandsgebote nicht mehr einhalten. Auch diese Beurteilung, was die Menschen dann machen: Halten sie wirklich die Abstandsgebote nicht mehr ein, sobald sie eine Maske im Gesicht haben? Oder ist der Effekt, dass man sich, wenn man eine Maske im Gesicht hat, natürlich seltener ins Gesicht fasst und dass man immer daran erinnert wird? Ist das wirklich ein Effekt, der zum Social Distancing und zur Sicherheit beiträgt? Das sind sehr spekulative Dinge. Dass das entscheidet man so ein bisschen aus dem Bauch, so wie ein wie ein praktischer Arzt entscheidet. Verschreibe ich jetzt lieber eine Massage oder eine Fangopackung?

[0:06:30]

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz hat sich ja diese Empfehlung ja dann auch im Laufe der Pandemie ja verstetigt. Und deswegen fragt man sich ja dann noch mehr, warum die USA dann zu spät reagiert haben.

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Alexander Kekulé

Ja, bei den USA ist es schon besonders eklatant, weil wir während dieser Pandemie diese ganzen Hausaufgaben gemacht haben. Er wurde sowohl epidemiologisch bewiesen, dass die Masken was bringen. Wir haben auch weitere physikalische Untersuchungen dazu gemacht. Da haben wir ja zum großen Teil darüber berichtet. Die Datenlage ist inzwischen, wenn man jetzt nicht ein totaler Skeptiker ist, eigentlich eindeutig. Und es ist ja auch so, dass in den USA bis jetzt eigentlich das Weiße Haus sehr isoliert war mit seiner Position. Sowohl die Gouverneure der Bundesstaaten, als auch die ganzen Fachinstitute des Landes, die weltweit führend sind, haben sich klar dann für die Masken ausgesprochen. Und deshalb ist es jetzt so eine Art Nachzügler bei dem Erkenntnisgewinn, wenn Donald Trump jetzt auch sagt, er ist auch dafür.

[0:07:27]

Camillo Schumann

Um da jetzt noch mal ein Strich drunter zu ziehen. Diese Empfehlung, wenn sie denn auch vom Volk umgesetzt wird, könnte sich dann signifikant auf das Infektionsgeschehen oder auch auf die Todeszahlen dann auswirken?

Alexander Kekulé

Meines Erachtens ja, weil wir ja auch in den USA jetzt beginnend, in Europa sind wir viel weiter, die Situation haben, dass das Social Distancing im Prinzip schon funktioniert. Die Menschen haben es ja mehrheitlich verstanden, worum es geht. Und in dieser Situation, wo so diese normalen Infektionen durch Umarmung, durch Hände geben und ins Gesicht fassen und so weiter, weniger Gewicht haben, geht es eigentlich primär um die Superspreading-Ereignisse. Also, dass einzelne in irgendwelchen ungünstigen Situationen im geschlossenen Raum, bei schlechter Belüftung, viele anstecken. Da kann es sein, dass einer mal 100-200 Menschen auf einmal ansteckt. Wir haben Beispiele, wo so ein Verdacht besteht. Und so eine Situation ist natürlich durch Maskentragen weitgehend verhinderbar. Weil, wenn der eine Maske im Gesicht hat, wird er sicher nicht mehr so viele Menschen anstecken. Und das, da das ja

seltene Ereignisse sind, ist natürlich mit so einer allgemeinen Prophylaxe – das können Masken sein, das kann auch eine Testung sein – ist einfach die Wahrscheinlichkeit, dass es zu diesem seltenen Ereignis dann kommt, deutlich geringer. Und dadurch ist das ein ganz, ganz effektives Mittel, was, meines Erachtens, eine der Säulen ist, um uns die Zeit bis zum Impfstoff zu versüßen oder zu ermöglichen.

Camillo Schumann

Gut, dann kommen wir zur nächsten positiven Meldung, wie angekündigt. „The Lancet“ eine wissenschaftliche Fachzeitschrift hat gleich zwei Ergebnisse von zwei Impfstoffstudien veröffentlicht. Eine von einer britischen Forschergruppe, die andere von chinesischen Wissenschaftlern. Und darüber wird in der Welt diskutiert, auch in diesem Podcast. Und beide Forschergruppen arbeiten an ähnlichen Impfstoffkandidaten. Und beide haben vielversprechende Ergebnisse erzielt. So ein bisschen der Reihe nach. Über diese Impfstoffkandidaten haben wir ab und zu hier im Podcast gesprochen, noch mal kurz zusammengefasst, welche sind das?

[0:09:32]

Alexander Kekulé

Ja hier speziell geht es um die Kandidaten, wo man Viren benützt, als Vektor, wie wir sagen, quasi als Vehikel. Und in dem Fall sogenannte Adenoviren. Das sind eigentlich Viren, die Erkältungen machen. Und die werden so modifiziert, dass sie zum einen natürlich nicht mehr schlimm krank machen und zum anderen Proteine, Oberflächenmoleküle, von diesem SARS-CoV-2 enthalten. Und wenn man damit dann Menschen impft, dann wird also dieses SARS-CoV-2 quasi hergestellt. Also dieses Protein, das Oberflächenprotein davon. Das sind diese Spikes, die man unter dem Mikroskop auch sieht. Und das stimuliert dann das Immunsystem. Das ist eine Methode, die also sehr elegant ist, die im Tierversuch auch schon oft funktioniert hat. Es ist aber so, dass das eine experimentelle Methode ist, also ein neues Verfahren, wo es viele, viele gute Daten dazu gibt, aber noch keinen Impfstoff, der wirklich breit angewendet wird.

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Camillo Schumann

Und das Besondere ist, dass das Mittel der Oxford Universität gleich zwei Antworten des Immunsystems auslöst. Es fördert sowohl die Bildung von spezifischen Antikörpern, als auch von T-Zellen. Beide sind für die Immunabwehr enorm wichtig. Also hat der Impfstoffkandidat aus Großbritannien jetzt die Nase vorn?

[0:10:52]

Alexander Kekulé

Das kann man so nicht sagen. Es ist so, dass wir immer eine Immunantwort ist, ja immer so, dass sie besteht aus mehreren Zellen. Das sind im Wesentlichen die weißen Blutzellen. Und da gibt es diese T-Zellen, die stimulieren andere Zellen. Es gibt wiederum verschiedene Sorten von T-Zellen. Und es gibt die B-Zellen. Das sind die, die die Antikörper produzieren. Hier ist nachgewiesen worden, dass die T-Zellen aktiviert werden durch den Impfstoff. Eine solche Aktivierung, das kann man sich so vorstellen, dass man quasi von dem Patienten den man geimpft hat, die T-Zellen im Labor hat, also eine Blutprobe hat. Und dann stimuliert man die mit dem Antigen, also mit dem Virus. Man tut quasi so, als würde die T-Zelle einen Virus sehen. Und in dem Moment fangen die, wenn die schon vorher aktiviert wurden oder von wenn die Impfung funktioniert hat, fangen die an, so Überträgerstoffe herzustellen, die andere Zellen wieder alarmieren. In dem Fall das sogenannte Interferon Gamma. Und dann misst man einfach, wieviel Interferon Gama kommt aus der T-Zelle heraus, wenn ich sie mit diesem Virus Ersatz stimuliere. Und wenn das sehr viel ist, dann kann man sagen, jawohl, diese Zelle ist vorher gegen dieses Virus quasi aktiviert worden, die weiß, wie das Virus aussieht. Die ist sozusagen geimpft dagegen. Das heißt aber noch nicht wirklich, dass der Patient dann am Schluss immunologisch geschützt ist vor der Impfung, sondern das ist nur ein Hinweis darauf. Und das Experiment ist nicht so ungewöhnlich. Das macht man überall. Das haben die Chinesen auch gemacht, die haben auch solche T-Zellen-Stimulation-Assays gemacht.

Camillo Schumann

Also sind beide gleichauf?

Alexander Kekulé

Ja, die Daten sind ein bisschen unterschiedlich. Weil erstens die britische Studie aufwendiger ist. Die hat wesentlich mehr Assays gemacht, um zu testen, ob der Immunschutz wirklich da ist. Und zweitens hatten sie mehr Patienten. Bei der britischen Studie, die ja dort von dem Jenner-Institute Oxford-Universität gemacht wird – die Gretchenfrage ist immer: Ich sehe irgendeine Stimulation im Labor. Kann ich das übertragen auf die Situation beim Menschen? Da haben, meines Erachtens, die Briten die Nase vorn, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Das heißt noch nicht, dass sie das Rennen gewonnen haben. Und zwar aus folgendem Grund: Der Ansatz, den die dort nehmen, das ist ja so ein Schimpansen-Adenovirus, was ursprünglich mal vom Schimpansen kommt. Da hat das Labor, das Labor dort vom Adrian Hill und von Sarah Gilbert, die haben ähnliche Untersuchungen schon gemacht. Da hatten Sie mal einen Impfstoff gegen Ebola? Da hatten sie eine gegen MERS, gegen das Middle Eastern Respiratory Syndrome Virus also, was so ähnlich wieder wie SARS- und wie jetzt SARS-CoV-2 ist. Und das war in diesen anderen Experimenten eigentlich immer erfolgsversprechend. Und konkret hat man hier folgende Daten: Man weiß, dass dieser konkrete Impfstoff, dass der tatsächlich auch in Makaken, also in Labor-Affen, quasi einen Schutz bietet. Und man weiß, dass dieser Schutz, der korreliert unmittelbar. Also der echte Schutz vor einer Infektion, vor einer Neuinfektion. Challenge Experiment sagt man dazu. Das hat man bis jetzt nur mit Affen natürlich gemacht. Aber immer, wenn das funktioniert hat, in einem Experiment wo das funktioniert hat, da war ein ganz bestimmter Virus-Neutralisationstest positiv. Bei einem bestimmten Neutralisationstest im Labor, das hat korreliert mit dem Schutz bei dem Affen. Das ist interessanterweise, darum erzähle ich das so ausführlich, ein Test, der in Deutschland gemacht wird. Den hat der Stephan Becker in Marburg gemacht. Er ist dort der Leiter der Virologie. Und die haben da natürlich ein Hochsicherheitslabor. Das ist in Marburg an der Virologie Tradition. Die haben so einen speziellen Neutralisations-Assay, den nennen die direkt Marburg-Virus-Neutralisations-

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Assay. Und der korrelierte eben bei den Affen mit dem echten Immunschutz, also mit dem Schutz, den die Affen haben, wenn später das echte Virus als Provokation benutzt wird, also eine Ansteckungsversuch gemacht wird. Und dieser Test ist jetzt auch wieder hoch gegangen, bei dem Kandidaten, wo man jetzt den Impfstoff ausprobiert hat. Und das ist eigentlich ein deutlicher Hinweis darauf, dass das, was man hier im Labor sieht, dann später auch wirklich mit einem Immunschutz bei den Menschen korrelieren sollte.

[0:15:11]

Camillo Schumann

Aber wir sind sozusagen im Klein-Klein der Impfstoff-Sucher, und da sind ja sozusagen schon solche Kleinigkeiten von außen betrachtet, ja schon Meilensteine. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, das ist ein bisschen Kaffeesatzlesen, solange sie kein Challenge-Experiment machen. Natürlich könnte man sagen, so ganz normal früher in China vor langer, langer Zeit, als die ersten Pockenimpfstoffe dort entwickelt wurden, da hätte man einfach ein paar Soldaten genommen und die versuchsweise geimpft und dann mit dem Virus konfrontiert. Um zu schauen, ob sie krank werden. Weil wir das nicht machen, müssen wir irgendwelche Surrogatmarker, wie wir das nennen, finden. Und ich finde, dass das sehr optimistisch ist, soweit. Und die Frage, die wir nicht beantwortet haben bis jetzt, ist, ob das bei älteren Menschen tatsächlich immer noch gut funktioniert. Also ob wir da einen Impfschutz hinkriegen. Weil die ja ein schwächeres Immunsystem haben. Und auf die kommt es bei SARS-CoV-2 besonders an. Wir wissen aber, dass diese Schimpansen-Adenovirus-Vaccine, also das ganze Prinzip, dass das eigentlich bei älteren Menschen ganz gut funktioniert. Da gibt es ältere Daten dazu, wo man das mal gemacht hat. Das heißt, ich bin da ganz optimistisch, dass wir hier auf einem auf einem sehr, sehr guten Weg sind. Es wird ja mit AstraZeneca, einem riesigen Pharmakonzern, zusammen entwickelt. Und ich bin da ganz optimistisch, dass ein Impfstoff dabei rauskommt, der zumindest funktioniert.

[0:16:44]

Camillo Schumann

Interessant ist ja das Thema Nebenwirkungen im Vergleich zur Kontrollgruppe. Da wurde Meningitis-Impfstoff verwendet. Da verursachte die SARS-CoV-2-Impfung häufiger geringfügige Nebenwirkungen. Da kann man Paracetamol nehmen. Da wurden dann diese Nebenwirkung reduziert, und am häufigsten wurde über Kopfschmerzen und Müdigkeit berichtet. Das ist eigentlich noch verkraftbar. Oder wie schätzen Sie das ein?

Alexander Kekulé

Ja, doch, das ist die Achillessehne dieses ganzen Konzepts, muss man sagen. Zum einen, weil wir wissen, dass diese Adenovektor- Impfstoffe häufiger Nebenwirkungen machen. Darum schauen wir da ganz genau drauf. Also sozusagen bei der Wirksamkeit kann man noch nicht ganz ein Haken dahinter machen, aber optimistisch sein. Aber bei den Nebenwirkungen – ja, da ist es eben so, dass die überhaupt die diejenigen, die sozusagen die Kontrolle waren, dass die denen nicht einfach Placebo, also irgendwie Wasser, gegeben haben, sondern einen anderen Impfstoff. Und auch noch einen Meningokokken-Impfstoff, wo man weiß, dass der auch nicht so wenig Nebenwirkungen hat. Also ein Hirnhautentzündungsimpfstoff. Das deutet natürlich schon darauf hin, dass die selbst befürchtet haben, dass, wenn sie das gegen Null sozusagen testen, das dann die Nebenwirkungen quantitativ relativ stark aussehen. Und selbst im Vergleich zu diesem anderen Impfstoff ist es doch schon deutlich mehr gewesen. Bei dem Versuchsimpfstoff, bei dem SARS-CoV-2 Impfstoff, da wird es immer Leute geben, die sagen: Mir tut der Arm weh. Oder die sagen: Ich fühle mich schlapp. Das ist normal, das wird ja auch subjektiv abgefragt. Und da würde ich mir erst mal keine Sorgen machen. Was wir hier aber beobachten, sind doch relativ häufig sogenannte systemische Nebenwirkungen. Also nicht so besonders an der Einstichstelle, sondern dass der Patient insgesamt zum Beispiel Kopfschmerzen kriegt. Langanhaltende Kopfschmerzen für eine Zeit oder auch so fieberartiges Gefühl, ohne wirklich Fieber zu haben. So ähnlich wie Schüttelfrost und generalisierte

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Muskelschmerzen, sodass sich das nach der Impfung eigentlich anfühlt, wie eine beginnende Virusinfektion. Und das sind genau die Sachen, die eben bei diesen Adenovirus- Impfstoffen gelegentlich auftreten. Da muss man sehr genau hinschauen, ob das nicht, wenn jetzt mehr als diese in diesem Fall 1.000 Patienten da untersucht wurden, - beziehungsweise nur die Hälfte davon, ungefähr 540 haben den Impfstoff gekriegt. - wenn es jetzt mehr ist, ob dann die Nebenwirkungen nicht zunehmen und ob die in einen Bereich gehen, wo die Menschen dann sagen nehmen es mir so schlecht geht dann, dann will ich das eigentlich nicht. Wir haben einen zugelassenen Impfstoff – da wurde auch diese Diskussion in Deutschland rauf und runter geführt, wenn sie sich erinnern an die Windpocken-Impfung – und das ist ein Impfstoff, der ist zugelassen, der hat wahrscheinlich auch relativ viele Nebenwirkungen. Zumindest die aktuellen Daten sehen noch so aus. Da gibt es aber eine Diskussion, ob man das jetzt machen soll oder nicht. Und die Kinderärzte diskutieren darüber. Und wenn wir so eine Diskussion wegen der Nebenwirkungen dann hinterher haben, bei den bei dem SARS-CoV-2, dass wir die Pandemie nicht bekämpfen können, weil die Leute sagen: Nein, den nehme ich nicht. Dann wird es natürlich ein Problem.

[0:19:55]

Camillo Schumann

Aber so grundsätzlich: Man kennt das ja auch von der von der Grippeschutzimpfung. Wer die verabreicht bekommt, das erste Mal klagt er dann danach auch über möglicherweise Fieber oder ihm geht es nicht so richtig gut, und schildert genau das, dass er das Gefühl hat, sich gerade infiziert zu haben. Das gehört auch irgendwie schon fast mit dazu. Oder?

Alexander Kekulé

Also das genau. Aber die Frage ist eben, wie oft ist es, und wie stark ist es. Das ist ein gutes Beispiel. Also die Influenza-Impfung, die Grippeschutzimpfung ist eine der sichersten mit den geringsten Nebenwirkungen. Die hat die kleinste lokale und systemische Reaktogenität, wie wir sagen. Also der Körper reagiert noch am wenigsten. Und wenn Sie das

so als Basislinie nehmen, dann kann man sagen, dass dieser Impfstoff, wie er da in Oxford gerade entwickelt wird, deutlich mehr Nebenwirkungen hat. Zumindest was diese Zwischenauswertung erstmal betrifft. Man muss aber dazu sagen, die Dosis ist noch nicht ganz klar. Also hier wurde, weil man das in einer Zeit gemacht hat, wo man eine große Zahl von Patienten in Großbritannien hatte und die Krankheit ganz schlimm getobt hatte auf der Insel, hat man von vornherein für dieses Protokoll hier eine relativ hohe Dosis genommen. Da hat man von vornherein 100 Milliarden Impfstoffe verimpft. Das ist relativ viel. Und mit dieser Dosis hat man einen sehr guten Effekt gesehen. Also, wenn man das zweimal gibt, war bis zu 100 % der Probanden waren dann hinterher geschützt, zumindest, was das Laborexperiment aussieht, scheinbar geschützt gegen Covid-19. Vielleicht kann man mit dieser Dosis noch ein bisschen runter gehen. Das ist eine Möglichkeit, das wird man jetzt als nächstes sehen. Diese Nebenwirkungen sind wohl ziemlich deutlich dosisabhängig gewesen, auch in diesem Experiment. Und ja, das wäre eine Chance, die man hat. Aber ich glaube, am Ende des Tages wird das Thema Nebenwirkungen: Man muss sich vorstellen, wir wollen ja wirklich Millionen, Milliarden von Menschen damit impfen. Und wenn sie Nebenwirkungen haben, die dann in Anführungszeichen nur 1:10.000 auftreten, aber dann Todesfolge haben könnten durch eine Überreaktion des Immunsystems, zum Beispiel, dann ist der Impfstoff eigentlich nicht brauchbar für diese Anwendung. Und deshalb ist das Ganze viel schwieriger als nur zu zeigen, dass im Neutralisationstests der Titer hochgeht.

[0:22:17]

Camillo Schumann

Also 500 Personen waren es dort, und Sie haben es ja gesagt: Für Milliarden Menschen muss dieser Impfstoff produziert werden und die Nebenwirkungen auf ein Minimum reduzieren. Aber wie individuell Menschen auf das Virus oder möglicherweise einen Impfstoff reagieren, zeigt eine neue Studie aus den USA. Diese Studie teilt die Menschen, grob gesagt, in drei Immuno-Typen ein. Und dieser Typ entscheidet dann darüber, wie die Krankheit

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verlaufen wird und wie schwer sie verlaufen wird. Also spielen die Gene dann gewaltiges Wörtchen mit, oder?

Alexander Kekulé

Ja, also mich begeistert diese Studie. Aber das ist natürlich ein bisschen akademisch. Ich verstehe jeden, der dann sagt, die Details sind ihm dazu fein.

Camillo Schumann

Dann machen Sie es so, dass wir es alle verstehen.

Alexander Kekulé

In „Science“, einem unserer Top-Journale ist das letzte Woche erschienen. Die haben als 125 Patienten genommen und zwar solche, die relativ starke immunologische Reaktion gezeigt haben. So etwas Ähnliches wie ein Zytokinsturm, in diese Richtung, die eben deutlich reagiert haben. Und haben die dann untersucht, was machen die B-Zellen, also diese Zellen, die Antikörper produzieren? Und was machen verschiedene Sorten von T- Zellen? Das sind auch weiße Blutzellen, Lymphozyten. Die kann man aber wieder weiter unterscheiden, so die ganz einfache erste Stufe der Unterscheidung sind die T4- Zellen. Das sind Helferzellen, die das Immunsystem stimulieren. Und die T8-Zellen, das sind Suppressor-Zellen, die das Immunsystem eher dämpfen. Und da haben die das durch einen Riesencomputer laufen lassen und mit einem ganz tollen Verfahren analysiert, welche Zellen aktiviert wurden. Und das Ganze mit den Laborwerten der Patienten korrelieren. Dann finden die eben diese drei Gruppen. Und die eine Gruppe, die am ehesten schwere Symptome hat, die zeigt eben, dass eine ganz starke Reaktion dieser T4- , dieser T-Helferzellen da ist. Und dass die T8- Zellen, also diese T-Suppressor-Zellen auch superstark aktiviert sind, so stark, dass sie wahrscheinlich erschöpft sind. Also dass man quasi eine Überstimulation hat. Dass diese Zellen, die normalerweise der zweite Zügel sind, der das Bremsen soll das Ganze, dass die irgendwie ausgepowert und aufgebraucht sind. Das ist der eine Typ, der besonders schlimm reagiert.

Und dann gibt es einen anderen Typ, der so ganz normal reagiert. Das unwahrscheinlich die Menschen, für die das so etwas wie eine normale Erkältung ist oder so. Bei denen ist die Aktivität dieser Suppressor-Zellen, also der Zellen, die das Immunsystem bisschen dämpfen, deutlich höher als die Aktivität der Aktivator-Zellen, also diese T4-Helferzellen. Und da sieht man jetzt plötzlich, aha, wenn diese aktivierenden Zellen zu stark sind, dann läuft es aus dem Ruder. Und wenn die anderen Zellen, diese Unterdrücker-Zellen, Bremser- Zellen, stärker sind, dann ist das Ganze im Lot. Und die dritte Gruppe ist ganz interessant. Die hat überhaupt keine messbare Aktivierung gehabt von diesem ganzen T-Zellen-System. Und da ist natürlich der Verdacht im Raum, dass das Leute sein könnten, die gar keine Symptome zeigen. Die also dann Virusausscheider sind, ohne dass man es merkt. Und das ist, finde ich, ein ganz wichtiger Anknüpfungspunkt, dass wir vielleicht demnächst solche Risikogruppen durch genetische Tests auseinanderhalten können.

[0:25:26]

Camillo Schumann

Genetische Tests, das wäre sozusagen die eine Schlussfolgerung, die man daraus ziehen kann. Aber müssten diese Erkenntnisse nicht auch in die Forschung nach einem wirkungsvollen Impfstoff einbezogen werden?

Alexander Kekulé

Das muss man natürlich. Ja, das ist ganz wichtig. Man muss natürlich, sobald man dann quasi genetische Unterschiede in der Bevölkerung feststellt – und die gibt es ja im Immunsystem massenweise. Das Immunsystem hat eine viel größere Bandbreite von Unterschieden. Da wären wir alle extrem unterschiedliche. Man würde gar nicht erkennen, dass wir zur gleichen Spezies gehören auf den ersten Blick. Und das muss man natürlich. Wenn man das auseinanderhalten kann, muss man das berücksichtigen bei der Wirksamkeit von Impfstoffen. Nicht, dass man irgendwelche Gruppen mit bestimmten genetischen Eigenschaften übersieht bei der Testung. Und die haben dann entweder keinen Immunschutz oder größere Nebenwirkungen.

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[0:26:16]

Camillo Schumann

Besonders eine Risikogruppe setze große Hoffnungen auf einen Impfstoff. Das sind ältere Menschen. Sie haben es ja schon angesprochen. Aber gerade bei den älteren Menschen sind die Zellen möglicherweise schon quasi dauerentzündet, dass ein Impfstoff möglicherweise gar nicht vertragen wird. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, das ist das ist eine ganz interessante, ich nenne es immer noch eine Theorie. Ich glaube, die Leute, die diese Theorie erforschen, die werden jetzt schimpfen und sagen: Nein, das ist aber bewiesen. Das dieses Konzept vom sogenannten Inflammaging, heißt es auf Englisch. Das ist also inflammation heißt Entzündungen, und aging heißt altern. Und Inflammaging heißt, dass quasi im Alter so eine Basis-Entzündungsaktivität langsam zunimmt. Wir sehen es tatsächlich bei bestimmten Untersuchungen der kleinen Gefäße, dass die immer so eine Art Dauerentzündung an der Oberfläche haben im Alter. Und die wird zum Beispiel mit Arteriosklerose in Zusammenhang gebracht. Aber wie das genau ist und ob das genauso ist wie diese Verfechter der Theorie sich das so vorstellen, da ist noch ein Fragezeichen dahinter. Jetzt gibt es sozusagen dann zwei Aspekte, wenn man den Impfstoff bei alten Menschen anschaut. Der eine ist, dass wir diese Dauerentzündung haben. Und da wird vermutet, dass durch diese Dauerentzündung die Wirksamkeit von Impfstoffen nachlässt. Weil die einfach, das kann man sich so simpel vorstellen, da ist das Immunsystem sowieso schon ständig aktiviert, und dadurch schafft es der Impfstoff nicht, zusätzlich dann noch eine Aktivierung herbeizuführen, was nötig ist, damit man immun wird. Und die andere Richtung, die man aber auch im Auge haben muss, ist, dass die Immunzellen auch altern. So wie jede andere Zelle im Körper auch. Im Alter sehen wir schlechter und hören schlechter. Und auch unser Immunsystem wird schwächer. Und das führt dazu, dass man grundsätzlich auf Impfungen aus einem anderen Grund schlechter reagiert, einfach aufgrund einer

gewissen Erschöpfung des Immunsystems. Und jetzt müssen wir mal sehen, welcher Faktor da eine Rolle spielt. Also ich glaube, dass dieses Covid-19 für die ganze Impfstoffentwicklung und für das Verständnis von altersabhängigen Wirkungen bei Impfstoffen einen enormen Schritt nach vorne machen wird. Vielleicht verstehen wir sogar hinterher die ganze Influenza-Impfung, die uns ja immer noch plagt, besser. Es gibt so ein Projekt, wo ganz viele Nebeneffekte bei rauskommen, die insgesamt der Gesundheit der Menschen helfen können.

[0:28:41]

Camillo Schumann

Insgesamt gibt es ja 20 so aussichtsreiche Impfstoffkandidaten. Und die Bundesregierung hat ordentlich Geld in die Hand genommen. 750 Millionen Euro für ein Sonderprogramm zur Impfstoffentwicklung. Das Wirtschaftsministerium beteiligt sich zum Beispiel an CureVac mit 300 Millionen Euro. Auf EU-Ebene gibt es ja auch noch Impfstoffinitiative. Mit 230 Millionen Euro ist die Bundesregierung da dabei. So in ihren Augen, Herr Kekulé, tut die Bundesregierung das Richtige und genug, damit schnell viele Menschen geimpft werden?

Alexander Kekulé

Das ist eine schwierige Frage, weil wir nicht wissen, welches Pferd gewinnen wird am Schluss. Die Bundesregierung setzt hier auf deutsche Pferde erstmal und hofft, dass die das Rennen machen werden. Es wäre sicher eine falsche Entscheidung zu sagen naja, international gibt so viel Konkurrenz, da müssen wir jetzt nicht auch noch was machen, weil wir vielleicht sowieso nicht unter den Top drei landen werden. Ich glaube, dass es auf jeden Fall, auch wenn möglicherweise in einer der vielen anderen Kandidaten zuerst sozusagen durch die Ziellinie geht, und auf dieser Basis dann die Impfstoffe weltweit hergestellt werden, dann gibt es ja zwei wichtige Effekte. Das eine ist, dass es sicherlich nicht nur einen Impfstoff geben wird am Ende des Tages, sondern mehrere, die in Konkurrenz produziert werden. Da wird es dann vielleicht einen sehr guten und eine nicht ganz so guten geben. Aber es geht ja auch um Verfügbarkeit

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von diesen Impfstoffen. Deshalb ist es sicherlich sinnvoll, auch wenn man dann vielleicht den als dritten produzierten Impfstoff unterstützt hat, dass man da mit im Rennen ist. Der zweite Aspekt ist, dass die Bundesregierung natürlich dadurch, dass sie hier investiert und das Europa mitmacht, dadurch sichert man sich ja letztlich den Zugang zu den Impfstoffen, wenn sie dann da sind. Weil, da wird sicherlich ein Verteilungswettkampf geben, und dass man da sich beteiligt hat, auch mit sehr viel Geld. Da ist es auf jeden Fall ein gutes Argument. Und schließlich darf man nicht aus den Augen verlieren, dass es natürlich die europäische und deutsche Forschung einen enormen Schritt nach vorne bringt. Und das ist dann auf jeden Fall gut investiertes Geld. Man muss im Einzelfall gucken, dass man nicht aus Versehen Firmen fördert, also nur quasi innerhalb der Mauern einer bestimmten Firma das Geld des das Geld ausgibt, die quasi an der Börse und am Markt alleine keine Überlebenschancen hätten. Aber ich hoffe sehr, dass das Wirtschaftsministerium diese Frage geprüft hat und dass das das Geld zum großen Teil wirklich in die Forschung geht und nicht in strukturelle Dinge, die mit den Firmen dann zu tun haben.

[0:31:17]

Camillo Schumann

Wir müssen noch über eine Schlagzeile sprechen, über die vermutlich viele Tausende werdende Mütter gestoßen sind in den vergangenen Tagen und jetzt möglicherweise auch sehr verunsichert sind. Die Schlagzeile lautet: „Schwangere können Ungeborenes wohl im Mutterleib mit Coronavirus anstecken“. Also welche werdende Mutter macht sich nach so einer Schlagzeile keine Gedanken? Wir müssen deshalb mal kurz drüber reden, weil es ja auch ein Einzelfall war und die Umstände, die dazu geführt haben, ja auch betrachtet werden müssen. Aber mal so grundsätzlich, Herr Kekulé, was denken Sie, wenn Sie solche Überschrift lesen?

Alexander Kekulé

Ja, ich bin da vorsichtig, weil ich gehe, wie glaube ich die meisten Kinderärzte und Frauenärzte, einfach vom klinischen Bild aus. Und wir haben ja viele Beispiele, wo

Neugeborene infiziert wurden, wo kleinste Kinder infiziert wurden. Und es sieht so aus, als wäre das SARS-CoV-2 kein Virus, was jetzt insbesondere bei Kindern oder Schwangeren besonders gefährlich ist. Das sind zumindest bisher die Daten. Es kann natürlich sein, wenn man dann eine größere Zahl hat, dass sich das noch einmal ändert. Aber im Moment ist es nicht der Fokus, wo wir Angst haben müssen. Ja, und jetzt ist hier diese eine Studie aus Frankreich, die ist gerade veröffentlicht worden. Da hat man ein Neugeborenes gehabt, dass also positiv war auf SARS-CoV-2. Das Kind wurde dann auch auf der Intensivstation behandelt, unter Sicherheitsbedingungen, dass es niemanden ansteckt.

[0:32:44]

Camillo Schumann

In dem ganz konkreten Einzelfall aus Frankreich dort spielte, das sagen die Ärzte – bisher sei nicht sicher gewesen, ob Neugeborene, bei denen das Coronavirus nachgewiesen wurde, entweder bei der Geburt oder bereits im Mutterleib angesteckt wurden – und das sei nun klarer.

Alexander Kekulé

Hier hat man eben die Plazenta, den Mutterkuchen, genauer untersucht. Man hat wirklich festgestellt, dass nicht nur in dem Blutsystem des Kindes, sondern auch in den Zellen, die quasi auf der Seite des Kindes sind in der Plazenta. In der Plazenta gibt es quasi so eine Schranke zwischen mütterlichem und kindlichem Blutkreislauf. Und da hat man gezeigt, dass die Virusvermehrung auch stattgefunden hat, zumindest in der einen Arbeit ist das gezeigt worden, wenn es stimmt. Auf der Seite, die zum Kind gehört, zum Fötus gehört vor der Geburt. Und das ist natürlich schon ein deutlicher Hinweis darauf, dass zumindest in den letzten Wochen der Schwangerschaft, vorher wahrscheinlich nicht, das Virus auf das Kind übergehen kann und dann auch im Kind sich vermehren kann. Wobei wir eben noch gar nicht wissen, ob das irgendwelche krankmachenden Konsequenzen hat.

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[0:33:49]

Camillo Schumann

Genau Sie haben es ja gerade eben gesagt, es war relativ spät zum Zeitpunkt der Schwangerschaft, und die Rahmenbedingungen waren auch sehr individuell. Und es ist ein Einzelfall. Also das ist sozusagen etwas, was man jetzt nicht anwenden kann und repräsentativ schon gar nicht. Und werdende Mütter müssen sich jetzt keine Gedanken machen.

Alexander Kekulé

Also zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Es ist ja so, dass werdende Mütter sowieso immer vorsichtiger sind, als, sage ich mal, die Durchschnittsbevölkerung, aus anderen Gründen. Und das mit gutem Grund dann. Man kann vielleicht folgendes zur Beruhigung sagen: Also alle Viren, von denen wir wissen, dass sie in der Schwangerschaft Schäden machen, also so typische Schäden beim ungeborenen Kind. Alle diese Viren machen Infektionen früh in der Schwangerschaft und dann typischerweise in der Weise, dass, wenn Organe noch entwickelt werden, dass sie da in dieser Entwicklung Störungen machen. Ob ein Virus, was dann spät in Schwangerschaft ein Kind infiziert irgendeinen Effekt hat, ist eigentlich gar nicht zu vermuten. Weil das gleiche Kind ist. Ja, wenn Sie so wollen, eine Minute nach der Geburt, dann eben kein Fötus mehr, sondern draußen ein eigener Mensch. Und da wissen wir ja, dass kleinste Kinder bei der Infektion durch dieses Virus natürlich geschädigt werden können, wie alle anderen auch. Aber dass diese Schäden einfach extrem selten sind. Sodass man sagen kann, ein Kind kurz vor der Geburt, ist eigentlich wahrscheinlich so ähnlich wie ein Kind kurz nach der Geburt. Und das heißt im Moment, kein Grund für Alarmismus.

[0:35:16]

Camillo Schumann

Wir kommen zu den Hörerfragen. Frau M. aus Magdeburg hat uns geschrieben:

„Ich sehe ständig Menschen, die ihren Mund- Nasen-Schutz nicht über die Nase ziehen. Warum ist es eigentlich so wichtig, dass der Mund-Nasen-Schutz auch über die Nase

gezogen wird? Ist der Mundschutz wirklich wirkungslos, wenn die Nase frei bleibt?“

Alexander Kekulé

Das Wichtigste ist natürlich in Deutschland, dass das so vorgeschrieben ist. Mund und Nase müssen bedeckt sein. Medizinisch gesehen, ja jemand, der keine Schnupfen hat und der durch den Mund ausatmet. Also ich habe solche Geschichten schon gehört, dass Leute sagen: „Ja, ich atmete durch die Nase ein und durch Mund aus. Und das hilft mir, weil, wenn ich quasi arbeiten muss und keine Luft kriege durch diesen Mundschutz und durch die Nase einatmen kann, das ist für mich angenehmer.“ Wenn jemand das atemtechnisch draufhat, wird es natürlich schwierig zu erklären, warum der dann seine Umwelt gefährdet. Er würde höchstens natürlich selber, wenn ein Superspreader nebenan steht, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, von dem mal eine Viruswolke einzuatmen. Und durch die Nase kann man sich natürlich infizieren. Aber andersrum, wenn jemand hochinfektiös wäre und nur durch die Nase ein- und ausatmen würde, dann würde natürlich auch aus der Nase wahrscheinlich ein Teil des Virus abgeatmet. Ob das dann so viel ist, wie aus einem Mund, also, ich würde raten, eher weniger. Und zwar aus dem Grund, weil wir wissen, dass wenn wir Menschen schreien oder singen, das dann höchstwahrscheinlich besonders viele Viren abgegeben werden. Das kriegt man irgendwie durch die Nase nicht hin. Und der Weg ist auch so um die Ecke durch die Nase raus, sodass ich sagen würde ja, die Virusausscheidung wird wahrscheinlich reduziert, wenn man nur durch die Nase atmet und einen Mundschutz hat. Das ist dann so eine Sache. Also ich als Gesetzgeber würde auch sagen: Mund und Nase bedecken. Als nächstes rutscht das Ding dann aufs Kinn runter. Dann sagt jemand, naja, im Zweifelsfall, wenn ich es brauche, ziehe ich es schnell wieder hoch. Beim Ausatmen ziehe ich es immer hoch. Keine Ahnung, was dann als Nächstes kommt. Diese Dinge müssen ja auch irgendwie kontrollierbar sein. Und deshalb bin ich eigentlich dagegen, jetzt die Feinheiten so auseinanderzunehmen.

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[0:37:27]

Camillo Schumann

Okay, ich glaube, die die Antwort und was Sie sagen wollen, ist angekommen.

Herr Kekulé, ein Schiffsarzt hat uns geschrieben. Er möchte seinen Namen nicht nennen. Er schreibt:

„Ich arbeite im Bord-Hospital eines Kreuzfahrtschiffs. Nachdem alle Kreuzfahrten ausgesetzt wurden und nur noch die Crew an Bord verblieb, sollen nun bald wieder die ersten Fahrten mit Passagieren starten. Alle Reedereien haben neue Hygienekonzepte entwickelt, die beispielsweise beinhalten, dass vor dem Aufstieg die Temperatur gemessen wird, dass die Passagiere einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen müssen, dass es Abstandsregelung, vermehrte Desinfektion und eine Maskenempfehlung gibt. Wir Schiffsärzte und -ärztinnen sind uns aber weitgehend einig, dass dennoch ein wichtiger Faktor fehlt. Nämlich eine verpflichtende PCR- Testung für alle Passagiere, die vor dem Aufstieg nicht älter als 48 Stunden sein darf. Damit bestünde zwar immer noch ein Restrisiko, aber es würde doch stark gemindert. Für die Crew ist ein solcher Test verpflichtend. Außerdem wird eine zweiwöchige Quarantäne an Bord verlangt von der Crew.“

Und jetzt die Frage.

„Wir Ärzte und Ärztinnen sorgen uns deshalb um die Gesundheit unserer Crew und halten es für unverantwortlich, den PCR-Test nicht zu verlangen. Allerdings haben die Hafenbehörden und das RKI die nicht Notwendigkeit des Tests abgenickt. Was halten Sie davon? Ganz kurz: Ich habe das RKI angefragt, ob diese PCR-Tests nicht verpflichtend empfohlen werden? Und die Antwort war, man wolle sich dazu nicht äußern.“

So jetzt ihre Antwort.

[0:38:56]

Alexander Kekulé

Naja, das RKI ist da vorsichtig, weil die sagen, zum Einzelfall äußern wir uns lieber nicht. Weil wir da nicht genau wissen, wie die Details sind. So ähnlich geht es mir natürlich auch. Über diesen einzelnen konkreten Fall kann ich nichts

sagen. Weil das kommt sehr darauf an, was für Hygienekonzepte man dann hat und Ähnliches. Man kann aber grundsätzlich sagen: Ein Kreuzfahrtschiff ist ein absoluter Hochrisikobereich, das wissen wir von konkreten Ausbrüchen. Das kann man auch theoretisch sagen. Das ist nicht ganz so schlimm, wie vielleicht eine Zerlege-Halle von der Fleischverarbeitung. Aber es geht in so eine Richtung. Das heißt also wir haben einen Hochrisikobereich. Wir haben Menschen, die da lange Zeit zusammen sind und dann auch fernab der medizinischen Versorgung betreut werden müssen. Ich bin der Meinung, dass man bei solchen Bereichen wirklich als letztes die Zügel lockern sollte, sondern dort erst mal anfangen sollte mit einem Sicherheitskonzept, was, wenn ich mal so sagen darf, mit Gürtel und Hosenträger arbeitet. Deshalb bin ich der Meinung, dass es sinnvoll ist, auf Kreuzfahrtschiffen wirklich die Menschen einmal zu testen, bevor sie an Bord gehen, so wie es mit der Crew ja auch gemacht wird.

Camillo Schumann

Und ganz kurz nach nachgefragt. Wenn die Passagiere dann an Bord sind, dann auch noch mal regelmäßig testen oder kann man, wenn man so einen Anfangstest hat, darauf dann verzichten?

Alexander Kekulé

Das kommt ein bisschen darauf an, wie lange die an Bord sind. Und was die dann machen. Wenn es so ist, dass man einmal einschifft und die die Personen sind dann im Prinzip alle gemeinsam, sage ich mal, eine Woche unterwegs und verlassen nach einer Woche wieder das Schiff, dann ist es meines Erachtens unkritisch. Wenn man natürlich so eine längere klassische Kreuzfahrt hat, wo dann nach vier Tagen noch Leute zusteigen, nach einer Woche noch einmal Leute zusteigen, wo Landurlaub zwischendurch ist, wo man auch das Schiff verlassen kann, paar Tage in der Stadt bleiben kann und mit dem nächsten weiterfährt und Ähnliches: Dann ist es durchaus sinnvoll, das zu wiederholen. Ich würde sagen, so einmal die Woche vielleicht, die Tests zu wiederholen. Klar ist es so, dass diese Tests keine hundertprozentige Sicherheit bieten, aus verschiedenen Gründen. Das eine wird ja auch

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immer gesagt, es könnte ja jemand gerade in der Inkubationsphase sein. Und in der Phase, wo der Test noch nicht positiv ist. Also wird negativ getestet. Am Tag ist er positiv. Das Argument ist auch vorgebracht worden, als ich immer plädiert habe für die Einreisekontrollen, die inzwischen ja zum Glück eingeführt werden. Der ist dann immer gesagt worden: Ja, das Argument zählt für mich nicht, weil es ist ja so, wenn Sie einen Teil der Menschen nicht erwischen, dann haben wir hier in der Situation einfach einen von 100 Infizierten oder so, die Ihnen durch die Lappen gehen. Das ist immer noch viel besser, als alle durchzulassen, die infiziert sind. Und deshalb glaube ich, dass man in so einer Kreuzfahrtsituation keine Sicherheit schafft. Man muss trotzdem die Abstandsregeln und so weiter beachten. Aber dass man die Sicherheit deutlich erhöhen kann, indem man die Person, bevor sie an Bord geht, getestet hat.

[0:41:54]

Camillo Schumann

Das zu den Kreuzfahrtschiffen. Diese Dame hat angerufen und eine sehr konkrete Frage zu UVC-Lampen.

„UVC-Lampen sollen in Flughäfen, Boutiquen, Supermärkten usw. die Verbreitung des Virus vermeiden. Ich bin da sehr skeptisch und würde gerne Ihre Einschätzung haben, vielen Dank.“

Ja, diese Dame ist skeptisch. Sie auch?

Alexander Kekulé

Ja, also, so grundsätzlich funktioniert das nicht. Da wird viel Geld gemacht oder das versucht, im Moment. Das Problem bei diesen ganzen Lampen ist oder Inaktivierungssystemen ist immer das Gleiche. Sie haben ein System, wenn sie da Luft durchleiten mit Viren drin, und diese Luft direkt an einer, zum Beispiel UVC Röhre vorbeigeht, also an einer Leuchtstoffröhre, die einen starken Anteil von ultraviolettem Licht hat, was natürlich Viren abtöten kann. Ja, dann haben sie in der Luft, die dort behandelt wurde, vielleicht 99,9 % der Viren abgetötet. Aber wenn jetzt nur 0,1 %der Raumluft dadurch geleitet wurden, dann ist das ein Effekt, der eigentlich nichts bringt. Sodass das ganze Problem immer das Gleiche

ist: gleichmäßig den ganzen Raum sozusagen immer wieder an diesem Inaktivierungsgerät vorbeizuleiten. Und da können Sie sich den Kopf zerbrechen. Das ist wahnsinnig schwierig. Das wird für OPs ja versucht, genau mit solchen Techniken. Da müssen Sie wirklich sehr, sehr viel Geld in die Klimatechnik investieren. Damit das eine gleichmäßige Verdrängungslüftung gibt, wo am Ende des Tages das die frisch zugeführte Luft immer an der UV-Lampe vorbeigeht. Also ich, ich glaube, das ist so für den Alltag, wo man Menschen hat, die sich bewegen und die dadurch natürlich auch die Luft verquirlen ständig, und wo man natürlich die Räumlichkeiten nicht mit wahnsinnig viel Geld mit Lüftungstechnik ausstatten kann. Ich glaube, für den Alltag ist so was ungeeignet.

[0:43:44]

Camillo Schumann

Dann hat Herr C. uns gemailt und geschildert, wie er sich vor dem Virus schützt. Wenn er Durchgangsverkehr hat, also ihm sozusagen jemand entgegenkommt und er keine Maske auf hat, hält er einfach die Luft an. Bringt das was, die Luft anzuhalten?

Alexander Kekulé

Ja, also ja, wenn sie in dem engen Treppenhaus sind und Ihnen kommt jemand hustend die Treppe entgegen und Sie können nicht ausweichen. Dann würde ich versuchen, dem nicht ins Gesicht zu sehen, aus kürzerem Abstand. Jetzt sage ich mal ganz ehrlich, Luftanhalten ist eine naheliegende Idee. Das sollte man aber dann auch ein paar Schritte länger machen. Weil der ja wahrscheinlich schon einen längeren Weg zurückgelegt hat in diesem Treppenhaus. Und so ein paar Sekunden halten sich die Viren dann schon in der Luft. Also, wer länger die Luft anhalten kann, viel geübt hat beim Apnoetauchen ist da klar im Vorteil.

Camillo Schumann

Also Luftanhalten und dann nicht vergessen, wieder zu atmen. Herr Kekulé, wir sind am Ende von Ausgabe 84. An dieser Stelle mal der Hinweis an alle Hörer dieses Podcasts, die gerade im Urlaub sind. Egal, wo sie unterwegs sind: Schreiben Sie uns doch mal, wie an ihrem

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Urlaubsort Hotel etc. mit diesen Abstands- und Hygieneregeln umgegangen wird, auf welche vielleicht kreative Lösung Sie in Ihrem Urlaub gestoßen sind, oder vielleicht wo, was richtig schiefläuft. Schreiben Sie uns. Das würden wir gerne mal besprechen hier im Podcast.

Herr Kekulé, vielen Dank. Wir haben uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Danke Ihnen, bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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Samstag, 18.07.2020 #83 Hörerfragen-SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Samstag 18. Juli 2020. 1. Welche Bedeutung hat die Spezifität bei sinkenden Fallzahlen und was ist das? 2. Machen Masken vielleicht krank? 3. Viele Fragen zu Aerosolen, Büros, Zahnarztbesuchen, etc.

Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin ein Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Die kompetenten Antworten kommen vom renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wir beginnen mit Frau F.: Sie hat uns gemailt und will wissen: „Ist eine Neuinfektion 2-3 Tage nach dem Infiziert-Werden schon im Test nachweisbar?

[0:01:53]

Alexander Kekulé

Typischerweise nicht, nein. Wir gehen davon aus, dass der Test in der Regel am Tag vor dem Ausbruch der Symptome positiv wird. Der typische Tag, an dem die Symptome ausbrechen, ist der 5. Tag. Das kann sicherlich schwanken. Es gibt einzelne Fälle, wo schon am 2.-3. Tag Symptome auftraten. Und man weiß, dass es in Extremfällen auch 14 Tage gedauert hat. Oder noch länger in Einzelfällen. Aber typisch wäre,

dass der Test am 4. Tag positiv wird und man am 5. Tag Symptome hat.

[0:02:16]

Camillo Schumann

Herr A. hat folgende Frage per Mail gestellt: Es geht um den schönsten Tag im Leben. „Unsere mit 100 Gästen geplante Hochzeit haben wir im Mai coronabedingt absagen müssen. Und nun zunächst auf Ende Oktober verschoben. In NRW, wo die Feier stattfinden soll, sind zzt. private Veranstaltungen mit bis zu 50 Gästen erlaubt. Mal angenommen, die Grenze wird bis Oktober auf 100 Teilnehmer erhöht. Würden Sie uns raten, eine Feier in diesem großen Rahmen stattfinden zu lassen? Falls ja, welche Schutzmaßnahmen sollten wir beachten? Viele Grüße.

[0:02:01]

Alexander Kekulé

Wenn es im Sommer ist und man viel im Freien stattfinden lassen kann und wenn es keine Bereiche gibt, wo sich die Leute wahnsinnig knubbeln ... Es ist immer das Problem bei Hochzeiten. Man muss in Kauf nehmen, dass Menschen miteinander tanzen, die sich vorher nicht kannten und sich dabei infizieren. Als Veranstalter kann man den Gästen empfehlen, sich testen zu lassen. In Bayern kann man das angeblich umsonst machen. Oder man sagt, man schützt die älteren Menschen besonders. Man nimmt sie raus, damit sie nicht so viel Kontakt zu den anderen haben. Man wird sich für so eine Veranstaltung, so, wie für öffentliche Veranstaltungen, ein Hygienekonzept überlegen müssen. Wenn man das macht, glaube ich, kann man das durchaus durchführen.

[0:03:05]

Camillo Schumann

Jetzt ist die Hochzeit Ende Oktober. Ist es nicht gerade ein goldener Herbst, wird die Veranstaltung in geschlossenen Räumen stattfinden. Bei 100 Personen, Sie sprachen über die älteren Gäste, sollte man die abends separieren? Oder eher nach Hause schicken?

[0:03:22]

Alexander Kekulé

Also, das ist jetzt echt schwierig. Wir wissen ja noch nicht, wie dann das Infektionsgeschehen

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drumherum ist. Wenn das wirklich im geschlossenen Raum stattfindet und keine Riesen-Halle ist ... Bei 100 Leuten ist es netter, wenn man nicht einen zu großen Raum hat. Da muss man ganz klar sagen, da kann ein Super- Spreader so eine Hochzeit zu einem nachhaltig negativen Erlebnis machen. Wie groß die Gefahr in der Region dann ist, wo die Veranstaltung stattfindet und wie groß das Risiko durch die Gäste ist, kommt darauf an, wer da alles kommt. Also, wenn man internationale Freunde hat, die aus der ganzen Welt einreisen, oder aus ganz Deutschland zusammenkommen; das ist ja häufig bei Hochzeiten der Fall. So hat man viele Risikogebiete dabei. Großstädte sind eher gefährdet als das Land. Wenn aber nur Leute von zwei Nachbardörfern in der Provinz feiern, mit Angehörigen aus der Gegend, dann ist das Risiko deutlich niedriger. In dieser Dimension muss man sich das Risiko überlegen. Man muss sich überlegen, ob man das machen will oder nicht. Keiner weiß, wie bis dahin die Situation ist. Zzt. haben wir in Deutschland ein paar hundert registrierte Fälle pro Tag. Das ist wirklich wenig und auf dem Niveau wäre es vielleicht etwas übertrieben, eine Hochzeit abzusagen. Aber wir wissen nicht, wie das bis Ende Oktober aussieht.

[0:04:51]

Camillo Schumann

So, eine besorgte Lehrerin hat uns angerufen. Herr Kekulé, hören Sie genau hin. Sie erzählt nämlich eine kleine Geschichte.

[0:04:58]

Anruferin

Ja, Grüß Gott, ich bin Lehrerin und wollte mich erkundigen. Bei uns an der Schule wurde bei einem Vater einer Schülerin ein positiver Corona-Test gemacht. Und diese Schülerin befand sich dann, bzw. befindet sich, zwei Wochen in Quarantäne und alle Mitschüler und andere Lehrer, die mit ihr Kontakt hatten, auch. Jetzt gab es Prüfungen, und das Gesundheitsamt hat ihr erlaubt, dass sie mit zwei Meter Abstand an den Prüfungen teilnehmen kann. Weil bei ihr zwei Tests negativ waren. Allerdings ist sie nach wie vor mit ihren auf Vater in der Familie. Ich finde das verantwortungslos, ich wäre sehr dankbar über

eine konkrete Info, insbesondere, wie das Gesundheitsamt das zulassen kann.

[0:05:48]

Camillo Schumann

Finden Sie das auch verantwortungslos, wie das Gesundheitsamt da entschieden hat?

[0:05:52]

Alexander Kekulé

Wenn sie vorher getestet wurde und das negativ war, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Wert unmittelbar vor der Prüfung wieder positiv geworden ist, nicht sehr hoch. Und jemand, der kein Virus ausscheidet, kann auch niemand anders anstecken.

[0:06:05]

Camillo Schumann

Und der Vater: es sind ein paar Wochen ins Land gegangen. Da dürfte der Vater doch eigentlich auch über einen Berg sein und in der Familie eigentlich die Infektion, respektive Krankheit, auch überstanden worden sein. Oder?

[0:06:16]

Alexander Kekulé

Also, davon muss man erst mal ausgehen. Ich gehe davon aus, dass das Gesundheitsamt hier schon dafür gesorgt hat, dass zum Beispiel der Test richtig gemacht wird. Klar, man muss sagen, wenn so ein Abstrich schlampig gemacht wird und man da nicht so viel Material drauf hat, kann es schon mal passieren, dass der falsch-negativ ist. Aber die wird ja dann auch nicht mit ihrem durchgemachten Covid19 direkt Gesicht zu Gesicht mit den anderen Prüflingen sitzen. Man kann ja ein bisschen Abstand halten. Also ich halte das durchaus für verantwortbar, wenn da die Tests gemacht wurden.

[0:06:49]

Camillo Schumann

Zwei Meter Abstand, das hat die Lehrerin ja gerade eben geschildert. Da dürfte ja dann alles auf der sicheren Seite sein. Frau G. fragt sich, ob Masken krank machen könnten. Sie schreibt, eine Supermarktverkäuferin hat ihr heute ihr Leid geklagt. Durch die dauernden Masken habe sie eine schlimme Nebenhöhlenentzündung bekommen. War

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richtig krank. Ihr HNO-Arzt habe auch gemeint, über viele Stunden mit der Maske atme man die eigenen Keime wieder ein. Und die ausgeatmete Luft. Und man schadet sich mehr, als sich zu nutzen. Sehen Sie das auch so?

[0:07:24]

Alexander Kekulé

Nein, man schadet sich nicht mehr, als man sich nützt, weil die Maske insgesamt ja vor einer lebensbedrohlichen Erkrankung schützen soll. Also, der Grund, die Indikation, wie wir sagen würden, ist natürlich da. Man muss aber andererseits überlegen, was kann man machen, damit die Nebenwirkungen von solchen Masken, die bei manchen Leuten einfach vorhanden sind, damit die möglichst wenig werden. Und dazu gehört auf jeden Fall, dass man eine Maske, die irgendwie langsam alt und gammlig wird, nicht mehr benutzt. Austauscht, oder wenn sie waschbar ist, wäscht und das regelmäßig macht. Weil man eben natürlich verhindern muss, dass sich da Bakterien darauf sammeln, die man ständig wieder einatmet.

[0:08:03]

Camillo Schumann

Herr oder Frau P. hat geschrieben: „Sehr geehrter Herr Professor Kekulé, Chorsingen bleibt problematisch. Aber könnten Sie sich vorstellen, dass eine Chorprobe, indoor, mit Abstand und Lüftung gefahrlos möglich wäre? Wenn, und jetzt kommt es, alle Mitglieder eine FFP3-Maske mit Ventil tragen würden? Ich habe das einmal ausprobiert, und der Klang der Stimme ist deutlich besser als mit Mund-Nasen-Schutz oder FFP2-Maske ohne Ventil. Wenn das möglich wäre, wie häufig könnte so eine Maske benutzt werden?“ Also, singen mit FFP3-Maske?

[0:10:47]

Alexander Kekulé

Also, das habe ich noch nicht ausprobiert. Also, Saxofon spielen geht definitiv nicht. Aber ja, jetzt mal angenommen, dass das mit dem Singen Sinn macht. Das hätte ich nicht erwartet. Dann würde man natürlich sagen: Dadurch, dass alle so eine Maske aufhaben ... Selbst wenn es ein Ausatmungs-Ventil gibt, ist

die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Aerosol produziert, was die anderen einatmen, extrem gering. Man kann den Abstand zusätzlich einhalten. Vielleicht wäre das tatsächlich ein Weg, die Chorproben zu retten. Klingt vielleicht ein bisschen wie mit dem Schalldämpfer im Gesicht oder Ähnliches. Aber warum nicht? Da würde ich mich sogar dafür interessieren, wie das Ergebnis ist. Jetzt nicht virologisch. Da glaube ich, es ist derjenige auf der sicheren Seite, wie es klingt. Vielleicht kann man mal ein Tonbandgerät mitlaufen lassen, heutzutage zeichnet ja jedes Smartphone schon Ton auf. Einmal mit und einmal ohne Maske. Das würde mich wirklich interessieren, ob man das allgemein empfehlen kann.

[0:09:38]

Camillo Schumann

Also, Herr oder Frau P., schmeißen Sie mal das Handy an bei der nächsten Chorprobe und schicken Sie uns mal ein Audio-Beispiel, wie es dann klingt, einmal mit und einmal ohne FFP3- Maske. Wir sind sehr, sehr gespannt. Und werden das im Podcast dann mal aufführen.

Frau M. ist 67 Jahre alt, chronisch herzkrank. Sie meidet Veranstaltungen oder Gasthausbesuche, und sie geht nur mit FFP3- Maske und zusätzliche Arbeitsschutz-Brille in Einkaufsläden. Auch, wenn in unserem Landkreis Nordhausen-Nordthüringen seit Wochen null Neuinfektionen sind, schreibt sie. Wie oft darf ich eine FFP2/3-Maske tragen? Ab wann ist sie zu alt?

[0:10:19]

Alexander Kekulé

Ich finde, das wichtigste Kriterium ist, wenn man merkt, dass es beim Atmen einen stärkeren Atemwiderstand gibt. Das merkt man dann richtig, dass es so schwerfällig ist, schwergängig wird, weil ja das Filtermaterial ganz natürlicherweise langsam mit Staub und irgendwelchen Ausscheidungen zu ist. Und sobald man merkt, dass das anstrengender wird zu atmen, würde ich sie auswechseln. Nicht nur, weil da natürlich auch Schmutz drin ist, sondern weil es schlecht für die Lunge ist, ständig gegen den Widerstand an zu atmen.

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[0:10:48]

Camillo Schumann

Sie schreibt außerdem: „Halten Sie die zusätzliche Schutzbrille für unnötig oder sinnvoll für Hochrisikopartien?

[0:10:56]

Alexander Kekulé

Ich glaube, die Schutzbrille ist vor allem wichtig in einer Situation, wo man mit vielen gefährlichen Ausscheidern zu tun hat. Sprich im Krankenhaus. Sie mag auch mal in einer Situation sinnvoll sein, wo man es beispielsweise im Altersheim oder in einer ähnlichen Situation mit Risikopatienten zu tun hat. Die bei bestimmten Prozeduren geschützt werden sollen. Ich glaube, im Alltag jetzt inzwischen ... Früher hätte ich gesagt, doppelt hält besser. Aber jetzt im Moment haben wir so wenig Fälle in Deutschland, dass ich glaube, dass man in der normalen Situation die Schutzbrille nicht braucht. Es gibt aber natürlich Situationen, wo man einen engen Kontakt, auch Face-to-Face, nicht vermeiden kann. Ich denke da immer an das Einsteigen und Aussteigen im Flugzeug und auch Gedränge im Zug. Bevor man sich hinsetzt. Da werden die Menschen ja zum Teil immer unvorsichtiger. Und wenn man weiß, dass die anderen so unvorsichtig sind und man damit rechnen muss, dass einen jemand aus nächster Nähe anspricht und einem ins Gesicht spricht, der muss ja gar nicht husten oder Ähnliches. Dann ist es natürlich, zusätzlich eine Brille aufzuhaben, eine weitere Sicherheit.

[0:12:08]

Camillo Schumann

Der User L. hat unter #fragkekule bei Twitter folgende Frage gestellt: „Bei sehr geringen Fallzahlen spielt die Spezifität von Tests eine immer größere Rolle und verursachte einen Großteil der positiven Tests. Und das, obwohl diese Leute eigentlich Covid19-negativ sind. Wie wird diesem Problem begegnet? Vielleicht erst mal eine kurze Erklärung zu Spezifität/Sensitivität bei Tests?

[0:12:32]

Alexander Kekulé

Naja, die Spezifität heißt, ob der Test das erkennt, was er erkennen soll. Also, unter

Laborbedingungen nimmt man dann ein paar positive und negative Proben und guckt, wie oft werden die positiven erkannt. Und wie oft gibt es welche, die als positiv erkannt werden? Aber falsch-positiv sind. Also, je weniger falsch- positive man hat, desto höher ist die Spezifität. Der Test ist dann sozusagen spezifisch für das, was er nachweisen will. Und der andere Parameter, der immer eine Rolle spielt, bei diesen Tests ist die Sensitivität. Das heißt das Umgekehrte. Wie oft erkennt er einen Positiven nicht? Wie viel Positive gehen dem Test durch die Lappen? Wie sensibel ist er sozusagen, wie sensitiv ist er? Beide Werte sind ein wichtiger Labor-Hinweis darauf, was ein Test so leistet. Aber in der praktischen Situation hängt es davon ab, wie die Hintergrund-Aktivität ist. Also, wie viele Positive habe ich überhaupt in meiner Gruppe, die ich da untersuche. Da sprechen wir dann vom positiven Vorhersagewert oder vom negativen Vorhersagewert. Der positive Vorhersagewert wäre die Situation, wo wir sagen, wie wahrscheinlich ist es, dass einer, der mehr im Test positiv ist, also der positiv angezeigt wird, dann tatsächlich auch positiv ist. Aus einer bestimmten Stichprobe, in einer bestimmten Situation. Und da kommt es natürlich auf die auf die Hintergrund-Aktivität an. Das weiß aber jedes Labor. Diese Faktoren, positiver Vorhersagewert und negativer Vorhersagewert, das wird jedes Mal mitberücksichtigt. Wir wissen, dass in einer Situation, wo ganz viele Menschen krank sind, man die Testergebnisse unter Umständen anders beurteilen muss, als in einer Situation, wo man nur ganz, ganz wenige Positive in einem Riesen-Hintergrund von Negativen hat. Aber das wissen die Labore. Das berücksichtigen sie bei ihren Auswertungen.

[0:14:27]

Camillo Schumann

Und das ist ja genau das, was der User meint. Dass es immer weniger Fallzahlen sind und somit der Anteil der positiven Tests, ins Verhältnis gesetzt, mehr wird. Und wie diesem Problem begegnet wird.

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[0:14:40]

Alexander Kekulé

Also, dem kann man nicht begegnen. Dann bräuchte man eine andere Spezifität und eine andere Sensitivität der Tests. Und die sind, wenn ich mal so sagen darf, hardware-mäßig. Die Tests als solche sind evaluiert im Labor und haben so ihre Grenzen. Da gibt es unterschiedliche Qualität. Und man kann grundsätzlich sagen, dass weniger- leistungsfähige Tests in einer Situation, wo man nur ganz wenige Nadeln aus dem Heuhaufen fischen will, natürlich oft Fehler machen. Und sehr gute Tests, diese PCR, die wir anwenden, machen auch bei ganz seltenen Diagnosen kaum Fehler. Aber das spielt bei uns in diesem Bereich noch keine Rolle. Weil wir ja fast immer die PCR nehmen, die ja eigentlich fast Goldstandard sind bei der Diagnostik von Covid19. Das würde dann eine Rolle spielen, wenn wir umschwenken würden auf Do-it- yourself-Schnelltests. Diese Antigen- Schnelltests, für die ich ja immer Werbung mache, dass man die zu Hause macht. Die sind nur dann zuverlässig, wenn man einen relativ hohen Hintergrund hat. Also, wenn relativ häufig diese Infektionen vorkommen. Wenn man eine ganz seltene Krankheit nachweisen will, dann ist so ein Antigen-Schnelltest, der häufig auch mal falsch ist, nicht der richtige. Aber wir sind ja hier in der pandemischen Situation. Und deshalb kommt es da im Moment noch nicht so sehr darauf an.

[0:16:01]

Camillo Schumann

Diese sportliche Dame hat uns angerufen.

[0:16:04]

Anruferin

Ich habe eine Frage. Ich schwimme jeden Tag im Freibad. Ich bin 70 und Risikopatientin. Aber sehr fit. Ich schwimme ein paar tausend Meter. Ich habe ein Problem mit der Warmdusche. In dem kleinen, geschlossenen Raum dürfen nur zwei Personen gleichzeitig duschen. Es gibt aber keine Lüftung, es ist ein geschlossener Raum. Ohne Fenster. Man kann nicht lüften. Wie ist das mit den Aerosolen? Ist das für mich gefährlich? Das würde mich total interessieren, ich habe die Frage schon öfter gestellt. Ich

weiß, ich bin nicht die einzige. Aber leider habe ich noch keine Antwort bekommen.

[0:16:53]

Camillo Schumann

Aber heute ist der Tag, an dem Sie Ihre Antwort bekommen.

[0:16:58]

Alexander Kekulé

Ja, es ist so, dass in einer Duschkabine tatsächlich die Dusche, wenn die dann eine Weile läuft, diese Aerosole auch aus der Luft rauswäscht. Das sind ja im Wesentlichen auch kleine Tröpfchen, die herumfliegen. Und egal, ob das jetzt ein echtes Aerosol, also, Nebel ist, oder ob das kleine Tröpfchen sind, die im Prinzip zu Boden fallen würden. Beides wird durch die Dusche nach einer gewissen Zeit rausgewaschen. Jetzt kommt es natürlich auf die Größe der Kabine an. Darauf, wie lange die Dusche gelaufen ist und wie lange es her ist, dass der letzte Infizierte da drin war. Und wie viel Virus derjenige jeweils ausgeschieden hat. Aber ich würde mal davon ausgehen, wenn es der vorletzte war, oder der letzte Benutzer, vielleicht länger als zehn Minuten niemand in der Kabine war. Und die Dusche ja mehr oder minder die ganze Zeit läuft in so einem Schwimmbad. Dann gehe ich davon aus, da sind die Aerosole weg. Oder mit anderen Worten, die einzige Chance, sich anzustecken, wäre wahrscheinlich, wenn direkt derjenige, der sie vorher benutzt hat, positiv war. Und große Mengen Viren ausgeschieden hat, in dem Moment vielleicht noch unter der Dusche gesungen hat. Also, das ist nicht sehr wahrscheinlich.

[0:18:04]

Camillo Schumann

Herr A. hat eine Fensterbaufirma, macht sich Sorgen. In unserem Unternehmen arbeiten 18 Mitarbeiter im Büro. Wir haben die für uns machbaren Hygienemaßnahmen umgesetzt. Insbesondere achten wir auf Abstand. Sorgen macht mir der kommende Herbst. In dieser Jahreszeit sinkt die relative Luftfeuchte in den Büros auf weniger als 30%. Ich weiß, dass allgemein nicht gut für die Schleimhäute ist. Hilft es, wenn wir die Büroräume mit

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Luftbefeuchtern ausstatten, die natürlich keine Viren- und Bakterienschleudern sein dürfen? Worauf ist zu achten?

[0:18:35]

Alexander Kekulé

Sehr gute Frage. Das haben sich Virologen seit vielen Jahren auch gefragt. Und es gibt viele Untersuchungen dazu, ohne sauberes Ergebnis. Rein theoretisch ist es so, dass die trockene Luft in den geschlossenen Räumen im Winter ein Faktor ist für die Weiterverbreitung von Atemwegserkrankungen ist. Das gilt nicht nur für Covid19, sondern auch für viele andere. Bei Influenza ist das natürlich untersucht worden, allgemeinen Erkältungen. Und da gab es schon oft die Idee, was wäre denn, wenn wir die Luftfeuchtigkeit einfach erhöhen, indem wir da so einen Vernebler reinstellen? Einen Luftbefeuchter reinstellen. Es gibt keine Studie, die belegt hat, dass dann die Infektionswahrscheinlichkeit sinkt. Obwohl es rein theoretisch so sein sollte. Da kann man durchaus noch Experimente machen. Ich glaube, ganz grundsätzlich ist die Überlegung, zu sagen, trockene Luft schadet meiner Schleimhaut und führt unter Umständen dazu, dass ich häufiger Erkältungen habe, egal, ob es Covid19 oder etwas anderes ist ... Diese Überlegung ist eigentlich schon ein Grund dafür zu sorgen, dass die Luftfeuchtigkeit in einem angenehmen Bereich ist. Also, ich würde sagen, über 40% relativ sollte sie auf jeden Fall sein, auch im Winter. Und wenn das deutlich darunter ist, dann ist meines Erachtens das durchaus überlegenswert. Ob man da nicht Luftbefeuchter reinstellt. Bei denen man das hat, das hat der Hörer hier richtig gesagt: Die muss man natürlich entsprechend warten und aufpassen, dass das keine Bakterienschleuder oder Pilzschleuder wird. Aber, wenn man das Ding richtig bedient, dann ist es, glaube ich, sinnvoll, Luftbefeuchter zu haben.

[0:20:08]

Camillo Schumann

Diese Dame hat angerufen, sie muss mal wieder zum Zahnarzt, traut sich aber nicht.

[0:20:13]

Anruferin

Ich bin 67 Jahre und habe ziemliche Angst, zum Zahnarzt zu gehen. Weil das ja hautnah ist. Wie gefährlich ist das für mich als Patientin? Dankeschön, auf Wiederhören.

[0:20:26]

Camillo Schumann

Der Klassiker eigentlich, die Zahnarztfrage.

[0:20:28]

Alexander Kekulé

Na, die Zahnarztfrage. Erstens bin ich dafür, das Praxispersonal regelmäßig untersucht werden muss. Danke für die Frage, kann ich der an der Stelle noch einmal sagen. Wir machen das ja auch in den Krankenhäusern. Es ist so, dass in vielen Kliniken inzwischen das Personal in regelmäßigen Abständen untersucht wird. Einfach, weil die ständig engen Kontakt zu den Patienten haben. Und das ist ja total naheliegend. Aber davon abgesehen ist es natürlich auch so, dass das Zahnarztpersonal ja schon vor Covid19 ganz viel Erfahrung hatte mit Infektionskrankheiten. Da gibt es ja ganz viele Dinge, die in einer Zahnarztpraxis eine sehr, sehr große Rolle spielen, auch in der Ausbildung. Wir machen ja so eine Ausbildung in Halle zum Beispiel auch für die Zahnmedizinstudenten. Da machen wir die mikrobiologische Ausbildung und die lernen wirklich ganz genau, wie man Hepatitis, wie man andere Infektionen aller Art verhindern kann und vermeiden kann, dass das weitergegeben wird in der Praxis. Und da ist jetzt Covid19 nicht so eine große Ausnahme. Das heißt, das Praxispersonal hat ja Mundschutz auf, hat einen Handschuh an, wenn es im Mund tätig ist. Und natürlich werden diese ganzen Instrumente akribisch desinfiziert und zum Teil sogar sterilisiert, die man da benutzt. Und deshalb gehe ich davon aus, dass eine gutgeführte Praxis, die ja alle wissen, dass dieses Problem im Raum steht, hier keine Infektion verursacht.

[0:21:48]

Camillo Schumann

Also gehen Sie zum Zahnarzt. Nicht, dass es noch schlimmer wird.

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Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort. Herr F. schrieb uns: „Ich spiele leidenschaftlich gern Tennis und der Handshake nach dem Spiel gehört für mich einfach zu einem guten Match dazu. Ich finde es unbedenklich, den Handshake durchzuführen. Zumal wir an jedem Platz Desinfektionsmittel stehen haben und uns danach sofort die Hände desinfizieren. Wie ist Ihre Meinung?“

[0:22:12]

Alexander Kekulé

Ja, also. Ganz ehrlich gesagt, ja, ich finde das auch. Da haben Sie mich sozusagen erwischt. Ich will jetzt nicht die offiziellen Empfehlungen hier irgendwie infrage stellen. Aber es ist natürlich so, wenn man sich die Hand geben würde: Wir kennen alle die berühmte Situation, wo die Bundeskanzlerin ihrem Innenminister nicht mehr die Hand geben wollte. Bei einer Kabinettssitzung also, wenn die sich die Hand gegeben hätten und gleich danach desinfiziert hätten, dann wäre alles in Ordnung. Man kann auch Händewaschen. Desinfizieren muss man nicht. Aber das sollte man dann schon diszipliniert machen. Das heißt also, keine Schlampereien an der Stelle einführen, sondern wirklich, wenn man sich die Hand gegeben hat, nicht ins Gesicht fassen, nichts essen, sondern als nächstes, bevor man sich selbst ins Gesicht fasst oder was isst, wirklich die Hände waschen.

[0:23:01]

Camillo Schumann

Das war Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen- SPEZIAL. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Dienstag, den 21. Juli wieder. Bleiben Sie gesund.

[0:23:11]

Alexander Kekulé

Sie auch, Herr Schumann. Schönes Wochenende.

[0:23:11]

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns

unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00. Vielleicht wurde Ihre Frage schon beantwortet. Alle Spezialausgaben und alle Folgen von Kekulés Corona-Kompass finden Sie als Podcast auf mdr-aktuell.de, in der ARD-Audiothek, auf Youtube und überall, wo es Podcastst gibt.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Alexander Kekulés Corona- Kompass 16.07. 2020 Folge 82 – Bei lokalen Ausbrüchen rasch reagieren

Camillo Schumann

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander Kekulé, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

Camillo Schumann

Donnerstag 16. Juli 2020. Schneller, kleinräumiger, präziser. So soll künftig auf Corona-Ausbrüche in Deutschland reagiert werden. Guter Plan?

Dann: Die Angst vor einer schnellen Wiederansteckung vor SARS CV2 steigt. Ist diese Angst begründet?

Außerdem: Wie kann Künstliche Intelligenz in der Corona-Krise helfen?

Und: Früh zum Test und abends zur Party. Wäre das eine Idee, die Veranstaltungsbranche zu retten? Wir wollen Orientierung geben. Ich bin Camillo Schumann.

Ich bin Redakteur beim MDR Aktuell Nachrichten Radio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick auf die aktuellen Entwicklungen rund um das Corona Virus. Wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologien Alexander Kekulé.

Camillo Schumann

Wir beginnen mit einem O-Ton von Kanzleramtschef Helge Braun. Zu den Beschlüssen von Bund und Ländern.

Helge Braun

Wir wollen präziser werden. Das Ziel ist es, dass wir unsere Verfahren, die wir haben, nach den Erfahrungen der letzten Ausbrüche so verändern, dass wir kleinräumiger vorgehen. Dass wir Beschränkungen nur da machen, wo es unbedingt erforderlich ist. Wir wissen nicht genau, wie umfangreich die Infektionen in der Bevölkerung sind. Dann testen wir sehr schnell. Mit Unterstützung der Bundeswehr und des jeweiligen Landes. Damit wir dann schneller die Beschränkungen aufheben können.

Camillo Schumann

Künftig soll schneller und kleinräumiger und präziser gehandelt werden. Nicht wie im Fall Tönnies. Damals stand durch erneuten Lockdown das öffentliche Leben in zwei Landkreisen still. Zehntausende Menschen waren betroffen. Die Menschen waren genervt. Ausreisesperren gab es nicht. Die Menschen aus der Region waren deutschlandweit nicht so gern gesehen. Sie wurden zum Teil nach Hause geschickt. Es gab ein Gerichtsurteil, wonach ein Lockdown für die gesamte Region unverhältnismäßig sei das. Wir haben darüber berichtet. Man müsste differenzierter vorgehen, haben die Richter gesagt. Das will die Politik jetzt machen. Herr Kekulé, kann der Plan aufgehen?

2:72

Alexander Kekulé

Ich glaube schon. Das ist ein smartes Konzept. Und das Richtige, weil man ja nicht jeden Landkreis miteinander vergleichen kann. Die Situationen sind unterschiedlich. Man kann das nicht vergleichen. 1.000 Fälle in einer konkreten Situation, in einer Fabrik. Da weiß man, wo die Fälle sind. Dann haben Sie 100 Fälle in einem anderen Landkreis. Da weiß man nicht, wo die Fälle sind. Das ist eine andere Herausforderung fürs Gesundheitsamt. Die Landkreise sind geographisch unterschiedlich. Deshalb ist es die richtige Idee, das so zu machen.

Camillo Schumann

Lokal heißt zum Beispiel: Mitarbeiter eines Betriebes, dass die mit Einschränkungen rechnen müssen. Das können mal 20 oder 200 oder 2.000 Menschen sein. Oder Bewohner in

einer bestimmten Gemeinde. Die könnte man mit einer Ausreisesperre versehen. Guter Plan?

Alexander Kekulé

Die Ausreisesperren sind sinnvoller als Einreiseverbote. Am Ort des Geschehens, wo so ein Ausbruch vermutet wird oder wo ein Ausbruch stattfindet. Dass die Epidemie da am besten in den Griff zu bekommen ist. Anstatt zu warten, dass die Menschen es sonst wohin tragen. Vielleicht sogar ins Ausland in der EU. Dann an den Urlaubsorten Einreiseverbote zu verhängen. So ist das passiert. Man muss auch sagen, dass so eine Maßnahme nur in ganz bestimmten Situationen sinnvoll ist. Das muss so sein, dass man lokal an einem Ort eine Vermutung hat: Dass viele Menschen in der Allgemeinbevölkerung infiziert sind. Dass man keinen Ausbruch im Altersheim oder im Krankenhaus oder konkret im Betrieb hat. Dass man die Infektion in der Bevölkerung noch nicht nachverfolgen kann. Man kennt die Infektionsketten nicht. Das bezeichnen wir als Initial-Fälle. Darauf läuft es hinaus. Dass man diese Differenzierung macht. Man will testen. Das ist ein Fortschritt. Dass man prophylaktisch vorausschauend testet und nicht nur Menschen mit Symptomen. Oder nur Menschen mit klar nachgewiesenen Kontakten. Dass man schneller sein muss. Die Beschleunigung der Reaktionszeit. Das sind sehr gute Entwicklungen.

Camillo Schumann

Im Fall Tönnies hat es eine Woche gedauert, bis die ersten Maßnahmen beschlossen wurden. Wenn man auf die lokale Ebene geht, muss man wesentlich schneller entscheiden. Trauen Sie den Verantwortlichen der Ereigniskette zu, das umzusetzen?

Alexander Kekulé

Das ist die kritische Frage. Wir haben fast 400 Gesundheitsämter in Deutschland. Diese Entscheidung, kann man kritisch sagen, wird auf die letzte Instanz abgewälzt. Das funktioniert nur dann, wenn die wirklich hervorragend beraten werden auf allen darüber liegenden Stufen. Zuallererst von oben muss das Robert-Koch-Institut klar vorgeben, in welchen Situationen was empfohlen wird. Die wirkliche Hoheit haben

die Länder. Die müssen wiederum den Gesundheitsämtern helfen, dass das schnell geht. Ich glaube, in vielen Bereichen Deutschlands wird das funktionieren. Klar gibt es Gesundheitsämter, die schlecht ausgestattet sind. Wo die Datenübermittlung noch nicht so gut funktioniert. Wir wissen, dass vieles noch per Fax passiert. Wo man längere Reaktionszeiten bei einem Ausbruch hat. Da darf man nicht Negativfall ausgehen. Der Plan klingt gut. Man muss das international ansehen. Wir sind in Deutschland weltweit gesehen ein Land, wo alle hinschauen. Dass alle sagen, dass wir das toll machen. Wir versuchen, uns weiter zu optimieren. Es gibt dennoch die eine oder andere Verzögerung. Aber der Umschwenk, dass man sagt, wir wollen das selektiv machen. Sie erahnen, das ist das Smartkonzept. Das haben wir schon paarmal besprochen. Das wird jetzt 1:1 umgesetzt. Das finde ich positiv.

Camillo Schumann

Wir bleiben beim Thema Zeit. Wie würden Sie dieses Zeitfenster bemessen? Vom Ausbruchsgeschehen erkannt bis zu Maßnahmen. Wie viel Tage, eigentlich Stunden dürfte maximal vergehen?

Alexander Kekulé

Ihnen steht gegenüber ein Gegner, der den Revolver zieht. Das kennen wir aus den Western. Da kommt es auf Geschwindigkeit an. Hier ist es auch so. So ein Virus. Das kann in kürzester Zeit... Da genügt eine Party, wo die Leute keine Ahnung haben, dass jemand infiziert ist. In kürzester Zeit kann durch ein Superspreader-Ereignis etwas herausgetragen werden in die Allgemeinbevölkerung und in einer Region verbreitet werden. Man muss extrem schnell sein. Wäre ich der Chef eines Gesundheitsamtes. Dann würde ich die Devise ausgeben, gibt es einen Verdacht auf einen Ausbruch... Nicht ein Einzelfall. Sondern wenn wir das Gefühl haben, da ist etwas passiert. Dann muss innerhalb von 12 Stunden die Entscheidung zum Lockdown getroffen werden. Lockdown heißt, begrenzte vorübergehende Ausreisesperre. Für den Fall, dass die Kriterien gegeben sind. Was sehr selten der Fall ist.

Camillo Schumann

12 Stunden ist ein relativ enges Zeitfenster. Im Kreis Gütersloh ist mehr Zeit verstrichen. Sie sagten, wenn man das Gefühl hat, aber wenn man noch keinen konkreten Fall hat. Wie entsteht das Gefühl? Wie würden Sie das beschreiben?

Alexander Kekulé

Gefühl ist unprofessionell gesprochen. Es läuft normalerweise so, dass Sie als Gesundheitsamt Mitteilungen bekommen über positive Fälle. Dann kommen Nachverfolger dorthin. Sie sprechen mit den Leuten. Wenn die dann feststellen, dass in einem Wohnheim zur gleichen Zeit drei Leute infiziert waren. Leute, die außer in dem Wohnheim keinen gemeinsamen Kontakt hatten. Dass es sehr wahrscheinlich ist, dass es weitere Zwischenüberträger in dem Wohnheim gab. Dann haben Sie einen ersten Anfangsverdacht. Das ist bei Gesundheitsämtern keine ungewöhnliche Situation. Wir kennen das von Ausbrüchen im Krankenhaus. Da ist es ja auch entscheidend, wenn zum Beispiel resistente Keime sich vermehren. Dann wird frühzeitig abgesperrt. Stationen werden zugemacht. Leute, die im Verdacht stehen, infiziert zu sein, werden aus dem Verkehr gezogen. Die Gesundheitsämter sind da so schnell. Die haben ja auch Nachtschichten. Da ist notfalls jemand am Telefon in der Nacht. Das ist nicht ungewöhnlich für Gesundheitsämter. Das muss man für das Covid 19 übertragen.

09:18

Camillo Schumann

Bund und Länder wollen durch die Maßnahmen schneller wieder aus der Maßnahmensituation raus. Schneller reagieren, heißt auch schneller wieder raus?

Alexander Kekulé

Natürlich. Das hat zur Folge, man macht erst mal zu. Man muss der Bevölkerung erklären, dass das keine Katastrophe ist. Es handelt sich um einen Zeitraum... Wenn man Schnelldiagnostik macht, handelt es sich um eine Woche. Länger dürfte es nicht dauern. Da

wird man in dem abgegrenzten Bereich sehr schnell einige 10.000 Tests machen. Die Chinesen haben in Peking Hunderttausende getestet, als dort bei einem Lebensmittelmarkt ein Ausbruch war. Das sollte unser Maßstab sein. Dass wir extrem schnell, in kürzester Zeit, notfalls mit mobilen Laboren handeln. Das kann man alles logistisch regeln. Da wird man eine große Zahl von Personen testen. Dann kann man die bei Entwarnung schnell wieder rauslassen. Das ist die für Bevölkerung in Ordnung, dass die wissen, wir werden schnell getestet. Und in drei Tagen sind Ergebnisse da. Zu dem Zeitpunkt wird man meistens Entwarnung geben. Oder die Regionen, die man eingrenzen muss. Dass man die noch einmal verkleinert. Dass man wirklich nur die Firma berücksichtigt. Oder nur die Firma und eine Schule. Oder sowas ähnliches. Das ist die Methode. Auf die müssen wir uns einstellen. Wir müssen davon ausgehen, diese Erkrankung, die Pandemie wird uns noch viele Monate beschäftigen. Keiner weiß, wann der Impfstoff kommt. Bis dahin brauchen wir eine Methode, die uns vor Lockdowns größerer Art bewahrt, die für die Bevölkerung psychologisch verkraftbar ist. Das ist in Ordnung. Wenn die Feuerwehr sagt: „Wir haben den Verdacht, das Haus brennt. Bitte gehen Sie nicht rein, bis wir das geklärt haben.“ Dann beschwert sich auch keiner. In so einer Art müssen wir das sehen. Es ist ein Risiko, mit dem wir leben müssen.

Camillo Schumann

Das nächste Stichwort ist Impfstoff. Seit Tagen bestimmt das die Schlagzeilen. Es geht um die Frage, sind Menschen, die die Infektion durchgemacht haben, immun gegen SARS- COV2? Ja, sie haben Antikörper gebildet, könnte man denken. Da kann nichts mehr passieren. Aber seit Tagen und Wochen heißt es in den Medien: „Wenig Immunität nach Ansteckung.“ „Neue Studie bestätigt: Antikörperschwund.“ Oder: „Hoffnung auf länger wirksamen Impfstoff gedämpft.“ Oder: „Gibt es doch keine grundsätzliche Immunität?“ Herr Kekulé, das sind nur Schlagzeilen. Müssen wir uns von dem Gedanken verabschieden, wer eine Infektion durchgemacht hat, ist immun gegen das

Virus? So wie wir es bisher angenommen haben?

Alexander Kekulé

Ich würde von dieser optimistischen Einschätzung nicht abweichen. Aufgrund der Daten, die da gebracht werden. Es ist so, als Menschen würden wir nicht leben. Wir würden nicht älter als ein bis zwei Jahre werden, wenn wir nicht ein Immunsystem hätten, was praktisch alle Virusinfektionen oder sonstigen Infektionen erfolgreich bekämpft. Wir kennen keine Erkrankungen außer speziellen, die die Zellen des Immunsystems angreifen... Wir kennen keine Krankheit, wo kein Immunschutz nach dem Virusinfekt aufgebaut wird. Ausnahme ist das berühmte Aids-Virus. Da funktioniert das nicht, weil das Aids-Virus die T-Helferzellen befällt. Die sind entscheidend für die Immunabwehr. Das ist bei Sars-COV2 nicht der Fall. Wir wissen, welche Zellen befallen werden. Welche Organe betroffen sind. Es gibt keinen Grund anzunehmen, das das Immunsystem so geschwächt wird, dass es nicht zu einer normalen Immunantwort kommt. Mich beunruhigen Antikörper-Tests, in denen man feststellt, dass das IIG abnimmt, nicht. Das sind einzelne Studien. Das spielt eine Rolle für die Frage, was sagt ein Antikörpertest aus. Wenn wir wissen, dass viele Menschen immun sind, obwohl sie kaum noch IGG haben. Kann man dann Immunitätsausweise einführen. Aber ob ein Impfstoff möglich ist oder nicht. Da wäre ich weiter optimistisch.

Camillo Schumann

Wer den Podcast nicht von Anfang an verfolgt hat. Kurz noch die Erklärung: Was ist IGG?

Alexander Kekulé

Wenn wir einen Kontakt mit dem Virus haben. Dann reagiert der Körper in mehreren Stufen. Eine wichtige Stufe ist, dass die Zellen des Immunsystems, weiße Blutkörperchen... Bestimmte Sorten von weißen Blutkörperchen. Die werden aktiviert. Die stimulieren sich gegenseitig. Die fangen an, Antikörper zu bilden. Antikörper sind Eiweißmoleküle, die können Viren inaktivieren. Die Klasse von Antikörper, die man typischerweise nach der Infektion noch

nachweisen kann. Das ist die Immun-Globulin- G-Klasse. Das sind Antikörper, die man nachweist, um zu zeigen, derjenige hat Kontakt mit einem infektiösen Menschen gehabt. Dieses IGG nimmt bei SARS-COV 2 schnell ab. Nach Studien sind zwei Monate nach Symptombeginn nur noch wenige Konzentrationen da sind. So dass wir es nicht mehr messen können. Wir wissen aber auch, dass der Anteil der Antikörper, die wichtig sind für die Eliminierung des Virus. Dass die gar nicht die Gesamtmenge des IGG ausmachen. Das ist eine kleine spezielle Sorte von Antikörpern. Die neutralisieren das Virus. Dann gibt es Tests, Neutralisation-Tests. Das kann man im Labor zeigen. Die neutralisierenden Antikörper haben die Besonderheit, dass sie typischerweise nach einer Infektion immer verschwinden. Es gibt wenige Infektionskrankheiten, wo man lange danach noch große Mengen neutralisierender Antikörper findet. Die werden bei Bedarf wieder stimuliert. Wenn das gleiche Virus wiederkommt, dann gibt es bestimmte Zellen: Die Gedächtniszellen. Die haben sich gemerkt, wie man sich wehrt. Die aktivieren selektiv spezifisch die Produktion von Antikörpern, neutralisierenden Antikörper gegen das Virus. Auch wenn die eine oder andere Studie rauskommt, wo neutralisierende Antikörper nach einigen Wochen nicht mehr nachweisbar sind. Das beunruhigt mich nicht.

Camillo Schumann

Das ist das Stichwort. Bluttest der ersten Corona-Patienten in Deutschland. Die wurden in Schwabing behandelt. Die haben ein Absinken der Anzahl neutralisierender Antikörper gezeigt. Clemens Wendler, der Chefarzt der dortigen Klinik für Infektiologie: „Bei vier der neuen Patienten sehen wir sinkende neutralisieren Antikörper in einem speziellen Test.“ Die werden in einem Hochsicherheitslabor geprüft. Inwieweit das Auswirkungen für die Langzeitimmunität und die Impfstrategien hat, ist spekulativ. Es muss aber im weiteren Verlauf kritisch beobachtet werden. Demnach sei eine neue Ansteckung möglich. Das beunruhigt.

Alexander Kekulé

Darauf hindeuteten ist, wenn ein Wissenschaftler das sagt. Das ist eine

vorsichtige Formulierung. Ich würde sagen, das ist nicht klar, dass es darauf hindeutet. Die Abnahme neutralisierender Antikörper sehen wir häufig nach der Infektion. Es kommt zu einer Stimulation der zellulären Immunantwort. Die aktivieren die Gedächtniszellen. Dann sind die neutralisierenden Antikörper wieder da. Aus so einer Untersuchung bin ich nicht pessimistisch. Es ist so, wir haben diese merkwürdigen Hinweise aus Asien. Da hat man in vielen Fällen gesehen, dass Menschen, die einmal PCA positiv waren. Menschen, die das Virus im Rachen hatten. Dass die das nach einer Weile nicht mehr hatten. Sie waren also wieder gesund. Das Virus war nicht mehr nachweisbar. Ein paar Wochen später haben sie wieder Symptome bekommen. Das Virus war wieder da. Da ist spekuliert worden, ob die sich neu infiziert haben. Die Arbeitshypothese, die weltweit favorisiert wurde, heißt Nein. Das Virus war die ganze Zeit da. Es wurde nur vom Immunsystem unterdrückt. Es hat dann geschafft, sich stärker durchzusetzen. Wegen dieser Gesamtsituation... Wir haben bei Coronaviren, wir kennen das von anderen Viren. Da haben wir nicht die Lage wie bei Masern, dass man die einmal durchmacht und das war es für den Rest des Lebens. Sondern es ist so, dass man möglicherweise mit dem gleichen Virus oder mit einem genetisch leicht veränderten nach einer Weile noch einmal infiziert werden kann. Was dann passiert. Eine Weile können Jahre sein. Was dann passiert ist Folgendes. Die nächste Infektion verläuft praktisch immer deutlich harmloser. Weil das Immunsystem eine Teilimmunität gegen das Virus hat. Es kann den Patienten noch einmal befallen. Aber die Symptome sind nicht annähernd vergleichbar mit dem klassischen Covid 19 Krankheitsbild. Da haben wir ja eine Größenordnung von ein Prozent oder weniger Sterblichkeit. Das ist eine schlimme Krankheit. Ich gehe davon aus... Wir reden über eine weltweite Pandemie und über die Frage, wie sie zu beenden ist. Dass ein Impfstoff, wenn er da ist. Dass der selbstverständlich auch, wenn er nicht die perfekten Antikörper produziert. Dass die Pandemie beendet wird. Insofern, dass von einer schrecklichen Krankheit zu einer harmlosen Krankheit gewechselt wird.

Camillo Schumann

Bei dieser Diskussion über die Immunität und die Antikörper. Die Schlagzeilen, die ich erwähnt habe. Im selben Atemzug wird die Wirksamkeit von potentiellen Impfstoffen infrage gestellt. Obwohl es noch gar keine Impfstoffe gibt. Man muss sagen, es wird nicht den einen Impfstoff geben. Es gibt unterschiedliche Impfstoffe. Welche Arten gibt es?

20:03

Alexander Kekulé

Es gibt moderne Impfstoffe, wo die Substanz einen Nukleinsäure ist. Eine RNA oder DNA. Das wird im Körper erst zu einem Protein umgebildet zu einem Eiweißmolekül. Das selbst hergestellte Eiweißmolekül ist das, was dem Immunsystem präsentiert wird. Das sieht so ähnlich aus wie ein Virus. Deshalb lernt der Körper das in unschädlicher Weise, er lernt, gegen das Virus anzukämpfen.

Camillo Schumann

Ist das ein experimenteller Impfstoff?

Alexander Kekulé

Ja, das ist experimentell. Da hat man die Vorstellung, die werden schnell in großer Menge produziert. Das ist technisch nicht schwierig. In großen Mengen werden Nukleinsäuren RNA und DNA hergestellt. Nachteil ist, das Wirkprinzip wurde nie im großen Stil in einem Impfstoff bewiesen. Das ist eine schicke und elegante Methode. Aber sie ist experimentell. Es wird viel Geld dafür ausgegeben. Das ist wissenschaftlich toll. Auf diese Weise wird das Wirkprinzip weiter getrieben. In der Forschung haben wir was davon.

Camillo Schumann

Auch die US Biotech-Firma Moderna. Da kam die Meldung raus, die ist mit einem experimentellen Corona Impfstoff dabei. Sie geht den nächsten Schritt von der kleinen Gruppe fast ohne Nebenwirkungen. Jetzt werden 30.000 Menschen getestet mit einem experimentellen Impfstoff. Ist das ein guter Fingerzeig?

Alexander Kekulé

Das ist der normale Vorgang. Das ist die Firma, die am meisten davon profitiert. Die haben beim Börsenumsatz enorm gewonnen. Die sind wahrscheinlich weltweit die Nummer 1. Bei der Entwicklung eines RNA-Impfstoffs. Das ist der direkte Wettbewerber zu der Firma in Tübingen. Die gehen jetzt in die Phase 3. Zuallererst muss man bei der Prüfung von Wirkstoffen gucken, ist der Wirkstoff überhaupt verträglich. Hat er toxische Wirkungen? Kann man das verabreichen? Dann kommt die Phase 2. Da testet man ein einer kleinen Gruppe von Personen, ob der Wirkstoff verträglich ist. Ob es einen Hinweis gibt, dass er wirksam ist. In diesem Fall, dass Antikörper gebildet werden. In der Phase 3 geht man in eine größere Gruppe. Man vergleicht typischerweise den Wirkstoff mit anderen Therapien, mit anderen Möglichkeiten zu behandeln. Das ist bei einem Impfstoff nicht so einfach mit anderen Impfstoffen zu vergleichen. Bei Phase 3 testet man viele Personen. Die ist eingeleitet. Das ist ein schnelles Verfahren. Aber ich würde aus der Tatsache, dass man die eingeleitet hat, noch nicht so viel schließen. Die Gretchenfrage ist bei so einem RNA-Impfstoff nicht, hat er schlimme Nebenwirkungen. Das würde ich bei dieser Art Impfstoff nicht erwarten. Da kann man sich kaum vorstellen, welche Nebenwirkungen entstehen. Die Frage ist: Gibt es einen ausreichenden Impfschutz? Das ist entscheidend. Das hat sich noch nicht gezeigt. Da muss man die Challenge- Experimente machen. Provokations- Experimente. Meine impft einen Freiwilligen und wartet bis der Impfstoff hoffentlich wirkt. Dann muss man ihn mit dem echten Virus konfrontieren, um zu sehen, ob er geschützt ist. Diese Provokationsexperimente, Challenge-Experimente, sind umstritten. Freiwillige wollen das machen lassen. Aber wir wissen, dass auch bei jungen Erwachsenen immer mal wieder Menschen an Covid 19 sterben. Daher ist die Frage, wie diese Provokationsexperimente laufen. Wann man sagen kann, das schützt auch. Vorher macht es keinen Sinn. Die nächste Stufe ist dann, schützt es auch die Personen, die im besonderen Risiko stehen. Das sind die Alten. Wir wissen, dass mit zunehmendem Alter die Immunantwort auf Impfungen schlechter

wird. So schlecht, dass wir bei Influenza das Problem haben, dass genau die Menschen, die am meisten von der Impfung profitieren würden. Menschen über 65, die eine schlechte Immunantwort haben. Dass nur ein kleiner Teil der Geimpften geschützt ist durch die Impfung. Diese Probleme werden wir bei Covid 19 abarbeiten. Ich warne, dass wir noch im März oder im nächsten Frühjahr. Dass wir bei der Bevölkerung direkt anwendbaren Impfstoff haben. Die Impfung, auf die wir warten, wird noch dauern. Ein Jahr mindestens. Dass Experimente gemacht werden mit Freiwilligen. Das findet jetzt schon statt.

Camillo Schumann

Trotzdem sollte man sich von solchen Schlagzeilen, wo Durchbruch drübersteht, nicht verwirren lassen. Dass man nicht jedes Mal in die Hände klatscht und sagt: Bald ist Corona vorbei. Die unterschiedlichen Stufen, die Challenge ist enorm wichtig. Es gibt weitere Stufen. Alles sollte man abwarten. Pi mal Daumen innerhalb eines Jahres können wir darüber reden. So habe ich Sie richtig verstanden?

Alexander Kekulé

Das eine ist ja, wie gehen wir politisch vor. Politiker wie Donald Trump in den USA oder Bolsonaro in Brasilien. Diese Politiker sagen, dass wir keine Gegenmaßnahmen brauchen. Sie meinen, dass wir bald den Impfstoff haben. Vor dieser Strategie warne ich. Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten. Und wir müssen auf das Beste hoffen. Wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es über ein Jahr dauert, bis die Menschen geimpft werden können. Bis dahin können wir nicht einfach sagen: Wir machen Lockdowns auf und zu. Oder wir machen auf wie in den Südstaaten der USA mit verheerenden Ergebnissen. Wir müssen einen Weg finden, mit diesem Virus zu leben.

Camillo Schumann

Alle aufmerksamen Hörer werden festgestellt haben, dass wir gesagt haben, dass es mehrere Impfstoffarten gibt. Wir haben über experimentelle Impfstoffe gesprochen. Ein paar Sätze zu den anderen beiden Möglichkeiten.

Alexander Kekulé

Der Klassiker ist der, dass man die Anti-Gene herstellt. Also das Protein selbst. Es sieht aus, wie das Oberflächen-Protein beim Virus. Bei Sars COV2 sind das typischerweise diese Spikes. Es sind die Zapfen außen am Virus. Die doggen an das Virus außen an den Zellen an. Die haben dem Coronavirus den Namen gegeben. Unter dem Elektromikroskop sehen die aus wie der Leuchtkranz um die Sonne. Die Proteine auf der Oberfläche. Da kann man Teile davon künstlich herstellen. Dann denkt das Immunsystem, dass das Virus da ist. Sie wären die Spikes ab. Falls das echte Virus kommt, ist es vorbereitet. Das ist die Methode, die ist gerade aus. Da setze ich persönlich die meiste Hoffnung drauf. Ich sage immer, was hundertmal funktioniert hat, glaube ich dran. Dann wird es auch in diesem Fall funktionieren. Auch wenn die Produktion länger dauert. Länger als bei RNA- und DANN- Impfstoffen. Der Vorteil ist hier folgender: Man kann, wenn man merken sollte, dass die im Reaktion zu schwach ist. Zum Beispiel bei Alten. Dass die zu wenig in dem Sinne reagieren. Dass sie keine Antikörper und Immunität entwickeln. Oder wenn es so sein sollte, dass man merkt, dass hört zu schnell auf. Dass man nach ein paar Wochen keine neutralisieren Antikörper mehr hat. Dann kann man im Notfall Adjuvantien dazu geben. Wirkverstärker, die dafür sorgen, dass ein breiterer Teil der immunologischen Armee aktiviert wird. Das mehr Immunzellen aktiviert werden. Dass alle gemeinsam gegen das Virus kämpfen. Diese Wirkverstärker oder Adjuvantien haben den Nachteil, dass die Nebenwirkung der Impfung normalerweise stärker ist. Die Rötung und die Schmerzen an der Einstichstelle. Man will das bei Massenimpfungen vermeiden. Aber die haben den Vorteil, dass man in Situationen, wo die Viren nicht leicht zu bekämpfen sind, nachhelfen kann. Das wäre die zweite Stufe, die man zünden könnte, falls das nicht gut funktioniert mit der Antikörper-Antwort. Oder mit der immunologischen Antwort auf die normale Impfung.

Camillo Schumann

Wir haben zwei Varianten gesprochen. Und die dritte Möglichkeit?

Alexander Kekulé

Die dritte, die in der Diskussion ist, ist die, dass man ein anderes Virus nimmt. Dass man das als Vehikel nimmt, um die Eiweißmoleküle in die Zelle zu bringen. Dann hat man typischerweise eine Sorte von Erkältungsviren, Adenoviren. Da baut man ein Stück von SARS- COV2 ein. Das Stück, was den Spike an der Oberfläche hat, den rezeptorbindenden Teil repräsentiert. Dann helfen die Adenoviren nach, dass das Anti-Gen, was man hat, also die immunionisierende Substanz, die man reinbringen will, in großer Menge produziert wird. Dass das vom Immunsystem gut erkannt wird. Der berühmte Impfstoff von dem Gender Institut Oxford ist jetzt weltweit einer der favorisierten Kandidaten. Das ist eine Art Adeno-Impfstoff. Der Nachteil, der vom Virus vermittelten Impfstoffe, Adenovektor sagen wir... Vektor ist der Träger, der das dahin bringt. Diese Virus vermittelten Impfstoffe, die stehen in den Verdacht, Nebenwirkungen zu haben. Da muss man aufpassen. Dass man nicht aus Versehen zu einer Überstimulation des Immunsystems beiträgt.

Camillo Schumann

Das war eine Vorlesung zum Thema Impfstoffe, Immunität, Antikörper. Wir sind gespannt, wie sich die nächsten Wochen und Monate entwickeln in Bezug auf Impfstoffe und auch den Verlauf der Immunität. Wir werden regelmäßig im Podcast darüber berichten. Das war ein kleiner Exkurs und Basiswissen. Der kann nicht schaden. Herr Kekulé kommen wir zum nächsten Thema. Da werden sich alle Technikfreaks freuen. Kann ein Mensch an Covid 19 erkranken oder nicht. Das ist auch nach einem negativen Test nicht richtig klar. Trotzdem kann er infiziert sein. Er kann Symptome zeigen. Vielleicht ist es auch eine andere Krankheit mit ähnlichen Symptomen. Was tun, um ihn bestmöglich zu behandeln. Könnte Künstliche Intelligenz helfen? Eine Software, die ständig mit vielen Daten gefüttert wird. So kann diese dann selbstdenkend Hinweise und Handlungsempfehlungen gibt. In Großbritannien wurde das gemacht. Testweise. KI zur Diagnose im Krankenhaus. Es hat funktioniert?

31:33

Alexander Kekulé

Es gibt eine interessante Studie von Oxford, Harvard und anderen renommierten Einrichtungen. Es gibt eine große Fraktion unter den Labordiagnostikern. Die haben Spaß an Computern und künstlicher Intelligenz. Die versuchen seit längerer Zeit Algorithmen zu entwickeln, mit denen man automatisiert den Ärzten Entscheidungen abnimmt, welche Krankheit vorliegt. Da werden nicht nur Covid 19 Tests sondern alle möglichen anderen Laborwerte eingerechnet. Man guckt dann nicht mehr auf den menschlichen ärztlichen Verstand. Sondern man guckt mit Algorithmen, mit selbst lernenden Computerprogrammen. Man guckt, ob es Muster gibt in den Laborwerten. Da kommt dazu, das Calcium, dass man im Blut hat. Dass die Gerinnungsfaktoren, die Interleukine. Die Stoffe, die die Immunantwort repräsentieren. Und da kommt noch vieles anderes. Dann guckt man, ob sich insgesamt ein Bild herauskristallisiert. Dass man sagt, Mensch, das könnte Covid 19 sein. Die Bilderkennung aus Einzeltaten macht der Computer selbstständig. Das ist akademisch interessant. Praktisch, ich war lange in der Medizin als Arzt unterwegs... Ich bin da bisschen konservative. Ich schaue mir lieber den Patienten an, wie er leibt und lebt. Ich treffe Entscheidungen selber. Ich will das keinem Computer überlassen. Die nächste Generation Ärzte wird sich auch sowas vielleicht verlassen.

Camillo Schumann

Es ist doch eine super Grundlage. Es heißt ja nicht, dass der Computer Ihre Entscheidung abnimmt. Als Arzt wünscht man sich doch, in diesen Körper reinschauen zu können. Das bekommt man abgenommen.

Alexander Kekulé

Das hilft da ein bisschen. Man muss sagen, nicht jeder Arzt ist auch noch Facharzt für Labormedizin. Nicht jeder kann bei jedem einzelnen Laborwert auf den Zetteln jede Interpretation ad hoc richtig machen. Da sind die Ärzte mit den Unmengen von Tests, die es gibt, überfordert. Es gibt Top-Internisten, die das draufhaben. Nicht jeder, der überall im Einsatz ist, hat das ganze Spektrum aller

Labortests vor Augen. Da kann sowas helfen. Der Computer kann ohne Probleme ein paar 100 Werte im einzelnen anschauen. Bei dieser Studie haben die das so gemacht, dass die über 170.000 verschiedene Laborkonstellationen ausgewertet haben. Sie haben den Computer darüber laufen lassen. Sie haben festgestellt, mit welcher Wahrscheinlichkeit kann der aus diesen Werten eine Covid 19 Diagnostik stellen. Da ist es so, dass der 77 % aller echt Covid 19 Kranken erkannt hat. Dreiviertel hat er erkannt, ohne dass man menschliches Zutun brauchte. Und umgekehrt von denen, die er erkannt hat, waren 95 % richtig erkannt. Die Spezifizität war 95% und die Sensitivität lag bei 77%. Das ist eine gute Leistung für so einen Computer. Ich sage gemein, so mancher klinisch überforderte Arzt nach 24 Stunden Dauerdienst ist nicht so gut von der Diagnostik auf Anhieb. Deshalb ist es ein gutes Instrument. Ich finde die wichtigste Anwendung für sowas in Situationen, wo ärztliche Ressourcen begrenzt sind. In Entwicklungsländern. Da hat man nicht so viele Ärzte. Wenn da ein Medicalworker Blut abnimmt, Test macht und vom PC eine Verdachtsdiagnose bekommen. Dann ist das Gold wert für die weiteren Entscheidungen. Zum Beispiel ob der Patient Krankenhaus muss o. ä. Wir haben auch in Europa Ecken, wo die ärztliche Versorgung nicht so gut ist. Wo man sich vorstellen kann, dass sowas für die Vorentscheidung nützlich sein kann.

Camillo Schumann

Künstliche Intelligenz für dir Diagnose. Können Sie sich noch andere Bereiche vorstellen? Auch in der Prävention zum Beispiel. Wo es eingesetzt werden könnte?

Alexander Kekulé

Alle reden über Fußball. Das haben wir auch schon gemacht. Wenn es so wäre, man hätte eine Künstliche Intelligenz zum Beispiel bei einer Großveranstaltung. Dass man feststellt, wer hat mit wem Kontakt gehabt. Durch Auswertung von Videokameras. Wer ist durch welchen Eingang eingegangen? Die Bluetooth- Daten aus den Tracking Apps. Und weitere Parameter, die zum Beispiel ein individuelles Profil sein könnten. Zum Beispiel Kinder und Jugendliche verhalten sich anders als

Erwachsene. Es kann sein, dass eines Tages die Fußballstadien mit einem KI-System überwacht werden. Dass man dann selektiv Sanitäts-Teams losschicken kann. Wenn man feststellt, dass an einer Ecke sich die Leute nicht an die Kontaktbegrenzungen halten. Dann muss die Bevölkerungszahl sagen, ob sie so etwas will. Das klingt nach George Orwell. Die Frage ist, wie wichtig sind einem Großveranstaltungen. Und wie wichtig ist einem die Infektionsprophylaxe.

Camillo Schumann

Und das normale Leben. Spaß haben sozusagen wie vor Corona. Hand aufs Herz. Sie wünschen sich doch bestimmt auch, mit Freunden ohne Hygienesystem zu feiern. Ohne Mindestabstand und Maske.

37:24

Alexander Kekulé

Das ist selbstverständlich. Bloß weil Virologen interessiert sind an dem Objekt ihrer Untersuchung, dass sie nicht selber leiden würden nur unter der Gesamtsituation. Ich finde die leichte Anstrengung in der ganzen Kommunikation. Diese stärkere Gereiztheit in der Gesellschaft. Das bemerke ich auch unter Kollegen. Es ist nicht so, dass da Menschen davor gefeit sind. Es ist notwendig, solche elektronischen Systeme und mehr Tests brauchen wir mittelfristig. Dass wir uns ständig gegenseitig überwachen, damit wir solche individuellen Freiheiten wiederherstellen.

Camillo Schumann

Mehr Tests, individuelle Freiheit. Damit sind wir beim nächsten Thema. Feiern wie früher. Mit Buffet und DJs. Ohne Maske und Abstandsregeln. So war es am kommenden Wochenende in Offenbach geplant. Ein Partyexperiment. Der Plan: Früh machen die Party-Leute einen Coronatest. Ist der negativ, geht es abends zur Party zum Feiern ohne Mindestabstand und Maske. Die Stadt hat diesen Test untersagt. Begründung: die geltende Mindestabstandsregel. Ein professionell durchgeführter Covid 19 Tests hebt den Sicherheits-Abstand nicht auf. Was halten Sie von der Idee? Früh der Test und

abends zur Party? Dann pfeifen wir auf Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen.

Alexander Kekulé

Das ist nicht so abwegig. Das klingt brutal. Vielen mag das die Haare zu Berge stehen. Der Vorschlag kam vielleicht nicht so richtigen Zeitpunkt. Jede Idee auch ihre Zeit, ihre Reife damit sie ankommt in der Gesellschaft. Ich verstehe, dass das Gesundheitsamt vorsichtig war. Es ist doch aber so, wenn man sich das rechnerisch durchschaut, dann ist in Deutschland die Infektionslage unter Kontrolle. Halbwegs. Wir haben 300 Neuerkrankungen pro Tag im Durchschnitt. Das ist nicht viel. Wenn man eine Dunkelziffer von Faktor zehn draufsteht. Das darf man machen. Dann hat man 3.000 am Tag neue Erkrankungen. Also welche, die akut rumlaufen und 82 Millionen Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, einen neuen Erkrankten zu begegnen, liegt bei 1:30.000. Man muss sagen, wenn ich morgens den Test gemacht habe und der Test war vernünftig. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich bis zum Abend positiv werde, weil ich vielleicht unerkannt infiziert war. Oder das Test falsch negativ war. Die Chance ist relativ gering. Ich kann sagen, vielleicht 1 von 10 ist dann höchstens das diagnostische Fenster. Dass der quasi falsch negativ getestet wurde. Dann sind Sie bei 1: 300.000. 1: 300.000 als Risiko. Und dann muss derjenige, der durch die Lappen gegangen ist, auch erst mal jemanden anderen infizieren. Es muss ein Superspread-Ereignis geben, damit das relevant ist. Wenn einer einen anderen ansteckt oder einer zwei andere einsteckt, dann kann man sagen, das ist schlimm. Das hätte aber überall passieren können. Da brauchen Sie keine Großveranstaltung. Die Angst vor Großveranstaltungen ist die Angst vor Superspreader-Events. Wenn man die ganze Veranstaltung so macht, dass die Luft zirkuliert. Dass die nicht alle in einem Keller unterirdisch ohne Luftbewegung zusammengepfercht werden. Dann würde ich sagen, ist die Wahrscheinlichkeit, selbst wenn einige positiv rumlaufen... Dass es zum Superspread-Ereignis kommt. Dann ist diese Wahrscheinlichkeit noch Mal gering. Dann sind sie im Bereich von eins zu paar 100.000 Risiko. Das ist ein Risiko, was wir sonst im Leben auch in Kauf nehmen. Nur manche

nennen das Restrisiko. Dafür, dass man bestimmte Freiheiten hat. Es gibt ein Restrisiko im Straßen-Verkehr, im Flugzeug, durch die Atomkraft. Das sind alles Dinge und Risiken, die wir als Gesellschaft absichtlich in Kauf nehmen. Das müsste man diskutieren, ob man sowas hier auch macht.

Camillo Schumann

In dem Fall ist der zeitliche Bereich zwischen Test und Ereignis, in dem Fall die Party oder was auch immer. Das ist also enorm wichtig?

Alexander Kekulé

Das ist entscheidend. Zwischen Infektion und Auftreten der Symptome. Das kann in Deutschland jeder runterbeten. Dazwischen liegen ca. fünf Tage. Wir wissen auch, dass bei dieser Erkrankung, nicht nur hier am Tag vor Auftreten der Symptome. Da findet häufig eine Infektion statt. Es ist also am vierten Tag schon. Wir haben von fünf Tagen einen Tag, der gefährlich ist. Da könnte man infektiös sein und merkt nichts davon. Oder die Leute, die symptomlos bleiben. Da gibt es auch eine große Zahl. Je knapper der Abstand ist zwischen Test und der Exposition also den Kontakt mit dem möglichen Infizierte... Je knapper der Abstand ist, desto sicherer ist die Aussage des Tests. Die Schwachstelle bei dem ganzen, das muss man offen diskutieren. Das haben die in Offenbach sicher gemacht. Die Schwachstelle ist nicht so sehr das diagnostische Fenster. Also die Frage, wie viele sind in dem Bereich, wo sie noch nicht erkannt haben, dass Sie infektiös sind. Dass der Test gerade noch negativ war und dass er dann am Abend positiv werden würde. Nein die Schwachstelle ist bei der Abnahme der Proben. Dass man da nicht genügend Speichel erwischt oder man an der falschen Stelle was nimmt, sodass der Test von der Methode, wenn so viele Leute das machen, eine eigene Fehleranfälligkeit hat. In diese Richtung muss es letztendlich gehen. Wir müssen solche Massentests machen. Als Veranstalter hätte ich gesagt, Risikopersonen dürfen nicht teilnehmen. Ich weiß nicht, wie das in Offenbach war. Jemand, der 70+ ist, soll nicht teilnehmen. Ich hätte auch gesagt, dass jeder, der auf der Veranstaltung war, und die Menschen verhalten sich unterschiedlich. Die, die Ischgl-mäßiges Verhalten an den Tag

legen, die sollen nachher hinterher in Quarantäne sein. Dass sie zumindest durch ein bis zwei negative Tests nachgewiesen haben, dass nichts passiert ist. Mich hätte das Experiment interessiert. Man müsste es ausprobieren. Als Experiment mit Begleitforschung war es gedacht.

44:17

Camillo Schumann

Vielleicht war es als Experiment gedacht. Vielleicht können die Veranstalter das in der Diskussion mit der Stadt noch durchsetzen. Die Veranstaltungsbranche in Deutschland wartet auf Möglichkeiten, zum normalen Betrieb zurückzukehren. Wenn es da was gibt, erfahren Sie es im Podcast. Herr Kekulé, wir haben uns wieder verplaudert. Wir müssen noch Hörer-Fragen, wir dürfen noch Hörer- Fragen beantworten. Herr S, aus Sachsen- Anhalt hat angerufen. Leider ist er schlecht zu verstehen. Ich trage deshalb seine Frage vor: Er hört und liest immer nur die Gesamtzahl der infizierten. Ihn interessiert aber, wie viele Menschen in Deutschland und in Sachsen- Anhalt, wo er wohnt, aktuell an Corona infiziert sind.

Alexander Kekulé

Das läuft auf die Frage hinaus, wie viele Personen sind genesen und wie viele Personen sind in der Differenz übrig, die tatsächlich krank sind. Das Problem ist, wir wissen nicht genau, wie viele genesen sind. Aber das Robert Koch-Institut gibt über die Zahl der wieder gesunden Personen immer eine Schätzung ab. Die geht vom Durchschnitt aus. Daraus kann man ausrechnen die Differenz, wie viele Personen noch infektiös sind.

Camillo Schumann

Das habe ich gemacht. Heute am 16. Juli 2020: Es sind 200.260 Corona Fälle gemeldet worden. Das sind alle Fälle seit Beginn des Ausbruchs. Von diesen 200.260 zieht man die rechnerisch Genesenen ab. Das sind aktuell 186.400. Davon zieht man die Zahl der Toten ab, aktuell 9.079. Dann kommt man auf 4.782 aktive Coronafälle in Deutschland. Herr S. wollte noch die Zahl von Sachsen-Anhalt wissen. Das sind 54. Diese aktiven Fälle. Da

gibt es viele Journalisten, die das jeden Tag ausrechnen, damit die Menschen auch ungefähr ein Bild haben, um das Ganze einschätzen zu können. Entscheidend ist ja, das sind ja nur Berechnungen und Schätzungen.

Alexander Kekulé

Das sind nur Berechnungen und Schätzungen. Mit einer gewissen Dunkelziffer sind diese Berechnungen richtig. Wichtiger ist die Zahl der Neuinfektionen. Wir gehen davon aus, dass die Fälle, die das Robert Koch-Institut registriert hat, dass diese unter Quarantäne oder in Isolierung. Die Fälle in Isolierung, die Kontaktpersonen in Quarantäne. Davon gehe ich aus, dass das dann der Fall ist, davon gehe ich aus. Interessant ist die Zahl, wie viele infizieren sich täglich neu. Das ist der Gradmesser für die Personen, die noch unerkannt und dadurch als Gefahr herumlaufen.

Camillo Schumann

Die sind aktuell in Deutschland bei ein paar 100 pro Tag. Die sind hochgegangen. Ein bisschen über 500. Das hat sich auf einem niedrigen Pegel eingependelt.

Alexander Kekulé

Das ist die gute Situation. Wir haben das im Moment im Griff. Ich kann mich daran erinnern, ein einziges Superspreader-Ereignis. Tönnies sollte uns eine Warnung sein. Ein einziges Ereignis dieser Art. Es kann eine einzige Party unvorsichtig im Keller sein. Das kann schlagartig 1.000 Fälle dazu bringen. Wenn die dann nicht komfortabler Weise alle in einem fleischverarbeitenden Betrieb arbeiten und gleich nebenan im Wohnheim wohnen, sondern sonst wo unterwegs waren in der Republik. Dann kann man schnell in kürzester Zeit aus 1.000 Fällen, 5.000 oder 10.000 Fälle machen. Da gibt es viele Orte auf der Welt, wo gezeigt wird, dass die rein theoretische mathematische Möglichkeit sich praktisch realisiert.

Camillo Schumann

Wir sind am Ende von Ausgabe 82. Ab und zu gibt es die positive Nachricht zum Schluss. Haben Sie was? Ich hätte was.

Alexander Kekulé

Schießen Sie los mit Ihrer guten Nachricht.

Camillo Schumann

Ich finde es positiv, dass die Politik bei künftigen Corona-Virusausbrüchen lokal agieren will. Sie haben schon gesagt, das ist ein Teil einer Normalität, dass es hier und da es Mal zum Ausbruch kommen kann. Auf den muss man irgendwie reagieren. Man muss damit irgendwie leben. Ich finde das beruhigend, dass man lokal statt regional agiert.

Alexander Kekulé

Das hängt mehr von den Gesundheitsämtern und von den Menschen selber ab. Letztlich vertraut die Politik ihrer Bevölkerung. Das ist ein gutes Zeichen. Man darf das Vertrauen nicht enttäuschen.

Camillo Schumann

Herr Kekulé, vielen Dank. Am Samstag zu einem Hörer-Fragen-Spezial. Bis dahin. Machen Sie es gut.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé. Dann schreiben Sie uns: mdraktuell- podcast@mdr.de. Rufen Sie uns an, kostenlos unter der 0800 3002200.

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass.


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 14.07.2020 #81: Sind Kinder Bremsklötze der Infektion?

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Dienstag, 14. Juli 2020. 1. Kinder seien Bremsklötze der Infektion. Über diese überraschende Aussage werden wir sprechen. 2. Dann: Kinderschnupfen, Symptom oder kein Symptom von Covid19? Der Druck auf das Robert Koch-Institut wächst. 3. Außerdem: Sachsen erlaubt ab September Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen, wenn eine Kontaktnachverfolgung möglich ist. Aber ist das überhaupt möglich? 4. Und sollte man seine Körpertemperatur senken, damit das Virus keine Chance hat? Wir wollen Orientierung geben.

Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin ein Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick aufs Coronavirus, und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Wir starten mal mit einem ziemlich bemerkenswerten Satz. Er kommt von Dr. Reinhard Berner, Direktor der Kinderklinik Dresden.

" Unsere Studie, aber auch andere Studien, sagen im Grunde, Kinder sind, wahrscheinlich anders als bei der Influenza, sogar Bremsklötze sozusagen in dieser Infektion. Das heißt, nicht jede Infektion, die ankommt, wird weitergegeben."

[0:01:23]

Camillo Schumann

Herr Kekulé, Kinder als Bremsklötze der Virusverbreitung, das haben Sie so wahrscheinlich auch noch nie gehört, oder?

Alexander Kekulé

Nein, jetzt haben wir das Spektrum ja in gewisser Weise voll. Es gibt so den Klassiker, dass man sagt, Kinder können bei Pandemien Durchlauferhitzer sein. Also besonders gefährlich, Multiplikatoren. Bis über so eine neutrale Haltung, bis zu Bremsklötzen. Das macht die Diskussion natürlich jetzt noch etwas bunter.

Camillo Schumann

So ist es. Anlass für diese Aussage war die Vorstellung einer Immunitätsstudie in Dresden. Untersucht wurde das Blut von über 2000 Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrern an insgesamt 13 sächsischen Schulen im Zeitraum Mai und Juni. Ergebnis: Trotz einiger Infektionen wurde das Virus offenbar so gut wie nicht weitergegeben. Denn nur zwölf Personen oder 0,6 Prozent hatten nachweislich Antikörper im Blut, also die Infektion auch durchgemacht. Hat Sie dieses Ergebnis überrascht?

[0:02:21]

Alexander Kekulé

Naja, es ist ja so, dass wir in Deutschland insgesamt eine sehr niedrige Durchseuchung haben. Man könnte sagen, wir hätten gerne mehr. Je mehr Leute immun sind, desto entspannter kann man die Sache natürlich sehen. Aber wahrscheinlich liegen wir in Deutschland noch deutlich unter fünf Prozent. Auf die Gesamtbevölkerung gesehen. Fünf Prozent aller Menschen, höchstens, haben die Infektion durchgemacht und sind wahrscheinlich deswegen immun.

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Wenn also jetzt bei einer Studie von 2000 etwa zwölf gefunden werden, die positiv sind, also die Antikörper gegen das Virus im Blut haben, dann ist es eigentlich keine überraschende Zahl. Das ist weder besonders hoch noch besonders niedrig. Man muss ja immer sehen, so was hängt sehr stark von einer Stichprobe ab. Wenn man die 2000 Proben irgendwo genommen hätte in einem Ausbruchsort, dann wäre es wahrscheinlich so gewesen, dass man dort mehr findet. Und im Osten Deutschlands ist das Virus ja nicht besonders verbreitet in der Allgemeinbevölkerung. Deshalb ist es eigentlich eine Aussage, die den Erwartungen entspricht so weit.

[0:03:21]

Camillo Schumann

Das haben auch die Studienmacher gesagt, dass es eben nicht anwendbar auf andere Gebiete in Deutschland ist. Und es wurden explizit ältere Schüler, im Median 15 Jahre, untersucht, weil die ein anderes Sozialleben haben als jüngere Kinder. Und es war auch so. 80 Prozent der Schüler gaben an, sich mit Freunden außerhalb der Schule getroffen zu haben. Sie hatten demnach ein viel größeres Risiko, sich auch draußen anzustecken und das Virus mit in die Schulen zu tragen. Das ist aber offenbar ausgeblieben. Das Coronavirus scheint also nicht wie bisher angenommen, wie die Influenza, an Schulen sich zu verbreiten. Wäre es jetzt vielleicht auch an der Zeit, bisherige Annahmen zu revidieren?

Alexander Kekulé

Nein, das kann man so nicht sagen. Das es nicht so ähnlich ist wie bei der Influenza. Also zunächst einmal sind es über 12-Jährige. Das heißt also, man darf das nicht vergleichen mit den Kindern in der Kita und in der Grundschule. Wo wir ja eigentlich diese Überlegungen immer hatten, dass wir gesagt haben, die können sich nicht an Hygieneregeln halten. Deshalb müssen wir aufpassen, dass die die Infektionen nicht weitergeben. Zwölf Jahre plus, das ist natürlich schon ein Alter, wo gerade heutzutage die Kinder sich doch fast wie Erwachsene verhalten. Manche Kinder sind

vielleicht sogar vernünftiger als Erwachsene, in dem Alter. Und wir wissen, dass so die Gruppe, die am sozial aktivsten ist, eigentlich dann so zwischen 20 bis 45 Jahre liegt. Die haben deshalb häufig auch die meisten Virusinfektionen bei Covid19. Wenn man jetzt die Jüngeren damit vergleicht, müsste man also gucken, sind Kinder zwischen zwölf und 18, je nachdem wie lange die in die Schule gehen, weniger häufig infiziert als eine Vergleichsgruppe, die dann etwas über 20 ist und nicht mehr in der Schule. Das würde dann vielleicht ein Hinweis darauf geben, dass die sich sozial anders verhalten. Das heißt also, dass die vielleicht begrenztere Freundeskreise haben. Wenn ich mich an die Schulzeit erinnere, da hatte ich die Freunde in meiner Schulklasse. Vielleicht noch die, die in der Nähe meiner Wohnung gewohnt haben, noch die Nachbarkinder oder Ähnliches. Aber das ist nicht so wie im späteren Alter, wo man dann auch in anderen Städten Leute kennt und einen weiteren Radius entwickelt. Sodass es hier durchaus möglich ist, dass, vom Sozialverhalten her, Menschen – ich sag mal, unter 20 Jahre vielleicht seltener infiziert werden. Wir wissen auch, dass diese Jugendlichen und Kinder ganz, ganz selten schwere Symptome bei Covid19 haben. Deshalb selten getestet werden. Insgesamt sehe ich aber nicht, warum so eine Feststellung gemacht wird, dass in der Schule die Kinder sich selten infizieren. Weil ja nicht unterschieden ist zwischen Infektionen, in der Schule und Infektion zu Hause. Und auch keine Vergleichsgruppe von Nichtschülern dabei war. Das sind ja alles Schüler gewesen. Daher finde ich die Studie interessant. Eine kleine Stichprobe mit 2000. Aber diese Aussage, die daraus gemacht wird, erscheint mir doch etwas sportlich zu sein.

[0:06:20]

Camillo Schumann

Aber interessant ist, dass das Virus innerhalb der Schule nicht weitergegeben wurde. Also auch nicht weitere Schüler und auch keine Lehrer, also Erwachsene, angesteckt worden. Deswegen auch dieses Bremsklotz-Bild.

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Alexander Kekulé

Na ja, das kann man auch wiederum nicht so sagen. Wir wissen ja aus Familienstudien. Da gibt es auch nicht so viele. Aber Heinsberg ist ja hat ja solche Daten geliefert. ES gibt auch internationalen ein paar. Wir wissen, dass selbst innerhalb einer Familie des Covid19- Patienten nicht so sicher an alle weitergegeben wird, wie wir das am Anfang gedacht haben. Da habe ich am Anfang auch die Vorstellung gehabt, wenn man so eine Familie hat und einer ist positiv. Da muss man nur zwei Wochen warten, dann sind garantiert alle infiziert. Das war zum Beispiel auch der Hintergrund, warum man am Anfang dieses Ausbruchs in Deutschland als die ersten Fälle in Bayern bei dem Autozulieferer Webasto aufgetreten sind. Wenn man einen Positiven gehabt hat, dann hat man die ganze Familie einfach gemeinsam in Quarantäne gesteckt. Nach dem Motto: Die haben es dann wahrscheinlich sowieso alle früher oder später. Heute weiß man, dass die Wahrscheinlichkeit zu einer Infektion in der Familie eigentlich eher bei 15 bis 20 Prozent liegt. Das heißt, es kann durchaus sein, dass einer in der Familie, im gleichen Haushalt positiv ist und jemand anders aus dem gleichen Haushalt negativ. Wenn es jetzt bei Schülern und Lehrern genauso ist, würde ich mich eigentlich nicht wundern. Ganz ehrlich gesagt. Kinder über zwölf und unter 16 haben die Besonderheit, dass sie nicht mehr ganz so unbefangen sind, was Hygiene betrifft, wie kleinere Kinder. Dass sie aber auch noch nicht so – sag ich mal - sexuell aktiv sind, dass sie engen Kontakt mit dem anderen Geschlecht ständig haben und auf die Weise vielleicht die Krankheit weitergeben. Ich kann mir schon vorstellen, dass das soziale Gründe hat. Dass die in dem Alter einfach das Virus nicht besonders auch häufig weitergeben und dass das eigentlich keine Besonderheit der Schulsituation ist.

[0:08:15]

Camillo Schumann

Wenn ich es richtig verstehe, nach wie vor bleibt sozusagen die Situation in den Kitas das Zünglein an der Waage, um es dann

abschließend bewerten zu können. Das soll in Sachsen jetzt auch gemacht werden. Auch eine begleitende Kita-Studie. Da setzen Sie dann sozusagen die größere Hoffnung drauf, um die richtigen Antworten zu bekommen?

[0:08:34]

Alexander Kekulé

Wir müssen hier pragmatisch vorgehen. Es geht ja nicht so sehr ums Akademische. Sondern es geht doch darum, können wir Kitas und Grundschulen aufmachen? Das ist ja die Frage. Bei den Älteren habe ich persönlich eigentlich nie einen Zweifel gehabt, dass man die in die Schule schicken kann mit entsprechenden Hygienemaßnahmen. Bei den Abiturienten habe ich ja von vornherein gesagt, die sollen ihr Abitur schreiben. Die sind alt genug, um aufzupassen auf Covid19. Und es geht aber wirklich um die Kleinen, Grundschule und Kita. Und da sind wir hier durch diese Studie jetzt nicht weiter. Was ja kein Vorwurf ist. Aber dann darf die Politik auch nicht sagen: "Wir haben jetzt eine Antwort auf die Frage, ob wir die Kitas und Grundschulen, ohne Sorge aufmachen können." Das ist ja die Frage, die uns alle umtreibt. Weil wir in diesem Alter den Kindern nicht wirklich Vorschriften machen können.

[0:09:22]

Camillo Schumann

Die Kitas in Sachsen sind ja schon offen mit Hygienekonzepten. Sachsen will nach den Sommerferien wieder zum Regelunterricht an den Schulen zurückkehren. Und diese Studie liefert nun Kultusminister Piwarz für dieses Vorhaben offenbar gute Argumente. Trotzdem ist Sachsens Kultusminister ziemlich sauer. Zum Beispiel auf Leute wie Saskia Esken, SPD- Vorsitzende. Die ist sehr, sehr skeptisch ist, was die Rückkehr zum normalen Unterricht angeht. Sie sagt: "Ich bin sehr skeptisch mit Blick auf das Ansteckungsrisiko. Denn die vorliegenden Studien geben uns keine Sicherheit, dass die Gefahr unter Kindern und Jugendlichen zu vernachlässigen ist." Solche Sätze bringen Piwarz ordentlich auf die Palme. Wir hören mal kurz rein.

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"Die wider besseren Wissens immer noch den Eindruck vermitteln, dass Kinder hier in besonderer Art und Weise Virenschleudern wären. Und dass Einrichtungen, wo Kinder sich aufhalten, Schulen und Kitas, Hotspots dieser Ausbreitung werden. Und das ist schlicht und ergreifend nicht der Fall. Das ist auch nicht in Sachsen der Fall, obwohl wir hier als erste geöffnet haben am 18. Mai. Ja, wir hatten einzelnes Geschehen. Aber wir haben nie irgendwo diese Entwicklung gehabt, dass sich Schulen und Kindertageseinrichtungen zu diesen Hotspots entwickelt hätten, wie das einige nach wie vor immer noch behaupten und den Eindruck erwecken, dass insbesondere von Kindern in eine hohe Gefahr ausgeht. Was man damit Kindern antut, wenn man sie so stigmatisiert, das sollte man wirklich dann mal auch in der politischen Diskussion miteinander diskutieren. Ich kann da keine wirklichen Argumente feststellen, weil die Realität in Sachsen, wie wir sie seit Mitte Mai erleben, eine andere ist."

Camillo Schumann

Können Sie die schlechte Laune von Herrn Piwarz verstehen?

Alexander Kekulé

Ja, ich kann sie durchaus verstehen. Das ist so, wenn so eine Sache quasi in die politische Diskussion übergegangen ist. Auf der anderen Seite finde ich, dass diese Polarisierung nicht richtig ist. Wenn er dann wiederum sagt, Virenschleudern und Hotspots sind die Kita- und Grundschulkinder nicht. Natürlich sind sie das nicht. Es ist ziemlich klar, dass wir hier zumindest bisher nicht so einen dynamischen Multiplikatoreffekt gesehen haben in Deutschland. Es gibt Hinweise auf so etwas in Israel. Es gibt aber auch andere internationale Studien. Die gehen ganz die Richtung, dass man sagt, so besonders drastisch, wie wir das vielleicht mal bei der Influenza gesehen haben, ist es bei Covid19 nicht bei Schulen und Kitas. Aber das spielt ja für die Diskussion eigentlich keine Rolle. Selbst wenn die Kinder das Virus nur genauso verbreiten, wie es Erwachsene machen, nehmen wir das einfach mal als

Arbeitshypothese. Und dann ist es einfach möglich, dass es in der Schule einen Superspreader-Ausbruch gibt und Sie dann unbemerkt in kürzester Zeit ganz viele infizierte Kinder haben. Und hier ist eben das Problem, dass die typischerweise wenig Symptome haben, sodass man es wahrscheinlich spät bemerken würde. Deshalb braucht man gar nicht die Hypothese, dass das Virenschleudern wären oder dass das extrem schlimm ist dort. Sondern wir wissen einfach, die haben wenig Symptome, die können andere auch anstecken. Und wenn sie jünger sind, ist es mit den Hygieneregeln immer so die Frage, ob man die den Kindern auferlegen möchte. Darum finde ich, muss man vorsichtig sein. Es wird ja auch richtig gemacht. Jetzt gibt es Begleitstudien, wenn es wieder losgeht nach den Sommerferien. Da werden wir das dann sehen. Da werden wir das Ganze entspannt feststellen, ob es zu Ausbrüchen kommt oder nicht.

[0:12:43]

Camillo Schumann

Christian Piwarz, der sächsische Kultusminister, macht sich, genauso wie Sie, Gedanken, wie es im Herbst an den Kitas weitergeht. Stichwort Kinderschnupfen. Also die laufende Kindernase, ohne wirklich krank zu sein. Bisher ist das Schnupfen auch bei kleinen Kindern laut Robert-Koch-Institut ein Symptom für Covid19. Das findet Herr Piwarz auch sehr, sehr zweifelhaft:

"Stichwort der berühmte Schnupfen, um den es bisweilen geht. Ich würde mir wünschen, dass es auch dort seitens des Robert Koch-Instituts noch mal eine Klarstellung gibt, was typische Symptome von Covid19 gerade bei Kindern sind. Im Regelfall gehört nach dem, was wir wissen, Schnupfen im Zweifel nicht dazu."

Camillo Schumann

Schnupfen gehört laut RKI mit 21 Prozent zu den häufigsten Symptomen neben Husten und Fieber. Da wird dann zwischen Kindern und Erwachsenen auch kein Unterschied gemacht.

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In Sachsen und Sachsen-Anhalt ist der Kinderschnupfen kein offizielles Symptom mehr für Covid19. In Thüringen ab Donnerstag auch nicht mehr. Die Bundesländer behelfen sich schon mal selbst. Sie selbst sehen das ja genauso. Kinderschnupfen ist kein Symptom für Covid19. Herr Piwarz fordert eine Klarstellung vom RKI. Sie auch?

Alexander Kekulé

Ich fordere da gar nichts. Sie wissen ja, dass die Ansichten da etwas unterschiedlich sind. Das Robert Koch-Institut ist der Meinung, dass der klassische Kinderschnupfen, also diese laufende Nase ohne weitere große Symptome, ein Zeichen auf Covid19 sein kann. Da haben wir, glaube ich, in dem Podcast schon mal drüber gesprochen. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. International ist es so, dass nach allem, was ich kenne, sowohl die amerikanische Seuchenbehörde als auch die australische, die britische, die französische und die chinesische sagen, dass das etwas anders ist. Nämlich so, dass bei dem klassischen Covid19 auch bei Kindern die Kardinalsymptome sind: Fieber. Da kann man ruhig großzügig sein und sagen ab 37,5 Grad gilt es schon als Fieber. Dann Husten oder aber auch Kurzatmigkeit. Wobei bei Kindern eher typisch der Husten wäre. Diese Kurzatmigkeit, die wir von Erwachsenen manchmal isoliert sehen, ohne Husten, ist da nicht so typisch. Es können auch mal Halsschmerzen sein. Und dann gibt es den Klassiker. Da weiß ich aber nicht, wie häufig das bei Kindern ist. Das ist dieser Geschmacks- oder Geruchsverlust. Das sind so diese ganz typischen Covid19- Symptome. Speziell bei kleineren Kindern, so unter zwei Jahren, ist es nicht selten, dass so etwas wie Durchfall, Übelkeit dazu kommt. Manche haben auch Erbrechen gehabt. Weil das in diesem jüngeren Alter eher mal auch auf den Magen-Darm-Trakt gehen kann. Wenn Sie diesen Komplex haben und da dann zusätzlich die Nase verstopft ist, zum Beispiel, weil man sehr viel gehustet hat, dann ist es natürlich ganz was anderes als das, was wir normalerweise unter Kinderschnupfen

verstehen. Aus meiner Sicht wäre die Empfehlung ganz einfach. Wenn Sie nur einen isolierten Kinderschnupfen haben, sonst nix und das Kind sonst völlig gesund wirkt und vor allem diese Kardinalsymptome von Covid19 nicht dabei sind, dann ist es kein Verdacht auf Covid19. Das muss aber, weil wir das bundeseinheitlich geregelt brauchen, das Robert Koch-Institut an der Stelle festlegen. Da ist die Zuspielung, die Sie gerade gebracht haben, hat völlig recht gehabt. Man muss da so ein bisschen folgenden Hintergrund sehen: Kinder unter zwölf Jahren ungefähr machen vier- bis achtmal im Jahr einen normalen Schnupfen durch. Eine normale, einfache Erkältung. Da gibt es ganz viele Viren, sogenannte Rhinoviren. Die spielen eine große Rolle. Die können so was machen. Und die Kinder werden lernen ein Virus nach dem anderen kennen, bis das Immunsystem so alle durch hat. Dann hört das langsam auf. Wenn Sie da jedes Mal die Kinder nach Hause schicken und jedes Mal zum Covid19-Test schicken. Und dann müssen Sie auch die Frage stellen, wenn es jetzt einmal getestet wurde: Wie lange muss es denn danach noch zuhause bleiben, falls es doch noch positiv wird, und so weiter. Dann können Sie die Schulen gleich zulassen. Weil dann haben Sie so einen hohen Anteil von Fehlerquote von Kindern, die im Herbst nicht mehr kommen können. Dann ist diese Frage durchaus berechtigt: Was ist bei einem ganz einfachen, der Arzt sagt, bei einem blanden, einfachen, simplen Kinderschnupfen, ohne weitere Symptome? Muss ich da einen Covid19-Verdacht haben? Ja oder nein? Und da gibt es eben unterschiedliche Interpretationen in Deutschland, vom RKI und von vielen, vielen anderen Fachleuten.

[0:17:19]

Camillo Schumann

Wir sind gespannt, zumal jetzt auch der Druck der Bundesländer größer wird. Sie schreiten voran. Wie sich das RKI möglicherweise in den kommenden Tagen oder Wochen zum Kinderschnupfen noch einmal positionieren wird. Wir bleiben dran, auch hier im Podcast. Wir bleiben in Sachsen, Herr Kekulé.

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Sächsischer Schwerpunkt heute in diesem Podcast. Die sächsische Landesregierung hat heute ihre neue Corona-Verordnung beschlossen. Spannend daran ist, dass Sachsen Großveranstaltungen über 1000 Personen erlauben wird. Und zwar ab 1. September. Bis zum 1. September bis 1000, und ab 1. September 1000 Personen plus. Das ist deutschlandweit einmalig, aber nur unter folgenden Voraussetzungen, die Gesundheitsministerin Petra Köpping geschildert hat heute:

"Aber beides ist nur möglich, wenn tatsächlich ein genehmigtes Hygienekonzept vorliegt und wenn die Kontaktnachverfolgung gewährleistet ist. Das Gleiche trifft zu für die Themen Theater, Kinos, Opernhäuser, Kirchen, Kongress-Center, Musikclubs und Zirkusse. Auch dort wollen wir eine verpflichtende datenschutzkonforme, datensparsame Kontaktnachverfolgung absichern. Aber gleichzeitig muss ein genehmigtes Hygienekonzept vorlegen. Das ist uns wichtig, weil bei diesen Einrichtungen eben der Mindestabstand verringert werden kann. Das heißt, dass wir tatsächlich die Kontaktnachverfolgung absichern müssen."

[0:18:56]

Camillo Schumann

Eine datenschutzkonforme Kontaktnachverfolgung bei Großveranstaltungen über 1000 Personen. Nur mal als Beispiel: RB Leipzig plant, 20.000 wieder ins Stadion zu lassen. Ist das möglich?

Alexander Kekulé

Rein theoretisch geht natürlich alles. Das ist so. Hier wird das Problem im Grunde genommen auf die nächste Ebene verlagert. Weil die Hygienekonzepte müssen die Gesundheitsämter vor Ort abnehmen. Klar könnte man sagen, wenn im Hygienekonzept drinnen steht, dass sich die Menschen nicht näher kommen als eineinhalb Meter, dass die Räume zum Beispiel ein bestimmtes Mindestvolumen haben oder das Ganze im Freien stattfindet. Fußballstadien sind ja durchaus sehr luftig. Wenn man vielleicht nur

jeden zweiten Sitz besetzt und dann auch immer genau weiß, wer der Nachbar war und auf irgendeine Weise registriert, wer vor oder hinter einem in der Pause am Bierstand wartete oder auf der Toilette, beim Gedrängel um die einzige gerade noch freie Kabine usw. Wenn man das alles sozusagen rein theoretisch datentechnisch erfasst und dann auch noch datenschutzkonform. Ja, das könnte man so machen.

Camillo Schumann

"Das könnte man so machen" hört sich aber mit ganz vielen Wenns und Abers an. Gab es so etwas schon mal? Gibt es so eine Blaupause? Oder ist das sozusagen jetzt die Operation am offenen Herzen?

Alexander Kekulé

Ich bin ja immer dafür, erst die Lösung zu präsentieren und dann eine Regel draus zu machen. Und hier ist ein bisschen der umgekehrte Weg gegangen worden. Es gibt durchaus eine ganze Reihe von experimentellen Situationen, wo man versucht, zum Beispiel auch in Fußballstadien, rauszukriegen, wie kann man so Kontakte geschickt nachverfolgen? Das ist in so einer regional begrenzten Situation wie in so einem Fußballstadion zum Beispiel oder auch beim anderen Veranstaltungsort eigentlich viel einfacher als in der allgemeinen Bevölkerung. Weil Sie wissen, wo sind die Räume mit wenig Volumen? Wo sind die Räume mit schlechter Durchlüftung? Toiletten zum Beispiel. Und Sie wissen auch, wer ist durch welchen Eingang reingegangen. Und dann gibt es ja in solchen speziellen Situationen natürlich viel mehr einzelne Datenpunkte, die man auswerten kann. Zum Beispiel kann man feststellen, in welchem Block jemand gesessen hat. Wo er dann genau sich seine Wurst gekauft hat. Um wie viel Uhr er reingekommen ist, wenn man so ein Scanning am Eingang hat. Und rein theoretisch wäre es auch möglich, die Videokameras auszuwerten, die in diesen Bereichen ja fast überall aus Sicherheitsgründen sind. Das sind Dinge, die man im allgemeinen öffentlichen Bereich

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selbstverständlich nicht haben will und die auch bei uns gegen den Datenschutz verstoßen würden. Zum Glück. Aber man kann sich natürlich vorstellen, dass Leute, die eine spezielle Veranstaltung besuchen, sich einverstanden erklären, in dieser Weise erfasst zu werden, für diese eine Veranstaltung. Und deshalb ist das alles möglich. Da werden Tests gemacht, da werden zum Teil jetzt Studenten in großer Zahl in Stadien geschickt. Jeder hat irgendein Bluetooth-Dongle dabei. Und dann wird ausgewertet, welche Kontakte es da gibt. Dann werden Risikoprofile relativ aufwendig erstellt. Wenn das alles dann funktioniert und man gelernt hat, welche Parameter da eine Rolle spielen und das dann auch abgleicht mit der Gefährlichkeit von Begegnungen. Es gibt Begegnungen, die sind relativ harmlos, obwohl man relativ nah zueinander stand. Ich sag mal, kurz Rücken an Rücken ist keine Gefahr, aber face-to-face im geschlossenen Raum schon eher. Und wenn man das alles abgeglichen hat, da wird am Schluss vielleicht so eine Software rauskommen. Die kann ganz vernünftig die Leute rausfiltern kann, die möglicherweise Kontakt mit einem Infizierten hatten.

[0:22:31]

Camillo Schumann

Wenn ich Sie richtig verstehe, ohne Elektronik werden wir da nicht auskommen. Also dieser berühmte Zettel, wo man dann ein Name, Vorname, also Micky und Maus draufschreibt, wo dann jeder sich etwas ausdenken kann, da werden wir nicht weiterkommen. Also es wird ohne Elektronik nicht gehen, wenn ich Sie richtig verstehe.

Alexander Kekulé

Also das ist meine persönliche Meinung, ja. Also weil wir einfach hier von Großveranstaltungen jetzt sprechen. Und das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie das händisch funktionieren soll. So ähnlich wie in der Kita, wo jeder morgens einen Zettel mitbringt, dass alle gesund sind in der Familie. Das kann man vielleicht gerade noch im Restaurant machen, wenn das überschaubar ist. Aber ich glaube nicht bei einer

Großveranstaltung. Und die Elektronik, die gibt es im Prinzip. Die muss nur für diese Fälle erst speziell hingetrimmt werden. Die Bluetooth- Geräte müssen dafür speziell gebaut werden. Und das muss eben optimiert werden, dass es auch wirklich funktioniert. Ich als Epidemiologe würde natürlich gerne zuerst sehen, dass es funktioniert. Also irgendeine Studie, die beweist, dass man viele dieser Infektionsketten damit nachverfolgen kann. Statt des andersrum zu machen. Nach dem Motto "Wir probieren es erst mal aus". Wir erlauben es erst mal, und hinterher schauen wir ob es Ausbrüche gibt oder nicht. Es gibt eine ganze Reihe von Entwicklern weltweit, die versuchen, da was zu machen. Ich weiß zum Beispiel von einer Studie, die auf einem Campus in den Vereinigten Staaten genau das versucht. Durch Bluetooth und eben mit der dort vorhandenen räumlichen Struktur bessere Daten rauszuholen, als man das mit so einer allgemeinen Warn-App machen kann. Die berücksichtigt den Ort, an dem sich jemand befunden hat beim Kontakt, gar nicht.

[0:24:07]

Camillo Schumann

Okay, unterm Strich wäre wichtig, wenn ich Sie so richtig verstehe, dass die räumlichen Gegebenheiten eigentlich Grundlage dafür sind, dass man die Kontaktnachverfolgung effizient und gut gestalten kann bei Großveranstaltungen.

Alexander Kekulé

Ja, genau. In welchem Raum wir sind, ist doch einen Riesenunterschied. Wenn ich mich mit Ihnen auf dem Berg treffe bei 30 Stundenkilometer Seitenwind, dann könnte ich Ihnen wahrscheinlich sogar ins Gesicht brüllen, ohne dass Sie die Infektionsgefahr haben. Und wenn wir das Gleiche in einem Raum machen, wo die Türen zu sind und die Luft steht, ist es anders. Und deshalb muss man den Faktor Raum, also Belüftung und Volumen und Zahl der Personen im Raum, den muss man in so einer Risiko-Matrix mit integrieren. Da gibt es Arbeiten in die Richtung. Ich glaube schon, dass wir eines Tages dazu in der Lage wären,

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so etwas nachzuverfolgen. Für mich ist eigentlich der wichtigste und plausibelste Parameter, der mir noch fehlt bei diesen ganzen Dingen in Deutschland, die Möglichkeit, dass man die Leute kurz vorher testet. Weil das wäre wirklich ein ganz wichtiger zusätzlicher Faktor. Wenn wir wissen, die waren kurz vorher im Test negativ, und man das auch noch in die ganze Risikobeurteilung mit einfließen lassen kann. Ich glaube, dann können wir mit Corona ganz gut leben.

[0:25:22]

Camillo Schumann

Das hängt auch ein bisschen von der Kreativität der einzelnen Unternehmen ab, wie es dann die Bude wieder voll bekommen will. Und möglicherweise spielt der Test dann auch noch Rolle. Apropos ins Gesicht brüllen. Wir kommen zum nächsten Thema. Die Überschrift zu diesem Thema kommt von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:

"Wir müssen sehr aufpassen, dass der Ballermann nicht ein zweites Ischgl wird."

Camillo Schumann

Tja, wenn man sich die Bilder vom Ballermann vom vergangenen Wochenende anschaut, da liegt dieser Vergleich sehr, sehr nahe. Feiernde Touristen, auf Abstands- und Hygieneregeln wurde gepfiffen. Auf Mallorca gilt eine Maskenpflicht jetzt auch für den öffentlichen Raum, den ganzen Tag. An Strand und Pool gibt es eine Ausnahme. Auch eine Maskenpflicht, allerdings ab 21 Uhr, hat Velden am Wörthersee in Österreich eingeführt. Sebastian Schuschnig, Landesrat für Tourismus in Kärnten, sagt, warum:

"Ganz Österreich schaut auf Kärnten, schaut auf den Wörthersee. Wir stehen auch europaweit unter Beobachtung. Und ich befürchte, wenn wir hier nachlässig werden, wenn bei uns eine Clusterbildung stattfindet, hätte das fatale Auswirkungen für die Tourismuswirtschaft in ganz Österreich."

Camillo Schumann

Herr Kekulé, immer mehr Touristenorte führen

so eine Maskenpflicht auch in der Öffentlichkeit ein. Auch in Deutschland ist es eine symbolische oder eine wirkungsvolle Maßnahme?

Alexander Kekulé

Ich glaube, es ist vor allem ein Zeichen der Verzweiflung. Im Freien eine Maskenpflicht einzuführen ist etwas, was nur in ganz wenigen Ausnahmesituationen sinnvoll ist. Da muss es wirklich klar sein, dass man in engen, schmalen Gassen ganz gedrängt sehr, sehr viele Touristen hat und es einfach nicht anders geht, als so viele da durchgehen zu lassen. So eine Situation würde ich versuchen sowieso zu vermeiden, wenn ich das Tourismusbüro wäre. Und Velden am Wörthersee kenne ich zufällig ganz gut. Da gibt so was nicht. Das ist ein Ort, der durchaus Platz hat. Ich glaube, das Problem, was wir so in den Fernsehbildern sehen, auch aus Mallorca, ist in gewisser Weise die Spitze des Eisbergs. Natürlich wissen auch die Behörden auf den Balearen, dass Menschen, die tagsüber irgendwo durch die Straßen gehen, extrem geringe Wahrscheinlichkeit haben, sich zu infizieren. Auch wenn der Mindestabstand hier und da mal unter einem Meter sein mag oder nicht eingehalten wird. Andererseits ist das, was man nicht in den Bildern sieht, wahrscheinlich das, was dann abends passiert. Dass eben in den geschlossenen Räumen, in dem Partykellern, vielleicht sogar im privaten Bereich, die Menschen im geschlossenen Raum nahe beieinander sind. Und dort ist die Infektionsgefahr groß. Dort kommt aber natürlich die Polizei nicht so richtig ran. Darum glaube ich, haben die ganz allgemein diese Verzweiflungstat begangen, dass sie jetzt sagen: "Ab 21 Uhr in Velden muss die Maske aufgesetzt werden, egal wo." In Palma de Mallorca muss man also, wenn man durch die Straßen geht, eine Maske aufhaben. Auch wenn man mehr oder minder allein ist in manchen Seitenstraßen. Das ist eher ein Zeichen dafür, welche Psychologie offensichtlich die Touristen im Ausland haben.

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[0:28:21]

Camillo Schumann

Also wenig wirkungsvoll, wenn ich es richtig verstanden habe. So ein Urlaub geht ein, zwei Wochen. Dann kommen die Menschen zurück. Das ist genau die Zeit, die sozusagen für das Ausbrechen der Krankheit enorm wichtig ist. Also im Urlaub noch alles schick. Wenn die Menschen zurückkommen, liegen sie dann hier möglicherweise zu Hause oder im Krankenhaus.

Alexander Kekulé

Ja, das wäre das Schlimmste. Das ist jetzt hier von dem Tourismusbeauftragten in Velden richtig gesagt worden. Es ist so, dass die Gefahr ja immer ein richtiger Ausbruch ist. Also wenn man jetzt ein Superspreading-Ereignis hätte, so wie in Ischgl. Und das würde woanders passieren, in Mallorca oder sonst wo. Aber da wäre es mit Sicherheit in einem geschlossenen Raum. Dann hätte man die Situation, dass man hinterher viele, viele Fälle hat, die nach Hause gereist sind, und die das zu Hause erst einmal weitergeben. Wir können ja nicht für Menschen, die in Österreich im Urlaub waren oder auf Mallorca waren, hinterher 14 Tage Quarantäne anordnen.

Camillo Schumann

Aber warum nicht?

Alexander Kekulé

Weil wir in Deutschland selber Risikogebiet sind. Und dann müssten sie erst mal erklären, warum das dort jetzt ein größeres Risiko als bei uns ist. Von einer zeitlichen Abfolge muss man sich das so vorstellen: Jetzt nehmen wir mal an, in irgendeinem Keller in Palma wird es ein Ausbruch geben. Ein Superspreading-Ereignis. Sie hätten 200 Infizierte. Bis man das bemerkt, bis man die getestet hat, bis man rausgekriegt hat, auf welchen Ort das zurückzuführen ist und bis man die Leute warnen kann, sind auf jeden Fall zwei Wochen vergangen. Wahrscheinlich eher vier. Und bis dahin ist das Ganze schon sonst wo in der Republik. Das kann durchaus sein, dass das ein paar von denen dann schon längst beim Fußballspiel bei RB Leipzig gesessen haben hinterher. Das ist ja

immer so das Szenario, vor dem wir Angst haben. Dass etwas, was wir nicht bemerken, eine große Zahl von Infizierten, explosionsartig auftritt, bevor wir sie in Griff bekommen.

[0:30:20]

Camillo Schumann

Die große Frage: Wie gehen wir mit diesen Urlaubsrückkehrern um? Der Bayerische Hausärzteverband fordert klare Regeln für den Umgang mit auch vermeintlich kranken Rückkehrern. Was wir auf jeden Fall brauchen, ist eine Strategie, was passiert mit Urlaubsrückkehrern. Das fordert der Landesvorsitzende Marcus Beier. Wie könnte diese Strategie aussehen? Um noch mal kurz nach Sachsen zu blicken. In diesem Podcast haben wir das noch gar nicht gemacht. Die sächsische Gesundheitsministerin hat das heute verkündet:

"Und deswegen wollen wir die Möglichkeit einrichten für Reiserückkehrer, die aus dem Ausland zurückkehren, dass sie an den Flughäfen Leipzig und Dresden sich testen lassen können. Es wird dann hinterlegt, wo die Test stattfinden können. Sodass wir dort auch für Sachsen eine höchstmögliche Sicherheit einbauen wollen. Dass wir tatsächlich nach den Sommerferien keine erhöhten Infektionszahlen in Sachsen haben."

[0:31:11]

Camillo Schumann

Das ist doch die einzige Möglichkeit, die man hat. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, das kann man machen. Aber ich weiß jetzt nicht, ob an den Flughäfen, bei der Reiserückkehr ... Wissen Sie, die Inkubationszeit liegt bei fünf Tagen. Wie lange macht jemand Urlaub? Eine oder zwei Wochen? Ich glaube, der Durchschnittsurlauber ist acht oder neun Tage unterwegs in den Sommerferien. Das heißt, da muss man sich einfach überlegen, welchen Infektionszeitpunkt während dieses Urlaubs decken sie ab. Oder andersherum gesagt, die letzten fünf Tage decken sie definitiv nicht

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mehr ab. Und wenn der acht Tage unterwegs war, dann decken Sie fünf von acht Tagen nicht ab durch so einen Test. Und das ist dann schon die Frage, ob sich das lohnt, ob das nicht eher eine Scheinsicherheit gibt. Ich glaube, es wäre eher sinnvoll, andersrum vorzugehen und zu sagen, wenn Menschen auf Großveranstaltungen gehen, wenn Kinder nach den Ferien zurück in die Schule oder in die Kita gehen. Da meine ich speziell Grundschulen und Kita. Wenn man im Altersheim Menschen besuchen will und ähnliches. Dass man in solchen Situationen, wo man andere möglicherweise in Gefahr begibt, dass man da vorher selektiv einen Test machen kann. Auch wenn man absolut keine Symptome hat.

Camillo Schumann

Der Mund-Nasen-Schutz ist quasi die Waffe gegen die Verbreitung des Virus. Viele Menschen haben ja wie wild drauf zugenäht. Auch vielleicht, weil sie diesen Podcast über mehrere Monate gehört haben. In vielen Geschäften gibt es ja auch sehr, sehr schicke Stoffmasken zu kaufen. Aber sind die möglicherweise nur schick, wirken aber gar nicht? Es gibt nun eine Untersuchung, die die Wirksamkeit von Stoffmasken im Vergleich zu OP-Masken untersucht hat. Herr Kekulé, mit welchem Ergebnis?

Alexander Kekulé

Ja, das ist eine ganz lustig Studie. Es kommt ja aus Boston. Aber dort nicht von einer der Star- Universitäten, sondern die Northeastern University in Boston. Die haben jetzt Anfang Juli was veröffentlicht. Das war die Abteilung Umweltingenieure und Bioingenieure. Also nicht so die üblichen Verdächtigen im Zusammenhang mit Covid. Und die haben ein Gerät benützt. Bei der Feuerwehr kenne ich das. Das ist so ein Gerät, mit dem man feststellen kann, ob die Atemschutzgeräte für die Feuerwehrleute dicht sind. Ganz simpler, kleiner Kasten. Da steckt man einen Schlauch quasi unter die Maske, und der andere ist außen. Mit diesem Gerät in der teureren Variante werden da quasi kleine so Partikel in

die Luft geblasen. Und es wird einfach gemessen, wie viel geht davon in die Maske rein. Also nur der Schutz für den, der es trägt. Nicht der Schutz für den anderen. Dieses simple Gerät haben die genommen. Das haben typischerweise Betriebsärzte bei der Feuerwehr, um so schweres Atemgerät anzupassen. Dieses Gerät haben die genommen und die ganzen Masken damit verglichen. Aus meiner Sicht ist das wichtigste Ergebnis, dass die ganz normale chirurgische Gesichtsmaske, also der Mund-Nasen-Schutz, der hat einen Schutzfaktor von 50 bis 75 Prozent für den Eigenschutz. Für den Fremdschutz ist es mit Sicherheit höher. Das heißt also, die Hälfte bis dreiviertel aller möglichen Infektionen werden damit nach dieser Studie vermieden. FFP2-Masken liegen so bei 99 Prozent. Warum ist das schlechter? Der wichtigste Grund ist, dass diese chirurgischen Masken oft eben nicht richtig dicht schließen. Das haben wir hier schon öfters besprochen. Wenn man einatmend, gibt es eine Beiluft an der Seite. Da man links und rechts Luft reinzieht, vielleicht auch oben und unten das Ding nicht ganz dicht ist, dadurch ist man selber einfach weniger geschützt, als wenn man eine FFP-Maske aufhätte. Und das haben die witzigerweise noch einmal zusätzlich getestet. Mit einem älteren Trick, der in einer alten Publikation mal stand. Indem sie über diesen Mund-Nasen-Schutz noch mal einen Damenstrumpf drüber gezogen haben. Und zwar so dünne Nylonstrumpf. Nicht mehr so in Mode. Also diese dünne Nylonstrümpfe. Ich weiß jetzt nicht, ob mit oder ohne künstlicher Naht hinten drauf. Jedenfalls so was musste man dann noch drüber ziehen. Und dieser Nylonstrumpf hat fast keine Filterwirkung. Der filtert keine Partikel weg. Aber der bewirkt, dass dieser schlabbrige OP-Mund-Nasen- Schutz ganz platt aufs Gesicht gedrückt wird und dadurch besser abschließt. Und man kann wirklich mit dem Nylonstrumpf drüber die Leistung eines normalen OP-Mund-Nasen- Schutzes auf 90 Prozent bringen. Das ist fast so viel wie eine FFP2-Maske. Das ist ordentlich. Das A und O ist einfach, dass das Ding dicht

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schließt. Alles andere ist sekundär und tertiär. Und diese Stoffmasken haben eben ganz stark variiert, je nach Hersteller. So zwischen 30 Prozent und 90 Prozent Schutz, was fast so gut wie eine FFP-Maske ist. Aber es kommt eben auch hauptsächlich auf den Sitz an. Für die, die solche Stoffmasken toll finden: Da gibt es ja zwei verschiedene Modelle. Wenn ich das so sagen darf, vom Schnitt her gibt es die, die so platt sind und so ähnlich wie eine OP-Maske eigentlich aussehen. Und da gibt es welche, die so ein bisschen tütenförmigen sind und nach vorne gestülpt sind. Und diese tütenförmigen sind tatsächlich besser gewesen, weil die in der Regel besser dichter schließen in dieser Studie.

Camillo Schumann

Wenn ich Sie kurz unterbrechen darf. Dafür alle, die jetzt vielleicht noch einmal ran wollen an ihre selbstgenähte Maske, suchen Sie doch noch einen alten Nylonstrumpf. Vielleicht hat die Mutter, die Freundin, die Oma irgendwo noch einen. Arbeiten Sie den mit ein. Da können Sie bis 90 Prozent dann Sicherheit haben. Und das ist doch ordentlich.

Alexander Kekulé

Nicht nur einarbeiten. Ich hoffe, das ist klargeworden. Der wird drüber gezogen wie bei einem Banküberfall. Damit die Maske ans Gesicht gedrückt wird. Der Stoff selber bringt keine Filterwirkung.

Camillo Schumann

Dass es auch hinten abschließt.

Alexander Kekulé

An den Backen vor allem. Damit es da einfach wirklich dicht ist. Aber das ist ja nur ein Test gewesen. Es war nicht die Empfehlung, ein bisschen Nylonstrümpfe drüber zu ziehen. Das ist natürlich Spaß. Die haben das deshalb gemacht, um festzustellen, ob diese Dichtigkeitsprobleme das Hauptproblem sind. Und das wurde hier gezeigt. Also, es kommt bei allen Masken, egal welche man hat, auf die Dichtigkeit an. Und das bezüglich des Selbstschutzes. Die anderen schützt man natürlich auch mit einer weniger dichten Maske. Weil kleine Tröpfchen, die man

ausatmet, einfach ganz dem Stoff, den man vor der Nase hat, hängen bleiben.

[0:37:40]

Camillo Schumann

Wir kommen zu den Hörerfragen. Pete G. aus Südafrika aus Pretoria hört diesen Podcast regelmäßig. Er hat uns geschrieben auf Englisch. Ich übersetze das mal, weil diese Frage ist wirklich sehr, sehr schön.

"In Bezug auf die Verbreitung von Covid19 durch Aerosole. Trotz der Verwendung von Masken sollte man das öffentliche Sprechen sicherlich einschränken? Es scheint mir, dass jeder einen eingebauten Vernebler in Form seiner feuchten Stimmbänder voller potenzieller Viren hat, die mit hoher Frequenz vibrieren, um ein feines Spray zu erzeugen, das beim lauten Sprechen ausgestoßen wird. Singen ist die extreme Verwendung dieses Verneblers. Schrille oder laute Stimmen sollten wahrscheinlich ansteckender sein?"

Also sind Menschen mit schrillen Stimmen ansteckender? Sollte man die meiden?

Alexander Kekulé

Das mit dem Vernebler ist eine der Theorien, die viele Fachleute haben. So richtig sauber bewiesen ist es noch nicht. Aber Sie können ganz sicher sein, dass der eine oder andere Bastler irgendwo im Labor dieser Welt schon dabei ist, künstliche Stimmbänder aufzuspannen und feucht zu machen und zu gucken, was für eine Vernebler-Wirkung man da hat. Ja, das ist rein theoretisch möglich, dass das frequenzabhängig ist. Selbstverständlich. Bei jedem Vernebler, je nach Tröpfchengröße, die man erzeugen will, gibt es eine optimale Frequenz. Da muss es ja so eine Art Resonanzfrequenz geben. Es ist möglich, dass besonders schrille Stimmen hier mehr vernebeln. Aber das ist nur eine Möglichkeit. Ich habe mir das ehrlich gesagt im Detail noch nicht überlegt, ob niederfrequente Töne, die höher energetisch sind, typischerweise pro Schwingung, ob die nicht ähnlich gefährliche Aerosole produzieren. Aber ich bin ganz sicher, da wird es im nächsten Jahr

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mehrere Arbeiten dazu geben. Sodass unser Hörer da Spaß dran haben wird, es dann bestätigt oder widerlegt zu finden.

Camillo Schumann

Jeder kann jetzt mal den Freundes- und Bekanntenkreis durchgehen, wer möglicherweise in Frage käme. Frau M. aus Berlin hat was Interessantes gelesen und angerufen:

"In der Zeitschrift 'Welt der Wunder' steht, dass das Opossum, eine Beutelratte, eine Körpertemperatur von nur 34 Grad hat. Das ist für Säugetiere relativ niedrig, aber für die meisten Erreger zu kalt. Das Opossum ist deshalb resistent gegen Krankheiten wie Staupe, Tollwut und Hepatitis. Meine Frage ist, wenn man die Körpertemperatur von einem coronakranken Menschen auch etwas reduziert, vielleicht schadet das auch dem Coronavirus?"

Alexander Kekulé

Grundsätzlich ist es so, dass jeder Organismus seine eigene optimale Körpertemperatur hat. Und jeder Organismus hat bestimmte Viren, die ihn befallen können und die sozusagen den als Lieblingsopfer haben. Die Viren haben sich spezialisiert auf bestimmte Wirte. Es ist aber nicht so, dass das sozusagen linear mit der Temperatur zusammenhängt. Das sind zwei verschiedene Phänomene. Die Viren brauchen bestimmte Rezeptoren, damit sie da besonders gut andocken können. Die Frage, ob die Infektion angeht, hängt sehr stark von der Immunantwort des Wirtes ab. Und verschiedene andere Faktoren bis hin in kleinste Ausstattung in der Zelle spielen da eine Rolle. Aber es gibt keinen linearen Zusammenhang zwischen der Körpertemperatur und der Anfälligkeit für bestimmte Viren. Das ist zumindest bis jetzt noch nicht belegt. Und völlig unbekannt ist es natürlich bei Covid19, ein neues Virus. Wir kennen das aber auch nicht von anderen Coronaviren, dass jetzt sozusagen Körpertemperaturabhängig, die Anfälligkeit sich ändern würde. Ich finde, das ist eine nette

Theorie. Man muss in alle Richtungen denken in so einer Situation. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass man hier durch Senkung der Körpertemperatur von Patienten zum Beispiel irgendetwas bewirken könnte, ist nicht besonders hoch.

[0:41:44]

Camillo Schumann

Wir haben eine Mail von Herrn B. bekommen, Geschäftsführer eines Busbetriebs in Thüringen. Er schreibt:

"Die Combus GmbH betreibt mit 220 Linienbussen in ÖPNV in den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt und Saale-Orla. Zum Schutz unserer Fahrgäste und unserer Busfahrer setzen wir unser Hygienekonzept um, zu dem unter anderem eine regelmäßige Reinigung aller Kontaktflächen mit Seifenlauge gehört. Jetzt wurde uns eine antimikrobielle Oberflächenbeschichtung angeboten, welche entsprechend der Beschreibung die Virenlast auf diesen Flächen erheblich senken soll. Natürlich wollen wir alles Sinnvolle tun."

Da die Beschichtung aber alle zwölf Monate mit einem hohen Aufwand erneuert werden muss und verhältnismäßig teuer ist, 33.000 Euro für alle Busse, will Herr B. natürlich wissen, ob die so Sinn macht. Herr Kekulé, macht die Sinn?

Alexander Kekulé

Aus meiner Sicht nicht. Also im Bus würde ich das nicht anwenden. Das ist so eine Art Lack, der hier angeboten wird. Natürlich ist es so, wenn in eine Oberfläche frisch lackiert ist, dass dann alle Arten von Infektionserregern leichter abgewaschen werden können und auch Desinfektionsmittel besser wirken. Eine antimikrobielle Wirkung, wie das hier beworben wird, auf Oberflächen, die ist für Viren bis jetzt nicht nachgewiesen. Es gibt solche Effekte für Bakterien. Da kann man zum Beispiel nachweisen, dass auf einer Silber- Oberfläche Bakterien schlechter wachsen als auf einem anderen Metall. Und es gibt auch ganz viele Oberflächenbehandlungen, die das Wachstum von Bakterien zumindest

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vorübergehend ein bisschen hemmen. Aber dass sozusagen die Haltbarkeit von Viren auf der Oberfläche durch irgendwelche Eigenschaften der Oberfläche selbst herabgesetzt wird, da gibt es bis jetzt keinen Beleg dafür. Und dann stelle ich mir so ganz praktisch vor, dieser Lack hat die gleiche Härte wie ein richtiger Klarlack. Und viele Bereiche im Bus sind ja so, dass man sie anfasst, um sich irgendwo festzuhalten. Irgendwelche Griffe oder Schlaufen sind absichtlich so beschichtet, dass sie ein bisschen griffiger sind. Also nicht so knallhart wie ein Lack. Ich glaube, auch das würde der Anwendung entgegenstehen. Ich würde deshalb empfehlen, regelmäßig zu reinigen mit einem geeigneten Reinigungsmittel. Wenn die Busse sehr viel benutzt werden, das einzuplanen - mehr als einmal am Tag. Aber damit ist wirklich schon mehr als genug getan. Grundsätzlich soll für den Menschen, der den Bus benutzt, der Bus immer und jederzeit als Risiko-Ort betrachtet werden. Egal welcher Art die Oberflächen behandelt wurden.

Camillo Schumann

Herr B., die kompetente Antwort vom Herrn Kekulé. Damit sind wir am Ende von Ausgabe 81. Wir hören uns am Donnerstag, 16. Juli, wieder. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Tschüss, Herr Schumann. Bis übermorgen.

Camillo Schumann

Sie wollen auch was wissen? Dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns einfach an. Kostenlos, aber nicht umsonst ist die Nummer: 0800 322 00

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 11.07.2020 #80: SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Kekulés Corona-Kompass, wieder mit einem Hörerfragen-Spezial. Ich bin kein Camillo Schumann, Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell. Die kompetenten Antworten gibt es wie immer vom Virologen und Epidemiologen Professor Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Und wir starten mit dieser Frage, einer schon etwas älteren Hörerin. Das kann man ruhig so sagen, und wir hören mal rein:

„Ich bin über 80, ich hatte einen Herzinfarkt, bin Diabetikerin und COPD. Ich gelte also als Hochrisikoperson. Ich gehe überhaupt nur in dringenden Fällen raus zu Terminen. Aber, wenn ich raus muss, ist Taxifahren für mich ein Risiko? Und wenn ja, wie kann ich das ein bisschen mildern? Danke.“

Was sagen Sie der älteren Dame?

[0:01:00]

Alexander Kekulé

Das Gleiche, was ich meiner Mutter sagen würde. Sie brauchen fürs Taxi definitiv eine FFP2-Maske. Wenn Sie die vor dem Einsteigen anziehen und nach dem Aussteigen wieder aus, dann sind Sie auf der sicheren Seite.

Camillo Schumann

Okay, FFP2-Masken, wo gibt's die, wenn die ältere Dame jetzt vielleicht nicht sofort weiß, wo man die herbekommt?

[0:01:17]

Alexander Kekulé

Die gibt es in der Apotheke inzwischen wieder. Das war eine Zeitlang ein Riesenproblem, dass die selbst für Krankenhäuser nicht verfügbar waren. Aber meines Wissens ist es so, dass man die bundesweit jetzt in den Apotheken kaufen kann. Man muss ein bisschen aufpassen, dass die Preise zum Teil so sind, dass man da noch übers Ohr gehauen wird. Früher gab es die mal für zehn Euro das Stück. Ich glaube aber, dass die Preise jetzt in einen vernünftigen Bereich gesunken sind.

[0:01:39]

Camillo Schumann

Oliver B. aus Kassel schreibt uns. Ihn beschäftigt, warum Deutschland weniger von der Corona-Krise betroffen ist als andere Länder, und was vielleicht ein Grund sein könnte. Er schreibt:

„Immer wieder sieht man ja, dass wir in Deutschland bisher ziemlich glimpflich durch die Pandemie gekommen sind. Liegt das nur in Anführungszeichen, am rechtzeitigen Eingreifen und vielleicht auch dem Glück, nicht so wie Italien überrascht worden zu sein vom Auftreten des Virus? Sondern könnte es vielleicht auch sein, dass in Deutschland häufiger zirkulierende normale Coronaviren eine gewisse Teilimmunität bieten und erklären, warum es vergleichsweise weniger und auch weniger schwere Fälle gibt. Viele Grüße.“

[0:02:17]

Alexander Kekulé

Nein, es ist keine Teilimmunität. Das hat mit den klassischen Coronaviren nichts zu tun. Es ist so, dass wir wirklich ganz großes Glück gehabt haben, dass die „Bombe“ in Italien eingeschlagen hat und nicht zum Beispiel beim Oktoberfest in München oder Ähnliches. Dann wäre sozusagen die „Lombardei“ in Bayern gewesen. Wir haben natürlich, das ist immer so meine persönliche Interpretation, die ich zu

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dem „Glück“ dann noch hinzufüge, wir haben irgendwie einen großen Teil der Bevölkerung, die vernünftig sind und mitmachen, die ein großes Vertrauen in die Regierung haben. Umgekehrt hat die Regierung auch immer wieder Vertrauen in die Bevölkerung gezeigt. Zum Beispiel, als die Lockdowns nicht so hart verhängt wurden wie in anderen Ländern und dafür aber auch eher angenommen wurden. Sodass ich glaube, dass es vielleicht auch ein bisschen sage ich mal, ein Stück weit in unserer Mentalität liegt insgesamt. Das ist ja die Wohnbevölkerung in Deutschland, dass wir da bisher – toi, toi, toi – ganz gut mit klarkommen.

[0:03:16]

Camillo Schumann

Dann haben wir in den vergangenen Wochen viel über Viren-Cluster, Superspreader und Mutation gesprochen. Dazu haben uns eine ganze Reihe an Fragen erreicht, eine zum Beispiel von Frau B. per Mail. Sie schreibt:

„Können Sie noch mal den Begriff Viren-Cluster erklären? Ich kenne den Begriff Cluster aus der Musik, und er bedeutet dort Tontrauben, sozusagen ein Akkord aus ganz vielen im Halbton-Abstand zusammenklebenden Tönen. Habe ich mir das bei Viren-Clustern ähnlich vorzustellen?“

[0:03:46]

Alexander Kekulé

Hier geht es um Infektionscluster und nicht um Virus-Cluster. Und ein Infektionscluster ist ja so ähnlich, wie in der Musik vielleicht auch, das ist etwas, eben eine Häufung, eine lokale Häufung. Damit meint man zum Beispiel, wenn in einer Familie oder in einer Wohngemeinschaft es zu einem Ausbruch kommt und die mit diesem Ausbruch unmittelbar zusammenhängenden Infektionen. Also, vielleicht noch die Freunde der Leute, die da wohnen und Ähnliches. Die alle zusammen werden dann als ein Cluster bezeichnet. Man könnte vielleicht auch Infektionsherd oder so etwas sagen. Aber das englische Wort hat sich irgendwie eingebürgert.

[0:04:22]

Camillo Schumann

Und sie wollte wissen, ob ein Superspreader wirklich eine einzelne Person ist.

[0:04:28]

Alexander Kekulé

Wir sprechen von Superspreading-Ereignissen. Das ist eine kleine Änderung der Wortwahl, die sich so in den letzten Wochen ergeben hat. Weil es in der Tat nicht klar ist, wenn so ganz viele Menschen sich auf plötzlich in einer Kirche oder Ähnliches infizieren, ob da nur Einer krank war und alle angesteckt hat oder ob das mehrere waren. Zweitens ist es so, dass wir eigentlich von der alten Idee, dass das eine Person ist, die irgendwelche Eigenschaften hat, warum sie besonders viele Viren versprüht, dass es der Mensch selber ist – von der Idee sind wir ein bisschen weggekommen. Es gibt jetzt nicht so viele Anhaltspunkte, dass ein sogenannter Superspreader jetzt unbedingt besonders viele Viren im Hals hätte oder auf jeden Fall biologische Eigenschaften hat, die dafür zuständig sind. Sondern es scheint so eine Kombination zu sein. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, wie die Belüftung im Raum war, natürlich, wie die Menschen sich verhalten. Aber beispielsweise, wenn jemand länger laut spricht, zum Beispiel, weil die Musik laut war in der Diskothek, dann kann wahrscheinlich jeder, der Covid-19-positiv ist und gerade das Virus ausscheidet, prinzipiell zum Superspreader werden. Aber, das wissen wir nicht genau. Darum sagen wir eigentlich gerne, um so alle Faktoren in einem Topf zu sehen, Superspreading-Ereignis.

[0:05:44]

Camillo Schumann

Frau M. hat diesbezüglich bei Twitter unter #fragkekule folgende Frage:

#fragkekule Ob eine Maske ausreicht, wenn viele zusammen sind und einer davon ein #Superspreader ist?

Wenn einer davon ein „Superspreader“ ist oder diese Superspreading-Ereignisse.

[0:05:59]

Alexander Kekulé

Also, um sich selbst zu schützen, ist eine Maske bei so einem Superspreading-Ereignis nicht hundertprozentig sicher, das muss man klar sagen. Also so ein Mund-Nasen-Schutz ist nicht hundertprozentig sicher. Weil, es geht hier konkret um Aerosole, ganz fein verteilte Viren,

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die eben wie so ein Nebel sich auch um die Ecke bewegen können und dadurch seitlich in so einer Maske beim Einatmen durchaus rein können – im Rahmen dieser Nebenluft, die da reinkommt. Natürlich ist es auf jeden Fall viel besser als gar nichts zu haben, weil man prozentual in erheblichen Teil damit auch noch abhält. Aber 100 Prozent sicher ist es nicht. Das heißt, wenn man eine Risikoperson ist, also wirklich Angst haben muss, sich zu infizieren mit dem Virus. Oder aus anderen Gründen einfach sagt, auch wenn ich jung bin, möchte ich auf gar keinen Fall krank werden. Dann wird es sich empfehlen, eine FFP2-Maske aufzuhaben. Wenn man die richtig trägt, dann ist man theoretisch fast hundert Prozent geschützt. Also, da ist es dann wirklich über 99,9 Prozent. Allerdings muss ich auch dazu sagen, dass die Maske z.B. nicht zu alt sein darf. Dazu gehört auch, dass man einen Bart, wenn man diesen hat, den vorher abrasieren muss, sonst ist sie nicht dicht.

[0:07:09]

Camillo Schumann

Und zu diesen FFP2-Masken hat Herr B. aus München eine Frage, denn er moniert so ein bisschen das, was sie gerade eben gesagt haben. Man selbst ist ja zu 100 Prozent geschützt, die anderen aber nicht. Deswegen hat er folgende Frage formuliert auf unserem Anrufbeantworter:

„Meine Frage: Warum sind FFP2-Masken mit Ausatemventil erlaubt?“

Genau. Wenn jetzt zum Beispiel so ein Superspreader so eine Maske aufhat und die anderen natürlich nicht, beispielsweise, dann bringt es auch nichts für die anderen.

[0:07:42]

Alexander Kekulé

Ja, ganz so einfach ist es nicht. Also, bei dem Ausatemventil wird auch die Luft um die Ecke geleitet. Das muss man sich so vorstellen, dass die Luft auf ein Plastikstück trifft und das dann typischerweise nach unten abgeleitet wird. Man atmet also nicht gerade aus in den Raum. Man kann also nicht Partikel, feine Aerosole, einfach so ausstoßen, sondern die Aerosole treffen zunächst mal auf diesen Kunststoff, der in diesem Ventil drinnen ist, und werden dann

umgelenkt. Man atmet quasi auf seinen eigenen Gürtel. Deshalb würde ich schon sagen, dass ein Superspreader, der eine Maske mit Ausatemventil aufhat, einen erheblichen Teil der Aerosole, die er sonst vielleicht produzieren würde, eben nicht mehr produziert bzw. die werden umgelenkt. Wieviel das quantitativ ist – ob das 80 Prozent oder 90 Prozent oder Ähnliches ist –, das wissen wir nicht. Aber ich würde mal so als Hausnummer sagen – wir reden ja immer von epidemiologischen Maßnahmen und nicht von absoluter Sicherheit, die wir erreichen wollen – ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer ein Superspreader wird, mit so einer Maske im Gesicht extrem gering. Und mit diesem Restrisiko würde ich leben. Das ist auf jeden Fall besser, als die Masken mit Ausatemventil zu verbieten. Weil, das würde ja umgekehrt bedeuten, dass Personen mit dem besonderen Risiko, denen man ja diese Masken empfehlen muss, dass die keine Ausatemventile haben dürfen. Dann ist diese Maske wirklich mühsam zu tragen. Also dann ist es so, dass man schon nach einer halben Stunde spätestens wirklich sich wünscht, die nicht mehr im Gesicht zu haben, dass die Leute kurzatmig werden. Und viele von den Indikationen für diese Risikogruppen hängen ja mit der Lunge zusammen, COPD, Asthma oder Ähnliches. Und gerade diese Menschen sind natürlich besonders empfindlich, wenn der Atemwegswiderstand künstlich erhöht wird durch so eine Maske ohne Ausatemventil. Darum würde ich sagen das kleinere Übel ist das Ventil im Vergleich zu der Variante, dass die keins hätten, oder dass die die Maske gar nicht aufziehen würden.

[0:09:44]

Camillo Schumann

Peter W. hat uns gemailt. Er hatte eine zweigeteilte Frage zu Indien. Er schreibt:

„Man hört sehr viel über China und andere Staaten, jedoch kaum etwas über Indien. Indien ist ein absoluter Big Player in Sachen Medikamentenproduktion, und hat meines Wissens auch den größten Serum-Hersteller. Die Tatsache, dass in den großen Metropolen das Distanzhalten, schon gar nicht die Desinfektion der Hände möglich sind, ist eine

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Tatsache und kann kaum verändert werden. Wie beurteilen Sie zum einen Indien bezüglich des Coronavirus? Und zum anderen, wie beurteilen Sie den Stellenwert von Indien bezüglich Impfstoffforschung und Produktion von Medikamenten?“

Also aktuelle Lage der Infektion und dann Indien als Jahr Impfstofflieferant?

[0:10:27]

Alexander Kekulé

Die Lage ist eine Katastrophe. Das kann man einfach nur so sagen. Das kenne ich auch, ehrlich gesagt, nur aus den Medien. Ich habe da persönlich wenig Kontakt zur Basis, zu irgendwelchen Ärzten, die an der Front arbeiten in Indien. Aber es ist so, dass man alles, was man hört – es ist wirklich ganz fürchterlich. Also wir haben die Situation, dass große Teile der Bevölkerung im Moment durchinfiziert werden. Und man es weder registriert noch, dass man den Toten Corona überhaupt zuschreibt, noch irgendwelche Gegenmaßnahmen hat. Das ist hier ein Fall, wo wir die klassische Durchseuchung, wie sie von manchen so gefordert wird, die natürliche Durchseuchung eigentlich unfreiwillig beobachten. Als Impfstoffhersteller, da ist es in der Tat so, Indien hat sehr große Produktionsanlagen. Die ist auch traditionell am Weltmarkt der Herstellung an verschiedenen Stellen führend – quantitativ. Wenn man die Zahl der Dosen, die hergestellt werden, sieht. Aber typischerweise ist es so, dass die Produkte nicht in Indien erfunden wurden. Sondern das sind typischerweise Generika, die also entweder ausgelaufene Patente sind oder eben Auftragsherstellung für internationale Konzerne. Sehr viel wird für chinesische Konzerne, aber auch für US- Konzerne dort hergestellt. Sodass die Inder eigentlich die Komfortsituation haben, dass sie, wenn ein Impfstoff kommt, dass der wirklich im Land produziert werden wird. Da wird mit Sicherheit auf den indischen Fabriken einiges laufen, aber im Auftrag ausländischer Unternehmer, zum großen Teil. Und das ist eine der interessanten Fragen, wer kriegt es zuerst? Die Bevölkerung, wo es hergestellt wurde oder der Auftraggeber im Ausland?

Camillo Schumann

Und die Frage wird wahrscheinlich sehr einfach zu beantworten sein?

Alexander Kekulé

Na, so leicht ist es nicht. Also es gibt einen indischen Milliardär, der gerade dabei ist, hat er zumindest gesagt, zwei Produktionsanlagen für Covid-19 zu bauen. Und der hat schon gesagt, allerdings ist das jetzt zunächst einmal so eine Ansage, dass also das, was dort produziert wird, zuerst auch an die indische Bevölkerung gehen soll. Die haben also durchaus Menschen mit Selbstbewusstsein und mit Geld im Land, die versuchen, diesem offensichtlichen Ungleichgewicht und dieser Ungerechtigkeit so ein bisschen entgegenzuwirken. Das wird man dann sehen, ob es dann am Schluss so funktioniert. Das wird sowieso noch die interessanteste Frage, wenn der Impfstoff da ist, wer den zuerst kriegt und wie das alles läuft. Und wie lieb sich alle haben in der Weltgemeinschaft.

Camillo Schumann

Ich wollte gerade sagen, ein Hauen und Stechen wird dann beginnen. Wie war das eigentlich so bei anderen Impfstoffen? War da etwas Ähnliches zu beobachten?

[0:13:03]

Alexander Kekulé

Ich kenne so eine Auseinandersetzung immer nur dann, wenn vorübergehend Knappheit herrscht. Wir haben gerade mit den Produktionsanlagen in Indien leider auch die Situation ein paarmal gehabt, dass bestimmte Impfstoffe Qualitätsmängel hatten. Und da mussten dann die ganzen Chargen vernichtet oder zurückgeholt werden. Dann gibt es vorübergehend mal für die wohlhabenden Länder bei irgendeinem Standardimpfstoff eine Knappheit. Da ist es dann in der Tat so, dass wirklich sich die Einkäufer auf den Füßen stehen, um die Reste zu kaufen und irgendwie für ihr Land noch was zu bekommen. Ich weiß nicht, wie das in so einer pandemischen Situation wäre. Es gibt andererseits auch die interessante Beobachtung: Da gab es gerade eine Umfrage in den USA, und da wurde gesagt, dass, wenn ich mich richtig erinnere, nur etwa die Hälfte der Befragten sich

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überhaupt impfen lassen würden, wenn es einen Impfstoff gäbe. Und das ist schon bemerkenswert, dass sich alle so bemühen, um den Impfstoff und die Hälfte der Menschen sagen: Ach nee, lass mal stecken, den brauche ich nicht. Sodass man wirklich, wenn es dann zu der Situation kommt, auch ein bisschen sehen muss, wie ist das politische Klima? Wann kommt der Impfstoff? Wie viele Fälle gibt es zu dem Zeitpunkt? Mag sein, dass das eine Phase dann ist, wo die Menschen sowieso dem Thema entspannter als jetzt gegenüberstehen und es dadurch kein Hauen und Stechen um den Impfstoff gibt. Aber das ist vielleicht „wishful thinking“.

Camillo Schumann

Ich wollte gerade sagen, aber ein Ladenhüter wird es definitiv nicht. Ich glaube, davon können wir nicht ausgehen, oder?

Alexander Kekulé

Bezahlt wird es auf jeden Fall, weil es ja Abnahmegarantien schon gibt. Das ist ja auch gut für die Hersteller, dass man gesagt hat, egal wie, wir kaufen euch das so oder so ab. Weil natürlich Hersteller die Befürchtung hatten, dass möglicherweise diese irrsinnigen Mengen, die da jetzt geplant sind, dann gar nicht abgesetzt werden. Das ist eben interessant am Beispiel Indien sich anzusehen, weil eben dort die natürliche Durchseuchung, so brutal das ist, einfach de facto stattfindet. Ähnliches haben wir in Südamerika. Wenn man so eine Situation hat und der Impfstoff sehr spät kommt, muss man dann in einer Phase, wo man, ich sag mal so als Hausnummer, vielleicht 50 Prozent Immunisierte sowieso schon hat in der Bevölkerung, muss man natürlich die Frage stellen: Wie dringend ist dann die Impfung? Und wer soll sie bekommen? Muss man vielleicht alle vorher testen? Soll man sie alle testen, bevor man sie impft? Oder, was macht der Impfstoff bei jemandem, der sowieso schon Antikörper im Blut hat? Vielleicht gibt es dann negative Effekte. Und all diese Dinge sind noch vollkommen offen und Zukunftsmusik.

[0:15:37]

Camillo Schumann

Herr V. hat uns geschrieben. Er schreibt:

„Unser Sohn geht in die Kinderkrippe und hatte dort von ein paar Tagen zweimal eine laufende Nase. Nach den aktuellen Regeln bedeutet das, zuhause bleiben bis zum Ende der Symptome und zwingender Besuch des Kinderarztes, entweder Attest oder negativer Corona-Test.“ Und jetzt schreibt er weiter:

„Ich verstand die Bedeutung von Kitas im Hinblick auf die Pandemie. Aber diese Regeln scheint mir doch arg überzogen. Was auch der Kinderarzt meinte, gerade im Hinblick auf die nächste Erkältungssaison. Wie ist die Einschätzung von Professor Kekulé dazu? Man bedenke unter anderem auch, dass die Regelung für manche arbeitende Eltern ein starker Anreiz sein könnte, Symptome eines milden Schnupfens der Kinder medikamentös zu unterdrücken.“

[0:16:22]

Alexander Kekulé

Also da gibt es, ich versuche mal, möglichst neutral zu antworten. Es gibt die offizielle Empfehlung des Robert-Koch-Institut. Das sagt, 20 Prozent aller in Deutschland gemeldeten Covid-19-Patienten hatten Schnupfen. Dann gibt es die internationale Datenlage, wo es so ist, dass ein sehr kleiner Teil – unter vier Prozent der international registrierten Covid- 19-Patienten so eine Art verstopfte Nase als Nebeneffekt hatten. Aber nicht Schnupfen, so wie wir das normalerweise meinen, also die klassische Laufnase beim kleinen Kind. Diese divergierende Datenlage, ja, die interpretiere ich so, dass ich mich der internationalen Variante anschließe. Und demnach ist es so, dass der Schnupfen, wie wir den vom Kleinkind kennen – also, Kind ist eigentlich sonst gesund, aber die Nase läuft –, dass das kein typisches Zeichen für eine beginnende Covid19-Infektion ist. Dem haben Fachkollegen von mir heftig widersprochen, auch öffentlich. Und so kann man sich aussuchen, ob man sozusagen, das muss ich einfach so neutral sagen, die „Variante Kekulé“ haben will, die heißt dann: Ein klassischer Schnupfen beim Kind, wenn sonst nichts ist, und es nur Schnupfen ist, ist kein typisches Zeichen für eine beginnende Covid-19-Infektion. Oder die Variante einiger Kollegen, oder ich würde sagen, in dem Fall sogar der Mehrheit der Kollegen in

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Deutschland, die sagen: „Nein, der Schnupfen ist ein typisches Symptom.“ Ich sage immer so ein bisschen spaßig dazu „German Schnupfen“. Ja, also wenn man zumindest in Deutschland ist, das ist ein typisches Symptom für Covid-19. Wobei man schon sagen muss, ein Covid-19- Patient, der dann viel hustet, der kriegt dann reflektorisch natürlich auch eine Nase, die läuft. Durch das viele Husten kommt das dann. Und zusammen mit anderen Symptomen, also ich sag mal klassisches Fieber, Husten, starke Abgeschlagenheit, vielleicht sogar Gliederschmerzen, all diese Dinge, die so wie eine schwere Grippe oder so aussehen. Wenn dann auch noch die Nase mehr oder minder stark verstopft ist, dann kann man nicht sagen: „Oh, die Nase ist verstopft. Deshalb ist es kein Covid-19.“ Aber umgekehrt, und das ist ja die Situation, die ich hier immer vor Augen habe, wenn wir jetzt in den Herbst blicken, wo in den Kitas wieder alles offen ist und nach meiner Erfahrung dann jedes dritte Kind eine Rotznase hat: Die alle zuhause zu lassen mit der Ansage, das ist ein typisches Zeichen für Covid-19, da habe ich mich dagegen ausgesprochen, und dabei bleibe ich auch. Aber ich kann es auch hier ganz offen sagen, dafür bin ich doch sehr massiv angegriffen worden und deshalb ist die Frage, wie das dann im Herbst sein wird. Meine Hoffnung ist, ehrlich gesagt, dass das Robert Koch-Institut hier seine Empfehlung ändern wird. Weil, sonst ist es so, dass wir wirklich, wirklich sehr, sehr viele Menschen haben, die nicht zur Arbeit gehen können, weil sie auf ihre schnupfenden Kinder zuhause aufpassen müssen.

Camillo Schumann

So, Herr V., da können Sie sich jetzt etwas aussuchen. Und zum Abschluss haben wir noch eine Frage von Frau K. aus Dresden:

„Wie groß ist die Gefahr, dass durch diesen intensiven, verschwenderischen Verbrauch von Desinfektionsmittel im Moment, Resistenzen entstehen? Ich weiß, dass in Krankenhäusern eigentlich so alle viertel bis halbe Jahre die Sorten gewechselt werden sollen, damit keine Resistenzen entstehen. Aber im Moment denken viele: Viel hilft viel. Aber es ist einfach eine Art des Massenverbrauchs, der einem

Sorge macht in Richtung Resistenz. Wie viel Sorge muss man da wirklich haben?“ Tja, der Hilferuf aus Dresden.

[0:19:59]

Alexander Kekulé

Erstens, ich bin ganz bei der Hörerin. Ich glaube, wir verbrauchen viel zu viel Desinfektionsmittel wegen Covid-19. Die Situationen, wo man das Desinfektionsmittel wirklich sinnvoll einsetzt, sind ganz, ganz wenige. Vielleicht kann ich das noch einmal kurz sagen. Wenn man in Situationen, wo man wirklich weiß: Man muss irgendwelche eklige Griffe anfassen. Man muss vielleicht Menschen anfassen, weil man medizinisch dazu aufgefordert ist. Oder man kann es nicht vermeiden, weil man jemanden kennt, der einem partout immer die Hand geben will. Und man hat keinen Waschbecken in der Nähe. Dann ist ein Fläschchen Desinfektionsmittel unter Umständen sinnvoll. Das würde aber dann dazu führen, dass Sie mit einer kleinen Flasche eigentlich seit Anfang dieser Pandemie komplett klargekommen wären. In allen anderen Fällen reicht gelegentliches Händewaschen. Wir machen das tatsächlich viel zu viel. Zum Teil wird es auch falsch angeordnet oder zu viel angeordnet. Das betrifft die Händedesinfektion, aber auch die Flächendesinfektion. Ich glaube, da kann man aber vielleicht die kleine Entwarnung geben. In den Krankenhäusern kommt es zu diesen Resistenzen gegen Desinfektionsmittel, weil man hier eine sehr hohe Zahl von Keimen hat. Bakterien sind das hauptsächlich, um die es geht, die immer wieder mit der gleichen Sorte Desinfektionsmittel Kontakt haben, sodass dann in der Tat manchmal die Wirkung des Desinfektionsmittels nachlässt. In so eine Situation kommt man im privaten Bereich aber eigentlich nicht. Weil, so viel können Sie gar nicht desinfizieren, dass sie dann anfangen, wirklich Krankenhauskeime zuhause zu züchten. Da fehlen Ihnen auch die Patienten, die dann besonders viele Keime ausscheiden würden. Sodass ich jetzt nicht so sehr Angst vor Resistenzen hätte. Aber solche Mittel sind auch Chemikalien, die Nebenwirkungen haben. Und es ist insgesamt, meines Erachtens, auch psychologisch der falsche Ansatz zu meinen,

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dass man, indem man alles ständig desinfiziert, sich dieses Virus erwehren könnte.

[0:21:55]

Camillo Schumann

Das war das Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-Spezial. Ja, Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Dienstag wieder, 14. Juli. Bis dahin, bleiben Sie schön gesund.

Alexander Kekulé

Sie auch, Herr Schumann. Ein schönes Wochenende.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 09.07.2020
#79: Vor der Reise testen lassen!


Camillo Schumann, Moderator
MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte
Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle


Camillo Schumann 

Donnerstag, 09. Juli 2020.


  1. 1. Wie sicher ist mein Urlaub 2020? Wir machen den Urlaubsländer-Check.
  2. 2. Dann: Mehrere Wissenschaftler warnen, man solle die Übertragung des Virus über die Luft ernster nehmen als bisher. Wieso dieser Appell? 
  3. 3. Außerdem: Welche Rolle spielen soziale Herkunft und Ethnie für die Verbreitung und schwere Verläufe? Eine Studie gibt Aufschlüsse darüber. 


Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Und jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag lassen wir die neusten Entwicklungen rund um das Coronavirus einschätzen und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.



Alexander Kekulé
Guten Tag, Herr Schumann. 


Camillo Schumann 

Deutschland ist im Urlaubsmodus. 9 von 16 Bundesländern sind schon in den Sommerferien, der Rest folgt dann Ende Juli. Fakt ist, in diesem Jahr verzichten viele auf eine Flugreise ins Ausland und machen Urlaub zuhause in Deutschland. Die Nationalparks freuen sich über steigende Buchungen, die Campingplätze ebenso. Das wird ja in vielen Ländern so gemacht. Das heißt ja fürs Infektionsgeschehen, wenn man unter sich bleibt, könnte der gute Trend eigentlich beibehalten werden. Oder?


[0:01:24]
Alexander Kekulé 

Ich glaube auch. Wir müssen die Urlauber eigentlich teilen in zwei verschiedene Gruppen. Die einen sind die, die, wenn man das so sagen darf, dem Vorurteil entsprechend so klassisch Deutsch verreisen. An einen Punkt in einem Hotel sind sie im Urlaub, entspannen sich da, haben wenig Kontakt zur Bevölkerung und kommen wieder zurück. Die können sich höchstens, sage ich mal, gegenseitig anstecken. Das ist aber kein unwichtiger Punkt, weil man natürlich im Urlaub vielleicht entspannter ist. Alles geht etwas lockerer zu. Man sitzt vielleicht abends noch in irgendeiner Kneipe zusammen und Ähnliches. Da kann es zu Infektionen unter den Urlaubern kommen, meines Erachtens. Und dann gibt es natürlich noch die Abenteurer, die Kontakt zum Volk haben wollen, zu der Bevölkerung, wo sie hinreisen. Die sind rein theoretisch natürlich in der Gefahr, Krankheiten sowohl dorthin zu schleppen als auch zurückzubringen. Ich habe aber den Eindruck, dass das eine Minderheit ist dieses Jahr.


[0:02:18]
Camillo Schumann 

Einige werden aber wieder ins Flugzeug steigen und vielleicht nach Spanien, Italien oder Griechenland fliegen. Ganz kurz zum Fliegen: Da bringt der normale Mund-Nasen-Schutz jetzt nicht so viel, oder?


[0:02:30]
Alexander Kekulé 

Doch, der bringt schon was. Das ist auf jeden Fall besser als gar nichts. Ich will dringend empfehlen, während des Flugs einen Mund-Nasen-Schutz aufzuhaben. Weil das Fliegen einfach ein Zusammengepferchtsein auf engem Raum für einen relativ lange Zeit bedeutet, ist es sicherer ist  so einem Fall eine FFP2-Maske zu tragen. Das muss man ganz klar sagen. Das kommt auch ein bisschen drauf an, wie voll das Flugzeug ist. Wir hatten ja jetzt einige Wochen, wo die Flugzeuge fast leer waren, und da einige wenige Menschen geflogen sind. Da konnte man sicher unterwegs mal die Maske abnehmen und vielleicht sogar etwas essen oder Ähnliches. Falls es jetzt so sein sollte, dass die Ferienflieger wirklich komplett voll sind – ich hatte ja empfohlen, die Mittelplätze freizulassen, aber das hat sich offenbar nicht durchgesetzt. Also, wenn man dann neben fremden Menschen sitzt, dann wäre meine Empfehlung, wirklich den ganzen Flug über eine FFP2-Maske aufzulassen. Vor allem auch beim Einsteigen und Aussteigen, wo ein Gedrängel praktisch nicht zu vermeiden ist und wirklich nur ganz kurz abzusetzen, wenn man was trinken will, zwischendurch.


[0:03:35]
Camillo Schumann 

Kann man denn auf die – wir haben auch schon ein paar Mal darüber gesprochen – Reinigung der Luft in den Flugzeugen hoffen? Dort ja sind wirklich sehr moderne Maschinen im Einsatz.


[0:03:45]
Alexander Kekulé 

Naja, das sagen die Betreiber. Das sagen die Airlines immer so. Ja, wenn sie einen ganz neuen Airbus haben, der gerade frisch vom Stapel gelaufen ist, wo alle Filter neu sind und alle brav sitzen bleiben, sich nicht bewegen, nicht vom Platz weg bewegen und die Stewards und Stewardessen langsam im Flugzeug sich bewegen, sodass sie wenig Verwirbelungen kriegen. Dann stimmt es im Prinzip, dass der Luftstrom so organisiert ist, das eigentlich höchstens mal zwei Reihen vor zwei Reihen zurück es zu Infektionen kommen kann. Aber praktisch gesehen, muss man sich so einen Charterflug ja anders vorstellen. Da stehen ständig Leute auf, die auf die Toilette müssen. Da ist eine Schlange vielleicht vor der Toilette. Gerade jetzt, wo das ständige Händewaschen empfohlen wird, vielleicht noch länger. Da ist es so, dass sich die Leute auf ihren Sitzen hin und her bewegen. Und da kommt es einfach zu Verwirbelungen, sodass man schon davon ausgehen muss, dass im Einzelfall, wenn da so ein Superspreader drinsitzen würde, der in der Lage wäre, ganz schön viele Menschen anzustecken. Ganz zu schweigen von einer Situation, natürlich beim Einsteigen, wenn man das so beobachtet, da wären die Mindestabstände nicht eingehalten. Auch diese Finger, diese Brücken, über die man in die Flugzeuge steigt, das ist es oft im Sommer warm drinnen, da steht die Luft drinnen. Also deshalb würde ich empfehlen, wirklich sicherheitshalber die Maske aufzusetzen. Man will ja nicht im Urlaub dann nach vier, fünf Tagen merken, dass man krank ist und sich dann dort isolieren müssen.


[0:05:06]
Camillo Schumann 

Und in dem Fall nochmal der Hinweis, jetzt nicht ein einfacher Mund-Nasen-Schutz, sondern der Hinweis vom Experten: Eine FFP2-Maske soll es in dem Fall schon sein.


[0:05:14]
Alexander Kekulé 

Ich empfehle in dem Fall zumindest jedem, der irgendwie glaubt, dass er ein Risiko hat, eine FFP2-Maske aufzusetzen. Mein Gott, das ist einfach die Frage, wie viel Risiko bezüglich der Covid-19-Infektion nehme ich in Kauf? Klar, könnte theoretisch jemand, der unter  20  ist, sagen na, wenn ich es kriege, dann habe ich es halt. Wenn man sich dann vernünftig verhält und sich in die Isolierung begibt, dann heißt es ja auch nicht, dass man deswegen wahnsinnig unsozial ist. Man kann sich dann entsprechend verhalten. Aber diese Möglichkeit haben nicht so viele Menschen. Und darum glaube ich, die pauschale Empfehlung sollte sein: Nach wie vor: nicht riskieren, irgendwo Richtung Durchseuchung, nach dem Motto: Ich hole mir das wie bei einer Masern-Party. Sondern lieber grundsätzlich die Infektion erst einmal vermeiden.


[0:06:00]
Camillo Schumann 

In die Türkei oder nach Ägypten kann man ja nicht fliegen. Für diese beiden beliebten Urlaubsländern der Deutschen gibt es eine aktuelle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Dieser Länder werden vom RKI auch weiterhin als Risikogebiet eingestuft. In Ihren Augen zurecht?


[0:06:16]
Alexander Kekulé 

Leider ja. Also es ist so, dass es in beiden Ländern sowohl in der Türkei als auch in Ägypten ganz starke Bestrebungen gibt, von einzelnen Reiseveranstaltern, auch von Hotels, von Regionen dafür zu sorgen, dass sie wirklich ganz tolle Sicherheitsmaßnahmen haben. Da ist es ja zum Teil so, dass extra Geräte angeschafft wurden, um die Tests selber zu machen. Da kann man in deutschen Regionen nur von Träumen. Also ich wüsste im Moment noch kein Urlaubshotel, was ich selber eine PCR-Maschine gekauft hätte. Und da ist es so, dass wirklich bis hin zu vorgesehenen Isolationstrakten in Hotels – also ich kenne da Pläne, wo wirklich ein ganzes Hotel in so einem Resort abgetrennt wurde und man gesagt hat das wird unser Isolierungshotel, falls wir eins brauchen. Also, falls wir Verdachtsfälle haben oder wenn die Leute warten müssen auf einen Testergebnis. Das ist also mit Perfektionismus zum Teil geplant. Aber das betrifft eher so das 4-Sterne-, 5-Sterne-Segment, wo man sich so etwas leisten kann. Und das Gros der Touristen würde natürlich so untergebracht wie immer sonst. So rentiert sich das Ganze nicht. Und deshalb hat das Auswärtige Amt, das ja nach Region vorgehen muss und nicht nach einzelnen Hotels, in diesen beiden Ländern gesagt: nein, das riskieren wir jetzt nicht. Das geben wir im Moment noch nicht frei.


[0:07:36]
Camillo Schumann 

Auch die Situation in den Krankenhäusern ist in Ägypten in unterschiedlichen Regionen sehr, sehr unterschiedlich. Ein Ausschnitt aus einem Beitrag vom ARD-Korrespondenten Daniel Hechler:


„Schockierende Videos aus anderen Kliniken Ägyptens. Überforderte Ärzte. Patienten, die am Boden liegen, in Atemnot, ohne jede Hilfe. Leichen umgeben von Schmutz und Dreck. Die Zahl der Infizierten steigt rapide in Ägypten, wenn auch von niedrigem Niveau. Es fehlen Tests, Schutzausrüstung, Intensivbetten, Beatmungsgeräte, vor allem medizinisches Personal, klagt der Verband der Ärzte.“


Sie wollten auch nach Ägypten Urlaub machen. Wegen der Reisewarnung wird nichts draus, sind Sie vielleicht auch ein bisschen froh darüber?


Alexander Kekulé 

Ich bin schon ein bisschen traurig darüber, dass ich nicht fahren kann. Aber das ist vernünftig, weil ich auf jeden Fall mit kleinen Kindern gefahren wäre. In so einer Reisewarnungs-Situation hat es keinen Sinn. Meine Hauptüberlegung ist dabei immer, und das ist vielleicht auch für unsere Hörer relevant: Man muss sich nicht nur überlegen, wie kann ich mich persönlich vielleicht als „schlauer Deutscher“ irgendwie vor dem Virus schützen? Wir sind ja hier schon richtig gedrillt auf antivirale Maßnahmen. Sondern man muss auch überlegen, was werden die Behörden unter Umständen im Zielland mit mir dann machen? Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Kind dabei, das dreimal hustet, irgendein Hotelbediensteter sagt: Covid-19-Verdacht. Und dann kommt es in der Türkei oder in Ägypten oder in irgendeinem anderen Land dann in die Quarantäne. Da wissen Sie nicht genau, was die dafür Einrichtungen vorgesehen haben. Daher, ohne dass jetzt überzudramatisieren, das Verhalten der lokalen Behörden ist schon in europäischen Destinationen ein bisschen unberechenbar. Jeder denkt sich da etwas anderes aus, was möglicherweise richtig wäre. Und außer Europa ist es natürlich noch schwieriger. Außerhalb der EU ist es noch schwieriger. Deshalb finde ich das richtig, dass das Auswärtige Amt hier zunächst vorsichtig ist.


[0:09:39]
Camillo Schumann 

Kommen wir zurück nach Europa. Griechenland reagiert mit, ja ziemlich ausgeklügelten Einreisemaßnahmen. 48  Stunden vor Einreise müssen sich alle Einreisenden elektronisch angemeldet haben, indem sie ein Passagier-Lokalisierungs-Formular ausgefüllt haben. Das geht auch mit einer App. Bei der Anmeldung müssen Reisende unter anderem angeben, wo sie vorher waren und wo sie sich in Griechenland aufhalten werden. Antragsteller erhalten daraufhin einen QR-Code auf ihr Smartphone oder per E-Mail, den sie dann bei der Einreise ausgedruckt oder elektronisch vorweisen müssen. Und jetzt kommt es: Ein Algorithmus errechnet dabei, ob und welche Reisenden nach ihrer Ankunft einen Corona-Test machen müssen. Also, das hört sich jetzt für einen Laien, also für mich, ziemlich sicher an.


[0:10:25]
Alexander Kekulé 

Naja gut, man hat sich das relativ konsequent überlegt. Es ist ja nicht nur in Griechenland so. Dieser Algorithmus wird vor allem den Abflugs-Flughafen berücksichtigen. Ist es so, dass die Europäische Luftfahrtsicherheitsbehörde, dass die so eine ständig aktualisierte Liste hat, von Abflughäfen, die verschiedene Sicherheitsgrade haben. Und je nachdem, wo man herkommt, wird man dann getestet oder nicht. In Griechenland müssen sie dann 24  Stunden lang sich in Selbstquarantäne begeben. Ich weiß nicht, ob da vielleicht sogar zum Teil in den Hotels dann wiederum bestimmte Bereiche dafür vorgesehen sind, bis sie rauskriegen, ob der Test positiv oder negativ war. 

Also ich würde empfehlen, wenn man in so eine Region fährt, wo man weiß, man wird dort getestet, dass man sich vor der Abreise hier in Deutschland testen lässt. Weil das ist kein Spaß in so einem Land dann positiv getestet zu werden, weil: Jeder hofft natürlich, dass er negativ ist. Aber wir wissen ja – nun gibt es auch neue Studien -, dass etwa 50 Prozent der Infektionen unbemerkt verlaufen. Also die Hälfte aller Infektionen kriegt man von Leuten, die keine Symptome haben. Und das heißt, man merkt es unter Umständen gar nicht. Und darum würde ich empfehlen, lassen Sie sich vor der Abreise testen, dann gibt es keine Überraschung am Zielflughafen. Vielleicht kann man dann auch, indem man den Test vorweist, sogar vermeiden, dass man diese 24  Stunden in Kurz-Quarantäne muss. 


Camillo Schumann 

Und so grundsätzlich, nach Griechenland? Empfehlung oder eher nicht? 


Alexander Kekulé

Ja, natürlich, das kann man auf jeden Fall machen, die die warmen Länder jetzt im Sommer haben einfach viele strategische Vorteile. Das würde theoretisch natürlich auch für Ägypten gelten. Es ist so, dass der wichtigste Vorteil ist, dass großzügige Hotels, wo man draußen essen kann, wo es einfach ist, den Abstand von zwei Metern zwischen den Tischen einzuhalten. Und diese Dinge. Es ist ja auch so, dass dort das Personal weiterhin diese Masken tragen muss. Das ist verpflichtend in Griechenland. Eine kleine Schwachstelle, so wie ich es verstanden habe, wird es für die Touristen nur empfohlen. Also, ich kann nur sagen, es wäre dringend notwendig, man dann in so einem Hotel dann doch mal, ich weiß nicht, im Aufzug mit anderen zusammen ist, oder in einer eingedrängten Situation – es gibt ja dann doch mal so Waschräume im Keller oder so, wo die Luft steht. Da würde ich sicherheitshalber eine Maske aufziehen, auch wenn es vielleicht in Griechenland nicht vorgeschrieben ist.


[0:12:44]
Camillo Schumann 

In Italien ist ja die zweite Welle der Infektion mit dem Coronavirus quasi angekommen. Die Welle ist wesentlich flacher als die erste, die im März und April, wir erinnern uns, vor allem im Norden des Landes katastrophal erfasst hatte.  Noch geben die landesweiten Zahlen keinen großen Anlass zur Sorge. In Italien spürt man aber trotzdem mehr Nervosität. Das Land prüft zum Beispiel sogar eine Zwangseinweisung für Covid-19-Patienten. Also in Italien ist man nervös. Wären Sie auch nervös, wenn Sie da jetzt hinreisen würden?


[0:13:15]
Alexander Kekulé 

Es gilt eigentlich das Gleiche wie für Griechenland. Natürlich ist die Fallzahl in Griechenland im Moment viel niedriger. Dort werden wir Deutschen wahrscheinlich eher als Risiko behandelt. In Italien ist es eher so, dass wir wahrscheinlich aufgrund der Bilder, das Land als Risiko empfinden. Ich glaube, im Prinzip kann man sagen, die Regel heißt: Wenn man sich im Urlaub genauso vernünftig verhält, wie wir uns in den letzten Wochen und Monaten in Deutschland verhalten haben, und jetzt nicht meint, dort irgendwie sozusagen alle Freiheiten, sich nehmen zu müssen. Dann ist das eigentlich eine sichere Sache. Dann kann man natürlich auch nach Italien fahren. Ich würde ein bisschen vorsichtiger sein mit dem Begriff „zweite Welle“. Es gibt in Italien wieder einzelne Fallzahlen, es gibt einzelne Ausbrüche, dadurch sind die Fallzahlen gestiegen. Aber so eine richtige Welle ist nochmal etwas anderes. Die würde man erwarten, wenn im Herbst zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit für Infektionen aus klimatischen Gründen wieder ansteigt.


[0:14:08]
Camillo Schumann 

Die Lage in Spanien ist dagegen ein wenig angespannter. Nach Katalonien sind auch in Galizien neue Corona-Beschränkungen verhängt worden. 70.000 Menschen dürfen ihre Häuser nicht verlassen. Der Grund ist ein Coronavirus-Ausbruch, vermutlich in mehreren Bars. Aber genau solche ursprünglichen Bars, die will man ja als Tourist besuchen. In diesem Jahr besser nicht?


[0:14:30]
Alexander Kekulé 

Also ich würde geschlossene Räume vermeiden. Also wenn das eine Bar ist, die irgendwie so halb offen ist, das gibt es ja in Spanien oft, dann ist es kein Problem. Also, wenn ich mich so an Galizien erinnere, das ist also die linke obere Ecke da von Spanien, da ist eigentlich die typische Bar so, dass die Hälfte der Leute davor auf der Straße herumstehen und rumsitzen. Da wäre ich eher nicht besorgt. Aber wenn das irgendetwas im Keller ist, was geschlossen ist, vielleicht so eher Richtung Nachtclub geht, das würde ich als Tourist vermeiden.


[0:15:00]
Camillo Schumann 

Aber grundsätzlich, um einen Strich drunter zu ziehen, wenn schon Urlaub im Ausland, welche drei wichtigsten Verhaltensweisen sollte man dann umsetzen? Vermutlich wenig Kontakt mit Einheimischen?


Alexander Kekulé 

Ja, also Kontakt mit Einheimischen, am besten nur mit solchen, die man kennt. Ja, also wenn man natürlich Freunde da hat, soll man die selbstverständlich besuchen. Das ist genauso wie bei den Deutschen dann. Ich würde alle Massenveranstaltungen – also alles, was so ein bisschen nach Ischgl riecht – vermeiden, so was nach Après-Ski riecht: Da wo sich dann fremde Leute plötzlich bestens kennen und alle per Du sind, sich umarmen und Bussi Bussi, diese Situation. Ich übertreibe natürlich ein bisschen. das ist jetzt nicht typisch für Spanien oder Italien. Aber so was vom Ansatz her würde ich vermeiden, sowohl mit den Einheimischen als auch mit Deutschen, die man nicht kennt und im Urlaub erst kennengelernt hat. 

Die zweite wichtige Regel ist aus meiner Sicht wirklich, wie man sich im Flugzeug verhält. Das halte ich nach wie vor für ein Risikofaktor.  Da sollte man sich vernünftig verhalten.
Und als dritte Regel vielleicht noch beherzigen, dass man bei jeder, auch noch so kleinen Krankheitserscheinungen einfach mal annimmt, es könnte Covid-19 sein. Also Fieber, haben ja viele mal ein, zwei Tage im Urlaub, auch aus klimatischen Gründen. Aber wenn man sich dann einfach ein, zwei Tage zurückhält mit Kontakten und im Falle eines Falles einen Test macht, dann ist man, glaube ich, insgesamt auf der sicheren Seite.


[0:16:19]
Camillo Schumann 

Irgendwann werden die ganzen Urlauber zurückkommen. Das wird dann Ende August, Anfang September der Fall sein. Was werden diese Urlaubsrückkehrer in Deutschland anrichten? Was meinen Sie?


[0:16:31]

Alexander Kekulé

Wenn sie die drei Regeln einhalten, wird nichts passieren. Ich habe da keine Sorge, ehrlich gesagt. Das ist natürlich immer schwer, so Prognosen zu machen, wie sich Menschen verhalten. Also wenn wir, wenn wir nicht alle Vernunft quasi bei der Abreise am Flughafen lassen, sondern das ein bisschen mitnehmen, dieses Gefühl, dass das ja ein weltweites Problem ist, und wir in Deutschland eigentlich auf der Sonnenseite sind bei diesem Problem, dann, glaube ich, wird auch bei der Rückkehr nicht viel passieren. Das war damals bei den Rückkehrern aus Norditalien aus verschiedenen Gründen anders. Die wussten ja gar nicht, was dort für ein Problem ist. Die wussten ja gar nicht, dass es sich möglicherweise infiziert haben. Man muss es an der Stelle noch einmal sagen, das Robert Koch-Institut hat damals noch gesagt, dass es harmloser als die Grippe. Es war so, dass die Regionen, aus denen die Menschen kamen, explizit nicht als Risikoregionen ausgewiesen waren und dann eben beschlossen wurde: Die Schulen werden wieder aufgemacht. Daraus kann ich doch nur schließen, dass ich kein Risiko habe. Heute sind die Menschen klüger, und ich glaube, in der jetzigen Situation, wird sich so etwas wie Ischgl nicht wiederholen.


[0:17:34]
Camillo Schumann 

Weil Sie gerade die weltweite Situation angesprochen haben. Laut WHO beschleunigt das Infektionsgeschehen in der Welt sehr, sehr stark. Vor allem in den USA und Brasilien wütet SARS-CoV-2 sehr, sehr stark und die Frage, wer Covid-19 überlebt und wer nicht, hängt sehr, sehr stark von der Ethnie und der sozialen Herkunft ab. Eine aktuelle Studie aus Brasilien belegt das auch sehr eindrucksvoll. Es ist eine Querschnittsstudie, die regionale Unterschiede bei der Behandlung von Covid-19-Patienten analysiert hat. Vielleicht für einige kein überraschendes Ergebnis. Aber es ist auch wichtig, dass man es noch einmal sagt.


[0:18:07]
Alexander Kekulé 

Doch ich glaube, das ist eine ganz gründlich gemachte Studie, die ist interessant. Die ist jetzt gerade im „The Lancet Global Health“ erschienen. Also so eine Zeitschrift, die sich auf sehr hohem Niveau mit globaler Gesundheit beschäftigt. Und die haben die Daten aus ganz Brasilien von diesem Netzwerk, was normalerweise die Grippedaten erhebt, zusammengefasst. Und die haben jetzt mal versucht rauszukriegen, was hat es so auf sich mit diesem Zusammenhang immer, dass die Armen eher sterben bei Covid-19. Das ist ja in USA ein Riesenthema, geht auch in Richtung Rassismus-Debatte. Und in Brasilien, wer da schon mal da war, weiß, die haben diese großen Makroregionen, fünf Makroregionen. Die unterteilen sich ja da in Norden, Nordosten, Zentral-Westen, Südosten und Süden. Und da sind dann mehrere Bundesstaaten drin. Das ist ja so ein Bundesland wie Deutschland eigentlich. Und die Autoren der Studie haben einfach mal die zwei, sage ich mal, ärmsten Regionen, und das ist Norden und Nordosten. Beim Norden, zum Beispiel, gehört Amazonas dazu, wird das vielleicht mal kennt. Beim Nordosten gehört dazu Paraíba, Pernambuco, also relativ arme Staaten und den ganzen Rest von Brasilien. Das haben die gegeneinander gestellt, um einfach mal den krassesten, sage ich mal sozialen Kontrast auf zwei Seiten einer statistischen Auswertung zu machen. Da ist natürlich herausgekommen, was rauskommt musste: Im armen Norden dort, wütet die Krankheit viel, viel schlimmer. Also, die Mortalität bei den Staaten im Norden ist deutlich höher. Die Sterblichkeit, ist deutlich höher als bei den hier als südlichen Staaten eingestuften. Das mit Nord-Süd ist in Brasilien natürlich, weil die ja südlich vom Äquator sind, so ein bisschen umgekehrt wie auf der nördlichen Halbkugel. Also in Italien ist immer der Süden der Arme und der Norden der Reiche. Und dort ist es eben genau umgekehrt. Interessanterweise vielleicht für die, die gern nach Rio de Janeiro fliegen. Rio ist ein Ausreißer. Das gehört zwar dort zu den bessergestellten Staaten, hat aber die gleiche schlechte Statistik wie die Nordstaaten, also wie Amazonas und Ähnliches. Warum ist das so interessant? Erstens man hat dort ja gedacht, dass die Länder, die weiter nördlich sind, also näher am Äquator dran, dass die wahrscheinlich von Covid-19 eher verschont werden, weil man auch immer gesagt hat, das wärmere Klima schützt so ein bisschen. Unter anderem sind dort die Maßnahmen viel später angelaufen. Man hat zuerst einmal auch den reichen Süden geschützt. Das ist einer der Gründe, warum es diese Riesenprobleme dort gibt. 


[0:20:47]
Camillo Schumann 

Aufgeschlüsselt nach Bevölkerungsgruppen gibt es sehr unterschiedliche Ergebnisse, was ist dazu zu sagen?


Alexander Kekulé
In Brasilien haben die so ein Standardverfahren, wie sie ihre Bevölkerung schon immer unterteilen. Das wird dort nicht als rassistisch empfundenen. Darum sage ich einfach mal, wie die die nennen. Die einen heißen einfach weiß, quasi „brancos“. Die anderen heißen „pretos“, das sind die Schwarzen. Dann haben Sie „amarelo“, das heißt, wie der Name andeutet, dass ist das Wort für gelb im Portugiesischen, das heißen  also die, die aus Asien und Ähnliches kommen. „Indígena“, das sind die Eingeborenen oder die die ursprüngliche Bevölkerung dort. Und dann gibt es „pardo“, das heißt gemischt. Und „Pardo“, das sind typischerweise solche, die zwischen, sage ich mal schwarz und braun irgendwo liegen, also dunkle, dunkelhäutige Menschen. Und diese Gruppen haben die. Diese Ethnien haben die, und da ist erst einmal rausgekommen, das, was man aus den USA ja auch kennt, dass nämlich die mit schwarzer oder gemischt-dunkler Hautfarbe einfach eine deutlich höhere Sterblichkeit haben. Also wenn man schwarz ist dort nach der Definition, hat man 45  Prozent höheres Sterberisiko für Covid-19. Und wenn man so gemischt-braun, dunkelbraun ist, dann hat man 32 Prozent erhöhtes Risiko. Allein dieser äußere Anschein ist also ein ganz deutliches Risiko, früher zu sterben oder früher eine höhere Sterblichkeit zu haben. Diese Ethnie ist der zweitwichtigste Faktor nach dem Alter. Also dort in Brasilien natürlich, wie überall auf der Welt, sterben die Alten zuerst. Aber dann kommt gleich die Frage, ob man schwarz oder braun ist. Das ist also das eine, was interessant ist.

Und das andere ist – aber da geht die Studie doch ein Stück weiter, als das diese normale Diskussion in den USA auch ist –, klar könnte man jetzt sagen, das hat irgendetwas mit rassistischer Diskriminierung zu tun. Und das ist auch ganz wichtig, dass dieser Faktor natürlich gerade in den USA ganz massiv jetzt diskutiert wird im Zusammenhang mit Covid‑ 19. Aber hier haben die gesagt, was gibt es denn sonst noch für Faktoren, die in diesen armen nördlichen Regionen und in den eher reichen südlichen Regionen eine Rolle spielen. Und da ist es eben so, dass nicht nur im Norden die Maßnahmen später ergriffen wurden. Sondern dass es deutlich weniger Ärzte pro Bevölkerung gibt, dass die Gesundheitsüberwachung viel, viel schlechter ist. Es gibt viel weniger Teams, die so  Family Health Workers dort heißen, weil man ja weniger Krankenhäuser hat. In diesen Regionen ist das traditionell so, das so Teams durchs Land fahren und sich von Dorf zu Dorf mit einem Bus reisen und dort dann ein paar Tage sind und die Gesundheitsversorgung der lokalen, ländlichen Bevölkerung machen. Die heißen Family Health Teams. Da war ich vor ein paar Jahren im Zusammenhang mit der Zika‑ Studie auch mal mit so einem Team unterwegs, da im Norden Brasiliens. Das ist also wirklich beeindruckend, was die dort wirklich leisten. Solche Teams sind wesentlich weniger vorhanden in den armen Regionen. Es gibt weniger Krankenhausbetten, das ist klar. Und natürlich mehr Bevölkerungsanteile, die eben „pardo“ oder schwarz sind. Und dadurch hat man so eine doppelte Situation, eine doppelte Situation: schlechte Gesundheitsversorgung plus ethnisch benachteiligte Menschen. Und das ist der Grund, warum es dort zu diesen Riesenproblemen kommt. Die Menschen leben auch – und das ist in der Studie noch einmal gezeigt worden – wesentlich enger zusammen in den Regionen, wo die höheren Fallzahlen  und auch die höheren Sterblichkeiten sind.


[0:24:22]
Camillo Schumann 

Herr Kekulé, wir müssen noch über einen Appell sprechen in dieser Ausgabe, und zwar einen Appell mehrerer Wissenschaftler. Es geht um das Thema Ansteckung über die Luft, also Aerosole. Und nach Meinung dieser fast 240 Wissenschaftler ist das ein Thema, das bisher nicht ernst genug genommen wird. Ist das wirklich so? Also mein Eindruck ist, wir sprechen über fast nichts anderes mehr.


[0:24:44]
Alexander Kekulé 

Ja, wir sprechen viel drüber, aber international muss man sagen, ist es tatsächlich nicht so auf dem Schirm. Auf dem US-Nachrichtensender CNN ist es dieser Tage ein großes Thema: Oh, Covid-19 wird auch über die Luft übertragen. So in diesem Sinne ist auch dieser Appell an die WHO zu verstehen. Das war in der Vergangenheit ja mal so ein Fragezeichen.

Man hat eigentlich bei SARS-1 gewusst, dass das relativ wenig auf weiteren Strecken durch die Luft übertragen wird. Man kannte einzelne Superspreader-Ereignisse. Aber man hatte den Eindruck, dass die von der Gesamtpandemie nicht so einen großen Anteil gehabt haben. Und wir sind jetzt eigentlich in vielen Ländern in so einer Phase, wo man die normalen Tröpfcheninfektionen ganz gut im Griff hat. Weil, die kriegt man ja durch einfaches Abstandhalten, gelegentlich mal Händewaschen und vor allem Maskentragen eigentlich in den Griff. Wenn man jetzt in dieser Phase ist, dann spielen plötzlich diese Superspreader-Ereignisse eine Rolle, und die sind eben aerogen. Da ist es eben so, dass das Virus wirklich meterweit durch die Luft übertragen werden kann in bestimmten Situationen. Diese Erkenntnis, die hat die WHO, naja, natürlich haben die WHO‑ Leute das verstanden, aber es ist in den allgemeinen Anweisungen nicht so prominent, weil die natürlich global denken und jetzt nicht nur an Länder wie Deutschland, wo das eine große Rolle spielt oder auch bestimmte Regionen der USA, wo das jetzt wichtig ist. Sondern ganz global überhaupt erst einmal versuchen, die Menschen dazu zu bringen, überhaupt irgendetwas gegen das Virus zu machen, also Abstand zu halten und Ähnliches. Darum ist der Aufruf einerseits berechtigt, ja, daran muss man noch einmal erinnern. Andererseits darf man eben nicht vergessen, dass, wenn wir aufhören würden mit unseren Abstandsregeln und Maskentragen, dass wir dann wieder ganz schnell in die Phase kommen würden, wo diese Hauptübertragungsweg, nämlich die Tröpfcheninfektion, wieder eine große Rolle spielt.


[0:26:36]
Camillo Schumann 

Wir kommen zu den Hörerfragen, Frau J. hat uns geschrieben. Sie ist Psychotherapeutin und hat von ihrem Verband eine E-Mail bekommen. Darin wird für einen Luft-Desinfektionsgeräte geworben, welches man mit zehn Prozent Rabatt kaufen könne. Kostenpunkt rund 700 Euro. Man muss dazu sagen es ist ein UVC-Luft-Desinfektionsgerät. Und jetzt wollte Frau Jones natürlich wissen, was Sie von diesem Gerät halten. Ich habe ihnen den Link geschickt. Sie haben sich das angeschaut und würden Sie es selber kaufen?


[0:27:06]
Alexander Kekulé 

Ich würde es nicht kaufen, nein. Also, es ist so, ja das Prinzip - was in diesen Geräten, da gibt es ja verschiedene Hersteller, die das jetzt anbieten – ist in Ordnung. Das Prinzip heißt: Ich leite Luft an einer UV-Lampe vorbei, die im sehr kurzwelligen UV-Licht arbeitet, also nichts, was man im Sonnenstudio noch gebrauchen könnte. Dieses kurzwellige UV‑ Licht tötet Bakterien und Viren ab. Wobei man erstens sagen muss der Abtötungseffekt für Bakterien ist deutlich besser belegt als der für Viren. Aber abgesehen davon, ja, es gibt einen Effekt, und die werben dann damit, dass in 99,999  Prozent oder was der Krankheitserreger töten könnte – rein theoretisch. Bei all diesen Geräten ist Folgendes das Problem: Man leitet einen Teil der Raumluft an der UV-Lampe vorbei. Nur der Teil, der direkt an der Lampe vorbeigeht, hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheitserreger abgetötet werden. Erstens ist die Frage: Wieviel Prozent leitete dieses Gerät wirklich effektiv an dieser Lampe vorbei? In dem Sinn, dass es wirklich tot ist. Und zweitens: Welchen Anteil der Raumluft kann das Gerät überhaupt pro Stunde durchleiten? Und da habe ich bei dem konkreten Gerät mal nachgelesen, das waren 38 Kubikmeter pro Stunde. Das heißt also ein Raum, der ungefähr 3 m x 4 m x 3 m ist, also 3 m hohe Decke, 3  m x 4 m Grundfläche, zwölf Quadratmeter. So ein Raum, da würde dann rein theoretisch die Luft innerhalb von einer Stunde einmal umgewälzt. Aber es ist ja nicht so, dass man das auf der einen Seite seit der reinpumpt und auf der anderen rauszieht. Weil, das Gerät steht ja im Raum. Das heißt, bis man dann wirklich die gesamte Luft per Durchmischung so nach und nach gereinigt hat, würde sich ungefähr, sage ich mal, von der Größenordnung, die fünffache Zeit anbieten. Das heißt also innerhalb von fünf Stunden, wäre dann die gesamte Luft einmal durch das Gerät gelaufen. Und da kann sich jeder selber vorstellen, wenn jetzt in dem Fall so eine psychotherapeutische Sitzung vielleicht eine Stunde oder zwei dauert – das bringt während der Sitzung eigentlich wenig, wenn nach fünf Stunden dann einmal alles gereinigt wurde. Ich würde, da eher zur klassischen Methode – nach jedem Patienten Fenster auf Türe auf  – plädieren.


[0:29:21]
Camillo Schumann 

Sonst bräuchte man ja, wenn ich richtig mitgerechnet habe: Die Räume sind ja meist ein bisschen größer, bräuchte man ja dann fünf, sechs dieser Geräte, damit man dann einigermaßen auf einen guten Umwälzwert kommt.


[0:29:33]
Alexander Kekulé 

Ja, und dann haben Sie eben immer diesen Durchmischungseffekt. Das muss man sich bei all diesen Angaben klarmachen. Wenn Sie jetzt, was weiß ich, eine Badewanne haben mit Seifenlösungen, mit Schaum drinnen, undSsie nehmen da gelegentlich mal einen Eimer Wasser raus und machen dafür einen Eimer Frischwasser rein. Wie lange dauert es, bis das Wasser nicht mehr nach Seife schmeckt? Das ist einfach so ein Verdünnungseffekt. Das dauert eine Weile. So ist hier auch mit den Viren, dass man grundsätzlich sagen muss, dass ist ganz selten einzuhalten.


Camillo Schumann

Letzte Frage: Eine Frage zum Thema Hausmittel gegen Corona. Das ist auch wirklich ein Dauerbrenner. Dieser Herr hat diese Frage:


„Ich wollte mal wissen, wie sinnvoll ist es, vorbeugend gegen Corona, täglich, zum Beispiel, dreimal eine kleine Prise Salz im Mund zu lutschen. Also, zum Beispiel mit einem Salzstreuer, ganz wenig nur, ob das wirkt. Weil ja angeblich die Entzündungen dann vom Rachen ausgehen.“


[0:30:38]
Alexander Kekulé 

Da würde ich abraten. Bei jeder Art von Heiserkeit sind so Salzpastillen ganz in Ordnung. Es ist auch bekannt, dass zu viel Kochsalz für den Blutdruck auch gar nicht so gut ist, wenn man das jetzt über Jahre hinweg machen würde oder über lange Zeit. Ich würde nicht sagen, dass das irgendeinen Effekt hat, da eine Prise Salz sich auf die Zunge zu streuen. Das ist, glaube ich, im Bereich der Märchen.


Camillo Schumann 

Also den Salzstreuer dann lieber zur Verfeinerung des Essens nehmen. 

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 79.

Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag zum Hörerfragen-Spezial wieder. Bis dahin.


Alexander Kekulé
Gerne, bis Samstag, Herr Schumann. 


Camillo Schumann
Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns: 

mdraktuell-podcast@mdr.de.
Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00. 



MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 07.07.2020 #78: Die Maske ist wie der Sicherheitsgurt im Auto

Camillo Schumann, Moderator MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Dienstag, 7. Juli 2020. 1. In dieser Ausgabe ein Blick auf die aktuelle Infektionslage in Deutschland. 2. Außerdem wird uns noch mal die Diskussion über die Abschaffung der Maskenpflicht beschäftigen. 3. Dann: Neue Langzeitstudie zu Kindern in Bayern gestartet. Welchen sinnvollen Beitrag kann diese Studie leisten? 4. Und: Nie wieder etwas schmecken oder riechen? Genesene Covid 19-Patienten berichten, dass sie auch Wochen nach der Krankheit noch Symptome haben. Muss man sich Sorgen machen?

Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin ein Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag haben wir einen Blick aufs Coronavirus, und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Zum Start dieser Ausgabe möchte ich den Generalsekretär der CDU, Paul Ziemiak, kurz zu Wort kommen lassen. Denn er findet: „Masken tragen ist sexy.“

Das sehen aber nicht alle so und haben eine Abschaffung der Maskenpflicht im Einzelhandel gefordert. Dazu kommen wir gleich. Denn die Grundlage für diese Forderung ist ja das Infektionsgeschehen hier bei uns in Deutschland. Das wollen wir uns jetzt mal ein bisschen genauer anschauen.

Stand heute, Dienstag 07.07. Im Vergleich zum Vortag wurden 390 Neuinfektionen gemeldet, die Zahl der Todesfälle steigt um 8 auf 9.024 und aktuell infiziert gibt es in ganz Deutschland 5.239. Und der berühmte R-Wert, den wollen wir nicht vergessen, der lag bei 0,97. Jetzt sind das alles Daten, die auch so ein bisschen mit Vorsicht zu genießen sind. Aber grundsätzlich, wie bewerten Sie es aktuell?

[0:01:53]

Alexander Kekulé

Ja, wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg. Das muss man klar sagen. Die Frage ist einfach gibt es Infektionsherde, die wir im Moment noch nicht entdeckt haben, weil die Lage die ist, dass wir ein Beginn der Urlaubssaison haben? Viele Aktivitäten sind ja auch erst kürzlich erlaubt worden, und wir wissen nicht genau, wie sich so das neue „Freiheitsgefühl“ der Bürger auf die Infektionszahlen niederschlägt.

[0:02:16]

Camillo Schumann

Weil Sie es gerade angesprochen haben, was man auch feststellen kann: Auch fast drei Wochen nach dem Corona-Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies sind die befürchteten punktuellen Ausbrüche in anderen Bundesländern bisher ausgeblieben. Mehr noch, die Infektionslage hat sich im Rest des Landes weiter beruhigt. Ist das ist das auch ein guter Fingerzeig?

[0:02:36]

Alexander Kekulé

Ich glaube schon. Man muss ja auch irgendwann mal Entwarnung geben nach so einem Ausbruch. Ich kann mir vorstellen, dass einige Infizierte vielleicht die Region verlassen haben, bevor der neue Lockdown dort war. Aber die haben sich offensichtlich vernünftig verhalten, zumindest soweit sie in Deutschland waren. Und ich glaube, das ist auch ein

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Zeichen, dass man so einen Ausbruch, der ganz lokalisiert ist, wo man relativ schnell weiß, um wen es sich handelt – hier eben mit Mitarbeiter eines Betriebs -, dass man den in Deutschland ganz gut im Griff bekommt.

[0:03:06]

Camillo Schumann

Man muss ja auch dazu sagen, dass die Testkapazitäten gesteigert wurden. Laut Aussagen des Robert Koch-Instituts werden jetzt pro Woche eine Million Tests durchgeführt. Wer viel sucht, der findet viel, heißt es ja eigentlich in diesem Fall. Wer viel sucht, der findet immer weniger.

[0:03:22]

Alexander Kekulé

Ja, die Tests sind natürlich jetzt nicht so selektiv. Also, das sind Tests, wo viel auch vorsorglich gemacht wird. Beispielsweise werden zunehmend auch Schüler getestet. Es wurden auch im Bereich Gütersloh Personen getestet, die in Urlaub fahren wollten und eigentlich in dem Sinn gar kein persönliches Risiko hatten. Daher muss man immer gucken, wen man testet, bevor man sagt, dass dieses viel Testen auch viel hervorbringen müsste. Wir haben eine Situation, das muss man bei der ganzen Diskussion sich klarmachen, wo unsere Gesellschaft natürlich in verschiedene Bereiche geteilt ist. Es gibt einen großen Teil, die halten sich an die Maskenpflicht. Die halten sich an die Abstandsregeln, die sind vernünftig und lassen sich auch testen, wenn sie im Zweifelsfall Verdacht auf Symptome haben. Es gibt aber auch Bereiche in der Gesellschaft, bei denen diese Informationen einfach nicht richtig angekommen sind, und wo eben das nicht so gemacht wird. Und ich glaube, wenn man gerade in die USA sieht, wo es große Probleme gibt in verschiedenen Gesellschaftsbereichen, da ist immer das Thema: Wie informiert sind die Leute? Und wie diszipliniert ist der Einzelne wirklich selbst? Ich glaube, dass wir da in Deutschland eine sehr, sehr gute Startposition haben. Und das ist letztlich der Grund, warum wir jetzt im Moment eigentlich ganz komfortabel dastehen.

[0:04:38] :

Camillo Schumann

Und die Frage wie agiert die Politik in solchen Lagen? Weil Sie den Fall Tönnies, also Gütersloh, angesprochen haben? Das Oberverwaltungsgericht in Münster hatte in einem Eilverfahren die Corona-Maßnahmen im Landkreis Gütersloh gestern gekippt und bezeichnet den zweiten sogenannten Lockdown für den gesamten Kreis Gütersloh als unverhältnismäßig. Es wäre durchaus möglich gewesen, eine differenzierte Wertung vorzunehmen. Und das ist ja auch der Plan der Landesregierung, bei einem erneuten Ausbruch nicht mehr den gesamten Landkreis runterfahren, sondern nur den betroffenen Ort, also ein differenziertes Agieren. Ist das der richtige Weg?

[0:05:15]

Alexander Kekulé

Ja, das war eigentlich von Anfang an Teil des Konzepts. Also man hat es ja auf die Gemeinden abgewälzt, was viele Nachteile hat. Weil man gesagt hat, die können vor Ort besser beurteilen, wie die Lage ist und differenzierte agieren. Dass jetzt hier der ganze Landkreis gesperrt wurde, wobei man sagen muss, Gütersloh ist ja geografisch relativ weit verbreitet. Da gibt es ziemlich viele einzelne Ortschaften, die dazugehören. Das ist als Erstmaßnahme völlig in Ordnung, und das Gericht fordert hier zurecht, dass man sowohl von der geografischen Verbreitung her als auch von der vermuteten Ausbreitung des Virus differenzierter bei den Maßnahmen ist. Ich glaube, das ist ein richtiger Hinweis. Und das hat die Politik hoffentlich auch verstanden.

Camillo Schumann

Es hört sich das nur sehr schön an. Nur wie soll man das umsetzen? Also wie soll so ein differenziertes Agieren dann praktisch aussehen? Hätten Sie eine Idee?

Alexander Kekulé

Ja, der Vorschlag, den, den ich ja schon öfters gemacht habe, ist, dass man wirklich nach Initialfällen vorgeht. Es hat keinen Sinn zu sagen, wir haben in einem Betrieb 1.500 Fälle. Dann rechnet man das auf 100.000 Einwohner

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um und sagt dann: Wir haben die Alarmstufe überschritten und müssen dann quasi mechanistisch den ganzen Landkreis schließen. Sondern worauf es ankommt, ist im ersten Blick einfach, wie viele dieser Fälle sind bekannten Infektionsketten zuzuordnen oder vielleicht sogar schon unter Quarantäne und in Isolierung. Wenn man das hat. Also wenn man sozusagen einen lokal bekannten Ausbruch hat, dann können Sie relativ hohe Fallzahlen eigentlich verkraften, ohne dass sie alles runterfahren müssen. Anders wäre das, wenn sie auch nur 200 Fälle hätten, in Gütersloh zum Beispiel, die aber dann wirklich lauter Initialfälle wären. Das heißt, jeder einzelne Fall ist keiner bekannten Infektionskette zuzuordnen. Dann wären Sie erstens von der Nachverfolgung sofort überfordert. Die Gesundheitsbehörden könnten das nicht. Und zweitens wäre es natürlich ein riesiges Alarmsignal, weil sie ja immer nur die Spitze des Eisbergs sehen und davon ausgehen müssen, dass dahinter ganz viele andere Fälle stehen, die man noch nicht entdeckt hat.

[0:07:18]

Camillo Schumann

In einigen Bundesländern. Da gibt es ja null Neuinfektionen. Und genau deshalb wurde am Wochenende und auch zum Start in die neue Woche über die Abschaffung der Maskenpflicht im Einzelhandel diskutiert. Angestoßen hatte das Ganze der Wirtschaftsminister von Mecklenburg- Vorpommern. Danach folgt Niedersachsen und Sachsen. Der Einzelhandelsverband, der stimmt da auch mit ein. Aber am Ende sprach die Kanzlerin, wie so häufig, ein Machtwort. Und die Bundesländer einigten sich dann einstimmig, die Maske bleibt auf. Was halten Sie denn so grundsätzlich von einer Aufhebung der Maskenpflicht im Einzelhandel? Wäre es zum derzeitigen Zeitpunkt der Pandemie vertretbar oder eine absolut absurde Forderung?

[0:07:57]

Alexander Kekulé

Ich würde auf keinen Fall dafür plädieren. Das muss ich ganz klar sagen. Das möchte ich sozusagen als Appell richtig formulieren. Da kann ich nur einfach daran erinnern: Am

Anfang, als der Ausbruch in Deutschland losgegangen ist, hatten wir auch fast keine Fälle. Selbstverständlich, es geht immer mit fast keinen Fällen los. Aber wenn man dann eben keine Gegenmaßnahmen ergreift, dann genügend schon ganz wenige einzelne Ausbrüche, um in kürzester Zeit uns wieder in die Phase zurückzuversetzen, wie sie am Anfang dieser Welle war. Ich glaube die Masken sind – das ist inzwischen glaube ich auch wirklich Konsens bei allen Beteiligten –, ein sehr effektives Mittel, die Zahl der Infektionen deutlich zu reduzieren. Und wir sollten uns einfach an diese Masken, meines Erachtens, gewöhnen. Klar könnte man im Sommer in einer bestimmten Zeit sagen, ja jetzt in diesen drei Wochen brauchen wir sie vielleicht nicht unbedingt in einer bestimmten Region. Aber wie will man das dann politisch im Herbst den Menschen erklären, dass die Masken dann wieder aufgesetzt werden sollen? Gerade der Einzelhandel, der sich jetzt beschwert, der dann aufs Weihnachtsgeschäft hofft, der hat dann ein größeres Problem, wenn dann die Maske wieder neu eingeführt wird genau in dieser Zeit. Ich bin auch nicht so sicher, ob die Deutschen jetzt wegen der Maske im Gesicht langfristig keine Kauflaune mehr haben werden. Das ist ja so ein bisschen die Befürchtung, die im Raum steht. Ich hoffe sehr auf einen Gewöhnungseffekt, dass wir uns an die Maske gewöhnen wie an den Sicherheitsgurt im Auto. Weil, ich glaube, wenn wir jetzt in die Welt rausschauen, überall dort, wo man diese Maßnahmen gelockert hat: Da sieht man, dass es zu ganz starken Rückschlägen kommt. Da ist gerade ganz aktuell, ja in Melbourne in Australien wieder der Lockdown verhängt worden und noch einige andere Regionen davon, Victoria State. Das war einfach deshalb, weil man die Lockerungen gemacht hat. Israel ist bekannt als Problem. In den Südstaaten der USA, in Texas rollen jetzt ganz aktuell die Militärärzte ein, weil man es anders nicht in den Griff bekommt. Die haben an einem Tag über 5.000 Fälle allein in Texas gehabt. Das heißt also, wir sehen überall auf der Welt, was passiert, wenn man diese Maßnahmen lockert. Und es sind vor allem die Masken in geschlossenen Räumen, um die es hier geht. Vielleicht noch ein letztes dazu. Die Deutschen haben sowieso

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eine Komfortsituation, wenn ich sehe, wie früher in Asien die Maskenpflicht auf der Straße angeordnet war und Ähnliches. Wir haben es ja nur in ganz bestimmten Situationen, und das ist auch gut so.

[0:10:17] Camillo Schumann Sogar auf der Straße gilt jetzt eine Maskenpflicht, zumindest auf Norderney. Da ist jetzt der Touristenansturm so groß, dass selbst in den Einkaufsstraßen jetzt Maske getragen werden muss. Ja, erst Maskenpflicht aufheben, dann wieder einführen. So geht es gerade unseren Nachbarn in Österreich. Dort wurde die Maskenpflicht erst abgeschafft, und nun wird sie auch schon wieder eingeführt. Nämlich in Oberösterreich, wurde heute vor wenigen Minuten verkündet, also wenigen Minuten vor Aufzeichnung des Podcasts. War so ein bisschen zu erwarten. Oder?

[0:10:47]

Alexander Kekulé

Es ist tatsächlich so, dass das ein Experiment war, dass die Österreicher so konsequent die Masken abgeschafft haben. Meines Erachtens ist das größte Problem dabei, dass die Menschen – wenn sie nun gar keinen Anhaltspunkt mehr darauf haben, dass so eine Pandemie im Land ist und die Masken weg sind - sich insgesamt einfach freier verhalten. Ich glaube, dann fallen alle, auch guten Vorsätze, was die Kontakte, die Abstände und Ähnliches betrifft. Und ich glaube, das sollte uns eine Lehre sein, dass man hier nicht zu voreilig ist.

[0:11:18]

Camillo Schumann

427 Menschen sind in Oberösterreich infiziert, 3.000 Menschen unter Quarantäne. Der R- Wert liege bei 2,0. Oberösterreich, das müssen wir auch dazu sagen, ist mit knapp 1,5 Millionen Einwohnern bevölkerungsmäßig das drittgrößte Bundesland. Wenn man diese Zahlen jetzt ins Verhältnis setzt, ist das doch eigentlich gar nicht so viel, oder?

[0:11:41]

Alexander Kekulé

Naja, was die Behörden dort beunruhigt, hat ist einfach der Anstieg der letzten Tage. Was

man dort wie überall eigentlich auf der Welt sieht, ist, wann immer man die Maskenpflicht fallen lässt, kommt es durch Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen wieder zu lokalen Anstiegen. Und ich glaube, das kann man jetzt natürlich noch zehnmal weiter ausprobieren, bis es auch der letzte gelernt hat. In Österreich weiß ich, es ist durchaus auch kontrovers diskutiert worden, ob man das riskieren soll, allgemein die Maskenpflicht abzuschaffen. Und ich bin relativ sicher, dass jetzt bei all denen, die das machen, ob das Österreich ist, oder USA, oder Israel. Überall, wo man diesen Schritt gegangen ist, wird man sagen, Moment, das war höchstwahrscheinlich zu früh, zumindest flächendeckend zu früh. Und darum finde ich es eine gute Entscheidung, dass wir in Deutschland hier anders verfahren. Falls wir das durchhalten, was nicht so einfach ist, mit der Bevölkerung wirklich bei der Maskenpflicht zu bleiben, auch in Phasen, wo wir sehr niedrige Infektionszahlen haben. Dann wären wir wahrscheinlich weltweit so eine Art Modell. Da werden die Leute nach Deutschland gucken, so wie sie in anderem Zusammenhang nach Schweden gucken und sagen, wie sieht es eigentlich aus, wenn man die Masken beibehält? Bleiben dann die Fallzahlen wirklich niedrig? Und wenn wir das schaffen, dann glaube ich, werden das alle anderen genauso machen. Wir haben die Situation, dass wir wissen, dass in einer allgemeinen halbwegs kontrollierten Lage wie der, wo wir uns jetzt befinden, diese Superspreader-Ereignisse das Problem sind. Das heißt also, in geschlossenen Räumen kommt es dann plötzlich zu einer Vielzahl von Infektionen auf einmal. Da kann schon ein solches Ereignis in einer Region ausreichen, um wirklich explosionsartig die Fallzahlen wieder hochzufahren. Vor allem, wenn man es zuerst nicht bemerkt. Und diese Ereignisse, das muss man ganz klar sagen, die sind, wenn alle Masken haben in diesen Räumen, extrem unwahrscheinlich. Nicht ausgeschlossen, dass da ein paar Infektionen stattfinden. Aber diese aerogene Infektion, wenn jetzt jemand eine Maske im Gesicht hat, kann er kaum in der dafür notwendigen Menge Partikel ausstoßen. Und um diese speziellen Superspreader-Ereignisse sorge ich mich, weil das wären die Dinge, die in einer ganzen

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Region auch die wirtschaftlich die wieder zurückwerfen können. Dass der Tourismus dann unterbrochen werden muss. Dass es wieder Lockdowns gibt und Ähnliches. Letztlich war das, was bei dem Fleischverarbeiter Tönnies passiert ist, ja nichts anderes als ein einzelnes Superspreader-Ereignis. Das könnte genauso gut in einer Gaststätte sein oder in irgendeiner Partysituation oder Ähnliches. Darum werde ich extrem vorsichtig in solchen Regionen. Wir müssen uns ganz klar noch einmal vor Augen führen, dass die Zahl der Immunen, die also die Infektion schon durchgemacht haben, in Deutschland extrem gering ist. Selbst in Spanien gibt es jetzt eine aktuelle Studie. Die ist gerade im „The Lancet“ erschienen, in einer sehr renommierten internationalen Zeitung. Da haben die landesweit getestet und mal repräsentativ versucht herauszukriegen, wie viele Menschen sind immun. Über 50.000 Personen im ganzen Land getestet und kamen gerade Mal auf 5 % landesweit, in Madrid vielleicht eher Richtung 10 %. Und das ist ja ein Land, was extrem schlimm betroffen war. Umgekehrt heißt es, Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern, die also besonders wenig betroffen waren, haben fast keine immune Population. Das heißt, wenn dort ein Superspreader-Ereignis passiert, sind die dann eben besonders empfänglich und empfindlich dafür. Ich würde das nicht riskieren. Also sorry, dass ich so vorsichtig bin, aber ich würde es nicht riskieren.

[0:15:05]

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz, die Maske, wenn ich Sie richtig verstehe – um dann noch mal so einen grundsätzlichen Strich drunter zu ziehen unter die Maske –, das wird jetzt erst einmal auf absehbare Zeit zum Alltag gehören.

Alexander Kekulé

Ich glaube, etwas, was man nicht abschaffen kann, mit dem sollte man sich anfreunden.

Camillo Schumann

Sechs bis sieben Jahre braucht es, bis man eine Krankheit erforscht hat. Das hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gesagt. Für Covid-19 haben wir bisher nur sechs bis sieben Monate Zeit gehabt, hat er gesagt. Wie

schätzen Sie das eigentlich ein? Wie groß ist der Anteil des Wissens? Und wie groß ist der Anteil des Nichtwissens über diese Krankheit aktuell?

[0:15:46]

Alexander Kekulé

Das kommt immer sehr darauf an, aus welcher Perspektive man rangeht. Wir reden ja sehr viel über Prävention. Ich glaube, der Normalbürger, vielleicht sogar auch der Normalhörer dieses Podcasts ist nicht so, dass er unbedingt Virologe werden will und sich für die Feinheiten dieses Virus` interessiert. Und diese ganz einfachen Dinge, was muss ich machen, um mit dieser Krankheit klarzukommen, um mit dieser Pandemie zu leben? Die sind eigentlich schon bekannt. Also, ich glaube, dass es ganz wenig Fragezeichen gibt. Das war relativ früh, aus meiner Sicht, eigentlich klar, worum es geht. Weil, wir haben hier im Grunde genommen eine Wiederkehr des SARS-Virus, von dem wir schon einiges wissen. Sodass es bei der Prävention wenig Überraschungen gab, in der ganzen in den ganzen letzten Monaten. Es gibt natürlich Fragezeichen: Wann kommt der Impfstoff? Welche Medikamente sind wirksam? So Dinge, die also mehr so spezifisch medizinisch sind und die dann natürlich auch intensive Forschung brauchen. Aber um festzustellen, ob eine Maske sinnvoll ist oder nicht, da brauchen Sie nicht sechs oder sieben Jahre lang Forschung an so einem Virus. Sondern da müssen Sie sich einfach nur drei andere Viren anschauen, die extremen ähnlich sind. Und dann darf man das mit Copy-Paste in diesem Fall machen, sonst würden sie überhaupt keine politischen Entscheidungen mehr treffen können.

[0:16:59]

Camillo Schumann

Intensive Forschung ist genau das Stichwort, um politische Entscheidungen, auch um die Krankheit besser zu verstehen. Deshalb ist in Bayern am Montag 06. Juli 2020 der Startschuss für eine neue Kinderstudie gefallen. „Covid Kids Bavaria“ heißt diese Studie. Über den Namen kann man sich sicherlich streiten. Es ist eine ganzheitliche Studie, denn sie sollen nicht nur die Frage

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beantworten, wie infektiös Kinder wirklich sind, wie schnell sie andere Kinder und Erwachsene anstecken, sondern auch, wie stark die Kinder und ihr Umfeld, also Eltern, Lehrer, Erzieher unter der Corona-Situation psychisch leiden. Es gibt schon einige wenige Studien zu Kindern. Jetzt also diese. Was halten Sie grundsätzlich von diesem Ansatz?

[0:17:40]

Alexander Kekulé

Also ich finde das großartig, vor allem, dass man eben auch die psychologische Situation der Kinder hier mit berücksichtigt. Wir dürfen das ganze Thema nicht so streng virologisch uns immer ansehen. Und ich glaube, gerade bei Kindern ist es notwendig, beide Seiten zu sehen: Die Sicherheit vor Infektionen, wobei wir wissen, dass bei Kindern selbst die Krankheit normalerweise keine schweren Verläufe macht. Und auf der anderen Seite eben auch, was das für die Kinder im Moment oder vielleicht auch perspektivisch als ganze Generation, die dann traumatisiert sein könnte, bedeutet.

[0:18:09]

Camillo Schumann

Sechse Uni-Kinderkliniken in Bayern arbeiten mit den Gesundheitsbehörden zusammen, eine interdisziplinäre Studie, die folgendermaßen durchgeführt werden soll. Dazu Professor Christoph Klein, Direktor der Kinder Uniklinik München:

„Wir haben uns da viele Gedanken gemacht und uns dazu durchgerungen, flächendeckend zu gehen und haben die Bundestags- Wahlkreise genommen, die ja ganz Bayern abdecken. Und wir werden in jedem Wahlkreis, oder wir haben in jedem Wahlkreis eine Grundschule identifiziert, dürfen auch mit der mit der Erlaubnis der jeweiligen Schulbehörden diese Grundschulen anschreiben, und wählen darüber hinaus zwei in Nachbarschaft der Grundschulen liegende Kinderbetreuungseinrichtungen, sprich Kindergärten und Kinderkrippen aus, und haben somit ein Blick übers ganze Land. Wir rechnen damit, dass wir über 12.000 Corona- Testungen durchführen im Laufe der nächsten

Monate. Und wir rechnen mit über 14.000 Fragebögen, um den Gesundheitszustand physisch, aber auch psychisch der Kinder und Eltern und der Betreuungspersonen zu erfassen. Das werden eine Menge Datenpunkte sein, die wir da im Laufe der nächsten Monate erheben und die dann auszuwerten sind.“

[0:19:22]

Camillo Schumann

Und das Interessante ist: Start ist nach den Sommerferien also. Das Ganze wird während des regulären Schulbetriebs erhoben, also unter Realbedingungen. Das sind doch eigentlich optimale Voraussetzungen, oder?

[0:19:34]

Alexander Kekulé

Ja, also die Studie wird höchstwahrscheinlich insgesamt unser ganzes Verständnis von Pandemien, atemwegsübertragene Erkrankungen prägen. So etwas ist noch nie gemacht worden in der Gründlichkeit. Das ist so eine klassische Begleitforschung. Sonst war ja immer der Vorwurf, dass man gesagt hat, diese Untersuchungen wurden während eines Lockdowns oder in ähnlichen Situationen gemacht. Hier macht man es eben, wie Sie richtig sagen, unter Realbedingungen. Was ich auch einen Vorteil gegenüber der baden- württembergischen Studie finde – wobei man sagen muss die andere ist einfach sehr, sehr schnell gemacht worden, hier lässt man sich ja Zeit –, ist, dass man nicht irgendwie vorher ausschreibt und sagt, wer will da freiwillig mitmachen, sodass man so eine Art Flickenteppich bekommt. Und auch eine Bias bekommt, also eine Verzerrung bekommt, dadurch, dass sich bestimmte Leute typischerweise für solche Studien freiwillig melden und andere nicht. Sondern, dass man hier ganz schematischen sozusagen nach Telefonbuch vorgeht und sagt, jeder Wahlkreis, eine Schule, zwei Kitas. Auch sehr gut finde ich, dass man sich auf die Grundschulen und die Kitas bezieht. Das ist meines Erachtens genau die Zielgruppe, wo wir diese Abwägung machen müssen zwischen psychologischen Effekten und epidemiologischen. Bei älteren Kindern, glaube ich, können wir mit den klassischen anti-

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epidemischen Maßnahmen, also Hygieneregeln, Masken und so weiter, eigentlich sehr, sehr viel bewirken. Darum bin ich da sehr optimistisch, dass da was Wichtiges rauskommt. Ich meine, Herr Klein vom Haunerschen Kinderspital, der Direktor dort, der ja gerade gesprochen hat, der wird natürlich da noch eine ganze Zeit daran zu arbeiten haben. Ich weiß nicht, ob wir an Weihnachten Ergebnisse haben oder nächstes Frühjahr. Wir dürfen nicht darauf hoffen, dass wir politische Entscheidungen jetzt kurzfristig auf Basis dieser Studie treffen können.

[0:21:14]

Camillo Schumann

Bis Januar soll die Studie laufen. Es sollen auch Zwischenergebnisse publiziert werden. Da werden wir dann sicherlich, auch wenn es so weit ist, einen Blick hier im Podcast darauf haben. Nur noch ganz kurz gefragt, was würde Sie am meisten interessieren?

[0:21:30]

Alexander Kekulé

Ich wüsste gerne, das aller Interessanteste ist es für mich die Frage, wie häufig sich Kinder in so einer Kita gegenseitig anstecken. Der Hintergrund ist, dass wir eigentlich immer sehen, wenn Kinder in der Kita sind, dass sie Krankheiten nach Hause bringen. Ich kann aktuell berichten, dass meine 5-jährige Tochter, jetzt Zeit alles wieder offen ist, gerade mit dem Schnupfen nach Hause gekommen ist und deshalb schon wieder seit zwei Tagen zu Hause ist, weil selbst ein trivialer Schnupfen ein Grund ist, dass sie nicht in die Kita darf. Das wird die größte Kollision im Herbst sein. Das wird das Hauptproblem sein, weil, wir können uns das nicht leisten, dass das die halbe Bevölkerung zu Hause ist, um auf Kinder aufzupassen, die nur Schnupfen oder Kopfschmerzen haben. Und diese Differenzierung, die wird das Entscheidende sein. Und natürlich auch die Frage, was bringen Tests in so einem Zusammenhang? Das wird, diese Studie natürlich abschließend beantworten.

Camillo Schumann

Da hat der Virologen-Papa doch bestimmt schon ein Wattestäbchen dem Kind in den Rachen geschoben. Oder?

Alexander Kekulé

Ehrlich gesagt nicht. Aber da können wir noch einmal separat darüber sprechen. Es gibt ja dieses Dogma des „German Schnupfen“. Also weltweit gilt der reine klassische Kinderschnupfen mit der laufenden Nase nicht als Covid-19-Symptom. Nur in Deutschland gibt es einen kleinen Streit, ob das jetzt ein Symptom ist oder nicht. Und da will ich jetzt nicht weiter darauf eingehen. Aber nach meiner Auffassung ist also der klassische Schnupfen so, wie er einem beim Kind begegnet, ohne weitere Symptome. kein typisches Covid-19-Symptom. Wenn man das annehmen würde, hätte man sehr, sehr viel zu testen im Herbst.

Camillo Schumann

Herr Kekulé, ich muss Sie auch fragen, was essen Sie eigentlich gerne? Was ist ihre Lieblingsspeise?

Alexander Kekulé

Ich habe keine. Ich esse eigentlich am liebsten Fisch, weil das gibt es seltener, weil das ist so teuer. Also deshalb sich gerne Fisch, weil das irgendwie etwas Besonderes ist.

Camillo Schumann

Okay, was trinken Sie gerne.

Alexander Kekulé

Ich trinke fast kein Alkohol und langweiligerweise die meiste Zeit Wasser. Und so richtig Lust auf Getränke, das kommt auf die Situation an. Aber kein besonderes Lieblingsgetränk oder so. Aber stellen Sie sich mal vor, Sie könnten diesen Fisch, den Sie so gerne essen nicht mehr schmecken oder auch nicht mehr riechen, wenn er aus dem Ofen kommt. Das ist ja auch Wahnsinn, das wäre doch furchtbar. Oder?

Alexander Kekulé

Ja, das stimmt, also wenn er frisch ist. Eigentlich soll frischer Fisch bekanntlich überhaupt nicht riechen. Das ist ganz interessant. Also, wenn man ganz fangfrischen

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Fisch aus dem See holt oder so, der riecht ja wirklich nicht nach Fisch. Darum kann die Nase auch manchmal nachteilig sein, wenn man irgendwo im Restaurant sitzt und was essen soll, was man bestellt hat.

[0:23:56]

Alexander Kekulé

Gut, das könnte man jetzt den Covid-19- Patienten sagen, um die es jetzt geben gehen soll. Denn einige befürchten nämlich genau das, dass sie nie wieder etwas riechen können. Denn sie berichten davon, dass sie auch Wochen nach überstandener Krankheit weder etwas riechen noch etwas schmecken können. Und dazu gibt es jetzt auch eine Studie, die dieses Phänomen belegt, richtig?

[0:24:16]

Alexander Kekulé

Äh, ja, das ist eine ganz interessante Studie, die Universität von Padua hat die gemacht. Die haben sich etwas über 200 leichte Fälle rausgepickt. In Norditalien, könnte man so ein bisschen zynisch sagen, können die aus dem Vollen schöpfen. Die haben also jede Art von Fällen, die sie nachträglich untersuchen können und haben nach vier Wochen, nachdem die Symptome begonnen haben, die einfach mal befragt, wie ist es mit den Geruchsstörungen? Also, die haben solche mit Geruchsstörungen genommen. Das Interessante ist, diese Geruchsstörungen sind ja ein ganz typisches Covid-19-Symptom, das ist vielleicht so etwas was, was eine neue Erkenntnis ist. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass das Virus direkt den Nerv befällt, der die Geruchssignale von der Nase ans Gehirn überträgt. Und deshalb ist es schon so eine kleine Besonderheit und die Frage: Wann geht es wieder weg? Dabei haben sie festgestellt, dass fast 90 % entweder eine komplette Heilung hat nun eine deutliche Verbesserung der Symptome. Das heißt also, diese Geruchsstörungen blieben in dieser Untersuchung nur bei etwa 10 %. Das ist eigentlich eine ganz gute Nachricht, weil das so eine kleine Befürchtung war. So neurologische Störungen bleiben manchmal ganz schön lange, sind manchmal hartnäckig. Aber in diesem Fall scheint es so zu sein, dass sie diese

Geruchsstörungen in den allermeisten Fällen wieder weggeht.

Camillo Schumann

Aber bei den 10 % blieben die Symptome über Wochen noch danach, richtig?

Alexander Kekulé

Ja, nach vier Wochen waren sie noch da. Jetzt muss man sagen, Nerven erholen sich langsam. Das kann durchaus sein, dass da nach sechs Wochen noch einmal was kommt oder nach acht Wochen. Bis man also in der Neurologie sagt, dass eine Nervenstörung quasi chronisch geworden ist und nicht mehr gut wird, da wartet man typischerweise mindestens drei Monate, eher sechs Monate. Sodass ich hier jetzt mein Optimismus nicht aufgeben würde, dass die allerallermeisten Fälle mit solchen Geruchsstörungen wieder normal werden. Das hängt auch sehr stark von einer subjektiven Situation ab, oder Empfindung ab. Wenn Sie, wenn sie jemand sind, also ganz sensibel mit der Nase und mit Geschmacksnerven ist, dann merken Sie natürlich eine kleinste Veränderung und geben das noch als Störung an. Und jemand, der vielleicht sowieso von seinen Speisen her weniger wählerisch ist, dem ist das vielleicht nicht so wichtig, ob er da die feinste Nuance noch riecht oder nicht, sodass das einfach individuell ganz, ganz, ganz unterschiedlich ist.

[0:26:34]

Camillo Schumann

Wir kommen zu den Hörerfragen. Wir haben Post bekommen, und zwar von Herrn H. aus Görlitz. Keine digitale Post, sondern Herr H. aus Görlitz hat uns einen Brief geschrieben. Den habe ich auch in der Hand. Er hat sehr, sehr viele interessante Fragen, zehn an der Zahl. Herr H., Sie verstehen sicher, dass wir nicht alle Fragen beantworten können. Wir nehmen uns nur mal zwei raus. Zum einen will Herr H. wissen, was eigentlich der Unterschied zwischen einem Virologen und einen Epidemiologen ist.

Alexander Kekulé

Das kommt immer so ein bisschen darauf an, auf was man sich so spezialisiert hat. Wen bezeichnen Sie überhaupt als Virologen? Das

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ist ja schon mal die erste Frage. Rein formal ist es so in Deutschland kann man Virologe werden, entweder, indem man als Arzt, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie wird. So kompliziert heißt das Facharztgebiet. Da ist man dann automatisch Virologe, aber theoretisch natürlich auch Bakteriologe und so weiter. Und man kann aber auch Virologe werden, indem man Naturwissenschaften studiert, aus der Biologie sich auf die Virologie spezialisiert. Der erste ist dann als Arzt zugelassen, Diagnostik zu machen, und der zweite hat eher so die Lizenz zur Grundlagenforschung und Nobelpreis gewinnen, obwohl da die Grenzen natürlich fließend sind.

In der Epidemiologie ist es so, dass man erstens auch aus der medizinischen Epidemiologie kommen kann. Das sind eben auch zum Beispiel Fachärzte für Virologie und Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Da ist man dann spezialisiert auf die Epidemiologie von Infektionskrankheiten, also in die Kategorie würde ich mich selber hineinsetzen. Und dann gibt es aber auch Epidemiologen, die sich rein, sage ich mal, statistisch von der Bevölkerung her mit Epidemiologie beschäftigen. Also „epidemos“ heißt es ja quasi das, was über der Bevölkerung ist, über dem Volk ist, also was breitet sich aus im Volk? Da waren früher mal Epidemien gemeint, also Infektionskrankheiten. Heute spricht man aber auch von allen möglichen sonstigen Phänomenen. Ich sage mal, wie häufig Krebs ist, zum Beispiel, oder wie häufig bestimmte Verhaltensweisen sind. Es gibt auch Umweltepidemiologie, wo man guckt, welche Umwelteinflüsse wirken auf die Menschen. Und da sind ganz viele Bereiche betroffen. Da sind Anthropologen dabei, da sind Mathematiker, die das machen. Also das ist eine eher bunte Truppe da bei den Epidemiologen.

[0:28:59]

Camillo Schumann

Ja, Herr H., einfache Frage, lange Antwort. Und jetzt haben wir noch eine Corona-Frage vom Herrn H.: „Wieso ist damals das nahverwandte SARS- Virus nicht zur Pandemie geworden? Schließlich

wird sich das globale Reiseverhalten nicht anders gestaltet haben als heute.“

Alexander Kekulé

Tja, das ist eine der großen Fragezeichen. Das haben wir damals nie rausgekriegt. Die Gesundheitsbehörden sagen, weil sie so eine tolle Arbeit gemacht haben und das Virus eingegrenzt haben. Wahrscheinlich war es auch weniger infektiös als das SARS-CoV-2, was wir jetzt haben. Es wird aber auch vermutet, dass es mit dem Klimaeffekt zu tun hat. Das ist im Sommer weggegangen und bis hin zur Vermutung, dass da auch Mutationen des Virus eine Rolle gespielt haben könnten. Aber all diese Fragezeichen sind nicht aufgeklärt worden, weil das Virus so plötzlich weg war. Dass, wenn ich mal so sagen darf, die Wissenschaftler alle dumm geguckt hatten und ihr Forschungsobjekt nicht mehr da war.

Camillo Schumann

So Herr H., vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, uns einen Brief zu schreiben. So diese Dame hat angerufen: „Wenn jemand, seit Jahrzehnten kann man sagen, chronische Nebenhöhlenbeschwerden hat, also Stirnhöhle, Kiefernhöhle und dann das sogenannte Postnasal-Drip-Syndrom, was ja auch ältere Männer oft haben, ist das Risiko an Covid-19 zu erkranken erhöht?“

Tja, was sagen Sie dazu?

Alexander Kekulé

Dazu gibt es überhaupt keine Daten, und ich würde sagen höchstwahrscheinlich ist das kein erhöhtes Risiko. Also es ist nicht wahrscheinlich, dass sich sowas wirklich auf das Infektionsrisiko auswirkt.

[0:30:31]

Camillo Schumann

Mit einer schnellen Antwort sind wir schon am Ende von Ausgabe 78. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann ab Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, Seite 9 von 10

schreiben Sie uns unter mdraktuell- podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 30022 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Samstag, 04.07.2020 #77: Hörferfragen-SPEZIAL

Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

1. Ist die Fußball-Bundesliga wieder mit Zuschauern möglich? 2. Dann viele Fragen zur Sterblichkeit. 3. Und wieso sind manche Menschen infektiöser als andere?

Und noch ganz viele weitere Fragen.

Willkommen zu Kekulés Corona-Kompass Hörerfragen-Spezial. Alles rund ums Coronavirus. Und die Antworten gibt es wie immer, klar vom Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Frau B. hat uns gemailt. Sie hat wie viele Menschen die uns schreiben eine sehr konkrete Frage zum Arbeitsplatz. In diesem Fall zum Arbeitsplatz ihres Mannes. Sie schreibt:

„Mein Mann hat eine psychologische Praxis. Der Therapieraum ist circa 16 Quadratmeter groß und 3,50 m hoch. In der Regel sind nur zwei Personen im Raum. Ist es aus virologischer Sicht sinnvoll, ein mobiles Klimagerät einzusetzen, bei dem frische, im Sommer natürlich warme, Außenluft angesogen und diese dann im Raum gekühlt abgegeben wird? Oder wäre es besser oder gar sinnvoller, lediglich einen bereits vorhandenen Deckenventilator laufen zu lassen? Viele Grüße, Frau B.“

Was können Sie ihr raten?

[0:01:09]

Alexander Kekulé

Frischluft ist immer besser. Aber man muss nicht unbedingt ein teures Klimagerät anschaffen, was die Luft dann umwälzt. Da reicht es, wenn man am Ende der Therapiesitzung einmal gründlich lüftet, bevor der nächste kommt.

Camillo Schumann

Ach so, das reicht schon?

Alexander Kekulé

Also ja, das würde ich sagen. Da sind ja nur zwei Personen normalerweise im Raum. Die sitzen sich nicht Face-to-Face gegenüber, die können Abstand voneinander halten. In der klassischen Freud’schen Konstellation liegt sogar einer auf der Liege, und der andere sitzt daneben. Ich weiß nicht, ob man das noch so macht. Aber ich glaube, dass auf jeden Fall kein richtiger Face-to-Face-Kontakt stattfindet. Damit geht es nur um Aerosole. Da würde ich sagen, ist so ein Raum, wenn man den nach jedem Patienten lüftet, in Ordnung.

[0:01:53]

Camillo Schumann

Genau. Sie haben ja mal gesagt: Volumen vor Fläche. Hier haben wir 16 m2, 3,50 m hoch. Also wäre das Volumen ausreichend?

[0:02:01]

Alexander Kekulé

Naja, es gibt natürlich da keine Formel dafür. Mein Vorschlag bezog sich darauf, dass man das einbeziehen soll, und nicht, wie bisher so ist, sich nur die Quadratmeter an Bodenfläche sich anschaut. Ich habe natürlich nicht überhört, dass der Raum 3,50 m hoch ist. Das ist ein ziemlich hoher Raum, offensichtlich ein Altbau. Ich gehe davon aus, dass das für zwei Personen in Ordnung ist.

[0:02:22]

Camillo Schumann

Die Kosten für mobile Klimageräte, das kann man sich in dem Fall dann einfach mal sparen.

Simone hat angerufen:

1

„Wie verhält es sich bei Autoimmunerkrankungen, beispielsweise wie die Hashimoto-Thyreoiditis? Das ist auch eine Art überschießende Reaktion des Immunsystems, Stichwort „Zytokinsturm“. Da ist im Zuge des Dexamethason- Medikaments eben auch das Thema, dass das damit gestoppt wird. Wird jemand, der Hashimoto hat, also dass das Immunsystem eigentlich, ich sag mal auf gut Deutsch, ein bisschen zu blöd ist und gegen sich selbst ankämpft? Ist so jemand eher gefährdet, diesen Zytokinsturm auch sozusagen auszulösen in seinem Körper?“

[0:03:05]

Camillo Schumann

Was können wir Simone sagen?

Alexander Kekulé

Das ist eine kluge Frage. Da kann man bestimmt noch einen Preis damit gewinnen, wenn man die Frage beantwortet. Da gibt es tatsächlich keine wissenschaftliche Antwort bisher darauf. Was dahinter steckt, ist ja die Frage, ob es eine individuelle Neigung zu einer solchen krassen Überreaktion gibt. Ja, wir haben natürlich individuelle Neigungen zu Autoimmunerkrankungen. Das kann man sogar zum Teil genetisch nachverfolgen, dass bestimmte Familien das auch haben. Aber ob jetzt sozusagen jemand, der die Autoimmunerkrankung Hashimoto hat, wo also die Schilddrüse angegriffen wird, manchmal auch komplett zerstört wird, ob so jemand dann zu einem Zytokinsturm bei einer Virusinfektion er neigt oder nicht, da gibt es meines Wissens überhaupt keine Daten darüber, ob das sozusagen verbunden ist oder nicht. Das wäre wirklich interessant, das mal rauszukriegen.

Camillo Schumann

Weil die Simone gesagt hat, das Immunsystem sei zu blöd. Das hat sie wunderbar formuliert, um es sozusagen zu verstehen. Was läuft da in diesem Immunsystem falsch?

Alexander Kekulé

Das Immunsystem hat ja diese weißen Blutkörperchen, mit denen letztlich die ganze Immunantwort gesteuert wird. Man kann sagen, dass die weißen Blutkörperchen, da gibt

es ganz viele verschiedene Sorten, dass die eigentlich miteinander so komplex interagieren, wie das die Nervenzellen im Gehirn machen. Also ein relativ komplexer Vorgang. Und da gibt es darunter auch Zellen, die die Aufgabe haben, die anderen im Zaum zu halten. Die nennen wir Suppressor-Zellen, T-Suppressorzellen. Und diese Zellen, die die anderen im Zaum halten, wenn die, aus welchem Grund auch immer, bei bestimmten immunologischen Reizen nicht merken, dass sie jetzt bremsen müssen, dann geht das Ganze aus dem Ruder. Und das ist so in der Art, wie man sich das vorstellt, dass beim Hashimoto konkret diese Reaktion gegen die eigene Schilddrüse auftritt. Ob jetzt aber die gleiche Sorte von Suppressor-Zellen – also, wie die Hörerin sagen würde, Zellen, die zu blöd sind – dann auch verantwortlich ist für eine überschießende Reaktion bei einer Virusinfektion oder ob das Eigenschaften des Virus sind, das ist völlig unklar. Da sind wir noch am Anfang einer super interessanten Forschung. Das ist ein Netzwerk. Das ist, wie gesagt, so kompliziert wie das Netzwerk der Neuronen im Gehirn.

[0:05:27]

Camillo Schumann

Und sollte es dann Ergebnisse geben, dann erfahren Sie es natürlich hier im Podcast.

Alexander Kekulé

(schmunzelt) Von meinen Enkeln, von meinen Enkeln.

Camillo Schumann

Dieser Herr hat eine Frage zur Sterblichkeit, nicht bei uns, sondern in Singapur.

„Und zwar, wieso in Singapur, die 42.000 bestätigte Corona-Fälle haben, nur 26 Todesfälle gemeldet sind. Das wären ja nur 0,06 Prozent. Und wir in Deutschland haben fünf Prozent und im Durchschnitt so weltweit sind es auch so viele. Was macht Singapur richtig in der Behandlung von den Kranken?“

[0:06:13]

Alexander Kekulé

Das ist eine interessante Beobachtung, dass die ziemlich wenig Todesfälle haben im

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Verhältnis zu denen, die positiv getestet wurden. Ich sage da absichtlich nicht Sterblichkeit dazu, weil, das ist ja nicht die Sterblichkeit. Sondern das sind einfach zwei Zahlen. Das eine ist die Zahl der positiv Getesteten, und das andere ist die Zahl der Toten. Das darf man nicht einfach durcheinander teilen, um sozusagen die Sterblichkeit zu berechnen. Warum darf man es nicht teilen? Weil es eben drauf ankommt, wer getestet wurde und wie viel getestet wurde. Und da ist hier die Besonderheit in Singapur: Die haben einfach relativ massive Ausbrüche gehabt, vor allem in letzter Zeit noch mal, in so Arbeitersiedlungen. Das hängt auch mit den räumlichen Gegebenheiten dort zusammen und mit dem mit dem Hygienestandard. Und da leben einfach junge Männer, die Arbeiter sind. Und bei denen gibt es sogar kaum Erkrankungen. Also in den Berichten nach ist es so, dass da ganz wenig Menschen überhaupt krank sind oder zumindest von Symptomen berichten, geschweige denn an der Krankheit sterben. Und dadurch, dass die so eine Überlast haben von Fällen in der Bevölkerung, die jung und gesund ist, dadurch haben die so wenig Todesfälle.

[0:07:20]

Camillo Schumann

Von Singapur nach Deutschland. Herr P. hat uns geschrieben. Er beobachtet, dass zwar die Fallzahlen auf niedrigem Niveau sind, aber die Zahl der Verstorbenen, der Krankenhausaufenthalte und der Patienten auf Intensivstationen in Deutschland, bzw. in Europa, immer weniger werden. Herr P. fragt deshalb:

„Könnte das ein Anzeichen für eine Abschwächung des Virus sein, dass zwar nach wie vor hoch infektiös ist, aber eben nicht mehr häufig zu schweren Verläufen oder gar zum Tod führt. Ab wann würde die Wissenschaft sagen: ‚Ja, das Virus ist noch da, aber die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben oder schwer zu erkranken, stark gesunken‘?“

[0:07:59]

Alexander Kekulé

Dass das jetzt schon zu einer genetischen Mutation kommt, zu einer Veränderung des Virus, dass es sich abschwächt und dadurch weniger krank macht, ist extrem unwahrscheinlich. Man kann das in der Perspektive schon erwarten, irgendwann mal, vielleicht so ab in einem Jahr oder so was von jetzt. Aber so ganz plötzlich in diesem frühen Stadium würde ich das nicht erwarten. Nein, was wir da sehen, ist was anderes sehen zwei Effekte. Der eine ist, dass einfach die Fallzahlen gesunken sind schon seit einiger Zeit. Und zeitversetzt sinkt dann einfach auch die Sterblichkeit, oder die Zahl der Toten sinkt dann zeitversetzt. Das ist ja ganz normal, wenn man weniger Fälle hatte vor einigen Wochen, kamen damals auch weniger ins Krankenhaus, also sterben heute weniger. Und das andere ist, muss man schon sagen, unsere Intensivmediziner haben natürlich gelernt, wie man so etwas behandelt. Da gab es am Anfang auch Fehler, die man gemacht hat. Zum Beispiel dachte man eine Zeitlang, man muss die Patienten so früh wie möglich intubieren und anfangen, die künstlich zu beatmen, bis man dann gemerkt hat, das bringt eigentlich gar nichts. Manche Studien sagen sogar, das ist eher nachteilig. So hat man sich so rangetastet an das Thema. Dexamethason ist ja auch besprochen worden, dieses cortison-artige Medikament, das also auch eine deutliche Wirkung zeigt. Und all diese Dinge, die hat man jetzt im Repertoire, sodass ich glaube, dass einfach durch eine qualifizierte Behandlung die Sterblichkeit gesunken ist. Dafür gibt es zwar noch keine, sag ich mal, harte Studie, aber der Verdacht drängt sich auf.

[0:09:24]

Camillo Schumann

Weil Sie gesagt haben, die Mutation würden Sie dann eher auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Wie lange dauert so was in der Regel eigentlich, mit Blick auf andere Viren, die sich dann verändert haben?

[0:09:35]

Alexander Kekulé

Das einzelne Virus, das kann natürlich schnell mutieren. Also irgendwo bei einem einzelnen Patienten finden Sie relativ schnell, dann mal einen, wo sie sagen: Hoppla, das sieht ja ganz

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anders aus. Das ist jetzt vielleicht nicht so stark infektiös. Oder macht eine weniger schwere Erkrankung. Aber man muss sich das immer vorstellen, in einem Patienten sind ja schon ganz viele verschiedene Varianten des Virus. Also wir haben quasi so eine ganze Wolke von verschiedenen Möglichkeiten, wie das Virus aussehen könnte. Wir sprechen da von einer Quasi-Spezies, weil die sich so unähnlich sind untereinander. Die haben so große Unterschiede, dass es gar nicht mehr eine biologische Art ist, also eine Spezies, sondern eine Quasi-Spezies. Weil es nur noch so definiert ist als ein Wertebereich, in dem die Viren sich aufhalten. Und das ist in einem Patienten. Und wenn Sie das natürlich dann vergleichen mit Viren, die in verschiedenen Gegenden der Erde zirkulieren, dann sehen die sich nicht ähnlich. Die sind unterschiedlich. Aber, damit Sie einen Effekt haben – epidemiologisch – muss sich ja dann einer von diesen Typen, wenn ich mal so sagen darf, wirklich durchsetzen. Und es muss so sein, dass der dann mehrheitlich in einer Region die meisten Infektionen macht. Wir haben so etwas in den USA, gerade so eine Variante, die höher infektiös ist. Das sieht so aus, als würde sie die sich durchsetzen. Das ist ja auch plausibel. Aber bis es dann so weit kommt, dass deswegen die Mortalität sinkt, das ist einfach ein langer Prozess. Und darum habe ich jetzt mal gesagt, ein Jahr ist eine Größenordnung, mit der man rechnen kann.

[0:11:01]

Camillo Schumann

Okay. Dieser Herr hat angerufen. Er hat eine Frage zu Remdesivir, das bisher ja vielversprechendste Mittel gegen Covid-19. Zwischen den USA und Europa ist ein Streit um das Mittel entbrannt, weil die USA sämtliche Bestände aufgekauft haben. In der Ausgabe 76 haben wir ausführlich darüber gesprochen. Doch darum soll es in der Frage dieses Herrn nicht gehen. Er will Folgendes wissen:

„Die Europäische Arzneimittelagentur hat jetzt Remdesivir unter bestimmten Bedingungen für die Behandlung von Covid-19-Patienten zugelassen. Außer Vorgaben für das Alter betroffener Patienten ist als Indikation eine

Lungenentzündung Voraussetzung. Nun hat eine Studie vor einiger Zeit festgestellt, dass Remdesivir am besten wirkt, wenn es früh gegeben wird. Frage: Warum muss man dann erst auf eine im späteren Verlauf auftretende Lungenentzündung warten, bis Remdesivir angewendet werden darf?“

Nachvollziehbare Frage.

Alexander Kekulé

Bei der viralen Infektion ist es so, dass die Lungenentzündung relativ schnell kommt. Das mit der späten Lungenentzündung kennen wir so, wenn man erst mal ein Virus hatte. Und dann kommt, zum Beispiel nach einer nach einer Grippe oder so, manchmal zeitversetzt eine Lungenentzündung durch Bakterien. Das wäre etwas, was im späteren Verlauf kommt, wo die Bakterien sich in die Lunge sozusagen einsetzen, einpflanzen, nachdem das Virus den Boden dafür bereitet hat. Dieses Covid-19- Virus ist aber in der Lage, direkt eine Lungenentzündung zu machen. Das ist eine virale Lungenentzündung. Und die beginnt eigentlich mit dem Beginn der Erkrankung. Wenn die Erkrankung richtig losgeht, dann ist da üblicherweise eine Lungenentzündung beteiligt bei den Fällen, die eben schwer genug sind. Und die anderen, die kriegen es dann tendenziell nicht. Sodass ich jetzt sagen würde, das ist schon sinnvoll, jetzt nicht jeden, der nur Halsweh hat oder gar keine Symptome hat – da gibt es ja auch viele – mit Remdesivir zu behandeln. Sondern das auf die Fälle zu fokussieren, die diese schweren Verläufe drohen zu bekommen. Wo die Gefahr besteht, dass man die schweren Verläufe hat. In China war es sogar so, dass die dann, weil sie keine Tests mehr hatten, teilweise ist es in Europa, in Frankreich auch gemacht worden, wenn man keine Tests mehr hat, dann kann man die Diagnose sogar mit dem Computertomograph stellen, also mit so einem Computer unterstützten Röntgen der Lunge. Da sieht man dann wirklich schon Effekte, solche Milchglas-Flächen in diesem Röntgenbild, die darauf hindeuten, dass da eine lokale Entzündung ist. Also die ist so typisch und so eng mit diesem Covid-19 vermengt. Dass das schon sinnvoll ist zu sagen, wenn wir das

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Medikament einsetzen, dann machen wir es dann, wenn eine Lungenentzündung da ist.

[0:13:51]

Camillo Schumann

Und so eine Priorisierung macht ja auch Sinn, dann möglicherweise auch mit den wenigen Medikamenten zu haushalten. Und Ziel ist ja, Leben zu retten.

[0:14:01]

Alexander Kekulé

Ja, das ist das eine, dass man natürlich hofft, dass es irgendwie lebensrettend wirkt. Und man muss immer vor Augen haben, wir wissen nicht genau, wie groß die Zahl derer ist, die fast keine Symptome haben. Und wir hatten vorhin so einen Fall besprochen: Bei so jungen Menschen, die sonst gesund sind, da ist es ganz oft so, dass die keine oder ganz wenige Symptome haben. Das wäre nicht sinnvoll, da Remdesivir einzusetzen.

[0:14:25]

Camillo Schumann

Peter M. aus Graz schreibt, dass mit dem weitgehenden Fall der Mund-Nasen-Schutz- Pflicht in Österreich die meisten Menschen ihre Vorsicht verloren hätten. Der Rotarier- Club in Salzburg habe aber doch manche wieder wachgerüttelt. Er schildert den Fall: Bei einem Clubabend trafen sich 26 Rotarier in einem Raum für 80 Personen in einem bekannten Salzburger Innenstadtlokal, lauschten einem Vortrag und ließen sich dann noch ein Essen servieren. Einer im Publikum war infektiös. Die Hälfte der Anwesenden wurde infiziert, wo sie teilweise beteuerten, dem Indexfall nie näher als fünf Meter gekommen zu sein. Jetzt seine Frage:

„Hat die Wissenschaft mittlerweile mehr Erkenntnisse, wieso manche Menschen derart infektiös sind?“

Alexander Kekulé

Das wissen wir nicht. Wir haben da ganz viele Vermutungen. Eins hängt sicher mit dem Verhalten zusammen, also ob man jetzt singt oder spricht oder Ähnliches. Es ist auch die Vermutung, dass die Zahl der Viren, die

jemand ausscheidet, der so ein Superspreader ist, möglicherweise höher ist. Aber das kann auch an dem Tag liegen. Jeder hat ja so ein Profil quasi. Wenn er infiziert wird, passiert erst einmal gar nichts. Nach ein paar Tagen, fünf Tagen etwa, kommen die Symptome und kurz vorher auch schon die Virusausscheidung. Und dann gibt es natürlich irgendwann so einen Tag, wo man maximal viele Viren ausscheidet. Und wahrscheinlich ist es dann dieser Tag oder es sind diese zwei Tage, wo diese Super-Spreading-Ereignisse stattfinden? Aber ob das wirklich so ist, ob es vielleicht einzelne gibt, die über längere Zeit viele Viren ausscheiden oder mehr ausscheiden als andere, das sind Spekulationen, die immer im Raum stehen. Aber wir haben, wir haben da noch keine abschließende Lösung.

[0:16:02]

Camillo Schumann

Also die Superspreader müssen noch analysiert werden. Gerade so in diesem geschilderten Fall im Rotarier-Club. Da hat man schön zusammengesessen, 26 Personen im Raum für 80. Dann hat man noch etwas Leckeres gegessen. Das hört sich doch eigentlich erst mal so an, als könne man das so machen. Oder?

[0:16:21]

Alexander Kekulé

Na ja, es kommt eben darauf an, wie groß der Raum ist, wie eng die Leute zusammensaßen. Ich muss sagen, viele Menschen in einem geschlossenen Raum, wo kein ständiger Luftwechsel ist – also ich vermeide das nach wie vor. Ich gehe da überhaupt keine Kompromisse ein. Also mit einem alleine in dem Raum, der gerade gelüftet wurde, wenn man da nicht zu lange zusammensitzt und vor allem nicht zu eng aufeinander hockt. Das ist aus meiner Sicht in Ordnung. Bei einem oder zwei Leuten kann man ja auch das Risiko bisschen beurteilen, wer das ist. Aber mit einer größeren Zahl von Personen in einem geschlossenen Raum ohne Lüftung, das würde ich nicht machen, wenn es ein relativ kleiner Raum ist.

[0:17:01]

Camillo Schumann

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Ein Fußballfan hat uns geschrieben, Christian K. aus Münster. Er ist Fan des 1. FC Köln. Er fragt:

„Vor dem Hintergrund des guten Wetters, der wachsenden Menge an Massenveranstaltungen, Partys im Freien oder gut gefüllte Außenbereiche in der Gastronomie, der sich trotzdem überschaubar entwickelnden Infektionslage, stellt sich mir die Frage, ob man darüber nachdenken kann, Fußballspiele der 1., 2., 3. Liga in Zukunft wieder mit Publikum durchzuführen? Die Zugangskontrollen in vielen Stadien sind heutzutage sehr strikt. Die Ausgabe von personalisierten Tickets ist machbar, und man könnte ja mit einer 25-Prozent-Auslastung der Stadien anfangen. Ist das eine gute oder eine aus virologischer Sicht katastrophale Idee?“

Das fragt Christian aus Münster.

[0:17:50]

Alexander Kekulé

Die Idee ist nicht katastrophal. Es wird genau in diese Richtung darüber nachgedacht. Es gibt auch schon Modelle, die versuchen, sowas zu rechnen und sowas irgendwie möglich zu machen. Wenn man genug Abstand im Stadion hält und die Wegetrennung macht, dass die Leute auf dem eigenen Weg zum Platz kommen, in der anderen Richtung wieder zurück, dass man die Situationen am Stand, wo man sich dann das Bier und Bockwurst holt und so weiter, dass man dort auch die Situation kontrolliert. Dann kann man natürlich sozusagen ein epidemiologisch relativ einwandfreies Fußballspiel hinkriegen. Der limitierende Faktor bei diesen Planspielen, die also allerorten gemacht werden, ist immer der Mensch selber, ist der Fan selber. Wenn der dann dreimal an diesem Stand war, wo es das Bier gibt, dann ist die Frage, wie er sich danach verhält. Und ob der sich noch an die Regeln hält. Und das das ist bei den Planungen das, was man ganz schwer vorhersagen kann.

[0:18:44]

Camillo Schumann

Aber bei 25 Prozent Auslastung, da muss ja nicht jeder Block besetzt sein oder nur zur Hälfte, nach oben und unten. Also, das wäre doch eigentlich möglich, oder?

[0:18:53]

Alexander Kekulé

Im Prinzip, theoretisch, nüchtern gesprochen, ja. Und praktisch gesprochen: Es ist halt dann einfach die Frage, wie nüchtern sich die Fans in so einer Situation verhalten, wenn die falsche Mannschaft gewonnen hat. Und das weiß man ja, dass es dann durchaus auch sogar zu Handgreiflichkeiten kommt. Und all diese Dinge muss man natürlich berücksichtigen, wenn man so ein Spiel genehmigt.

Camillo Schumann

Also, Herr Kekulé muss qua Amt immer den Teufel an die Wand malen. Deswegen diese Antwort, Herr K. aus Münster.

Alexander Kekulé

Gibt es das bei RB Leipzig nicht, dass man sich umarmt, wenn ein Tor gefallen ist? Oder dass man dem Gegner mal einen Schubser verpasst, wenn seine Mannschaft was geschossen hat?

Camillo Schumann

Wir reißen uns zusammen. So gut. Und Herr Kekulé, zum Schluss noch einmal die Frage nach den Chören. Weil ganz, ganz viele Menschen uns schreiben. Es gibt in jedem Bundesland sehr unterschiedliche Verordnungen. In Berlin ist das Singen in Räumen nicht erlaubt, wenn überhaupt, dann nur im Freien. In Rheinland-Pfalz dürfen Chöre wieder proben. Bei allem Hin und Her hat sich ihre Meinung zu den Chören geändert?

[0:19:52]

Alexander Kekulé

Nein, da bin ich wirklich strikt. Während man beim Fußball sich die eine oder andere Variante überlegen kann, ist es beim Chor einfach so: Im geschlossenen Raum, viele Menschen, die über lange Zeit singen und ohne Mundschutz, da gibt's keine Hinweise, die irgendwie darauf hindeuten, dass die Gefahr, die man da gesehen hat, dass die gebannt wäre oder dass man das falsch eingeordnet hat. Es ist einfach eine extrem gefährliche Situation. Schreien und singen scheint offensichtlich eine Virus-Freisetzung zu befördern. Und solange das nicht ganz klar bewiesen ist, dass man sich da geirrt hat – das

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will ich jetzt nicht ausschließen – würde ich da sagen: Lieber vorsichtig im Freien singen, jetzt im Sommer ist das Beste.

[0:20:33]

Camillo Schumann

Es bleibt also dabei, wie der Berliner Chor „The Happy Disharmonists“ hier besingt, wir hören mal rein:

Stell dir vor, ich singe im Chor, im Chor, im Chor. Auweia! Weil du einmal die Woche deine Freunde triffst. Und weil dieser Spaß leider so ansteckend ist. Und weil man sich dann so nebeneinander stellt, ist es das gefährlichste Hobby der Welt.

(Auszug aus dem Lied: „Das gefährlichste Hobby der Welt“)

Camillo Schumann

Tja, singen bleibt nach wie vor das gefährlichste Hobby der Welt. Das war das Hörerfragen-Spezial für diese Woche. Alle bisherigen 15 Spezials und alle Folgen vom Corona-Kompass finden Sie auf mdraktuell.de, in der ARD-Audiothek, überall wo es Podcasts gibt. Herr Kekulé, wir hören uns dann am Dienstag wieder, am 07. Juli dürfte das sein, wenn ich richtig gerechnet habe. Bis dahin bleiben Sie schön negativ.

Alexander Kekulé

Bleiben Sie gesund, Herr Schumann.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 02.07.2020 #76: In China braut sich was zusammen

Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Donnerstag, 2. Juli 2020

1. Deutschland hebt ab heute Einreise- beschränkungen für einige Drittstaaten auf. Vertretbares Risiko?

2. Der Chef der Weltgesundheitsorganisation warnt: Das Schlimmste wird noch kommen. Übertriebene Aussage oder wichtige Mahnung?

3. Außerdem: Die USA hamstern offenbar Remdesivir. Wie gelassen kann die EU sein?

4. Und die Chinesen warnen vor einem neuen alten Virus mit Pandemie-Charakter? Wie ernst muss man diese Warnung nehmen?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag lassen wir die wichtigsten Entwicklungen rund um das Coronavirus einschätzen. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Nachdem wir in den letzten Ausgaben des Podcasts mit den Entwicklungen rund um Tönnies uns sehr stark auf Deutschland

fokussiert haben, wollen wir in dieser Ausgabe den Blick weiten. Die Probleme, die wir mit lokalen Massenausbrüchen haben, würden sich manche Länder wünschen, denn bei ihnen sieht die Lage ganz anders aus. In den USA zum Beispiel breitet sich das Virus in noch nie da gewesener Geschwindigkeit aus. Brasilien hat nach den USA weltweit die zweithöchste Zahl an Infizierten, kriegt es nicht in den Griff. In Indien ist die Zahl der Infektionen sprunghaft angestiegen. Verantwortlich für das Ausmaß der Corona-Pandemie sind nach Einschätzung des Chefs der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Ghebreyesus, Versäumnisse bei der Umsetzung grundlegender Gegenmaßnahmen sowie eine mangelnde Einheit innerhalb und zwischen den Ländern. Er sagt auch, das Schlimmste wird noch kommen, sofern dieses politische Problem nicht angegangen wird. Also er zeichnet ein ziemlich düsteres Bild. Wie sehen Sie es?

[0:02:02]

Alexander Kekulé

Da hat er natürlich recht. Global gesehen ist diese Pandemie wirklich viel, viel schlimmer, als man sich das so von Deutschland aus vielleicht vorstellt oder von hier beobachten kann? Wir sind in einer sehr komfortablen Lage, weil wir vor allem in Deutschland spät getroffen wurden. Und am Anfang auch noch nicht so hart wie z.B. Italien. Und jetzt haben wir ganz gute Maßnahmen getroffen. Das konnten ganz viele andere nicht. Entweder weil sie früher getroffen wurden in Asien oder weil sie eben, obwohl sie gesehen haben, dass das Problem kommt, keine geeigneten Gegen- maßnahmen ergriffen haben. Da zeigt sich an ganz vielen Ebenen eben die Schwäche der Systeme weltweit. Wenn es darum geht, gegen Krankheitserreger was zu tun.

Camillo Schumann

Würden Sie sich dieser Warnung anschließen?

Alexander Kekulé

Ja, natürlich. Aber die Frage ist immer bei so einer Warnung, was man tun soll. Wenn Sie auf der Straße sind und jemand brüllt Vorsicht, dann müssen Sie selber herausfinden, wo genau kommt die Gefahr her? Und was genau soll ich tun? Es ist leicht gesagt, vorzuschlagen,

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dass die Staaten sich besser koordinieren und die richtigen Maßnahmen ergreifen sollen. Sie haben jetzt gerade Indien genannt als Beispiel. In Indien ist es so, dass man durchaus wusste, dass das kommt. Die Warnung ist ja ganz klar dagewesen. Aber es ist einfach objektiv unmöglich, in diesem Land auch nur ansatzweise Maßnahmen zu ergreifen, die ein Ausbreiten dieser Seuche verhindern. Man muss sich sogar fast schon überlegen, ob es überhaupt einen Sinn hat, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, weil die ja auch wiederum Kollateralschäden haben, massive wirtschaft- liche Schäden und Ähnliches nach sich ziehen. Natürlich wird man in einem demokratischen System nie entscheiden, dass man gar nichts tut. Aber hier ist es wirklich so, dass man im klassischen Sinn nur das machen kann, was in anderen Bereichen der Welt auch so genannt wurde, nämlich dieses flattening the curve. Man kann nur versuchen zu verhindern, dass die Welle, die so oder so durchläuft, dass die eben nicht den einzelnen Peaks so stark kommt, dass man dann die Krankenhäuser überfüllt hat, die Friedhöfe überfüllt hat und so weiter. Also es geht dort mehr darum zu verhindern, dass sich die Leichen auf der Straße stapeln.

[0:04:18]

Camillo Schumann

Schauen wir die Situation in den USA an. Innerhalb von 24 Stunden wurden laut Johns Hopkins fast 53.000 neue Ansteckungsfälle verzeichnet. Das ist die höchste Zahl seit Aus- breitung des Virus in den Vereinigten Staaten. Die Gesamtzahl der Infektionsfälle liegt bei fast 2,7 Millionen. Die Zahl der Todesopfer stieg binnen 24-Stunden um weitere 706 und lag damit bei insgesamt 128.028. Die hohen Infektionszahlen sind auch mit deutlich ge- stiegenen Testkapazitäten zu erklären. Sie lie- gen etwa doppelt so hoch wie noch im April und März. Wer viel sucht, der findet auch viel. Vizepräsident Mike Pence hatte erst kürzlich trotz dieser Zahlen davon gesprochen, dass die Ängste vor einer zweiten Welle aufgebauscht worden sein. Die Medien würden mit finsteren Vorhersagen den Amerikanern Angst einjagen. Wird die Lage aufgebauscht?

[0:05:12]

Alexander Kekulé

Aus meiner Sicht sind die USA noch in der ersten Welle. Die haben es eben nicht geschafft, diese exponentielle Vermehrung der Krankheitsfälle durch geeignete Gegen- maßnahmen soweit runterzufahren, dass man wieder in dieses klassische Test and Trace zurückfallen kann. Das heißt also wieder ein- zelne Ausbrüche testen, nachverfolgen und dann in Quarantäne bringen, was in Deutsch- land jetzt die Strategie ist. An diesen Punkt sind die USA nie gekommen. Die waren noch in der exponentiellen Phase. Die hatten so den Eindruck, naja, die Fälle werden nicht so explosionsartig mehr. Das hat auch mit den Messungen zu tun gehabt und haben dann in einigen Staaten, vor allem im Süden, relativ schnell wieder geöffnet, lange bevor die Lage im Griff war. Und das ist ein Exempel, wie man es nicht machen darf. Da hat man, während die ganze Sache noch richtig am Kochen war, einfach das Feuer noch mal aufgedreht. Und diese Quittung bekommen sie jetzt. Die müssen jetzt in fast allen Staaten wieder die Öffnungsmaßnahmen zurückfahren. Und die Bevölkerung ist, nach meinem Eindruck, extrem gespalten. Die USA hatten vorher schon die Situation, dass man sagen konnte, ein Drittel bis die Hälfte waren Trump- Befürworter, sagen wir mal näher bei einem Drittel. Dass die anderen da sowieso schon, sage ich mal, innerhalb der Gesellschaft fast schon nicht mehr miteinander geredet haben. Das ist eine relativ krasse Spaltung gewesen. Und diese Spaltung auch in der Einstellung dem Virus gegenüber setzt sich fort.

[0:06:50]

Camillo Schumann

Aber gemessen an Einwohnerzahl, wenn man sich nur die nackten Fakten anschaut: Ist es denn so dramatisch? Weil Herr Pence sagt, es sei alles aufgebauscht, und die Medien machen den Menschen Angst.

[0:07:05]

Alexander Kekulé

Die Lackmusprobe ist letztlich immer der Blick in die Krankenhäuser. Nur auf die Zahlen zu gucken, gerade wenn die Testkapazitäten erhöht werden – das ist ja hier auch der Fall – und es ist auch ein bisschen politisch. Einige

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Gouverneure sind da hinterher, das zu machen, andere offensichtlich nicht so sehr. Und wenn man nur die Testkapazitäten erhöht und dann mehr Positive findet, die aber eigentlich nicht so schlimm krank sind, dann wäre das in der Tat etwas, was man nicht unbedingt negativ bewerten muss. Aber hier ist es so, dass auch die Intensivstationen volllaufen. Die letzten Zahlen waren, dass innerhalb weniger Tage die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen um 25 % gestiegen ist. Wenn der Trend anhält, kann man jetzt schon absehen, dass in kurzer Zeit der Effekt eintritt, vor dem wir alle Angst haben. Weil wir es in Italien zum Beispiel vor Augen geführt bekommen haben, dass man diese klassische Triage machen muss. Das heißt, man kann nicht mehr alle Menschen optimal behandeln. Das befürchten die Gesundheitsexperten in den USA. Toni Fauci – der dort der oberste Gesundheitsexperte ist, kann man sagen seit vielen Jahren schon – hat gesagt, dass die USA jetzt genau in diesen Korridor reinlaufen, wo sie ihre Intensivstation überlasten könnten. Und dann potenziert sich das Problem. Da wird es ein sich verstärkender negativer Effekt.

[0:08:29]

Camillo Schumann

Herr Fauci ist sozusagen das Gewissen Amerikas. Seit Anfang dieses Jahres hat er immer wieder den Finger in die Wunde gelegt. In Deutschland wird immer gesagt, die Virologen hätten zu viel Einfluss. In den USA haben die Virologen fast gar keinen Einfluss, hat man den Eindruck.

[0:08:48]

Alexander Kekulé

Ja, das ist in den USA ein Problem, dass tatsächlich die Politik auch sehr aktiv gegen Virologen vorgeht. Also, das ist bei uns nicht so üblich. Das sagt schon mal der eine oder andere Politiker, ich will aber nicht mehr nur auf die Virologen hören oder das, was der da gesagt hat, das passt mir nicht, ich habe drei andere Berater, die sagen was Besseres. Das gibt es in Deutschland schon. Aber man ist irgendwie nett zueinander. In den USA wird dann auch richtig offen von Gegnern auf die Experten eingedroschen. Da bewundere ich den Herrn Fauci tatsächlich, dass er da auch

wirklich – er ist ja auch nicht mehr ganz der Jüngste – die Stellung hält. Und völlig unbeirrbar das sagt, was aus seiner Sicht „Science Fact“ ist und versucht sozusagen dieser „Fake Science“, die sonst entgegengesetzt werden, da Paroli zu bieten. Das ist wirklich auch persönlich, glaube ich, eine große Leistung, wenn man so unter Druck gesetzt wird von der Politik, da die Linie zu halten.

Camillo Schumann

So die drei wichtigsten Punkte, was die angesprochenen Länder jetzt durchziehen müssten?

Alexander Kekulé

Naja, in den USA ist das Problem, dass die Schutzmaßnahmen einfach reduziert wurden. Die haben die ganzen Kontaktbeschränkungen reduziert. Man muss sich klarmachen, es gibt ein sehr starkes Gefühl für Individualismus da. Ich glaube, viele Hörer, die öfter drüben waren, kennen das. Die Amerikaner lassen sich viel weniger als die Deutschen und noch viel weniger als die Asiaten gerne etwas von der Regierung vorschreiben. Deshalb war das eine Gratwanderung mit den Kontaktbegrenzungs- maßnahmen, die erhebliche wirtschaftliche Folgen hatten. Wo man sagen muss, dass dort die wirtschaftliche Absicherung viel schlechter ist als bei uns in solchen Fällen. Und da ist jetzt einfach richtig eine ganz starke Gegenbewegung entstanden von Menschen, die sagen, wir machen diese Kontaktbeschränkungen nicht mit. Wir setzen keine Masken mehr auf. Wir machen jetzt „business as usual“. Wenn man das in den Griff bekommen würde, dann wäre schon ganz, ganz viel getan. Das ist bei denen, so sage ich mal, das Hauptproblem. Die haben, wenn man so will, ein bisschen ein anderes Problem als wir hier in Deutschland.

[0:10:56]

Camillo Schumann

Man kann ja seine Individualität ausleben, keine Frage, niemand schränkt sich gerne ein. Aber wäre zum Beispiel eine Maskenpflicht in den USA auf kurz oder lang vielleicht ein probates Mittel, um die Krankenhäuser zu entlasten?

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[0:11:11]

Alexander Kekulé

Auf jeden Fall, wenn das möglich wäre in den USA eine generelle Maskenpflicht in Situationen, wie wir sie in Deutschland auch haben: nämlich in geschlossenen Räumen beim Einkaufen, beim Taxifahren, in bestimmten anderen Situationen das vorzuschreiben. Das wäre auf jeden Fall sinnvoll. Weil vor allem bei der Bevölkerung dann diese Diskussion zu Ende wäre, dass der eine sagt, ich finde das blöd, ich mache das nicht. Der andere sagt, ich finde es wichtig, ich mache das. Man muss hier bei so komplexen Entscheidungen, die auch medizinisch kompliziert sind, den Menschen sozusagen die Entscheidung abnehmen und sagen, das ist jetzt einfach mal Vorschrift, und das müsst ihr machen.

[0:11:48]

Camillo Schumann

Und einfache Lösungen präsentieren. Also könnte die Maskenpflicht dazu führen, dass die USA von ihrer „Spitzenreiterposition“ dann runterkommen?

[0:12:00]

Alexander Kekulé

Eine eingehaltene Maskenpflicht zusätzlich mit Social Distancing würde auf jeden Fall funktionieren. Wir sehen es in New York City. Die sind ja sehr, sehr hart getroffen worden und haben es aber dort geschafft, die Sache, zumindest zahlenmäßig, wie es im Moment aussieht, wieder in den Griff zu bekommen. Und das ist eigentlich durch ganz strenge Verhaltensänderungen in erster Linie geschehen. Sicher, die hatten auch Ausgangssperren. Aber ich glaube, am Ende kommt man in einer Bevölkerung, die mitmacht, die kooperiert, kommt man ohne Lockdown, wie man das dann nennen würde, aus.

[0:12:34]

Camillo Schumann

Menschen aus den USA, wie angesprochen Indien oder Brasilien, da ist die Situation ähnlich gravierend. Russland und Südafrika, die dürfen ja nach wie vor nicht nach Europa einreisen. Für Menschen aus anderen Drittstaaten gewährt Deutschland ab heute

wieder die unbeschränkte Einreise. Keine Beschränkung gelten für Reisende aus Australien, Georgien, Kanada, Montenegro, Neuseeland, Thailand, Tunesien und Uruguay. Wichtigste Hürde für die Einreise in die EU ist die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb der vergangenen

14 Tage. Und als Richtwert gilt, dass die Zahlen nahe, an oder unter 16 liegen soll, also so wie der EU-Durchschnitt. Das ist in diesen Ländern offenbar gegeben. Ist die Aufhebung für diese Länder in Ihren Augen also vertretbar?

[0:13:23]

Alexander Kekulé

Das muss man natürlich von Fall zu Fall im Einzelnen prüfen. Aber der Ansatz ist grundsätzlich richtig. Was man noch ergänzen muss, ist, dass tatsächlich das Auswärtige Amt hier gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut auch darauf schaut, wie gründlich wird in diesen Ländern getestet. Allein die Zahl sagt nichts, sondern man braucht zusätzlich die Information, ob die auch gründlich testen. Das ist hier tatsächlich der Fall. Ich muss jetzt sagen, ich kenne nicht von allen Ländern die Daten. Bei Tunesien bin ich wegen der Frage der Testung, ob die wirklich so viel testen, wie sie sagen, nicht ganz sicher. Tunesien ist ja deshalb interessant, weil es ein Urlaubsland ist. Die haben sehr früh einen Lockdown gemacht. Die haben auch die Außengrenzen zugemacht und sehr, sehr harte Maßnahmen ergriffen. Allerdings haben sie schon ziemlich lange, vor drei Wochen ungefähr, die Ausgangssperren wieder aufgehoben. Die Frage, was da jetzt in den letzten Wochen passiert ist, ob man das wirklich im Griff hatte, mögliche Einschleppungen zu erkennen, ob man, wenn jetzt die Touristen wiederkommen sollten, in der Lage ist, Ausbrüche schnell unter Kontrolle zu bringen: Das kann ich bei Tunesien nicht so beurteilen. Da war ich ein bisschen überrascht, dass es auf der Liste ist. Aber ich bin sicher, da hat man sich Gedanken dazu gemacht.

Camillo Schumann

Ich persönlich war überrascht bei Uruguay, dass es überhaupt auf der Liste war. Uruguay hat es ja eigentlich sehr, sehr gut gemacht.

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Alexander Kekulé

Ja, Uruguay ist, das ist so ein kleines Phänomen. Und ich finde immer ganz schön, sich diese Fälle, wo es funktioniert hat, anzugucken. Taiwan ist ja auch eines meiner Lieblingsbeispiele. Bei Uruguay ist es wirklich so, obwohl die in Lateinamerika sind und umgeben sind von Ländern, die also erhebliche Ausbruchsszenarien haben, erhebliche Zahlen haben, haben die von Anfang an ... Erst haben sie die Grenzen zugemacht, dann haben sie einen sehr frühen, kurzen Lockdown gehabt und haben einfach sehr konsequent getestet und Social Distancing gemacht. Da muss man dazusagen das Gesundheitssystem ist in diesem winzigen Land relativ gut. Die haben in Montevideo mehrere ganz gute Kliniken. Die Bevölkerung ist einerseits, muss man sagen, nicht besonders jung. Die haben also durchaus auch alte Bevölkerung, nicht so dieses klassische lateinamerikanische Bild, wo man denkt, die sind alle so jung, dass sie nicht krank werden. Aber sie haben eine relativ wohlhabende Bevölkerung für diesen Kontinent. Sodass man hier eigentlich sieht, die haben das konsequent durchgezogen, und da hat es funktioniert, genauso wie in Neuseeland oder so was. Das ist ja bekannt, dass die Frau Ardern dort einfach sehr früh die richtigen Maßnahmen ergriffen hat. Und immer dann, wenn die Regierungen so eine Art Inselsituation ausgenutzt haben oder die Grenzen zugemacht haben – Uruguay ist jetzt keine Insel – und sehr früh richtige Maßnahmen ergriffen haben, dann hat das eigentlich funktioniert. Man kann fast sagen, die haben so ein bisschen gelernt davon, dass wir in Europa diese Chance verschlafen hatten.

[0:16:17]

Camillo Schumann

Anders als auf der EU-Liste der sicheren Staaten fehlen auf der deutschen Liste vier Länder: Serbien, Marokko, Ruanda und Algerien. Für die werden die Einreisebestimmungen erstmal nicht gelockert. Sie haben es eben angesprochen, das Robert Koch-Institut stuft diese Länder noch als Risikogebiet ein, mit den ganzen Parametern. Und gerade die Lage in Serbien scheint auch sehr undurchsichtig. Die Zahlen steigen dort wieder. Jetzt scheint jedes EU-Land so ein

bisschen sein eigenes Einreise Suppe zu kochen. Denn Ungarn lässt Menschen aus Serbien wieder ins Land. Wie gefährlich ist dieses Einreise-Süppchen, das jedes Land kocht?

[0:17:00]

Alexander Kekulé

Das ist eben einfach Politik. Jeder hat da irgendwelche besonderen Beziehungen, die er irgendwie pflegen möchte, warum er das eine oder andere erlaubt. Meines Erachtens ist es aus der deutschen Sicht richtig, dass man bei diesen Ländern vorsichtig ist. Da geht es eben nicht so sehr um die gemeldeten Zahlen, sondern um die Frage, ob die gründlich genug testen. Und ich meine, es sollte auf der Liste jetzt dann zusätzlich sein, weil wir in einer Phase sind, wo wir eben wieder dieses Test and Trace machen können, also die Fälle wirklich nachverfolgen und isolieren. Da müsste man auch die Kapazität der Gesundheitsämter in den Ländern prüfen. Für den Fall eines kleineren Ausbruchs, ob die in der Lage wären, das einzufangen. Da sind wir also hier schon überall in der Komfortsituation ganz anders als die USA, die, wenn man so will, in der Pandemie noch in dieser Phase 3 sind, wo es exponentiell hochgeht. Wir haben es hier mit Ländern zu tun, die eigentlich schon dabei sind, es in den Griff zu bekommen. Nur die Frage ist dann in die Zukunft gerichtet, wenn da kleine Ausbrüche sind, merken die das überhaupt? Und können sie es kontrollieren? Und ich glaube, da ist bei diesen Ländern sind jetzt noch Fragezeichen. Und wenn Ungarn da einen Extra-Weg geht, ist das nicht das Beste. Aber wissen Sie, wenn man jetzt das alles so streng wissenschaftlich sehen würde, dann könnte man gar nicht mehr schlafen.

[0:18:17]

Camillo Schumann

Auch wieder wahr. Deswegen jetzt noch die beruhigende Nachfrage. Die Parameter, die das Robert Koch Institut anlegt und die quasi die Grundlage sind für die Aufhebung der Einreisebeschränkung. Sie haben einen Parameter jetzt noch sozusagen zusätzlich angeführt. Aber im Großen und Ganzen ist es doch eigentlich eine sichere Nummer, damit

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wir da einigermaßen wieder Menschen ins Land lassen, die uns jetzt nicht gefährlich werden können, in Anführungszeichen.

[0:18:44]

Alexander Kekulé

Ja, die Parameter sind die richtigen. Wobei man eben sagen muss mit der Ergänzung, dass man den einen genannten zusätzlichen mit der Möglichkeit, Infektionsherde einzufangen, schon berücksichtigen sollte. Man muss aber auch sagen, dass natürlich die Möglichkeiten Deutschlands da jetzt auch nicht überschätzt werden dürfen. Wenn jetzt ein Land sagt, wir haben die und die Möglichkeiten das zu testen. Wir machen so und so viele Tests. Wir haben die und die Teams aufgestellt, um Tests, um Ausbrüche zu erkennen. Dann ist es nicht so, dass die Deutschen dann irgendwie den Auslandsgeheimdienst beauftragen, um festzustellen, ob das stimmt. Sondern das nimmt man dann einfach mal so zur Kenntnis. Und dass das alles natürlich politisch und wirtschaftlich überlagert wird, ist klar. Ich möchte vielleicht zu einem Land noch etwas sagen, weil das vielleicht für manche überraschend ist. Thailand ist ja auch auf der Liste. Da könnte man vielleicht spontan denken, ob das jetzt vielleicht stimmt. Aber es ist tatsächlich so, da habe ich mich noch einmal genauer schlau gemacht. In Thailand ist es so, obwohl sie ganz massiv testen – die hatten über 600.000 Tests gemacht, zuletzt – dass sie über einen Monat überhaupt keine lokale Übertragung hatten. Also im Land keinen Fall, immer nur importierte Fälle, die da reinkamen. Und die stehen dann jedes Mal auch groß in der Zeitung. Achtung, gestern sogar gab es irgendwo wieder zwei Fälle in Thailand. In der Dimension sind die haben die haben in der ganzen Pandemie bis jetzt 58 Tote und 3.200 Fälle ungefähr. Das ist deshalb wichtig, weil es ein Land ist, was unmittelbar exponiert ist. Wer da schon mal war, weiß, dass das ein beliebtes Urlaubsland bei Chinesen ist. Daher ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass das frühe Exporte gegeben hat, so wie nach Südkorea auch. Da hat dort [in Thailand] der Ministerpräsident Prayuth ganz früh so einen kompletten Lockdown verhängt. Das hat scheinbar funktioniert. Allerdings für den Preis, dass das eine totalitäre Maßnahme

letztlich ist und die ärmere Bevölkerung wahnsinnig darunter leidet. Also, das ist ein sehr, sehr hoher Preis. Meines Wissens ist der Lockdown sogar noch einmal verlängert worden jetzt gerade zum 01.07. Und die Menschen sind jetzt wirklich unter dem Druck und unter der Knute. Aber das Virus geht weg. Das ist ganz interessant dort.

[0:20:56]

Camillo Schumann

Lange Ketten sieht man da, Menschenketten, die sich anstellen, um was zu essen zu bekommen. Also da ist die Hilfsbedürftigkeit in der Bevölkerung extrem gestiegen. Für Japan, Südkorea und China gelten die Lockerungen nur unter Vorbehalt. Und zwar nur, wenn diese Länder auch Deutschen wieder die Einreise erlauben. Was halten Sie denn von dieser Maßnahme?

[0:21:22]

Alexander Kekulé

Das ist jedenfalls eine politische Entscheidung, würde ich mal sagen. Virologisch sehe ich da keinen Grund dafür. Wie du mir, so ich dir, sagt man da wahrscheinlich im Alltagsleben dazu.

Camillo Schumann

So hört es sich ein bisschen an.

Alexander Kekulé

Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Camillo Schumann

Okay. Bisher, Herr Kekulé, gibt es keinen Impfstoff. Medikamente sollen es erstmal richten, allen voran das Ebola-Mittel Remdesivir. In Europa soll es in dieser Woche zugelassen werden. In den USA wurde es das schon vor drei Wochen. Die Trump-Regierung hat offenbar auch die Bestände des Mittels für die nächsten drei Monate einfach mal aufgekauft, berichtet zumindest „The Guardian“. Europa ist da ziemlich sauer. War Europa zu langsam, muss sich ärgern oder kann recht gelassen auf das Ganze schauen?

[0:22:04]

Alexander Kekulé

Ich hoffe, dass wir ein bisschen Remdesivir noch haben. Und so viele Fälle haben wir,

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zumindest in Deutschland, nicht im Moment. Man muss auch dazu sagen ja, das ist unser aussichtsreichster „Kandidat“. Man muss auch sagen ja, der Hersteller Gilead hat gute PR damit gemacht. Und ich glaube auch, dass die Studien ziemlich deutlich zeigen, dass es einen Effekt hat. Es wirkt irgendwie auf dieses Virus, also gegen dieses Virus. Aber der Gradmesser von jedem Therapeutikum bei einer Pandemie ist: Kann es die Toten reduzieren? Kann es die Mortalität reduzieren? Also die Mortalität ist, wenn man so will, wirklich der Fiebermesser der Pandemie, wie schlimm ist die Pandemie. Da ist bei Remdesivir gerade bisher nicht gezeigt worden, dass es die Sterblichkeit reduziert. Die Leute werden früher wieder gesund, insbesondere bei nicht so schweren Fällen ist der Effekt sehr deutlich. Also daher würde ich jetzt nicht gleich in Panik verfallen, weil wir jetzt in Europa erst einmal zwei Monate lang nichts kriegen. Und es sind ja wohl so knapp zwei Monatsproduktionen von den USA aufgekauft worden. Das heißt, die Zeit danach gibt es wieder was. Das würde ich jetzt erst einmal entspannt sehen, an der Stelle.

[0:23:18]

Alexander Kekulé

Weil Sie es gerade angesprochen haben: die Wirksamkeit. Wir sollten da das Ganze erstmal nicht überbewerten. An der Uniklinik Köln, da war ja auch der Infektiologe Jan Rybniker an der entscheidenden Studie beteiligt zur Wirksamkeit. Und er sagt, es verkürzt nicht nur die Krankheitsdauer. Sondern es hat auch einen – und jetzt wird es interessant – gewissen Effekt auf die Sterblichkeit. Das war ja auch nur eine Studie. Es werden viele weitere Studien folgen, die das dann hoffentlich noch einmal bestätigen, hat er gesagt. Ist das jetzt so der berühmte Strohhalm oder der Beginn einer wirksamen Therapie? Was meinen Sie?

[0:23:53]

Alexander Kekulé

Das wissen wir nicht. Also das ist natürlich das, was jetzt alle zeigen wollen, weil sie es zeigen müssen, weil es darauf ankommt. Da kostet eine Therapie ungefähr 3.200 Dollar. Das sind dann sechs Dosen. Es ist ziemlich viel Geld auch. Das Medikament muss einfach beweisen,

dass es jetzt wirklich diese Mortalität senkt. Große Studien, die das belegt haben, sind bisher nicht veröffentlicht. Das heißt nicht, dass es nicht noch kommen kann, weil man kann es eher andersherum sagen. Wenn es also gar keinen Effekt hätte, auch bei den leichten Fällen keinen, dann könnte man sich den Rest er sparen. Sodass man jetzt schon optimistisch weitermachen kann. Aber es ist eben bisher unklar, ob es wirklich wirkt und ob es uns wirklich rettet. Es geht ja darum, dass wir versuchen: erste Stufe, Infektionen zu verhindern. Da gibt es ein Riesenarsenal von Maßnahmen. Die zweite Stufe ist: Wenn es aber doch zu Infektionen kommt, müssen wir die Sterblichkeit verhindern und auch die Überlastung der Krankenhäuser verhindern. Und dafür haben wir bisher nichts an der Hand. Da war ich, ehrlich gesagt, ein bisschen optimistischer am Anfang der Pandemie, dass wir da bis zum Sommer was finden würden. Außer Remdesivir ist nicht so viel da. Was mich stört an dem Ganzen, ist an der Stelle so ein egoistisches Verhalten der der USA. Alex Azar, der US-Gesundheitsminister hat ja so sehr stolz gesagt, dass die USA jetzt hier alles einkassiert haben und sozusagen „America first“ alles in Sicherheit ist. Dass man mit so etwas auch noch angeben kann, das finde ich doch ganz erstaunlich, dass das jetzt so der Stil geworden ist.

[0:25:28]

Camillo Schumann

Also Remdesivir, ein Medikament, das es zumindest über die Ziellinie geschafft hat. In Europa jetzt kurz vor der Zulassung in dieser Woche.

Hier im Podcast verfolgen wir immer mal wieder das Auf und Ab der Hoffnungsträger. Nun geht es um ein Medikament, das die Ziellinie wahrscheinlich nie erreichen wird: Lopinavir/Ritonavir. Warum?

[0:25:48]

Alexander Kekulé

Naja, das ist eine Medikamentenkombination, die normalerweise gegen AIDS verwendet wird. Und da gab es Berichte aus China, ganz am Anfang, dass das hier auch wirken sollte gegen das SARS-CoV-2. Das war schon von

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Anfang an recht erstaunlich, vom Wirkmechanismus her, dass das da auch funktionieren soll. Also würde ich mal sagen die meisten Virologen doch ein Fragezeichen gehabt. Es ist trotzdem auf der Liste der zu prüfenden Wirkstoffkombinationen gewesen. Und bis jetzt immer noch. Und da gibt es ja aus den USA diese sogenannte Recovery Studie. Die es eigentlich ganz clever die haben da relativ viele Substanzen relativ früh angefangen zu testen. Seit März ist die schon aufgelegt, und da ist auch dieses Resultat mit dem Dexamethason rausgekommen, was wir schon mal besprochen haben. Und die haben jetzt im Rahmen dieser Studie gesagt, wir machen eine Zwischenveröffentlichung unserer vorläufigen Ergebnisse. Da haben sie knapp 1.600 Patienten veröffentlicht, die behandelt wurden mit der Kombination Lopinavir/Ritonavir und dazu etwas mehr als doppelt so viel Kontrollen, 3.376 waren es. Dann haben sie eben geguckt, und das ist bei dieser Recovery Studie das Prinzip, wie sieht es aus mit der Sterblichkeit. Also diese Sachen, mit denen jetzt Gilead bei Remdesivir eine große Welle gemacht hat – wir können die Leute paar Tage früher aus dem Krankenhaus entlassen und so – dafür haben die sich gar nicht interessiert. Sondern sie sind gleich auf die Sterblichkeit gegangen, was natürlich die Nagelprobe ist für so ein Medikament. Und da ist es so, wenn ich das mal ablesen darf: 22,1 % sterben unter Therapie, von den Patienten, die dort hineingenommen wurden, in die Studie, und 21,3 %, also mehr oder minder das Gleiche, sterben ohne Therapie. Und das ist so nah beieinander, dass also da quasi die Unsicherheitsbereiche sich so weit überlappen, dass man sagen kann das ist statistisch kein Effekt. Oder anders gesagt, hier ist relativ klar, das ist eine große Zahl von Patienten, wenn die Studie gut gemacht wurde. Wie gesagt, sie ist vorläufig. Dann heißt es, dass hier definitiv bei der Sterblichkeit kein Effekt gesehen wurde. Man hat offensichtlich Patienten genommen, denen es schon ziemlich schlecht ging, weil ja in diesem Patientenkollektiv 22 % gestorben sind. Das ist schon eine relativ große Zahl. Das würde man ja bei leichteren Fällen nicht so erwarten. Aber auch wenn das schwerere Fälle waren und man sieht hier keinen Effekt, würde

ich sagen, diese Kombination ist kurz davor, aus dem Rennen zu fliegen.

[0:28:25]

Camillo Schumann

Wir sprechen natürlich hier im Podcast über das neuartige Coronavirus. Jetzt müssen wir mal über ein anderes Virus sprechen, das Schweinegrippe-Virus. Wer die Meldungen verfolgt, wird über die Schlagzeile gestolpert sein. Chinesen warnen vor der Wiederkehr der Schweinegrippe und die Chinesen warnen so deutlich wie selten. Das muss man an dieser Stelle wirklich mal sagen. Denn sie sagen, das neue Schweinegrippen-Virus hat das Zeug für eine neue Pandemie. Herr Kekulé, wie bewerten Sie diese Warnungen aus China zum jetzigen Zeitpunkt?

[0:28:58]

Alexander Kekulé

Ich finde, die werden ja jetzt überall durch die Presse getrieben. Weltweit schreibt man darüber. Da muss man ein bisschen vorsichtig sein. Erstens ist es nicht die chinesische Regierung, die jetzt offiziell warnt, sondern das ist eine Arbeit, die in einem amerikanischen Journal erschienen ist. Es ist jetzt gerade rausgekommen. Aber eingereicht wurde die schon im Dezember. Und es ist eine Arbeit, ja, die ist über die letzten Jahre gemeinsam gemacht worden, von der chinesischen Gesundheitsbehörde, von den chinesischen CDC und von der Weltgesundheitsorganisation, also schon eine wichtige Beobachtungsstudie, die man da gemacht hat. Da hat man von 2011 bis 2018 Daten gesammelt auf Schweinefarmen, auf der Suche nach neuen Influenzaviren. Und diese Arbeit ist jetzt veröffentlicht worden. Also nichts, was jetzt gerade die letzten Wochen rauskam und deshalb Alarmstufe Rot ist. Es ist eher ein vorsichtiger Blick in die Zukunft im Hinblick auf die Entwicklung in chinesischen Schweinefarmen von 2011 bis 2018.

[0:29:58]

Camillo Schumann

Aber nichtsdestotrotz, wenn es jetzt nicht von der Regierung kommt, sondern von Wissenschaftlern und international doch recht gut diskutiert wird, ist es ja gerade ein Indiz

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dafür, dass man dem vielleicht doch etwas mehr Glauben schenken sollte?

[0:30:12]

Alexander Kekulé

Ja glauben ... Die Arbeit ist sicher richtig. Was die beschreiben ist Folgendes: Wir wissen ja, dass die sogenannte Schweinegrippe von 2009, darum hieß die so, die kam ja von Schweinen höchstwahrscheinlich in Mexiko. Der Hintergrund des ganz interessant, weil 1918 bei der Spanischen Grippe war das so, dass dieses Virus H1N1 zirkuliert ist. Und das hat bei den Menschen diese verheerende Grippe gemacht. Aber das hat auch Schweine infiziert. Und dieses H1N1 in Schweinen, das ist in Schweinezuchten hauptsächlich über viele, viele Jahre erhalten geblieben. Und 2009 hat es eine Kombination gegeben, wir sagen eine Reassortante, zwischen diesem alten Virus von 1918, was also von dem Menschen aufs Schwein gekommen war und anderen Viren, die im Schwein zirkuliert sind, sogenannte eurasische Vogelgrippe-ähnliche Schweinegrippe-Viren. Diese haben sich dann miteinander verbunden und diese Kombination, diese Reassortante, wie wir eben sagen, das war der Auslöser der Grippe von 2009, der sogenannten Schweinegrippe, Mexikanischen Grippe oder 2009er-Pandemie. Seitdem wissen wir relativ genau, wie sich so etwas zusammenbraut vorher. So etwas Ähnliches ist eben auch gerade in China im Gange. Dort gibt es extrem viele Schweinezuchten. Die werden zum Glück seit einiger Zeit eben systematisch überwacht. Und da hat man eben über Jahre hinweg die Arbeiter immer wieder kontrolliert, um zu sehen, ob es da vielleicht andere Viren gibt, die – so ähnlich wie eben wird es von 2009 gesehen haben – die im Schwein ausgebrütet werden und sich dabei fit machen, um eine menschliche Pandemie auszulösen. Man hat 388 Arbeiter aus 15 Schweinefarmen untersucht und festgestellt, dass davon ungefähr 10 %, also jeder Zehnte, tatsächlich Antikörper hatte gegen ein neuartiges Virus, was jetzt auch wieder so ein H1N1-Virus ist. Also so ähnlich wie das von der 2009er- Pandemie. Aber was sich wieder neu kombiniert hat mit einer bestimmten Sorte von Schweineviren, also die sogenannten

eurasischen Vogelgrippe-ähnlichen Schweineviren. Und von dieser Kombination wissen wir eigentlich schon, dass die potenziell gefährlich ist. Der Typ heißt hier Genotyp G4 und dieser Typ, gegen den haben wir eben 10 % der Arbeiter Antikörper. Das heißt, sie haben sich irgendwie tatsächlich vom Schwein infiziert mit diesem Virus. Und das ist natürlich beunruhigend.

[0:32:41]

Camillo Schumann

Beunruhigend auch für den Rest der Welt, für uns, für welchen Zeitpunkt? Oder kann man das alles noch nicht richtig abschätzen?

[0:32:51]

Alexander Kekulé

Ich habe da keine große Sorge, weil wir beobachten diese Sachen ja erst seit kurzem genauer. Insgesamt wurden auch 230 Haushalte in der Umgebung dann untersucht. Und da gab es auch einzelne Infektionen bei etwa 4 %. Aber keiner weiß genau, wie das zustande gekommen ist, also ob es da eine echte Mensch-zu-Mensch-Übertragung gegeben hat und wie häufig, ist völlig unklar. Die Autoren weisen darauf hin, dass das Virus hochinfektiös ist. Da gibt es verschiedene Modelle mit Frettchen. Insbesondere macht man das gerne, dass man da die in zwei Käfige steckt, wo dazwischen Luftaustausch stattfindet und schaut, wie viele Infektionen kommen da zustande durch die Luft. Hier scheint dieses Virus besonders ansteckend zu sein, also für Säugetiere. Und auch im Tierexperiment macht es besonders schwere Erkrankung. Man muss auch dazu sagen, dass sehr ähnliche Viren in China schon länger zirkulieren. Also wir kennen solche G4-Viren, die diesen Genotyp 4 haben, die werden in China seit 2013/2014 schon beobachtet. In den Schweinebeständen sind sie schon relativ lange da. Ich glaube, es ist eine gute Entwicklung, und es ist richtig, was hier gemacht wird: dass man jetzt wirklich versucht, proaktiv zu sein und diese Tierbestände, wenn man die nun schon in so großen Mengen halten muss, vorher zu untersuchen und zu schauen, braut sich da vielleicht was zusammen bei den Tiererkrankungen, was auf den Menschen

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überspringen könnte, um später nicht überrascht zu sein. Aber es ist nicht so, dass wir den Hinweis darauf haben, dass dieser eine Kandidat in den nächsten Wochen oder Monaten ausbrechen könnte und die nächste Pandemie macht.

Camillo Schumann

Aber bei China und neuartiges Virus dazu man einfach schon mal zusammen.

Alexander Kekulé

Ja, und zwar zu Recht. Es ist so, dass die hygienischen Verhältnisse in den Schweinefarmen nicht mit den europäischen vergleichbar sind. In Mexiko übrigens, wo die Schweinegrippe wohl damals herkam, 2009, da hat man die hygienischen Verhältnisse deutlich verbessert seitdem. Zumindest sagen das alle. Die haben da Geld in die Hand genommen dafür. Insgesamt ist einfach die Frage, ob man so eine Intensivzucht, wo man sehr, sehr viele Tiere auf sehr engem Raum zusammenhält, wo natürlich ist zu solchen Ansteckungen dann kommt und die Tiere auch empfindlicher sind für Infektionen, ob man das überhaupt hinbekommen kann unter sicheren Verhältnissen. Also ich möchte das nicht mit einem Atomkraftwerk direkt vergleichen, aber es gibt Leute, die sagen ein Kernkraftwerk kann man gar nicht ganz sicher bauen. Und hier ist dann in der Parallele die Frage zu stellen, kann man so eine intensive Schweinezucht überhaupt sicher hinbekommen und welche Maßnahmen muss man ergreifen, um im Falle eines Falles ganz frühzeitig zu erkennen, dass sich hier etwas Gefährliches zusammenbraut? Und so ist die Arbeit wichtig. Das ist gut, dass es gemacht wird und auch richtig, dass es gemacht wird. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass die Chinesen jetzt, indem sie das hier publiziert haben, auch noch einmal ganz deutlich zeigen wollen. In der Arbeit wird also ganz oft gewarnt, dass das jetzt ein Pandemie- Potenzial hat. Es wird China ja vorgeworfen, dass sie bei SARS-CoV-2 nicht schnell genug gewarnt haben. Hier wird jetzt besonders deutlich gewarnt, naja, das ist irgendwie nachvollziehbar.

[0:36:03]

Camillo Schumann

Unterm Strich kann man sagen, das sind alles Konsequenzen der Massentierhaltung. Und das ist jetzt nicht nur ein Beispiel. Da gibt es da noch mehrere Beispiele. Dessen sollte man sich auch immer Bewusstsein. Oder?

[0:36:14]

Alexander Kekulé

Ich glaube, es gibt ja so diesen berühmten gelben Zettel, den jeder hat während der Pandemie und sich überlegt, was ist hinterher wichtig, wenn ich mal Zeit habe, über etwas anderes nachzudenken? Auf diesem gelben Zettel sollte ganz dringend eben draufstehen, dass wir unser Verhältnis zur Tierzucht noch einmal überdenken müssen. Es ist in der Tat so, dass sowohl das SARS-CoV-2, als auch die Influenza-Pandemie von 2009, als auch Ebola in Westafrika, das sind alles Dinge, die springen vom Tier auf den Menschen über. Und dann müssen wir, glaube ich, schon unser Verhältnis, wie wir mit den Tieren zusammenleben und wie wir mit Risiken umgehen, die von dort kommen, wie wir das vielleicht neu einstellen können.

[0:36:58]

Alexander Kekulé

Wir kommen zu den Hörerfragen. Eine Frage zum Tischtennis interessiert sicherlich Hunderttausende. Spiele haben wir punktuell im Podcast immer mal wieder beantwortet. Herr S. spielt im Verein und schreibt:

„Wir dürfen mit Beachtung bestimmter Hygieneregeln wieder trainieren. Aber Tischtennis ist eine sehr schweißtreibende Angelegenheit, sodass auch die Bälle als auch die Platten jener Spieler schon mal einiges an Schweißtropfen abbekommen. Deshalb würde ich gerne von Herrn Kekulé wissen, welche der folgenden Regeln zusätzlich zu den üblichen Abstandsregeln unbedingt eingehalten werden sollen.

- Nach jedem gespielten Satz werden die Seiten nicht gewechselt, sondern man bleibt auf seiner Seite. Nach jeder Trainingseinheit sind die Tischoberflächen, die Tischsicherungen und die Tischkanten zu desinfizieren.

- Bälle werden nach jeder Trainingseinheit desinfiziert.

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- Handschuh auf der Nicht-Schlaghand tragen.“

Was halten Sie denn von diesem Konzert?

[0:37:58]

Alexander Kekulé

Also ich bin ein schlechter Tischtennisspieler. Aber ich bin total dagegen, den Seitenwechsel wegzulassen, da ist meistens unfair. Es gibt immer eine bessere Seite bei so einer Tischtennisplatte. Und ich wüsste jetzt auch nicht genau, warum der Seitenwechsel irgendwie gefährlich sein sollte.

Camillo Schumann

Es ist vermutlich dann, dass die Menschen Angst vor den Aerosolen haben, dass man dann auf den Seiten bleibt und sagt, naja gut, da kann nichts passieren, dass man nicht in die Wolke des anderen rennt.

[0:38:25]

Alexander Kekulé

Viel Platz, sie brauchen ja relativ viel Platz, um Tischtennis zu spielen. Und üblicherweise ist es eine größere Halle. Und daher glaube ich, dass das Aerosol da sekundär ist. Also, da hätte ich jetzt keine Angst. Na gut, man keine ja zwei Minuten warten, bevor man die Seite wechselt. Aber üblicherweise ist da ja auch eine kleine Pause. Wo ich vielleicht eher vorsichtig wäre sind diese Spiele, die aber jetzt keine professionellen Tischtennisveranstaltungen sind, wo man um den Tisch läuft, wo also mehr als zwei oder vier Leute spielen und die dann alle im Kreis um den Tisch herumlaufen. In Bayern heißt es Rundwetz, wo man um den Tisch wetzt. Da drängelt man sich mal und rempelt sich an und so. Das ist eher dann schon Kontaktsport. Desinfizieren ja. Die Liebe des Deutschen zum Desinfektionsmittel, die war ja schon vorher in bestimmten Bevölkerungsgruppen vorhanden. Also ich glaube, wenn man sich einfach die Mühe gibt, mit der nicht Pingpong-Schläger- Hand, Entschuldigung Tischtennishand, also mit der Hand den nicht in Tischtennisschläger hält, wenn man mit der nicht ins Gesicht fasst, dann passiert ja gar nichts. Also mit der Schlägerhand wird man sich tendenziell sowieso nicht ins Gesicht fassen können. Das heißt also, ich glaube, wenn man sich einfach

bemüht, nicht dauernd die Hände im eigenen Gesicht zu haben, ist es viel effektiver als jetzt den Ball und die Tischplatte und dieses ganze hat schon ein bisschen was Ritualisiertes. Und da würde ich jetzt eher sagen, das sind mehr so Symbole der Virusvermeidung als konkrete Maßnahmen.

Camillo Schumann

Und Handschuhe auf der Nicht-Schlaghand?

[0:39:58]

Alexander Kekulé

Das geht in die gleiche Richtung. Wenn sie das Virus außen auf dem Handschuh haben und sich dann in den Augen reiben, ist es natürlich genauso gut, als wenn sie keinen Handschuh anhätten.

[0:40:06]

Camillo Schumann

Der Vollständigkeithalber die Frage auch noch mal mit beantwortet. Ist aber auch wichtig, dass man es ab und zu mal wieder macht, dass man es sich immer wieder vergegenwärtigt, weil man kann noch so häufig das gehört haben. Der Reflex, wenn man dann wirklich vor Ort ist, ist dann doch ein anderer. Weil man sich ja dann auch gerne umguckt: Wie machen es die anderen?

[0:40:23]

Alexander Kekulé

Es gibt sogar Reitvereine, die ihre Sättel jetzt desinfizieren. Also das ist wirklich ganz skurril zum Teil, was da passiert. Und ich glaube, dass dieses Desinfektionsmittel ... Die Schmierinfektion macht wirklich nur einen relativ kleinen Teil aus. Man kann es dann noch mal betonen, wir sind in Deutschland nicht mehr in dieser Lage wie die USA, die jetzt gerade in so einem exponentiellen Effekt sind, wo sie jede Maßnahme ergreifen müssen und alles erst einmal runterbremsen. Sondern wir haben ja jetzt einzelne Ausbrüche, die wir schnell erkennen müssen. Und in diesem Sinn müssen wir insbesondere auf die aerogenen Übertragungen achten, also Superspreader in geschlossenen Räumen. Und wir müssen sehen, dass wir diese Kontaktbeschränkungen halbwegs vernünftig einhalten. Das heißt weiterhin Masken und Abstand halten, wenn

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möglich. Alles andere, würde ich jetzt mal sagen, kann man zumindest mal etwas entspannter sehen. Ich würde jetzt nicht sagen runterfahren, aber da muss man jetzt nicht zusätzliche Maßnahmen reinziehen.

[0:41:21]

Camillo Schumann

Jetzt machen wir mal einen kleinen Querverweis auf eine andere Podcast-Folge. Anlass ist diese Frage von Herrn J. aus Jessen:

„Ich wollte mal fragen, ob das denn schon in Deutschland angekommen ist, dass infizierte Person von Covid-19, dass die in England entdeckten alten langjährigen Tabletten von Dexamethason, dass die helfen? Und ob man die denn hier auch schon anwendet?“

Herr J. aus Jessen. Es ist angekommen. Wir haben in Ausgabe 70 ausführlich über Dexamethason gesprochen und warum es die Sterblichkeit senkt. Hören Sie gern, wie alle anderen Hörer, die möglicherweise dieselbe Frage haben, mal rein in Ausgabe 70.

Dann hat diese Dame angerufen und folgende Frage:

„Wenn jemand Corona-Symptome hat, dann könnte das doch auch Keuchhusten zum Beispiel sein, der auf dem Vormarsch ist oder sogar Diphtherie. Also sollte man sich dadurch unbedingt nochmal dagegen impfen lassen, beziehungsweise die Impfung auffrischen lassen?“

Diphtherie und Keuchhusten auf dem Vormarsch?

[0:42:29]

Alexander Kekulé

Naja, also natürlich ist es so, dass es Keuchhusten nach wie vor gibt, Diphtherie in Deutschland nicht so sehr, dass ist mehr so ein Thema für Menschen, die aus Osteuropa oder aus, sag ich mal, hygienisch schlechteren Verhältnissen eingewandert sind. Aber selbstverständlich ist es immer sinnvoll, sich zu impfen gegen alle Erkrankungen, die ein ähnliches Krankheitsbild geben könnten wie Covid-19. Und weil man dann im Zweifelsfall weiß, dieses und jenes kann es nicht sein, da

bin ich dagegen geimpft. Also prinzipiell Diphtherie-Impfung ist ja auch eine dringende empfohlene Impfung in Deutschland, auch im Kindesalter schon, da spricht nichts dagegen, das zu machen.

[0:43:10]

Camillo Schumann

Frau Meyrath hat keine direkte Frage. Sie liefert Informationen bei Twitter unter #fragkekule:

„Wenn ich das richtig verstehe gibt es wohl eine Reihe von Studien zu Covid-19 und Vitamin D #fragkekule

Also Vitamin D, grundsätzlich zur Abwehr von Bakterien und Viren. Eine feine Sache. Nur ob Vitamin D explizit gegen SARS-CoV-2 hilft?

Alexander Kekulé

Naja, das ist so, dass das Vitamin D, abgesehen von seiner bekannten Funktion für den Knochen – wir wissen ja, wenn man dann Mangel hat, gibt so eine Erkrankungen, die Rachitis heißt, also heute nicht mehr so bekannt, aber so eine ähnliche Erscheinungen, als wenn man Kalkmangel hätte – hat es eben auch eine Wirkung auf das Immunsystem. Oder anders gesagt: Der Körper braucht Vitamin D, damit das Immunsystem gut funktionieren kann. Aber bei all diesen Vitaminen gilt, – und das verstehen manche Menschen falsch, oder vor allem Verkäufer erklären das gerne falsch – , wenn man einen Mangel hat, dann gibt es bestimmte Erkrankungen. Aber das heißt nicht, wenn ich davon dann mehr nehme, als ich brauche, dass ich die Krankheit vermeiden kann. Es gibt sozusagen eine Maximal-Dosis, die die Schäden vermeidet. Aber wenn man darüber hinausgeht, hat man keinen therapeutischen Effekt. Oder andersherum gesagt, Vitamin D gegen Covid-19 zu nehmen, hat keinen Sinn. Aber wenn jemand natürlich einen schweren Vitamin-D-Mangel hätte und dann Covid-19 bekommt in so einer Mangelsituation, dann ist es gut möglich, dass die Erkrankung schwerer verläuft. Das kann schon sein.

[0:44:41]

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Camillo Schumann

Also viel hilft in diesem Fall nicht viel. Wir sind am Ende von Ausgabe 76. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Samstag wieder.

Alexander Kekulé

Sehr gerne bis dann, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns unter mdraktuell- podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 30.06.2020 #75: Mit mehr Tests zweite Welle verhindern

Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

[0:00:10]

Camillo Schumann

Dienstag, 30. Juni 2020. Wir haben eine Menge vor in dieser Ausgabe.

1. Bayern beschließt Corona-Tests für alle. Was bringt das aber? 2. Dann: Wirklich kaum Infektionen bei der restlichen Bevölkerung? Ist der Massenausbruch bei Tönnies in Gütersloh also unter Kontrolle?

3. Außerdem war das Virus vielleicht schon viel länger in Europa? Eine Abwasserstudie aus Barcelona hat das Virus schon im März 2019 nachgewiesen.

4. Und was sagt die europaweite Studie zu Kindern und Covid-19 aus?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio.

Jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag lassen wir die wichtigsten Meldungen rund um das Coronavirus einschätzen. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Es ist das Top-Thema heute. Bayern hat als erstes Bundesland Corona-Tests für alle beschlossen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat die neue Teststrategie dann folgendermaßen verkündet. Wir hören mal rein:

„Schneller, kostenlos und für jedermann. Also erste Stufe bei Verdacht. Zweite, freiwillige Reihenuntersuchungen bei besonders betroffenen Berufsgruppen. Und drittens dann, wenn ohne Symptome sind, wird in kürzester Zeit die Garantie gegeben, dass eine Möglichkeit besteht, einen Test zu machen und den dann auch zeitnah zu erhalten. Es gibt auch keine Begrenzung. Also nicht nur einmal ein Test, sondern der Test ist dann mehrfach wiederholbar. Eben weil es immer wieder zu einer neuen Infektion führen kann. Insofern glauben wir, dass das ein schon mutiges Konzept ist, aber das ist der Zeit angemessen. Und die Tatsache, dass wir mit einer zweiten Welle zu rechnen haben, ist ganz entscheidend, dass wir ein noch besseres Frühwarnsystem haben, um die Wasserstände besser ermitteln zu können. Vielleicht hilft es auch, manche Infektion zu entdecken, die sonst überhaupt nicht entdeckt worden wäre.“ (Markus Söder, Ministerpräsident Bayern)

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bei der Vorstellung heute auf der Pressekonferenz. Tests für alle, so oft sie wollen. Markus Söder nennt das mutig. Jetzt sind sie seit Beginn des Podcasts absoluter Verfechter von Tests. Sie müssen sich über diesen Vorstoß in Bayern ja eigentlich freuen. Oder?

[0:02:32]

Alexander Kekulé

Ja, da freue ich mich auch wirklich. Das muss man sagen, das ist mutig. Hauptsächlich deshalb, weil es natürlich Geld kostet, weil wir das mit der PCR machen. Das heißt mit einer teuren Methode, weil der billigere Test, für den ich plädiere, leider noch nicht verfügbar ist im großen Stil. Und es ist mutig, weil er mal wieder vorangeht und jetzt die anderen Bundesländer und das Robert Koch-Institut natürlich reagieren werden.

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[0:02:57]

Camillo Schumann

Und vor allem die anderen Bundesländer unter Druck setzt. 200 Millionen Euro will Bayern dafür in die Hand nehmen oder wird geschätzt, wird das ganze Kosten. PCR-Tests, also sozusagen die relativ verlässliche Testvariante. Also müsste man da eigentlich in Bayern dann damit gut fahren?

Alexander Kekulé

Ich glaube ja, da darf man auch nicht aufs Geld schauen. Wenn man jetzt die Corona-Krise wirtschaftlich ansieht, dann sind ja 200 Millionen sozusagen Peanuts geworden. Früher war das mal viel Geld, und es geht ja hier um die Prophylaxe. Ich finde es immer ein Riesenunterschied, ob man viel Geld ausgibt, um irgendwelche Folgen zu reparieren oder halbwegs wieder geradezubiegen oder ob man wirklich Infektionen verhindert. Und darum geht es ja bei diesen Tests. Und wenn man das klug macht, ist das die richtige Maßnahme.

[0:03:42]

Camillo Schumann

Zum Beispiel Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow der war ja sehr, sehr skeptisch. Er hält nur Tests für alle, für wenig zielführend. Bei MDR Aktuell hatte heute Morgen am Dienstag 30. Juni, noch Folgendes gesagt. Wir hören mal kurz rein:

„Denn ein einfacher einzelner Test alleine nützt gar nichts. Er schafft tatsächlich oft falsche Sicherheitsgefühle, denn dieses Coronavirus hat schon eine gewisse Hinterhältigkeit. Man kann heute getestet werden, und möglicherweise trägt man es schon, und der Ausbruch kommt eine Woche später. Also muss man eine Strategie haben, die wirklich dauerhaft angelegt ist. Und das heißt es müssen Minimum drei Teste sein, damit wir über einen gewissen Zeitraum den Menschen begleiten, damit durch mehrfach Testung dann festgestellt wird, a) ob der Coronavirus zugeschlagen hat, b) ob er schon da war und Antikörper gebildet worden sind, dann entsteht Sicherheit.“

(Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen)

Mit dem Hinweis, dass sich die Menschen so oft testen lassen können, wie sie wollen hat

Söder seinen Kritikern, wie zum Beispiel Bodo Ramelow, ordentlich Wind aus den Segeln genommen und die Messlatte für andere ganz schön hoch gehängt, oder?

[0:04:50]

Alexander Kekulé

Ja, und die Kritik von Herrn Ramelow ist auch so ein bisschen, sage ich mal an der Stelle, durcheinander, zumindest in dieser Kurzfassung hier. Erstens darf man diese Antikörpertests nicht durcheinander bringen mit dem, was wir jetzt ja hier machen. Das heißt also Schnelltests, wo es darum geht, um die aktuelle Infektion, also Rachenabstriche. Zweitens ist es so ja, es gibt seltene Fälle, wo mal nach der Ansteckung es eine ganze Woche dauert, bis der Test positiv wird. Die normale Inkubationszeit ist fünf Tage. Und das wäre ja besonders dumm gelaufen, wenn man gerade an dem Tag, wo man sich gerade hat testen lassen, die Infektion abbekommt. Sodass man dann nach fünf Tagen einen Ausbruch hat. Das Szenario, was Herr Ramelow beschrieben hat, ist akademisch gesehen nicht falsch. Aber wir müssen ja auch mal in die praktische Situation gucken. Und praktisch ist es doch so, dass wir alle uns Mühe geben, die meisten Menschen geben sich Mühe, Infektionen zu vermeiden. Es kann aber immer mal wieder vorkommen, dass wir in die Lage versetzt werden, wo es einfach nicht anders ging, wo wir in der U-Bahn von jemand angehustet wurden oder in einer Veranstaltung waren, wo plötzlich ganz viele Leute keinen Gesichtsschutz aufhatten oder Ähnliches. Und dann haben wir ein mulmiges Gefühl. Wenn wir dann am nächsten Wochenende die Großeltern besuchen. Für solche Situationen, glaube ich, wo man eine individuelle Risikoabwägung macht und dann wirklich Risikobezogen testet – nicht einfach ins Blaue, sondern mit von der Person selbst gemachten Risikoabwägung sagt, jetzt lasse ich mich mal testen – ich glaube, das ist durchaus sinnvoll. Wenn der Test negativ ist – klar gibt es dann auch falsch-negative, das haben so Tests an sich – aber ich glaube, das ist jetzt epidemiologisch für die Gesamtbevölkerung gesehen ein Riesenfortschritt, wenn wir etwas Unsichtbares, eine unheimliche Gefahr hier sichtbar machen können für die Menschen. Sie haben etwas, was sie selber tun können, sind

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nicht zu so einer Passivität dem Virus gegenüber gezwungen. Und ich glaube, dass es dann in der Masse, wenn es oft angewendet wird, natürlich einen Effekt hat. Zum Beispiel wie der Ministerpräsident Söder richtig sagte, den, dass man die eine oder andere völlig unerkannte Infektionskette auf die Weise vielleicht entdeckt.

[0:06:56]

Camillo Schumann

Jetzt machen sich viele Menschen ja auch Gedanken und sagen Menschen: aber warum denn eigentlich nicht? Das könnte ich ja dann meinen Anspruch nehmen, so einen Test. Aber ein Test ist eigentlich keiner. Aber sie haben es eben auch gesagt, könnte auch falsch positiv oder falsch-negativ sein. Wie könnte denn so eine persönliche Teststrategie aussehen, wenn man jetzt nicht aufs Geld schauen muss?

[0:07:16

Alexander Kekulé

Ja, ich glaube, man muss zwei Sachen unterscheiden. Und das ist ja hier auch gesagt worden in dem Ausschnitt, den wir gehört haben, dass das in mehreren Stufen passieren soll. Also das Wichtigste ist: Ich glaube einfach nur zu sagen, Leute, ihr könnt euch jetzt testen wollen, der Lust haben, wir zahlen alles, das ist ein bisschen zu wenig. Ich glaube, dabei wird es nicht bleiben. Sondern hier ist es wichtig zu sagen wir haben erstens Situationen, wo wir das staatlich dringend empfehlen oder sogar vorschreiben. Da geht es zum Beispiel um den Personenschutz, Altenpflege, Krankenhäuser sind die Stichworte. Da wird er schon sehr viel gemacht. Aber ich glaube auch, da ist es wichtig zu sagen, dass zum Beispiel die Familien von Menschen, die in der Pflege oder im Krankenhaus arbeiten, ohne jeden Anlass sich einfach testen lassen sollen, weil man ja eine Risikoperson in der Familie hat. Zweitens gibt es bestimmte Risikobereiche, meistens beruflicher Art, bestimmte Gewerbe. Die fleischverarbeitende Industrie ist ein berühmtes Beispiel, es gibt aber auch andere Bereiche in der Logistik oder im öffentlichen Nahverkehr, wo man sozusagen beruflich für bestimmte Arbeitssituationen Vorschriften haben sollte. Da reicht es, glaube ich, nicht eine Empfehlung zu haben, weil für den

Arbeitgeber sonst immer kommerzielle Interessen auf der anderen Seite der Waagschale liegen. Dann gibt es bestimmte Risikobereiche wie Veranstaltungen. Wir wollen jetzt dahingehen, dass vielleicht wieder kulturelle Veranstaltungen mit ca. 50 Leuten oder 100 Leuten wieder zugelassen werden. Für solche Situationen ist die Empfehlung oder die Vorschrift von Tests durchaus sinnvoll. Und erst dann gibt es die allerletzte Stufe. Das ist die, wo man den Menschen sagt: Gut, wenn ihr zusätzlich zu diesen ganzen Dingen, wo auch Kitas und Schulen dazugehören, wenn man dann sagt okay, zusätzlich wollen wir jetzt euch die Möglichkeit geben, das auch in Einzelfällen selbst entscheiden. Da glaube ich, muss man so eine Handreichung machen. Da muss man einfach sagen, unter welchen Bedingungen sich die bayerische Landesregierung vorstellt, dass die Menschen sich testen lassen sollen. So nach dem Motto, dass nicht jeder Bauer, der irgendwo in Niederbayern den ganzen Tag auf dem Traktor rumfährt, sich zweimal am Tag testen lässt, weil er einfach nervös ist. Da muss man den Leuten schon eine Empfehlung, würde ich sagen geben. Ich glaube, die wird auch noch kommen.

[0:09:29]

Camillo Schumann

Das könnte ich mir auch gut vorstellen. Jetzt haben sie ja gerade den Anlass zum Testen selbst genannt. Großveranstaltung, auch da soll es ja in Bayern Veränderungen geben. Und zwar soll die Maskenpflicht bei Großveranstaltungen wegfallen. Das hat Markus Söder heute auch noch verkündet. Und er hat auch im Interview vorher gesagt, man kann die Kultur dann eine Stunde oder eineinhalb Stunden, je nachdem, wie das Ganze dann konzipiert ist, ohne Maske genießen. Beim Hineingehen und dem Umfeld etwa im Garderobenbereich gelte die Maskenpflicht allerdings weiter und sei auch sinnvoll. Also jetzt hat man ja quasi neuen Tatbestand geschaffen, wo man sich anstecken kann. Also ist der Wegfall der Maskenpflicht bei Großveranstaltungen, kulturellen Großveranstaltungen, aus ihrer Sicht eine gute Entscheidung?

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[0:10:17]

Camillo Schumann

Bei diesem Beschluss bin ich nicht so ganz der Meinung des bayerischen Kabinetts. Ich stelle mir so eine Theatersituation vor, wo viele Menschen im Saal sitzen und zuschauen oder zuhören. Da haben wir natürlich Menschen, die relativ lange da sitzen. Und wenn da einer dabei ist, der Covid-19-positiv ist und das Virus in großer Menge zufällig gerade ausscheidet, vielleicht auch ohne es zu merken. Husten sollte man im Theater ja sowieso nicht – aber vielleicht scheidet er aus anderweitig aus. Und dann glaube ich, dass das schon eine Gefahr ist, dass so ein Superspreading-Event passiert. Also ich würde sagen Großveranstaltungen oder Veranstaltungen mit vielen Menschen in geschlossenen Räumen sind nach wie vor etwas, wo ich dringend für die Maskenpflicht weiterhin wäre. Ich hoffe, dass das noch einmal überdacht wird in der Staatskanzlei in München, bevor das in Gesetz gegossen wird.

[0:11:11]

Camillo Schumann

Einige Bundesländer haben schon gesagt, um auf die Tests zurückzukommen, nein, wir führen jetzt keine Tests für alle und jedermann ein. Andere sagen: Ja, wir werden möglicherweise nachziehen. Wie würden Sie das handhaben? Was wäre ihre Empfehlung? Würden Sie es begrüßen, wenn andere Bundesländer nachziehen würden?

[0:11:28]

Alexander Kekué

Der einzige limitierende Faktor ist die Kapazität. Wir müssen natürlich sicherstellen, dass in jeder Lage erstens die Menschen, die krank sind, zuerst getestet werden. Zweitens Menschen, die aus gesetzlichen Gründen sich testen lassen müssen oder in den besonderen Risikobereichen arbeiten usw., dass die natürlich genug Tests haben. Auch dass die Gesundheitsämter bei der Nachverfolgung die Menschen testen können. Aber wenn man genug Kapazität hat – und ich bin dringend dafür, die noch weiter hochzufahren, als sie jetzt schon ist – dann ist es eben sinnvoll, dass die Menschen auch individuell ihr individuelles Risiko beurteilen und danach die Tests machen können. Und deshalb ist es auf jeden Fall

sinnvoll, das in Deutschland insgesamt hochzufahren. Und Bayern sollte hier als Beispiel gesehen werden und meines Erachtens jetzt nicht bekämpft werden, dass es diesen Vorschlag gemacht hat.

[0:12:18]

Camillo Schumann

Ich hatte nach der persönlichen Teststrategie vorhin gefragt. Da haben Sie gesagt, dass jetzt die Behörden vielleicht so eine Handreichung erarbeiten sollten, wann in welchen Fällen? Wann in welchen Fällen würden Sie denn empfehlen, sich testen zu lassen?

[0:12:34]

Alexander Kekulé

Wichtig ist eben, dass man, wenn man das individuell macht, das auch wirklich proaktiv, aber aufs Risiko bezogen macht. Also nicht einfach ins Blaue. Eigentlich gibt es drei Kategorien, wenn es der Bürger jetzt wirklich selber entscheidet, wann er das machen sollte. Erstens bei jeder Art von Symptomen. Da kann man wirklich großzügig sein, insbesondere bei Kindern, wenn die Symptome haben, lieber einmal mehr testen als einmal weniger, bevor man sie in die Kita oder Ähnliches gibt. Zweitens nach jedem möglicherweise gefährlichen Kontakt. Und zwar frühestens fünf Tage danach. Wegen der Inkubationszeit am besten genau fünf Tage danach. Zum Beispiel, wenn man einen möglichen Kranken in seiner Umgebung hatte. Das muss ja kein Covid- Patient sein. Es reicht, wenn man merkt, der Nachbar hustet mich ständig im Treppenhaus an. Ich weiß nicht genau, woran es liegt. Ich traue mich nicht, ihn zu fragen. Da kann man sich ja mal sicherheitshalber testen lassen. Oder wenn man in einem engen Raum war, mit vielen Menschen und es nicht vermeidbar war, dort ohne Maske zu sein. So etwas kommt ja manchmal vor. Es ist ja leider auch so, dass es Menschen gibt, gerade in Großstädten in Deutschland, die nehmen das Thema absolut nicht ernst. Und wenn man mit solchen dann, ob man es will oder nicht mal zusammen war, dann finde ich die Möglichkeit, sich ein paar Tage später testen zu lassen durchaus sinnvoll. Oder auch wenn man eben Mannschaftssport oder ähnliches macht. Und die dritte Kategorie ist, bevor man Kontakt hat mit einer besonders

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gefährdeten Person, zum Beispiel Menschen über 70 Jahre. Wenn ich weiß, ich habe mit denen Kontakt, dann kann man sich ein, zwei Tage vorher testen lassen. Aber das alles ebenso ein bisschen mit Blick auf die Frage, was habe ich in der letzten Woche so gemacht? Wenn man sowieso nur im Büro war und quasi nur mit Leuten zusammen war, wo man ziemlich sicher ist, dass die ein nicht angesteckt haben, dann muss man sich natürlich nicht testen. Aber ich glaube, wir sind in Deutschland inzwischen schon so gut, dass wir unser individuelles Risiko und bisschen einstufen können. Und deshalb finde ich das eigentlich ganz richtig, dass Bayern hier sagt, wir überlassen es auch ein Stück weit der Bevölkerung selbst.

[0:14:29]

Camillo Schumann

Mit diesen Tests, jetzt haben sie ein paar Kriterien genannt, will man ja in den Bundesländern auch besser auf eine mögliche zweite Welle vorbereitet sein. Nun gibt es auch darüber, ob es überhaupt eine zweite Welle im Herbst geben wird, von den Experten recht unterschiedliche Bewertungen. Der Virologe Christian Drosten hat gesagt, in zwei Monaten werden wir ein Problem haben, wenn wir nicht jetzt wieder alle Alarmsensoren einschalten. Der Virologe Hendrik Streeck glaubt nicht an eine zweite Welle, dafür an eine kontinuierliche Welle, die immer wieder hoch und runter geht. Eine Dauerwelle hat er das Ganze genannt. Ende April haben Sie gesagt, Herr Kekulé, wenn wir wachsam bleiben, können wir eine zweite große Welle verhindern. Wie schätzen Sie es aktuell ein? Wenn sich jetzt alle testen lassen, gibt es auch keine zweite Welle?

[0:15:16]

Alexander Kekulé

Ja, das ist ein bisschen die Frage, wie man eine Welle definiert. Also erstens ist das alles Spekulation. Das ist ja klar. Aber zweitens geht es um die Frage, wie groß ist das Risiko im Herbst? Es ist ganz sicher, dass die Infektionswahrscheinlichkeit im Herbst zunimmt, dass ist die Eigenschaft des Virus. Da ist man stärker gefährdet auf Infektionen. Da können wir nicht mehr die Sache so locker

nehmen wie jetzt. Und das Gemeine ist, wir sind dann in Räumen. Was würde dann passieren? Wir werden dort einzelne Ausbrüche haben, in bestimmten Situationen, so wie wir es jetzt hatten. Hoffentlich nicht so schlimm wie bei Tönnies, aber ich sag mal, so Modell Tönnies. Das würde ich jetzt keine Wellen nennen, weil Sie lokal begrenzte Ausbruchsgeschehen haben, die immer wieder aufflammen. Und eine Welle wäre es dann, wenn Sie wirklich auf wahnsinnig viele Fälle wieder kommen. Ich würde hoffen, dass wir das eben, so habe ich das damals gemeint, verhindern können, indem wir die lokalen Ausbrüche immer sehr schnell erkennen – am besten im Vorfeld verhindern durch Testung. Das haben wir gerade besprochen und natürlich auch durch Prophylaxe verhindern. Und wenn wir sie sehr schnell erkennen und die Menschen in Quarantäne und Isolierung kommen, dann gibt es eben in dem Sinn keine Welle. Weil wir keinen bundesweit verbreiteten Riesenanstieg von Zahlen haben. Aber ich bin deshalb schon immer gegen diesen Ausdruck mit dieser „Welle“. Das erinnert an diese Reproduktionszahl R. Da haben Sie so eine Pauschale, die über das ganze Bundesgebiet gelegt ist und die im Grunde genommen die Realität nicht richtig abbildet, weil wir ja eigentlich einzelne Ausbruchsgeschehen haben, die wir begrenzen müssen.

[0:16:49]

Camillo Schumann

Und jetzt noch einmal nachgefragt: Ihre Kollegen, ich habe es eben gesagt, was sie zu dieser möglichen zweiten Welle, auch wenn man es vielleicht nicht so nennen sollte, gesagt haben. Herr Streeck sagt Dauerwelle, immer mal hoch, mal runter. Herr Drosten ist auch sehr vorsichtig. Wie würden Sie das sozusagen auf so einen Nenner bringen?

[0:17:09]

Alexander Kekulé

Auf einen Nenner ist es so, wenn wir ... Wir sind jetzt in einem Szenario, wo wir eigentlich nur wenige einzelne Ausbrüche haben. Wenn wir wachsam bleiben, kontinuierlich und vor allem im Herbst und noch einmal besonders anstrengen. Und wenn wir diese

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Testkapazitäten ganz massiv hochfahren und zwar bundesweit, dann können wir verhindern, dass es eine echte zweite Welle gibt, sondern dann werden es einzelne Ausbrüche sein. Ich weiß jetzt nicht, hat dann Streeck mehr Recht oder Drosten. Ich scheue mich ein bisschen, über Kollegen sozusagen eine Meinung abzugeben. Aber ich glaube, die Vorsicht ist uns allen gemeinsam. Und jeder versucht es nur in andere Worte zu fassen, dass man jetzt nicht einfach die Hände in den Schoß legen und sagen soll: Corona ist vorbei, wir machen weiter wie vorher.

[0:17:53]

Camillo Schumann

Hier geht es auch gar nicht ums Recht haben, sondern ums bewerten der Situation. Und da teile ich Ihre Einschätzung, dass man es versucht, in Worte zu kleiden, dass man eben genau, was sie eben gesagt haben, dass die Gefahr nach wie vor da ist, und dass man ja die Antennen immer auf Empfang haben sollte. Ob es eine zweite Welle gibt, Sie haben es ja schon gesagt, ob solche Satellitenausbrüche wieder geben wird, das hängt da eben genau davon ab, wie zum Beispiel so einen Ausbruch wie beim Fleischverarbeiter Tönnies. Und da scheint man im Landkreis Gütersloh und in Warendorf noch mal Glück gehabt zu haben. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat am Montagnachmittag Folgendes gesagt. Wir hören mal rein:

„Es ist uns durch unsere sehr schnellen Eindämmungsmaßnahmen gelungen, das Infektionsgeschehen örtlich zu begrenzen und ein Überspringen zu vermeiden. Im Kreis Warendorf ist kein Eintrag des Virus in die Bevölkerung festzustellen, im Kreis Gütersloh nur ein leichter Eintrag.“

(Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident)

So, wir machen es gleich mal konkret. Wie wirken so diese Aussagen von Herrn Laschet auf Sie?

Alexander Kekulé

Ich merke, ganz ehrlich gesagt in dieser Situation – und das ist aber nicht speziell gegen Herrn Laschet – es ist einfach so, dass Politiker immer versuchen, erstens alles, was die Politik macht, als Erfolg hinzustellen. Hier waren sehr

schnelle Maßnahmen erfolgreich. Da könnte man natürlich auch umgekehrt sagen, warum sind so viele Mitarbeiter bis heute nicht gefunden worden? Und man weiß gar nicht, wo die sind, die da positiv waren. Und einerseits versucht man es immer so schön darzustellen. Ich weiß jetzt nicht, ob die Bevölkerung in so einer Lage, wo es ja um harte Fakten geht, immer diese reine politische Bewertung, immer so toll findet. Das andere ist ja ganz konkret: Faktisch steckt da jetzt natürlich nicht so viel dahinter. Wir haben die Situation, dass über 100 Fälle, wenn die Zahlen stimmen, jetzt ganz konkret in Gütersloh ohne Bezug zu Tönnies positiv sind. Und ich weiß natürlich nicht, was die meinen, mit „ohne Bezug zu Tönnies“. Wenn das jetzt Fälle sind, wo man nicht einmal weiß, dass ein Tönnies- Mitarbeiter irgendwie Kontakt mit denen hatte, direkt oder indirekt, dann sind es ja neue Initialfälle. Das heißt also, Menschen, die keine Ahnung hatten, dass sie möglicherweise positiv sein könnten. Und da sind über 100 Fälle bei einem Landkreis mit 300.000 Einwohnern natürlich schon ganz schön viel. Und das ist ja nur der Teil, der detektiert wurde. Also daher wäre ich ein bisschen vorsichtig, jetzt gleich Entwarnung zu geben. Zumal es ja politisch hochbrisant ist. Die Menschen wollen ja verreisen. Dort haben gerade die Ferien angefangen. Die verlassen sich jetzt auch auf diese Tests, die dort gemacht werden, bevor sie irgendwohin reisen in einer Situation, wo sie sich möglicherweise erst gerade eben angesteckt haben könnten. Also ich wäre da vorsichtig zu sagen, wir haben es geschafft, und unsere Maßnahmen waren da sehr erfolgreich, und deshalb könnt ihr euch jetzt alle wieder entspannen.

[0:20:54]

Camillo Schumann

Um es auch von meiner Seite noch konkret zu machen. Was in so einer Situation immer gern genommen wird, ist die 7-Tage-Inzidenz. Die sogenannte 7-Tage-Inzidenz liegt im Kreis Gütersloh mit Tönnies-Mitarbeitern, Stand heute Dienstag 30. Juni, bei 86 pro 100.000 Einwohnern, damit das erste Mal auch wieder zweistellig seit den vergangenen Tagen. Im Landkreis Warendorf lag der Wert bei 14. Wie gesagt, in dieser Zahl sind die Tönnies-

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Mitarbeiter reingerechnet. Rechnet man sie raus, kommt man laut Armin Laschet auf diese Zahlen:

„ ... wir haben Bevölkerungstests im Kreis Gütersloh 14.321. 3.007 Befunde stehen noch aus. Ganz wenige Fälle positiv. Und die 7-Tage- Inzidenz beträgt für den Teil der Bevölkerung, der nicht bei Tönnies arbeitete 22,5. Im Kreis Warendorf haben wir 8.841 Testungen. Hier ist im gesamten Kreis die 7-Tage-Inzidenz bei der sonstigen Bevölkerung im Kreis Warendorf 5,4 %.“ (Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident)

[0:22:13] Das hört sich doch so an, als ob das Virus nicht sonderlich auf die Bevölkerung übergesprungen ist? Oder?

Alexander Kekulé

Ich habe mir, weil das gerade eine große Diskussion ist, das wirklich genauer angesehen auf der Webseite dort vom Gesundheitsamt in Gütersloh. Dort heißt es immer „Fälle mit Bezug zu Tönnies“. Heißt das jetzt Mitarbeiter von Tönnies? Oder sind da vielleicht schon die mitgezählt, die eigentlich nur bekannte Kontaktpersonen waren? Und jetzt weiß ich nicht, ob der Ministerpräsident in Nordrhein- Westfalen sich jetzt bezogen hat darauf, auf diese Zahl des Gesundheitsamts „mit Bezug zu Tönnies“, weil er sagt er ja jetzt ausdrücklich „Mitarbeiter von Tönnies“, das ist was anderes. Scheinbar hat der, wenn er das wörtlich meint, Zahlen, die sonst nicht bekannt sind. Oder er hat es vielleicht ein bisschen falsch ausgedrückt. Der Bezug zu Tönnies ist ganz was anderes. Weil, wenn Sie, so viele Fälle haben, 1.500, und da vielleicht ein paar dabei sind, die gar nicht unmittelbare Mitarbeiter waren, dann ist das eine ganz andere Situation. Wie gesagt, wenn das, wenn die Fälle die 100 Fälle außerhalb von Tönnies wirklich ohne jeden Bezug zu Tönnies waren, dann hieße das ja, dass wir durchaus ein Ausbruchsgeschehen dort in Gütersloh haben. Ja, und diese Zahl bezogen auf die auf die 100.000. Da hat er natürlich Recht. Sie können natürlich jetzt schlecht so 7-Tages-Werte bezogen auf 100.000 nehmen, wenn sie in einem Ausbruch so wahnsinnig viele Fälle hatten, die ja auch schon bekannt sind und die nachverfolgt sind

und wo die Menschen entweder in Quarantäne sind oder weg über alle Berge. Das ist ja dieses Stichwort „Initialfälle“, für das ich auch schon sehr lange plädiere, dass man eben wegkommt davon, bei diesen Ausbrüchen immer jeden Fall einzeln zu zählen bei der Beurteilung des Ausbruchsgeschehens insgesamt.

Camillo Schumann

Also mit anderen Worten diese 7-Tage- Inzidenz ist in diesem Fall eigentlich völlig irrelevant.

Alexander Kekulé

In diesem Fall, einschließlich der Tönnies- Mitarbeiter, ist die 7-Tage-Inzidenz nicht relevant. Da hat Herr Laschet natürlich Recht. Für die konkrete Bewertung der Situation muss man sich sagen: Da sind 10.000, 11.000 Tests gemacht worden bei 360.000 Einwohnern. Wenn da wirklich die Richtigen getestet wurden und ganz geschickt wirklich ganz viele Menschen getestet wurden, die konkreten Kontakt oder indirekten Kontakt zu Tönnies- Leuten hatten, wäre das eine Zahl, die mich beeindrucken würde, wenn da nur wenige positiv waren. Aber mein Verdacht ist eher der, wir wissen, dort sind Testzentren eingerichtet worden für Leute, die in Urlaub fahren wollen. Und es gab ja Einreisesperren in Mecklenburg- Vorpommern und in Bayern. Höchstwahrscheinlich würde ich jetzt mal mutmaßen waren das viele Leute, die sich nur deshalb haben testen lassen, weil sie einfach das Zertifikat brauchten. Und das hat natürlich dann überhaupt nichts mit epidemiologischer Indikation zu tun. Sondern das waren mehr oder minder willkürlich getestete Personen. Und dann ist 11.000 wiederum kein Polster, auf den man sich ausruhen kann.

[0:25:10]

Camillo Schumann

Es bleibt sehr spannend, was diesen Massen- ausbruch und v.a. die Auswertung angeht. Wir bleiben dran und werben Podcast sicherlich, das eine oder andere Mal noch darüber berichten. Sie haben anfangs gesagt, als das alles losging: Das ist ein Ausbruch für die Geschichtsbücher. Und wenn man den Verlauf

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sich so anschaut, hat man den Eindruck, Sie haben absolut Recht.

[0:25:30]

Alexander Kekulé

Ja, das ist so. Vor allem, weil natürlich, das muss man ganz klar sagen. Es hat zwei Komponenten. Ich darf ja auch oft mit Kollegen im Ausland sprechen. Und die amüsieren sich natürlich wie „Bolle“, dass so etwas in Deutschland passiert ist. Nach dem Motto: „Was? Und ihr habt das vorher nicht bemerkt dort? Über 1.500 Leute in so einer Fabrik, das kann ja wohl nicht sein“. Das ist ein gewisses ... Ich möchte es nicht Schadenfreude nennen. Aber da fühlt man sich natürlich dann, wenn man in einem Land mit einem schlechteren Gesundheitssystem ist als Deutschland, fühlt man sich irgendwie wohl, wenn man merkt, dass diese perfekte Deutschen auch mal einen Fehler machen.

[0:26:00]

Camillo Schumann

So weit zu den aktuellen Meldungen. Hier im Podcast schauen wir auch immer auf interessante aktuelle Studien. Zwei wollen wir noch besprechen. Eine Abwasserstudie aus Spanien und eine europäische Studie zu Kindern.

Fangen wir mit der Kinderstudie an. Bisher war es sehr, sehr schwer zu sagen, wie Kinder auf SARS-CoV-2 wirklich reagieren. Die Datenlage war sehr, sehr dünn. Wir haben schon häufig im Podcast hier darüber gesprochen. Nun sind europaweit 582 positiv auf Corona getestete Kinder im Alter von 3 Tagen bis 18 Jahren untersucht worden. Daten aus insgesamt 82 Gesundheitszentren aus 25 europäischen Ländern wurden ausgewertet. Man kann erstmal so grundsätzlich sagen, so eine umfassende Analyse in Bezug auf Kinder gab es noch nie. Oder?

[0:26:42]

Alexander Kekulé

Nein, so ausführlich ist es noch nicht analysiert worden. Die Autoren der Studie, da waren also führend Kinderärzte aus Wien und Madrid. Aber ganz viele andere haben eben auch mitgemacht. Das war ein Netzwerk, was es schon gab, wo man ein Tuberkulose-

Medikamente getestet hat bei Kindern. Und da es dieses europäische Netzwerk schon gab, hat man gesagt: Also jetzt schaut doch mal nach, welche Kinder ihr hattet, die Covid-19 positiv waren, und jeder konnte da Kinder melden. Also alles, was unter 19 war, war zulässig in dieser Studie. Und dann hat man die Daten dort ausgewertet.

Camillo Schumann

Welche Ergebnisse überraschen Sie am meisten?

Alexander Kekulé

Also richtig überraschend ist das nicht, weil es sich eigentlich vollkommen deckt mit dem, was vorher aus größeren chinesischen Studien schon klar war. Hier ist es so, dass man von diesen Kindern insgesamt 62 % hatte, die im Krankenhaus waren. Das ist eine relativ hohe Quote, also nicht relativ, sondern sehr hohe Quote. 8 % der Kinder, die da mitgemacht haben oder die eingeschlossen wurden, mussten sogar auf die Intensivstation. Das ist eine Quote, die man sonst eigentlich fast bei Erwachsenen kennt. Sonst sagen wir so 10-

15 % bei Erwachsenen und 4 %, die Hälfte von denen, die auf die Intensivstation mussten, wurden dann auch noch beatmet. Und das ist im Grunde genommen schon die Aussage darüber, welche Grenzen diese Studie hat. Es ist ja klar, das war nur Zentren, die also Lungenspezialärzte waren oder Spezialstationen für Infektionskrankheiten, weil das eben diese Tuberkulose-Studien-Leute waren. Und das waren dann Krankenhäuser der maximalen Versorgung. Das heißt also solche, wo man erst hinkommt in ein Spezialkrankenhaus, wenn man so in einem Wald-und-Wiesen-Krankenhaus nicht weiter gefunden hat. Darum haben die natürlich ein Patientenkollektiv gehabt. Das räumen sie auch selber in der Studie ein, was man überhaupt nicht vergleichen kann mit der Normalbevölkerung in Europa. Und deshalb ist im Grunde genommen die Tatsache, dass bei denen am Schluss 0,7 % gestorben sind von den Patienten eigentlich keine belastbare Aussage. Weil, das heißt, 0,7 % von denen sind gestorben, die eine besonders schwere Erkrankung hatten und die von vornherein in einen Spezialzentrum gekommen sind. Auf die

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Gesamtbevölkerung kann man daraus leider keine Aussage treffen.

[0:28:53]

Camillo Schumann

Wie würden Sie es bewerten? Weil so was wird er immer ganz gerne gemacht. Das geht dann durch die Medien, und man kann es selber als Laie nicht bewerten. Wie würden Sie es bewerten? Eigentlich Entwarnung oder vielleicht doch Obacht, da ist etwas, was wir beobachten müssen?

[0:29:08]

Alexander Kekulé

Die Autoren selber liegen Wert drauf. Und das ist vielleicht die eine Nachricht, die man mitnehmen kann, dass hier in einzelnen Fällen, auch bei kleinen Kindern – sogar Einjährigen zum Teil – wirklich schwere Verläufe gibt. Aber eben keine Todesfälle oder nur ganz wenig Todesfälle. Das heißt, wir müssen uns von der Intensivkapazität schon darauf einstellen. Und das sagen sie hier zurecht, dass wir in einzelnen Fällen auch Intensivbetten für Kleinstkinder brauchen, ohne dass irgendeine Änderung der bisherigen Aussage ist. Und die bisherige Aussage ist: Von den Kindern unter 19 Jahren weltweit gesehen, stirbt weniger als 1 von 1.000, also eine extrem geringe Sterblichkeit, die im Bereich der normalen Grippe liegt, der normalen Influenza liegt. Und daran hat sich überhaupt nichts geändert hier, außer dass man eben in einzelnen Fällen ausnahmsweise auch schwere Verläufe sieht. Das wäre eigentlich meine wichtigste Konsequenz. Man muss auch dazu sagen ich habe mir das mal angesehen, wo diese insgesamt 582 Patienten, die man da untersucht hat, herkamen. Und die meisten kamen eben aus Italien, Spanien und Großbritannien, und zwar mitten in der Zeit des hauptsächlichen Ausbruchs. Als hier die allermeisten Fälle in Europa waren. Und da ist natürlich klar erstens da kamen nur schwerste Fälle sowieso ins Krankenhaus, weil die Krankenhäuser überlastet waren. Und zweitens waren die Testkapazitäten in diesen Ländern überfordert, sodass man auch nur solche Fälle getestet hat, die besonders starke Symptome hatten. Also aus all diesen Gründen, sage ich mal, es bleibt dabei: Kinder sind, wenn

sie mal krank werden, wesentlich weniger gefährdet als Erwachsene. Und wir wissen aber, dass wir in einzelnen Fällen natürlich auch mal eine Intensivstation brauchen und selbst dann überleben es die Kinder in der Regel.

[0:30:51]

Camillo Schumann

Also die Risikobewertung bleibt gleich. Kommen wir zur Abwasserstudie aus Barcelona. Mehrere Studien bestätigen, dass SARS-CoV-2 ab November, spätestens Dezember 2019 in Europa zirkulierte. Nun haben spanische Wissenschaft in eingefrorenen Abwasserproben der Stadt Barcelona, und zwar vom März 2019, das Virus nachgewiesen. Das deutet darauf hin, so die Wissenschaftler, dass das Virus schon lange vor jedem Bericht über einen Covid-19-Fall weltweit zirkulierte. Als sie das so gelesen haben, was haben Sie da so gedacht?

[0:31:29]

Alexander Kekulé

Ich habe gedacht, das ist ein Tippfehler, das heißt 2020. Das war wirklich mein erster Gedanke.

Camillo Schumann

Das kann ich bestätigen.

Alexander Kekulé

Wir haben es ja auch vorher kurz diskutiert, ob das eine Möglichkeit ist. Also, das ist wirklich erstaunlich. Ich nehme mal dieses 2019 raus. Also da können wir vielleicht am Schluss ein Wort darüber verlieren. Also erstens die Studie ist jetzt schon am 13. Juni rausgekommen. Und es ist so, bei zwei großen Abwasseranlagen in Barcelona hat man in der Zeit vom 13. April bis 25. Mai, also in der Hochzeit der spanischen Corona-Epidemie wirklich einmal die Woche eine Wasserprobe gezogen, vom Zulauf natürlich. Und hat es untersucht und herausgefunden, dass relativ häufig des Virus vorhanden war. Und man hat auch einen richtigen Anstieg bemerkt. Also man hat gesehen, wenn die Fallzahlen in der Stadt zunehmen, dann nimmt proportional auch das Virus im Abwasser zu. Natürlich ein bisschen zeitlich verzögert, und hinterher verschwindet

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es dann wieder, wenn es kaum noch Fälle gibt. Das ist eine wichtige und gute Studie. Weil man daran sieht, dass diese Methode, die man schon länger im Auge hatte, dass man Abwasser untersucht, um zu gucken, gibt es denn das Virus überhaupt in der Stadt, als so eine Art Frühwarnsystem, dass das scheinbar funktioniert. Das Virus wird ja über den Stuhl ausgeschieden, ist dann wohl nicht besonders infektiös. Aber man kann noch, wenn ich mal so sagen darf, die toten oder inaktiven Viren im Abwasser nachweisen. Also dieser Teil ist meines Erachtens sehr, sehr erfolgsversprechend, vor allem, wenn man die Zukunft gucken. Vielleicht sind wir in Europa und in Deutschland bald so weit, dass wir nur noch ganz, ganz wenige Ausbrüche haben, die wir früher erkennen wollen. Dann kann man auch mal im Abwasser nachgucken.

Camillo Schumann

So, März 2019.

Alexander Kekulé

Und dann März 2019. Dann haben sie gesagt, jetzt gucken wir doch mal die ganz alten Proben, die wir noch im Tiefkühler haben, an. Und dann sind sie bei einer einzigen Probe, alle anderen waren negativ, da sind sie fündig geworden, und zwar vom 12. März 2019. Da fängt natürlich der Virologe an, so ein bisschen mäkelig bei der Technik zu werden. Die haben diesen Nachweis gemacht mit einem bestimmten PCR-Methode mit einer Nachweismethode, die ganz bestimmte Regionen dieses Virus nachweist. Das ist eine Methode vom Institut Pasteur in Paris, die sonst eigentlich selten verwendet wird. Für die Leute, die Spaß daran haben, die heißen IP2 und IP4, was auch immer das ist.

Camillo Schumann

Ist dieses Testverfahren besonders sicher oder besonders lasch?

Alexander Kekulé

Das ist eben besonders wenig verglichen mit anderen Tests. Das ist nicht schlecht. Pasteur ist natürlich eine super Adresse. IP kommt, glaube ich vom Institut Pasteur in Paris. Auch das testet einen Teil des Virus, die sogenannte Polymerase. Das ist der Teil, der für die

Vermehrung des Virus eigentlich wichtig ist. Wir haben aber typischerweise, wenn wir jetzt solche klassischen Coronavirus-Tests machen, haben wir eigentlich drei andere Bereiche des Virus, die wir da normalerweise verwenden. Die neueren Tests, also die von diesem Jahr, die haben sie bestätigt, mit anderen Verfahren, wo andere Bereiche des Virus noch einmal untersucht werden. Sodass ich sagen würde bei diesem neuen Test, bezogen auf die Welle 2020, ist alles in Ordnung. Nur bei diesem alten Test ausgerechnet da steht nicht drin, wie oder ob sie das irgendwie bestätigt hätten mit einer anderen Methode. Sodass ich sagen würde, da ist eine Riesen-Fragezeichen bei der Methode, das müssten die erst noch einmal nachliefern. Und da das aber in der Arbeit nicht steht und auch bis jetzt die es jetzt schon zwei Wochen als Preprint übrigens – das muss man hier auch noch einmal dazu sagen als nicht kontrollierte Studie – im Internet. Da würde ich mal abwarten, ob sich das bestätigt. Also wenn ich da jetzt der Gutachter wäre, wenn ich das hier sage, kriege ich es auf keinen Fall auf den Tisch.

Camillo Schumann

Gerade vielleicht.

Alexander Kekulé

Nein, da bin ich befangen, da sind die Journals ganz streng. Also wenn ich der Gutachter wäre, dann würde ich sagen, das müsst ihr mindestens nachliefern. Sonst könnt ihr so eine steile These hier nicht aufstellen. Weil, dass das Virus schon ein Jahr vorher in Barcelona vorhanden gewesen wäre und man nichts bemerkt hat davon – naja, also wir wissen nicht, wie die Geschichte weitergeht. Ich würde das jetzt erst mal in den Bereich der extremen Spekulationen setzen.

[0:35:43]

Camillo Schumann

Okay, also der Vergleichstest fehlt. Barcelona sei ein Handels- und Geschäftszentrum sowie ein Ort, an dem viele große Veranstaltungen stattfinden, die Besucher aus aller Welt anziehen. Nichtsdestotrotz ist es wahrscheinlich, dass ähnliche Situationen mit der unbemerkten Zirkulation von Covid-19-Fällen in verschiedenen anderen

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Teilen der Welt aufgetreten sein können, sagen die Wissenschaftler dieser Studie. Das heißt, man müsste doch eigentlich mal schauen, wie war es im März 2019 oder um diese Zeit in Berlin, Paris, Moskau und das dann mal vergleichen.

[0:36:15]

Alexander Kekulé

Ja, ich weiß nicht, ob da überall Wasserproben da sind. Wasserproben sind auch nicht so toll, um so ein Virus nachzuweisen. Weil das wird, degradiert abgebaut. Und die Tests sind dann hinterher eben störanfälliger. Mich interessiert viel mehr eine ganz andere Art von Proben. Und zwar haben wir doch in allen Labors in Europa oder eigentlich weltweit sogenannte Rückstellproben. Das sind Serumproben von Menschen, die aus welchem Grund auch immer untersucht wurden. Wir in Halle heben die typischerweise drei Jahre lang auf, je nachdem wie viel Kapazität für im Tiefkühler haben. Und das ist allgemein üblich, 2-3 Jahre Rückstellproben aufzuheben. Die würden mich natürlich interessieren, zum Beispiel für die Zeit September 2019, Oktober, November. Also bevor das in China offiziell dann losgegangen ist. Da könnte ich mir schon vorstellen, es gibt ja auch so ein Beispiel aus Frankreich, wo mal in so einer Probe was gefunden wurde. Da könnte ich mir schon eher vorstellen, dass man feststellt, dass da einzelne Patienten, ohne es gemerkt zu haben, tatsächlich positiv auf Covid-19 waren. Da würde man dann einfach ein Antikörpertest machen. Und der ist inzwischen ja auch ganz zuverlässig. Das wäre eher interessant und wäre viel spezifischer, weniger fehleranfällig als jetzt im Abwasser was zu suchen. Vielleicht noch ein Wort zu der Spekulation der Autoren bei dem Abwassertest. Jetzt nehmen wir mal an, es wäre wirklich so, dass irgendwelche Reisenden aus China zum Beispiel im März 2019 das Virus nach Barcelona eingeschleppt hätten. Dann wäre es doch trotzdem nur eine Handvoll Menschen gewesen. Und das würde man im Abwasser einer Großstadt dann überhaupt nicht feststellen können, so eine kleine Menge. Das heißt, hier würde das für mich schon quantitativ nicht passen.

[0:37:52]

Camillo Schumann

Wir sind gespannt, wie dann die Studie gegengecheckt wird. Wir werden Sie, lieber Hörer, hier im Podcast hier auf dem Laufenden halten. Ich bin selber sehr, sehr gespannt. Wer weiß, vielleicht sind wir da etwas ganz Großem auf der Spur, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Die Möglichkeit gibt es immer.

Camillo Schumann

Wir kommen zu den Hörerfragen. André S. hat gemailt:

„Professor Kekulé vermutet ja, dass die kalten und trockenen Bedingungen in den Schlachthöfen einer Verbreitung des Virus zuträglich sind. In vielen Artikeln und Publikationen wird aber von kalt und feucht geredet. Ist jetzt Trockenheit oder Feuchtigkeit besser für das Überleben des Virus? Viele Grüße.“

[0:38:30]

Alexander Kekulé

Das kommt ein bisschen darauf an. Wenn das Virus auf einer Oberfläche ist, Stichwort „Schmierinfektion“. Dann muss es irgendwie feucht gehalten werden, weil wenn das austrocknet, ist es hin. Wenn das Virus aber durch die Luft fliegt, dann ist es so, dass die ausgeatmeten feinsten Tröpfchen, die wir ja beim Sprechen ausatmen, und in diesen Schlachthöfen muss man wahrscheinlich, wenn man spricht, relativ laut sprechen, weil ständig die Generatoren oder diese Kühlaggregate laufen, die fliegen dann raus. Und die müssen dann verdunsten, weil sonst würden sie zu Boden fallen. Und dieser Verdunstungsprozesses findet am besten statt bei trockener Luft. Und das hat man aber meines Wissens in solchen Kühlanlagen typischerweise, weil durch den Kühlprozess die Luft eigentlich von relativ trocken ist, die da drin ist.

Camillo Schumann

Also Trockenheit und weniger Feuchtigkeit?

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Alexander Kekulé

Trocken und kalt ist zumindest das Paradigma, was wir seit vielen, vielen Jahren haben. Diese ganzen Untersuchungen sind ja hauptsächlich mit Influenza gemacht worden. Und da gibt es Daten seit mindestens zehn Jahren, etwas länger sogar schon, die auch nach der Influenza-Pandemie von 2009 noch einmal aufgefrischt wurden. Und da ging es dann letztlich immer auf die Formel raus, es kommt auf die absolute Luftfeuchtigkeit an, da muss die Luft trocken sein und sie soll kühl sein. Das ist die beste Kombination, um die Viren zu halten. Ob das jetzt bei Tönnies der entscheidende Faktor war oder ob es andere Faktoren waren, das wissen wir nicht. Aber man muss ja auch andersherum sagen, wir haben jetzt den Hinweis, dass es sehr häufig in Kühlhäusern oder unter gekühlten Bedingungen ausgebrochen ist. Da würde ich jetzt nicht warten, bis der letzte akademische Beweis angetreten ist, sondern sicherheitshalber alle Arbeitsbereiche des täglichen Lebens mir mal anschauen, wo es ähnlich ist – da gibt es ja nicht nur Schlachthöfe – und dort einfach sicherheitshalber proaktiv mal ein paar Kontrollen machen, am besten in Bayern, da kostet es nichts. Und deshalb wäre das so mein Vorschlag. Also ich sage mal aus meinem eigenen Leben. Ich war kürzlich mal in der Großmarkthalle, und da muss man in einen riesigen Raum rein, um sich das Fleisch zu holen. Da ist der ganze Raum gekühlt und relativ voll mit Menschen. Da habe ich schon so ein bisschen mulmiges Gefühl gehabt, wenn man sich diese Situation anschaut, ohne dass ich weiß, ob es stimmt oder nicht, ob es begründet ist oder nicht.

[0:40:44]

Camillo Schumann

Herr Kekulé, Sie sind aber grundsätzlich ein sehr sensibler Mensch, was so etwas angeht, oder?

Alexander Kekulé

Ein vorsichtiger Mensch.

Camillo Schumann

Herr S. aus Dresden hat uns gemailt. Er ist auch ein bisschen vorsichtig. Übrigens, Herr S., viele

Grüße, Sie sind ein treuer Hörer dieses Podcasts. Er schreibt:

„Ich, 82, habe mit meiner Frau 75 eine Flusskreuzfahrt auf der Donau vom 19.07. bis 30.07. gebucht und auch angezahlt. Landgänge sind in Österreich, Ungarn, Slowakei, Serbien. Sollten wir als Angehörige einer Risikogruppe, Alter über 65, und Sie wissen schon, worauf diese Frage abzielt, sollten wir von dieser Reise Abstand nehmen? Viele Grüße.“

[0:41:24]

Alexander Kekulé

Also ich würde sagen als regelmäßiger Hörer des Podcasts wissen Sie so viel über das Virus, dass Sie die Reise machen können. Sie müssten nur eben die persönlichen Vorsichtsmaßnahmen treffen, vielleicht die eine. Nehmen sie sich auf jeden Fall eine FFP2- Maske mit, und wenn dann Tanzveranstaltung unter Deck ist oder ähnliches, bleiben Sie lieber oben an der frischen Luft.

[0:41:43]

Camillo Schumann

Vielleicht sollten Sie es nicht wie die Kanzlerin machen. Damit sind wir nämlich am Ende von Ausgabe 75. Zum Schluss habe ich noch etwas zum Nachdenken, Staunen oder Schmunzeln, wie man's nimmt. Nämlich die Antwort der Kanzlerin auf die Frage eines Journalisten, warum man sie nie mit Maske sieht. Nun hat die Kanzlerin Folgendes gesagt:

„Wenn ich die Abstandsregeln einhalte, brauche ich die Maske nicht aufzusetzen. Und wenn ich sie nicht einhalte und ich zum Beispiel einkaufen gehe, dann treffen wir uns nicht offensichtlich. Sonst hätten sie mich auch schon mit Maske sehen können. Ich verrate Ihnen aber nicht, wann ich wo einkaufen gehe.“ (Angela Merkel, Bundeskanzlerin)

Was sagen Sie nun dazu? Wenn Abstand, dann keine Maske nötig. Und wenn kein Abstand, dann Maske, verhält sich die Kanzlerin da richtig?

[0:42:24]

Alexander Kekulé

Der Abstand, den sie da einhält, das ist sicher eine Pressekonferenz gewesen, da sind sie in einem sehr großen Raum. Und da sind dann

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schon 2 m bis 4 m Abstand auch aus Sicherheitsgründen natürlich zur Bundeskanzlerin. Also, ich glaube, aus ihrer Perspektive stimmt das so. Und beim Einkaufen können Sie natürlich die zwei Meter nicht immer einhalten. Und ich habe schon öfters gehört, dass sie zum Einkaufen geht. Da haben sich Paparazzi auch schon bemüht, Fotos zu machen. Das ist, glaube ich, nicht ganz aus der Luft gegriffen.

[0:42:57]

Camillo Schumann

Aber wenn man Abstand halten kann, so für den für den Alltagsgebrauch, ist dann keine Maske nötig. Zum Beispiel jetzt hier auf einem auf dem Schiff unter Deck.

[0:43:07]

Alexander Kekulé

Da kommt es eben auf die Situation an. Also wenn sie einen sehr großen Raum haben, rein theoretisch: Sie wären in einer Messehalle und hätten nicht zu viele Menschen dort, und die haben alle einen großen Abstand. Dann können Sie natürlich auf die Maske letztlich verzichten. Und das ist auch das, was überall gemacht wird. Wenn Sie mal schauen bei den ganzen Pressekonferenzen. Kürzlich hatte Lufthansa Sitzungen, wo man sieht, wie die Leute weit auseinander sitzen, aber eben ohne Maske, in der Regel. Ich glaube, das ist schon ein Verfahren, was man machen kann, wenn die Luft häufig gewechselt wird, wenn es ein großer Raum ist und man nicht von solchen stehenden Wolken von Viren ausgehen muss. Das ist halt immer die Frage hat man die Rahmenbedingungen für ein Superspreader- Ereignis? Und Sie haben es schon richtig gesagt auf dem Schiff unter Deck, wenn die Fenster zu sind, würde ich das nicht machen. Auf einem Schiff unter Deck, wenn es in Fahrt ist und die Fenster offen sind, da zieht es dermaßen wie Hechtsuppe da durch. Da können Sie wiederum unter Deck wahrscheinlich die Maske theoretisch absetzen, sofern sie zwei Meter auseinander sind. Das muss man so ein bisschen individuell entscheiden. Ich glaube, in so eine Phase müssen wir auch kommen, weil, wir müssen ja mit dem Virus noch lange leben. Da setzen wir in bestimmten Situationen die

Maske auf, da halten wir Abstand. Ich vergleiche das immer gerne mit so einer Situation: In meinem Leben wurden irgendwann Sicherheitsgurte eingeführt. Die gab es vorher nicht, und in meinem Leben wurden irgendwann zwangsweise Motorradhelme eingeführt. Beides war für mich echt eine Umgewöhnung, erstmal. Und es ist aber so, dass man sich irgendwann dran gewöhnt. Und dann macht man das halt, auch wenn es vielleicht noch immer ein bisschen nervt. Und ich glaube, dass die Maske auch so ein Accessoire wird.

[0:44:48]

Camillo Schumann

Millionen Podcast-Hörer googlen jetzt, wann Sie geboren sind. Herr Kekulé, vielen Dank. Wir hören uns dann am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Gerne, Herr Schumann, ich freue mich.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé, schreiben Sie uns unter mdraktuell- podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass #74

Sonnabend, 27.06.2020 15. Corona Fragen und Antworten Spezial

Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

MDR Aktuell Kekulés Corona-Kompass CAMILLO SCHUMANN [0:00:10] :

Brauchen Neugeborene einen speziellen Schutz gegen das Corona-Virus?

Dann sollte der vieldiskutierte R-Wert für jedes Bundesland einzeln berechnet werden?

Könnten uns Bienen gegen das Virus helfen?

Kekulés Corona-Kompass Spezial mit der mittlerweile 15. Folge. Also ein kleines Jubiläum. Heute wieder mit Ihren Fragen, liebe Hörerinnen und Hörer. Grob geschätzt haben uns bisher über 6000 Fragen per Mail, Telefon und Twitter erreicht. Vielen Dank für die Anregung. Ein paar Fragen wollen wir wieder am Stück beantworten. Natürlich mit dem Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie.

ALEXANDER KEKULÉ: Hallo Herr Schumann. CAMILLO SCHUMANN:

Wir beginnen mit einer Frage von Julia aus Paderborn. Sie hat ein freudiges Ereignis vor sich aber auch eine Frage dazu. „Ich erwarte in zwei Wochen mein erstes Kind. Mich interessiert die Einschätzung von Herrn Kekulé bezüglich Corona und des Umgangs mit

Säuglingen nach der Entbindung beziehungsweise des Umgangs zu Hause. Ist es sinnvoll in den ersten Wochen nach der Geburt zunächst keinen Besuch zu empfangen? Und wenn überhaupt den Besuch zu bitten, eine Maske zu tragen? Und ist es erforderlich, dass mein Mann und ich einen Mundschutz tragen? Besonders ich, wenn ich das Kind stillen möchte? Man findet kaum Informationen zum Thema Säuglingspflege und Covid19. Viele Grüße Julia.“ Was sagen Sie?

ALEXANDER KEKULÉ [0:01:29] :

Ich bin, muss ich vorausschicken, ein extrem vorsichtiger Mensch und schon immer am vorsichtig vorsichtigsten, wenn es um kleinste Kinder geht. Aber mit dieser Vorgabe sehe ich überhaupt keinen Grund, wegen Covid-19 irgendeine Vorsichtsmaßnahme zu ergreifen. Es ist so, dass wir bei den kleinsten Kindern wissen, dass, selbst wenn die infiziert wären... Kürzlich ist noch mal eine Studie für Neugeborene rausgekommen. Die zeigen keine Symptome. Das heißt also, dass das Kind sogar weniger gefährdet ist als die eigene Mutter. Und deshalb gibt es keinen Grund, hier den Kontakt zwischen Mutter und Kind zu unterbrechen oder besondere Vorsichtsmaßnahmen walten zu lassen, wenn Gäste kommen. Natürlich würde man immer... Das hat nichts mit dem Kind zu tun. Wenn jemand zu Besuch kommt, von dem man weiß, dass er auf der Corona-Virus-Intensivstation arbeitet oder Ähnliches. Da würde man wahrscheinlich immer so einen Mundschutz auch im Privaten anziehen. Aber wegen des Kindes gibt es keine zusätzlichen Vorsichtsmaßnahmen.

CAMILLO SCHUMANN [0:02:37] :

Das hört sich nach einer hundertprozentigen Entwarnung an. Es ist aber psychologisch total nachvollziehbar, wenn man ein neues Leben unter dem Herzen trägt. Da möchte man

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natürlich, dass alles funktioniert und dass nichts passiert.

ALEXANDER KEKULÉ [0:02:50] :

Das sehe ich genauso. Das ist ja auch ein natürlicher Reflex. Ich weiß nicht, das wievielte Kind der Hörerin das ist. Aber normalerweise lässt es erfahrungsgemäß beim 2., 3., 4. Kind dann langsam nach. Da werden die Eltern routinierter und schätzen die Risiken etwas entspannter ein. Aber es ist völlig richtig. Das kann man ja so grundsätzlich sagen, dass man bei Kleinstkindern höllisch aufpassen muss mit Infektionskrankheiten. Ich sage das ganz oft in der Vorlesung, dass ich die Menschen nicht verstehe, die Fernreisen machen mit Kleinstkindern in Regionen, wo es Malaria und sonst was gibt, schlechte medizinische Versorgung unter Umständen. Dass manche dabei überhaupt keine kalten Füße haben. Aber als jemand, der so vorsichtig ist und diese Vorsichtsregeln eigentlich immer wieder ausgibt, kann ich sagen: bei Covid19 haben wir zum heutigen Zeitpunkt überhaupt keinen Hinweis darauf, dass es Schäden bei kleinsten Kindern gibt. Und deshalb würde ich sagen, kann man verfahren wie immer.

CAMILLO SCHUMANN [0:03:49] :

Also Julia aus Paderborn: Entwarnung und alles Gute für die Geburt. Dann hat uns Petra R. aus Pforzheim geschrieben, mit einer Frage zur Schulöffnung. „Mein Sohn, sieben Jahre ist nun schon seit März zu Hause, wie so viele andere Kinder auch. Nun soll der reguläre Schulbetrieb ab kommender Woche 29.06. wieder aufgenommen werden. Ich als Mutter werde sehr kritisiert, da ich mein Kind weiterhin zuhause lasse. Ich muss aber dazu sagen, dass ich in der ambulanten Pflege arbeite und dementsprechend nur mit Menschen arbeite, die zur Risikogruppe gehören. Da mein Sohn sowieso ständig krank wird und wirklich alles mit nach Hause bringt, ist mir das Risiko viel zu hoch. Nun möchte ich

Sie als Mediziner und Fachmann fragen, ob es nachvollziehbar ist, dass manche Eltern ihre Kinder weiterhin zu Hause unterrichten, um eine Infektion zu vermeiden? Oder ob es wirklich so ist, wie es uns die Politiker sagen, dass das Risiko eher gering ist?“

ALEXANDER KEKULÉ [0:04:45] :

Ja, das ist eine schwierige Frage. Man muss da einfach das lokale Infektionsgeschehen im Auge haben. Auch ich habe ein Kind in der Kita und einen Sohn, der in die Grundschule geht. Und da muss man wirklich das lokale Infektionsgeschehen anschauen. Wie viele Infektionen gab es denn bei mir im Ort? Und wenn das wirklich sehr, sehr gering ist und wenn man in der Gegend lebt, wo es kaum Infektionen gab. Und wenn man vielleicht auch die anderen Eltern kennt und weiß, dass die vernünftig sind und da nicht welche dabei sind, die besondere Risiken haben, aus welchem Grund auch immer. Dann meine ich, sollte man das Risiko eingehen. Die Alternative ist ja in der jetzigen Lage, das Kind überhaupt nicht mehr irgendwohin zu lassen. Dann können Sie es auch nicht mehr auf einem Spielplatz lassen. Im Herbst werden die Infektionen wahrscheinlich mehr werden, sodass ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in so eine übervorsichtige Angst- Schleife hineinbegeben, wo wir uns gar nichts mehr trauen. Ich weiß, dass das immer ein bisschen Überwindung ist, das zu machen. Das ist, glaube ich, gar nicht so einfach. Gerade nachdem im Lockdown, wo natürlich alle von den Risiken des Virus sprechen oder gesprochen haben. Da wieder umzuschalten und zu sagen: „Ja, da ist noch ein Restrisiko da. Aber das nehme ich in Kauf, weil sonst ich mein Kind komplett wegsperren muss.“ Das kann ich nur empfehlen, weil das eine Sache sein wird, die uns noch länger begleitet. Und ich sehe auch nicht, dass die Politik kurzfristig den Tests zustimmt. Das wäre die Alternative, dass man Kita und Grundschulkinder einmal

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die Woche testet. Ein Vorschlag, den ich da verbreitet habe und wo ich nach wie vor dafür bin, dass das eigentlich das Beste wäre. Vor allem, wenn man wieder mehr Infektionen im Herbst bekommen wird. Aber das ist noch nicht Fakt. Und wenn es nicht Fakt ist, dann muss man das nehmen, was man kriegt. Und ja, da haben alle Menschen ein gewisses Restrisiko, mit dem wir umgehen.

CAMILLO SCHUMANN [0:06:43] :

Unsere Hörerinnen, Frau R. aus Berlin, hat in ihrem Umfeld eine ungewöhnliche Beobachtung gemacht. Sie hat uns angerufen. „Wir haben aus meinem entfernten Bekanntenkreis jemanden, der war im Krankenhaus schon zweimal wegen Corona aber jeder Antikörpertest war negativ. Wie können Sie das erklären, dass ein und die gleiche Person zweimal mit Corona infiziert wurde?“ Tja, wie können Sie sich das erklären?

ALEXANDER KEKULÉ :

Der Stand der Dinge ist, dass wir davon ausgehen, dass das Virus die ganze Zeit da war bei diesen Personen. Das heißt also, dass die das nie komplett eliminiert haben. Wir haben ja mehrere Reihenuntersuchungen vom Patienten, wo man einfach mal geschaut hat: Wenn die so eine normale, nicht besonders schwere, aber auch nicht komplett asymptomatische Infektion durchgemacht haben. Wie lange kann man das Virus noch bei denen im Rachen nachweisen? Und da würde ich sagen, mindestens zwei Wochen. Das geht in Richtung drei Wochen. Das ist relativ lange. Es gibt andere Infektionskrankheiten, wo das Virus schneller wieder verschwindet. Am Anfang haben wir eher gedacht, dass es vielleicht eine Woche lang infektiös ist. Das heißt also, wir wissen, das Virus bleibt ganz schön lange. Und es gibt einzelne Fälle, da verschwindet es auch nach drei Wochen nicht endgültig, sondern taucht wieder auf.

Zumindest ist dieser PCR-Test wieder positiv. Manche kriegen sogar wieder Symptome. Was noch ganz unerforscht ist: Wir ahnen, dass es Menschen gibt, die chronische Folgen haben von dieser Erkrankung. Die also nicht abschließend geheilt sind, wenn die Erkrankung vorbei ist. Vor diesem ganzen Hintergrund kann man sagen: Ja, das ist keine so ungewöhnliche Sache, was hier berichtet wurde. Was ein bisschen ungewöhnlich ist, ist, dass der Antikörpertest nicht positiv ist. Wir wissen, dass einige Menschen keine IgG- Antikörper entwickeln. Das sind ja die, die hier eine Rolle spielen. Einige entwickeln keine IgG-Antikörper als Reaktion auf Corona. Und wir wissen nicht, warum das so ist. Und es könnte hier so ein Fall sein. Der also dann einfach keine Antikörper dagegen hat und deshalb auch im Antikörpertest immer negativ geblieben ist.

CAMILLO SCHUMANN [0:08:57] :

Vieles ist unerforscht. Das Stichwort fiel auch. Man muss auch sagen, dass man sich mit SARS-CoV2 seit einem halben Jahr intensiv oder vielleicht weniger intensiv beschäftigt. Mit zunehmender Zeit wird man ja auch schlauer. Dann können wir wahrscheinlich... Ich weiß nicht, wie lange wir den Podcast noch machen. Wenn ich einen langen Rauschebart habe, dann können wir vielleicht mal sagen, woran es denn tatsächlich lag.

ALEXANDER KEKULÉ [0:09:18] :

Ja, man muss noch zum Verständnis sagen, das sind ja Corona-Viren. Und diese Corona- Viren. Da gibt es vier Typen, die zirkulieren in Europa schon lange. Die hat man aber nie so richtig erforscht, weil sie eigentlich keine so schweren Erkrankungen machen, zumindest beim Menschen nicht. Beim Tier war das schon eher mal interessant. Dann gibt es diese schwer krank machenden Corona-Viren wie SARS 1 von 2003, dann dieses MERS-Virus, was in Saudi Arabien und Umgebung vorkam,

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und das aktuelle. Die waren aber immer nur so kurz bisher mit wenigen Patienten, sodass wir hier auch für diese ganze Virus-Klasse der Corona-Viren relativ wenige Informationen haben. Es gibt andere, die viel besser erforscht sind. Vielleicht noch als letzter Hinweis: Entschuldigung für die Wissenschaftler. Das ist ein besonders großes Virus. Von den RNA- Viren ist es das Größte, was beim Menschen eine Rolle spielt. Und deshalb ist es auch nicht so einfach zu untersuchen. Das ist molekularbiologischen eine Herausforderung, damit zu arbeiten Und aus all diesen Gründen machen wir eigentlich Pionierarbeit mit diesem Sars-CoV-2, weil wir keine Referenz mit ähnlichen Viren haben.

CAMILLO SCHUMANN [0:10:24] :

Und deswegen Frau R. aus Berlin kann Herr Kekulé diese Frage nicht abschließend beantworten. Das ist halt so. Leider muss man damit leben. Über den R-Wert wurde ja viel diskutiert. Vermutlich auch wieder mit Blick auf den sich veränderten Wert durch die Ausbrüche beim Fleischverarbeiter Tönnies in Nordrhein Westfalen. In diesem Zusammenhang fragt Stefano aus Krefeld per Mail. „Der R-Wert wird derzeit nur bundesweit ausgerechnet. Wäre es nicht interessant, diesen auch für jedes Bundesland einzeln zu berechnen, oder ist das zu aufwendig?“

Also ich kann zumindest sagen, es ist es nicht so aufwendig.

ALEXANDER KEKULÉ:

Aufwändig ist es nicht. Das ist eine Excel- Tabelle eigentlich. Das könnte eigentlich jeder Abiturient eintragen die Werte. Nein, das Problem ist ein anderes. Was will man eigentlich damit aussagen? Das ist ja so, dass ich von diesem R-Wert sowieso nicht so viel halte als Steuerungsinstrument. Natürlich wird man den immer haben wollen, um zu

verstehen, wenn jetzt bundesweit die Sache schlimmer wird. Aber was sagt uns der eigentlich? Das ist ja ein Mittelwert. Wie viele Personen steckt jemand im Mittel an, der diese Erkrankung hat? Der Wert ist dann aussagekräftig, wenn man eine sehr große Zahl von Menschen hat, die auch ungefähr unter gleichen Bedingungen andere angesteckt haben. Sobald man Ausbrüche in Heimen hat oder in irgendwelchen Betrieben oder in einem ganz bestimmten Setting wie bei einem Volksfest oder Ähnlichem. Dann wird dieser R-Wert durch diese kleinen Ausbrüche erheblich verzerrt. Und daher sagt er eigentlich nichts mehr aus. Da hat man dann plötzlich R 0. Also, der geht dann Richtung drei, also Höchstwert. Und er geht dann hinterher wieder runter, sobald dieser Ausbruch unter Kontrolle ist. Und man wusste ja, dass man den Ausbruch hat. Deshalb finde ich es besser, den für eine große Population sich anzuschauen. Ich bin sogar dafür diese Herde, die man hat, wo man weiß, es ist ein konkreter Herd, aus der Rechnung rauszunehmen. Oder die Rechnung ist so zu ändern, dass man das ein bisschen dämpft. Interessant ist er ja nur dann, wenn man so guckt: Wie ist der Hintergrundaktivität? Wie sind wir insgesamt als Bevölkerung aufgestellt? Wie häufig kommt es zum Beispiel trotz Maskentragens zu Ansteckungen und Ähnlichem. Deshalb ist es meines Erachtens nicht sinnvoll, den Wert nach Bundesland aufzuteilen. Da gibt es keinen Grund für.

CAMILLO SCHUMANN [0:12:58] :

Bei Twitter unter dem Hashtag fragtKekulé hat Nicole Folgendes geschrieben: „Ich habe gehört, dass das Corona-Virus durch Aerosole beim Spülvorgang der Toilette verbreitet würde. Nun aber habe ich an anderer Stelle gehört, dass das Corona-Virus im Stuhl nicht infektiös ist. Was ist denn nun richtig? Vielen Dank.“

ALEXANDER KEKULÉ [0:13:25] :

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Ja, das sind tatsächlich Studien... Ich sehe schon unsere Hörer sind tatsächlich fleißige Leser von wissenschaftlichen Studien. Es gibt tatsächlich Leute, die haben das physikalisch ausprobiert: Wie ist das eigentlich bei einer Toilettenspülung? Da entsteht ja so eine Art Wolke, so eine Nebelwolke, die man eigentlich gar nicht sieht. Aber wie ist das eigentlich? Wie lange bleibt diese Wolke bestehen? Wie weit steigt die auf? Besteht da die Gefahr, sich zu infizieren? Grundsätzlich ist es so, man sollte vielleicht aufgrund dieser Untersuchungen, wenn man spült und vielleicht mit der Klobürste hinterhergeht, sich mit dem Gesicht nicht gerade direkt über die Schüssel runterbeugen, weil diese Wolke doch schon mal bis zu einem Meter weit hochgehen kann, eher einen halben Meter. Zweitens besteht diese Wolke nur relativ kurz, weil sie durch den Sogeffekt des Wassers nach unten weggeht. Da wird tatsächlich diese Wolke am Ende des Spülvorgangs wieder eingesaugt. Also, die entsteht kurz und verschwindet dann auch zum großen Teil wieder. Das ist alles relevant für Infektionen, die nichts mit Corona zu tun haben. Also irgendwelche Viren, Rotaviren oder Noroviren, die wirklich über den Stuhl übertragen werden. Beim Corona- Virus ist es so. Dieses Virus ist zwar nachweisbar im Stuhl. Das ist ziemlich klar, dass viele Patienten eine Zeitlang das Virus ausscheiden. Was man da nachweist, ist aber möglicherweise totes Virus. Das heißt also, man weist nur die Erbinformation des Virus nach. Man weiß nicht, ob es tatsächlich noch vermehrungsfähig ist. Und es gibt keinen einzigen Fall, wo auch nur ansatzweise die Vermutung im Raum stand, dass sich jemand durch Stuhl von jemand anders infiziert hat. Also diese fäkal orale Übertragung. Die ist bei diesem Sars-CoV-2 nicht in einem Fall nachgewiesen worden. Vielleicht sage ich noch eins dazu. Bei SARS CoV-1 gab es, für die ganz fleißigen Leser von Wissenschaftsseiten... Da gab es tatsächlich mal in Hongkong einen Fall, wo es ganz lange hieß, dass das irgendwie

eine Infektion, die über eine Stuhlübertragung stattfand. Diese Untersuchung hat man aber später noch mal nachgeprüft und dann festgestellt, es war doch nicht über Stuhl sondern über die Klimaanlage, sodass wir nicht einmal bei dem SARS 1 von 2003 einen Hinweis darauf haben, dass es eine effektive Übertragung jemals über Stuhl gab. Deshalb sage ich mit dem groben Blick aufs Ganze: Diesen Übertragungsweg müssen wir nicht fürchten.

CAMILLO SCHUMANN [0:15:52] :

Sehr schön. Herrn B. beschäftigt die Dunkelziffer an Infizierten. Er schreibt: „Wenn die Dunkelziffer der Corona-Infizierten tatsächlich 10-mal höher ist als die Zahl der tatsächlich getesteten statistisch erfassten Menschen, würden dann die nicht-erfassten Personen nicht laufend für jede Menge neuer Ansteckung sorgen? Und wieso fällt das nicht auf? Jetzt, wo alles wieder gelockert wird, müssten die Zahlen doch bald wieder explodieren?“

ALEXANDER KEKULÉ [0:16:20] :

Naja, das ist eben nicht so infektiös wie die Grippe. Das wäre genau so bei der Influenza. Da wäre das so, dass wir das überhaupt nicht in den Griff bekommen könnten. Das war ja ganz am Anfang, wenn man sich zurückerinnert bei diesem Ausbruch in Europa, so die Diskussion. Da gab es viele, die gesagt haben: Das ist so ähnlich wie Influenza. Und deshalb hat es gar keinen großen Sinn, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Wenn ich erinnern darf an die Diskussion, ob zum Beispiel Einreisekontrollen sinnvoll sind. Da wurde dann gesagt: „Wir werden sowieso alle durchseucht. Und es wird auf 70 Prozent hoch gehen, weil man es mit der Influenza verglichen hat, die tatsächlich nicht kontrollierbar ist, wie vielleicht Windpocken. Hier ist es so. Die Erkrankung ist gar nicht so rabiat ansteckend. Wenn man von diesen

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Super-Spreader-Ereignissen mal absieht. Das hat ja auch diese Heinsberg-Studie ganz gut gezeigt, dass selbst im gleichen Haushalt dann manchmal einer positiv war. Und obwohl die Menschen eng zusammen waren, die anderen eben nicht infiziert waren. Da war die Übertragungs-Quote unter 20 Prozent. Es gibt auch andere Studien, die in diese Richtung gehen. Und wenn man das vor Augen hat, dann kann man sagen: „Ja, wenn die ganze Bevölkerung in so einem gewissen Vorsichts- Modus lebt.“ Und das machen wir, glaube ich, schon ganz gut in Deutschland. Darum werden wir übrigens auch aus dem Ausland beneidet, weil es viele Fragen gibt, warum gibt es in Deutschland eigentlich so wenig Probleme inzwischen mit diesem Virus? Und das liegt, glaube ich, am Verhalten der Menschen. Und wenn wir uns alle so ein bisschen vorsichtig verhalten, dann werden auch die Menschen in einer Dunkelziffer tatsächlich nicht so viele andere anstecken, sodass wir nicht auf einen R-Wert über eins kommen. Das heißt, dass wir keine exponentielle Ausbreitung der Infektion bekommen.

CAMILLO SCHUMANN [0:18:02] :

Damit ist die Frage von Herrn B. beantwortet. Frau T. hat eine Frage per Mail geschickt. Sie hat es nicht dazu geschrieben aber sie bezieht sich auf das Phänomen des Zytokinsturm, also den Fall, dass das Immunsystem bei Corona- Erkrankten völlig überreagiert und damit gegen die Patienten sich selber richtet. Frau T. schreibt: „Sind Menschen mit gutem Immunsystem gefährdeter? Klingt paradox“, schreibt sie. „Dass ein besonders gutes Immunsystem, besonders heftige Reaktion auf das Virus zeigt?“

ALEXANDER KEKULÉ [0:18:32] :

Naja, es gibt kein gutes und schlechtes Immunsystem in dem Sinn. Wenn man sich vorstellt, dass das Immunsystem besonders gut wäre, wenn es besonders aggressiv und

streitlustig ist. Dann wären ja Allergiker die gesündesten Menschen von allen. Und fragen Sie mal, wer das so empfindet? Das Immunsystem muss genau balanciert sein. Und das ist eine Riesen-Kunst. Eigentlich ein Wunder in unserem Körper, was ja ständig stattfindet, dass wir zwar Fremdkörper erkennen und diskret abräumen. Wir werden ständig von irgendwelchen Bakterien und Viren attackiert, ohne das zu merken. Aber trotzdem hat das Immunsystem auch Faktoren, mit denen das kontrolliert wird. Es gibt eigene Regelkreise, sogar eigene weiße Blutkörperchen, die dafür zuständig sind, die das auch wieder einbremsen, wenn es zu viel wird. Dieses sehr komplizierte Verhältnis zwischen Aktivierung und der Deaktivierung des Immunsystems aufrecht zu erhalten, das ist eben bei so einem Virus, was ganz frisch aus dem Tierreich gekommen ist, wo es noch keine Anpassung gibt in beiden Richtungen. Der Mensch ist noch nicht an das Virus angepasst und das Virus noch nicht an den Menschen. Da kommt es eben manchmal zu diesen überschießenden Reaktionen. Das hat mit einem guten oder schlechten Immunsystem, gar nichts zu tun.

CAMILLO SCHUMANN [0:19:48] :

Wir reden ja immer wieder über mögliche Gegenmittel gegen das Corona-Virus. Einen sehr ungewöhnlichen Vorschlag hat am Ende unseres heutigen Spezials Steffen W. Er schreibt: „Ich bin Imker und die Zeitschrift meines Vertrauens hat eine Studie aus China angesprochen, nach der bisher kein Imker an Covid19 erkrankt ist. Was halten Sie davon? Das Bienengift und die nicht zu vermeidenden Stiche sollen der Grund sein. Soll ich nun Bienenstiche als Impfung anbieten? Viele Grüße.“

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ALEXANDER KEKULÉ [0:20:20] :

Also ein Geschäftsmodell wäre es: Ich weiß noch nicht, ob Sie sich dann zuerst stechen lassen.

CAMILLO SCHUMANN

Ich habe panische Angst vor Bienen und selbst so eine Impfung ist schon das Höchste für mich.

ALEXANDER KEKULÉ [0:20:33] :

Ich glaube, dass die Menschen, die Angst vor Impfung haben, noch mehr Angst vor Bienen haben. Wahrscheinlich also ich. Spaß beiseite. Es ist so, da ist er möglicherweise ein ganz kleiner Kern Wahrheit an so was dran. Ein Bienenstich immunisiert, das aktiviert das Immunsystem enorm. Das ist so eine Art Buster-Effekt, der so ähnlich funktioniert wie die Substanzen, die man extra beimischt, wenn man will, dass Impfstoffe besser wirken. Wir nennen die Wirkverstärker oder Adjuvantien. Den Effekt gibt es zum Beispiel ja auch, wenn man Tuberkulose-Impfung macht. Das hatten wir schon mal besprochen. Wenn eine Tuberkulose-Impfung stattgefunden hat oder auch eine andere Impfung gegen irgendwelche Krankheiten, dann kann man nachweisen, dass das Immunsystem noch eine ganze Weile, bis zu einem Jahr vielleicht, so ein bisschen überaktiviert ist. Dann sind auch neu auftretende Viren schneller erledigt. So ein Effekt dürfte es durchaus nach einem Bienenstich geben. Aber eben vorübergehend, sodass man sich dann regelmäßig stechen lassen müsste. Und natürlich diese Theorie, die ich gerade geäußert habe. Die müsste man erst einmal beweisen. Und ich glaube, solange das nicht bewiesen ist, das der reine immunologische Stimulus eine Rolle spielt, würde ich davon abraten. Bienenstiche sind ja auch nicht ganz ungefährlich. Es gibt Studien, die sagen, dass die Biene tatsächlich eines der gefährlichsten Tiere überhaupt auf der Erde

ist. Wegen der anaphylaktischen Reaktionen dagegen, also wegen der Allergien. Und das andere ist, man muss sich natürlich immer vor Augen halten, dass ja die Imker eine ganz, ganz kleine Gruppe sind. Und das sind wenige Menschen, die auch wahrscheinlich sonst ein paar Besonderheiten haben. Und wenn man das rausrechnet... Das ist ja immer das Gemeine bei diesen epidemiologischen Studien, dann kommt meistens am Schluss raus, dass dieser Effekt, den man gemeint hat zu sehen, gar nicht signifikant ist. Das heißt also, dass der eher eine Zufallsbeobachtung war. Fazit: Lassen Sie sich lieber nicht von der Biene stechen, um sich vor Covid-19 zu schützen.

CAMILLO SCHUMANN [0:22:31] : Herr Kekulé, das war das 15. „Corona Fragen

und Antworten Spezial“. Vielen Dank.

Wir hören uns dann nächste Woche Dienstag wieder am 30. Juni. Bis dahin bleiben Sie schön negativ.

ALEXANDER KEKULÉ: Sie auch, Herr Schumann. CAMILLO SCHUMANN:

Schönes Wochenende für Sie. Alle Spezialausgaben und alle Corona-Kompass- Folgen gibt es zum Nachhören auf MDR Aktuell.DE in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

MDR Aktuell : „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 25.06.2020 #73: „Einreiseverbote treffen tendenziell die Falschen“

Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Donnerstag, 25.06.2020

- Beherbergungsverbot - negativer Corona-Test - Quarantänemaßnahmen

Wie umgehen mit Menschen aus Corona-Hotspot-Regionen in Deutschland?

- Dann: Antidepressiva wirken offenbar gegen Sars-CoV-2. Aber wie genau?

- Außerdem: Immunität. Wer muss das Virus nicht mehr fürchten?

- Und kann man FFP2-Masken auch ohne Reinigung wiederverwenden?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur, Moderator bei „MDR Aktuell das Nachrichtenradio“.

Am Dienstag, Donnerstag und Samstag lassen wir die wichtigsten Meldungen rund um Corona Virus einschätzen. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologien Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Schumann.

Sie hatten ja in der letzten Ausgabe am Dienstag gesagt, man hätte nach dem massiven Coronavirus Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies auch darüber nachdenken können, den Landkreis Gütersloh und demzufolge dann auch Warendorf abzuriegeln, damit das Virus nicht weiter verbreitet wird. Das wurde ja nun nicht gemacht. Stattdessen gab es einen Lockdown-Light. Und nun versuchen die Bundesländer mit eigenen Maßnahmen, sich irgendwie zu behelfen. Es gibt ein Beherbergungsverbot für Menschen aus den betroffenen Gebieten. Wer eine 48-Stunden alten negativen Corona-Test hat, der kann bleiben. In einigen Bundesländern wird das schon umgesetzt. Andere wollen nachziehen, auch mit eigenen Maßnahmen. Der Flickenteppich ist so ein bisschen zurück. Wie bewerten Sie das?

ALEXANDER KEKULÉ

Das ist eine Schadensbegrenzung, die alle versuchen. Ganz klar ist, das haben wir schon beim letzten besprochen. Wenn man ein Problem hat, ist es immer sinnvoll, das Problem an der Ursache zu bekämpfen. Da muss nicht jedes Bundesland eigene Maßnahmen treffen. Hier ist das nicht geschehen und es hätte auch gar keinen Sinn mehr. Zum jetzigen Zeitpunkt ein Ausreiseverbot zu verhängen, wäre ineffektiv. Einige Bundesländer sagen nun, dort wurde kein Ausreiseverbot verhängt, also verhängen wir eine Art Einreiseverbot. Ich halte das deshalb für schädlich, weil ich davon ausgehe, dass wir im Herbst ähnliche Situationen immer wieder haben werden. Da müssen wir uns dann auch gar nicht mehr so groß drüber aufregen. Das wird nicht eine einzelne Fabrik sein, sondern das wird aufgrund der Jahreszeit immer wieder zu solchen Situationen kommen. Ich plädiere dafür, dass man ein einheitliches Vorgehen hat, was dann auch zu weniger Aufregung führt.

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Camillo Schumann

Wie könnte das aussehen?

Alexander Kekulé

Naja, das müsste im Grunde genommen so sein: Wenn man einen Ausbruch hat, der wirklich eng begrenzt ist. Wo man wirklich weiß, wo es herkommt. Dann muss die Option, vorübergehende Ausreisesperre zu verhängen, möglich sein. Das ist ja eine ganz seltene Situation, dass man das überhaupt hat. Das wäre eigentlich immer nur, wenn es ein Heim ist oder eine Fabrik ist oder ähnliches. Und für diese seltenen Fälle sollte man diese Möglichkeit klar auf der To-Do- Liste haben. Wenn man diese Möglichkeit nicht hat, dann braucht man weder Ausreiseverbote noch Einreiseverbote, sondern dann hat man eben ein allgemeines Infektionsgeschehen in Deutschland. Und da gilt das, was wir sowieso als Strategie der Bundesregierung haben. Dass man dafür sorgen muss, dass die Gesundheitsämter die Fälle früh erkennen. Das heißt, wir müssen Testen und dass sie die Fälle sehr, sehr schnell nachverfolgen können.

CAMILLO SCHUMANN

Zu den Tests kommen wir gleich noch mal. Sie haben es ja gerade beschrieben. Man muss immer wieder mit Ausbrüchen rechnen, auch mit Massenausbrüchen. Und trotz aller Maßnahmen und Verordnung kann so etwas passieren. Nun ist im Fall von Tönnies über eine Woche vergangen bis die einzelnen Bundesländer für sich Maßnahmen ergreifen. Bräuchte es nicht so eine „Corona Task Force“ mit Mitgliedern aller Landesregierungen, die mit Sonderbefugnissen ausgestattet Schnell- Maßnahmen für alle abgestimmt beschließen können? Vielleicht innerhalb von 24-Stunden?

ALEXANDER KEKULÉ

Ja, das sind die Träume der Epidemiologen. Das ist ganz klar. So ähnliche Diskussionen haben wir 2009 bei der Schweinegrippe gehabt. Aber das hat sich nicht durchgesetzt. Es ist immer wieder versucht worden, das föderale Prinzip dazu ändern, quasi das Grundgesetz zu ändern, dass die Zuständigkeiten zentralisiert werden. Das scheitert mal an dem einen Land mal an dem anderen. Aber letztlich geht es darum, dass die Gesundheit immer Ländersache ist und der Katastrophenschutz auch Ländersache ist. Und das werden die auch nicht abgeben. Diese Hoffnung habe ich aufgegeben. Das kann man nur durch nachvollziehbare und kluge Empfehlungen von oben steuern. Also nicht quasi per Dekret, sondern da muss im Grunde genommen klar sein, dass es vom Bund eine ganz genaue Empfehlung gibt, was man macht, in welchen Fällen. Und ich glaube nicht, dass die Länder sich so einer klaren Empfehlung widersetzen würden. Ganz ohne Anweisung funktioniert so was in der Regel ja nicht.

CAMILLO SCHUMANN

Sie meinen deutlichere, verbindlicher Empfehlungen aus Berlin, an die sich dann auch gefälligst alle halten sollten.

ALEXANDER KEKULÉ

Wir müssen die nach und nach entwickeln. Wir nehmen mal das Beispiel fleischverarbeitende Industrie. Da hatten wir schon seit vielen Wochen die Information, dass das ein echter Risikobereich ist. Das ist klar gewesen, auch wenn wir die biologischen Grundlagen nicht verstanden haben. Und dass es bis heute keine klaren Vorschriften gibt, wie zum Beispiel ein Arbeitgeber sich dazu verhalten hat, wie und wie oft die Behörden zu kontrollieren haben usw. das ist nicht von Vorteil. Und ich glaube, so etwas brauchen wir bis zum Herbst. Dass dann relativ klar ist, welche Betriebe sind Risikobetriebe?

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Wie werden die überwacht und wie sind dort die Arbeitsbedingungen zu gestalten, dass man, soweit es irgendwie geht, die Ausbrüche reduziert?

CAMILLO SCHUMANN

Nun werden nicht nur die Tönnies Mitarbeiter getestet, auch die Menschen im Landkreis, in Gütersloh und in Warndorf. Es wurden schon die ersten 2.000 getestet. Nur ein positiver Fall war darunter. Was sagt Ihnen das?

ALEXANDER KEKULÉ

Das ist eine gute Nachricht. Zum einen es ist vielleicht ein Hinweis darauf, dass die Kontakte zwischen diesen vielen Mitarbeitern, die infiziert waren, die zum größten Teil aus Osteuropa kamen und der lokalen Bevölkerung vielleicht gar nicht so eng waren. Das sagt zum anderen auch, dass die Einreiseverbote, wie sie verhängt werden, möglicherweise die Falschen treffen. Wir haben ja leider keine genauen Daten darüber. Aber wenn es so wäre, dass das fast ausschließlich Mitarbeiter dieser Firma waren, die sich infiziert haben und dass die tatsächlich das in ihrem Privatleben nicht so viel weitergegeben haben. Dann sind die Hauptleidtragenden, die in Urlaub fahren wollen nach Mecklenburg- Vorpommern oder nach Bayern. Da sind die dann die sonstigen Einwohner die Betroffenen. Und weil ich davon ausgehe, dass ein rumänischer, polnischer oder sonst wie aus dem Ausland zugereister Arbeiter, der bei Tönnies gearbeitet hat. Dass der sich infiziert hat und vielleicht dann, bevor die Quarantänemaßnahmen griffen, wieder in die Heimat gefahren ist oder sonst wohin. Der wird ja nicht typischerweise ein Urlaubshotel in Bayern gebucht haben. Das heißt also: Diejenigen, die es erwischt, sind tendenziell mehrheitlich wahrscheinlich die Falschen.

CAMILLO SCHUMANN

Es ist auch die große Frage: Wie geht es an anderen Standorten des Unternehmens weiter? Z.B. am 2. großen Standort in Weißenfels in Sachsen-Anhalt wächst auch die Sorge. Noch gilt der Schlachthof dort als corona-frei. Landrat Götz Ulrich will natürlich, dass das so bleibt und hat deshalb folgenden Vorschlag dem Unternehmen unterbreitet:

Landrat Götz Ulrich:

Unser Vorschlag ist, dass wir Woche für Woche Stichproben in dem Unternehmen durchführen, damit wir solche sogenannten Infektionsherde erkennen und dann sehr schnell handeln können. Das halte ich für fachlich effektiver, als eine einmalige, groß angelegte Probe zu nehmen.

CAMILLO SCHUMANN

Diese Maßnahme kann der Landrat auch nur empfehlen, nicht anordnen. Was halten Sie davon? Jede Woche eine Stichprobe aus der gesamten Belegschaft?

ALEXANDER KEKULÉ

Aus Schaden wird man klug und das ist genau das, was hier wahrscheinlich richtig ist. Ich hätte das auch so in der Art empfohlen. Da muss es parallel dazu ganz konkrete Anweisungen geben, wie man im Betrieb sich zu verhalten hat. Ich gehe davon aus, dass bei Tönnies keine Mundschutz-Pflicht im Betrieb bestand, obwohl die Menschen eng zusammengearbeitet haben. Das kann nicht anders sein. Also wenn alle wirklich Mundschutz hätten, dann wären alle Daten, die wir haben, über die Effektivität von Mund-Nasen-Schutz, die wären dann falsch. Das heißt offensichtlich sind diese Empfehlungen gar nicht eingehalten worden. Und das wäre eine andere Lehre, neben den regelmäßigen Testungen einer Stichprobe... Das ist völlig richtig, dass man das machen sollte. Die muss man klug

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aussuchen. Parallel sollte man dafür sorgen, dass die konkreten Arbeitsbedingungen so sind, dass Infektionsübertragungen minimiert werden.

CAMILLO SCHUMANN

Da wird sicherlich von der Politik auch verstärkt drauf geschaut. Wir werden uns damit auch im Podcast ausführlicher beschäftigen. Tests ist das Stichwort. Zum einen für die Mitarbeiter und die Bewohner, aber auch für die Urlauber. Einige Bundesländer lassen Urlauber aus Regionen mit hohen Corona-Zahlen nicht mehr rein, es sei denn, sie haben einen 48 Stunden alten negativen Corona-Test vorzuweisen.

Im Moment gibt es ja Menschen aus den Kreisen Gütersloh und Warendorf. Das kann aber auch jederzeit jeden von uns treffen. Schnell kann die Zahl der Infektionen am Heimatort ansteigen und dann war es das mit dem Sommerurlaub an der Ostsee. Es sei denn, man hat einen negativen Corona- Test. So ein Test kann aber auch falsch- negativ sein. Der Zeitpunkt des Tests ist entscheidend. Dieser Corona-Test wird von der Politik als eine Art Freifahrtschein für den Urlaub dargestellt. Aber ist er das?

ALEXANDER KEKULÉ

Ja, da muss man vorsichtig sein. Und zwar ist die Antwort ein bisschen kompliziert. Bis vor kurzem war es ja so, dass nicht besonders viele Menschen infiziert sind. Dass wir insgesamt ein niedriges Infektionsgeschehen haben. Ganz selten hat der eine oder andere sich das Virus eingefangen, ohne dass man genau versteht warum. Man kann vor diesem Hintergrund sagen, es besteht ein Restrisiko, dass jemanden Erkrankungen in Urlaubsorte schleppt, das kontrollieren wir, indem wir empfehlen oder vorschreiben, dass, bevor man dort ankommt, ein nicht zu alter, einmaliger Test vorliegt. Dabei gehen einem viele durch die Lappen. Das ist völlig richtig.

Dieser Test kann auch falsch-negativ sein. Die meisten Fehler im Sinne von falsch- negativ entstehen durch schlechte Abnahmen, dass man diesen Rachenabstrich schlampig machte oder der Patient ein Würgereiz hat oder Ähnliches. Das würde man in Kauf nehmen, wenn der Hintergrund so ist, dass man ganz wenige Fälle hat. Wenn man die umgekehrte Situation hat, dass man in einem konkreten Cluster einen Ausbruch hat wie in Warendorf und Gütersloh. Wo man davon ausgehen muss, dass es Infektionen gegeben hat. Dann sind die ja ganz frisch, weil im Moment gerade das passiert ist. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass man jemanden erwischt, der noch in der Inkubationszeit ist und am Urlaubsort das Virus ausbrütet, hoch. Also jemand, der vorher negativ war, dann doch krank wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist in so einer Situation verhältnismäßig hoch, sodass ich für Menschen, die direkt aus dem akuten Ausbruchsgeschehen kommen, nicht empfehlen würde, so einen Test als Freifahrtschein zu nehmen.

CAMILLO SCHUMANN

Aber das ist die Grundlage, um überhaupt Urlaub zu machen. Also sie müssen einen machen. Das hat die Politik so festgelegt.

ALEXANDER KEKULÉ

Es ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Andererseits wir wissen ja, wenn sich wirklich diese Zahlen bestätigen sollten, das müssen wir abwarten. Bisher sind ja nicht so viele Menschen getestet worden. Da sind wir ja nicht so schnell wie die Chinesen, die in Peking in fünf Tagen paar Hunderttausend getestet hatten. Aber wenn wir wirklich einen Überblick haben, dass in den Schulen und Kitas und im privaten Kontakt der Mitarbeiter von Tönnies fast keine Übertragungen stattgefunden haben. Dann meine ich, steht sogar die Frage, ob man diesen Test überhaupt braucht. Und wenn das die Frage ist, dann kann man

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sagen: doppelt genäht hält besser. Dann macht man halt diesen Test. Wenn sich irgendjemand dadurch beruhigt fühlt, kann man das machen. Aber es bringt im Grunde genommen nur dann was, wenn man von einem Hintergrund von wenigen Fällen ausgeht. Ob wir so einen Hintergrund haben in diesen Regionen, das wissen wir nicht.

CAMILLO SCHUMANN

Aber trotzdem ist in den Staatskanzleien die Verunsicherung groß. Man möchte dementsprechend sein Bundesland schützen. Also ist es nachvollziehbar, dass man nachvollziehbare Maßnahmen trifft.

ALEXANDER KEKULÉ

Ja, sicher. Ich kann das auch nachvollziehen. Psychologisch ist es klar. Man muss irgendetwas tun und kann nicht eine Art Ischgl-Effekt in Kauf nehmen. Nur der Unterschied zu Ischgl, das ist ja immer das, was als Parallele genannt wird. Der Unterschied ist der, dass dort nichtsahnende Touristen massenweise infiziert waren und zurück in die Heimat gefahren sind. Hier ist es ja in Gütersloh so, dass die Menschen wissen, dass in ihrer Stadt ein Ausbruch war und wahrscheinlich beim ersten Symptom sich selber isolieren würden. Falls es wirklich so sein sollte, dass da nur wenige Menschen infiziert wären, aber das wissen wir noch nicht, dann wäre die Gefahr nicht so groß.

CAMILLO SCHUMANN

Außerdem geht es weiter um das gelernte Abstandhaltens, Mund-Nasen-Schutz etc.

ALEXANDER KEKULÉ

Das kommt noch dazu. Also ich bin ja grundsätzlich der Meinung, dass die effektivste Maßnahme, die wir haben, das ganz individuelle persönliche Verhalten ist. Menschen, die den Verdacht haben, dass sie infiziert sein könnten, dass die vorsichtig

sind. Die verhalten sich so, dass die Zahl der Infektionen deutlich reduziert wird. Wobei man zu den Abstands- und Nasen-Mund- Schutz-Regeln noch sagen muss, dass es wichtig ist, enge Räume zu meiden, wo viele Menschen sind und wenig Luftbewegung. Aber wenn man dieses Dreierpack von Hinweisen beachtet... Ich glaube, dann wird die Zahl der Infektionen niedrig bleiben.

CAMILLO SCHUMANN

Weil schon das Stichwort Ischgl gefallen ist. Da gibt es ja eine brandaktuelle Studie von heute. Da kommen wir im Laufe des Podcasts noch zu. Bleiben wir bei den Tests. Ist es überhaupt möglich, an so einen Test innerhalb von zwei Tagen zu kommen? Ein Amtsarzt in Magdeburg hat MDR Aktuell gesagt, so kurzfristig einen Test zu bekommen, sei allenfalls theoretisch machbar. Außerdem zahlen die Krankenkassen den Test nur, am Beispiel der Ambulanz in Magdeburg, wenn er medizinisch notwendig sei. Das hat die Politik vor ein paar Wochen völlig anders beschlossen. Dass man sich auch ohne Symptome testen lassen kann und die Kasse zahlt. Also bei den Tests scheint noch nicht alles rund zu laufen, oder?

ALEXANDER KEKULÉ

Ja, der Landrat von Warendorf hat ja gestern im Fernsehen in einer Sendung gesagt, dass er testen lässt. Ein bisschen trotzig nach dem Motto: „Ich habe keine Ahnung, wer das zahlt. Ich werde die Rechnung meinem Ministerpräsidenten nach Düsseldorf schicken oder an jemanden in Berlin. Aber wir gehen in Vorleistung.“ Aus solchen Äußerungen, der hat sehr aus dem Herzen gesprochen, da sieht man wie es solchen Lokalpolitikern, dann geht. Es ist dringend notwendig, dass klar ist, dass man bei so einem Ausbruch dann die Menschen, die den Urlaub fahren wollen oder die Angst haben, sich angesteckt zu haben, die in diesem Ort wohnen, dass man die aus

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Prophylaxe testet. Das ist doch das Mindeste, was die Politik anbieten muss. Und es ist ja bekannt, dass wahrscheinlich in der jetzigen Situation zwei Drittel der Kapazitäten nicht genutzt werden. Vielleicht 50 Prozent der Kapazitäten. Und dann soll es nicht am Geld liegen. Da muss man mit diesen Laboren verhandeln, dass die das preisgünstig abgeben.

CAMILLO SCHUMANN

Zudem wenn der Test die Grundlage ist, in ein Bundesland einreisen zu dürfen, um dort Urlaub zu machen. Dann sollten die Grundlagen auch dafür gelegt werden. Haben Sie vielleicht einen Tipp, wie man schnell an so einen Test kommt.

ALEXANDER KEKULÉ

Praktisch gesehen ist es so, wenn eine Indikation besteht, wird man getestet. Das heißt, wenn jemand Symptome hat, dann wird er auf jeden Fall getestet. Wenn Sie Symptome haben, werden sie getestet. Das andere ist, der Kontakt mit einer möglichen Risikoperson ist eine Indikation. In Warendorf und Gütersloh werden die das so definieren. Die werden sagen, dass die Einwohner grundsätzlich ... Tönnies hat 6000 oder 7000 Mitarbeiter in der Region. Da ist der mögliche Kontakt mit einem Mitarbeiter grundsätzlich gegeben. Und damit fällt das unter die strengen Kategorien des Robert Koch-Instituts. Ich glaube, wir sind aber da auf einem guten Weg. Es ist so, dass wir über diese Tests schon seit Beginn des Podcasts sprechen. Was in Bayern zum Beispiel ist, dass Einreisende getestet werden. Das ist der Anfang eines Umdenkens, dass man sagt, dieses Testen hat eben doch Sinn, auch prophylaktisch und auch ohne, dass jemand krank ist oder einen nachgewiesenen Anlass durch das Gesundheitsamt hat. Ich glaube, dass wir da in den nächsten Wochen eine Öffnung der Kriterien erleben werden, weil der allgemeine Gedanke sich durchgesetzt

hat, dass man dieses unsichtbare Virus nur sichtbar machen kann und diese Gefahr nur händelbar machen kann, indem man ganz massiv testet - auch auf Verdacht.

CAMILLO SCHUMANN

Aber vielleicht könnte es ja was bringen, wenn man weiß, wer schon immun ist gegen das Coronavirus. In der Bundesregierung wird ein Immunitätsausweis diskutiert. Die CDU ist dafür, die SPD dagegen. Was halten Sie von so einem Immunitätsausweis? Also quasi der Nachweis, ob man gegen das Coronavirus schon immun ist und Antikörper gebildet hat.

ALEXANDER KEKULÉ

Da gab es die Diskussion: Ist jemand überhaupt immun? Das war die Hauptkritik an solchen Tests. Stimmt es, wenn jemand positiv ist im Test, dass er wirklich immun ist? Dieser IgG-Test ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Hinweis darauf, dass man wirklich immun ist. Da gibt es andere Antikörper, die das definitiv beweisen. Das sind die „neutralisierenden Antikörper“. Aber wir wissen, dass das im Moment sich so verhält: nach aktueller Datenlage ist jeder der IgG-positiv ist, der hat auch neutralisierende. Das ist das, was man in diesem normalen Bluttest nachweist. Umgekehrt gibt es leider ziemlich viele Menschen, die neutralisierende Antikörper haben im IgG-Test negativ sind. Warum ist das so? Diese IgG-Tests weisen nur Antikörper nach, die gegen dieses Sars-CoV- 2 wirkt. Es gibt aber auch Menschen, die zum Beispiel eins der anderen Coronaviren abgekriegt haben. Da gibt es ja mindestens vier Typen, die regelmäßig bei uns auftauchen. Mit denen haben viele schon Kontakt gehabt. Die haben daher so eine Art Kreuzimmunität entwickelt gegen Sars-CoV- 2, die möglicherweise den Krankheitsverlauf schwächer werden lässt. Und wir wissen, durch eine Studie, die gerade letzte Woche rausgekommen ist: Auf

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jeden Fall haben wir auch Leute, die früher SARS abgekriegt haben. Das sind nicht so viele bei uns. Da gab es, glaube ich, genau einen Fall in Deutschland. Aber die, die früher SARS abgekriegt haben, also SARS 1 im Jahr 2003. Die haben auch wohl eine Immunität gegen Sars-CoV-2. Da ist epidemiologisch nicht relevant, aber das sagt einfach, dass es Menschen gibt, die laufen mit so einer Art natürlichen Immunität gegen dieses Virus herum. Und deshalb ist das Problem bei diesem Immunitätsausweis, dass man ganz vielen Menschen den Ausweis nicht geben wird, weil sie kein IgG haben. Aber trotzdem sind sie immun. Und das ist eine soziale Ungleichbehandlung. Die, die den Ausweis haben. Da stimmt es wahrscheinlich, was da draufsteht. Aber ganz viele kriegen ihn nicht, obwohl sie eigentlich immun sind. Da bin ich nicht so sicher. Das muss die Politik entscheiden, ob das fair ist.

CAMILLO SCHUMANN

Genau zu dieser Ungerechtigkeit in Anführungszeichen haben wir eine Mail bekommen, von Herrn F.: Gibt es nicht möglicherweise auch einen Test, um eine gewisse soziale Gleichheit herzustellen, um alle, die immun sind, auch zu hundert Prozent zu testen?

ALEXANDER KEKULÉ

Also den Test gibt es schon. Da braucht man ein Sicherheitslabor, indem man Viren anzüchten kann. Das ist bei uns dann die Stufe drei. Das ist die zweithöchste Stufe, also Stufe vier braucht man für Ebola. Und für das aktuelle Sars-CoV-2 braucht man Sicherheitslabore der Stufe drei. Das ist schon eine ziemliche Hightech-Ausstattung. Das haben nicht alle Universitäten. Selbst so normale Labor haben das in der Regel nicht. Da muss man lebendige Sars-CoV-2 Viren anzüchten, also das Virus selber anzüchten. Es ist nicht ganz trivial. Da nimmt man tierische Zellen. Die wachsen bei 37 Grad

üblicherweise. Und dann infiziert man diese Zellen mit Viren. Und dann vermehren sich die Viren. Das kann man messen, diese Vermehrung. Und wenn man dazu Antikörper von den Patienten gibt und diese Antikörper neutralisierend sind, dann stoppen sie die Virusvermehrung in der Zellkultur. Und das ist ein aufwendiger Test. Das dauert ziemlich lange bis man das nachgewiesen hat. Da muss man irre viele Kontrollen machen, damit es auch aussagekräftig ist. Den könnte man machen. Aber da muss man entweder in einer Studie beteiligt sein oder man braucht einen sehr guten Freund, der zufällig Virologe ist.

CAMILLO SCHUMANN

Das haben ja nicht so viele.

Mit anderen Worten, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist dieser Immunitätsausweis... Der hört sich wunderbar an, umfasst aber tatsächlich nicht alle, die auch wirklich immun sind. Also mit anderen Worten ist der Name ein bisschen irreführend und führt eigentlich nicht zum Ziel.

ALEXANDER KEKULÉ

Ich glaube, dass es zu einer Ungerechtigkeit führt. Also jeder, der positiv ist auf IgG. Da würde ich im Moment davon ausgehen. Ich hoffe, dass wir uns da nicht irgendwann revidieren müssen, der ist dann auch wirklich halbwegs immun. Nur die ganzen Anderen, vielleicht ist das sogar die Hälfte? Das wissen wir nicht. Kann sein, dass die Hälfte der Menschen, die mit dem Virus Kontakt haben, nur zum Zeitpunkt X im IgG- Test positiv ist. Das liegt daran, dass einige eben das IgG gar nicht so richtig deutlich entwickeln nach dem Kontakt mit dem Sars- CoV-2. Und andere verlieren es ja schon nach ein, zwei Monaten. Wir wissen ja, dass dieses Virus in Europa wohl doch deutlich früher schon vorhanden war, als man das wahrgenommen hat. Das heißt, es gibt

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vielleicht Touristen, die waren in Südtirol irgendwann Ende Januar im Urlaub und haben sich da unbemerkt immunisiert. Die würden wahrscheinlich heute gar nicht mehr IgG-Titter haben, die hoch genug sind, dass man seinen Ausweis bekommt.

CAMILLO SCHUMANN

Regionen, in denen das Virus besonders heftig gewütet hat, sind ja in diesem Zusammenhang besonders interessant. Sie haben es gerade gesagt. Ischgl gilt mit seinen Apres-Ski-Bars als Brennpunkt für die Ausbreitung des Coronavirus in Österreich und auch Teilen Europas. Und nun hat die medizinische Uni Innsbruck 80 Prozent der Einwohner Ischgls auf Antikörper untersucht mit interessanten Ergebnissen.

ALEXANDER KEKULÉ

Das ist ein Ergebnis, was nur auf der Tonspur verbreitet wurde. Es gibt noch keine richtige Studie. Zumindest habe ich die noch nicht in den Händen gehabt. Aber was man hört ist, dass 80 Prozent der Ischgl-Bewohner, 1473, untersucht wurden. Das ist schon eine sportliche Leistung. Übrigens die Universität Innsbruck... Das klingt nach Skifahrer-Region, ist aber eine sehr anerkannte, vor allem im biochemischen medizinischen Bereich hervorragende Universität. Und die haben festgestellt, dass 42 Prozent, von denen, die sie getestet haben, tatsächlich diese IgG- Antikörper haben. Wenn man das gerade eben Gesagte dazu nimmt, kann man davon ausgehen, dass ein paar mehr wahrscheinlich immun sind, wo die schon gar kein IgG mehr hatten. Das heißt also, das ist eine sehr hohe Zahl. Wir erinnern uns: in Schweden haben die sich ja echt Mühe gegeben eine Durchseuchung hinzukriegen. Das war ja die Politik und Herr Tegnell, der dortige Epidemiologe, der das Ganze

koordiniert. Der hat immer gehofft, dass man auf 25 Prozent kommt. Und dann waren es bei den ersten Studien immer noch unter zehn Prozent. Selbst in den Ballungsregionen wie Stockholm. Also auf Ischgl, ist er bestimmt sehr, sehr neidisch, weil fast die Hälfte aller Einwohner - 42 Prozent hier quasi - als immun gelten.

CAMILLO SCHUMANN

Und das sei der weltweit höchste bisher publizierte Wert, mit Abstand sogar.

ALEXANDER KEKULÉ

Welcher Ort hat denn schon in der Größenordnung von 1800 Einwohnern, das ist ein kleines Kollektiv. Da hat man es relativ leicht, eine Durchseuchung hinzukriegen und leicht mit Tests nachzuweisen.

CAMILLO SCHUMANN

Und wenn man sich das so anschaut. Was sagt uns das? Wichtig wäre doch zu wissen, wie schwer die Verläufe, die Symptome waren und wie es den Menschen ging.

ALEXANDER KEKULÉ

Ja, das Erste, was es mir sagt, dass ganz schön viele Menschen in Ischgl beim Apres Ski mitgemacht haben. Auch die Einwohner. Man könnte sich ja vorstellen, dass viele Einwohner sagen, „Lasst mich in Ruhe mit diesem Touristenkram.“ Aber scheinbar hatten die engen Kontakt. Oder es wurde in den Familien weitergetragen. Aber da wissen wir, dass die Übertragung gar nicht so effektiv ist. Zweitens ist es tatsächlich so, dass nach diesen bisherigen Veröffentlichungen, das ist ja noch nicht als Studie geprüft... Dass nur 15 Prozent Symptome hatten. Die allermeisten haben letztlich eine stille Feiung erlebt haben. Schöner Ausdruck. Eine stille Feiung ist quasi, ohne dass sie es gemerkt hat, sind sie immun geworden dagegen. Oder dass Leute,

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die dort leben, nicht so zimperlich sind, wenn es ein bisschen kratzt im Hals. Wenn sie später befragt werden, sagen sie: „Ich war eigentlich nie krank.“ Wie auch immer. Es ist so, dass wir davon ausgehen können, dass eigentlich diese Bevölkerung dort als Wohnbevölkerung eine Herdenimmunität hat. Man sagt ja immer, die Herdenimmunität geht bei 60 Prozent los. Aber 42 Prozent plus eine Dunkelziffer, die vielleicht schon IgG-negativ geworden sind und das Ereignis ist eine Weile her. Das bedeutet, dass die besonders sozial aktive Bevölkerung tendenziell besonders gut geschützt ist. Und die, die weniger aktiv sind, haben wahrscheinlich dann weniger Anteil an dieser Immunität. Aber die Aktiven und Geschützten schützen die anderen in gewisser Weise, sodass man von einer beginnenden Herdenimmunität reden kann. Da ist wahrscheinlich die ganze Welt neidisch.

CAMILLO SCHUMANN

„Beginnende Herdenimmunität“, weil Sie gerade gesagt haben, da ist bereits Herdenimmunität, weil die 42 Prozent wären es ja noch nicht, oder?

ALEXANDER KEKULÉ

Nennen wir es Herdenschutz. Der Herdenschutz beginnt sicherlich so in dem Bereich, wo ein Drittel der Menschen immun ist und hängt extrem davon ab, welcher Teil der Bevölkerung immun ist und was die für ein Sozialverhalten haben. Wenn man über die Gesamtbevölkerung so eine Zahl legt. Das hat viele Nachteile. Der wichtigste ist, dass man bei dieser klassischen Herdenimmunität-Schwelle, die dann bei 66 Prozent liegen würde. In diesem Fall von Covid19. Da geht man davon aus, dass alle genau gleich aktiv sind, sozial alle genau das gleiche Risiko haben und jeder mit jedem, auch durch alle Altersgruppen hinweg des Virus austauschen kann. Homogene Vermischung nennt man das.

Diese Voraussetzung ist nie und nirgends in menschlichen Umgebungen erfüllt. Deshalb ist es ein sehr, sehr theoretischer Wert. Praktisch gesehen ist es ein erheblicher Schutzeffekt, wenn Sie 42 Prozent IgG Positive in der Bevölkerung haben.

CAMILLO SCHUMANN

Also spannende Ergebnisse aus der Studie in Innsbruck. Wir werden sicherlich hier im Podcast, wenn die Studie veröffentlicht ist... Dann werden wir uns die Studie detailliert noch anschauen. Wir werden sicher noch darauf Bezug nehmen, weil sicher die eine oder andere schöne Informationen dabei ist.

Nächstes Thema: Welche Medikamente helfen gegen Covid19, mildern den Verlauf, bekämpfen die Viren? Da wurden ja schon einige Mittel in den vergangenen Monaten ausprobiert mit unterschiedlichen Erfolgen. Wir haben im Podcast darüber berichtet. Am vielversprechendsten und kurz vor der Zulassung gegen Corona steht das Ebola- Mittel Remdesivir. Nun gibt es aber zu berichten, dass auch Antidepressiva eine positive Wirkung bei der Bekämpfung des Coronavirus haben, speziell ein Mittel, das eigentlich Kinder beruhigen soll. Das könnte auch die Viren beruhigen.

ALEXANDER KEKULÉ

Ja, das beruhigt Kinder und auch Erwachsene. Das ist dieses Mittel, was Sie als das Fluoxetin in Deutschland kennen, das vielleicht manche als Fluctin und weltweit heißt es Prozac. Es ist ein uraltes Mittel aus den 70er-Jahren, was ein klassisches Antidepressivum ist. Was in einigen Industriegesellschaften auch quasi genommen wird wie Hustenbonbons. Dieses Mittel ist auf einer langen Liste von Substanzen, die aufs Geratewohl geprüft wurden, ob sie eine antivirale Wirkung haben. Das ist ein ganz toller Ansatz, dass man das überhaupt macht, weil es ja viele Medikamente gibt, die zugelassen sind, wo

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man weiß, dass sie halbwegs sicher sind, die auch gar nicht so teuer sind und keiner weiß, ob irgendetwas vielleicht auch gegen Viren wirkt. Die hat man ja noch nicht alle durchgetestet. Da haben Wissenschaftler der Universität Würzburg am Institut für Virologie und Immunbiologie... Die haben sich mehrere Substanzen vorgenommen und unter anderem dieses Fluctin oder Prozac getestet. Einschränkend muss man sagen, sie kamen nur unter Laborbedingungen in der Zellkultur darauf, dass es einen deutlichen Effekt hat.

CAMILLO SCHUMANN

Die Konzentration ist auch entscheidend, wie effektiv gegen das Virus vorgegangen werden kann. Wie ist es in diesem Fall?

ALEXANDER KEKULÉ

Ja, das ist gezeigt worden, dass eine Wirkung auftritt in dem Bereich, der im Blut durch eine Überdosierung zu erreichen wäre. Sie würden also diese Konzentration, um die es da geht, wo also die Wirkung sozusagen nachgewiesen ist, das sind im konkreten Fall 800 Nanogramm pro Milliliter, also 800 Nanogramm sind 800 Milliardstel Gramm pro Milliliter. Das klingt relativ wenig, ist aber als medizinische Medikamentendosis schon viel und wäre bei einem Patienten, der dieses Medikament antidepressiv nimmt, eine klare Überdosierung. Die Patienten haben in der Größenordnung, wenn sie unter Therapie stehen, vielleicht so 50 oder 100 Nanogramm pro Milliliter. Kommt ein bisschen drauf an, wie der Mensch individuell ist. Aber wir wissen bei diesen Medikamenten und das ist ganz interessant... Das ist ja ein Antidepressivum. Es kommt leider relativ häufig vor, dass Menschen, die so was nehmen, auch einen Suizidversuch machen. Und dann nehmen sie ausgerechnet das Medikament, was sie als Antidepressivum verschrieben bekommen haben. Weil sie da gerade die

großen Packungen im Schrank haben. Deshalb testet man bei solchen Mitteln besonders genau aus, was passiert bei einer Überdosierung. Das ist hier schon x-mal gemacht worden. Erstens testweise und zweitens, weil es leider auch tragische Fälle gab, wo Leute damit Suizidversuch unternommen haben. Deshalb weiß man, dass man das relativ rabiat überdosieren kann. Da gibt es manchmal Herz-Schwächen, also Störungen im EKG. Da gibt es neurologische Störungen. Es gab auch Leute, die epileptische Anfälle davon gekriegt haben und Ähnliches. Aber so richtig, dass man gleich tot umfällt, ist das Medikament nicht beschrieben worden. Das hat einen relativ breiten Puffer nach oben. Man kommt nicht so schnell in den giftigen toxischen Bereich hinein, sodass es schon sein kann, dass man möglicherweise mit diesem Mittel in die therapeutische Dosis käme. Es ist auf jeden Fall wert, das auszuprobieren. Ein anderer Hinweis, der für mich wichtig war, aus der experimentellen Seite. Die haben nicht nur nicht nur das Sars-CoV-2 untersucht, sondern auch eine Reihe anderer Viren, die sie wahrscheinlich gerade so im Labor hatten. Da haben sie das Tollwutvirus genommen. Oder RSV, das ist so ein Virus, was bei Kindern Atemwegserkrankungen macht und noch zwei Sorten von Herpes- Viren. Der Preprint sagt: Es hat keine Wirkung gehabt bei diesen anderen Viren. Das ist ein Hinweis darauf, dass die irgendetwas Spezifisches gesehen haben. So banale Effekte, die man im Labor leider immer wieder sieht, die kann man dadurch ausschließen, dass es bei einem Virus vorhanden ist und beim anderen nicht. Es scheint ein selektiver Mechanismus zu sein. Das hat nichts zu tun mit der Wirkung, die dieses Medikament aufs zentrale Nervensystem hat. Das ist irgendein anderer Effekt. Aber ich bin schon der Meinung, dass man auf dieser Basis eine klinische Studie

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versuchen sollte. Zumindest ausprobieren, ob dass irgendeinen Effekt in der Klinik hat.

CAMILLO SCHUMANN

Wie könnte die Karriere dieses Medikaments aussehen? Studie und dann schauen?

ALEXANDER KEKULÉ

Das Schöne ist, wir haben ja immer Phase eins, Phase zwei, Phase drei bei diesen Mitteln. In der Phase eins muss in einer klinischen Studie erst geprüft werden, wie ist die Toxizität. Das kann man sich sparen. Da kennt man dermaßen viele Daten seit den 70ern. Es gibt diese vielen Selbstmordversuche, die auch schon ausgewertet wurden. Toxisch ist es also nicht. Phase zwei wäre das nächste, was man machen würde, dass man mit einer kleinen Zahl von Probanden schaut, ob das irgendeinen Effekt hat im Falle des Sars- CoV-2. Man macht auch in der Phase zwei/drei Studien, wo man gleich eine größere Zahl von Probanden nimmt. In die Verlegenheit kommen wir in Deutschland nicht, falls wir das hier machen sollten, weil wir gar nicht so viele Probanden haben. Wir haben nicht so viele Covid 19-Patienten, dass wir gleich tausend Patienten schnell testen könnten. Aber ich glaube, so eine klassische Phase-zwei-Studie. Wo man bis zu hundert Patienten nimmt, am besten in mehreren Zentren mit einem schönen Protokoll. Das heißt, also auch, dassm an das vergleicht mit einer Therapie, die Standard wäre, oder die mit einer guten Kontrollgruppe, die keine Therapie bekommt. Das ist eine klassische, kontrollierte klinische Studie. Das könnte man hier machen. Dann würde man sehen, gibt es einen Hinweis auf den Effekt, oder nicht. Leider muss man hier warnen. Fast alle Wirkstoffe, die in der pharmazeutischen Industrie vorhanden sind, die so ein gutes Bild haben... Fast alle fallen leider durch, weil es aus irgendwelchen Gründen nicht

funktioniert. Da ist die Konzentration des Wirkstoffs zum Beispiel in den Lungenzellen, wo es darauf ankäme, nicht hoch genug. Oder es gibt eine Verzögerung. Oder es gibt eine schnellere Heilung die signifikant ist. Oder die Zahl der Todesfälle wird nicht reduziert oder Ähnliches. Also, da ist noch ein langer Weg hin, dass man das wirklich unterschreiben kann, dass das als Medikament geeignet, ist aber einer von vielen Versuchen. Und ich finde es ganz toll, dass so etwas gemacht wird.

CAMILLO SCHUMANN

Wir sind gespannt.

Wir kommen zu den Hörerfragen für diese Ausgabe. Herr F. trägt Maske und hat uns gemailt. Kann man für den privaten Gebrauch eine FFP2-Maske mit CE-Zertifikat nicht drei Tage offen und luftig liegen lassen, bis alle Coronaviren von alleine absterben? Man könnte dann drei Masken im Turnus verwenden, statt 300 zu verwenden und die Umwelt zu belasten.

ALEXANDER KEKULÉ

Masken im Turnus verwenden ist gut. Man muss, wenn man nicht im Krankenhaus arbeitet, wirklich keine Angst haben, dass da massenweise Coronaviren drankleben. Wir müssen ja noch sehr, sehr lange mit diesem Problem klarkommen. Da dürfen wir nicht die Vorstellung haben, das überall an unseren Händen und an unseren Masken ständig diese Viren kleben. Wenn man nicht im Krankenhaus arbeitet, hat man normalerweise an dieser Maske auch außen keine Viren dran. Und wenn, dann sind die ganz schnell auch von selber tot also inaktiviert. Die halten es nicht lange aus. Bei diesen FFP-Masken ist es viel wichtiger, dass im Lauf der Zeit das Filtermaterial zugeht. Das ist ja ein sehr feines Filter. Der verklebt mit Staub und mit irgendwelchen Sachen, die man ausatmet. Unter Umständen, je nachdem, wie die Maske

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gebaut ist. Wenn die Maske schwergängig wird, dass man also nicht mehr richtig Luft bekommt. Dann ist wirklich der Moment, die wegzuwerfen. Da hilft auch alles Waschen nicht. Da muss man sie wirklich austauschen gegen eine neue. Das ist viel wichtiger als die Frage, ob da irgendwelche Viren drankleben. Das halte ich nicht für eine große Gefahr.

CAMILLO SCHUMANN

Aber so wie es Herr F. macht, drei Masken im Turnus verwenden, hört sich doch prima an.

ALEXANDER KEKULÉ

Das kann man auf jeden Fall machen, wenn man unbedingt wollte. Wenn man wirklich an Viren glaubt, würde ich sie wahrscheinlich noch unter UV-Licht legen oder Ähnliches. Aber dass ist keine Empfehlung, sondern im Gegenteil, will ich nur zeigen, was man machen kann. Viel wichtiger ist, dass man aufmerksam ist, wenn die Maske nicht mehr so leicht gängig ist. Da soll man sich nicht plagen, das ist auch schlecht für die Lunge. Da muss man sie wirklich weg tun.

CAMILLO SCHUMANN

Frau N. schreibt:

Ich betreibe einen kleinen Friseursalon und überlege, ob ich mir einen Lüfter über meinen Friseur-Platz einbaue. Ich kann nicht immer bei offener Tür arbeiten. Kann ich die Aerosole damit verringern?

Ist das eine gute Idee: einen Lüfter über dem Arbeitsplatz?

ALEXANDER KEKULÉ

Das ist eine schwierige Frage, die wir noch nicht abschließend beantworten haben. Es ist ja so, dass man, wenn man infiziert ist, diese Viren ausatmet. Und was passiert damit? Normalerweise setzt sich das nach

einer Weile am Boden ab. Da werden sie relativ schnell inaktiviert. Wenn es nicht ein supersauberer Stahlboden ist, dann ist man in einer Situation, wo die es nicht lange aushalten. Aber wenn ich einen Lüfter habe, dann kann der dazu führen, dass die Viren im Raum länger in der Luft bleiben statt sich abzusetzen. So kann der gegenteilige Effekt von dem eintreten, den man haben will. Es gibt zwei Überlegungen: die eine ist, wenn zwei Menschen nah beieinander sind: Es ist doch gut, zwischen den beiden in gewissen Luftwechsel zu haben, damit sich da keine Virus-Wolke bildet. Das ist das Argument für den Lüfter. Und das andere Argument ist: das ständige Wieder-Aufwirbeln von Partikeln, die normalerweise zu Boden sinken würden. Das ist das Argument gegen den Lüfter. Es hat noch keiner getestet, welches überwiegt. Deshalb würde ich sagen: Auf gut Glück Lüfter einbauen, in der Hoffnung, dass der was bringt. Das würde ich wirklich nicht machen.

CAMILLO SCHUMANN

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 73 und wie gewohnt das gute Gefühl zum Schluss. Herr Kekulé, haben Sie was?

ALEXANDER KEKULÉ

Eigentlich ist die positive Nachricht schon gefallen. Die große Befürchtung war ja, dass es Satelliten-Ausbrüche in größerer Menge gibt durch den Ausbruch bei Tönnies. Und wenn das sich bewahrheitet, dass sich nur so wenige Menschen in der Umgebung angesteckt haben, dann bin ich sehr, sehr optimistisch, dass wir diesen dramatischen und wahrscheinlich sogar historischen Ausbruch dort in Gütersloh oder im Raum Gütersloh... Dass wir den relativ schnell wieder in den Griff bekommen. Das wäre, wenn sich das bewahrheitet, wirklich eine sehr positive Nachricht für mich.

CAMILLO SCHUMANN

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Das hoffen wir auch. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns am Samstag wieder. Bis dahin.

ALEXANDER KEKULÉ

Ich freue mich darauf, Herr Schumann.

CAMILLO SCHUMANN

Tschüss.

Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns eine Mail unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 300 22 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Dienstag, 23.06.2020 #72: Landkreis Gütersloh abriegeln?

Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann

Dienstag, 23. Juni 2020. Erneuter Lockdown für den Kreis Gütersloh. Anlass ist der massive Coronavirus Ausbruch beim Fleischverarbeiter Tönnies. 1. Kommt die Maßnahme noch rechtzeitig? 2. Dann: Muss man erst Krankheitssymptome entwickelt haben, damit das Immunsystem auch langfristig Antikörper bildet? Eine Studie sorgt für Diskussion. 3. Außerdem: Israel kämpft mit einer 2. Corona-Welle, obwohl das Land das Virus doch eigentlich so gut wie besiegt hatte. Was können wir daraus lernen? 4. Und, wie kann eine Maske unterwegs am sichersten transportiert werden?

Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – das Nachrichtenradio. Jeden Tag lassen wir die wichtigsten Ereignisse rund um das Coronavirus einschätzen. Und wir beantworten ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Ich würde gerne diese Ausgabe mit einem O-Ton von Lothar Wieler starten, Chef des Robert Koch-Instituts. Der hat beim heutigen Pressebriefing Folgendes gesagt:

„Das Virus ist ja noch in unserem Land. Wenn wir ihm die Chance geben, sich auszubreiten, dann nimmt es sich diese Chance. Das sieht man an den derzeitigen Ausbruchgeschehen.“ (Lothar Wieler, Robert Koch-Institut)

Und diese Chance bekommt das Virus gerade in Nordrhein-Westfalen in besonderem Maße, und zwar beim Fleischverarbeiter Tönnies. Im Kreis Gütersloh werden immer mehr Vertragsmitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet. Von den fast 6.000 Mitarbeitern haben, Stand heute, Dienstag, 23. Juni, über 1.500 ein positives Testergebnis erhalten. Und diese Zahl, die könnte auch weiter ansteigen. 1500 es ist eine gewaltige Zahl. NRW- Ministerpräsident Armin Laschet hat heute gesagt, es handele sich um das bisher größte Infektionsgeschehen in NRW und in Deutschland. Deshalb gilt für den gesamten Landkreis Gütersloh ein Lockdown, und zwar bis 30. Juni. Das wurde heute beschlossen. Herr Kekulé, ist das die richtige Entscheidung?

[0:02:07]

Alexander Kekulé

Ja, auf jeden Fall eine richtige Entscheidung, bis 30. Juni. Ich weiß ich nicht genau, ob das reichen wird, weil man eigentlich 14 Tage braucht, bis die Symptome bei allen aufgetreten sind. Und da hätte ich wahrscheinlich eher für zwei Wochen plädiert.

Camillo Schumann

Aber grundsätzlich, dass man es jetzt getan hat, ist eine richtige Entscheidung. Ich war auch ein bisschen verwundert, nur so ein paar Tage. Welche Gefahr birgt das?

Alexander Kekulé

Wir wissen ja, dass die Inkubationszeit bis zu zwei Wochen dauern kann. Im schlimmsten Fall wird dann der Lockdown wieder aufgemacht und erst danach werden Menschen erkannt, die sich vorher infiziert hatten. Zweitens brauchen die Behörden ihre Zeit. Diese zwei Wochen sind schon sehr sportlich, weil die Behörde muss ja auch Tests machen. Die Tests müssen ausgewertet werden. Dann muss man dann drüber brüten, welche Maßnahmen ergreift. Darum hätte ich wahrscheinlich zwei Wochen von vornherein angesagt. Ich glaube auch nicht, dass man den

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Lockdown nach einer Woche wieder beenden können wird.

[0:03:02]

Camillo Schumann

Der Lockdown im Kreis Gütersloh bedeutet ganz konkret, dass nun wieder Kontaktbeschränkungen eingeführt werden. Außerdem sind Freizeitaktivitäten in geschlossenen Räumen vorübergehend nicht gestattet. Ausstellungen, Museen, Bars müssen wieder schließen. Aber Restaurants und Speisegaststätten können wieder, bzw. können geöffnet bleiben, aber nur noch für Menschen aus einem Hausstand. Wie hört sich das für Sie an?

[0:03:30]

Alexander Kekulé

Ja, das mit den Menschen aus einem Hausstand finde ich sehr, sehr, sehr komfortabel. Also die Familie, die denn da alleine speist in dem Restaurant, wenn ich mir das richtig vorstelle. Also ich glaube nicht, dass sich das für die Restaurants rentiert. Möglicherweise ist es auch jetzt von der Presse so auf die Schnelle falsch kommuniziert worden. Insgesamt muss man sagen, wir sind in einer Situation, wo offensichtlich die allermeisten Fälle bei diesem großen Fleischverarbeiter aufgetreten sind. Das waren viele Arbeiter aus Osteuropa, die aber dort leben, die schon lange dort leben, ihre Familien dort haben, ihre Freunde, ihre Kinder. Jetzt ist natürlich die ganz entscheidende Frage, die alles steuert. Wieviel Menschen wurden in diesem Großraum Gütersloh bereits angesteckt? Wenn es so wäre, dass sich das nicht auf die Mitarbeiter des Betriebs inzwischen beschränkt, sondern auf einen größeren Raum außen rum, dann hätte man tatsächlich überlegen müssen, ob man auch einen Lockdown im klassischen Sinn macht, nämlich Ein- und Ausreise aus Gütersloh unterbinden oder zumindest zu reduzieren. Weil wir im Moment in einer Situation sind, dass wir in Deutschland flächendeckend eigentlich sehr wenig Fälle haben. Und wenn dann so ein einzelnes massives Ausbruchsgeschehen in einer Stadt ist, dann ist es eine der wenigen Situationen, wo man zumindest mal drüber nachdenken kann, ob man eine Ein- und Ausreisesperre macht,

zumindest für eine gewisse Zeit, so 1-2 Wochen lang.

[0:04:55]

Camillo Schumann

Herr Laschet schließt das aus. Das möchte er jetzt nicht tun, hat er heute gesagt. Aber er appelliert an die Bevölkerung, jetzt auf große Reisen, oder vielleicht den Landkreis zu verlassen, zu verzichten. Nur so als Beispiel: In Magdeburg gab es ja auch einen neuen Ausbruch. Jetzt nicht in diesem in dieser Dimension, aber der Oberbürgermeister dort, der überlegt, tatsächlich einen Stadtteil komplett abzuriegeln. Wäre das mit dem Landkreis Gütersloh vielleicht eine richtige Maßnahme?

[0:05:22]

Alexander Kekulé

Das hat so viele Aspekte. Wenn man dann natürlich einen Infektiologen fragt, kriegt man eher eine vorsichtige Antwort. Deshalb würde ich sagen ja, und es wäre auf jeden Fall etwas, was man hätte überlegen müssen. Das Problem ist nur, im klassischen Sinne vom Ursprung des Wortes heißt ja so etwas dann Lockdown, wenn man eine Region einsperrt. Das Problem ist nur, so was darf man nicht mit Ankündigung machen, das haben wir in Norditalien gesehen, wenn man vorher irgendwie sagt, dass man das machen will. Selbst wenn man es nur 12 Stunden vorher sagt, dann sind ganz viele Leute raus aus dieser Region. Und Gütersloh ist ja auch, sage ich mal, überschaubar. Da ist man innerhalb kürzester Zeit außerhalb des Bereichs, der dann quasi unter den Lockdown käme. Die Frage, die sich hier auch stellt: Es sind ja viele Arbeiter, die aus Osteuropa pendeln, in diesen Betrieb. Wie viele hat man eigentlich erfolgreich tatsächlich unter Quarantäne gestellt? Beziehungsweise, wie viele haben vielleicht diese Wohnungen, die jetzt unter Quarantäne stehen, verlassen, weil sie wussten, dass das kommt und haben sich irgendwo anders hin begeben?

[0:06:22]

Camillo Schumann

Das ist genau der Punkt, wenn ich Sie kurz unterbrechen darf. Jetzt hat man ja vier Monate Pandemieerfahrung. Man hat nach den erneuten Testungen gemerkt, irgendwas

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stimmt da nicht. Seit Bekanntwerden des Ausbruchs bei Tönnies ist fast eine ganze Woche vergangen. Und jetzt wurde dieser Lockdown beschlossenen. In diesen vergangenen sechs Tagen, da sollen ja auch einige vermutlich positiv getestete Mitarbeiter trotz Quarantäne-Anordnung in die Heimat gereist sein. Dann Hoteliers auf Usedom, die hatten vorsichtshalber Urlauber aus Gütersloh mal nach Hause geschickt. Haben Behörden, Politik und Unternehmen in Ihren Augen schnell genug gehandelt oder konnten sie nicht anders?

[0:06:56]

Alexander Kekulé

Nein, sie haben nicht schnell genug gehandelt. Wir haben hier im Podcast letzte Woche mit Tim Deisinger schon genau diesen Fall besprochen und mal verglichen, was in Gütersloh passiert oder eben nicht passiert. Und wie konsequent die Maßnahmen in Peking sind, wo in Peking damals zu dem Zeitpunkt nur ein Viertel der Fälle aufgetreten war im Vergleich zu Gütersloh. Also da, wenn man wirklich das ernst meint mit der Bekämpfung der Epidemie in Deutschland – und da sind wir natürlich jetzt in einer Phase, wo sich solche Maßnahmen auch lohnen – dann muss man in so einem Ausbruch dann sehr schnell und frühzeitig dann auch Maßnahmen ergreifen. Das ist hier nicht geschehen. Man weiß natürlich nicht, wie groß der Schaden sein wird. Aber im schlimmsten Fall, um da auch mal den Teufel an die Wand zu malen, könnte es sein, dass wirklich viele Mitarbeiter vorzeitig Gütersloh und die Fabrik verlassen haben und das Virus jetzt in der Republik irgendwo, oder in benachbarte Städte, dann weiter getragen haben.

[0:07:54]

Camillo Schumann

Aber vielleicht hätte man sich so einen enormen Ausbruch gar nicht vorstellen können. 1.500 positiv getestete, eine enorme Zahl, die sich auch keiner so richtig erklären kann. Auch nicht NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, heute auf der Pressekonferenz zum Lockdown. Wir hören mal rein:

„Wir haben flächendeckend getestet, vor wenigen Wochen fast null Infektionen im Betrieb Tönnies, und haben jetzt diese

Explosion an Zahlen. Was ist der Patient Null? Was ist der Anlass, der das so hat eskalieren lassen? Und das wird derzeit, soweit man das kann, untersucht.“

(Armin Laschet, Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen)

Das ist doch Wahnsinn. Von paar Wochen fast nix. Und jetzt diese Explosion.

[0:08:33]

Alexander Kekulé

Naja, die Frage ist, was sie da genau im Betrieb Tönnies getestet haben. Also da kenne ich die Zahlen nicht. Wenn es tatsächlich so wäre, dass die in diesem Betrieb flächendeckend getestet hätten, dann wäre das natürlich interessant. Dann müsste man tatsächlich die Theorie, die will schon ein paarmal besprochen haben, noch mal aus der Kiste ziehen und sagen, vielleicht hat es tatsächlich was mit dieser Arbeit in den Kühlräumen zu tun. Weil, wenn es jetzt nur auf die Unterkünfte ankäme, da kann ich mir nicht vorstellen, dass man 1.500 Mitarbeiter in kürzester Zeit infiziert. Ich weiß aber nicht, ob man so weit gehen soll. Die wahrscheinlichste Erklärung ist einfach, dass dieser Ausbruch schon länger vorhanden war und wie auch immer bisher nicht entdeckt wurde. Wenn diese wahrscheinliche Erklärung tatsächlich stimmen sollte, dann hat man, wenn man hingeschaut hat, nicht genau genug hingeschaut in der Vergangenheit

[0:09:26]

Camillo Schumann

Die große Frage: Wie kam das Virus in die Fabrik zu den Mitarbeitern? Diese Frage ist ja noch nicht abschließend geklärt. In Ausgabe 70 haben Sie mehrere Varianten genannt. Es könnte aus der Kühlung kommen, aus den Wohnungen der Mitarbeiter. Eine Variante kommt nun von einer Hörerin dieses Podcasts hinzu. Hören wir mal kurz rein:

„Ich frage mich, weshalb in China, wo wieder ein Ausbruch verzeichnet worden ist, die ganzen Lachsfische zurückgegeben worden und die Schneidebretter beschlagnahmt worden sind, weil da Coronavirus darauf gefunden worden ist – ich frage mich, reagiert die BRD wieder zu leichtfertig?“ (Hörerin)

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Auf so auf einem Markt in Peking wurde das Virus auch auf Schneidebretter nachgewiesen. Und unserer Hörer, Herr W., fragt sich, ob sich die vielen Fleischfabrikarbeiter an den verarbeiteten Tieren selbst infiziert haben könnten. Und ich habe vorhin gelesen, als Zentrum der Infektion, wurde offenbar die Abteilung der Fleischzerteilung lokalisiert. Also könnte das Fleisch der Ursprung sein?

[0:10:27]

Alexander Kekulé

Wenn das so wäre, dann hätte man ja infizierte Tiere. Ich halte das für extrem unwahrscheinlich. Das wäre sozusagen der virologische Super-GAU. Das würde dann ja bedeuten, dass wir möglicherweise tierische Coronaviren, die natürlich mal vorkommen und den Menschen nichts tun in der Regel, dass wir solche aus Versehen mit unserem Test nachweisen. Dann werden die sozusagen falsch-positiv. Ich glaub da nicht dran, weil der Test wirklich sehr genau ist. Und genau diese Unterscheidung zwischen tierischen bekannten Coronaviren und auch menschlichen Coronaviren und diesem neuen SARS-CoV-2, um das es eigentlich geht. Das ist hundert Mal geprüft worden. Das macht der Test eigentlich zuverlässig. Wahrscheinlicher ist tatsächlich, dass es vielleicht mit der Temperatur in diesen in diesen Hallen zu tun hat. Die ist natürlich runtergekühlt und wenn die Luft kühl und trocken ist, das lieben die Viren, vor allem, wenn sie atemwegs-übertragen sind. Dann können die sich da ganz wunderbar ausbreiten. Und das ist ja so eine der Ideen, die seit Monaten so rumgeistert, dass möglicherweise die die Herstellung winterlicher Bedingungen in diesen Räumen dann auch zu Winter-ähnlichen Ausbrüchen führt.

Camillo Schumann

Welche so zwei, drei grundlegenden Fragen in Bezug auf diesen Ausbruch sind für sie jetzt die entscheidenden?

Alexander Kekulé

Für mich ist nicht entscheidend, wie das zum Teil jetzt auch politisch diskutiert wird, wo das Virus genau herkam. Lothar Wieler vom Robert Koch-Institut hat es völlig richtig gesagt, das Virus ist einfach noch da in Deutschland, und es kann jetzt quasi aus der Nachbarfamilie

eingeschleppt worden sein. Es kann natürlich auch aus Osteuropa eingeschleppt worden sein. Aber wenn das nur ein einziger Import war, dann ist das nicht so relevant. Und das sich jetzt da praktisch die Hälfte der Mitarbeiter auf einen Schlag infiziert hätten im Ausland, das halte ich jetzt für unwahrscheinlich. Nein, die entscheidende Frage ist wirklich, wie ist die Infektionskette dort in dem Betrieb? Also was ist sozusagen das Typische an diesen Schlachthöfen, was zu dieser massiven Ausbreitung führt? Da hat man es schon bei der ersten festgestellten Welle in Tönnies verpasst, genauer zu untersuchen, was die Übertragungswege waren. Ich hoffe, dass man jetzt noch einmal wirklich rangeht. Und das Zweite, was fast bundesweit viel wichtiger ist die Frage, wie viele von den Infektionen wurden schon nach außen getragen? Zum Beispiel durch Kinder der Mitarbeiter, die mit anderen Kindern in Schulen und Kitas zusammen sind oder auch durch enge Kontakte außerhalb dieses Betriebs? Weil, das ist die eigentliche epidemiologisch relevante Frage. Die Mitarbeiter von Tönnies, die jetzt unter Quarantäne stehen, oder von mir aus auch die, die nach Osteuropa direkt durchgefahren sind, die sind ja für Deutschland nicht so relevant. Für uns sind hier die relevant, die angesteckt wurden, ohne dass man es im Moment bemerkt hat.

[0:13:14]

Camillo Schumann

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hatte am Sonntag zumindest noch gesagt, dass es keine signifikante Ausbreitung ergibt mit dem Ursprung in Tönnies in der Stadt, beziehungsweise im Landkreis Gütersloh. Das könnte sich aber ändern, oder?

[0:13:30]

Alexander Kekulé

Das kommt darauf an, wie viel man wirklich testet. In der Fabrik selber sind ja etwas über 6.000 Mitarbeiter aktuell getestet worden. Ich nehme an, dass man im Landkreis dann einige Tausend noch zusätzlich gemacht hat. Aber diese Zahl ist, glaube ich, nicht offiziell bekannt. Ich will, dass nur noch einmal vergleichen mit den, nach meiner Erinnerung, 350.000, die in Peking innerhalb von fünf

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Tagen getestet wurden. Wenn man natürlich so massiv in ganz Gütersloh alles durchtesten würde und dieses Angebot ist im Prinzip vorhanden – so viel ich gehört habe, darf sich da jetzt jeder umsonst testen lassen, wenn er will – wenn man das also ganz massiv machen würde und dann nichts findet, dann würde ich sagen, ist die Aussage sehr wahrscheinlich richtig, dass es kaum zu einer Weiterverbreitung geführt hat. Das wäre dann epidemiologisch noch interessanter, weil die Frage ist, warum so viele Menschen, die krank waren oder infiziert waren, niemanden angesteckt haben. Das andere, was wir uns fragen müssen, ist: Hier sind Menschen offensichtlich seit einigen Wochen, würde ich mal sagen, infiziert gewesen. Aber scheinbar haben sie entweder keine starken Symptome gehabt. Oder sie haben es unterlassen, ihrem Arbeitgeber zu melden, dass sie krank sind. Und beides ist natürlich extrem wichtig. Weil, wenn wir hier so viele Arbeiter haben, die keine Symptome haben, dann muss man viel, viel besser in solchen Umgebungen schon prophylaktisch Tests durchführen. Und wenn man Arbeitsverhältnisse hat, wo sich die Leute nicht trauen, zu melden, dass sie krank sind, da muss man auf dieser Schiene was machen. Also das ist ein hochinteressanter Ausbruch, der wahrscheinlich auch in die Geschichte eingehen wird. Weil es sein kann, dass der uns jetzt zumindest in der Region dort in NRW tatsächlich für längere Zeit in Lockdown- ähnliche Verhältnisse zurückwirft.

[0:15:13]

Camillo Schumann

Aus den sieben Tagen können dann gern mal ein paar Wochen werden. Oder?

Alexander Kekulé

Das halte ich durchaus für möglich, weil die Untersuchungen auch so lange dauern. Das wird man sehen.

[0:15:22]

Camillo Schumann

Und dieser Massenausbruch ist auch der Grund dafür, dass der R-Wert in schwindelerregende Höhen geklettert ist. Er liegt, Stand Dienstag 0 Uhr, bei 2,76. Das heißt, ein Infizierter steckt im Mittel 2-3 weitere Menschen an. Geglättet, also wenn ein

längerer Betrachtungszeitraum zugrunde gelegt wird, liegt der R-Wert bei 1,83. Herr Kekulé, weil wir wissen, dass der Ausbruch bei Tönnies hinter diesem Wert es steckt, kein Grund, um in Panik zu verfallen?

[0:15:49]

Alexander Kekulé

Das ist mir immer ganz wichtig. Man muss in so einem Fall wirklich von den Initialfällen ausgehen: Das heißt von den Ersterkrankungen, die ohne Zusammenhang mit einem lokalen Ausbruch aufgetreten sind. Dann ist der R-Wert wesentlich aussagekräftiger. Wenn man so einen Ausbruch mit über 1.000 Fällen hier hat und wenn man insgesamt im Bundesgebiet ein niedriges Level hat, dann schnellt dieser R-Wert hoch. Das sagt aber gar nichts aus. Dann könnte man den von vor ein paar Tagen nehmen und sagen, zusätzlich hat es den Tönnies-Ausbruch gegeben, übrigens auch den Ausbruch in einem Wohnheim in Berlin- Neukölln. Da ist ein Wohnblock auch betroffen. Und diese zwei Ausbrüche, die führen hier zu einer Verschlechterung des R-Werts.

Das Robert Koch-Institut hat ja seit einigen Wochen diese Rechnung veröffentlicht, sodass man das selbst nachvollziehen kann.

Camillo Schumann

Das haben Sie getan. Sie haben die großen Fälle rausgerechnet und wo liegt der R-Wert da?

Alexander Kekulé

Ich habe nur Berlin, weil da die Zahlen bekannt sind von Neukölln und die von Gütersloh habe ich rausgenommen. Und wenn man das dann noch einmal neu rechnet, dann kommt man in eine Größenordnung von 0,94. Also dann ist man wieder unter 1, auf jeden Fall. Das kann man nicht so ganz genau nehmen, weil natürlich nicht veröffentlicht ist, wie viele Fälle ganz genau an welchem Tag, wo gemeldet wurden. Aber auf jeden Fall kann man sagen, ohne diese zwei Ausbrüche hätten wir in Deutschland einen R-Wert von weiterhin unter 1 ist oder im Bereich von 1. Und das heißt, bundesweit gesehen, und nur darum geht es ja eigentlich bei diesem Wert, ist das kein Grund, Alarm zu schlagen.

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[0:17:22]

Camillo Schumann

Die Ereignisse von Gütersloh werden uns noch eine Weile beschäftigen. Und wir sind gespannt, wo weitere, wie Sie immer so schön sagen, Wespen- oder Hornissennester entstehen in Deutschland. Oder?

[0:17:36]

Alexander Kekulé

Ja, das sind die Satellitenausbrüche, die wir jetzt befürchten müssen. Das Virus tut uns den Gefallen, dass es im Sommer in der Regel nicht so leicht übertragbar ist. Aber wir wissen es nicht. Es kann sein, dass die eine oder andere Feier noch stattgefunden hat oder in einer Kneipe etwas passiert ist, irgendwo in einem geschlossenen Raum viele Leute zusammen waren und Mitarbeiter der Fleischfabrik dabei. Dann können wir uns in den nächsten Tagen noch auf weitere Satellitenausbrüche gefasst machen.

[0:18:05] Herr Kekulé, wir müssen mal nach Israel schauen. Dort beginnt gerade eine zweite Infektionswelle. Israel hatte das Coronavirus fast „ausgerottet“. Nun hat das Land jeden Tag hunderte Neuinfektionen. Fakt ist: Israel hatte damals mit drastischen Maßnahmen auf das Virus reagiert und jetzt offenbar zu schnell gelockert? Wie schätzen Sie das ein?

[0:18:27]

Alexander Kekulé

Ja, die haben eigentlich ein interessantes Experiment gemacht. Wir sprechen ja immer so von dem „schwedischen Experiment“, wenn man gar nichts tut, so ganz stimmt es ja nicht. Und jetzt gibt es das „israelische Experiment“: Was passiert, wenn man auf einmal auf einen Schlag alles zugleich lockert? Das haben die Mitte Mai gemacht, da haben sie einfach alle Schulen aufgemacht. Natürlich hatten die Kinder dort weiterhin Masken auf, zumindest, so sollten sie das offiziell haben. Aber auch sonst ist das Leben mit einem Schlag wieder angelaufen. Und da sind wir jetzt wirklich in der Situation, dass wir, ich glaube die hatten so eine Größenordnung von 20 Fällen am Tag. Jetzt haben sie allein am Freitag, 350

Neuinfektionen gemeldet. Man muss sagen, Israel hat etwa 8 Millionen Einwohner. Das heißt also 350 Fälle beim 1/10 der Einwohner von Deutschland ist wirklich viel. Gestern, am Montag, waren es nochmal 142 Fälle offiziell, die nachgemeldet wurden. Das heißt also, wir haben hier wirklich einen massiven Neuausbruch, und es wurden die Schulen wieder geschlossen. Jetzt wird diskutiert, alles wieder zurückzudrehen. Also so das klassische Modell, was ja früher von unserem Bundesgesundheitsminister auch mal vorgeschlagen wurde: beschleunigen und bremsen. Jetzt haben sie erstmal gebremst und beschleunigt, und jetzt müssen sie wohl wieder bremsen, so wie es aussieht.

[0:19:39]

Camillo Schumann

Beschleunigen, Bremsen, nicht nur in Deutschland, auch in Israel. Besonders interessant in Israel ist aber der Aspekt: Mehr als 40 % der neuen Corona-Fälle seien Kinder, die sich im Unterricht angesteckt hätten. Inzwischen sind etwa, Sie haben es schon gesagt, 200 von 5.000 Schulen im Land wieder geschlossen, weil sich dort regelrechte Hotspots gebildet hatten. Auch bei uns werden wieder Schulen geschlossen. Clusterbildung an Schulen ist ein großes Problem, das offenbar schwer in den Griff zu bekommen ist.

[0:20:05]

Alexander Kekulé

Ja, also die Zahlen aus Israel habe ich mir da relativ genau auch in dem Aspekt angesehen. Es wird dort immer gesagt und in der Presse berichtet, und auch Politiker sagen, dass das die Schulen hier ein ganz wichtiger Hotspot gewesen sind – und ja, es gibt diesen berühmten Fall von einem Gymnasium in Jerusalem und einer Schule in Jaffa. In Jaffa waren es, glaube ich, 43 Schüler, die auf einmal infiziert waren. Es gibt da plötzlich Zahlen, wo viele Schüler auf einmal infiziert sind. Aber auch in Israel hat niemand genau untersucht: War das dann so, dass das ein Ausbruch in der Schule war. Also Infektion von Schüler zu Schüler? Oder war das vielleicht so das – weil die Schulen dort sehr oft, regional die Kinder aus der Region zusammenfassen – vielleicht so, dass in der Region einfach dieses Virus schon da war. Beide Möglichkeiten gibt

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es. Aber man kann für uns einfach mal zusammengefasst sagen, die Zahlen aus Israel deuten auf keinen Fall darauf hin, dass Schüler weniger infektiös sind oder weniger am Infektionsgeschehen teilnehmen als Erwachsene. Solange wir nicht irgendwie ein harten Beleg dafür haben, dass Schüler und natürlich auch Kindergartenkinder möglicherweise weniger ansteckend sind als Erwachsene, wie das ja in Deutschland manche Politiker hoffen, solange wir keinen harten Beleg dafür haben, finde ich es relativ gefährlich, auf diese Karte zu setzen.

Camillo Schumann

Was können wir noch aus den Fehlern lernen, die in Israel gemacht wurden?

Alexander Kekulé

In Israel haben die ja eigentlich den Luxus, dass viele der Ausbrüche in Regionen sind, wo jüngere Menschen sind. Zum Beispiel, darf man sich gar nicht vorstellen, wie es wahrscheinlich auf der Westbank in Hebron dort aussieht. Das sind eben sehr viele jüngere Menschen. Aber die Fälle sind rapide gestiegen und es kann auch kaum getestet werden, wie das dort sein müsste. In den Palästinenser- Gebieten ist das ist natürlich extrem schwierig. Und das eine ist, dass sie die Jungen haben. Das heißt also dadurch relativ wenig Todesfälle. Das ist eine Israel ein Vorteil. Andererseits haben sie eben auch Ausbrüche jetzt ganz aktuell in Regionen, wo man weiß, dass viele ältere Menschen leben. Und dort versucht Israel jetzt, die älteren Menschen in Sicherheit zu bringen. Aber versucht es jetzt, das heißt wirklich spät. Also da gibt es einen Ort, den kennt man vielleicht, wenn man mal in Israel war. Das ist Bat-Yam, südlich von Tel Aviv, ein Badeort direkt am Meer. Und da leben viele alte Menschen. Das ist so eine Region, wo auch die russische Community früher mal hingezogen ist. Da sind viele dieser Ruheständler, kann man sagen. Dort haben sie im Moment 106 Fälle pro 100.000 Einwohner. Also bei uns ist ja diese Grenze 50 pro 100.000. Die haben die also überschritten ums Doppelte. Da kann man sich vorstellen, wie es da zugeht. Also da sind sehr, sehr viele Menschen krank und in einer Region mit besonders vielen alten Einwohnern. Und da

können wir wirklich davon lernen, dass wir in Deutschland höllisch aufpassen müssen, dass wir in Regionen mit älterer Bevölkerung oder eben auch weiterhin in Altersheimen keine Ausbrüche bekommen. Das wird dann viel, viel schlimmer als das, was wir jetzt bei Tönnies gesehen haben.

[0:23:06]

Camillo Schumann

Wenn man sich hier so das Infektionsgeschehen in Deutschland anschaut. Auch gerade mit diesen ehemaligen Hotspots, sage ich mal, die Altersheime, die Krankenhäuser. Da sind wir eigentlich auf einem guten Weg, oder?

[0:23:19]

Alexander Kekulé

Ich glaube ja, ich habe den Eindruck, die Jahreszeit hilft uns natürlich, aber ich habe schon den Eindruck, dass wir jetzt die Chance haben, das ganz gut im Griff zu bekommen. Wir sind ja in Deutschland in solchen Fällen immer gut organisiert. Ich finde auch, dass wir als Bevölkerung relativ schnell lernen. Das hat man wirklich sonst nicht so oft auf der Welt, dass man eine Bevölkerung hat, die die solche Sachen dann auch mitmachen, selbst wenn sich die Ansagen manchmal ändern. Und wir haben zum Beispiel die Krankenhäuser jetzt, finde ich, ganz gut im Griff. Da gibt es kaum noch Infektionen vom Personal. Bei den Altersheimen überblicke ich es nicht so genau. Aber zumindest die Zahl der neu gemeldeten Ausbrüche ist nicht so hoch. Das Robert Koch- Institut berichtet in seinem aktuellen Lagebericht, dass es weiterhin in Alters- Unterkünften Ausbrüche gibt. Aber nach meinem Eindruck sind es solche, wo man schon wusste, dass die stattgefunden hatten. Also wir können das in Griff bekommen. Aber ich möchte nur wirklich nochmal davor warnen: Der Sommer verleitet ja zu so einer entspannten Grundhaltung. Wir müssen diese wenigen wichtigen Dinge, insbesondere den Schutz der Alten, dringend im Auge behalten, auch wenn die warme Jahreszeit kommt.

[0:24:27]

Camillo Schumann

Das war noch einmal ein mahnendes Wort vom Virologen an dieser Stelle. Das ist ja auch

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richtig. Das muss man ja auch ab und zu mal wieder machen. Es ist wirklich draußen schön. Die Biergärten sind voll, und da kann man mal das eine oder andere vergessen.

Herr Kekulé, wir müssen in dieser Ausgabe noch über eine Studie sprechen, und zwar eine Studie, die mich persönlich auch sehr besorgt im Laufe der Pandemie. Auch nach vielen Gesprächen mit Ihnen dachte ich so auf der, „Corona-Sonnenseite“ zu leben. Ich bin mit 41 Jahren noch relativ jung, gesund, sportlich, habe das Virus vielleicht ohne Symptome gehabt, nicht bemerkt und besitze jetzt toi, toi, toi, vielleicht sogar Antikörper. Perfekte Sache eigentlich. Aber offenbar schützen mich diese Antikörper gar nicht so lange, wenn ich von der Infektion nichts mitbekommen habe, oder?

[0:25:16]

Alexander Kekulé

Ja, die aktuelle Studie, die da gemacht wurde, von der von der Region Chongqing in China. Das ist so auf halber Strecke zwischen Peking und Guangdong. Da hat man eine Studie gemacht, wo man verglichen hat asymptomatische und symptomatische Patienten, einfach 37 jeweils genommen und geguckt: Wie verhalten sich da die Antikörper bei denen. Ein Ergebnis ist, dass die Patienten, die keine Symptome gehabt hatten, dass die tatsächlich schneller ihre Antikörper gegen das Virus verlieren. Das hat man sich angeguckt, ungefähr acht Wochen nach der Entlassung. Und da hat man gesehen, dass bei denen, die also asymptomatisch waren, ungefähr 40 % schon in dem Bereich waren, wo diese klassischen IgG-Antikörper nicht mehr nachweisbar waren. Und bei denen die Symptome hatten, etwa 13 Prozent. Also ein deutlich höherer Anteil derer, die keine Symptome hatte, verliert die Antikörper.

Man muss nur sagen, um Sie zu beruhigen, dass Sie in ihren jungen Jahren möglicherweise doch entspannt sein könnten, falls Sie infiziert wurden. Das ist ja gar nicht gesagt, da bin ich gar nicht so optimistisch. Was man schon dazu sagen muss, ist Folgendes: Diese IgG-Antikörper, das ist der normale Test. Und dieser Test, wenn der negativ wird, das sieht so aus, als wäre jemand negativ. Aber die haben in dieser Studie das noch weiter untersucht und haben wirklich genau geguckt, wie ist es eigentlich mit den

sogenannten neutralisierenden Antikörpern? Das sind die, von denen man weiß, dass sie wirklich das Virus inaktivieren können bei einer Neuinfektion. Und diese neutralisierenden Antikörper, das ist sozusagen nicht genau das Gleiche wie das, was der IgG-Test misst. Da ist es so, dass dieses Verschwinden des Antikörpers nur minimal war. Also das war eigentlich nicht relevant. Das IgG verschwindet wesentlich schneller, als die wirklich relevanten wichtigen neutralisierenden Antikörper.

Und da gibt es schon diverse andere Studien, die dazu gelaufen sind. Die haben gezeigt, dass zum Beispiel auch die Immunzellen, die sich merken, ob man Kontakt mit dem Virus hatte, und die dann wieder aktiv werden, wenn das Virus noch mal kommen sollte – die also sozusagen von der zellulären Seite die Immunität vermitteln – die verändern sich praktisch nicht innerhalb der Monate nach der Infektion. Der Mensch behält, obwohl diese IgG-Antikörper verschwinden, das immunologische Gedächtnis dafür, dass er mal infiziert war. Da genügend aller kleinste Mengen von diesen neutralisierenden Antikörpern, die dann schnell wieder produziert werden, im Bereich von Milliardstel Gramm pro Milliliter, um das Virus zu inaktivieren, sodass sich nach wie vor Optimist bin.

[0:28:00]

Camillo Schumann

Prima, ich jetzt auch. Also da haben Sie mir jetzt auf jeden Fall ein bisschen den Zahn gezogen, dass ich mich da jetzt Gedanken machen muss. Also ich habe sozusagen die super Antikörper, und ich habe Immunzellen mit einem Elefantengedächtnis. Und da dürfte eigentlich die zweite Welle hoffentlich an mir und an allen Menschen, denen es ähnlich geht wie mir, hoffentlich spurlos vorbeigehen.

[0:28:23]

Alexander Kekulé

Na ja, die Voraussetzung ist, dass sie schon mal die Krankheit durchgemacht haben. Das sind in Deutschland wahrscheinlich unter 5 %. Und wenn Sie meinen, Sie haben sie asymptomatisch durchgemacht, da muss man sagen, wir gehen davon aus, dass nur 20-50 % der Erkrankungen asymptomatisch sind. Das

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heißt, die meisten müssten es merken, wenn sie krank sind. Da wäre ich also jetzt nicht so optimistisch, dass es mich einfach mal so en passant, ohne dass ich etwas mitbekommen habe, tatsächlich erwischt hat.

Die Studie hat aber noch einen anderen wichtigen Aspekt aus meiner Sicht. Und das ist Folgendes: Wir wissen, dass die Menschen wahrscheinlich weiterhin geschützt sind, aber dieses IgG verschwindet relativ schnell. Und das ist ja das, was unsere Tests messen. Wenn wir immer davon reden, dass das Robert Koch- Institut eine Studie angefangen hat, wo sie bundesweit mal gucken wollen, wie viele Menschen sind überhaupt infiziert in Deutschland, um zu schätzen, wie viel Prozent immun sein könnten. Und die Ergebnisse sollen im Dezember vorliegen und macht es da relativ entspannt, offensichtlich. Dann ist das jetzt hier ein Warnsignal gewesen. Weil wenn ich mich jetzt, nach wenigen Monaten schon das IgG verschwindet, dann kann man gar nicht mehr feststellen, wer sich infiziert hat und wer nicht. Deshalb muss man jetzt bei diesen Studien bisschen Gas geben, würde ich sagen,

[0:29:39]

Camillo Schumann

Herr Kekulé, wir kommen zu den Hörerfragen. Eine besorgte Mutti hat uns gemailt. Sie schreibt: „Meine Tochter hat seit gestern plötzlich Schnupfen und Heiserkeit. In den Kindergarten darf sie so natürlich nicht. Deshalb rief ich früh gleich beim Kinderarzt an, und der sagte, es ist doch nur eine Heiserkeit. Bei Husten und Fieber, melden Sie sich dann einfach noch mal. Nach zwei Tagen, wenn Symptome weg sind, kann sie auch wieder gehen. Unser Landkreis hat schon lange keine positiven Tests, da brauche ich keine Angst haben.“

Sie schreibt dann weiter:

„... eine Frage, ob wir am Wochenende eventuell weiter weg waren oder Kontakt mit anderen Personen hatten, gab es nicht. Ich verstehe das nicht. Warum testet man nicht und gut ist? Wie verhalten wir uns nun? Sobald sie gegebenenfalls übermorgen keine Heiserkeit mehr hat, wieder in die Kita schicken?“ (Hörerin)

[0:30:24]

Alexander Kekulé

Naja, also erstens hat der Arzt recht. So eine reine Heiserkeit ohne alle anderen Symptome wäre extrem untypisch für Covid-19. Also das habe ich jetzt noch nicht gehört, dass es das gibt. Deshalb hat der so intuitiv schon recht gehabt. Was man auch sagen muss, ist natürlich, leider sind wir epidemiologisch schlecht trainiert in Deutschland, und das gilt für viele europäische Länder. Natürlich muss ein Arzt genau diese Fragen stellen: Waren Sie irgendwo weiter weg gewesen? Hatten Sie Kontakt mit jemandem, der möglicherweise im Krankenhaus arbeitet oder im Altersheim? Und all diese typischen epidemiologischen Fragen zur Risikoabklärung, die wird man sicherlich schon stellen müssen. Andererseits tendieren Kinderärztin dazu, die Eltern zu beruhigen in solchen Situationen. Und darum kann ich mir schon vorstellen, dass der das alles wusste, was ich gesagt habe, aber einfach mal pauschal gesagt hat: In unserer Region ist nicht so viel los. Machen Sie sich keine Sorgen. Das ist so eine typische Aufgabe des Kinderarztes, ja nicht nur die Kinder zu therapieren, sondern immer zugleich auch die Eltern zu beruhigen.

[0:31:29]

Camillo Schumann

Er hat sie versucht zu beruhigen, und das Gegenteil ist passiert. Und in dem Fall war ja die Frage, wenn jetzt keine Heiserkeit mehr ist, in die Kita schicken. Also ich lese da mal raus aus Ihren Antworten: natürlich!

[0:31:42]

Alexander Kekulé

Ja, natürlich, wenn sonst nix passiert, wenn keine Kopfschmerzen auftreten und sonst nichts. Ich bin dafür, die Kinder in der Kita zumindest bei der bei der Neueröffnung einmal alle zu testen und dann vielleicht regelmäßig und in bestimmten Abständen das zu wiederholen. Das wäre natürlich optimal. Aber jetzt ein einzelnes Kind, bloß weil es gerade mal heiser ist, zu testen, das ist, glaube ich, nicht notwendig. Da gibt es bestimmt noch andere Kinder, die mal Kopfschmerzen hatten oder mal sogar Fieber hat nun Ähnliches, was gar nicht dokumentiert ist. Da würde ich wegen der Heiserkeit jetzt nicht speziell anfangen.

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[0:32:14]

Alexander Kekulé

Frau G. hat gemailt. Sie schreibt, sie trägt wie die meisten Menschen eine Maske und fragt sich aber wohin mit der Maske, wenn sie unterwegs ist und die Maske gerade nicht braucht? Sie schreibt weiter:

„... ich kann sie doch nicht in die Handtasche, Jackentasche etc. stecken oder wie viele es tun, am Hals tragen. Das passt für mein Verständnis nicht zusammen. Wie handhaben Sie das im täglichen Gebrauch, Herr Kekulé?“ (Hörerin) Direkte Frage an Sie!

[0:32:40]

Alexander Kekulé

Also ich habe inzwischen in jedem Mantel, in jeder Jacke und überall mindestens eine Maske in der Tasche stecken, weil ich die sonst immer vergesse und es einen großen Lacher gibt, falls mich jemand kennt im Laden. Das sind ganz normale, einfache, billige OP-Masken und die sind total zusammengeknüllt. Und die muss ich dann immer jeweils entfalten und von irgendwelchen Keksbröseln befreien, bevor ich sie mir aufsetze.

[0:33:05]

Camillo Schumann

Ja, aber weil sie sich das überhaupt nicht vorstellen konnte, dass man das so sicher transportieren kann, zum Beispiel wie ich auch in der Gesäßtasche. Die sieht genauso aus wie bei Ihnen. Das ist sicher, das ist in Ordnung? Frau G. hat da ihre Zweifel.

[0:33:18]

Alexander Kekulé

Na ja, das eine ist, die Maske sollte nicht beschädigt sein. Das ist wichtig, dass sie keine Löcher hat. Sie sollte nicht schon so lange getragen oder anderweitig benutzt worden sein, dass sie verklebt ist oder Ähnliches. Aber nur, weil sie ein bisschen krumpelig ist, das macht eigentlich gar nichts. Und die Hörerin hat möglicherweise sich überlegt, dass da außen an der Maske irgendwelche Viren sitzen könnten, die man jetzt nicht in die Tasche stecken darf. Das ist aber viel zu weit gedacht. Wir reden hier von Alltagsmasken. Anders als in der Situation im Krankenhaus, wo man natürlich, wenn ein Patient mal angespuckt hat oder Ähnliches, tatsächlich die Viren in großer

Menge eventuell außen auf der Maske hat, muss man damit nicht rechnen, wenn man irgendwo beim Bäcker war und ein paar Brötchen geholt hat.

[0:34:04]

Camillo Schumann

Also eine alltagsverträgliche Antwort von Professor Kekulé. Unter #fragkekule hat User Eberhard bei Twitter folgende Frage: „#fragkekule Ist derzeit vom Zusammentreffen alter Skatrunden oder Doppelkopfrunden von Rentnern zum Kartenspielen in privaten Wohnungen abzuraten?“

Übrigens haben wir diese Frage mehrfach von Hörern bekommen. Ich habe jetzt nun mal die von User Eberhard rausgesucht. Offenbar scheint das mittlerweile seit paar Wochen jetzt wirklich ein Problem zu sein, man möchte sich wieder zum Skatkloppen treffen.

[0:34:34]

Alexander Kekulé

Also beim Skat habe ich düster in Erinnerung, dass man nur zu dritt ist. Da würde ich jetzt mal sagen, dass es auf jeden Fall in Ordnung. Jetzt müssen Sie mir aber helfen, beim Doppelkopf wie viele ...?

Camillo Schumann

Keine Ahnung. Mau-Mau kann ich oder „32 heb auf!“.

Alexander Kekulé

Ich würde sagen, zu dritt am Tisch und Karten spielen, das kann man auf jeden Fall verantworten in der jetzigen Situation. Was ich immer empfehlen würde, wir haben ja Sommer, Fenster auf und gut lüften. Und vielleicht nicht sich gegenseitig anbrüllen, auch wenn man beim Skat den einen oder anderen Fachausdruck zwischendurch aussprechen muss. Und dass die Leute auch manchmal laut gerne machen, weil es da mehr Spaß macht. Aber wenn man sich nicht so ins Gesicht brüllt dabei, dann, glaube ich, ist Skat spielen völlig in Ordnung.

Camillo Schumann

Und ein großer runder Tisch. Man muss ja nicht aufeinander hocken.

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Alexander Kekulé

Es hat nicht jeder einen großen runden Tisch zu Hause. Aber ein bisschen Abstand halten, diese 1,50 m bis 2 m Meter Abstand, das ist schon vernünftig, wenn man das auch in der Wohnung hinkriegt. Aber wir müssen es auch so sehen: Wir sind ja ein Land, was jetzt die letzten Wochen im Lockdown war. Und jeder weiß doch selber ungefähr, was er danach gemacht hat. Klar, wenn sie natürlich bei Tönnies in der Fabrik gearbeitet haben, dann sollten Sie sich vielleicht nicht gerade zum Skatspielen treffen. Aber, wenn Sie wissen, Sie haben sich an die Regeln gehalten, in ihrem Umfeld da ist niemand krank geworden. Und die anderen beiden Partner sind so ähnlich. Dann glaube ich, muss man da nicht päpstlicher als der Papst sein.

[0:35:54]

Camillo Schumann

Damit sind wir am Ende von Ausgabe 72. Und ich finde, es ist ja immer sehr schön, Herr Kekulé, wenn die Hörer dieses Podcasts mit einem guten Gefühl entlassen werden. Haben Sie etwas für ein gutes Gefühl?

[0:36:06]

Alexander Kekulé

Ja, wir hatten heute schon etwas versteckt in unserer heutigen Sendung. Wenn es jetzt tatsächlich so ist, und das haben die Studien gezeigt, dass das praktisch alle Menschen, die die Erkrankung Covid-19 durchgemacht haben, tatsächlich auch neutralisierende Antikörper haben, also Antikörper, die wirklich das Virus erledigen können, letztlich. Und diese Antikörper sind typischerweise gegen dieses Spike gerichtet, also gegen dieses S-Protein von dem Virus. Dann heißt es umgekehrt, dass ein Impfstoff, der der dieses S-Protein enthält, dass der tatsächlich bei nahezu 100 % der Menschen wirksam sein sollte. Das heißt, die aktuellen Daten deuten darauf hin, dass die Methoden, wie die Impfstoffe im Moment entwickelt werden, höchstwahrscheinlich dazu führen, dass wir sehr, sehr gut wirksame Impfstoffe haben, die möglicherweise sogar bei älteren Menschen funktionieren.

[0:36:55]

Camillo Schuman

Das ist diese positive Prognose zum Ausstieg aus dieser heutigen Ausgabe. Vielen Dank, wir hören uns am Donnerstag wieder.

Alexander Kekulé

Das sehe ich aus so, Herr Schumann. Und dann freue ich mich auf Donnerstag.

Camillo Schumann

Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns eine Mail unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 300 22 00.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 18.06.2020 #71: SPEZIAL, Ihre Fragen, seine Antworten.

Tim Deisinger, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

[0:00:10]

Tim Deisinger

Kekulés Corona-Kompass Spezial nur mit Ihren Fragen.

Die Corona-App ist da. Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland ist wieder gestiegen. Bund und Länder haben sich wieder auf einen gemeinsamen Kurs durch die Krise verständigt. Ein wichtiger Punkt: Großveranstaltungen bleiben erst einmal verboten. Ausnahmen seien aber möglich. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hat gesagt, Zitat:

„... was sicher auf absehbare Zeit nicht geht, das sind Großpartys, sind Ischgl-Ereignisse oder etwas Ähnliches, wo Alkohol und Enge miteinander verbunden sind. Aber etwa Konzertveranstaltung, bei denen man wisse, wer teilnehme, wie die Abstände untereinander seien, über so etwas wird man ja nachdenken können. Und das liegt dann an jedem Gesundheitsamt zu beurteilen, sind die Konzepte so, dass man so etwas genehmigen kann.“

Damit wollen wir heute anfangen. Ich bin Tim Deisinger Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell. Und die Einschätzungen holen wir ein und die Fragen beantwortet wie immer der renommierte Virologe und Epidemiologe Alexander Kekulé.

Guten Tag, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Es ist Wochenende. Viele Menschen gehen raus und eigentlich am Samstag auch gerne aus. Markus P. aus Hilden hat uns dazu geschrieben. Ihn bedrückt die Situation der Clubs und Diskotheken. Ich zitiere:

„Ich selbst gehe sehr gerne auf Clubkonzerte, so mit zwischen 50 und 500 Leuten. Die Clubs sind geschlossen und solche Konzerte bis auf weiteres verboten. Eine Abstandsregelung ist und wird hier nicht möglich sein. Eine Schließung dieser Einrichtung und über viele weitere Monate und gegebenenfalls Jahre hinweg, halte ich ebenfalls für alle Beteiligten nicht für vertretbar. Man bedenke in diesem Zusammenhang auch die Gefahr von illegalen und unkontrollierten Veranstaltungen. Ich denke, dass es daher sehr wichtig ist, den Veranstaltern, den Künstlern und dem Publikum eine baldige Perspektive zu geben und Konzepte für einen kontrollierten Betrieb zu erarbeiten.“

So und nun hat er ein paar Ideen:

1. Dokumentation der Kontaktdaten aller Konzertbesucher. 2. Temperaturkontrolle beim Einlass. 3. Einlass nur mit aktuellem, negativem Test, sofern Massentest verfügbar.

4. Mindeststandards der Belüftung festlegen. 5. Reduzierte Besucheranzahl.

Das waren fünf Punkte. Könnten Sie da Hoffnungen machen?

[0:02:29]

Alexander Kekulé

Ja, das ist, meines Erachtens, dringend notwendig. Das betrifft ja viele Lebensbereiche. Man sollte, meines Erachtens, vor allem die Tests vorantreiben. Das kann ich an der Stelle noch mal sagen, ceterum censeo, den Test, den am besten jeder selbst machen kann. Das ist, meines Erachtens, auch ein gutes Konzept zu sagen, dass jeder, der an solchen Veranstaltungen teilnehmen will, wo man eben kein perfektes Hygienekonzept hinbekommt, dass der sich vorher testen lassen muss. Das ist zwar nicht 100% sicher. Klar, wir wissen alle, es

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gibt so eine kurze Phase ein, zwei Tage vielleicht, wo der Test negativ ist, aber man trotzdem dann kurz danach ansteckend sein kann. Aber diese wenigen Fälle von falsch- negativen Tests jetzt zum Grund zu nehmen, über Monate und Jahre hinweg so was alles zu verbieten, halte ich nicht für sinnvoll. In meinem Konzept wäre dabei tatsächlich die Testung. Die Luftwechsel würden eine Rolle spielen. Notfalls muss man halt mal eine Pause machen. Und was mir wichtig wäre, ist, dass man ganz explizite Hinweise für Risikopersonen hat. Wenn jetzt einer wirklich 75 Jahre alt ist und verschiedene Grunderkrankungen hat, dann muss er sich überlegen, ob er in so einen echten, engen Clinch mit anderen Leuten in den Club gehen will. Das ist eine ähnliche Situation, wie früher in den Kneipen, wo geraucht wurde. Es gibt auch noch viele Bundesländer, wo das auch noch möglich ist. Dann nimmt man ja auch keine Kinder mit rein in diese Kneipen und darf das zum Teil nicht. Drum glaube ich, es gibt ganz viele Dinge, die dann Regelungsbedarf brauchen. Und zuallererst natürlich die ganzen kulturellen Veranstaltungen. Das kann ja nicht sein, dass wir unsere gesamte Kultur in Deutschland jetzt über Monate hinweg, in der Hoffnung, dass irgendwann vielleicht ein Impfstoff kommt, einschlafen lassen.

[0:04:19]

Tim Deisinger

Clubs, Konzert, Besuch in geschlossenen Räumen, das passt vielleicht ein bisschen dazu. Ulla aus Köln hat dazu eine Frage zu Masken:

„Ich finde, dass die Menschen mittlerweile entweder weiterhin sehr ängstlich sind. Oder so unbedarft da rangehen, dass sie ihre Masken in den geschlossenen Räumen oder in der Bahn gar nicht mehr anziehen, runterziehen. Und da fände ich es gut, wenn in den Medien explizit viel öfter noch einmal darauf hingewiesen wird, wie man die Maske dann in geschlossenen Räumen zu tragen hat.“

[0:04:57]

Tim Deisinger

Ja, das machen wir ja hin und wieder. Aber ich meine, wie man so eine Maske aufzusetzen

hat, das dürfte eigentlich doch mittlerweile jedem klar sein.

Alexander Kekulé

Ja, ich glaube, die Frage war mehr, dass man sie zu tragen hat. Und das kann ich nur unterstreichen. Das ist halt ein Problem, wenn jedes Bundesland da eigene Diskussionen führt. Wir haben jetzt offiziell 300 Fälle am Tag in Deutschland, so ungefähr. Das sind die 300 Neuerkrankungen. Wenn Sie von einer Dunkelziffer vom Zehnfachen ausgehen, sind sie bei 3.000 Neuerkrankungen am Tag. Klar, könnte man sagen: Das sind so wenige bei 82 Millionen Einwohnern, warum soll ich gerade einem von denen in der U-Bahn begegnen? Andererseits kennen wir eben auch solche Situationen wie jetzt bei Tönnies, wo bei so einem Ausbruch, bei einem einzigen Arbeitgeber, Hunderte von Fällen auftreten. Und Sie wissen ja nicht, bevor es in der Zeitung steht, ob das gerade in ihrer Stadt gerade nebenan irgendwo passiert ist. Es kann sein, dass da gerade vor drei Tagen eine Party stattgefunden hat, wo 200 Fälle sich infiziert haben und die laufen dann gerade in Ihrem Stadtbezirk rum. Weil wir eben nicht wissen, wann ein Ausbruch entsteht, und weil das immer sofort so einen Explosionscharakter hat, so eine Exponentialfunktion wird, deshalb glaube ich, sollten wir diese Masken sicherheitshalber tragen. Solange, bis unsere Gesundheitsämter sagen: Jawohl, wir können jetzt wirklich alle nachverfolgen, wir haben die Kapazität immer, wenn ein Ausbruch ist, wirklich alle dingfest zu machen. Weil, dann können wir sagen, okay, so einen kleinen Ausbruch, den nehmen wir dann halt in Kauf. Aber da sind wir noch lange nicht.

[0:06:28]

Tim Deisinger

Und Christian F. interessiert, ob es Auswertungen des RKI zu den Ansteckungsgründen Ansteckungsorten aufgrund von Meldungen der Gesundheitsämter gibt. In den meisten Fällen häufen sich zum Beispiel die Fälle in Hochhäusern. Da drängt sich die Frage auf, ob nicht die gemeinsame Nutzung von ungelüfteter Luft in Fahrstühlen zu Aerosol- Ansteckungen führen könnte. Konsequenz

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sollte dann sein, so schreibt er, für die Behörden: Vorschriften für Fahrstühle zu erstellen, z.B. die sind nur allein zu fahren und mit Maske.

[0:07:03]

Alexander Kekulé

Das ist das Thema „A“ wie Aufklärung in dem SMART-Konzept, wo wir am Donnerstag darüber gesprochen haben. Das ist es noch ganz schlimm im Argen. Es ist zwar so, dass natürlich die Gesundheitsbehörden – das macht gar nicht so sehr das Robert Koch- Institut zentral, sondern es machen dezentral die jeweiligen Gesundheitsämter – versuchen herauszukriegen, woran es gelegen hat. Aber zugleich müssen sie, während sie den Fall untersuchen wollen, die Frage stellen, ob jetzt dort bei den Ausbrüchen in Berlin, auf die da wahrscheinlich angespielt wurde, ob dort so etwas wie ein Fahrstuhl eine Rolle gespielt hat, oder das enge Treppenhaus, oder Ähnliches. Während sich das einerseits untersuchen müssten, als Begleitstudie, müssen sie ja andererseits die betroffenen Personen identifizieren, die Kontaktpersonen in Quarantäne bringen. Die haben es zum Teil mit erheblichem Widerstand der Bevölkerung inzwischen zu tun, weil die aus verschiedenen Gründen da nicht mehr mitmachen wollen. Und das alles dingfest zu machen und dann noch zu sagen, jetzt machen wir noch eine kleine Studie, wie es eigentlich mit den Fahrstühlen aussieht: Da sind die einfach de facto überfordert. Und das im Grunde genommen eine Schwachstelle im Moment, die sich, meines Erachtens, da auftut. Aber das wird man nicht so schnell lösen können. Ich fürchte, dass am Ende dieser Welle, wenn ich das mal so sagen darf, wenn im Sommer die Fälle weiter abebben, wir immer noch nicht genau wissen, zum Beispiel, wie gefährlich ein Treppenhaus ist.

Es ist natürlich so, dass bei einigen Situationen, ich sage mal, Stichwort Fahrstuhl. Da brauche ich eigentlich keine Untersuchung zu machen. Weil wenn ich einen engen Fahrstuhl habe und zwei Leute fahren unmittelbar nacheinander mit dem gleichen Fahrstuhl oder sind sogar zusammen im gleichen Fahrstuhl, dann ist klar, dass wenn der eine ein starker Virusausscheider ist, dass der andere sich

infizieren kann. Aber interessant sind halt die anderen Situationen. Sie begegnen im Treppenhaus einem Nachbarn, der sieht so komisch blass aus. Was machen Sie jetzt? Möglicherweise die Luft anhalten für zehn Stufen, die Sie an dem vorbeigehen. Das wäre schön, wenn wir da mehr objektives Wissen darüber hätten, ob solche Begegnungen gefährlich sind oder nicht.

[0:09:03]

Tim Deisinger

Auf Twitter #fragkekule eine Frage von Fluppu:

„Ist es sinnvoll, dass das Land #BadenWuerttemberg wochenends keine Fallzahlen mehr meldet (immerhin 3. höchste Fallzahlen dort). Was passiert, wenn die Fallzahlen massiv steigen? #fragkekule

[0:09:21]

Alexander Kekulé

Wir haben in Deutschland überall die Situation, dass die Initialfälle, also die Fälle, die komplett ohne irgendeinen Bezug zu einem bekannten Ausbruch stattfinden, die sind sehr, sehr wenige geworden. Das muss man sagen. Auch wenn wir die Situation haben, dass wir immer so im 7-Tages-Mittel pro Tag bei 300 Fällen liegen und die letzten Tage deutlich über 500 hatten. Aber das würde ich nicht so auf die Waagschale legen. Problem sind Ausbrüche, wie wir sie immer wieder haben, an bestimmten Situationen. Für diese konkreten Ausbrüche, sei es jetzt in einem Schlachthof oder sei es in dem Heim, da ist es nicht so wichtig, ob die Zahlen landesweit am Wochenende auch noch bekannt gegeben werden. Ich meine, das ist eine Konsequenz daraus, dass die Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern am Wochenende mal frei haben wollen. Für Notfälle stehen sie natürlich weiter zur Verfügung. Dass die Meldungen am Wochenende sowieso immer so schleppend sind, sodass es immer so eine scheinbare Delle gibt. Auch bei den RKI-Zahlen ist es so: Montag, Dienstag hat man so wenige Fälle, und dafür holt es dann Mittwoch bis Freitag auf. Das liegt daran, dass am Wochenende schleppend gemeldet wird. Wenn die sagen, nein, bevor wir da immer so schwankende Zahlen produzieren, machen wir es lieber

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richtig, ein paar Tage später. Dann finde ich das völlig in Ordnung. Die Gesundheitsämter schlafen ja nicht am Wochenende. Also wenn jetzt ein Ausbruch gemeldet wird an einem Sonntag, dann stehen die auch da Gewehr bei Fuß.

[0:10:50]

Tim Deisinger

Dann schauen wir mal auf den Therapieverlauf der Erkrankung und auch auf den Impfstoff. Die Kanzlerin hat gesagt solange es kein Medikament gibt, so lange es keinen Impfstoff gibt, müssen wir mit der Pandemie leben. Die Frage, auf die Herr S. gleich zielt, würde aber bedeuten, müssen wir wirklich nur so lange damit leben? Also, seine Frage ist Folgende:

„Sind Corona-Infizierte, die keine Symptome zeigen, auch nicht getestet sind, also unwissend, dass sie ansteckend sind ein Leben lang ansteckend und eine Gefahr für alle Menschen, die sich nicht in genügendem Abstand zu ihnen aufhalten?“

[0:11:30]

Alexander Kekulé

Nein, die Ansteckungsfähigkeit verschwindet relativ schnell. Bei den allermeisten Fällen, die wir jetzt haben, die mehr oder minder harmlos verlaufen, ist die Ansteckungsfähigkeit ungefähr sieben Tage, vielleicht höchstens zehn. Klar gibt es einzelne Fälle, wo das länger war oder wo Leute auch nach einer Weile wieder Virus ausgeschieden haben, wo wir nicht genau verstanden haben, warum. Aber das ist so, dass man wie bei allen Virusinfektionen davon ausgehen kann, dass die allermeisten Menschen, wenn sie sie durchgemacht haben und wieder gesund sind, danach nicht mehr ansteckend sind für andere. Wir haben trotzdem die Situation, wir müssen mit diesem Virus möglicherweise noch sehr lange leben. Es kann sein, dass das SARS-CoV2- Virus sich nach und nach an den Menschen anpasst. Dass es weniger aggressiv wird und dadurch zugleich leichter infektiös. Und dass vielleicht zu einem mehr oder minder normalem Virus auf der langen Liste, die Medizinstudenten in ihrem Studium lernen müssen, einfach als ein weiteres dazu kommt. Dann ist es aber ein Problem des normalen

Lebens. Wenn wir einen Impfstoff haben, dann können wir die allermeisten Infektionen verhindern. Masern ist ja ein gutes Beispiel. Da sind wir im Prinzip alle immun. Und die wenigen, die nicht immun sind, die können jetzt auch nicht solche Riesenausbrüche verursachen, sodass wir möglicherweise in so eine ähnliche Situation mit dem Impfstoff dann auch kämen. Und ich glaube, das hat die Bundeskanzlerin gemeint.

[0:12:50]

Tim Deisinger

Dann hat uns zur Impfstoffentwicklung eine Frage von Marika M. erreicht:

„Warum ist es eigentlich so schwierig, einen RNA-Impfstoff herzustellen? Und es hat ja, meines Erachtens, noch nie einen gegeben. Und ist es denn überhaupt wahrscheinlich, dass man einen entwickelt?“

[0:13:08]

Alexander Kekulé

Die letzte Frage ist die 250-Millionen-Euro- Frage, weil die Bundesregierung gerade eingestiegen ist mit diesem Betrag in ein Tübinger Unternehmen und wettet quasi darauf, dass es möglich ist, so einen Impfstoff herzustellen. Drum sage ich lieber nichts, sonst gehen die Aktienkurse rauf oder runter. Nein, das ist ein Spaß. Es ist natürlich ein hohes Risiko. Alle wissen, dass das ein hohes Risiko ist. Ja, es ist noch nie ein RNA-Impfstoff hergestellt worden. Der Witz dabei ist, wenn das funktioniert, dann kann man einfach von diesen RNA-Impfstoffen in kurzer Zeit sehr viel produzieren. Die haben sozusagen den Charme, dass man große Mengen in kurzer Zeit herstellen kann. Und haben den Nachteil, dass wie das die Hörerin genau richtig gesagt hat, es nicht ein Fall in der Geschichte gibt, wo das jemals funktioniert hat. Klar, es gibt hier Experimente, wo man so gezeigt hat, dass das Prinzip funktioniert. Aber es gibt keinen zugelassenen RNA-Impfstoff, Deshalb geht man hier sozusagen das doppelte Risiko ein. Einerseits weiß man nicht, ob es möglich ist, auf diesem Weg einen wirklich gut funktionierenden Impfstoff zu entwickeln, der dann auch taugt für den Zweck. Und man weiß nicht, wie die Nebenwirkungen sind. Das ist

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aus meiner Sicht tatsächlich ein bisschen das Hauptproblem bei diesen neuen Impfstoffen. Die müssen sie viel gründlicher auf mögliche Nebenwirkungen prüfen, als es bei einem bekannten Wirkprinzip wäre. Das sollten wir vielleicht nochmal ausführlicher besprechen. Aber ich persönlich glaube, dass die RNA- Impfstoffe eine große Hoffnung sind. Das ist klar. Viele Leute hoffen. In USA gibt es auch in Kalifornien es eine Firma, deren Aktienkurs gerade durch die Decke gegangen ist, weil sie solchen Impfstoff herstellen will. Aber es ist ein völlig experimentelles Prinzip, und der Ausgang ist offen.

[0:14:51]

Tim Deisinger

Jetzt die Frage, wie wichtig ein gutes Immunsystem ist und wie ich es stärken kann, insbesondere mit Blick auf Covid-19. Also das fragt auch dieser Herr. Wir hören mal kurz rein:

Ich habe Studien gehört, dass die Leute, die

einen hohen Vitamin-D-Spiegel haben, dass sie

nicht so krank werden, wie die anderen, durch

das Coronavirus. Dass sie, wenn sie krank

werden, ihr Verlauf nicht so schwer wird. Dass

es eine Abhängigkeit gibt zwischen dem

Vitamin-D-Spiegel und dem Krankheitsverlauf.

Ist das wahr? Warum wird darüber nicht

gesprochen? Warum wird nicht gesagt, dass

wir ein hochdosiertes Vitamin D nehmen

sollen?

[Frage in etwa wiedergegeben, aufgrund verzerrter Tonqualität]

[0:15:39]

Alexander Kekulé

Es gibt bis jetzt keine Studie, die belegt, dass ein hoher Vitamin-D-Blutspiegel tatsächlich einen besseren Krankheitsverlauf bei Covid-19 macht. Klar ist, dass Vitamin-D-Mangel immer ein Problem ist. Darum sollen wir auch im Sommer schön in die Sonne gehen? Wenn das nicht möglich ist, im Winter ist es durchaus sinnvoll, auch Vitamin-D-Tabletten zu nehmen, wenn man sie nicht überdosiert. Ich glaube nicht, dass man wegen Covid-19 eine spezielle Empfehlung ausgeben soll. Ganz allgemein, Vitamin-D-Mangel ist etwas, was man vermeiden sollte, aus verschiedenen Gründen.

Vitamin D ist ja auch wichtig für die Knochen und nicht nur fürs Immunsystem. Aber es gibt keinen Zusammenhang, dass jetzt speziell hier eine Schutzwirkung bei einer Covid-19- Infektion vorhanden wäre.

[0:16:24]

Tim Deisinger

Dann hat uns zum Immunsystem auch die Frage eines Arztes erreicht von Nidal L. Der schreibt:

Als einer der ersten Hausärzte in Deutschland führte ich Anfang März eine Mund-Nasen-Bedeckungspflicht für mein Praxisteam und meine PatientInnen ein, ohne größere Probleme. Allerdings mache ich mir nun Sorgen um die Folgen des Lockdowns. Es wurden ja nicht nur die Coronavirus-Infektionen unterdrückt, sondern alle Infektionskrankheiten. Wurde unser Immunsystem bereits geschwächt, weil wir nicht mehr regelmäßig in Kontakt mit den üblichen Viren kommen? Können künftig die bisher harmlosen und gewohnten Erreger gefährlicher werden für uns, weil unser Immunsystem nicht mehr auf sie gefasst ist. Hintergrund: Also von Menschen, die sich lange abseits menschlicher Zivilisation aufgehalten haben. Und von Weltraumreisenden werden ja Probleme mit an sich banalen Viren berichtet, sobald sie zurückkehren. Wie schätzen Sie die Gefahr ein, Herr Kekulé?

[0:17:24]

Alexander Kekulé

Ja, da muss man zwei Situationen unterscheiden. Das eine ist diese Weltraumsituation. Da ist ja komplett keimfrei Luft oder fast keimfreie Luft. Und diese Situation haben wir hier nicht. Wir haben ja ständig Staub in der Wohnung und Keime, die unser Immunsystem belasten. Es gibt durchaus auch Viren, die irgendwo vorhanden sind, wie im Wasser oder auf irgendwelchem Obst, was wir essen. Das sind nur keine Viren, die sich an den Menschen so angepasst haben, dass sie den Menschen krank machen. Die räumt unser Immunsystem so nebenbei weg, ohne dass wir irgendetwas davon merken. Das heißt das Immunsystem arbeitet in dieser Situation schon weiter. Wir verhindern ja nur Mensch-

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zu-Mensch-Infektionen im Moment. Aber es gibt ganz viele andere Erreger, die wir ständig abkriegen. Aber es gibt einen Bereich, wo man schon drüber nachdenken muss: Das sind Kinder, bei denen das Immunsystem in ganz bestimmten Lebensphasen bestimmte Stimuli braucht. Da könnte ich mir Folgendes vorstellen: Wenn jetzt die Kitas speziell solange geschlossen sind, dass je nach Alter – das ist natürlich im Einzelnen nicht so genau untersucht, in welchem Alter man das dann braucht – die Stimuli, die da waren, also die normalen Erreger, die die Kinder von den anderen ständig abkriegen, die hören dann ganz plötzlich auf. Wenn es dann ganz plötzlich wieder losgeht, dann kann ich mir vorstellen, dass es so eine Art Rebound-Effekt gibt. Also, dass man dann eine besonders starke Welle hat, zum Beispiel auch von Erkältungskrankheiten bei Kindern. Bei Erwachsenen, glaube ich, nicht so sehr. Da ist das Immunsystem reif und da werden so ein paar Monate Päuschen nicht so viel ausmachen. Aber bei Kindern kann ich mir vorstellen, dass wir im Herbst möglicherweise überdurchschnittlich viele Erkältungserkrankungen sehen werden. Weil die eben besonders lange von diesen speziellen den Menschen infizierenden Viren geschützt waren. Das kann sein, dass das eine Rolle spielt im Herbst. Das werden wir dann sehen.

[0:19:21]

Tim Deisinger

Dann eine letzte Frage. In dieser Woche ist die Corona-Warn-App der Bundesregierung raußgekommen, und dazu hat uns dieser Anruf erreicht:

Hörerin

Ich möchte mal gerne wissen: Wird nach einem Eintrag bei positivem Befund in die App, nachgeprüft, ob dieser positive Befund wirklich zutrifft oder nur ein übler Scherz ist?

[0:19:50]

Alexander Kekulé

Das haben sich die Macher der App ziemlich genau überlegt. Man kann das nicht selber eintragen, dass man positiv ist. Vielleicht

können die Superhacker das demnächst, aber noch kann es keiner. Damit sie sich als positiv melden können mit der App, brauchen Sie einen speziellen QR-Code, den Sie nur vom Gesundheitsamt zur Verfügung gestellt bekommen, wenn Sie wirklich positiv sind. Das ist ein relativ komplexer Vorgang noch mal. Das könnte zu einer Verzögerung führen, dass der eine oder andere sagt: Mensch, bis ich jetzt diesen QR-Code habe und das alles dann bewiesen und dokumentiert ist, dann lasse ich es lieber ganz. Nachher steht dann die Polizei vielleicht bei mir auf der Matte, wenn ich sage, ich bin positiv und will aber nicht bekanntgegeben, ob ich zu Hause bleibe und Quarantäne mache oder Ähnliches. Aber das System reinzulegen, das ist wohl, was ich gehört habe, und das hat auch der Bundesdatenschutzbeauftragte bestätigt, nach allem Dafürhalten nicht möglich.

[0:20:50]

Tim Deisinger

Aber gibt es da nicht auch die Möglichkeit anzurufen? Und dann kriegt man keinen QR- Code, sondern irgendwie eine TAN, die man dann selber Eintragung muss? Und wird da nicht sozusagen gesagt, da könnte ein bisschen Gefahr bestehen, dass es dann irgendwelche üble Scherze gibt?

[0:21:06]

Alexander Kekulé

Gute Frage. Das kommt auf die Umsetzung an. Und wie immer ist es bei diesen Sicherheitsthemen so, dass es zwei Aspekte gibt. Das eine überlegt man sich so in der Theorie und sagt, so und so sollte es sein. Das andere ist dann, wie es in der Praxis gemacht wird. In der Praxis ist es so, wenn die Gesundheitsämter wirklich immer ganz genau kontrollieren, ob derjenige, der behauptet, dass er positiv ist, auch wirklich positiv ist, bevor er diese Freigabe bekommt – ob das jetzt per TAN oder sonstwie ist – dann müssen sie die Person ja vorladen. Dann muss die eigentlich einen Personalausweis vorzeigen, persönlich. Und es muss auch eindeutig sein, dass diese Person getestet wurde. Klar, das kann man irgendwie alles machen, ist aber aufwendig und kostet Zeit und führt vielleicht auch dazu, dass der eine oder andere eben

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dann auf der Strecke sagt, dass es mir jetzt zu mühsam. Sobald man anfängt, das lockerer zu machen, irgendwie am Telefon mit irgendeinem TAN-Code am Telefon, kommt es halt wirklich darauf an, wie gut die Kontrollmechanismen sind. Am Telefon kann man alles Mögliche so hindrehen, wie man will. Da wäre ich immer vorsichtig. Und ich glaube, dass die Gesundheitsämter, zumindest am Anfang, extrem gründlich sein werden hierbei. Ich fürchte aber auch wie bei allem, dass es früher oder später irgendeinen supersmarten Hacker gibt, der auch dieses System irgendwo wieder angegriffen hat. Und dann wird man halt neue Sicherheitsstufen einziehen müssen.

[0:22:28]

Tim Deisinger

Dann können wir von Glück reden, dass wir sie nicht am Telefon hatten. Alexander Kekulé, Epidemiologe, Virologe, wir sind damit für heute auch wieder erst einmal durch mit seinen Antworten auf ihre Fragen. Eine reguläre Ausgabe von Kekulés Corona- Kompass gibt es dann wieder am Dienstag. Dann ist auch Camillo Schumann wieder hier. Von meiner Seite aus, vielen Dank, Herr Kekulé.

[0:22:49]

Alexander Kekulé

Ja vielen Dank, Herr Deisinger, dass Sie hier sich eingesetzt haben und ein schönes Wochenende.

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Donnerstag, 18.06.2020 #70: Cortison gegen Corona

Tim Deisinger, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Tim Deisinger

Diese Ausgabe unseres Podcasts mit folgenden Themen: 1. Medikamenten-Erfolg und -Misserfolg: Dexamethason nennt die Weltgesundheitsorganisation einen Durchbruch. Britische Forscher haben herausgefunden, dass durch Dexamethason wesentlich weniger Menschen mit Covid-19 sterben. Und dann gibt es da noch Hydroxychloroquin. In Bezug auf Covid-19 muss man besser sagen, es gab da noch Hydroxychloroquin. Die WHO hat alle klinischen Studien dazu eingestellt.

2. Dann eine Eltern-Kind Studie in Baden- Württemberg sagt: Kinder erkranken seltener als Erwachsene an Covid-19, und sie sind auch seltener mit Sars-CoV-2 infiziert. Die Landesregierung meint damit ist die umfassende Öffnung von Kitas verantwortbar. Und auch an den Schulen soll es nach den Ferien wieder so viel Präsenzunterricht wie möglich geben. Ist das wirklich verantwortbar?

3. Und: Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen? Bei Tönnies in der Nähe von Gütersloh wurden mehrere hundert Mitarbeiter positiv getestet. Es ist auch nicht der erste Schlachthof, der dazu Schlagzeilen macht. Warum immer wieder Schlachthöfe?

Wir wollen helfen, die vielen Meldungen rund um das neuartige Coronavirus einzuordnen. Und wir beantworten ihre Fragen.

Ich bin Tim Deisinger, Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell. Einschätzungen holen wir ein, wie immer beim renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Guten Tag, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Beginnen wir mit der guten Nachricht. Also es liest sich ja zumindest so oder hört sich so an, wenn die WHO sagt: Dexamethason ist ein Durchbruch. Laut britischen Forschern kann das Medikament viele Tote verhindern. Es senkt die Sterblichkeit bei Covid-19. Wir wollen schauen, was genau dran ist an dieser Aussage. Und warum das vielleicht so ist? Zunächst, Herr Kekulé, können wir am besten noch etwas sagen dazu, was ist das für ein Medikament?

[0:02:05]

Alexander Kekulé

Dexamethason ist eigentlich eine Form von Cortison, kann man so ganz salopp sagen. Cortison ist ja eigentlich ein körpereigenes Hormon, was man schon ganz lange kennt, was zu tun hat mit Stress. Das wird in der Nebennierenrinde gemacht und steuert unter anderem den Flüssigkeitshaushalt im Körper und den Salzhaushalt. Aber eben auch das Immunsystems. Es hat eine Wirkung auf das Immunsystem und zwar hemmt das die Immunantwort. Zu diesem Cortison, was also ein altes Hormon ist: Da gibt es künstliche Substanzen, die so eine ähnliche Wirkung haben, meistens wesentlich stärker. Und dieses Dexamethason, das ist ein künstliches Cortison, kann man sagen. Das ist ungefähr 50-mal so wirksam auf das Immunsystem wie Cortison.

Tim Deisinger

Und können Sie auch genau erklären, wieso das nur bei schweren Covid-19 Fällen wirkt?

Alexander Kekulé

So ganz genau weiß das keiner. Cortison unterdrückt die Immunantwort. Da würde man sagen, das ist eigentlich komisch, dass man das überhaupt bei Infektionen gibt. Und in der Tat

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ist es so, dass diese Cortisonpräparate - chemisch muss man Cortisol sagen, das ist ein kleiner Unterschied - dass diese Präparate tatsächlich bei Virusinfektionen manchmal eine ganz schlimme Verstärkung des Ausbruchs machen. Also bei bestimmten Herpeserkrankungen am Auge ist bekannt, wenn sie da Cortisol-Creme reinschmieren oder Dexamethason reinmachen, dass es ganz fürchterliche Verläufe gibt. Jetzt wissen wir aber erstaunlicherweise schon länger, dass in bestimmten Situationen dieses Dexamethason oder ein anderes Cortison eben einen vorteilhaften Effekt hat. Zum Beispiel so ein Klassiker ist Tuberkulose. Bei der Tuberkulose kann man die Antibiotika, die man gegen die Tuberkulose-Bakterien gibt, kombinieren mit Dexamethason, zum Beispiel. Und durch die Hemmung der Immunantwort verläuft die Heilung dann besser. Es gibt andere Situationen, wo das so ähnlich ist, andere Virusinfektionen, zum Beispiel: Das kennen vielleicht manche Leute, dass es neuerdings sogar Herpescremes gibt, die man so für Lippen-Herpes einsetzen kann, wo zusätzlich ein Cortisonpräparat mit drin ist, zusätzlich zu dem antiviralen Medikament. Das ist ein bisschen paradox. Aber die Vorstellung, die man hat ist, dass diese Viren, wenn sie eine Zelle befallen, das Immunsystem dazu bringen, sehr aggressiv diese befallene Zelle dann zu bekämpfen und zu zerstören. Und dass eben manchmal dadurch die Balance zwischen einer überschießenden Immunantwort und einer passenden Immunantwort, die gerade nur das Virus erledigt, dass diese Balance gestört ist. Und diese überschießende Immunantwort ist bei Virusinfektionen wohl relativ häufig ein Teil des Problems. Das wissen wir deshalb, weil bei Covid-19, zum Beispiel, die Infektion häufig verknüpft ist – nicht immer – aber häufig verknüpft ist mit einer überschießenden Immunreaktion. Es gibt bestimmte Parameter im Blut, wo man das messen kann: die sogenannten Interleukine. Das sind Botenstoffe im Blut, die freigesetzt werden von weißen Blutkörperchen, mit denen die sich gegenseitig signalisieren: Komm jetzt mal her, hilf mir mal bei der Abwehr des Virus. Und wenn diese Botenstoffe, diese Interleukine – Interleukin-1 und Interleukin-6 sind da die wichtigen – wenn die überschießen, also

besonders viel vorhanden sind, dann sprechen wir auch von einem Zytokinsturm, also von einer überschießenden Immunreaktion. Und das wird bei bestimmten Patienten bei Covid-19 beobachtet, nicht bei allen.

[0:05:36]

Tim Deisinger

Und wenn die WHO jetzt sagt, das ist ein Durchbruch, wenn man mit diesem Medikament behandelt und was das Medikament bewirkt, klingt das so, als seien die Studien, die man dazu gemacht hat, sehr verlässlich ist. Ist das so? Oder ist man da zu voreilig?

[0:05:51]

Alexander Kekulé

Ja, man muss dazu sagen, überhaupt solche Studien zu machen ist schwierig. Weil Cortisonpräparate zu geben, ist ja Standardtherapie in der Intensivstation. Also, das ist so gesehen, etwas Uraltes. Das Cortison wurde in den 1940er-Jahren ungefähr entdeckt. Edward Kendall, der das damals entdeckt hat, hat 1950 den Nobelpreis dafür gekriegt. Das ist also eine uralte Sache, und auch die Medikamente benutzt man ständig. Und es ist so, dass man jetzt eigentlich die Frage stellen muss, wie macht man so eine Studie? Dann muss ich ja bei einem Teil der Patienten – wo ich eigentlich der Meinung bin, es wäre eine gute Idee, Cortison, also Dexamethason, in dem Fall zu geben – dann muss ich das ja weglassen. Das ist immer ein bisschen schwierig bei so einem Standardmedikament, das einfach wegzulassen. Die Oxford-Universität hat sich aber entschlossen, im Rahmen eines größeren Programms, was sie schon im März gestartet haben, unter anderem eben dieses Dexamethason in niedriger Dosierung zu testen. Es ist erstaunlich, dass die Dosis gar nicht so hoch ist. Also 6 mg – für die Ärzte, die zuhören – am Tag. Das hat man über zehn Tage gegeben. Das ist eigentlich nicht so eine Killerdosis. Das hat man speziell bei leichten und schweren Fällen und auch bei solchen, die fast keine Symptome haben, also ganz schwache Symptome haben, verglichen. Und vor zehn Tagen musste diese Studie tatsächlich abgebrochen werden, weil der Unterschied so

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deutlich war, dass man die, die man eigentlich als Kontrolle haben wollte, denen man das Medikament nicht gegeben hat, die konnte man aus ethischen Gründen nicht mehr ausschließen. Und das deutet so ein bisschen an, was das Problem bei dieser Art von Studien ist, weil das eben einen Standardmedikament ist. Also ich hätte da als Patient nicht mitmachen wollen, nach dem Motto: Ich bin jetzt in einer Kontrollgruppe und kriege dieses Standardmittel nicht. Auch wenn meine Interleukine so ansteigen, dass man eigentlich sagen würde: Jetzt ist eine Dexamethason- Therapie richtig. Aber die haben da diese Untersuchungen gemacht. Die hatten 2.014 Patienten und ungefähr doppelt so viele Kontrollen und haben das eben unterteilt in solche, die beatmet wurden, solche, die nur Sauerstoff bekommen haben und solche, die also keinen Sauerstoff gebraucht haben. Das heißt, letztlich im Verhältnis zur Schwere der Erkrankung. Und man weiß, dass von den beatmeten Patienten fast die Hälfte stirbt. Von denen, die Sauerstoff brauchen, stirbt ungefähr ein Viertel. Und mit dieser Therapie konnte man eben bei den beatmeten die Sterblichkeit um ein Drittel senken. Das ist wirklich toll. Also ein Drittel weniger ist gestorben in dieser Studie, die nach meinem Dafürhalten statistisch ganz gut aussieht. Die Details sind aber noch nicht veröffentlicht. Hier ist auch, wie üblich, mal so eine Preprint- Studie. Und bei denen, die nur Sauerstoff gebraucht haben, also keine Beatmung mit seinem Beatmungsgerät richtig, da ist immerhin die Sterblichkeit um ein Fünftel gesenkt worden, also 20 %. Und die, die leicht krank waren, da hat es keinen Effekt gehabt. Das würde eigentlich ganz gut passen, weil die ja auch keinen Zytokinsturm haben. Und es wäre irgendwie unsinnig, da hätte man normalerweise wahrscheinlich gar kein Dexamethason gegeben.

Tim Deisinger

Ich will mal die Frage einer Hörerin gleich mit einbinden, die uns zu Dexamethason erreicht hat. Da geht es um die Frage, warum ausgerechnet Dexamethason?

[0:09:00] „Das Cortison Dexamethason soll jetzt so gut

helfen, bei einem Zytokinsturm. Was ist jetzt an diesem Cortison besser, als an anderen Immunsuppressiva? Ist es der Preis, weil es eben sehr günstig ist?“ (Hörerin)

Alexander Kekulé

Oh, das ist nicht verglichen worden. Also das ist so der Standard. Klar, ist das günstig, es ist uralt. Es ist ein Standardmittel, was man zur Immunsuppression ganz oft nimmt. Das nimmt man auch wenn jetzt Organabstoßungen stattfinden, zum Beispiel, oder bei irgendwelchen Allergien. Das wird auch bei Asthma zum Teil verschrieben. Darum ist es naheliegend, man kann es als Tablette oder auch als Spritze bekommen. Daher ist es naheliegend, das mal zu nehmen. Es gibt ja auch spezifische Therapien, die jetzt ganz speziell für Covid-19 untersucht werden, wo man Antikörper verwendet, die zum Beispiel das Interleukin-6, also eines dieser Zytokine ganz gezielt ausschalten. Solche Untersuchungen gibt es auch, aber das wird an ganz kleinen Patientenzahlen gemacht. Und natürlich nur in sehr begrenztem Umfang. Da dauert es eine Weile, bis die Daten da sind. Darum war das einfach naheliegend, das zu nehmen, weil das jede Station hat? Das sind 175 Kliniken in Großbritannien gewesen, die teilgenommen haben, unter der Steuerung der Oxford-Universität. Und das sollte schnell gehen. Und darum hat man einfach dieses Medikament genommen, das ist auch sinnvoll.

[0:10:23]

Tim Deisinger

Die Hörerin, hat noch eine zweite Frage. Die geht in die Richtung Nebenwirkung:

„Wenn man solche Medikamente gibt, wie zum Beispiel eben ein Cortison, ist es dann nicht so, dass dann Bakterien wiederum ein leichtes Spiel haben und dann die Bedrohung da herkommt?“ (Hörerin)

[0:10:44]

Alexander Kekulé

Ja, das ist gilt für alle Infektionserreger. Also wir wissen, dass bei Pilzinfektionen die Gabe von Cortisonpräparaten, also Dexamethason konkret, verheerend ist. Das soll man da auf

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keinen Fall machen. Bei Bakterien, wie gesagt bei Tuberkulose, weiß man, dass die Reaktion, die auftritt, wenn man Antibiotika gibt, dass dann die Immunreaktion durch das Cortison positiv beeinflusst wird. Warum? Weil die Antibiotika dazu führen, dass ziemlich schlagartig die Bakterien sterben. Und es gibt zum Beispiel so Situationen, wo man Bakterien im Gehirn hat, in der Hirnflüssigkeit, quasi im Liquor. Meningitis, sagt man dann, eine Hirnhautentzündung. Und wenn man da Antibiotika gibt, kann das Problem auftreten, dass diese ganzen vielen toten Bakterien, die dann plötzlich da sind, zu einer Überreaktion des Immunsystems führen, weil die Bruchteile der Bakterien das Immunsystem stimulieren. Und deshalb ist es in solchen speziellen Situationen sogar sinnvoll, Dexamethason zu geben, um das Immunsystem zu unterdrücken. Und wie gesagt, bei den Virusinfektionen da wissen wir ganz genau, dass es Viren gibt, die einen Zytokinsturm machen können. Wir haben hier ja auch schon ein paarmal darüber gesprochen. Der Klassiker war die Vogelgrippe von 2005, H5N1, der Influenza-Virus. Da sind die jungen Menschen am Zytokinsturm gestorben. Auch bei der berühmten Grippe von 1918, diese Spanischen Grippe, da sind die Berichte so – diagnostizieren konnte man es natürlich noch nicht – dass wir vermuten, dass hier auch ein Zytokinsturm eine Rolle gespielt hat. Und eben auch bei SARS im Jahr 2003, so dass das extrem naheliegend war zu vermuten, dass eine Überreaktion des Immunsystems hier dazu führt, dass die Menschen manchmal auch im mittleren Lebensalter sterben. Das würde auch dazu passen, dass so wenig Kinder schwer krank sind, weil die kein so ausgereiftes Immunsystem haben und daher diese Überreaktionen nicht so häufig sind. Das ist reine Theorie, aber das würde passen. So, dass das sehr, sehr naheliegend war, das jetzt mal systematisch zu testen und es ist eigentlich ein ganz tolles Ergebnis.

[0:12:48]

Tim Deisinger

Nun gibt es ja Menschen, nicht nur Donald Trump in den USA, die schlucken schon mal vorsorglich, weil sie etwas gehört haben, das könnte ganz gut sein und ganz gut wirken. Wenn Donald Trump oder all die anderen das

jetzt mit Dexamethason machen würden: Ich nehme an, das ist auch keine ratsame Sache, oder?

[0:13:07]

Alexander Kekulé

Nein, bloß nicht. Es ist so, das ist ja eine trotzdem eine Stoßtherapie, obwohl es jetzt nicht so super hochdosiert war. Das gibt man über zehn Tage en bloc, und es hat ja eben auch nicht gewirkt bei den schwachen Fällen, bei den schwachen Verläufen. Sondern das ist ein ganz bestimmter Teil und wahrscheinlich ein relativ hoher Teil derer, die beatmet werden müssen, die diesen Zytokinsturm entwickeln. Wo quasi die Balance durcheinander kommt zwischen Immunantwort und dem Virus. Da würde ich jetzt mal sagen, das sollte doch wirklich der Arzt im Detail entscheiden. Ich gehe davon aus, sofern es noch genug Berichte gibt, die Fälle gehen ja bei uns zurück, dass wir in den nächsten Wochen doch bessere Informationen darüber kriegen, in welchen Fällen man ganz konkret sinnvollerweise dieses Dexamethason gibt, weil man ja den Zytokinsturm relativ genau durch Labortests feststellen kann. Und ich glaube, wenn man da die Subgruppe derjenigen nehmen würde, die wirklich ganz konkret diese Indikation hat – das heißt also, bestimmte Laborwerte, die darauf hinweisen, dass die Zytokine außer Kontrolle geraten sind – und nur die therapiert, dann glaube ich, dass es noch mehr als diese hier beschriebenen 33 % Minderung der Sterblichkeit geben würde. Das heißt, das Konzept kann man noch gut weiterentwickeln.

[0:14:20]

Tim Deisinger

Dann sind wir gespannt auf den nächsten Wochen. Wir werden dann natürlich auch hier im Podcast weiter darüber reden. Die Abteilung Medikamente wollen wir noch nicht ganz schließen. Wir waren gerade bei Donald Trump. Wir haben sehr oft über Hydroxychloroquin gesprochen, das Malariamittel, das Trump auch vorsorglich eingenommen hat. Ja, das hat er nun wohl auch ganz offiziell umsonst genommen, oder? Also die WHO lässt das Mittel quasi fallen.

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[0:14:45]

Alexander Kekulé

Ja, das ist jetzt von der Liste gestrichen, nachdem man die Daten genauer angesehen hat. Es ging ja hin und her. Da gab es dann diese Studie, die gesagt hat, dass es so schwere Nebenwirkungen hat. Dann war es wirklich einer der größten Wissenschaftsskandale der letzten Jahre, kann man eigentlich schon fast sagen. Dass einige dieser Studien offensichtlich, sage ich mal, sehr unsauber publiziert wurden. Aber trotzdem bleibt es dabei die entscheidende Frage: Wirkt es nun oder wirkt es nicht? Da ist es so, dass jetzt drei weitere Studien inzwischen wieder rausgekommen sind, die gesagt haben, das Hydroxychloroquin oder Chloroquin, wie das eigentliche Malariamittel ja heißt, das ist hier nicht wirksam. Da muss man sagen das war von Anfang an so, dass ganz viele Leute gesagt haben, die Wahrscheinlichkeit, dass das funktioniert, ist gering. Es gab da mal so einen südfranzösischen Wissenschaftler, der sich hat sich enorm aus dem Fenster gehängt, mit einer kleinen Zahl von Patienten und gemeint hat, er hat da einen tollen Effekt gesehen. Das sind dann alle draufgesprungen, vor allem eben in den USA. Dadurch, dass Donald Trump irgendeine Lösung präsentieren wollte, offensichtlich, und das dann auserkoren hat. Jetzt ist es so, dass man wieder wie am Status am Anfang ist und gesehen hat, nein, das war eine Schnapsidee. Anders kann man es eigentlich gar nicht nennen. Und das hat man jetzt mal ausprobiert. Es war eine Notlage. Es war sicher sinnvoll, alles zu probieren, was irgendwie in einer Schublade ist. Das ist doch klar, das macht man denn so einer Lage. Aber ich glaube, jetzt sollte damit Schluss sein. Meines Wissens hat die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA auch die Zulassung zurückgenommen, also diese Notfallzulassung zurückgenommen, sodass das Thema jetzt eigentlich vom Tisch ist.

[0:16:24]

Tim Deisinger

Dann machen wir die Apotheke für heute zu.

Nächstes Thema: Die Eltern-Kind Studie in Baden-Württemberg, deren Ergebnisse die Landesregierung offenbar veranlassen, Kitas

und Schulen wieder weitgehend öffnen zu wollen. Ministerpräsident Kretschmann hat die Studie gemeinsam mit den Studienmachern vorgestellt. Die Konsequenzen hat er auch gleich am Anfang vorweggenommen. Da können wir mal ganz kurz reinhören:

„Es hat sich gezeigt im Einklang mit weiteren Studien aus dem In- und Ausland, dass Kinder keinen besonderen Treiber des Infektionsgeschehens darstellen. Wir also die Entscheidung der schrittweisen Öffnung von Kindertagesstätten und Grundschulen nicht gegen den Rat oder gegen den Trend der Wissenschaft gefällt haben, sondern mit ihm. Und das war wichtig, dass wir das verantworten konnten aufgrund wissenschaftlicher Aussagen.“ (Ministerpräsident Kretschmann, Baden-Würrtemberg)

[0:17:25]

Tim Deisinger

Ob das so gut ist, ob das verantwortbar ist, was die Landesregierung macht. Dazu reden wird gleich. Vielleicht aber erstmal noch ein paar Sätze zur Studie vorweg. Die Vorabergebnisse waren ja schon hier und da bekannt. Wie haben Sie auch schon mal besprochen? Können wir die Erkenntnisse dieser Studie nochmal zusammenfassen?

[0:17:43]

Alexander Kekulé

Erstens muss man sagen: Dazu ist neuerdings auch was wieder als Preprint, also vorläufig, publiziert. Diese Studie ist im Auftrag des Landes Baden-Württemberg durchgeführt worden. Das steht da auch ganz offen drin. Man hat knapp 5.000 Personen untersucht. Und zwar wurden diese Leute aufgerufen, über Presse, Internet, soziale Medien und so weiter. Das mussten also immer ein Elternteil und ein zugehöriges Kind aus dem gleichen Haushalt sein. Die wurden sozusagen paarweise untersucht, sodass man insgesamt so grob gesagt 2.500 Kinder und 2.500 Elternteile hatte. Die wurden untersucht in zweierlei Hinsicht. Das Eine war, dass man geguckt hat: Haben die bei diesem Rachenabstrichen eine akute Covid-19-Infektion. Also haben die Viren im Rachen. Da kann man sagen bei diesem

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klassischen Test – von dem wir sonst auch ganz oft geredet haben, und um den es ja auch in der Drosten-Studie in Berlin ging – bei diesem klassischen Test haben sie nur zwei positive gefunden, 1 positives Kind, 1 positiver Elternteil. Die waren wohl im gleichen Haushalt. Aber da kann man sagen, das ist kein Resultat. Damit kann man nix machen bei 5.000. Statistisch gesehen ist es keine Aussage. Das heißt also, sie waren offensichtlich in Baden-Württemberg, darum ging es ja, deutlich hinter der Infektionswelle. Und jetzt haben sie aber diesen Leuten auch zusätzlich im Blut entnommen und dort geguckt, sind Antikörper vorhanden gegen das Virus. Und diese Antikörpertests, da wurde viel darüber diskutiert. Im Zusammenhang mit der Heinsberg-Studie gab es auch öffentliche Kritik. Da kann man aber sagen, der Antikörpertest, der verwendet wird von der Firma Euroimmun – das ist ein bestimmter Hersteller, der einen bestimmten Test macht – und die sind ausreichend zuverlässig für sowas. Und dieser Antikörpertest, der zeigte eben jetzt, dass von den 2.500 Kindern 19 positiv waren. Also 19 hatten offensichtlich irgendwann mal einen Covid-19 Infektion durchgemacht. Und es waren 45 Erwachsene positiv, also mehr als doppelt so viele von diesen ganzen. Und die hatten offensichtlich auch mal eine Covid-19-Infektion durchgemacht. Und jetzt kann man natürlich sagen, okay, mehr Erwachsene als Kinder: Das heißt, Kinder sind nicht besonders wichtig. Diese Schlussfolgerung ist ein bisschen mit Vorsicht zu genießen. Und ich habe jetzt auch in der Studie selbst keine Schlussfolgerungen gesehen. Die Autoren – der Professor Debatin ist der Chef der Kinderklinik in Ulm, der das koordiniert hat – die haben sich da sehr zurückgehalten mit einer wissenschaftlichen Interpretation. Die Interpretation haben Sie hier so ein bisschen der Politik überlassen? Weil, die große Frage ist halt, ja klar mehr Erwachsene als Kinder waren positiv. Aber was heißt das? Wir wissen ja, dass die Infektionen in Bayern und Baden-Württemberg eingeschleppt wurden, hauptsächlich durch Rückkehrer aus dem Urlaub in Norditalien und in Österreich. Das ist ja bekannt. Und wir wissen, dass das die sogenannten Skifahrer- Importe waren. Das waren hauptsächlich

Erwachsene, gesunde im mittleren Lebensalter, die vom Skifahren zurückkamen. Da waren vielleicht auch ein paar Kinder dabei. Aber dass jetzt in Baden-Württemberg deutlich mehr Erwachsene positiv sind als Kinder, das ist eine Aussage, da hätte ich gleich meinen Hut darauf verwettet, bevor ich überhaupt eine Studie gemacht habe. Weil klar ist, dass das mehr Erwachsene sind. Die Frage ist doch hier: Wer hat wirklich wen angesteckt? Sind die Kinder, die die Erwachsenen angesteckt haben, mehrheitlich, oder andersrum? Oder ungefähr gleich viel? Darum geht es ja letztlich. Klar, wenn jetzt zuerst hauptsächlich Erwachsene infiziert waren aufgrund der besonderen Situation in Süddeutschland, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Erwachsenen die Kinder angesteckt haben, im ersten Schritt. Und danach ist ja gleich dann Shutdown und Schulsperre und so weiter gewesen, sodass man meines Erachtens eine saubere Beobachtung gemacht hat, aber daraus nicht wirklich was schließen kann. Da kann man vielleicht noch einmal in folgendes Detail reingehen: Wir hatten 19 positive Kinder. Und bei diesen Kindern, wenn man da guckt, wie sieht es denn aus? Wie viele von deren Eltern sind in eigentlich positiv? Wie viele Erwachsene sind denn da positiv? Da ist es so, dass bei den positiven Kindern, zwei Drittel der Erwachsenen positiv sind. Da weiß man nicht, wer wen angesteckt hat. Wenn man die 45 insgesamt positiven Erwachsenen anschaut, dann ist nur ein Drittel der Kinder positiv. Wenn man sich das anschaut: von den Erwachsenen, von einem Elternteil ein Drittel der Kinder und von den Kindern zwei Drittel der jeweils untersuchten Eltern. Das deutet schon ein bisschen darauf hin, dass die Eltern zuerst infiziert wurden oder zumindest mehrheitlich die Infektion reingebracht haben. Aber mehr als so ein ganz grober Hinweis ist das nicht. Insgesamt gab es nur 13 Paare von diesen insgesamt etwa 2.500 Paaren, die man untersucht hat, also Eltern-Kind-Paaren. Nur 13 hatten die Situation, wo das Elternteil und das Kind infiziert waren. Das ist eine kleine Menge.

[0:22:47]

Tim Deisinger

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Wenn Sie jetzt sagen, das ist eine saubere Beobachtung, aber die Wissenschaftler haben sich mit Wertungen und mit Schlussfolgerungen zurückgehalten und das letztlich der Politik überlassen. Das ist ja, könnte man sagen, auch ein bisschen verantwortungslos. Also, wenn man dann Herr Kretschmann hört und die Mails liest, die wie auch dazu bekommen, beispielsweise, ich will mal kurz zitieren von Klaus B., der in Baden- Württemberg wohnt, der über die Aussagen seiner Regierung dort zum Thema Schulöffnungen erschüttert ist. Er sagt: „... das ist es ein verantwortungsloses Signal. Viele Eltern, die sich ansonsten wenig mit dem Thema befassen, fühlen sich dann fälschlicherweise in Sicherheit ...“

Und wie gesagt, das findet er fatal und verantwortungslos.

[0:23:30]

Alexander Kekulé

Naja, ich finde es von den Wissenschaftlern nicht verantwortungslos. Was die Politik daraus macht, ist in der Tat dann deren Sache. Warum haben die sich da nicht geäußert? Natürlich wird man die Autoren selbst fragen müssen. Aber das kann man ja erraten. Jeder hat mitgekriegt, wie es dem Kollegen Streeck mit der Heinsberg-Studie ergangen ist, nachdem er sich da mit irgendwelchen Interpretationen zusammen mit dem Ministerpräsident Laschet an die Öffentlichkeit gewagt hat. Jeder hat mitgekriegt, wie es dem Kollegen Drosten ergangen ist, nachdem er relativ sportlich seine Ergebnisse da interpretiert hat, in der ersten Fassung seiner Studie. Jetzt will man einfach als Wissenschaftler offensichtlich gar nicht mehr sich diesem Sturm aussetzen, sondern sagt, das sind die Daten. Die Studie ist übrigens auch nur vorläufig ausgewertet worden. Das ist noch gar nicht das Endergebnis, sondern nur so ein Zwischenergebnis, was sie hier präsentiert haben. Da stellt man sich auch die Frage, warum dann die Eile das vorzustellen. Es hat möglicherweise doch politische Gründe. Also, wenn die Wissenschaftler das gemacht hätten, dass sie ihre eigenen Daten interpretieren, dann ist es eigentlich Standard bei solchen Arbeiten, immer auf die möglichen Fehlerquellen hinzuweisen. Ich sag mal ein

paar, die da höchstwahrscheinlich dann drinstehen, wenn das Ganze publiziert wird eines Tages. Erstens ist ein Problem: Es wurde ja immer nur ein Elternteil mit dem Kind zusammen untersucht. Keiner weiß, was mit dem anderen Elternteil war. Es kann also sein, dass der andere Elternteil jeweils positiv war oder negativ. Oder dass die Zahlen sich verzerren, je nachdem, was bei dem anderen Elternteil ist – weil, das war ja eine freiwillige Eltern-Kind Meldung. Und diese Freiwilligkeit ist auch ein Problem, wenn man einen Baden- Württemberg-weiten Aufruf macht. Man sieht bei der Verteilung nach Postleitzahlen, die ist veröffentlicht worden, dass es da richtige Cluster gibt, so Regionen, wo offensichtlich ganz viele mitmachen wollten: zum Teil 300 Pärchen pro Postleitzahl. Und in anderen Regionen ist die Landkarte weiß. Das heißt, da ist PR offensichtlich unterschiedlich gut gelaufen für diese Studie. Und ein bisschen ist die Frage: Wer meldet sich denn da? Was sind das für Leute, die sich da melden? Die waren ja vorher alle asymptomatisch. Also, die sollten alle offiziell nicht wissen, dass sie eine Erkrankung haben. Aber es kann natürlich schon sein, dass sich vielleicht mal eine Familie meldet, die sagt: „Hm, du warst beim Skifahren. Vielleicht hast du dir da was eingeholt. Lass uns doch mal bei der Studie mitmachen.“ Also dieser öffentliche Aufruf, der auf Freiwilligkeit der Teilnehmer basiert, ist immer ein Riesenproblem bei solchen Beobachtungsstudien, wie wir das technisch nennen. Und dann ist es so, dass die Frage, ob die Kinder in der Notbetreuung in der Kita waren, die auch in der Presse ganz viel diskutiert wurde, jetzt die Tage, als es veröffentlicht wurde – das ist in der Studie ausdrücklich noch nicht untersucht worden. Die sagen, diese Auswertung haben wir noch nicht gemacht. Das werden wir vielleicht noch machen. Aber der Zusammenhang mit Kita, ja oder nein, da gibt es keine belastbare Auswertung. Sodass jetzt wirklich die Frage ist, wenn so viele Fragezeichen dran sind ... Ich bin sicher, dass Herr Debatin, der Leiter der Studie, das sehr vorsichtig interpretieren wird, wenn er es veröffentlicht, wie alle Wissenschaftler so etwas machen. Und das Land ist halt „sportlich“ einen Schritt weiter gegangen.

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[0:26:42]

Tim Deisinger

Wenn die Wissenschaftler sich da schon nicht so weit nach vorne bewegen wollen, aus Gründen möglicherweise, die sie auch gerade genannt haben, dann haben wir ja noch Sie. Sind es ja gewohnt, Dresche zu beziehen. Können Sie sich ein bisschen aus der Deckung wagen? Also wenn Frau Eisenmann, die Kultusministerin sagt, ich zitiere sie mal:

„ ... auf dieser Grundlage ist eine umfassende Öffnung der Kindertageseinrichtungen verantwortbar.“ Was würden Sie sagen?

Alexander Kekulé

Also ich kriege übrigens nicht nur Dresche, ich kriege auch Lob, manchmal. (Beide lachen.) Also es ist so, die Verantwortung muss eben der Politiker treffen. Wenn die Frau Eisenmann sagt, „ich verantworte das“, dann verantwortet sie das. Was ich ein bisschen schwierig finde: Ich habe das Zitat von Herrn Ministerpräsident Kretschmann vorhin genau angehört. Er fängt so an in seinem Satz, dass er sagt ja, es widerspricht der Wissenschaft nicht. Und dann geht er dazu über zu sagen es wird durch die Wissenschaft gestützt. Also der erste Teil stimmt. Also, wir haben keine wissenschaftlichen Daten – das kann man schon so mal zusammenfassen – die jetzt belegen würden, dass bei dieser speziellen Pandemie Kinder besondere Treiber seien. Das ist schon mal eine interessante Beobachtung, weil wir bei anderen Pandemien tatsächlich ziemlich schnell gesehen haben, dass Kinder die Treiber sind. Wir wissen nur eben nicht, ob es an der Schließung der Kindergärten liegt, in diesem Fall. Das ist die Gretchenfrage nach wie vor. Und wenn die Politiker dann sagen, das ist zwar ein dünnes Eis, aber auf das wage ich mich hier raus, das reicht mir als Begründung. Dann finde ich, das darf ein Politiker machen. Das soll sogar ein Politiker machen. Weil er muss oder er oder sie muss die Verantwortung tragen. Ich persönlich wäre jetzt vorsichtiger, wenn ich jetzt in der Politik wäre. Aber Wissenschaftler haben natürlich die Eigenschaft, immer die ganzen Fragezeichen zu sehen hinter den Daten. Und ein Politiker muss eine Entscheidung treffen. Und die sagen halt

letztlich: Solange wir keine knallharten Fakten haben, die zeigen, dass Kinder ein ganz schlimmer Treiber der Pandemie sind – und diese knallharten Fakten fehlen, das muss man jetzt wirklich sagen – solange es keine knallharten Fakten gibt, mach ich die Schulen und Kitas wieder auf, weil auf der anderen Seite der Waagschale natürlich die ganzen sozialen Schäden sind. Das finde ich, ist eine politische Entscheidung. Die kann man so stehen lassen. Die Politiker müssen nur dann, falls sich das ändert – falls Herr Drosten mit seinen Daten noch weitere Unterstützung bekommt und es wirklich so sein sollte, dass die Kinder hier tatsächlich doch Treiber der Pandemie sind, was man bis jetzt nicht gesehen hat – dann müssen die Politiker meines Erachtens auch Konsequenzen ziehen.

[0:29:25]

Tim Deisinger

Und auch Wissenschaftler haben ja manchmal ein Bauchgefühl. Das haben wir auch schon gelernt in diesem Podcast. Und Sie haben ja vorhin sogar schon ihren Hut verwettet für ein Bauchgefühl. Mal sehen, wie das noch so weitergeht.

Ein weiteres Thema, das viele bewegt der große Corona-Ausbruch bei Tönnies. Mehrere Hundert Mitarbeiter eines Schlachthofs sind dort positiv getestet worden. In der Nähe von Gütersloh war das, in Nordrhein-Westfalen. Aber es ist bei Weitem nicht der erste Schlachthof. Warum immer wieder in Schlachthöfen? Weiß man, was möglicherweise der entscheidende Grund ist.

[0:29:57]

Alexander Kekulé

Das weiß man eben leider nicht. Und das ist für mich ein bisschen deprimierend an der Stelle. Wir haben oft über dieses Smart-Konzept gesprochen, wo:

S - der Schutz der Risikogruppen, M - die Masken, A - das habe ich mal ausgelassen, R - die schnelle Reaktionszeit der Behörden, T - das Testen ist.

Also wir haben noch zwei Punkte, wo es hängt. Über das Testen haben wir oft gesprochen, dass ich mir den Schnelltest natürlich wünsche

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für Jedermann. Aber hier müsste man mal über das „A“ wie Analyse sprechen, „A“ wie Aufklärung. Das ist die Aufklärung der Infektionswege. Und da hängt es wirklich im Argen. Und ich habe die Sorge, dass wir jetzt in die Sommerpause für diese Infektion kommen, ohne wirklich zu wissen, was die typischen Übertragungswege sind. Schauen wir uns mal Tönnies an, dieses Beispiel am Schlachthof. Das ist ja jetzt richtig krass. Es sind über 650 Fälle. Das ist der heutige Stand: Über 650 Fälle positiv getestet, und insgesamt liegen nur von knapp 1.000 die Ergebnisse vor. Also das ist ja irgendwie 65 %, die da positiv sind. Und die sind noch lange nicht durch mit Testen von den ganzen Mitarbeitern. Das heißt, hier hat es einen ganz massiven Ausbruch gegeben, schon wieder. Und wir haben ähnliche Fälle gehabt. Jetzt muss man sagen:

Theorie Nummer 1: Das könnte importiert sein von den Mitarbeitern. Weil diese Mitarbeiter, die in diesen Schlachthöfen arbeiten, das weiß man ja, inzwischen häufig aus osteuropäischen EU-Ländern, also Ländern im Ostbereich der EU quasi hin und her pendeln und möglicherweise das Virus aus der Heimat mitgebracht haben. Wer weiß?

Zweitens ist es möglich, dass hier die ganz wirklich zum Teil katastrophal schlechten Bedingungen in den Wohnheimen eine Rolle spielen. Die sind ja zusammengepfercht, wie ich finde, zum Teil unter unmenschlichen Bedingungen. „prekär“ nennt man das jetzt immer so schön. Da sind die zusammengepfercht, während sie hier arbeiten, und fahren dann wieder heim zur Familie. Dass es dazu Ansteckungen kommt, wenn man zum Teil so Doppelbelegungen vom gleichen Zimmer, vielleicht sogar vom gleichen Bett hat, das ist ja selbstverständlich.

Und die dritte Erklärungsmöglichkeit, die im Raum steht: Vielleicht hat es doch etwas mit diesen Kühlhäusern zu tun, wo die arbeiten. Weil kalte, trockene Luft gut für die Virusübertragung ist, sozusagen die Simulation der Winterverhältnisse im Kühlhaus. Das letzte ist eine Spekulation. So was lieben Virologen, über so etwas nachzudenken. Da gibt es aber keine Daten dafür. Jetzt hätte ich super gerne gehabt, dass dabei Tönnies in Gütersloh, wenn sie nun schon 650 Fälle haben, irgendwie mal in diesen Schlachthäusern, wo die da arbeiten,

in diesen Kühlhäusern jemand, solange die noch drinnen sind, reingeht, und zum Beispiel die Luftkonzentration der Viren bestimmt. Oder feststellt, wie nah sind die Leute wirklich zusammen bei der Arbeit. Diese eine Variante, dass die Kühlung was damit zu tun hat, das hätte man sehr gut in dieser Situation mal untersuchen können. Das ist kein Vorwurf an die Gesundheitsbehörden in Gütersloh. Aber das ist einfach so, wie es überall auf der Welt läuft. Man hat ein Ausbruch, und der erste Gedanke ist natürlich: schnell alle in Sicherheit. Jetzt kommen die alle in Heimquarantäne, und dann sind die, „zack“, isoliert. Und man wird nie rauskriegen, wie es zustande gekommen ist. So ähnlich ist es ja. Wir haben ja jetzt, ich glaube, in Berlin-Neukölln ist es in einigen Häusern auch zu einem Riesenausbruch gekommen. Da hat man auch sofort gesagt, alle in die Wohnungen, die Polizei kontrolliert das. Und mit relativ rigiden Maßnahmen, sodass die Kooperationsbereitschaft dieser Leute jetzt im Detail aufzuklären, wo sie sich angesteckt haben, ob da vielleicht doch die eine oder andere Party gestiegen ist, die ist dann nicht mehr da.

[0:33:35]

Tim Deisinger

Aber sie können Mitarbeiter über 650 Mitarbeiter quasi in den Arm nehmen und sagen ja, also schön, dass ihr alle infiziert seid, aber bevor ihr euch jetzt zu Hause hinlegt und in Quarantäne begebt, da gehen wir alle noch einmal in das Schlachthaus. Und dann stellen wir uns also noch mal hin. Und das testen wir ...

[0:33:51]

Alexander Kekulé

Nein, nein. Sonst hätte ich das vorgeschlagen. Aber man muss sich überlegen, wie so etwas losgeht. Das waren sicherlich Routinetestungen, die man gemacht hat. Weil, wir ja wussten schon vorher – es war nicht das erste Schlachthaus – wir wussten, bei Schlachthausmitarbeitern ist das relativ häufig. Es gibt übrigens noch eine weitere Erklärung, die vierte Erklärungsmöglichkeit. Vielleicht finden wir da nur so viele, weil wir so viel suchen. Das gibt es natürlich auch noch, die Variante, weil da wurde ja ganz gezielt jetzt

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nachgeschaut. Und ganz am Anfang finden Sie vielleicht ein oder zwei Positive. Oder Sie wissen aus den ganzen anderen Schlachthöfen, dass das häufig ist. Und dann hätte man natürlich zugleich mit den ersten Tests, die man gemacht hatte, gleich am Anfang sagen können: Okay, wir testen jetzt die Mitarbeiter im zehnten Schlachthof in Deutschland. Und da machen wir gleich von Anfang an die Arbeitsgeräte, die Tische, die Luft. Wir machen eine Aufstellung, wer wo mit wem zusammen war und parallel die Tests der Mitarbeiter, dass man sozusagen, während man die Maßnahme ergreift, zugleich die Untersuchung macht, so eine Begleitforschung heißt es dann immer technisch. Nur so etwas kann uns einen Weg Richtung Aufklärung geben. Rein theoretisch, nehmen wir an, es würde an der Kälte liegen. Es ist wirklich Spekulation, das muss ich noch mal betonen. Das hieße dann unter Umständen umgekehrt, dass eine Sauna gar nicht so gefährlich ist, weil da ist das Gegenteil, da ist die Luft eher feucht. Das kommt darauf an, welche Art von Sauna, und es ist da warm. Wir haben aber Angst, die Leute in die Sauna zu lassen, so wie die Österreicher das machen, weil es halt enge, enge Räume ohne Lüftung sind. Und deshalb, glaube ich, wir müssen da auch in Deutschland schneller oder besser mit dieser Begleitforschung vorankommen. Sonst wird die Sommerpause kommen. Und wir sind wenig schlauer als vorher.

[0:35:37]

Tim Deisinger

Kurz noch nachgefragt zum Thema Luftfeuchtigkeit, weil Sie die Sauna angesprochen hatten. Wir haben einen Hörer, der kommt aus Rehlingen-Siersburg, Herbert S. Er hat uns schon einige Male geschrieben, ist Ingenieur, im Ruhestand und verfolgt einen speziellen Gedanken. Er mutmaßt, dass die Luftfeuchtigkeit entscheidend sein könnte für die Ansteckungsgefahr. Und zwar die relative Luftfeuchtigkeit. Was meinen Sie?

[0:36:03]

Alexander Kekulé

Ja, das ist bekannt, dass die Luftfeuchtigkeit eine große Rolle spielt. Das ist die absolute Luftfeuchtigkeit. Und zwar hängt die ja von der Temperatur ab. Wir wissen, dass warme Luft

mehr Wasser tragen kann als kalte Luft. Darum ist im Winter die Luft generell trockener von der absoluten Luftfeuchtigkeit her. Relativ wäre ja nur die Sättigung bei der jeweiligen Temperatur. Und diese Viren übertragen sich am weitesten. Sie bilden diese Aerosol-Nebel immer dann, wenn die ausgeatmeten Tröpfchen ganz schnell verdampfen. Und dann solche „Tröpfchenkerne“ entstehen, also wenn die ausgetrockneten Viruspartikel ganz alleine durch die Luft weiterfliegen, wie so ein ganz feiner Staub. Das Wasser muss ja verdunsten – habe ich verdampfen gerade gesagt – es muss verdunsten. Und damit es verdunstet, ist es natürlich besser, wenn die Luft trocken ist. Weil dann geht das Wasser schneller weg. Das ist schon lange bekannt. Das ist einer der Gründe, warum die Influenza im Winter massive Wellen macht und im Sommer nicht. Und das ist bei den anderen Atemwegsinfektionen ganz genauso. Der Hörer hat Recht. Es hängt ganz entscheidend von der Luftfeuchte ab. Aber wir wissen, wie gesagt nicht, ob sie in den Schlachthöfen tatsächlich dieser Effekt ist. Es gibt auch diese Erntehelfer. Ich glaube, bei in der Nähe von Aichach war das, bei Augsburg, wo es ein Riesenausbruch gab. Und die sind ja nun nicht keineswegs irgendwo in der Kühlung unterwegs. Da gab es also auch viele Fälle.

Ich glaube, wir müssen uns auch anschauen, so als Mahnmal, wie die Situation in Peking ist. Da ist es aktuell so, dass vermutet wird von Gesundheitsbehörden, dass das möglicherweise schon seit einem Monat dort läuft. Also es ist gar nicht mal so, dass die sagen, der Ausbruch, der jetzt seit fünf Tagen entdeckt ist, müsste so aktuell sein. Nur mal so zum Vergleich: Die haben etwas mehr als 150 Fälle, Tönnies waren 650. Und die haben in fünf Tagen 356.000 Tests gemacht. Bei Tönnies ist es so, dass nach offiziellen Angaben gerade fast 1.000 Ergebnisse vorliegen. Das heißt also, die haben viel weniger Fälle als wir, haben viel, viel mehr Tests gemacht. Und die haben die halbe Stadt jetzt in den Lockdown gebracht, die Hauptstadt von China. In Gütersloh ist es so, dass ganz offiziell gesagt wurde, nein, Lockdown machen wir hier keinen. Wir testen erst einmal munter bei Tönnies weiter, sodass man schon die Frage stellen muss ... Das ist jetzt ein gewisses Risiko, was wir in

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Deutschland eingehen, wenn wir da so vorsichtig reagieren auf solche Ausbrüche – was natürlich politisch leichter zu verkaufen ist – dass wir möglicherweise dann relativ schnell auch im Umfeld von solchen Ausbrüchen weitere Fälle bekommen.

[0:38:46]

Tim Deisinger

Nun zu den Hörerfragen. Über Twitter #fragkekule hat Mira gefragt: „Wie sinnvoll ist es, dass Kinderärzte Kinder erst auf Covid-19 testen, wenn neben Fieber und Durchfall zumindest auch Husten oder Schnupfen vorliegt?“

[0:39:01]

Alexander Kekulé

Ich meine, dass man sehr großzügig testen sollte. Fieber ist eine der möglichen Indikationen, die vom Robert Koch-Institut, auch wenn ich mal so sagen darf, zugelassen ist. Und das ist so, dass es in der Entscheidung des Kinderarztes steht, zu sagen, ich teste, wann auch immer ich irgendwie den Verdacht habe, dass es so eine Infektion sein könnte. Bei Kindern sind die Verläufe ja sehr, sehr häufig atypisch oder sehr mild, sodass ich glaube, dass man da großzügig mit der Testindikation sein sollte.

[0:39:34]

Tim Deisinger

Frau S. Frage kam per Telefon und ist ein bisschen ausführlicher.

Hörerin

„Ich höre auf Grund einer rheumatischen Erkrankung zur Risikogruppe und muss auch ein Immunsuppressivum einnehmen, weshalb ich mich im Moment nicht traue, meinen Sohn in die Schule zu lassen. Meine Idee ist nun, da wir im März im Skiurlaub in der Schweiz waren und sich in diesem Hotel viele Italiener befanden, sowohl unter den Gästen als auch im Personal, würde ich ihn eigentlich gerne testen lassen, ob er Antikörper hat. Denn er wurde am Ende dieser Urlaubswoche in der Schweiz noch krank, mit Husten, der sich ein bis zwei Wochen gehalten hat und Schnupfen. Und würde jetzt gern einen IgG-Test machen lassen. Meine Frage: Ist der in jedem Labor gleich gut? Und

sollte dieser positiv sein, ist das ja noch zu ungenau und zu wenig aussagekräftig. Ist es dann möglich, dass ich in dem Fall über den Hautarzt, den ja doch ein sehr zeitaufwendigen, teuren und nur in Stufe 3 möglichen Neutralisationstests veranlasse? Wenn ja, mögen sie ein bestimmtes Labor empfehlen? Und wenn dieser positiv ist: Wie sicher kann ich, dass mein Sohn dann wirklich immun ist und vor allem auch immun gegen dieses SARS-2-Virus – Stichwort: Sensitivität, Spezifität. Denn das wäre für mich dann einen Grund, ihn, hoffentlich bedenkenlos, in die Schule zu lassen.“

[0:40:53]

Tim Deisinger

Ja, lange Frage.

Alexander Kekulé

Das war eine gute und sehr komplexe Frage. Ich halte mich jetzt zurück, eine kleine Vorlesung dazu zu halten. Also ganz kurz gesagt: Der Antikörpertest ist, obwohl er am Anfang umstritten war, aussagekräftig genug für diese Frage. Also, das ist der Standardtest, der in Deutschland verwendet wird. Wenn der positiv ist, gehen wir einfach davon aus, dass derjenige Kontakt mit dem Virus hatte. Sonst wäre ja, die Baden-Württemberg-Studie komplett Unsinn. Die haben den Neutralisationstest da mitgemacht, aber den hätte es da gar nicht unbedingt gebraucht. Und es ist so, dass wir also wissen dieser Antikörpertest ist halbwegs zuverlässig. Und den machen praktisch alle Labore in Deutschland. Der Übliche ist der von Euroimmun. Ich kann den Namen nennen, weil das, glaube ich, der einzige ist, der eine CE-Zertifizierung im Moment hat in Deutschland. Vielleicht irre ich mich, dass es noch einen ganz neuen gibt. Virus-Neutralisationstest, also diese speziellen Sachen, die würde ich da gar nicht machen. Wenn das Kind positiv ist, ist es positiv. Ich kann die Hörerin nur noch einmal daran erinnern. Ganz viele Menschen, die glauben, sie gehören jetzt zu einer Risikogruppe, weil sie Immunsuppressiva nehmen oder Ähnliches gehören gar nicht dazu. Also, je genauer wir die Daten anschauen, in letzter Zeit sehen wir

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umso deutlicher, dass wirklich nur die Menschen, die vorher wirklich schwer krank waren an diesen besonderen Erkrankungen, wie Asthma oder wie Herz-Kreislauf, nur die haben ein erhöhtes Risiko. Jemand, der irgendwie gut eingestellt ist mit einer immunsuppressiven Therapie, der ist eigentlich nicht besonders im Risiko. Und wir haben ja vorhin auch gehört, was es auf sich hat mit dem Dexamethason. Möglicherweise hat sogar einen positiven Effekt, das kann man gar nicht sagen in dem Fall.

[0:42:38]

Tim Deisinger

Zum Schluss noch eine Frage von Wolfram B., Tischtennisspieler, Vorstandsmitglied der SG 1948 Schochwitz. Dem geht es um die Hallennutzung zum Trainingsbetrieb der Tischtennisspieler und für die Kurse der Seniorengymnastik.

Frage: „Muss der Fußboden einer Sport- und Mehrzweckhalle wegen möglicher Corona- Ansteckungen wirklich täglich, beziehungsweise nach jeder Nutzung, gesäubert werden?“ Hintergrund ist wohl, dass die Gemeinde, das ist Salzatal, den Zutritt zur Halle verweigert, weil sie angeblich als Eigentümer die erhöhten Anforderungen der Reinigungsvorschriften und so weiter nicht gewährleisten kann.

[0:43:18]

Alexander Kekulé

Da würde ich sagen, das ist nicht notwendig. Also ich stelle mir das als eine größere Halle vor. Beim Tischtennis ist es so, dass man natürlicherweise gegenüber steht auf der Platte. Gut, wenn man ein Doppel spielt, ist der andere vielleicht etwas näher dran. Und die nächste Platte ist dann auch weiter weg, sonst würde man sich dauernd ins Gehege kommen. Ich sehe da jetzt kein Problem. Vielleicht können die Mitglieder des Sportvereins abends mal Durchwischen und das selber machen, wenn die Gemeinde kein Geld dafür hat. Aber da genügt die ganz normale Bodenreinigung, also eine spezielle Desinfektion oder sowas am Fußboden sehe ich hier nicht als notwendig an.

[0:43:52]

Tim Deisinger

Ja und damit sind wir für heute durch. Das war es. Vielen Dank, Herr Kekulé. Wir hören uns dann am Samstag wieder.

Alexander Kekulé

Gerne, Herr Deisinger, bis dann.

Tim Deisinger

Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00. Möglich auch bei Twitter unter dem Hashtag #fragkekule. Kekulés Corona-Kompass gibt es in der ARD- Audiothek, bei Spotify, bei Apple, Google, YouTube und auf mdraktuell.de

MDR Aktuell: „Kekulés Corona-Kompass“

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

16.06.2020 #69: Corona-App führt zu vielen Fehlalarmen

Tim Deisinger, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Tim Deisinger

Diese Ausgabe unseres Podcasts mit folgenden Themen:

1. Die Corona-Warn-App der Bundesregierung. Heute ist sie offiziell vorgestellt worden. Jeder und jede kann mitmachen, sich die App runterladen und sozusagen scharf schalten. Mit welchem Effekt? Inwieweit kann diese App tatsächlich helfen, die Ausbreitung des Virus zu bekämpfen?

2. Und das Coronavirus verändert sich im Lauf der Pandemie. Es mutiert. Eine Studie scheint nun zu belegen, dass es ihm dadurch gelingt, effizienter in andere Zellen einzudringen. Heißt das, dass das Virus im Laufe der Zeit schon gefährlicher geworden ist?

Wir wollen helfen, die vielen Meldungen rund um das neuartige Coronavirus einzuordnen. Und wir beantworten Ihre Fragen. Ich bin Tim Deisinger, Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell.

Und die Einschätzungen holen wir ein wie immer beim renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Guten Tag, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Das Thema des Tages, ich habe es gesagt, ist die Corona-Warn-App Bundesregierung. Deswegen

steht sie auch hier bei uns im Podcast ganz vorn. Wir wollen besprechen, wie das Ganze funktioniert, was man sich von der App erhofft und wie wahrscheinlich es ist, dass sich diese Hoffnungen erfüllen. Heute Vormittag 10:30 Uhr war es so weit. Da saßen mehrere Bundesminister, der Chef des Robert Koch- Instituts, der Telekom-Chef und ein Vorstandsmitglied von SAP auf einer Bühne, um der Öffentlichkeit die Corona-Warn-App der Bundesregierung zu präsentieren. Den Anfang hat dann der Kanzleramtschef Helge Braun gemacht. Der war bei seinen ersten Worten auch nicht sonderlich zurückhaltend: „Das ist nicht die erste Corona-App weltweit, die vorgestellt wird. Aber ich bin ziemlich überzeugt es ist die Beste.“ (Kanzleramtschef Helge Braun)

Bescheiden waren auch alle anderen folgenden Politiker nicht. Und auch als der Telekom-Chef Tim Höttges an der Reihe war, sparte der auch nicht mit Superlativen:

„Das ist das beste Public-Private-Partnership-Projekt, was ich bisher in meinem Berufsleben je gesehen habe. Das ist der Rockstar, in Geschwindigkeit, aber auch in der Art, wie wir zusammengearbeitet haben.“ (Telekom-Chef Tim Höttges)

Public Private Partnership. Wenn sich also Privatwirtschaft und öffentliche Verwaltung, sprich der Staat zusammentun, um Projekte zu verwirklichen.

Herr Kekulé, ich bin fast geneigt zu fragen – Mensch, wenn sie da oben gesessen hätten – mache ich aber nicht. Stammhörerinnen und - hörer ahnen, dass Sie da vielleicht nicht so recht reingepasst hätten in die begeisterte Riege. Wir haben über das Thema App schon ein bisschen öfter gesprochen. Und das machen wir auch gleich intensiv noch mal. Aber ganz generell am Anfang gefragt: Wie sehen Sie das? Rechtfertigt dieses Produkt nun auch das ganze Tamtam, mit dem es vorgestellt wurde?

[0:02:51]

Alexander Kekulé

Das Produkt ist ein Prototyp, der jetzt erst einmal losgelassen wird. Und das Tamtam kann man verstehen. Wahrscheinlich, wenn ich Minister wäre, würde ich das auch versuchen.

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Weil, eins ist ganz klar: So eine App funktioniert nur dann, wenn sehr viele Menschen, die auf ihrem Smartphone installiert haben. Und deshalb muss man jetzt die Werbetrommel rühren, das ist ganz klar. Weil, wenn der Teil nicht eingehalten wird, dass ganz viele Menschen das haben, dann kann es grundsätzlich nicht funktionieren.

[0:03:16]

Tim Deisinger

Und wir wollen uns die Stärken und Schwächen gleich ein bisschen genauer anschauen. Wir fangen aber ganz vorne an. Nämlich damit, was soll die App überhaupt tun? Und wie tut sie das? Aufgabe der App, wenn ich das erst recht verstanden habe: Leute warnen, wenn sie einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt waren und ihnen sagen, also bitte lasst euch mal testen. Oder habe ich da eine andere Wahrnehmung?

[0:03:38]

Alexander Kekulé

Doch das ist genau die Idee. Also, das Problem bei dem neuen Coronavirus ist, dass wir immer Infektionen haben von Menschen, die das noch nicht mitbekommen haben. Die in der Inkubationszeit sind. Und die auch in dieser Inkubationszeit schon andere anstecken können. Deshalb ist es ganz wichtig, wenn man jemanden hat, der positiv getestet ist, dann rauszubekommen, welche Kontakte hatte der so in den letzten fünf Tagen – das ist der typische Zeitraum – die geeignet waren, das Virus zu übertragen. Also wenn der eine ganz vorne im Zug saß und der andere ganz hinten im Zug, dann ist das kein gefährlicher Kontakt. Wenn man sich aber umarmt und geküsst hat, dann ist das ein gefährlicher Kontakt. Und da gibt es die eine Möglichkeit, dass die Gesundheitsämter jetzt jeden einzelnen Menschen befragen und dessen Erinnerungen strapazieren über die letzten fünf Tage. Und die andere Möglichkeit, das eventuell auch zu ergänzen durch so eine App, die eben dann demjenigen, der Kontakt hatte, also der angesteckt worden sein könnte, sagt: Achtung, du hast Kontakt mit einem Infizierten gehabt, bitte melde dich beim Gesundheitsamt, oder gehe in Quarantäne, oder was auch immer.

[0:04:49]

Tim Deisinger

Und wie stellt die App das fest? Das wurde auf dieser Pressekonferenz heute Vormittag anhand eines kleinen Filmchens erläutert. Da können wir auch mal kurz rein hören. Ich habe die ganzen Datenschutzaspekte, die sicher auch noch gleich eine Rolle spielen werden, erst einmal weggelassen. Es geht ja erst mal nur um das wie.

[0:05:04]

Erklärvideo zu Corona-Warn-App

„Mit der Corona-Warn-App können sie mithelfen, Infektionsketten zu unterbrechen. Immer wenn sie einem anderen Nutzer begegnen, tauschten ihre Smartphones automatisch verschlüsselte Zufallscodes aus. Diese Zufallscodes sagen den Handys nur, dass sich zwei Menschen begegnet sind, wie lange das dauerte und wie groß dabei der Abstand war. Hat sich ein Nutzer nachweislich infiziert, kann er seine eigenen Zufallscodes anonym allen anderen Nutzern zur Verfügung stellen. Auch Ihnen. Ihre App findet den Code, den ihr Handy damals mit dem Smartphone des Infizierten ausgetauscht hat, und informiert Sie, dass Sie Kontakt zu ihm hatten. Gleichzeitig gibt sie ihnen konkrete Handlungsempfehlungen. Mit der Corona-Warn-App schützen Sie sich und Ihre Mitmenschen.“

[0:05:57]

Tim Deisinger

Um es noch einmal deutlich zu sagen, die App warnt ein jetzt nicht auf die Weise, dass sie plötzlich „bimmelt“ und sagt: Achtung, jetzt zwei Meter weg von dir, da ist einer der mit Corona infiziert ist.

[0:06:08]

Alexander Kekulé

Nein, das macht sie nicht. Sondern ... So eine App gab es übrigens mal in Singapur, die quasi direkt gewarnt hat. Das war aber kein Erfolg. Die Idee ist letztlich auf der Strecke, dass derjenige, der gewarnt wurde, der also offensichtlich Kontakt hatte – so meint es zumindest die App – mit einem Infizierten, mit einem möglicherweise Infizierten, dass der also eine Meldung auf seinem Smartphone bekommt. Dann kann er

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sich zum Beispiel direkt in Quarantäne begeben oder sonst etwas machen. Das ist so die Idee.

Tim Deisinger

Und die Handys all derer, die diese App installiert haben, die tauschen dafür Bluetooth- Signale aus.

Alexander Kekulé

Ja, die die Technik ist, das kann man sagen, das Beste, was zur Verfügung steht. Es wurden früher ja andere Sachen versucht, die keinen Erfolg hatten, zum Beispiel über GPS und Geotracking und diese Dinge. Man muss auch dazu sagen, diese alten Methoden, die kein Bluetooth verwenden, das sind die einzigen, die früher, zum Beispiel in Singapur oder in Südkorea, eingesetzt wurden. Das heißt, wenn Politiker in der Vergangenheit behauptet haben, dass in Südostasien diese Apps enorme Erfolge hatten, dann ist das einfach falsch. Weil die Technik dazu gar nicht geeignet war, die dort eingesetzt wurde. So gesehen stimmt es, Bluetooth ist das Beste. Das ist diese Low-Energy-Technologie. Das heißt, ein Bluetooth-Signal, was von einem Gerät ausgesendet wird auf dem klassischen Übertragungsweg, der ja auch verwendet wird für alle möglichen Steuerungen und für Übertragung von Tonsignalen zu Headphones und so etwas. Da sendet quasi so ungefähr fünfmal pro Sekunde, also relativ häufig, sendet jedes Handy ein, ein Beacon, wie man sagt, also so ein kleines Funksignal aus. So ähnlich, wie ein Leuchtturm, der blinkt. Und das Empfängerhandy versucht, diese Signale auszuwerten und aus der Signalstärke herauszukriegen, wie weit das andere Handy weg war. Das ist sozusagen das Prinzip. Jeder, der weiß, wie solche Signale funktionieren, das ist ja so ein Gigahertz-Signal, 2,4 Gigahertz, der weiß, dass es auch da leider wahnsinnig viele Störmöglichkeiten gibt.

Tim Deisinger

Aber dieses Bluetooth-Signal, Sie sagten fünfmal in einer Sekunde oder so. Aber das wird es nicht permanent, solange ich das Handy anhabe, dann gesendet, sondern auch nur alle paar Minuten.

Alexander Kekulé

Hier ist es so, dass der Empfänger noch alle paar Minuten eingestellt ist. Nach der Spezifikation, die veröffentlicht ist, ist es so gedacht, dass mindestens alle fünf Minuten quasi einmal gescannt wird. Das hängt letztlich mit dem Batterieverbrauch zusammen. Man könnte das natürlich viel öfter machen. Da beginnt schon das erste Problem. Wir haben technisch gesehen ganz unterschiedliche Geräte. Man muss vielleicht da anfangen, dass man sagt, jedes Smartphone ist anders. Bekanntlich ist es so, dass nur ein Teil der Smartphones das überhaupt kann. Und jedes hat einen anderen Sender drinnen und einen anderen Empfänger drin für Bluetooth. Da muss man die erstmal relativ kompliziert kalibrieren. Das heißt, man muss anhand der einzelnen Daten für jede einzelne Handy-Version, also sogar Versionen in innerhalb eines Handy-Typs, wenn man zum Beispiel sagt, Smartphone 5 oder iPhone 5. Da gibt es dann wiederum mehrere Versionen innerhalb dieses Typs. Für jede Version muss man das einzelnen kalibrieren, dass die Signale in Ordnung sind. Weil nämlich schon kleine Signalstärken zu Unterschieden führen. Also entweder, dass der Sender unterschiedliches oder der Empfänger unterschiedlich ist. Kleine Unterschiede führen eben dazu, dass das dann plötzlich aussieht, wie 1 m mehr oder weniger. Für die, die da sich auskennen: Es ist es so, dass 6 Dezibel Dämpfung, also 6 dB Signalstärke Unterschied, können +/- 3 oder 4 m machen. Also das ist richtig, richtig viel. Die Empfänger sind aber zum Beispiel +/- 10 dB unterschiedlich empfindlich. Und die Sender sind +/- 30 dB unterschiedlich stark. Und daran sieht man schon, dass ist ungefähr so, als wenn man mit einem riesigen Lkw versucht, einen ganz kleinen Luftballon vor sich herzuschieben ohne dass der zerplatzt. Da muss man also sehr, sehr genau anpassen. Handys sind Massenprodukte. Und das ist schon mal der erste Schritt, der nicht ganz einfach ist.

[0:10:19]

Tim Deisinger

Sie hatten iPhone 5 angesprochen. Ich glaube, das funktioniert dort gar nicht. Also es gibt eine ganze Reihe von Telefonen, die ausgenommen sind. Die Liste kann man sicherlich im Netz

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irgendwo nachlesen. Und es muss auch, ich glaube, zumindest, was Apple betrifft, auch immer das neueste Betriebssystem, ich glaube, das ist jetzt das 13.5, dort installiert sein, damit es überhaupt klappt mit dieser App.

[0:10:42]

Alexander Kekulé

Ja, das muss jeweils das neueste System sein. Diese Freischaltung – das war ja das Riesenthema dieses Jahr von Google und Apple – ist jetzt erst ins Betriebssystem integriert worden. Vorher gab es andere Konsortien, die versucht haben, da was zu entwickeln. Da haben sich aber Google und Apple quergestellt. Es gibt auch Leute, die sagen, das hat was mit ökonomischen Interessen letztlich zu tun. Und deshalb ist es so, dass nur das eigene Produkt am Schluss des Tages sammelt, aus ökonomischen und auch aus Datenschutzgründen eben. Das ist etwas, was funktioniert.

[0:11:13]

Tim Deisinger

Stichwort: Datenschutz. Das Ganze ist jetzt komplett pseudonymisiert. Das heißt, auch wenn ich mal so eine Warnung erhalte, weiß ich nicht, von wem sie kommt. Ich weiß auch nicht, an wen meine Warnungen rausgehen, wenn ich derjenige sein sollte, der infiziert ist?

[0:11:30]

Alexander Kekulé

Ja, also ich bin kein Datenschutzexperte. Aber ich habe den Eindruck, dass an der Stelle das wirklich gründlich gemacht wurde. Also der Teil Datenschutz ist schon fast so gut gemacht worden, dass die, sag ich mal, die epidemiologische Funktion in Frage steht. Deswegen, weil man tatsächlich sozusagen die Auswertung nur auf dem Handy hat. Das heißt also nur der Nutzer, der diese Warnung bekommt, der kriegt überhaupt ausgewertet, dass er Kontakt hatte mit jemandem. Und der kann dann auch ganz alleine entscheiden, was er mit dieser Warnung macht. Umgekehrt ist es so, dass jemand, der positiv getestet ist, ganz alleine entscheidet, ob er das in seiner App überhaupt eingibt und wann er das eingibt. Also daher würde ich jetzt mal sagen, weiter kann

man beim Datenschutz eigentlich gar nicht gehen.

[0:12:17]

Tim Deisinger

Diese Daten gehen auch an kein Gesundheitsamt hier in der Bundesrepublik. Die Gesundheitsämter wissen nicht, welche Handys dann irgendwelche Warnungen bekommen. Sie hatten es auch gesagt: Es steht jedem frei, den Code, den man möglicherweise, wenn man infiziert ist, vom Gesundheitsamt bekommt, dort einzutragen. Dann kommen wir mal zudem, was diese App nun tatsächlich leisten kann. Der Präsident des Robert Koch-Institutes, Lothar Wieler, der hat es auf der Pressekonferenz wie folgt formuliert. Wir hören mal kurz rein: „Mit der Corona-Warn- App können mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zusätzliche Risikobegegnungen aufgezeichnet werden und identifiziert werden, die bislang durch das Raster gefallen sind. Das könnte gerade dann von Bedeutung sein, wenn die Mobilität der Menschen wieder weiter zunimmt.“ Infektionen aufdecken, die durchs Raster gefallen wären. Das klingt für mich jetzt nicht unplausibel, wie es ihre Einschätzung? Kann die App das?

[0:13:18]

Alexander Kekulé

Ich würde sagen im Prinzip ja. Das hat er auch sehr klug ausgedrückt. Er sagt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, und er spricht von zusätzlichen. Die Frage ist am Ende des Tages: Werden die Gesundheitsämter entlastet? Müssen die weniger arbeiten oder mehr? Und hier ist eben das Problem, die kriegen zusätzliche Informationen. Ja, vielleicht den einen oder anderen, wo man nicht genau wusste, dass man mit dem Kontakt hatte. Beispielsweise in Zukunft, wenn wir dann wieder alle etwas entspannter sind, dann wird es vielleicht so sein, dass man im Kino war oder bei einer Theatervorführung. Da kennt man natürlich nicht alle Leute, die eine Reihe vor oder dahinter gesessen haben. All diese Informationen werden dann zusätzlich von der App gesammelt. Und da ist meines Erachtens das Hauptproblem von der praktischen

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Auswertung her. Nämlich, dass wir ganz viele falsche Alarme bekommen werden. Umgekehrt ist es aber auch so, dass wichtige, gefährliche Kontakte von dieser App, so wie sie jetzt konstruiert ist, gar nicht festgestellt werden können.

[0:14:12]

Tim Deisinger

Zu den falschen Alarmen, die Sie angesprochen haben. Da hat sich der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf dieser Pressekonferenz auch geäußert. Das ist auch nur ein ganz kurzer Ton. Den spiele ich auch mal vor:

„Was die App ja macht, ist zu informieren und einzuladen, sich testen zu lassen. Und mir ist lieber einen Test zu viel als einen Test zu wenig.“

Das klingt doch auch nicht unvernünftig. Oder?

[0:14:34]

Alexander Kekulé

Ja, so weit. Wissen Sie, da muss man ein bisschen detaillierter reingehen. Die Frage ist doch, ob die Sachen, wo die App Alarm schlägt, ob die relevant sind – ja oder nein? Und da muss man erst mal sagen, woran erkennt die App denn, dass das ein gefährlicher Kontakt war, wie das Gesundheitsamt sagt? Rein technisch gesehen ist es so: Sie kriegen einen Riesenunterschied in der Signalstärke, je nachdem, wo sie am Körper dieses Handy gerade haben. Ob es in der Hosentasche haben oder wie Damen das häufig machen, in der Handtasche irgendwo anders haben. Das macht einen riesigen Unterschied von der Signalstärke und auch von der Bewegung des Signals. Weil, jemand dreht sich um, dann ist das Handy mal vorne, mal hinten. Der eine hat es in Brusttasche, der andere hinten in der Hose. Dann gibt es die Situation, dass Personen getrennt sind, zum Beispiel durch eine Plexiglasscheibe. Das ist ganz häufig heutzutage an Schaltern. So eine Plexiglasscheibe kann das Handy nicht erkennen, kann diese App nicht erkennen. Das stellt nicht fest, ob eine Scheibe dazwischen war oder nicht, was aber ein Riesenunterschied machen kann. Auch an Gegenständen gibt es Reflexionen, zum Beispiel in Kaufhäusern. Wir werden die Signale indirekt

übertragen. Und bei diesen Reflexionen kommt es zu so einem Phänomen, das dann quasi mehrere Wellen am Empfänger ankommen, die direkte und die reflektierte. Und da kommt es zu Auslöschungsphänomen auf der Strecke. Das ist bekannt, das heißt auf Englisch multipath fading. Das sieht dann so aus, als wäre der andere weiter weg, obwohl da eigentlich nur eine Reflexion stattgefunden hat. Und noch viele andere Dinge, die da zum Beispiel damit zusammenhängen, wie die Antenne in dem Einzelnen Gerät verbaut ist. Da kommt es unter Umständen darauf an, ob sie das Gerät vertikal in der Brusttasche stecken haben oder seitlich in der Hosentasche. Also ob die Antenne senkrecht oder steht oder quer liegt. Und all diese Dinge führen dazu, dass man eigentlich um eine gute Auswertung zu haben von dem Signal, in ganz kurzem Abstand messen müsste. Sie müssten also wirklich theoretisch mindestens zweimal pro Sekunde messen. Jetzt macht es das aber nur alle fünf Minuten. Und dadurch kriegen sie keine statistische Verbesserung der Signalqualität oder der Messqualität über den Abstand. Oder in anderen Worten, es werden ganz oft Alarme gegeben, obwohl der andere mehr als 2 m weg war. Und in anderen Situationen wird nicht erkannt, wenn der andere näher als 1 m war.

[0:16:56]

Tim Deisinger

Die Entwickler, sind ja Telekom und auch SAP gewesen, jetzt in diesem neuen Team. Die haben sich natürlich sicher auch Gedanken darüber gemacht, ob man auf die Messungen, die sie dann machen, vertrauen kann, auf die Ergebnisse. Und speziell dazu hat sich Jürgen Müller, Vorstandsmitglied von SAP, auf dieser besagten Pressekonferenz heute Vormittag auch geäußert:

„Ganz kurz noch was zum Thema Bluetooth- Genauigkeit und da auch in aller Offenheit. Wenn Sie uns vor vier Wochen gefragt hätten, ob wir mit dieser App, mit dieser Technologie, guten Gewissens live gehen können, hätten wir gesagt nein. Aber in diesem Netz, in diesen vier Wochen haben wir vor allem mit dem Fraunhofer Institut sehr, sehr eng zusammengearbeitet, mit dem Robert Koch- Institut sehr, sehr eng zusammengearbeitet und

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haben diese Schnittstelle getestet. Ziel des Tests war die Überprüfungen, in welcher Genauigkeit die Google- und Apple Schnittstelle in verschiedenen Szenarien. Wir haben simuliert, so etwas wie im ICE. Wir haben simuliert, so etwas wie eine Schlange im Supermarkt. Wir haben simuliert, so etwas wie ein Restaurantbesuch oder auch eine etwas dynamischere Cocktailparty. Und haben dann eben Begegnungsdauer, Begegnungsabstand von den Smartphones nach Vorgaben vom RKI ganz, ganz präzise messen können. Und haben das mit dem das Modell vom RKI eingespielt. Das Ergebnis: Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass bei den letzten dieser Testreihen, die wir durchgeführt haben, mit verschiedenen Mobilfunkgeräten in diesen Szenarien, wir rund 80 Prozent der Begegnung korrekt einschätzen konnten.“

[0:18:36]

Tim Deisinger

Das klingt jetzt ein bisschen anders, als das was Sie befürchten.

Alexander Kekulé

Naja, das ist noch nicht publiziert, was er da sagt. Also, da müsste man eben genau gucken, ob das so gemacht wurde oder nicht. Also technisch gesehen ist es so, wenn die Scan- Frequenz, so wie das veröffentlicht ist, bei fünf Minuten liegt, also mindestens alle fünf Minuten, dann kann man das nicht machen. Sie müssen sich das ganz praktisch vorstellen. So ein Kontakt ist ja häufiger als fünf Minuten. Und die Phase, wo sich Menschen annähern oder voneinander entfernen, die ist da jeweils nicht mit drinnen. Und die ist aber sehr wertvoll, um auszuwerten, was da eigentlich passiert ist. Da kann sich jemand auch kurz umdrehen und wieder zurückdrehen. Und da wäre es immer sinnvoll, Mittelwerte zu bilden von vielen Daten. Und das Robert Koch-Institut hat als Rahmenbedingung gesagt, das ist ja so einer der Standards, 1,5 Meter mal 15 Minuten ist sozusagen die kritische Begegnung. Das heißt also, da messen sie im schlimmsten Fall nur dreimal in den 15 Minuten und müssen das in der Zeit feststellen. Ich will jetzt nichts schlecht reden. Aber ich habe das Gefühl, es muss wahrscheinlich noch eine zweite, dritte, vierte

Version dann gemacht werden, damit das wirklich funktioniert. Bis jetzt gibt es auch keinen größeren Feldversuch. Man muss vielleicht zu dieser Definition auch Folgendes sagen. Es ist so, dass ist eigentlich eine Vermischung aus zwei verschiedenen Infektionswegen: 1,5 Meter und etwa 15 Minuten. Das ist so der Standard. 1,5 Meter bezieht sich auf die Tröpfcheninfektion. Das heißt, da kommt es nur darauf an, dass sie face- to-face sind. Jemand spricht, der andere hat einen gewissen Abstand – wir sprechen ja hier im Podcast immer sicherheitshalber von zwei Metern – und dann kann man sagen, wenn jemand weiter weg ist, dann fliegen die Tröpfchen nicht so weit, dass sie das Gesicht erreichen. Die 15 Minuten beziehen sich ja eigentlich auf ganz was anderes. Weil, wenn sie angehustet werden, das dauert ja nur eine Sekunde oder kürzer. 15 Minuten heißt, länger in einem Raum zusammen. Das stellt letztlich auf die aerogene Infektion ab. Also auf diese Entwicklung von Aerosolen, ganz feinen Tröpfchen-Nebeln, die länger im Raum stehen. Da spielt es eine Rolle, wie lange man mit jemand in einem geschlossenen Raum ist. Das heißt, also hier sind zwei verschiedene Faktoren einfach mal so vermischt in einer Definition zwei verschiedene Übertragungswege. Und bei der Aerosolbildung kommt es ganz entscheidend darauf an, was das für ein Raum ist. Bluetooth erkennt nicht, ob die sich im Freien begegnet sind und irgendwo auf der Parkbank in der Nähe saßen, vielleicht sogar Rücken an Rücken auf zwei Parkbänken. Oder ob das zwei Personen waren, die im engen Raum zusammenstanden 15 Minuten lang. Und das wäre aber jetzt für diese neuen Erkenntnisse, die wir haben und für die, sage ich mal, vor allem neue Entwicklung, dass jetzt aktuell in Deutschland diese aerogenen Infektionen so wichtig sind. Wir sehen ja die Ausbrüche in Fleischmärkten und Schulen und so weiter, beziehungsweise Kitas in Göttingen. Das sind Situationen, wo diese aerogene Infektion möglicherweise eine Rolle spielt. Und darauf stellt diese App noch gar nicht ab, weil sie das nicht kann. Darum hatte der Herr Fettweis in dem Gespräch, was wir gemacht haben, gemeint, dass das Ganze eigentlich erst richtig funktionieren wird, wenn wir auch Angaben über den Raum haben, dass

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man weiß, wo man ist, also zum Beispiel W-Lan- Informationen dazu spielt. Das ist aber in der neuen Version jetzt gar nicht mehr geplant aus Datenschutzgründen.

[0:22:04]

Tim Deisinger

Professor Fettweis von der Technischen Universität Dresden, der zu der ersten Entwicklergruppe gehört, deren App jetzt nicht verwendet wird – und wer es noch einmal nachhören möchte, das ist, glaube ich, die Podcast Folge 45 vom 08. Mai. Da hatten wir ganz ausführlich über diesen damaligen Stand bei der App gesprochen.

Das was Sie jetzt gesagt haben, das war im Prinzip genau meine Frage gewesen. Also, dass die Aerosol-Übertragung jetzt von der App gar nicht abgedeckt werden kann, weil man auch ziemlich weit weg stehen kann und trotzdem andere infizieren kann. Oder ganz anderes Beispiel: Ich komme in einen Raum, der ist völlig leer, aber da waren zehn Minuten vorher die Leute drin, die sich da die Lunge aus dem Leib gehustet haben. Und da steht die Wolke dann wahrscheinlich noch eine ganze Weile. Das würde meine App auch nicht erkennen.

[0:22:52]

Alexander Kekulé

Dieser Raum könnte zum Beispiel ein Aufzug sein, wenn da vorher eine Gruppe war, wo jemand dabei war, der infiziert war oder vielleicht sogar mehrere Infizierte. Das gibt es ja durchaus Mal, dass ein in der Familie mehrere krank sind. Sie steigen kurz darauf ein. Und dann infizieren sie sich da. Ähnlich ist es auch bei Schmierinfektionen, die sind jetzt nicht so häufig. Aber der Griff in der Straßenbahn ist natürlich überhaupt nicht erfasst. Also daher gibt es sozusagen Dinge, die nicht erfasst werden, und auch ganz viele falsche Alarme, meines Erachtens. Zum Beispiel, wenn einer von beiden jetzt einen Mundschutz aufhatte und eigentlich gar nicht die Wahrscheinlichkeit so groß war, dass der eine Tröpfcheninfektion macht in der Situation. Und dann schlägt die App natürlich trotzdem Alarm, weil die das nicht feststellt. Das führt dann zu zwei Effekten aus meiner Sicht. Der eine ist, die Menschen wiegen sich, so ist es ja bei der Pressekonferenz auch

deutlich gesagt worden, in Sicherheit. Hier heißt es ja ganz klar, „Sie schützen sich damit“, sagte diese freundliche Stimme. Da denkt man dann, naja, wenn ich das dabeihabe, da kann ich da ein bisschen mehr Risiko eingehen. Macht es aber nicht wirklich. Und das andere ist, dass man natürlich viele falsche Alarme hat. Also, dass die Gesundheitsämter ganz schön am Rödeln sein werden, wenn die Leute dann wirklich das melden, das dann nachzuverfolgen.

[0:24:12]

Tim Deisinger

Wenn die Leute das melden wegen der Anonymität und des Datenschutzes schickt diese App, das hatten wir schon angedeutet, keine Meldungen an das Gesundheitsamt. Das müsste man selbst tun. Da wäre doch eigentlich damit zu rechnen, dass, wenn ich eine Meldung bekomme, also du, lass dich mal testen, da könnte etwas sein, dass ich dann reagiere. Oder sind Ihre Erfahrungen als Pandemieforscher, als Epidemiologe anders? Würden die Menschen das tun? Oder würden sie dann eher für sich ins Kämmerchen gehen und gucken, was passiert?

[0:24:44]

Alexander Kekulé

Ich glaube, dass das individuell extrem unterschiedlich ist. Ich meine, dass viele sich das auch aus Neugier jetzt erst einmal runterladen werden. Jetzt stellen Sie sich mal praktisch vor es ist ja so. Testen lassen ist ja nicht immer die Antwort. Sondern wenn der Kontakt jetzt gestern war oder vorgestern war oder so etwas kurz vorher, dann haben Sie von der Inkubationszeit noch keine große Wahrscheinlichkeit, dass sie positiv sind. Das heißt, da würde man sich nicht testen lassen, sondern das, was eigentlich empfohlen wird, oder auch angewiesen wird, vom Gesundheitsamt dann verordnet wird, ist ja die Quarantäne! Also testen lassen und dann weitermachen, wie vorher, das gilt ja nicht, weil es ja sein könnte, dass sie dann danach noch positiv werden und jemand anstecken. Das heißt, 14 Tage Quarantäne ist das Damoklesschwert, was dann über ihnen schwebt. Jetzt kommt der schöne Sommer, Sie sind morgen verabredet mit Freunden zum Grillen. Und jetzt sagt die App „pling“, du hast

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einen gefährlichen Kontakt gehabt. Gehen Sie dann zwei Wochen in Quarantäne? Sagen Sie dann Ihrem Arbeitgeber, ich kann jetzt nicht, ich bleibe zu Hause, ich mache alles nicht mit? Mein App hat „pling“ gemacht. Ich bleibe zu Hause. Ich weiß nicht, ob dass jeder so macht. Vor allem, wenn es dann so ist, wie ich leider befürchte. Ich will jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, aber ich befürchte, dass es falsche positive Alarme geben wird, dann hätte das ja zur Folge, dass sich das relativ schnell herumspricht. Und wenn ich dann weiß, diese App hat auch falsche Alarme. Und dann überlege ich mir natürlich fünfmal. Okay, jetzt war ich, also so meint die App, irgendwie in der Nähe von jemandem, der irgendwie vielleicht positiv war. Soll ich jetzt zwei Wochen zu Hause bleiben deswegen? Soll ich meinen Urlaub absagen. Was ist, wenn sie am nächsten Tag einen der wenigen Flüge nach Mallorca gekriegt haben? Sagen Sie dann, na klar, ins Flugzeug steige ich natürlich nicht ein, wenn die App positiv war. Da dürfen sie eigentlich nicht. Es ist auch juristisch die Frage, wenn sich herausstellt sie infizieren dann jemanden, hatten aber ein positives Signal, eine Warnung auf der App. Machen Sie sich dann strafbar? Das ist eigentlich eine ganz interessante Frage.

Tim Deisinger

Es wurde heute verkündet, dass alles freiwillig ist.

Alexander Kekulé

Das sind die Juristen natürlich ein bisschen eiserner. Wenn Sie jetzt echt einen Hinweis haben, dass Sie möglicherweise infektiös sind und Sie steigen dann in ein Flugzeug und stecken dann rein theoretisch viele Menschen an – rein theoretisch waren sie auch noch einen Superspreader, das ist natürlich jetzt sehr daher geholt. Also ich bin nicht ganz sicher, ob das juristisch dann so astrein wäre. Wenn ich wirklich, auf welchem Weg auch immer, erfahre, dass von mir ein Risiko ausgeht, dann glaube ich, bin ich formal verpflichtet, das Risiko zu beherrschen. Das kann ich mir dann, in dem Moment, wo ich die Informationen habe, nicht mehr wirklich aussuchen. Aber dann müssten wir vielleicht mal einen Juristen fragen, wie das ist.

[0:27:26]

Tim Deisinger

Das können wir bei uns im Programm von MDR Aktuell im Radioprogramm auch mal tun. Ich werde es mal als Anregung weitergeben. Wir hatten die Gesundheitsämter angesprochen. Da hat man gesagt, die rödeln dann ganz schön. Da gibt es einen Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Und der setzt allerdings auch Hoffnung auf das Projekt. Vorsitzende ist Ute Teichert. Mit der habe ich gestern am späten Abend noch sprechen können. Sie hatte den ganzen Tag zu tun gehabt. Sie fürchtet zwar mehr Arbeit für die Gesundheitsämter, aber sie hat auch Folgendes gesagt:

„Der große Nutzen ist, wir entdecken mehr Kontaktpersonen, die sich vielleicht früher melden. Weil Technik schneller ist, als vielleicht ein herkömmliches System. Das heißt, wir können früher die Infektketten aufspüren, und wir haben damit eine schnellere Information. Und damit kriegen wir auch mehr Kontaktpersonen ermittelt, als ohne die technische Unterstützung. Und insofern können wir mit einem solchen System – ad on – ja auch verhindern, vielleicht, dass sich die Infektionen weiterverbreiten. Und wenn wir dann weniger Neuinfektionen damit erreichen, dann können wir auch verhindern, dass es einen 2. Lockdown gibt.“ (Dr. med. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes)

Das sagt Ute Teichert. Wie sehen Sie das?

Alexander Kekulé

Also, der Teil stimmt. Ad-on hat sie so schön gesagt. Das erinnert mich ein bisschen an die Formulierung von Lothar Wieler vom Robert Koch-Institut. Die Fachleute und die zwei sind natürlich richtige Insider, die formulieren das immer so als Ad-on. Und das, glaube ich, stimmt. Es wird zusätzliche Informationen geben. Es wird wahrscheinlich eine Reihe von zusätzlichen Verdachtsfällen geben. Denen müssen die Gesundheitsämter dann nachgehen. Und die Frage ist, ob sie dann in einem halben

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Jahr sagen werden: Super, bei diesen zusätzlichen waren ganz viele dabei, die wichtig waren, auf die wir sonst nicht gekommen wären. Oder dass sie sagen, unsere Kapazitäten sind völlig überlastet dadurch, dass wir die jetzt auch noch alle nachverfolgen sollen. Und die Erinnerung des Indexfalls, des positiv getesteten Falls selber, ist eigentlich besser als das, was die App aufspürt. Aber das wird man sehen in der nächsten Zeit. Also ich würde jetzt gar nicht sagen, dass es, im Sinne von zusätzlichen Informationen, nichts bringt. Das Problem ist nur, die, die wir jetzt sowieso schon haben in der Nachverfolgung – und bei denen bleibt es ja – da ist es ja schon so, dass ein einzelner, der positiv getestet ist, zum Teil 50 oder 80 Kontakte hatte. Und die hatten dann weitere Kontakte. Und die müssen alle nach wie vor vom Gesundheitsamt verfolgt werden, weil das Gesundheitsamt ja nicht weiß, wer von all denen die App hat und wer von denen dann so reagiert, dass er sich meldet. Das heißt, die Arbeit des Gesundheitsamts bleibt eigentlich, das hat die Frau Teichert auch gerade gesagt, letztlich genau die gleiche wie vorher. Das heißt, die angekündigte Entlastung der Gesundheitsämter sehe ich nicht. Man hat ein paar möglicherweise zusätzliche Meldungen, indem man dann auch noch nachverfolgen kann.

[0:30:24]

Tim Deisinger

Dann lassen wir das als Conclusio zum Thema Corona Warn-App – wie gesagt, heute vorgestellt, und man kann sie downloaden – stehen.

Wir haben noch andere Themen. Viele schauen möglicherweise nach China und ganz speziell nach Peking, was dort passiert. Da hört man nun, liest man Nachrichten, dass ganze Stadtteile abgeriegelt werden, weil es dort neue Ausbrüche gibt. Was ist dort passiert, Herr Kekulé.

[0:30:51]

Alexander Kekulé

Die hatten diesen Markt im Süden von Peking, der Xinfadi-Markt, das ist ein riesiger Lebensmittelmarkt, wie man die öfters in China

hat. Auf diesem Markt, das ist wohl seit einigen Tagen klar, hat es ein Riesenausbruch gegeben von Covid-19. Die hatten in letzten vier Tagen, das habe ich nachgeguckt, 104 Fälle. Davon allein gestern, am Montag, 27 zusätzliche Fälle. Und diese vielen neu aufgedeckten Fälle an einem Tag, das deutet darauf hin, dass das Ausbruchsgeschehen noch lange nicht zu Ende ist. Und sie haben natürlich extrem massive Maßnahmen ergriffen. Man muss diese Zahlen, 106 Fälle in vier Tagen, mit folgendem in Korrelation setzen. Bisher gab es in Peking angeblich in der ganzen Covid-19-Epidemie nur etwa 500 Fälle. Das heißt also, die haben jetzt plötzlich richtig viele auf einem Haufen.

[0:31:48]

Tim Deisinger

Und dann geistert durch die Welt, dass man die Infektionskette bis auf einen auf ein Hackbrett zurückverfolgt hat. Kann das sein? Oder ist das eine Mär, ein Märchen?

[0:32:04]

Alexander Kekulé

Naja, wenn es in Washington passiert wäre, dann wäre das wahrscheinlich ein chinesisches Spielzeug, ein importiertes, auf das man das zurückverfolgt hätte. Also, ich glaube das nicht. Also klar, die haben jetzt dort, das ist ein Hackbrett, wo eben Lachs verarbeitet wurde, da hat man das Virus darauf gefunden. Das glaube ich, dass man das beim Test gefunden hat. Und in dieser Fischhalle ist das Virus aber an allen möglichen Ecken gewesen. Und ob dieser Lachs jetzt importiert war und ob das von dem importierten Lachs aus dem Ausland kam? Ich glaube, das ist eine Mär an der Stelle. Aber, was vielleicht ganz interessant ist, also, die Frage muss man sich schon stellen. Das ist jetzt wieder so eine Situation, wo zumindest ein Teil der Ware ja in so quasi Kühlhäusern war und wo auch die Menschen in diesen gekühlten Räumen gearbeitet haben. Auf diesen Foodmarket geht man quasi in so einen gekühlten Bereich rein, wo dann das Fleisch und der Fisch und so weiter offen rumliegt. Also nicht, wie bei uns in der Tiefkühltruhe, sondern es liegt offen und der ganze Raum ist gekühlt. Und das erinnert mich an die Situation, wo in der fleischverarbeitenden Industrie Menschen arbeiten, unter gekühlten

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Bedingungen. Man kann sich schon vorstellen, dass da ähnliche Bedingungen herrschen, wie sonst eben im Winter, wo man eben durch trockene und kalte Luft, die Virusvermehrung oder die Virusverbreitung fördert. Das heißt, es wäre durchaus eine Hypothese, die man mal prüfen muss, ob solche Situationen, wo Menschen in großen Kühlhäusern zusammen sind, ob das möglicherweise ein besonderes Risiko darstellt oder ob es einfach nur die Dichte der Menschen auf diesem Markt war.

[0:33:37]

Tim Deisinger

Und dann liest man dem Zusammenhang auch, dass es möglicherweise eine neue Variante des Virus ist. Möglicherweise sogar eine, der es leichter fällt, andere Zellen zu infizieren. Ist das auch an dem?

[0:33:49]

Alexander Kekulé

Ja, das haben wir noch nicht bis jetzt genau bekannt gegeben. Man macht eine sogenannte Gensequenzierung. Das heißt also, man stellt das genaue Genom des Virus fest, die Erbinformationen wird analysiert. Und es gibt inzwischen mehrere Mutationen, wie wir sagen, also genetische Veränderungen von diesem SARS-CoV-2-Virus, die tatsächlich verbunden sind mit wahrscheinlich einer leichteren Infektiösität des Virus. Das ist noch nicht ganz klar. Aber es sieht im Moment so aus. Und wir wissen aber nicht, ob dieser Typ das wirklich war, dieser neue Typ, der vor allem in Europa und in den USA aufgetreten ist. Das behaupten die Chinesen jetzt. Und konkret habe ich gelesen, dass der stellvertretende Direktor der entsprechenden Abteilung von der Wuhan Universität gesagt hat, das sei ein neuer, ansteckender Stamm, der hier die Rolle spielt. Möglicherweise spricht er da auf diese neue Mutation an, die wir in Europa und den USA haben. Und das würde natürlich, sage ich mal, zu der chinesischen Variante der Geschichte passen, dass das möglicherweise reimportiert ist und gar nicht das Original „Wuhan-Virus“ ist, was dort ausgebrochen ist.

[0:35:00]

Tim Deisinger

Und wenn man jetzt hört, das Virus kann leichter in die Zellen eindringen, heißt das jetzt sozusagen, dass es dann auch gefährlicher ist?

[0:35:09]

Alexander Kekulé

Gefährlicher nicht, nein. Das ist diese Stelle, das Oberflächenprotein, quasi dieses Virus, das ist das, was dem Coronavirus ja den Namen gegeben hat, diese Spikes, die da so außen vorstehen, mit denen dockt das Virus an die Zielzelle an. Und da hat man gefunden, dass an einer bestimmten Position, zwei Aminosäuren gegeneinander ausgetauscht wurden. Und diese eine bestimmte Mutation an der Stelle, wo das Virus eben andockt, an genau der Stelle, die findet man in letzter Zeit relativ häufig bei den in Europa und USA zirkulierenden Typen. Und es gibt Hinweise, aber stärker würde ich das gar nicht betonen, darauf, dass das tatsächlich damit zusammenhängt, dass dann höhere Virustiter vorhanden sind, also dass die Menschen eine höhere Konzentration von Virus auch im Rachen haben. Das hat für mich aber ein großes Fragezeichen, weil die Methoden da nicht so genau sind. Aber was man doch jetzt gezeigt hat in einer Zellkultur, das ist eine ganz neue Arbeit da vom Scripps Institute in Florida, in Jupiter in Florida. Die haben gezeigt, dass, wenn man diese eine Mutation quasi künstlich in ein Virus einbaut und das dann in einer Zellkultur testet, dass das Virus dann tatsächlich leichter in die Zellen reinkommt, also schneller in die Zellen reinkommt. Man vermutet, dass das damit zusammenhängt, dass dieses Oberflächenprotein durch diese Mutation etwas stabiler wird. So dass man schon sagen kann, dass sich hier wahrscheinlich ein Typ dieses Virus herausmendelt, was stabiler ist und was sich nach und nach auch an den Menschen besser anpasst. Das ist das, was wir von Anfang an erwartet haben. Es wäre fast ein Wunder, wenn es nicht dazu kommen würde.

[0:36:48]

Tim Deisinger

Dann kommen wir noch zu ein paar Hörerfragen. Martin T. möchte wissen: „Gibt es auch in Deutschland Bemühungen,

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Hunde zum Erkennen des aktuellen Coronavirus einzusetzen? Laut Meldung kann ja ein Hund, das in sechs Wochen lernen und danach Hunderte von Proben von Personen in einer Stunde testen.“

[0:37:08]

Alexander Kekulé

Hunde können erstaunlich gut infizierte Menschen ganz allgemein feststellen. Hunde können riechen, ob jemand krank ist oder nicht. Das ist ja schon phänomenal genug, als ich finde das irgendwie eine ganz tolle Sache, dass ein Hund zum Beispiel auch bei manchen Krebserkrankungen gar nicht so schlecht ist von der Trefferquote her. Da scheiden die Menschen irgendwie andere Stoffwechselprodukte über die Atemwege aus und über die Haut und die Hunde riechen das. Aber dass die verschiedene Viren voneinander unterscheiden können, also feststellen können, ob es das neue Coronavirus ist oder irgendeine andere Virusinfektion, da würde ich mal sagen bei allem Respekt vor der Nase der Hunde, das können die nicht.

Thomas H. aus Berlin schreibt uns Folgendes: „Ich beobachte mit Sorge, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen innerhalb eines Monats in Bayern um deutlich mehr als 80 Prozent gesunken ist, im Berlin aber um deutlich über 40 Prozent gestiegen. Sollte man daher die Grenzen der Hauptstadt abriegeln, um den Rest der Republik zu schützen?“

[0:38:10]

Alexander Kekulé

Na ja, mit den Prozenten, da muss man natürlich sagen, das sind diese Tageszahlen. Da würde ich nicht so viel darauf geben. Das sind einzelne Ausbrüche, die da stattfinden. Und solange die Ausbrüche unter Kontrolle sind, muss man sich da erst einmal keine Sorge machen. Wir hatten ja schon oft darüber gesprochen, dass ich der Meinung bin, dass viel wichtiger als die absolute Zahl der Neuinfektionen die sogenannten Initialfälle sind: also die Infektionen, wo man keine Zuordnung zu bekannten Ausbrüchen hat. Ja, perspektivisch kann es natürlich sein, dass das eine oder das andere Bundesland mal richtig einen schlimmen Ausbruch hat. Das würde ich bei Berlin jetzt noch lange nicht sehen. Die Frage

ist nur, wie reagiert man dann? Und das ist so ein bisschen auch die Lehre, die wir aus China ziehen müssen. Wenn es dann ganz Dicke kommt, also, wenn jetzt wirklich ein Ausbruch völlig außer Kontrolle kommt, dann muss man letztlich wieder wie in China auch über Lockdown nachdenken, wenn man keine anderen Möglichkeiten hat. Bayern von Berlin zu trennen, würde natürlich den einen oder anderen Bayern freuen. (Lacht) Alles, was nördlich des Mains ist, ist ja aus Bayern gesehen Ausland, sowieso schon immer.

Tim Deisinger

Aber da kommt Herr Seehofer nicht mehr zurück.

Alexander Kekulé

(Lacht) Und andere können aus Bayern dann auch keine Karriere in Berlin planen. Aber es ist so, dass ich glaube, das ist keine Option. Also so darf man innerhalb Deutschlands nicht nachdenken. Das war schon schlimm genug, dass wir in der EU keine andere Möglichkeit hatten, als die Grenzen vorübergehend zu schließen. Das würde bei uns nicht funktionieren, weil die Bundesländer nicht einmal ansatzweise autonom sind.

[0:39:41]

Tim Deisinger

Christina R. aus W. schreibt Folgendes: „Von Freunden aus Südafrika bekomme ich Informationen, dass dort herausgefunden wurde, dass Covid-19 keine Erkrankung des respiratorischen Systems sei, sondern ein Thrombose-Problem. Es bilden sich Thrombosen, die die Funktion der Lunge beeinträchtigen. Insofern sei es keine reine, typische Lungenerkrankung. Wie kann das sein, dass in verschiedenen Ländern Covid-19 so unterschiedlich in Erscheinung tritt, beziehungsweise so unterschiedliche Forschungsergebnisse zutage fördert? Gibt es da keinen Austausch zwischen Wissenschaftlern weltweit? Was können Sie dazu sagen?“

[0:40:20]

Alexander Kekulé

Das ist, glaube ich, eine falsche Wahrnehmung. Also was die Hörerin da gerade gesagt hat, ist

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bekannt. Das haben wir hier auch schon oft besprochen. Es ist primär natürlich eine respiratorische Erkrankung, es macht eine Lungenentzündung, wenn es schlimm kommt. Und hier ist eine Besonderheit, dass zusätzlich eben diese Mikrothrombosen eine Rolle spielen, und zwar sowohl in der Lunge als auch in anderen Organen. Das ist aber international bekannt, und die Beobachtung ist eigentlich in allen Ländern gleich.

[0:40:47]

Tim Deisinger

Danke für die Antwort auf diese Fragen. Und wir sind aber doch erst mal wieder durch für heute. Das war's. Vielen Dank, Herr Kekulé und bis zum Donnerstag.

Alexander Kekulé

Bis dann, Herr Deisinger, bis Donnerstag.

Tim Deisinger

Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00. Möglich auch bei Twitter unter dem Hashtag #fragkekule. Kekulés Corona-Kompass gibt es in der ARD-Audiothek, bei Spotify, bei Apple, Google, YouTube und auf mdraktuell.de

MDR-Aktuell: Kekules Corona-Kompass

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass SPEZIAL (13) 13. Juni 2020 Folge #68

Tim Deisinger, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte

Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Tim Deisinger:

Wie kann eine Einschulungsfeier in Corona- Zeiten stattfinden? Stimmt die stets kolportierte Sterblichkeitsrate bei Covid19? „Kekulés Corona-Kompass SPEZIAL“ mit der mittlerweile 13. Folge, am Samstag, den 13. Juni. Heute nur mit Ihren Fragen. Tausende davon haben uns erreicht. Danke dafür, dass Sie mit ihren Anregungen diesen Podcast so bereichern. Alle Fragen können wir leider nicht beantworten. Aber einige nehmen wir uns auch heute wieder vor. Und das wieder mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Professor Alexander Kekulé.

Tim Deisinger:

Guten Tag, Herr Kekulé.

Alexander S. Kekulé:

Hallo, Herr Deisinger.

Tim Deisinger:

Wir wollen beginnen mit den Nachfragen. Eine Mail erreichte uns von Herrn H. Den möchte ich kurz zitieren: Er möchte sich zunächst bedanken für den informativen Podcast und bezieht sich auf eine Folge, in der es um den Luftwechsel innerhalb von Räumlichkeiten ging. Und er schreibt: „Da ist Professor Kekulé ein Fehler unterlaufen. Die Luftwechselrate wird per Stunde angegeben und nicht, wie Herr Kekulé

sagte, per Minute. Für Büroräume wird das Drei- bis Sechsfache an Luftwechsel pro Stunde empfohlen. Ein von Herrn Kekulé erwähnter sechsfacher Luftwechsel pro Minute in einem normalen Raum würde einem gefühlten Sturm entsprechen.“ Ich könnte jetzt sagen, Herrn Kekulé zuliebe: Mir stehen die Haare zu Berge, weil es hier so windig ist. Aber das ist es nicht.

[0:01:42]

Alexander S. Kekulé:

Aber wo er recht hat, hat er recht. Wir wollen nicht empfehlen, dass alle mit 200 km/h auf der Autobahn fahren und die Fenster aufmachen, damit die Viren weggeblasen sind. Da haben wir uns ja gleich nach dem Podcast schon darüber unterhalten, dass das möglicherweise ein Versprecher war. Ich war da nicht sicher. Entschuldigung dafür. Das soll nicht wieder vorkommen. Minuten sind Minuten und Stunden sind Stunden. Diese Luftwechsel sind pro Stunde. Und sechs pro Stunde ist das Minimum, das man verlangen muss, damit es in einem Raum halbwegs sicher ist vor einer Virusinfektion. Besser ist es, 10-15 Luftwechsel pro Stunde zu haben. Übrigens ist das technisch nicht so einfach, das so hochzudrehen, weil die meisten Klimaanlagen so einen Zug machen, dass es echt unangenehm wird, da zu sitzen. Deshalb ist es in Büroräumen auch nicht so viel. Sonst bekommen die Leute zwar keine Virusinfektion, aber alle einen steifen Hals.

[0:02:42]

Tim Deisinger:

Weitere Nachfrage zu den Blutgruppen. Die waren ja in dieser Woche ein großes Thema, das wir auch ausführlich besprochen haben in Folge 66. Frau K. hat uns dazu gemailt: „Ich habe in Berichten über diese Studie gelesen, dass es bei der Anfälligkeit vorrangig um Blutgruppe A+ geht. Ich selbst habe A-. Spielt der Rhesusfaktor bei der Beurteilung eine Rolle?“

[0:03:07]

Alexander S. Kekulé:

Nein, der spielt keine Rolle. Rhesus + und

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Rhesus - hat man früher so genannt, weil Karl Landsteiner, der das um 1900 entdeckt hat, mit Rhesusaffen Versuche gemacht hat. Heute heißt es eigentlich D positiv oder D negativ. Es gibt A, B, 0 und D. Das D spielt aber offensichtlich keine Rolle beim Stichwort Covid19 und der Frage, ob man da eine höhere Anfälligkeit hat.

Ich kann vielleicht noch ergänzen: Das ist kein stark erhöhtes Risiko. Ich hatte mir da letztes Mal vorgenommen, das mit dem Rauchen zu vergleichen: Wenn jemand 40 Jahre lang 40 Zigaretten am Tag raucht, dann sagt man: Er hat ein 40fach erhöhtes Risiko, Lungenkrebs zu kriegen. Ich weiß nicht, ob dieser Merkspruch aus der Onkologie stimmt. Aber wir sprachen von einem 45 Prozent erhöhten Risiko. Das heißt ein 1,4fach - 1,45faches Risiko. Man muss jetzt nicht zu Hause bleiben, weil man eine entsprechende Blutgruppe hat, die ein höheres Risiko bei Covid19 hat. Das geht im Rahmen der normalen Lebensrisiken schon fast im Hintergrundrauschen unter, ist aber für Wissenschaftler interessant und für Leute auf der Intensivstation, weil die einschätzen müssen, welche Maßnahmen sie ergreifen müssen bei einzelnen Patienten.

[0:04:33]

Tim Deisinger:

Aus München hat uns Herr F. zum Thema Superspreading und Ihren Vorschlägen, konkrete Vorgaben zum Raumvolumen zu machen, wenn man die Zahl der Teilnehmer bei Veranstaltungen festlegt. Ich zitiere Herrn F.: „Wenn das Raumvolumen für Superspreading von hoher Relevanz ist, dann dürften Kirchen wenig gefährdet seien. Dennoch gab es ja weltweit schon einige größere Ausbrüche bei Messen in Kirchen.“

[0:05:00]

Alexander S. Kekulé:

Es ist nicht so klar, in welchen Räumen das war. Es ist sicher, dass das Raumvolumen eine Rolle spielt. Ich glaube, das ist auch ein wichtiger Vorschlag, das künftig einzubeziehen. Wenn gesungen wurde, gibt es das Problem, dass die

Leute zusätzlich eng zusammenstanden und sich zum Teil ins Gesicht gesungen haben. Ich kenne jetzt keinen Fall. Aber das müsste man mal recherchieren, wo Menschen diesen Mindestabstand eingehalten haben. Sie haben also zwei Meter auseinanderstanden, sodass man keine Tröpfcheninfektion mehr erwarten kann und es trotzdem in einem großen Raum, einem Kirchenschiff, zu einem Superspreading gekommen ist. Ich kenne keinen Fall, der so dokumentiert wäre. Aber das müsste man sich konkret anschauen, wenn der Hörer da ein ganz konkretes Beispiel kennt.

[0:05:57]

Tim Deisinger:

Frau O. kommt von der Freien Schule Potsdam. Per Mail ist Ihre Frage bei uns angekommen. In Potsdam steckt man gerade mitten in den Vorbereitungen für die Einschulungsfeier für das kommende Schuljahr und fragt sich, ob das Konzept für Corona-Zeiten passt. Wenn ich jetzt zitiere, am besten die Augen zumachen. Da kann man sich vorstellen, was sie meint. Ich zitiere: „Die Feier soll fast ausschließlich draußen im Garten stattfinden. Wir staffeln die verschiedenen Gruppen und die neuen Erstklässler im Zwei-Stunden-Takt. Außerdem wollen wir vorab konkrete Angaben zu begleitenden Personen machen. Es findet jeweils pro Gruppe eine kleine Veranstaltung auf der Bühne statt. Zuschauer sitzen in Familiengruppen getrennt. Dann gehen die Kinder mit dem Pädagogen in den gut belüfteten Gruppenraum zur ersten Unterrichtsstunde. Dann kommen die Kinder zurück und alle treffen sich mit Abstand auf dem Sportplatz, um im Unterricht gebastelte Karten mit Heliumballons steigen zu lassen. Damit schließt die Veranstaltung, wäre aus ihrer Sicht noch etwas zu beachten?“

[0:07:06]

Alexander S. Kekulé:

Das klingt gut durchdacht. Das Wichtigste ist, dass man möglichst viel draußen macht. Ich würde bei Kindern immer vorschlagen, dass sie

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auch draußen in nachverfolgbaren Gruppen zusammen sind und zwischen den Gruppen genug Abstand ist. Denn letztlich geht es nicht darum, dass wir jetzt jede Infektion verhindern müssen, auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist, sondern bei einer Infektion die Kontaktpersonen sofort kennen. Das ist hier alles gegeben. Das klingt sehr vernünftig. Mehr muss man sicher nicht tun.

[0:07:46]

Tim Deisinger:

Weil wir gerade von Planungen sprechen: Ein Twitter-User hat uns Folgendes geschrieben: „Ich wollte meine Mutter zu ihrem 66. Geburtstag mit einem Wanderurlaub im Oktober dieses Jahres auf Mallorca in einer Ferienwohnung mit Küche überraschen. Wir haben einen Mietwagen, könnten uns selbst versorgen. Meine Mutter ist sehr fit, hat aber gut eingestellten Bluthochdruck. Wenn wir vom Betreten des Flughafengebäudes bis in den Mietwagen eine FFP2-Maske aufhätten, wäre es aus ihrer Sicht vertretbar zu reisen? Es wäre ihr erster Urlaub seit 20 Jahren.“

[0:08:24]

Alexander S. Kekulé:

Wenn ich das so verstehe, dass vom Betreten des Flughafengebäudes vor dem Abflug bis zum Mietwagen auf Mallorca diese FFP2-Maske getragen wird, dann sehe ich da gar kein Problem. Man kann auch während des Fluges mal kurz die Maske abnehmen, um Wasser zu trinken. Das ist ja extrem wichtig, dass man nicht dehydriert. Da sehe ich kein Risiko. Da ist alles gemacht, was man machen kann. Der einzige Hinweis vielleicht noch, wenn man perfekt sein will: Man soll sich nicht ins Gesicht fassen, wenn man diese Tischchen im Flugzeug angefasst hat. Aber diese Schmierinfektion ist das weniger wichtige. Das Wichtigste ist, dass man in so einem engen Raum die aerogene Infektion vermeidet durch die Luft.

[0:09:15]

Tim Deisinger:

Dann hat uns zum Thema Veranstaltungen Herr W. telefonisch folgende Frage gestellt: „Ich bin großer Filmfan und wollte mal fragen, ob es denn nicht langsam möglich sein sollte, dass man die Kinos wieder öffnet, geregelt natürlich. Denn man hat ja die Möglichkeit, die Sitzverteilung per Computer sehr genau zu steuern, das heißt, genügend Abstände zwischen den einzelnen Besuchern herzustellen und das Kino nur zu einem Drittel besetzen zu lassen. Aber das müsste doch langsam wieder möglich sein.“

[0:09:49]

Alexander S. Kekulé:

Das ist ein heißes Eisen. Die Frage wird in jedem Bundesland anders diskutiert, weil es die Empfehlungen vom Robert Koch-Institut gibt usw. Ich versuche trotzdem, vorsichtig meine Gedanken zu äußern. Wir sind jetzt in einer Situation, in der Kino, aber auch andere künstlerische Veranstaltungen wie Theater oder Konzerte, bei denen Menschen nebeneinander sitzen und in die gleiche Richtung sehen und normalerweise schweigen, wenn sie nicht gerade laut lachen, das ist streng reglementiert. Da sind je nach Bundesland 30 oder 50 Leute zugelassen. Es gibt strenge Regeln bezüglich der Quadratmeter. Andererseits ist es erlaubt, dass man mit einem Bus durch ganz Deutschland fährt, egal bei welchem Wetter. Und da sind in der aktuellen Situation alle Plätze besetzt. Und das Gleiche gilt auch für die Flugzeuge demnächst. Deshalb muss man schon die Frage stellen: Ist es sinnvoll, die darstellende Kunst bis hin zu den Kinos weiter zu reglementieren? Wenn die Gruppen, die zusammengehören, zusammensitzen, und man zur nächsten Gruppe, die gebucht hat, Platz frei lässt, ist das kein Problem. Das kann man ja mal in einer ersten Stufe machen, und zwar hauptsächlich im Hinblick auf die Tröpfcheninfektion. Das heißt im Hinblick darauf, dass zwei nebeneinander sitzen und sich direkt ins Gesicht sprechen, die sich infizieren könnten. Wenn man zweitens dafür sorgt, dass das Publikum in solchen

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Veranstaltungen und wo viele Menschen im Raum sind, einen Mund-Nasen-Schutz trägt. Und wenn man drittens eine minimale Belüftung vorschreibt. Im Kino gibt es meines Wissens sowieso relativ strenge Belüftungsvorschriften. Dann glaube ich, das sind Sachen, die man in der jetzigen Situation in Deutschland wieder riskieren kann. Das wäre inkonsequent, demnächst vielleicht sogar Saunen zu erlauben, aber solche Veranstaltungen zu verbieten, bei denen die Menschen ja nicht sprechen, sondern in die gleiche Richtung sehen, also sich nicht ins Gesicht sehen und wo sie Mund-Nasen-Schutz tragen können.

[0:12:11]

Tim Deisinger:

Eine Maske im Kino zu tragen, ist wahrscheinlich auch nicht so schlimm, weil man ja selbst nicht sprechen muss.

Alexander S. Kekulé:

Das kommt auf den Film an. Ich habe schon in Batman-Filmen Leute gesehen, die freiwillig eine Maske dabei hatten.

Tim Deisinger:

Aber vielleicht wird es für das Atmen schwer in irgendwelchen Actionfilm, wenn der Puls dann richtig hoch geht oder wenn es spannend wird und gruselig.

[0:12:31]

Alexander S. Kekulé:

Die normalen Masken sind ja nicht so dicht. Diesen OP-Mundschutz hält man schon die zwei Stunden aus, mit Werbung 4 Stunden wahrscheinlich. Das ist schon zu machen. Was schwierig ist, sind die Mitmach-Kinos. Wenn sie dann Rocky-Horror-Picture-Show haben und Reis werfen müssen, dann weiß ich nicht, ob das Gesundheitsamt das erlaubt. Aber alles andere ist in Ordnung.

[0:12:53]

Tim Deisinger:

Herr P. aus Hamburg hat den Taschenrechner

bemüht und sich die Zahlen zur Sterblichkeit vorgenommen. Er schreibt uns per Mail Folgendes: „Von Wissenschaftlern wird die Fallsterblichkeit von Covid19 mit 0,4 bis 0,7 Prozent geschätzt. Deutschland hat zum Zeitpunkt der Mail über 185.000 Erkrankte, 8.660 Menschen sind gestorben. Das ergibt einen Quotienten von 4,7 Prozent. In Deutschland wurde intensiv getestet. Eine Dunkelziffer von 9-mal so viel unerkannt Erkrankten scheint mir unwahrscheinlich. Wo ist mein Denkfehler?“

[0:13:36]

Alexander Kekulé:

Es ist so, dass nachdem, was alle interpretieren, es an der Dunkelziffer liegt. Es ist wohl so, dass die Dunkelziffer tatsächlich bis zu zehnfach so hoch ist wie die Zahl der entdeckten Erkrankungen in Deutschland. Daran sieht man, dass wir nicht so viel testen, wie wir testen könnten. Und klar ist, dass wir Todesfälle akribisch dokumentieren. Das ist selbstverständlich bei uns. Deshalb haben wir diesen hohen Anteil.

Wir wissen nicht, wie hoch die Sterblichkeit ist bezogen auf die Infektionen. Da muss man unterscheiden zwischen der Fallsterblichkeit bezogen auf die Menschen, die die Erkrankung haben, und der Sterblichkeit bezogen auf die Infektionen. Bei den Infektionen ist es so, dass sie bei 0,5 Prozent liegt. Die Fallsterblichkeit ist wahrscheinlich ein bisschen höher.

[0:14:30]

Timm Deisinger:

Uns erreichen zahlreiche Fragen zum Virus an sich und wie es sich verbreitet. Herr H. aus Bayern zum Beispiel hat eine Frage zur Virendosis bei einer Infektion. „Sie haben häufig im Podcast davon gesprochen, dass für eine Infektion eine bestimmte Dosis erforderlich ist. Im Grunde müsste es doch für eine Infektion reichen, dass ein Virus eine Zelle befällt und sich dort vermehrt, der Körper noch keine Antikörper entwickelt hat. Warum sprechen Sie trotzdem von einer Mindestdosis?“

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[0:15:29]

Alexander S. Kekulé:

Das ist eine kluge Frage. Wir streiten auch in der Virologie immer, ob es eine Mindestdosis in dem Sinne gibt. Wir sprechen deshalb von einer Mindestdosis, weil Sie sich Folgendes vorstellen müssen: Diese Viren sind extrem unterschiedlich. Nicht alle Viren sind gleich. Und wenn man sich jetzt so 100.000 Viren vorstellt, kann man davon ausgehen, dass nur ein kleiner Teil davon tatsächlich infektiös ist in dem Sinn, dass die genetisch so perfekt sind, dass sie überhaupt virulent sind, wie Sie sagen. Das Zweite ist, dass das Immunsystem die Viren schon abfangen kann. Wir haben ja eine natürliche, eine angeborene Immunität, die unabhängig von Antikörpern ist. Und die leistet einiges. Die kann einen großen Teil der Infektionen beseitigen, ohne dass man eine speziell für dieses Virus angepasste Immunität hat. Und diese Stufen, die da vorgeschaltet sind, bis hin zu der Frage, ob das Virus nicht vielleicht vom Speichel weggespült wird, bevor es an die Zelle herankommt, führt dazu, dass man in der Regel eine Minimaldosis der Viruskonzentration braucht, damit es funktioniert, also eine Ansteckung erfolgt. Im Experiment im Labor kann man es so hinkriegen, dass man mit einem einzelnen Virus eine Infektion erzeugt. Aber in der Praxis funktioniert das nicht so.

[0:16:54]

Tim Deisinger:

Dann eine Frage von Herrn H. aus Görlitz. Er hat uns geschrieben zu einem Thema, das wir des Öfteren schon mal im „Kompass“ gestreift haben: „SARS soll ebenso zum Corona- Formenkreis gehören wie Covid19. Falls für ersteres ein Impfstoff gefunden wurde, könnte man diesen nicht auch bei Covid19 einsetzen? Hier stelle ich mir auch die Frage, wieso ist damals das nahe Verwandte SARS-Virus nicht zur Pandemie geworden. Schließlich wird sich das globale Reiseverhalten seinerzeit nicht anders gestaltet haben als heute.“

Alexander S. Kekulé:

Die erste Frage, ob wir einen Impfstoff haben: Nein, es gibt eben gegen SARS-CoV1, das ist das Virus von 2003, keinen Impfstoff. Das hat verschiedene Gründe gehabt. Es gab zwar viele Infektionen. Aber das Hauptproblem war, dass die Erkrankung - Pandemie nannte man das damals sogar auch - nach sechs Monaten komplett verschwunden ist. Da hatte man so um die 8.000 Infektionen und 800 Tote weltweit. Dann war es aber weg und ist im Sommer verschwunden. Es gibt Leute, die vermuten, das hängt auch mit dem Klima zusammen. Und es ist verschwunden, weil es deutlich einfacher einzugrenzen war als jetzt das SARS-CoV-2. Das war leichter zu bekämpfen von der Übertragbarkeit her. Und aus diesem Grund ist es letztlich auch nicht zur Pandemie geworden. Wir nehmen an, dass das biologisch den Hintergrund hat, dass das SARS CoV-1 damals typischerweise tief in die Lunge eindringen musste, um dort zu einer Infektion zu führen. Das passiert nur bei relativ kleinen Partikeln und auch nicht ständig in Alltagssituationen. Das war damals die Theorie. Richtig bewiesen wurde es nie. Man ist also davon ausgegangen, dass dieses Virus eben seltener Infektionen macht, weil es richtig tief in die Lunge rein muss.

Beim SARS-CoV-2, bei dem aktuellen Virus, ist es so, dass es offensichtlich auch in den oberen Atemwegen Zellen befallen kann. Eine der Theorien ist, dass es sogar über die Nase reinkommen kann. Es kann sogar das Riechorgan der Nase mit befallen. Aus diesem Grund ist es so, dass da eine Infektion schon mit Viren stattfindet, die nur oben in den Atemwegen sind, also leichter höher infektiös ist. Und deshalb ist es so, dass wir damals die Situation haben, dass es leichter eingrenzbar war und heute eben diesen Ausbruch.

Das ist aber die Theorie. So stellen wir uns das im Moment vor. Richtig bewiesen ist es noch nicht.

[0:19:33]

Tim Deisinger:

Dann gibt es immer wieder auf Fragen, die uns

[0:17:31]

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erreichen, die sich um die Vorsorge drehen. Diese Hörerin fragt sich, was gegen das Corona- Virus helfen kann. Ich wäre jetzt persönlich nicht sofort darauf gekommen, aber wir hören mal rein: „Ich habe eine Frage: Kann medizinisches Cannabis kräftigend gegenüber dem Corona- Virus entgegenwirken?“

[0:19:56]

Alexander S. Kekulé:

Da gibt es keinen Hinweis darauf. Das stärkt jedenfalls nicht das Immunsystem. Die Indikationen für medizinischen Cannabis, also Haschisch auf Rezept, sind sowieso unter Fachleuten umstritten. Da sind die Indikationen deutlich erweitert worden in letzter Zeit. Aber die medizinische Datenbasis dafür ist noch nicht so perfekt wie bei anderen Medikamenten, kann man mal sagen, sodass ich auf keinen Fall sagen würde, man kann da eine Indikationserweiterung Richtung Covid19 machen. Darüber würden sich natürlich viele darüber. Aber ich glaube, das ist nicht möglich, dass es in diese Richtung wirkt.

[0:20:38]

Tim Deisinger:

Dann fragt sich diese Hörerin, wie man sich neben all den bekannten Tipps vielleicht noch vor dem Virus schützen könnte. „Ich möchte gerne wissen, ob es auch sinnvoll ist, sich auch das Gesicht regelmäßig mit Seife zu waschen. Es wird immer nur darüber geredet, dass man sich die Hände waschen soll. Aber Mund- und Nasenbereich wäre vielleicht auch sinnvoll.“

[0:21:00]

Alexander S. Kekulé:

Das Händewaschen ist sowieso etwas, was wir insgesamt als Bevölkerung fast schon ein bisschen zu viel machen. Ich habe schon ein paar Mal gesagt, dass man jetzt nicht so eine Scheinsicherheit erzeugen sollte, indem man dauernd Hände wäscht, und glaubt, man hat sich damit gegen das Virus geschützt. Man sieht zum Teil auch im amerikanischen Fernsehen Ärzte, die im Detail vormachen, wie man sich

chirurgisch die Hände wäscht, also wie ein Chirurg das vor der Operation machen würde. Das würde ich jetzt alles im Alltag nicht empfehlen. Das viele Händewaschen bringt schon dermatologisch Probleme. Da gibt es dann Leute, die dann wirklich Hauterkrankungen an den Händen kriegen. Im gleichen Sinne ist es mit dem Gesicht. Das Gesicht würde ich mir dann waschen, wenn mir jemand aus Versehen ohne Maske zu nahe gekommen ist? Das kann ja mal passieren, dass Sie in der Straßenbahn sind und dann steht Ihnen jemand gegenüber, der hustet? Danach würde ich mir wahrscheinlich das Gesicht waschen. Aber sonst sehe ich dafür keinen Grund.

[0:22:02]

Tim Deisinger:

Damit war es das auch schon wieder für heute. Das war „Kekulés Corona-Kompass SPEZIAL“ nur mit Ihren Fragen. Die nächste reguläre Folge gibt es am Dienstag in der kommenden Woche. Bis dahin, bleiben Sie gesund und vielen Dank, Herr Kekulé.

Alexander S. Kekulé:

Sehr gerne, einen schönen Sonntag für Sie.

Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an: 0800/3002200. Sie finden „Kekulés Corona-Kompass“ als ausführlichen Podcast auf mdr.aktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

Tim Deisinger:

Diese Ausgabe unseres Podcasts mit folgenden Themen:

1. Klare oder unklare Lage bei Kindern? Der Druck, dass alle wieder in die Schule gehen können, ist groß. Darf man dem nach geben? Wir schauen mal, was die Fakten dazu sind.

2. Dann wie weiter mit Hydroxychloroquin? Fachjournale, wie „The Lancet“ haben Veröffentlichungen wieder zurückgezogen. Dort war angeblich nachgewiesen worden, dass es bei der Behandlung mit dem Malariamittel zu vorzeitigen Todesfällen kommt.

3. Und inhaltlich gleich daran anschließend heißt das, dass wir uns auf wissenschaftliche Studien nicht mehr verlassen können, weil nicht mehr Sorgsamkeit das oberste Gebot bei Veröffentlichungen ist, sondern weil alles einfach nur schnell, schnell gehen soll?

Wir wollen helfen, die vielen Meldungen rund um das neuartige Coronavirus einzuordnen. Und wir beantworten Ihre Fragen.

Ich bin Tim Deisinger, Redakteur, Moderator bei MDR Aktuell. Einschätzungen holen wir ein, wie immer, beim renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Guten Tag, Herr Kekulé.

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

11.06.2020 #67: Können wir uns noch auf die Wissenschaft verlassen?

Tim Deisinger, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander Kekulé, Experte Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Deisinger!

[0:01:16]

Tim Deisinger

Erstes Thema für heute: Die Kinder, die wieder in die Schule sollen und größtenteils vielleicht auch wollen, weil ihnen die Sozialkontakte fehlen. Weil Präsenzunterricht doch was anderes ist, als Beschulung übers Internet, wo so manches Mal die Stunde auch schlicht abgebrochen werden muss, weil die Verbindung so schlecht ist. Nun scheint aber bei Kindern längst noch nicht klar, wie stark sie als Virenüberträger in Frage kommen. Würden die Schulen vielleicht wahre Viren- Küchen? Oder ist es dort auch nicht anders als anderswo? Wir erinnern uns an die Debatte um die Drosten-Studie, die in der 1. Runde ein Ergebnis hatte. Und in der 2. Runde dann ein anderes.

Herr Kekulé, vielleicht könnten Sie mal versuchen zusammenzutragen, was es an Fakten dazu gibt. Gibt es überhaupt welche, die die Bezeichnung „Fakt“ verdienen?

[0:02:04]

Alexander Kekulé

Wir haben richtig Fakten. Wir wissen noch nicht genau, wie wir sie interpretieren sollen. Es ist schon lange bekannt, von diesem neuen Virus, von dieser Erkrankung Covid-19, dass der Erreger tatsächlich bei Kindern im Rachen vorkommt. Das ist ohne Frage klar, da gab es schon chinesische Daten dazu. Und dass manche Kinder eben auch eine hohe Konzentration von diesem Virus haben und ausscheiden. Daraus schließt man natürlich dann logischerweise, dass sie auch ansteckend sein sollten. Aber ob das dann in der Praxis so ist, hängt natürlich davon ab, wie viel von diesem Virus sie wirklich in der Umgebung verteilen. Wie lange sie das Virus ausscheiden, wie man sich verhält. Und dann natürlich die kritische Frage: Sind sie denn nun genau so ansteckend wie Erwachsene mal? Da wissen wir relativ genau, wie ansteckendes Virus ist. Da haben wir ja diesen R0-Wert, mit dem wir das ungefähr messen können. Oder sind Sie vielleicht weniger ansteckend? Das wäre ja für die Gesamtbetrachtung extrem wichtig. Also da müssen wir sozusagen die große Gruppe

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

der Kinder statistisch vergleichen mit der großen Gruppe der Erwachsenen und gucken, gibt es da einen Unterschied? Und an dieser entscheidenden Frage, also, ob es einen grundsätzlichen Unterschied gibt, das ist die Gretchenfrage. Da haben wir immer noch ein Fragezeichen dran. Wir blicken auf die Influenza zurück. Das ist schon bekannt aus alten Influenza-Epidemien, also Grippe. Da ist es so, dass die Kinder definitiv mindestens so ansteckend sind, wie Erwachsene und ganz wichtige Motoren der pandemischen Verbreitung waren. Da gibt es ganz, ganz viele Studien dazu. Und darum wurden ja in Deutschland dann auch relativ frühzeitig die Kitas und Schulen geschlossen.

[0:03:39]

Tim Deisinger

Dann kriege ich heute, vielleicht bin ich da auch nicht der einzige, etwas nicht ganz zusammen. Der Virologe Professor Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht- Institut für Tropenmedizin, der lässt sich heute in der Bild-Zeitung zitieren mit dem Satz, so war, glaube ich, die Überschrift: „Unter Zehnjährige verbreiten das Virus nicht. Das hätten internationale Studien gezeigt. Wen ich Sie recht verstanden habe, dann habe ich da zumindest ein Fragezeichen. Gibt denn die Datenlage so eine Aussage her?

[0:04:10]

Alexander Kekulé

Also, wir müssen ja in Deutschland immer vorsichtig sein, wenn wir über Kollegen reden und dann auch noch über Zitate aus der Bild- Zeitung. Deshalb sage ich mal: Erstens, Herr Schmidt-Chanasit ist ein sehr geschätzter, toller Virologe aus Hamburg. Und ich bin sicher, dass das, was er gemeint hat, richtig ist. Ich habe mir die zwei Studien, auf die er sich bezogen hat. Also, so schreibt es zumindest die „Bild“ er hätte da zwei Studien genannt, die seines Erachtens den Beweis dafür erbringen, dass bis Zehnjährige keine Rolle spielen bei der Verbreitung des neuen Virus. Die habe ich mir mal angeschaut.

Das eine ist eine schon lange bekannte Studie, die ist am 26.04. erschienen. Eine Untersuchung aus Australien, dort von dem

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„Gesundheitsamt“ in New South Wales. Die haben eine eigene Behörde für Immunologie und diese statistische Betrachtung. Das ist also eine staatliche Stelle. Und die haben da eine Untersuchung gemacht, die eigentlich schon lange bekannt ist, die jetzt nicht so aufregend ist. Da haben sie insgesamt 15 Schulen untersucht, in New South Wales. Das ist ja der der Bundesstaat da im Südosten von Australien, wo Sydney Hauptstadt des Bundesstaats ist. Newcastle ist die andere große Stadt. Sonst kenne ich da keine. Die haben dort von den vielen Schulen, die es da gibt, 15 untersucht: und zwar im Zeitraum Anfang März bis Mitte April. Also relativ am Anfang des ganzen Geschehens. Da haben sie bei ihrer Untersuchung in diesen Schulen 18 Personen gefunden, die positiv waren auf Covid-19: 9 Schüler und 9 vom Personal. Man muss dazu sagen, Schüler gingen bis High- School. Also es waren verschiedene, also von den Elementary Schools, also Grundschulen bis zu den High-Schools. Und daraufhin haben sie alle Kontakte untersucht und so weiter. Das hat man damals so gemacht, diese ganzen Kontakt-Untersuchungen. Da haben sie erstens einmal festgestellt, dass obwohl jetzt insgesamt 18 Personen, 9 Schüler, 9 Lehrer infiziert waren, gab es insgesamt niemanden vom Personal, der das Virus bekommen hat, offensichtlich und nur 2 Kinder – also 2 von den Schülern. Und daraus haben sie geschlossen aus der Statistik, die Sie dann gemacht haben: Dass, obwohl ja 9 Schüler infiziert waren und 9 vom Personal insgesamt, die Ausbreitung in der Schule relativ harmlos war. Das stimmt, auch wenn sich nur 2 sich infiziert haben von 9. Dann war das kein großer Ausbruch, der davon hervorgegangen ist. Dann haben sie daraus geschlossen, dass aus dieser Beobachtung, Schulen jetzt zumindest nicht so einen massiven Ausbruch hätten. Man hätte sich auch gleich ein paar Hundert vorstellen können. Das ist nicht passiert. Die Schlussfolgerung ist soweit in Ordnung.

Und die haben zwei ganz wichtige Sachen dazu geschrieben und gesagt: Aber, wir müssen berücksichtigen, dass in Australien ab dem 23.03., also schon relativ früh im Beobachtungszeitraum, staatliche empfohlen

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wurde, dass die Schüler zu Hause bleiben. [0:06:58] Da gab es keine echten Schulschließungen, wie bei uns. Sondern die haben gesagt, bitte bleibt zuhause. Und die meisten haben sich daran gehalten. Einige, die es halt nicht hingekriegt haben, haben die Kinder trotzdem in die Schule gebracht.

Und das Zweite ist, dass auch in diesem Beobachtungszeitraum, dann am 10.04., haben die Ferien angefangen in Australien, also in New South Wales. Und darum haben sie gesagt, muss man vorsichtig sein. Und deshalb haben wir da eigentlich den gleichen Effekt wie wir, den auch für Deutschland immer wieder diskutiert haben. Wenn man jetzt so eine so eine Pandemie-Situation hat. Und die Eltern wissen, dass die Schüler in Gefahr sind und lassen die Kinder zu Hause, dann ist natürlich die Schlussfolgerung, wir haben da keine großen Infektionen gesehen. Daraus kann man nicht schließen: Kinder sind nicht ansteckend.

Und das andere ist, dass die Hälfte aus dem Personal waren. Und diese Studie bezog sich auf die Situation Schule insgesamt, und hat also überhaupt nicht im Detail untersucht, ob jetzt Kinder ansteckend sind.

Man kann immer sagen: Die australische Studie gibt diese Schlussfolgerung nicht her.

[0:08:00]

Tim Deisinger

Und die andere, von der sie immer gesprochen haben? Gibt die das her?

Alexander Kekulé

Genau, das andere ist eine neuere aus Holland. Da bin ich auch immer vorsichtig, ehrlich gesagt. Das ist jetzt auch wieder so eine staatliche Untersuchung. Ich unterstelle den staatlichen Ämtern in Holland, das ist jetzt so etwas Ähnliches, wie bei unserem Robert Koch-Institut. Ich unterstelle diesen Ämtern überhaupt nichts, das ist meine ich ganz ernst. Sie haben keine politischen Intentionen. Aber die publizieren natürlich anders. Die schicken das jetzt nicht an die großen internationalen Journale, sondern das wird auf dem kleinen Dienstweg meistens veröffentlicht. In dem Fall ist es in einem holländischen Journal auch nur auf Holländisch veröffentlicht worden. Das ist

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ja auch völlig in Ordnung, weil es nur für die lokalen Maßnahmen relevant ist. Da haben die 54 Familien untersucht. Und davon waren 67 Erwachsene, 107 Kinder. Und die Kinder waren so um die 10 Jahre alt, im Mittel. Da haben sie festgestellt, dass bei den 1- bis 5- jährigen, also bei den ganz Kleinen, waren nur 10 % positiv für Covid-19. Da haben sie so die verbreitete Ausbreitung der Erkrankung untersucht. 2 von 19, diese da gefunden haben. Von den etwas Älteren waren es 16 % und von den Erwachsenen oder von den noch älteren waren es 35 %. Also in dieser Stichprobe waren relativ wenig infizierte Kinder dabei. Da haben Sie gesagt, na gut, es hätte ja sein können, dass die sich im Haushalt infiziert hätten. Das war aber nicht der Fall. Die haben aber dazu, und das ist ganz wichtig, hier eben überhaupt keine Statistik gemacht. Sondern sie haben einfach mal nur diese Zahlen genannt und haben gesagt, na ja, das ist relativ wenig bei den Kindern gewesen. Und da gilt wieder das Gleiche, dass sie gesagt haben: Auch hier wieder ging es um einen Zeitraum, wo die Schulen und Kitas sogar geschlossen waren in Holland. Die waren am dem dort ab dem 16.03. geschlossen. Und am 23.03. haben sie angefangen, die Studie zu machen, also definitiv mitten in den Schließungen der Kitas und Schulen in Holland. Und sie sagen auch selber, dass die Daten deshalb schwach belastbar sind. Und deshalb sage ich jetzt mal, auch diese holländische Studie ist jetzt, wenn wir quasi nach der Suche einer Lösung dieses Problems sind – was in Deutschland auch sehr intensiv diskutiert wurde, ist diese holländische Studie eigentlich nicht belastbar, kann man sagen. Sie beziehen sich dann sogar auf das Drosten- Paper in ihrer Aussage noch mal, und sagen wir haben genauso wie Drosten das schildert – in der erste Version, die ja zurückgezogen wurde – da sagen sie, genauso wie Drosten das schildert, haben wir auch gefunden, gelegentlich mal bei Kindern relativ hohe Konzentrationen im Rachen von diesem Virus. Aber wir wissen nicht genau, was wir damit anfangen sollen. Also ich sag mal, ich hätte es jetzt nicht so vielleicht 1:1 zu einer Überschrift gemacht.

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

[0:10:48]

Tim Deisinger

Nicht belastbar heißt ja nicht, dass es nicht am Ende andere Studiengänge mit belastbaren Zahlen, die möglicherweise zum ähnlichen Ergebnis kommen. Und der schon angesprochene Professor Schmidt-Chanasit geht ja noch weiter in der Bild-Zeitung. Der erklärt auch, warum es möglicherweise bei Älteren so ist und bei jüngeren so. Er führt da die Pubertät an, dass sich da vieles tut im Körper. Dass da bestimmte Rezeptoren stärker ausgebildet werden. In der Bild-Zeitung ist immer nicht so viel besonders Platz für ausführliche Erklärung, bei uns vielleicht schon ein bisschen mehr. Kann das damit zusammenhängen? Wenn irgendwann mal belastbare Studien so etwas hergäben?

[0:11:30]

Alexander Kekulé

Also rein theoretisch ist das alles möglich. Ich kenne keine Daten, die das stützen. Also wir kennen einen Rezeptor, wo das Virus andockt. Das ist dieser berühmte ACE2-Rezeptor. Der ist bei Kindern definitiv vorhanden. Sonst hätte man schon von Anfang an einen ganz anderen Verdacht haben können. Ich weiß nicht, worauf er sich da bezieht, muss ich ganz ehrlich sagen.

[0:11:52]

Tim Deisinger

Aber wie auch immer. Aus all diesen Erkenntnissen oder auch Nicht-Erkenntnissen müssen Verantwortliche in der Politik irgendeine Entscheidung formulieren. Also, Kinder sollen zu Hause bleiben, oder Kinder sollen alle wieder in die Schule, so schnell wie möglich, so langsam wie möglich. Es gibt viele Varianten. Und es geht auch um Entscheidungen, wie der Alltag an der Schule organisatorisch, wie er logistisch gehandhabt werden sollte. Kann man denn aus den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen tatsächlich praktische Schlussfolgerung ziehen?

[0:12:23]

Alexander Kekulé

Ich glaube, dass die jetzigen Daten, und das hat Christian Drosten in der jetzt wirklich als

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Preprint zum ersten Mal offiziell vorgestern veröffentlichten Studie – da hat er das jetzt sozusagen alles nach den Regeln der Kunst gemacht, nicht über Twitter, sondern auf einem offiziellen Preprint-Server ist diese neue Version jetzt, darum habe ich es mir auch mal im Detail angesehen – da hat er eigentlich recht. In der Zusammenfassung sagt er von seiner jetzt offiziell veröffentlichten Version, es deutet wenig darauf hin aufgrund seiner Daten, dass es einen Unterschied gibt zwischen Jungen und Alten bei der Viruskonzentration. So kann man so unterschreiben. Wir haben bis jetzt eigentlich, und das ist auch sonst überall so. wir haben bis jetzt eigentlich keinen Hinweis darauf, der irgendwie handfest ist, dass die Ausscheidung des Virus bei Kindern anders wäre. Es gibt epidemiologische Daten, die so ein bisschen schwer zu verstehen sind. Aber im Ergebnis ist es so, wie wir wissen letztlich nicht genau, also wir haben keine Daten, die einen Unterschied begründen würden.

Da gibt es ja außer der Drosten-Studie, die ist vorgestern sozusagen zum ersten Mal offiziell als Preprint erschienen. Vielleicht kann ich dann noch einmal sagen, da ist sehr genau darauf eingegangen worden. Und das Problem, was wir schon mal angesprochen hatten, dass da verschiedene Analysegeräte verwendet wurden, zu verschiedenen Zeitpunkten. Dass verschiedene Methoden verwendet wurden, wie die Abstriche gemacht wurden, dass die Proben zu unterschiedlichen Zeitpunkten genommen wurden. Und wenn man das alles versucht, statistisch sozusagen auszuwerten, und da die Analyse machte, die diese sogenannten Statistiker, also die Kritiker an der Drosten-Studie, die sie damals gefordert haben: Nämlich, dass man nicht die Kinder und die Erwachsenen in Altersklassen zu einzelnen Töpfen einteilt und damit die Unterschiede quasi nivelliert. Sondern dass man wirklich sagt, wir machen mal eine von der vom Alter linear ansteigende Analyse. Also wirklich gucken, wie ist die altersabhängige Infektiosität oder die Viruslast eben im Rachen. Da kommt ein interessanterweise heraus, dass es bei dem einen Analysegerät, wo die meisten Daten von stammen, der sogenannte Cobas, das ist das ganz moderne Gerät von Roche. Da sieht man tatsächlich

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

einen leichten, aber signifikanten Anstieg der Viruskonzentration mit zunehmendem Alter. Je älter, desto mehr Virus. Das ist aber nur ein ganz leichter Anstieg. Und nur mit einem Gerät. Und mit dem anderen Gerät sieht man den Unterschied nicht, nicht in dieser Weise. So und jetzt hat Christian Drosten und sein Team haben sich echt Mühe gemacht, also lang zu diskutieren, warum dieser Anstieg möglicherweise nichts zu bedeuten hat, den sie da sehen. Da gibt es eben viele Gründe, wie das untersucht wurde, welche Proben wann aus welchem Labor kamen. Ich will da nicht drauf eingehen, weil das ist ein Preprint. Das wird jetzt eingereicht. Und da gibt es dann Leute, die sich da ganz professionell mit auseinandersetzen und ganz ins Detail gehen. Er selber hat jetzt den wichtigen Satz gemacht, dass sie aus den Daten keine statistischen Claims, also keine statistischen Rückschlüsse, ziehen. Und das heißt im Grunde genommen, wir sehen selber, dass die Daten so viele Fragezeichen haben, das wir vorsichtig sind, diesmal vorsichtig sind mit der Interpretation. Das finde ich genau richtig so. Da bin ich dafür, einfach abzuwarten, was die endgültige Publikation dann bringt.

[0:15:51] Und das andere ist leider auch ein Preprint am gleichen Tag, vorgestern, erschienen. Aber ganz interessant, weil es nämlich statistisch ist eine Arbeit aus Japan. Und die haben, verglichen die Zahlen von Covid-19 - Sterblichkeit in Italien, in Spanien und in Japan. In Italien und Spanien gab es sehr viele Fälle, in Japan wesentlich weniger, aber auch relevant viele Tote. Und das Interessante ist, obwohl die Sterblichkeiten so unterschiedlich sind, ist die Altersverteilung erstaunlich ähnlich. Und da haben die gesagt, Moment mal, das ist erstaunlich so unterschiedliche Mengen, absolut gesehen. Aber die Altersverteilung sieht genau gleich aus. Das wissen wir ja, dass die Alten besonders häufig sterben. Das haben sie mit drei verschiedenen statistischen Modellen durchgerechnet. Und haben ihn einem Modell angenommen, dass die Sterblichkeit unterschiedlich sein könnte, also altersabhängige, unterschiedliche Sterblichkeit. Die Hörer dieses Podcasts werden sagen, na klar ist das so. Das wurde

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auch statistisch hier nochmal belegt, dass das der Fall ist. Zweitens haben sie aber auch als Variante darüber gelegt, dass sie gesagt haben, kann es nicht sein, dass der Anteil der symptomatischen unterschiedlich ist zwischen Jung und Alt. Und da ist es auch so, dass die Zahlen, die man da hat, in diesen statistischen Modell, ganz klar passen zu der Annahme, dass die symptomatischen Fälle bei Erwachsenen viel häufiger sind als bei Kindern. Also dass die Kinder häufiger asymptomatische Symptome haben.

Und dann haben sie eine dritte Variante darüber gelegt. Und das ist aus meiner Sicht spannende Ergebnis. Das haben sie gesagt. Jetzt nehmen wir mal an, dass die altersabhängig eine unterschiedliche Empfänglichkeit für das Virus hätten. Also die Frage, sind Kinder genauso leicht zu infizieren wir Erwachsene, und um die geht es ja hier bei den Kitas auch. Und da war es ebenso, wenn man diese Annahme macht, dann passt das Modell überhaupt nicht mehr zusammen. Da kommt totaler Unsinn raus. Und das heißt bei so statistischen Analysen immer diese Annahme stimmt nicht. Oder anders gesagt: Wir müssen davon ausgehen, dass Kinder aufgrund dieser statistischen Analyse, in jedem Alter im Prinzip gleich empfänglich für eine Virusinfektion sind.

[0:17:57]

Tim Deisinger

Machen wir einen Punkt und kommen zum nächsten Thema. Sie haben vorhin schon quasi den roten Teppich für dieses Thema ausgerollt, als sie von Leuten gesprochen haben, die sich dann mit diesen Preprints, mit diesen Veröffentlichungen, professionell auseinandersetzen. Unser Thema soll sein, Hydroxychloroquin, das Malariamittel, auf das große Hoffnungen gesetzt wurde, dass es auch bei Covid-19 hilft. Hoffnung, bis eine Studie scheinbar nachwies, dass es zu vorzeitigen Todesfällen kommt, wenn man dieses Mittel anwendet. Daraufhin wurden viele andere Studien abgebrochen oder ausgesetzt. Und vor kurzem aber die Nachricht, dass das Fachjournal „The Lancet“, also die Leute dort, die sich professionell damit auseinandersetzen, dass es Studie zurückzieht

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

wegen Mängeln, die den Gutachten von „Lancet“ wohl entgangen waren. Helle Aufregung daraufhin in der Wissenschaft und ja nun kommt ein zweites Blatt, nämlich das „New England Journal of Medicine“, und zieht auch Veröffentlichungen zurück und entschuldigt sich. Herr Kekulé, das mit „Lancet“ war er schon ein ziemlicher Hammer. Aber, dass das offenbar kein Einzelfall ist, wie muss man denn das nennen?

[0:19:05]

Alexander Kekulé

Man muss ganz klar sagen, dass das, was wir hier in Deutschland immer so den in den Schlagzeilen haben, ja, wie ist es jetzt mit den Kindern? Stimmt es jetzt? Stimmt jetzt die Drosten-Studie oder nicht? Stimmt die zweite Version dann vielleicht. Das ist international gesehen in Nebenschauplatz, höchstens ein Sturm im Wasserglas.

Aber das Thema Hydroxychloroquin, also dieses Medikament, was Donald Trump so favorisiert hat, das schockiert weltweit wirklich die Wissenschaftler. Weil, hier ist nämlich Folgendes zutage getreten, und das wird jetzt immer deutlicher. Wir haben schon mal drüber gesprochen, da musste ich noch etwas vorsichtiger sein. Also da gibt es diese Firma Surgisphere. Das ist eine Firma, die Daten liefert für klinische Studien. Das ist gar nicht so ungewöhnlich, dass das Firmen machen sitzt, glaube ich in Chicago, die Zentrale, keine sehr bekannte Firma. Aber die haben gerade mit Covid-19 für mehrere Studien eben Daten geliefert. Und da haben die Leute ja noch mal was ganz anderes festgestellt. Nicht, dass die vielleicht zu schnell losgaloppiert sind mit Resultaten oder irgendwelche Pressekonferenzen zu früh gemacht haben. Nein, die haben die Daten höchstwahrscheinlich, das kann man hier an der Stelle sagen, gefälscht. Weil, die Daten waren so perfekt. So viele Details waren so stimmig, dass man sagen musste, also das kann kaum so sein. Daraufhin haben interessanterweise als erstes auch externe, aufmerksame Wissenschaftler im Internet darauf hingewiesen: „Wir wollen mal die Originaldaten sehen“. Das ist also so ähnlich gelaufen wie bei der Drosten-Studie, dass sich

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ganz Unbeteiligte erst mal dahin gesetzt haben und eine Analyse geschrieben haben und das zu „Lancet“ geschickt haben. Daraufhin ist die Kontrolle angelaufen. Und da hat man festgestellt, die geben ihre Daten einfach nicht raus. Diese Surgisphere-Leute, das ist unglaublich. Also normalerweise sagt man na klar, hier sind die Daten. Schaut sie euch an! Aber nein, das ist bis heute nicht geschehen. Und dann stellte sich heraus, dass es eine weitere Studie gab, eben im „New England Journal of Medicine“, das ist noch mal so eine der absoluten obersten Instanzen, wo man überhaupt was publizieren kann in der Medizin. Und da gibt es diese andere Studie über diese, über diese Angiotensin Converting Enzyme, diese ACE-Inhibitoren. Da geht es um Blutdruckregulation. Und auch da es gab es eben eine Studie, wo diese Surgisphere-Daten verwendet wurden, die sind im „New England Journal“ erschienen. Ist jetzt auch zurückgezogen worden, weil man festgestellt hat, das Ergebnis ist nicht haltbar, weil die Originaldaten nicht stimmen. Und es gibt noch eine dritte Studie, wo es um etwas anderes geht – ganz anderes Medikament – wo auch mit hoher Wahrscheinlichkeit die Basis nicht gestimmt hat. Also wir sind alle maximal schockiert. Und das ist wirklich ein Warnschuss für uns alle, dass man aufpassen muss, dass Wissenschaftler sich profilieren wollen, indem sie wichtige Daten nach vorne bringen, damit an die Öffentlichkeit gehen und dann im Hintergrund und unter Umständen ihre Hausaufgaben noch nicht fertig gemacht haben.

[0:22:00]

Tim Deisinger

Da will ich gleich noch einmal ausführlicher darauf kommen. Zunächst nochmal eine Frage zu „Lancet“ und dem „New England Journal of Medicine“. Hätten die also bei der Datenfirma um die Daten schon von vornherein bitten müssen vor der Veröffentlichung?

[0:22:15]

Alexander Kekulé

Ja, das ist eine Entscheidung der sogenannten Gutachter, der Reviewer. Ich kriege auch relativ oft so Anfragen, wo ich dann relativ schnell - in diesem Zusammenhang steht dann

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

immer dabei, das muss ganz, ganz schnell gehen, ja ein Endergebnis liefern muss. Na klar können sie dann als Gutachter, können sie dann dem Journal sagen, die Daten verstehe ich so nicht. Da sind mir zu viele Fragezeichen. Ich hätte gerne die Originaldaten, dann ist das üblicherweise so, dass das Journal die Autoren anschreibt und sagt, einer, der Gutachter will die Originaldaten haben. In der Regel wird es dann auch alles so gemacht. Es gibt ein paar Ausnahmen, bei der Zulassung von Medikamenten und so, wo es dann Betriebsgeheimnisse auch gibt. Aber ich muss jetzt sagen, ganz ehrlich gesagt, wenn ich als Gutachter so unter Zeitdruck stehe, und ich sehe so eine Riesenstatistik, und die Auswertung selber ist schon richtig kompliziert, dass man dann erkennt, dass da sozusagen die Daten poliert wurden, also zu perfekt sind. Da muss man schon misstrauisch sein von vornherein. Also, wenn man da nicht so ein Grundmisstrauen den Autoren gegenüber hat, und das waren ja hier ganz tolle Autoren, die das gemacht haben, nur die Daten-Lieferanten waren das Problem. So weit geht man bei Kollegen nicht, also zu vermuten, dass da jemand, ich sage es mal so offen, was gefälscht hat. Also Gutachter sind keine Kriminalpolizisten. Darum würde ich die da ein bisschen entschuldigen. Die standen unter Zeitdruck. Klar hätten sie es merken können, aber das ist dann vielleicht ein bisschen was für das Thema Schwarmintelligenz? Wenn da vier Gutachter sitzen oder drei, manchmal nur, klar übersehen die was. Aber wenn sie es dann publizieren, dann findet irgendeiner die Fehler.

[0:23:56]

Tim Deisinger

Es muss auch nicht unbedingt Misstrauen sein, was man jetzt einführen muss. Aber man könnte zum Standard machen, dass so eine Datenabfrage nach den Originaldaten immer gemacht wird. Oder ist der Aufwand viel zu riesengroß als er für solche Sachen?

[0:24:10]

Alexander Kekulé

Also ich weiß, dass zum Beispiel „Nature“, das ist ein anderes Journal: Da ist es so, dass die

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ganz häufig sagen, wir wollen die Daten gleich von vornherein sehen. Und das war ja auch bei der Drosten-Studie so, dass mehrere Statistiker sich beschwert haben, dass die Originaldaten nicht herausgegeben wurden. Also diese Original-Messungen, weil die auch den Verdacht hatten, dass diese Messungen möglicherweise so stark fehlerbehaftet sind, dass man diese Resultate nicht daraus ziehen kann. Da war es aber eine Situation, dass es noch gar nicht im Begutachtungsprozess war. Also ich glaube, das würde die Verfahren wahnsinnig verlangsamen. Sie müssen sich vorstellen, das sind Unmengen. Dann haben sie irgendwie, das waren Krankenhäuser zum Teil in Afrika, zum Teil in Asien, zum Teil in den USA, die verglichen wurden. Dann müssen sie von jedem einzelnen Krankenhaus, da die Patienten-Nummern, dann müssen, die anonymisiert werden, damit die herausgegeben werden dürfen. Das ist ein komplexer Prozess. Das würde, glaube ich, das Verfahren sprengen. Wenn man jetzt, gerade bei klinischen Statistiken, wenn man da verlangen würde, dass der Gutachter sich wirklich die Originaldaten anguckt.

Die machen das alles umsonst, muss ich noch sagen. Die Gutachter arbeiten alle umsonst und anonym. Man weiß hinterher nicht genau, wer es war. Also, die Journals wissen es schon. Aber sonst weiß es keiner. Also das ist, ich glaube, das wäre eine Überforderung des Prozesses.

[0:25:28]

Tim Deisinger

Die Auswirkungen sind also enorm. Ich kann mich noch erinnern, wir beide hatten darüber gesprochen, über die Blutdrucksenker. Und wir hatten ja eine Überschrift im Kopf. Entwarnung gibt es für diejenigen, die diese Blutdrucksenker nehmen, weil die hätten kein größeres Risiko, an Covid-19 zu erkranken. Wenn man so etwas verkündet, aufgrund solcher Studien. Die Leute nehmen das auf und haben natürlich dann eine ganz andere Einstellung zu ihrem Medikament, fühlen sich möglicherweise sicherer.

[0:25:57]

Alexander Kekulé

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

Also ich finde das fürchterlich. Es ist so, dass man gerade in dieser Lage, wo alle so verängstigt sind, bei diesem Covid-19. Der eine nimmt Blutdrucksenker und denkt, Mensch zum Glück ist jetzt eine Riesenstudie rausgekommen, dass die doch nichts machen. Der Nächste ist vielleicht auf der Liste für dieses Malaria-Medikament, das Hydroxychloroquin. Da gibt es ja gibt es ja laufende Studien zu dem Thema, auch wo die Leute, die die Studien machen, verzweifelt Leute suchen, die da mitmachen oder die sich behandeln lassen. Die Zahl der Patienten geht ja zurück. Da braucht man also, um genug Daten zu haben, braucht man Patienten, die bereit sind, das zu machen. Und deshalb ist es wahnsinnig wichtig. Oder eben bei uns: die Frage der Schulschließungen. Die Eltern haben wahnsinnige Angst, ihre Kinder dann in die Schulen zu geben, dass sie sich dort anstecken. Und es gibt dann die eine Studie, die das sagt, und die andere, die das sagt. Dann wird eine wieder zurückgezogen und so weiter. Es wäre toll, wenn wir diesen Prozess ein bisschen systematisieren würden. Da gibt das auch Vorschläge. Ich glaube aber, dass wir bei den Preprints einiges machen können, dass man das sauber macht, dass man die sauber veröffentlicht. Ich glaube aber, wenn es einmal im „Lancet“ oder im „New England Journal“ ist. Das müssen Sie sich so vorstellen: Das wäre es, als wenn die „Süddeutsche Zeitung“, die „F. A. Z.“ und die „New York Times“ die gleiche Schlagzeile haben, also lauter vermeintlich sehr seriöse Zeitungen. Und wenn es da drinnen steht und Sie sagen, Mensch, die haben das recherchiert, das muss doch dann stimmen. Mehr kann man eigentlich nicht. Höher geht es eigentlich nicht. Und dass diese Daten falsch sind, das hat uns alle schockiert. Also, da wird man sich überlegen müssen, wie Sie sagen, wie man vielleicht noch ein Kontrollprozess einzieht. Aber ich glaube, den Gutachtern, das sag ich mal so aus Eigennutz auch ein bisschen: Wenn sie jetzt so was auf den Tisch kriegen würden, wo sie die Originaldaten checken müssen, dann würden sie sagen, nein danke, dafür habe ich keine Zeit. Ja, da sitzen zwei Wochen, machen das alles gratis und müssen ihre andere Arbeit stehen lassen. Dann müsste man das irgendwie anders machen. Dann

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müssten die bezahlt werden. Es müssten professionelle Institute sein, die das prüfen. Aber ich glaube, im normalen Wissenschaftsbetrieb, brauchen Sie auch ein Restvertrauen in die Dinge, die da stehen.

[0:28:12]

Tim Deisinger

Okay, das ist die eine Sache, wenn eine Firma, wie diese Datenfirma, ich sage mal, Beschiss macht, von dem sie als Gutachter nichts sagen können. Nun gibt es aber, und das hatten wir andeutungsweise schon angesprochen, auch Situation, dass man mit Daten an die Öffentlichkeit geht, obwohl man weiß, dass die Methode, mit der man es ausgewertet hat, relativ schlecht ist. Das hat auch Professor Gerd Antes, ein Mathematiker derzeit in Freiburg, in einem längeren Interview selbst so gesagt, hat sich darauf die Drosten-Studie bezogen: Er hat gesagt, es sei generell ein Unding, in so einer sensiblen Situation, mit einer so relevanten Aussage an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Frage ist aber, warum tut man es dann aber trotzdem?

[0:28:59]

Alexander Kekulé

Man muss sagen, Gerd Antes ist nicht nur Biometriker, also jemand, der sich somit medizinischen Daten befasst. Sondern, er ist auch Mitbegründer dieses Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Evidenzbasierte Medizin heißt letztlich, dass wir versuchen, in der Medizin, die ja auch eine Erfahrungswissenschaft ist, wirklich nur noch die knallharten Fakten zählen zu lassen. Und da ist er ein Leuchtturm für dieses Thema. Er ist um die 70 Jahre alt schon. Und da hat er ziemlich laut auf den Tisch gehaut. Ja, das ist, so glaube die, wir hatten ja hier die Diskussion. Ja, wenn jetzt diskutiert wird, Ihre Frage ist, warum tut man es also die? Ich stelle mir das so vor? Wenn jetzt hier diskutiert wird Schulen schließen? Ja oder nein? Oder andere politische wichtige Entscheidungen im Raum stehen und Sie von allen Seiten als Wissenschaftler Druck haben: Mensch, sag doch mal, was da rausgekommen ist, und wir wollen das wissen. Und sie haben auch so ein Gefühl, was wahrscheinlich im Labor rauskommen wird. Ja, der Wissenschaftler

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glaubt an so ein bestimmtes Ergebnis seiner Daten. Wir sind immer bereit, uns widerlegen zu lassen. Aber man hat schon eine Arbeitshypothese, letztlich, wenn man arbeitet. Dass einem das mal rausrutscht zu sagen: Also, ich glaube eher, dass es in die Richtung geht.

Tim Deisinger

... ich dachte, das heißt Wissenschaft und nicht „Glaubenschaft“.

Alexander Kekulé

(Lacht) Ganz ehrlich gesagt, dann müssen Sie diejenigen fragen, die da, und deren Psychologie fragen, die da so vorgeprescht sind. Also, ich finde tatsächlich das Minimum, was man machen muss, ist sauber veröffentlichen. Dazu hat sich Herr Antes ganz klar geäußert. Er hat gesagt, wir müssen die Veröffentlichungsprozedur besser schematisieren. Ich bin eigentlich höchst vorsichtig, immer wenn etwas nur einen Preprint ist. Wir sagen es auch hier in diesem Podcast immer klipp und klar dazu. Und es gibt ja davor noch die Stufe, dass Leute was Zeit neuerdings auch über Twitter veröffentlichen. Und da muss man einfach sagen: Also in der Wissenschaft würde ich mir schon wünschen, dass man zumindest immer dazu schreibt, in welchem Stadion der „Glaubwürdigkeit“ etwas ist. Und dann ist da natürlich auch die Frage der Wissenschaftsjournalisten, wie sie was aufnehmen. Wenn die „New York Times“ aus irgendeinem einem Tweet bei Twitter und einem angehängten Dokument dann plötzlich eine Überschrift macht, dann sind sie als Wissenschaftler natürlich auch relativ hilflos. Dann müssen Sie das wieder einfangen. Wir kommen da nur weiter, wenn die Wissenschaftler selber sagen, wir sind jetzt eisern, wir sagen erst mal nix. Und publizieren das. Und wir schicken das auf den Preprint- Server, das steht jedes Mal riesengroß drüber: Achtung, das ist ein Preprint. Bitte nicht für politische Entscheidungen nutzen. Bitte bei Zitierung immer schreiben, in der Presse vor allem, dass das vorläufige Daten sind. Und mehr kann der Wissenschaftler dann

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eigentlich nicht machen, als wenn er das korrekt macht.

[0:32:01]

Tim Deisinger

Das ist, wenn der Druck von außen kommt. Wenn es so eine Art Zeitdruck gibt, wie in dieser jetzigen Situation. Aber ich will zum Schluss eine eigene Frage stellen, was ich vorhin schon mal so ein bisschen angedeutet hatten. Ist das nur Zeitdruck oder spielen da andere Dinge eine Rolle? Oder konkret gefragt, wie ist es eigentlich mit der Eitelkeit bei Wissenschaftlern? Ich meine, bei Medien spielt es eine Rolle, dass man sagen kann, also ich hatte die Story zuerst. Wie ist denn das in Ihrer Zunft?

[0:32:27]

Alexander Kekulé

Also, da werden Sie mich jetzt nicht dazu verleiten, über andere Wissenschaftler etwas zu sagen. Aber ich kann Ihnen über mich einfach selber was sagen. Ich mache schon lange keine molekularbiologische Grundlagenforschung mehr. Die Zeit habe ich am Max-Planck-Institut gehabt. Darum berichte jetzt so ein bisschen aus der Vergangenheit. Da sind sie wahnsinnig eitel. Der Wissenschaftler will einfach Recht haben. Das ist so sein Sport. Und der streitet sich auch wahnsinnig gerne mit seinen Kollegen bei den Konferenzen. Das ist so wie zwei Schachspieler. Und natürlich will jeder gewinnen. Und gewinnen in der Wissenschaft heißt im Grunde genommen, dass ihre Theorie da richtig war und die vom anderen eventuell dann falsch. Die auf dieser Ebene auf dieser besonderen Ebene, jetzt nicht so so wie vielleicht Fotomodels, aber auf der besonderen Ebene das Rechthabens, sind Wissenschaftler meines Erachtens, wenn ich von mir ausgehe, sage ich ganz ehrlich eitel. Das tut jedem weh, mich eingeschlossen. Wenn mir einer sagen würde, da und da hast du dich geirrt. Das würde mir persönlich Zähneknirschen verursachen. Das ist einfach so, dass es der Berufssport. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt, den ich schon auch erwähnen will. Das hat auch irrsinnig viel mit Geld zu tun. Wenn sie derjenige sind, der überall in den Medien ist und der vielleicht

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass 13 #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

Politikberatung macht und der dies und das sozusagen beeinflusst, dann können Sie auch beeinflussen, ganz konkret, ja, dieses Forschungsgebiet ist wichtig. Dafür muss es jetzt Forschungsmittel geben. Und dann ist natürlich auch die Situation, dass ein Berater der Politik oder jemand, der in den Medien steht, dass der dann unter Umständen, das muss man im Einzelfall prüfen, dann auch mehr Forschungsmittel kriegt. Einfach weil der dann natürlich einen leichteren Zugang hat, aus verschiedenen Gründen. Darum bin ich der Meinung, dass man an der Stelle – und das will ich jetzt den Leuten bei dem Hydroxychloroquin nicht unterstellen, dass das so war – aber man natürlich aufpassen muss: Haben die möglicherweise dadurch, dass sie etwas Bestimmtes publiziert haben oder voreilig irgendwie rausgebracht haben, möglicherweise in die eine oder andere Richtung dann beeinflusst das Mittel vergeben werden? Und ich glaube, das sollten Forscher vielleicht – das ist vielleicht ein Vorschlag, den man machen kann, dass Wissenschaftler genauso wie Politiker vielleicht es so Interessenskonflikte von Anfang an darlegen müssen. Dass sie wirklich sagen, da und da habe ich möglicherweise einen Interessenskonflikt. Damit dann ganz klar ist, dass neben der Eitelkeit nicht noch etwas anderes bedient wird.

[0:34:58]

Tim Deisinger

Okay, machen wir einen Strich drunter. Kommen wir zu den Hörerfragen oder Hörerinnenfragen. Die erste Frage ist die eine Hörerin, die uns angerufen hat.

Hörerin:

Könnte Herr Professor Kekulé bitte nochmal erklären, woran es liegt, dass die Schnelltests noch nicht in der Apotheke sind? Es gibt ja, für alles, kann man sagen, Schnelltests. Selbst für Chlamydien und sämtliche Nieren- und Blasenproblematiken. Selbst für Zecken, wenn man wissen will, ob man Borreliose hat. Wann kommt der Schnelltest in die Apotheke?

[0:35:35]

Alexander Kekulé

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Tja, die Frage stelle ich auch: Wann kommt der Schnelltest endlich in die Apotheke? Ich hätte ihn gern für 1 Euro, den sogenannten Volkstest. In Anlehnung an die Volksmaske, die wir hier schon vor langer Zeit mal gefordert haben.

Also, es ist so, das ist technisch möglich. Der Test ist also das, das funktioniert auf der technischen Basis mit einem Rachenabstrich und einem Schnelltest festzustellen, ob man die Viren im Hals hat. Dieser Schnelltest ist so, wie er jetzt wahrscheinlich machbar ist und in einigen Ländern auch zur Verfügung steht – in Taiwan gibt es da zum Beispiel schon einen guten Prototyp, da ist er nicht so zuverlässig, wie die PCR, also wie die Methode im Labor. Und deshalb sagen Leute, wir brauchen den nicht, wir wollen den nicht, weil die PCR ist besser und zuverlässiger. Das Problem ist, die PCR ist viel aufwendiger. Sie müssen alles ins Labor schicken. Sie ist wahnsinnig teuer. Es gibt dann begrenzte Kapazitäten. Das ist ein bisschen das Argument der technischen Gegner. Dann gibt es natürlich die Frage: Wer hat an was Interesse? Und da muss man ganz ehrlich sagen, ich nehme zur Kenntnis, dass die Ärzte sagen, ein Schnelltest gehört nur in die Hand von Ärzten. Da gibt es Argumente, die sagen so ein so ein Covid-19 -Test, den soll keiner selber machen. Das muss ein Arzt machen, sonst ist es nicht zuverlässig. Das kann man jetzt unterschreiben oder auch nicht.

Und das andere ist, dass die Industrie – wenn Sie sich vorstellen, Sie würden Milliarden verdienen mit dem PCRs und mit den Maschinen, die damit die dafür gebraucht werden. Und die riesige Laborindustrie, die ja daran verdient. Die Labore haben mit diesem Test Umsätze, das ist astronomisch. Was für ein Interesse hätten die dran, jetzt weitere Tests zu entwickeln, an dem sie erstens praktisch nichts verdienen. Und der ihnen zweitens den ganzen Verdienst an der PCR zusammenbrechen lässt. Und der drittens, sobald ein Impfstoff da ist, gegen Covid-19, dann auch nicht mehr gebraucht wird oder kaum noch gebraucht hat. Deshalb ist es etwas, wo ich eben finde, das muss letztlich so eine Grassroot-Aktivität sein. Wie wir bei den Masken irgendwann gesagt haben, dann näht

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sie euch eben selbst. Ich glaube, das sind einfach zu viele, sag ich mal, Standesinteressen, wirtschaftliche Interessen, die da dagegen sprechen, dass dieser Test jetzt mit Dampf entwickelt und in die Apotheken gebracht wird.

[0:37:54]

Tim Deisinger

Okay. Frage von Markus P. per Mail gekommen. Ich zitiere: „Ich kann nicht verstehen, warum die Rückkehr zu einem normalen Leben immer nur von einem Impfstoff abhängig gemacht wird. Wenn es ein Medikament oder eine Kombination aus Medikamenten gibt, welche einen schweren Krankheitsverlauf verhindern und das Sterberisiko für alle deutlich mindern. Und wenn es zudem auch noch Tests für alle gibt, könnte man dann nicht wieder ein normales Leben führen und das kulturelle Leben vollends ohne Einschränkungen genießen. Remdesivir scheint ja ein vielversprechender Kandidat zu sein, teilen Sie mit mir ihre Weisheit. 😊“

[0:38:33]

Alexander Kekulé

(Lacht) Also, das ist ja eine sehr weise Hypothese. Und das kann ich bis auf das Remdesivir direkt unterschreiben. Beim Remdesivir, ich warne davor zu sagen, dass es jetzt schon die Lösung. Wir haben ja gerade mal gehört, wie so ein Star plötzlich vom Himmel gefallen ist. Ja, beim Remdesivir, da sehen die Daten gut aus bisher. Aber die Gretchenfrage ist hier, kann das wirklich Todesfälle verhindern? Das wirkt im Frühstadium der Therapie wohl ganz gut. Zumindest sieht man den Effekt, aber das Entscheidende ist nicht, ob sie an einer gutartigen Covid-19-Infektion zehn Tage oder zwölf Tage lang leiden. Sondern die Frage ist: Die schweren Kranken, sterben die oder sterben die nicht? Und dazu gibt es überhaupt keine Hinweise, dass das Remdesivir was bringt bisher. Deshalb würde ich mit der Ausnahme, dass ich nicht sagen kann, das ist sozusagen das Heilsmittel, würde ich sagen: Ja, wenn wir ein Mittel haben oder eine Therapie haben ... Ich glaube, da eher, dass die allgemeine Intensivtherapie sich auf jeden

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Fall so weit entwickeln kann, dass wir die Sterblichkeit massiv drücken können. Vielleicht mit dem einen oder anderen Medikament. Plus, wenn wir diesen Volkstest haben, der von dem Hörer auch angesprochen wurde. Und natürlich von unserem Verhalten ein paar neue Regeln beachten. Früher hat man vielleicht gesagt, du sollst im Dunkeln nicht durch den Wald gehen. Später hieß es dann, du sollst im Dunkeln nicht durch bestimmte Stadtteile einer Großstadt gehen in der Nacht. Und jetzt heißt es eben, du sollst nicht in geschlossenen Räumen mit ganz vielen Leuten sein, die husten, wenn keine Lüftung da ist. Also es gibt einfach neue Regeln. Und wenn man die aber beachtet, glaube ich tatsächlich, wir können mit dieser Seuche leben, ohne dass wir den Impfstoff brauchen.

[0:40:11]

Tim Deisinger

Stichwort: Verhalten. Unsere Hörerin Katrin G. möchte offenbar gerne wieder ins Wasser:

Hörerin

„Ich freue mich sehr darüber und hoffe sehr darauf, dass die Schwimmhallen wieder aufgemacht werden. Nach alledem, was ich verstanden habe, sollte eigentlich in der Schwimmhalle kein Ansteckungsrisiko bestehen. Da gibt es Chlorwasser, da ist es sehr warm, da ist die Luft sehr feucht. Also ich würde sehr unbedarft und ohne Sorgen wieder die Schwimmhalle gehen. Ich wollte einfach mal Herrn Professor Kekulé fragen, ob ich da richtig liege?“

[0:40:40]

Alexander Kekulé

Also Ansteckung über das Wasser sehe ich keine. Es gibt überhaupt keinen Hinweis, dass das Virus übers Wasser ansteckend ist. Man ist sich natürlich unter Umständen beim Schwimmen selber manchmal nahe. Da muss man ein bisschen aufpassen, dass man im Wasser ein bisschen Abstand hat. Und dann kommt es darauf an, wie diese große Schwimmhalle dann von der gesamten Luft ist. Also die Hallen, die ich kenne, sind so, dass ich jetzt nicht die Befürchtung hätte, dass ich da

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass 13 #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

große Aerosol-Mengen bilden, auch wenn relativ viele Leute manchmal drinnen sind. Aber da gibt es natürlich solche und solche. Wenn die Luft jetzt ewig steht, würde ich mich jetzt nicht auf die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit verlassen. Es stimmt, dass Aerosole sich bei hoher Luftfeuchtigkeit und hoher Temperatur eher weniger bilden. Aber ob das jetzt, zum Beispiel, in der Schwimmhalle, oder wir hatten das Thema ja schon bei der Sauna, ob das in der Sauna jetzt wirklich im praktischen Experiment so ist, wie die Theorie das vorhersagen würde, das hat noch keiner ausprobiert. Aber im Gegensatz zur Sauna, wo ich sehr skeptisch bin, würde ich sagen so eine große Schwimmhalle ist eigentlich kein relevantes Risiko.

[0:41:43]

Tim Deisinger

Dann haben wir eine Frage bekommen von einem Ehepaar aus Potsdam. Die möchten gern anonym bleiben. Und zwar haben sie eine Frage zum Umstand, dass es ja bei vielen gesellschaftlichen und alkoholträchtigen Ereignissen – Stichwort Ischgl, Karneval und so weiter – zur Ansteckung kam. Ich zitiere: „Ist das Coronavirus ein Freund vom Alkohol? Ist bekannt, ob die Patienten überwiegend alkoholisiert waren? Hat Alkohol einen Bestandteil, der eine anziehende Wirkung auf das Virus hat?“

[0:42:15]

Alexander Kekulé

Nein, Alkohol hat keine anziehende Wirkung auf das Virus. Aber Alkohol hat manchmal anziehende Wirkung auf Menschen. Menschen kommen sich einfach, wenn sie alkoholisiert sind, gerne mal näher. Und das kennt man aus den Bildern vom Aprés-Ski, nicht nur bei Ischgl. Und deshalb würde ich mal sagen, dass es der Haupteffekt, dass einfach das menschliche Verhalten hier eine Rolle spielt. Viren können ja unser Verhalten in perfekter Weise ausnutzen. Praktisch alle Viren, die sich an den Menschen gut angepasst haben, haben irgendwelche sogenannten menschlichen Schwächen ausgenutzt, um sich besonders gut zu verbreiten. Und das ist auch hier der Fall.

Seite 12 von

[0:42:54]

Tim Deisinger

Und dann hat uns noch angerufen, Herr K., der möchte nicht, wie die Dame vorhin wieder ins Wasser oder baden gehen, sondern er möchte offenbar singen.

Hörer

Ich bin Mitglied des Volkschors Schmölln. Wir haben vor, unseren Chor mit Plaste-Visieren auszustatten. Wie groß ist dann das Ansteckungsrisiko, wenn wir unter diesen Plaste-Schilden singen?

[0:43:21]

Alexander Kekulé

Ja, das ist die Frage, ob man jetzt diese Plastik- Kunststoff-Visiere, ob die genauso gut sind wie ein Mundschutz. Das ist ein Riesenthema, das wird ja bundesweit diskutiert. In Hessen gab es da eine Verordnung, die gesagt hat, dass das Visier statt des Mundschutzes, Mund- Nasen-Schutzes, nicht zulässig ist. Andere sehen das lockerer. Aus meiner Sicht ist es so: Dieses Visier ist immer dann genauso gut wie ein Mundschutz, wenn sie diese Tröpfcheninfektion verhindern wollen. Also das, was quasi von einem zum anderen face- to-face rüberfliegt. Das war ja auch die größte Zeit dieses Ausbruchs, dieser Pandemie, das Hauptthema, dass man das erstmal in Griff bekommen hat. Jetzt sind wir in einer Phase, wo wir speziell diese Ausbrüche durch Aerosole, diese sogenannten Superspreader- Ereignisse im Auge haben müssen, und die auch noch ausmerzen, wenn ich mal so sagen darf. Und da ist es so, da wissen wir, dass gerade beim Singen in geschlossenen Räumen, wenn die Luft steht, eben diese Aerosole entstehen können. Und das ist genau das, was auch um die Ecke geht und nicht auf dem direkten Weg fliegen muss. Das kann seitlich aus einem Mund-Nasen-Schutz rausfliegen. Das ist aber vielleicht an der Stelle nicht so wahrscheinlich, weil der Mund-Nasen-Schutz natürlich kleine Tröpfchen einfach festhält, wenn die anstoßen. Aus einem Visier, das kommt darauf an, wie weit es eben dann weg ist vom Gesicht. Ich würde mal sagen, wenn es einen gewissen Abstand hat, damit man auch

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass 13 #67, Donnerstag, 11. Juni 2020

gut singen kann, dann ist eben schon die Gefahr, dass jemand hier Aerosol produziert und auch in großer Menge. Deshalb würde ich sagen es ist definitiv nicht genauso sicher wie ein Mund-Nasen-Schutz. Und deshalb würde ich jetzt nur zu einem Visier raten, wenn der Raum wirklich groß ist und gut belüftet ist.

[0:45:01]

Tim Deisinger

Und damit sind wir auch für heute wieder durch. Samstag gibt es dann einen Spezial nur mit Antworten auf Fragen von Hörerinnen und Hörern. Das war es wie gesagt für heute. Vielen Dank, Herr Kekulé und bis zum Samstag.

Alexander Kekulé

Ja bis zum Samstag. Einen schönen Tag, Herr Deisinger.

Tim Deisinger

Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00. Möglich auch bei Twitter unter dem Hashtag #fragkekule. Kekulés Corona-Kompass gibt es in der ARD-Audiothek bei Spotify, bei Apple, Google, YouTube und auf MDR aktuell.de

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MDR-Aktuell: Kekules Corona-Kompass


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass 09. Juni 2020 Folge 66

Tim Deininger:, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte

Professor für Medizinische Mikrobiologie Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Dienstag, 9. Juni diese Ausgabe unseres Podcasts mit folgenden Themen:

1. Welche Bedeutung hat es in der Corona Pandemie,welche Blutgruppe ich habe. Bedeutet Blutgruppe A, dass ich ein viel größeres Risiko habe, im Falle einer Erkrankung mit einem schweren Verlauf rechnen zu müssen?

2. Die weitere Öffnung von Schulen und Kitas. Kann das guten Gewissens erfolgen durch ausreichende Tests.

3. Bergamo, die von Corona so schwer getroffene Stadt in Italien. Von 10.000 getesteten Bürgern haben dort 57 Prozent Antikörper entwickelt. Ist das ein Grad an Herden-Immunität, der ausreicht, um weiteren Corona- Wellen gelassen entgegensehen zu können?

Wir wollen helfen, die vielen Meldungen rum das neuartige Coronavirus einzuordnen. Wir beantworten Ihre Fragen. Ich bin Tim Deisinger, Redakteur Moderator bei MDR Aktuell. Einschätzungen holen wir bei dem renommierten Virologen und Epidemiologien. Alexander Kekulé.

Guten Tag, Herr Kekulé. Guten Tag, Herr Deisinger. Tim Deisinger:

Ich muss noch einmal was zu unserer aktuellen Taktung sagen. Die meisten werden registriert haben. Wir haben es ja auch offiziell verkündet. Wir haben den Takt unseres Podcasts etwas reduziert. Sie bekommen ihn künftig dienstags, donnerstags und samstags. Die Lage hat sich etwas entspannt. Die Entspannung scheint sich auch zu verstetigen. So denken wir, dass wir mit zwei, drei Ausgaben in der Woche auch erstmal gut hinkommen. Natürlich schauen wir uns weiter aktuelle Studien an. Wir beobachten die aktuelle Entwicklung und schauen auch, welche Fragen Sie auf dem Herzen haben. Wenn es notwendig ist, dann kann man den Takt ja auch wieder erhöhen.

Kommen wir zu den aktuellen Dingen, wie schon angedeutet. Immer wieder erreichen uns Fragen zu den sogenannten Risiko- Gruppen. Dieser Tage ist eine Studie rausgekommen. In Bezug auf die Blut- Gruppen häufen sich Fragen. Herr Kekule, diese Studie, diese Untersuchung, diese Veröffentlichungen in Sachen Blutgruppen. Vielleicht können wir überblicksmäßig sagen... Was sagt die aus?

Alexander S. Kekulé, [0:02:19] :

Es ist so, dass eine ältere Vermutung, die es schon länger gab, sich bestätigt hat. Blutgruppe A wahrscheinlich auch die Blutgruppe AB bedeutet ein höheres Risiko für schwere Verläufe bei Covid19. Wie hoch dieses Risiko wirklich ist, ob das klinisch eine große Rolle spiel? Das kann man noch nicht sagen. Da bin ich immer vorsichtig. Aber nachdem es jetzt zwei Studien gibt, die von ganz unterschiedlichen Seiten daran

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gearbeitet haben. Da würde ich mal sagen, dass kann man im Moment unterschreiben, dass Blutgruppe A etwas damit zu tun hat, dass hier die Verläufe schlimmer sind oder schwerer sind als beim Durchschnitt. Man hat sich ja auch einen relativ großen Personenkreis angeguckt.

Man hatte schon aus einer chinesischen Studie im März den Verdacht, dass die Blutgruppen was damit zu tun haben, wie leicht Menschen sich dieses Covid19 holen, also wie leicht sie infiziert werden. Da hatte man so etwa 1.700 Patienten damals aus zwei Städten, Wuhan und Shenzhen, aus diesen zwei betroffenen Regionen in China. Shenzhen ist da in Guangdong, nördlich von Hongkong, in China. Da hatte man die Patienten untersucht. Dann hat man festgestellt: Hoppla, die Blutgruppe A ist bei denen, die da krank sind oder auch besonders schwer krank sind, häufiger als beim Durchschnitt in der jeweiligen Region. Man kann grob sagen: ungefähr ein Drittel der Menschen hat Blutgruppe A. Man könnte daraus schließen, dass vielleicht die Menschen leichter dieses Covid19 bekommen, wenn sie Blutgruppe A haben. Das passte zu Daten von SARS von 2003. Damals war es so, dass viele Studien gezeigt haben, dass die Blutgruppe A mit häufigeren Infektionen assoziiert ist. Passend zu den alten Daten, die man aus der alten Studie aus März hatte und die man schon kannte von dem ersten SARS-Virus aus 2003. Da ist was Interessantes untersucht worden. Das war eine Arbeitsgruppe, die aus vielen Universitäten Mitgliedern bestand. Federführend waren Oslo und Kiel hier in Deutschland. Die hatten insgesamt 1.610 Patienten, die dieses Covid19 hatten, und zwar schwere Verläufe, besonders schwer kranke Menschen. Sie haben über 2.000 Kontrollen dazu genommen. Das Interessante ist, die haben das wirklich aus 7 Zentren in Europa zusammengezogen: italienische,

spanische Zentren, die besonders schwer befallen waren, Mailand unter anderem.

Tim Deisinger: [0:05:08] :

Habe bis jetzt recht verstanden, das sind quasi zwei Ebenen. Die 1.: Es kann sein, dass man es leichter bekommt mit Blutgruppe A?

2. Es kann auch sein, dass, wenn man es dann hat, dass es schwerere Verläufe gibt als zweite Ebene?

Alexander S. Kekulé [0:05:23] :

Ja, genau, die alte Idee war immer, dass man es leichter bekommt. Die neue Studie geht in die Richtung, dass es vielleicht auch mit schwereren Verläufen assoziiert sein könnte. Also so richtig belegt ist es hier meines Erachtens nicht. Aber es wird in diese Richtung spekuliert, weil man besonders schwer kranke Patienten hatte. Es ist verglichen worden mit der Durchschnittsbevölkerung, wie häufig haben die die Blutgruppe? Also kann man aus meiner Sicht das mit der Schwere der Krankheit aus dieser Studie aus der aktuellen Studie nicht wirklich ableiten. Was wir sehen ist, dass wahrscheinlich Covid19 häufiger ist bei diesen Blutgruppen.

Die haben eine interessante Methode gehabt, wie sie das überhaupt gefunden haben. Das fand ich eindrucksvoll. Sie haben quasi blind losgelegt. Die haben jetzt erst mal gesagt: Wir wollen überhaupt mal gucken, ob es irgendein genetischen Unterschiede gibt zwischen den Menschen, die schwer krank sind, und denen, die nicht so schwer krank sind. Das ist erstaunlich, dass manche so ganz schlimm krank werden bei Covid19, die große Mehrheit aber eigentlich nur leichte Erkrankungen bekommt. Es sieht ja so ein bisschen wie eine genetische Ursache aus. Da haben die eine Methode verwendet. Die heißt Genotypisierung. Da kann man gucken nach einzelnen Bausteinen in unserer

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Erbinformationen. Das sind Buchstaben, mit denen der Code des Lebens geschrieben ist. Da kann man gucken nach einzelnen Buchstaben, die bei bestimmten Menschen anders sind in bestimmten Chromosomen, wo unser Erbmaterial drinnen liegt. Diese einzelnen Buchstaben, wenn die sich unterscheiden. Das nennen wir auf Englisch Single Nucleotide Polymorphismus.

Da ist eine einziges Nucleotid, ein Buchstabe bei einem einzelnen Menschen plötzlich anders. die kann man mit modernen Methoden im ganz großen Stil miteinander vergleichen. Das haben die quasi blind übers gesamte Chromosom verglichen und geguckt, ist vielleicht irgendwo etwas unterschiedlich zwischen der Normalbevölkerung und denen, die so schwer krank sind mit Covid19. Wir haben zwei Treffer gelandet. Der eine Treffer ist tatsächlich ein Gen, was Eiweißmoleküle steuert, die mit diesem Rezept dort zu tun haben, an denen das Virus andockt. ACE2 heißt der. Das andere ist interessanterweise die Blutgruppen-Steuerung. Da, wo bei uns im Genom die Blutgruppe bestimmt wird. Ausgerechnet da gab es diesen Unterschied.

Tim Deisinger [0:07:46] :

Ich könnte mir vorstellen, dass Sie da noch mal kurz zu den Blutgruppen ein bisschen was näheres sagen. Also viele wissen möglicherweise ihre eigene Blutgruppe gar nicht. Dann gibt es natürlich auch viele Untergruppen. Was machen denn die Unterschiede aus?

Alexander S. Kekulé [0:08:08] :

Die Blutgruppen? Die sind eben gesteuert auf einem ganz bestimmten Chromosom bei uns.

Das ist, dass es dieses Chromosom 9 eine bestimmten Stelle dort, die heißt 9 Q34. Eine Arm von diesem Chromosom 9. Wenn man sich erinnert, wie die so aussehen, wie so kleine Ixe. Es ist so, dass dort gesteuert wird, welche Oberflächeneigenschaften die roten Blutkörperchen haben. Da gibt es die Blutgruppe null, die Blutgruppe A, AB und ein paar andere Untergruppen. B gibt es auch noch. Der Witz dabei ist: Wenn man Null hat, dann ist keine dieser Eigenschaften auf der Oberfläche keines der roten Blutkörperchen vorhanden. Deshalb hat jemand, der Blutgruppe Null hat automatisch Antikörper gegen A und B. Jemand, der z.B. eine Blutgruppe A hat, der hat dann keine Antikörper gegen A. Das ist ja logisch. Sonst würden diese Antikörper seine eigenen roten Blutkörperchen angreifen. Jemand, der AB hat, der hat auch keine Antikörper gegen B, weil die würden ja stören. Das ist der Grund, warum man bei Transfusionen vorher die Blutgruppe testen muss. Weil, wenn man jemanden hat, der zum Beispiel A hat und gibt dieses Blut jemanden, der B hat, dann würden die Antikörper jeweils die neu transfundierten Blutkörperchen zerstören. Dann kommt es zu ganz schlimmen Nebenwirkungen. Das will man natürlich nicht.

Tim Deisinger [0:09:33] :

Das sind die Unterschiede bei den Blutgruppen so wie man sie wahrscheinlich auch auf vielen Lehrbücher nachlesen kann. Aber konkret auf das Coronavirus bezogen, hat man da schon Erklärungsansätze, warum das bei der einen Blutgruppe so ist und warum das bei der anderen nicht so ist?

Alexander S. Kekulé [0:09:51] :

Na was, was wir schon länger wissen, wir wissen das von dem alten SARS-Virus, dass

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Antikörper gegen das A, also gegen das Blutgruppen Merkmal A, dass die tatsächlich andocken können an diesen ACE2 Rezeptor. Genau an den Rezeptor, wo das Virus typischerweise in der Lunge andockt. Dadurch blockieren diese Antikörper, gegen die Blutgruppe A, also gegen das Blutgruppenmerkmal A. Diese Antikörper blockieren auch im Zellversuch, das kann man auch im Labor zeigen, das Eindringen des Virus in die Lungenzellen. So dass jemand, der diese Antikörper hat, einen kleinen Schutz hat vor der Infektion. Die Leute, die diese Antikörper haben, sind eben typischerweise die mit der Blutgruppe Null. Die haben ja solche Antikörper. Die können sich die quasi leisten, weil sie keine Typ A Blutkörperchen haben. Die würden sonst kaputt gehen. Weil wir durch diese Blockade, die man schon kennt, von SARS 1. Von einem alten SARS-Virus ist es eben so, dass man vermutet hat, dass könnte bei dem neuen auch so sein. Das ist jetzt der Heureka Effekt, dass man das gefunden hat. Es sieht so aus, als wären bestimmte Menschen durch Antikörper, die sie im Blut haben, bis zu einem gewissen Grad davor geschützt, dass dieses Virus in Lungenzellen eindringt.

Tim Deisinger [0:11:16] : Lässt sich daraus irgendetwas ganz praktisches

ziehen?

Alexander S. Kekulé [0:11:33] :

Ich glaube, dass wir in den nächsten Monaten dazu kommen werden... Das ist natürlich nicht aus diesem und aus diesem Merkmal alleine ableitbar. Aber aus diesen und vielleicht weiteren, die genetisch festgestellt werden. Wir können relativ genau feststellen, welche Menschen ein erhöhtes Risiko haben. Wenn jemand schwerstkrank ist, natürlich, wenn man eine schwere Herz-Kreislauf- Erkrankungen hat oder Asthma oder

ähnliches in ganz schlimmer Form. Dass so jemand ein hohes Risiko hat, mit Covid19 zu sterben. Das ist ja bekannt. Oder auch alte Menschen. Aber wir wissen auch, dass es immer wieder junge gibt, die dann sogar tödliche Verläufe haben. Bei denen wollen wir wissen: Gibt es da vielleicht irgendetwas Genetisches? Im Moment glaube ich, so für den Hausgebrauch kann man nichts mitnehmen, außer dass ich vielleicht tatsächlich, wenn ich Blutgruppe A hätte oder in dem Fall auch AB, dass ich da etwas vorsichtiger wäre. Aber vorsichtig sein kann man ja bei dieser Erkrankung sowieso allen nur empfehlen. Deshalb ist diese Abgrenzung 45 Prozent mehr Risiko für A, 35 Prozent weniger Risiko als der Durchschnitt für Blutgruppe Null ist etwas, was im Alltag relativ wenig hilft.

Tim Deisinger [0:12:47] : Wie viel Prozente der Bevölkerung haben

Blutgruppe A oder AB?

Alexander S. Kekulé [0:12:56] :

Die Verteilung ist so: In den meisten Bevölkerungen, die das Merkmal A bei einem Drittel ungefähr haben, Blutgruppe Null ist auch ungefähr ein Drittel. Dass ist je nachdem, wo man genau nachschaut ein bisschen unterschiedlich. AB ist sehr, sehr selten, kann man sagen. Übrigens sind die Blutgruppen auch mit anderen Erkrankungen assoziiert. Wir wissen zum Beispiel, dass Menschen, die AB haben, häufiger dement werden. Das ist ein relativ deutliches Risiko, bei manchen Studien über 50 Prozent, sodass wir auch da den Verdacht haben, das kann was mit Thrombose Neigung zu tun haben. Oder auch mit Krankheitserregern, die wir bis jetzt noch nicht auf dem Schirm haben. Dass diese, dass diese Antikörper, die bei unterschiedlichen

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Blutgruppen unterschiedlich sind. Dass die eben was damit zu tun haben, gegen welche Krankheiten man geschützt ist und gegen welche nicht.

Tim Deisinger [0:13:45] :

Okay, Punkt zu diesem Thema an dieser Stelle. Wir behalten im Auge, was es in den nächsten Wochen dazu gibt. Schulen bzw. Schulschließungen hierzulande, da geht es dann wieder ziemlich durcheinander. Generell wird weiter geöffnet. Jetzt ist dieser Tage auch noch eine Studie veröffentlicht worden von der University of Oxford. Die besagt, dass Schulschließungen offenbar eines der effektivste Mittel war, um die Pandemie zu bekämpfen.

Alexander S. Kekulé [0:14:32] :

Ja, das ist tatsächlich eine interessante Studie. Die ist gerade aktuell rausgekommen. Die haben die Gretchenfrage versucht zu beantworten, was natürlich ganz viele zurzeit untersuchen. Darum muss man sagen: Das ist nur ein kleiner Meilenstein. Die haben 9 verschiedene Maßnahmen verglichen in 41 Ländern. Das ist eine ganz große Studie, die versucht statistisch irgendwie rauszukriegen, welche Maßnahmen haben bezüglich der Verringerung dieser Reproduktionszahl R irgendetwas gebracht? Da ist herausgekommen, dass den deutlichsten Effekt in dieser Studie, dass war fast ein bisschen überraschend, tatsächlich die Schulschließungen hatten. Also die Reduktion von Infizierungen umfasste statistisch ungefähr 50 Prozent. Das heißt, er wurde ungefähr halbiert. Allein durch die Schulschließungen, wenn man das ausrechnet. Das lag noch vor dem Schließen von nicht notwendigen Geschäften. Das war ungefähr 34 Prozent oder auch, was ich interessant

fand, auch effektiver als die Zusammenkünfte von Menschen zu limitieren. Also dieses Kontaktverbot, das war weniger effektiv. Man konnte in der Studie auch zeigen, dass Kontaktverbot mit einer Maximalgrenze von 10 deutlich effektiver ist, als zum Beispiel Kontaktverbot mit einer Höchstgrenze von hundert oder tausend. Das ist deshalb für mich wichtig, weil man an diesen Kleinigkeiten sieht, dass die Daten auch sauber ausgewertet werden. Da gibt es keine Widersprüche, weil es ist ja klar, wenn man ein Treffen von tausend Menschen erlaubt, dass das nicht so wirksam sein kann bei der Reduktion der Reproduktionszahl als wenn man die Grenze schon bei zehn macht. Für mich noch das letzte Relevante hier war dass, wenn man die Leute auffordert, zuhause zu bleiben. Das, was wir als Lockdown so bezeichnen. Das bewirkt in dieser Studie nur 14 Prozent. Da reduziert sich R im Mittelwert um 14 Prozent. Kann sein, dass da viele Faktoren ineinander spielen und auch der Zeitpunkt, zu dem man das macht unterschiedlich ist. Man fängt ja in der Regel an mit Schule schließen. Das ist so die alte Faustformel, seit den Grippe-Pandemien. Bis man den Leuten wirklich sagt: Ihr müsst jetzt zuhause bleiben, ist vorher relativ viel passiert, sodass möglicherweise dieser Effekt in dieser Studie nicht mehr so deutlich war.

Tim Deisinger [0:17:02] :

Aber Schulschließungen waren auf jeden Fall die effektivste Maßnahme gegen Corona, effektiver gegen die Pandemie etwas zu unternehmen, das hatte ich eingangs gesagt. Das lebt man hierzulande. Schulen werden immer weiter geöffnet. Wenn Schulschließungen die effektivste Methode sind, muss man ein bisschen genauer hingucken, ob diese Öffnung wieder mit Maß passieren.

Alexander S. Kekulé [0:17:28] :

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Es ist ein Experiment, was wir jetzt bundesweit machen, dass das so viele zugleich machen. Man muss noch dazu sagen wenn so eine Schulschließung effektiv ist, dann kann es verschiedene Gründe haben. Einer ist ja der, dass möglicherweise die Kinder selbst ansteckend wären. Da muss man betonen, das ist noch nicht klar. Auch die deutsche Studie von Christian Drosten wurde ja insofern revidiert. Diese entscheidende Aussage, dass die Konzentration von Viren in Rachen überall gleich ist bei Erwachsenen und bei Kindern, das wurde ja nochmal modifiziert. Also, da wissen wir es nicht, ob die Kinder jetzt genauso ansteckend sind wie Erwachsene oder nicht. Schulschließung kann ja auch indirekte Effekte haben. Zum Beispiel, dass die Eltern zu Hause bleiben, weil sie auf die Kinder aufpassen müssen. Oder dass die Kinder dann aus anderen Gründen anderes Kontaktverhalten haben und Ähnliches, wenn man die Schulen wieder aufmacht, meine ich. Wenn wir nach Frankreich schauen, haben wir natürlich die Sorge. Zahlreiche Schulen wurden da wieder zugemacht, nachdem man sie vor Wochen geöffnet hat. Es gab eben mehr oder minder große Ausbrüche. Wenn ich nach Israel schaue. Da ist es so, dass fast hundert Schulen in Israel wieder zugemacht werden mussten. Die Israeli haben ja sehr, sehr früh so eine Art Lockdown verhängt. Der war deutlich strenger als das, was wir in Deutschland hatten. Die haben deshalb eigentlich die Krankheit sehr gut im Griff gehabt. Sie waren in einer Situation kann man sagen, wo wir jetzt sind. Sie haben dann auch die sehr, sehr zügig die Schulen wieder aufgemacht. Hauptsächlich auf politischen Druck, natürlich, das ist auch nachvollziehbar. Jetzt müssen sie wieder zumachen. Es wird sogar diskutiert, ob man einen landesweiten Lockdown wieder macht. Wir müssen einfach hoffen, dass es bei uns gut geht. Aber ich sage mal so: So ganz 100 Prozent zuverlässig, ist das nicht.

Tim Deisinger [0:19:23] :

Sie haben auch immer wieder gefordert, dass das Ganze von umfassenden Tests begleitet wird. Wenn wir es mal nach Sachsen schauen. Ich glaube, da macht man in mehr als einem Dutzend Schulen umfassende Tests. Da wird wirklich durchgetestet, um mal zu schauen, welche Auswirkungen hat diese Öffnung. Das schützt den einzelnen an einer Schule, in der vielleicht nicht getestet wurde, nicht wirklich. Aber aus epidemiologischer Sicht macht so eine Stichprobe Sinn? Reicht das aus?

Alexander S. Kekulé [0:19:53] :

Es ist zumindest extrem wichtig. Wir nennen das Begleitforschung. Das heißt, man macht irgendeine Maßnahme und guckt zugleich ganz genau, was es bewirkt. Ich hätte mir ehrlich gesagt gewünscht, dass man genau das früher gemacht hätte aus mehreren Gründen. Der eine Grund ist offensichtlich, dass die Gefahr besser im Griff zu halten ist, wenn man nicht alle Schulen zugleich aufmacht und wenn man dann die Begleitforschung macht. Der andere Grund ist ein bisschen fernliegender. Wir haben ja wesentlich weniger Fälle als noch vor ein paar Wochen. Deshalb werden wir jetzt auch weniger Effekte sehen. Selbst wenn wir diese Begleitforschung machen, wird es schwierig sein, dass statistisch herauszurechnen. Lag es jetzt wirklich an der Schulöffnung oder an was anderem, wenn die Fälle wieder hochgehen? Das wären sicher vor ein paar Wochen bessere Bedingungen gewesen, weil die Fallzahlen noch höher waren. Umgekehrt gibt es jetzt in die Zukunft blickend bei all diesen Forschungen die Sorge, die ich wirklich habe. Wir werden aus verschiedenen Gründen durch unsere Maßnahmen und durch den Sommer einfach eine stark sinkende Fallzahl haben.

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Dadurch verpassen wir das Fenster, indem wir solche Forschung überhaupt machen können. Das betrifft die Effekte von Schulschließungen. Das betrifft die Therapie von bestimmten Medikamenten. All diese Dinge kann man nur machen, wenn es auch Fälle gibt. Ich habe Sorge, dass wir am Ende dieser Welle, die jetzt im Sommer offensichtlich zu Ende geht, dass wir am Ende dieser ersten Welle nicht so viel schlauer sind als vorher. Dass wir dann im Herbst wieder anfangen zu diskutieren, ob es sinnvoll ist, Schulen zu schließen oder nicht. Deshalb ganz wichtig diese Begleitforschung, die muss man jetzt machen. Es ist schon fast ein bisschen zu spät dafür.

Tim Deisinger [0:21:35] :

Man hätte vielleicht bessere Ergebnisse, wenn man nicht nur an ausgewählten Schulen testet, sondern umfassend. Ich meine, das wäre ja doch für den normalen Schulbetrieb auch notwendig, oder?

Alexander S. Kekulé [0:21:48] :

Das eine ist die Forschung. Als Wissenschaftler finde ich das interessant, die Ergebnisse zu haben. Aber das andere ist die politische oder die Sicherheits-Frage. Da steht nach wie vor meine Forderung: Ich sehe nicht ein, warum wir unsere bundesweiten Testkapazitäten, die wir haben, nur zu einem Drittel auslasten. Im Moment: zwei Drittel sind nicht ausgelastet. Trotzdem sind wir nicht einmal in der Lage, Pool-Tests zu machen, wo man mal ein ganze Kindergartengruppe oder eine ganze Grundschulklasse auf einmal testet. Die sind wahrscheinlich sowieso alle negativ. Das heißt, ein Test für alle reicht. Wenn so einer positiv ist, kann man ja nach untersuchen. Ich verstehe nicht, woran es liegt. Wenn ich den Bundesfinanzminister höre, liegt es offensichtlich nicht am Geld bei.

Sollte es auch nicht, weil es eine prophylaktische Maßnahme ist. Vorbeugen ist immer besser als hinterher Geld ausgeben. Das kann ich nicht so richtig nachvollziehen, warum das nicht gemacht wurde.

Tim Deisinger [0:22:54] :

Kommt jetzt der Bundesgesundheitsminister mit der Verordnung zum Anspruch auf bestimmte Testungen für den Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus Sars CoV-2. Die Verordnung tritt heute in Kraft. Damit sollen Tests ausgeweitet werden. Damit können auch Personen getestet werden, die keine Symptome haben. Allerdings, wenn ich das so überfliege ... Das Gesundheitsamt und der behandelnde Arzt entscheiden, ob ein Test durchgeführt wird, das kann ich nicht persönlich machen.

Oder nehmen wir mal die Pflegeheime. Da steht zum Beispiel, dass dort zwar Reihentests gemacht werden können, aber immer nur, wenn in der jeweiligen Einrichtung ein Fall aufgetreten ist. Ich habe den Eindruck, das geht so ein bisschen in diese Richtung, die Sie fordern. Aber es bleibt auf dem Drittel des Weges, vielleicht auf der Hälfte stehen.

Alexander S. Kekulé [0:23:58] :

Ich muss zugeben, ich weiß nicht, was da hinter den Kulissen gelaufen ist. Der Bundesgesundheitsminister hat ja schon vor vielen Wochen angekündigt, dass er die Testungen ermöglichen will, auch wenn es nicht krankheitsbezogene ist. Bisher steht ja die Empfehlungen im Raum, immer noch des Robert Koch-Instituts, nur krankheitsbezogen zu testen. Der Hintergrund ist, es sollen sich nicht Leute testen und dann hinterher sagen, ich habe es nicht. Also kann ich die Sicherheitsvorkehrungen ignorieren. Aber das

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Gegenargument, dass man zum Beispiel Schulen dadurch sicherer machen kann, dass man die Besuche in Altersheimen flexibler gestalten kann. Dass die alten Menschen eben auch engeren Kontakt haben können, wenn kurz vorher getestet wurde. Bis hin zum Thema Einreisen. Alle unsere Lebensbereiche spielen ja da eine Rolle. Das Thema war eben offen. Da habe ich die Ankündigung immer so verstanden, dass es hieß: Ja, wir wollen es ermöglichen. Ich habe es auch nur überflogen, weil es ganz frisch ist. Aber was Sie sagen, sehe ich auch so. Offensichtlich muss das Gesundheitsamt direkt anordnen. Das ist in der Praxis ganz selten mal der Fall. Prophylaktisch kann man ja nicht jede Schulklasse auf die Weise testen per Anordnung des Gesundheitsamtes. Zweitens krankheitsbezogene. Das hatten wir ja mehr oder minder bisher auch. Es geht offensichtlich ums Geld. Ist so mein Eindruck. Die Krankenkassen sollen es zahlen. Die Krankenkassen haben wahrscheinlich gesagt, vermute ich, dass, wenn es nicht irgendetwas mit Krankheit zu tun hat, da sind wir nicht zuständig. Deshalb ist das Höchste der Gefühle für die zu zahlen, wenn eine Kontaktperson eines bekannten Kranken getestet werden soll. Das kann man ja noch indirekt begründen. Aber da wird es sicher eine Weigerung gegeben haben, dass die Kassen für das generelle prophylaktische Testen aufkommen sollen.

Tim Deisinger [0:25:53] :

Der Bund sagt: Es ist eine versicherungsfremde Leistungen. Der Bund sagt ja auch: Wir zahlen den Zuschuss aus Steuermitteln für versicherungsfremde Leistungen. Dadurch könnt ihr das mal machen.

Alexander S. Kekulé [0:26:07] :

Man muss natürlich daran erinnern: das Bashing des Bundes ist eine Sache. Aber der Bund ist natürlich zuständig dafür, festzustellen, was die Krankenkassen zahlen sollen. Aber der Bund kann sich nicht einmischen oder nur Empfehlungen abgeben bei der Frage, was die Länder selbst für Tests anordnen und von Staats wegen bezahlen. Letzteres wäre notwendig, um die Sicherheit in Heimen und Schulen weiter herzustellen.

Tim Deisinger [ [0:26:39] :

Kann man einen Überblick geben? Sie sprechen davon, wir sollten die Testkapazitäten, die wir haben, ausnutzen. Wie groß sind diese Kapazitäten mittlerweile?

Alexander S. Kekulé [0:26:56] :

Die Testkapazitäten werden ja nur so ungefähr dem Robert-Koch-Institut gemeldet. Das hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel wie der Nachschub. Was zurzeit gemeldet wird, liegt in der Größenordnung von 1,2. Millionen Tests pro Woche. Ungefähr ein Drittel davon wird genutzt.

Tim Deisinger [0:27:16] :

Getestet hat man auch in Italien. Das ist vielleicht am Ende eine gute Nachricht von dort nach all den vielen schlechten. In Bergamo also in der Stadt, die so oft in den Medien war, die so hart getroffen war von Corona. 10.000 Leute hat man dort getestet. Man hat festgestellt, dass 57 Prozent der Getesteten Antikörper entwickelt haben. Ist das jetzt letztlich wirklich eine gute Nachricht? Die 57 Prozent sind ja ziemlich nah an der

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Zahl, von der immer gesprochen wird, wenn von Herden-Immunität gesprochen wird.

Alexander S. Kekulé [0:27:52] :

Die rein statistische, mathematische Herden- Immunität wird bei 60 bis 70 Prozent erreicht. Das liegt daran, dass R 0, also die Höchstgeschwindigkeit der Ausbreitung bei diesem Covid19 liegt, eben in der Größenordnung von drei. Das heißt, einer kann drei anstecken, wenn das Virus sich komplett ungehemmt ausbreitet. D.h. man muss zwei von drei Ansteckungen verhindern. Das sind es 66 Prozent, um R auf eins zu bringen, also die Ausbreitung dann mehr oder minder zu stoppen. So wird es quasi berechnet, nach einem einfachen Dreisatz. In der Praxis ist es so, dass, wenn man mehr als 50 Prozent Immune hat, das hat ganz massive Effekte auf die Ausbreitung. Da hat man schon den Schutzeffekt mit protektivem Effekt. Auch wenn es noch keine volle Immunität ist. Bestimmte Teile der Bevölkerung, die besonders sozial aktiv sind. Die haben eine hohe Chance, sich das Virus einzufangen. Wenn die geschützt sind - die werden ja natürlicherweise als erstes infiziert - dann werden sie damit auch als erstes geschützt. Dann üben die quasi einen protektiven Effekt auf die anderen aus, die in Nischen sind. Zum Beispiel für ältere Leute, die zu Hause sind und gar nicht so viele Kontakte haben. Aus dem Grund genügt also so 50 Prozent, um einen ganz, ganz deutlichen Effekt zu haben. Ich bin da ein bisschen vorsichtig bei den Daten aus Bergamo, weil das ja nur Verlautbarungen dort von den Politikern oder von der Verwaltung waren. Wir wissen nicht genau, welche Methode die genommen haben. Es ist nämlich so, dass diese Schnelltests, die man manchmal im Fernsehen sieht, wo man sich einen kleinen Picks in den Finger macht. Wo man auf so einer kleinen Plastik-Kassette quasi ein Blutstropfen darauf macht. Man sieht

diese Antikörper-Schnelltests. Die sind nicht sehr zuverlässig. Ganz viele von denen gelten als unzuverlässig. Im Gegensatz dazu gibt es einen Test, der im Labor gemacht wird, wo man das dann einschickt an ein größeres Labor. Da kann man sagen, dass die inzwischen eigentlich als relativ vertrauenswürdig gelten. Man kann da auch sagen, jemand, der positiv ist bei so einem Labortest, der hat normalerweise auch eine Immunität gegen das Virus. Das ist ja ein Punkt, der ganz groß umstritten war. Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Aber deshalb ist es die Frage, wie haben die das technisch gemacht.

Tim Deisinger [0:30:14] : Immunität würde auch für den Herbst gelten,

wenn eine mögliche zweite Welle käme?

Alexander S. Kekulé [0:30:27] :

Davon würde ich ausgehen. Es wird nicht so groß verändert sein, das Virus. Das ist so, dass diese Corona-Viren ständig um die Erde zirkeln und genetische Veränderungen machen. Antikörper passen dann vielleicht nicht mehr ganz so perfekt drauf. Es gibt ja auch die Antikörper, die man nachweist. Nur ein Teil davon sind die Antikörper, die wirklich das Virus neutralisieren können, wenn es noch mal kommt. Da gibt noch einmal feine Unterschiede. Aber ich würde sagen, jemand, der überhaupt Antikörper gegen Covid19 hat und zwar aus dem Grund hat, weil er eine Infektion durchgemacht hat und wieder gesund geworden ist. Der hat ein Immunsystem, das mit dem nächsten Angriff durch das gleiche Virus klarkommt. Das heißt, falls er überhaupt Symptome bemerkt, werden die relativ leicht sein.

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Tim Deisinger [0:31:15] :

Ich könnte mir vorstellen, dass da vielleicht sogar manch einer überlegt: Wohin fahre denn in den Urlaub? Dass sich der Mensch sagt, da ist die Region fast 60 Prozent immun. Ist das nicht logisch und sicher, genau dort möglicherweise einen Urlaub zu buchen?

Alexander S. Kekulé [0:31:38] :

Für die Einwohner dort ist es relativ sicher, weil die die Immunität haben. Wenn man hinfährt, muss man immer damit rechnen: Es gibt ja auch andere Touristen, von dem man sich anstecken kann. Die Deutschen sind ja heute das Hauptproblem im Ausland. Wir sind ja die Risikoregion und nicht die anderen. Das andere ist, dass in so touristischen Bereichen ganz viele Menschen arbeiten, die da vorübergehend sind. Das Personal in Restaurants und Hotels ist ja zum großen Teil nicht vom Ort selbst. Ich würde nicht so schnell den Schluss ziehen, dass das ein besonders guter Ort ist. Was man schon sagen kann: Bergamo hat es besonders schlimm erwischt. Es war ja katastrophal, wie es denen dort ergangen ist, was die dort an Sterblichkeitsraten hatten. Da gab es das berühmte Fußballspiel in Mailand, wo die ganzen Fans aus Bergamo kamen und sich da wohl infiziert haben und das Virus weiter getragen haben. Aber am Schluss der ganzen Sache ist natürlich: Der, der es am schlimmsten durchgemacht hat, ist auch der erste, der immun ist. Das ist leider die Regel des Spiels hier.

Tim Deisinger [0:32:48] :

Nun zu den Fragen der Hörer: Nach einem positiven Antikörpertest und nach durchlaufender Erkrankung. Kann man dann noch mal ansteckend sein?

Alexander S. Kekulé [0:33:19] :

Es geht um jemanden, der sich offensichtlich schon mal angesteckt hat. Jemand, der ganz sicher positiv war und ob der sich später nochmal sich anstecken kann. Es sieht so aus, als wäre das nicht möglich. Also die aktuelle Arbeitshypothese, die eigentlich alle haben auf dem Gebiet ist. Wenn wir Monate nach so einer Infektion immer noch das Virus nachweisen können bei dem Menschen. Das ist das gleiche Virus in größerer Menge und mal in kleinerer Menge. Wir wissen nicht genau, wie infektiös diese Menschen dann sind. Man muss davon ausgehen, dass das eigene Immunsystem schon gegen das Virus kämpft, sonst wären sie ja zwischendurch nicht gesund geworden. Ob es dann zu ausreichend hohen Viruskonzentrationen zum Beispiel im Rachen kommt, dass man jetzt andere anstecken kann. Das ist nicht klar, weil es ist ein Unterschied, ob man in so einem PCR-Test irgendwelche Viruspartikel nachweist. Die können sozusagen entweder tot oder scheintot oder halbtot sein. Oder ob man ein infektiöses Virus hat, was zum Beispiel in der Zellkultur nachgewiesen werden könnte. Also in dem Sinn, dass man das Virus im Labor zur Vermehrung bringt. Diese feinen Untersuchungen, diese speziellen Untersuchungen sind aber da noch nicht richtig gemacht worden, sodass ich davon ausgehe - als Arbeitshypothese: Solange man keine genauen Daten hat, dass jemand, der die Infektion schon durchgemacht hat, dann nicht beliebig lang wieder ansteckend ist und sich nicht noch einmal infizieren kann.

Tim Deisinger [0:34:57] :

Zum Thema Friseurbesuch erreichen uns immer noch viele Mails. Eine anonyme Hörerin hat uns auch mitgeteilt. Ich zitiere

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mal: die Berufsgenossenschaft der Friseurin schreibt vor: Jedem Kunden müssen vom Personal grundsätzlich die Haare gewaschen werden, da eine Viruslast in den Haaren nicht ausgeschlossen werden kann. Das Personal trägt Handschuhe, desinfiziert die Hände vor jedem neuen Kunden. Außerdem trägt das Personal eine FFP-Maske und jeder Kunde einen Mund-Nasen-Schutz. Ist das Haarewaschen, wirklich erforderlich? Oder zeigt es, dass Hygienekonzepte nicht von Fachleuten überprüft werden?

Alexander S. Kekulé [0:35:35] :

Ich glaube, dass Haarewaschen als Maßnahme oder als Empfehlung sinnvoll ist im Friseurbereich. Das Desinfizieren, was gerade genannt wurde, halte ich nicht für sinnvoll. Handschuhe anziehen muss man beim Haare waschen nur dann, wenn man empfindliche Hände hat oder vielleicht Wunden an den Händen hat. Sonst würde es auch reichen, sich nach dem Haare waschen oder durch das Haarewaschen selber die Hände zu waschen. Es ist aber so, dass man sich das so vorstellen muss. Wenn die Haare trocken geschnitten werden, kommt es zu einer Staubentwicklung. Das ist normal, wenn man da schnippelt, dass die Haare auch noch schmutzig sind, möglicherweise. Dieser Staub verteilt sich im Raum. Wenn jetzt der Friseur die ganze Zeit daneben steht, da hätte ich dann schon die Befürchtung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er das inhaliert, höher ist, als wenn die Haare gewaschen sind. Darum hätte ich wahrscheinlich auch empfohlen Haarewaschen, ja. Desinfektion. Da halte ich grundsätzlich nicht viel davon, weil das normale Waschen genauso effektiv ist. Zumindest für den Freizeitbereich sage ich mal den Bereich außerhalb des Krankenhauses.

Tim Deisinger: Dann hat uns noch Herr Pelzer angerufen.

Herr Pelzer

Ist es richtig, dass wegen verminderter Reaktion des Immunsystems bei Älteren auch mit Impfstoff, diese nie wieder ohne Masken raus gehen sollten? Bis ein Medikament entsteht?

Alexander S. Kekulé [0:37:05] :

Das ist die super pessimistische Lesart. Bei der Influenza wissen wir, dass bei älteren Menschen diese Influenza-Impfung wo sie am wichtigsten wäre, bei Ü 65, da wirkt sie am schlechtesten. Die Zahlen sind unterschiedlich. Bei der Influenza gibt es den Vorteil, dass alte Menschen meistens schon ein paarmal die Grippe durchgemacht haben ... Bei ihnen ist es nicht mehr ganz so dramatisch, wenn die Impfung nicht perfekt wirkt. Man könnte spekulieren, wenn es bei Covid19 genauso wäre - das hat der Hörer quasi da so impliziert, dann hätten die jetzt ein Problem, weil wenn der Impfstoff, der bei jungen Leuten getestet wird, weil man für solche Tests keine Menschen mit Risikofaktoren nimmt. Wenn der dann bei Alten nicht richtig wirkt, dann hätten die ein Problem. Das wäre sozusagen der größte anzunehmende Unfall. In der Impfstoffherstellung gibt es eine ganze Reihe von Tricks, die Impfstoffe so hin zu basteln, dass sie auch bei Menschen mit einem älteren Immunsystem noch eine Wirkung haben. Aber wenn all diese Tricks versagen sollten und man es nicht hinkriegt, einen bei alten Menschen wirklich wirksamen Impfstoff zu entwickeln. Dann ist das ein Problem, weil man dann die Personen, die man eigentlich am meisten schützen müsste, vor der Infektion am schlechtesten schützen kann.

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Tim Deisinger:

Tim Deisinger

Zum Schluss die Frage von Herrn Bollmann.

Herr Bollmann:

Wenn ich einkaufe, trage ich FFP3 Maske und eine Schutzbrille. Schutzbrille tragen die anderen nicht, muss ich noch eine Schutzbrille tragen?

Alexander S. Kekulé:

Die Schutzbrille beim Einkaufen zielt darauf ab, dass man keine direkte Tröpfcheninfektion ins Gesicht bekommt. Das war noch einmal der Unterschied zwischen dieser Aerogene- Infektion, die man durch Einatmen sich holen kann. Der zweite Weg ist die Tröpfcheninfektion, wo man jemanden direkt gegenüberstehen muss. Ich glaube, in der jetzigen Zeit hat sich das einfach so geändert, dass die Menschen vorsichtig sind. Man spricht sich nicht mehr aus kurzem Abstand ins Gesicht, wenn man fremd zueinander ist. Der andere hat ja in der Regel dann zumindest einen einfachen Mundschutz auf, so dass ich davon ausgehen würde, dass mit den Schutzbrillen ist im normalen Bereich außerhalb des Krankenhauses nicht mehr notwendig.

Tim Deisinger [0:39:40] :

Damit sind wir auch erst mal wieder durch. Das war's für heute. Vielen Dank, Herr Kekulé, Bitte denken Sie daran: Wir haben ja den geänderten Takt: nicht bis morgen, sondern bis Donnerstag.

Alexander S. Kekulé

Bis dann Herr Deisinger.

Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie uns unter MDR-Aktuell-Podcast.mdr.de. Oder rufen Sie uns an unter 0800 322 00. Möglich auch bei Twitter unter dem Hashtag #Kekules Corona-Kompass gibt es in der ARD Audiothek bei Spotify, bei Apple, Google, YouTube auf MDR aktuell.

MDR-Aktuell: Kekules Corona-Kompass

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MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass 06. Juni 2020 Folge 65

Camillo Schumann, Moderator

MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé, Experte

Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle

Camillo Schumann:

Was sollte ich als ältere Person im Fitnessstudio beachten? Muss ich aus Angst vor einer Infektion auf Erdbeerkuchen verzichten? Es ist wieder Zeit für ein „Hörerfragen SPEZIAL“. Die Antworten kommen - wie immer - vom Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, hallo.

Alexander Kekulé:

Hallo, Herr Schumann.

Camillo Schumann: Die Erdbeerkuchen-Frage gibt es zum Schluss dieser Ausgabe. Vorher starten wir mit Herrn H. aus Tauberbischofsheim. Er fragt per Mail: „Können die SARS-CoV-2-Viren mit dem PCR-Test schon vor Symptombeginn nachgewiesen werden?“

3 [0:00:45]:

Alexander Kekulé:

Ja, Symptome können manchmal vorher nachgewiesen werden, aber relativ kurz, maximal zwei Tage vorher. Für den Hausgebrauch kann man sagen: Am Tag, bevor man Symptome hat, ist man wahrscheinlich schon ansteckend.

4 [0:01:03]: Camillo Schumann: Hat sich an diesen Zeiträumen, von denen man immer ausging, irgendetwas geändert in den letzten Wochen und Monaten?

3 [0:01:11]:

Alexander Kekulé:

Es ist immer die Frage, ob man das akademisch sieht, oder ob man das pragmatisch für die Epidemiebekämpfung sieht. Aus pragmatischer Sicht ist es so, dass wir von Anfang an gesagt haben: Am Tag, bevor die Symptome auftreten, sind viele Viruserkrankungen schon ansteckend. Und wahrscheinlich ist es hier auch so. Das gilt nach wie vor. Das ist übrigens bei vielen Kinderkrankheiten auch so, dass man am Tag vorher schon ansteckend ist. Aber es gibt Wissenschaftler, die untersuchen einzelne Patienten, einzelne Fälle ganz genau. Und sie sagen z.B.: In diesem einen Fall habe ich das Virus schon zweieinhalb Tage vorher nachweisen können. Das heißt noch nicht, dass jemand generell ansteckend ist. Das ist einfach nur eine Einzelbeobachtung. Bei der Ansteckungsfähigkeit kommt es ja auch auf die Dosis an, also wie viel Virus scheidet jemand aus, sodass man sagen muss, wenn es jetzt Ebola wäre und wenn es darum ginge, jemanden auf Teufel komm raus zu schützen, damit sich wirklich niemand ansteckt, dann müsste man den Zeitraum weiter fassen. Epidemisch ist es so, dass wir eine Statistik haben, die sehr interessant ist: Man kann bei größeren Populationen einen Mittelwert herauskriegen, nach wie vielen Tagen jemand einen anderen Menschen infiziert hat. Das nennen wir Infektionsintervall. Dieses Intervall umfasst denjenigen Zeitraum, wie lange es im Durchschnitt dauert, bis der nächste angesteckt wurde. Und dann gibt es noch die Inkubationszeit. Das ist der Zeitraum, der anzeigt, wie lange es im Durchschnitt dauert, bis jemand Symptome hat. Das ist bei Covid19 im Mittelwert fünf Tage. Aber ich weiß jetzt nicht genau die Stelle hinter dem Komma auswendig. Im Mittelwert dauert es fünf Tage bis zum

Symptombeginn, aber nur vier Tage im Schnitt dauert es bis zur Infektion der nächsten Person. Da liegen 0,5 bis 0,8 Tage dazwischen. Das heißt, es ist ein besonderer Fall, da kurz vor dem Auftauchen der Symptome die Menschen schon jemanden infiziert hat. Das macht es so schwierig, das Virus einzudämmen. Aber noch folgende Einschränkung: Wer welche Symptome meldet, ist auch individuell unterschiedlich. Ein sensibler Deutscher, der Angst hat vor Corona, merkt es jetzt gerade in dieser Lage relativ früh, wenn er Angst hat, er hat Corona. Da kratzt mich etwas im Hals, ich bin nicht so fit wie gestern. Irgendetwas ist da. Und wenn Sie dieses sehr sensible Niveau von Symptomen nehmen würden, dann wird es wahrscheinlich mit dem Beginn der Ansteckungsfähigkeit überlappen.

5 [0:03:39]:

Camillo Schumann:

Gerade diese von Ihnen angesprochene Sensibilität ist wünschenswert. Man würde sich wünschen, dass sie sich in der Bevölkerung für die zweite Welle oder für Influenza verbreitet. Damit man mehr auf sich achtet und nicht mit einer Rotznase auf Arbeit geht, nur weil man denkt, ich bin aber jemand, der gerne arbeitet, sondern eben mal zu Hause bleibt. Vielleicht kann man das als Lehre daraus ziehen.

6 [0:04:02]:

Alexander Kekulé:

Das finde ich toll, dass Sie das sagen. Das kommt in meiner Vorlesung übrigens auch immer vor. Diese scheinbar leichten Erkrankungen - eine Grippe ist für viele auch nichts Schlimmes, die meisten kommen damit klar- sind Erkrankungen, die uns dann vom Virus her und von der Verbreitung des Virus im Körper zum Teil viel mehr belasten, als wir das subjektiv merken. Ich finde es daher wichtig, wenn man sich nicht gut fühlt, lieber mal einen Tag zuhause zu bleiben. Wir müssen diese Symptome tatsächlich auch so als einen Schuss vor den Bug sehen. Oft ist es ja so: Man hat sich

überarbeitet, man hat sich gestresst. Dann hat man jemanden getroffen, der infektiös ist. Und dann kriegt man halt diese Krankheit. Wenn man selber vielleicht ausgeruhter wäre, wäre es vielleicht nicht so weit gekommen oder man hätte es leichter weggesteckt. Diese Sensibilität dafür zu haben, dass man, wenn es einem schlecht geht, runterfährt und nicht unbedingt das Tennismatch am Nachmittag spielt, ist eine wichtige Lehre, die man mitnehmen kann.

2 [0:05:08]:

Camillo Schumann:

Es gibt offenbar eine große Verunsicherung. Wir haben ebben darüber gesprochen: Gehe ich bei leichten Halsschmerzen auf Arbeit oder nicht? Diese Dame hat folgende Frage dazu:

7 [0:05:18]:

„Gesetzt den Fall, man hat schon ein wenig Halsschmerzen - für mich ist das im Sommer üblich - und man nimmt dann ein Halsspray aus der Apotheke und es wird nach 1-2 Anwendungen besser oder geht ganz weg, kann das dann ein Indiz dafür sein, dass man kein Corona hat, wenn man sonst überhaupt keine Symptome hat? Ich bin da am zweifeln, denn es gibt ja auch symptomlose Fälle.“

4 [0:05:50]:

Camillo Schumann:

Da hat sie Recht. Was würden Sie dieser Dame sagen?

3 [0:05:53]:

Alexander Kekulé:

Halsschmerzen sind kein Kardinalsymptom für die Coronavirus-Infektion. Das wichtigste Symptom ist Kurzatmigkeit oder vielleicht auch Husten. Aber vor allem das schwere Krankheitsgefühl mit Kurzatmigkeit und unter Umständen Fieber. Das ist das, worauf man achten muss. Klar, einige Patienten sagen: Mir tut der Hals weh. Was auch noch typisch ist,

aber nicht häufig: Dass man irgendwelche Geschmacks- und Geruchsstörungen am Anfang hat. Aber letztlich ist es da schon zu Ende. Und ich würde bei Halsschmerzen grundsätzlich nicht als erstes an eine Coronavirus-Infektion denken, sondern an andere Ursachen. Wenn man jetzt die Möglichkeit hat, da etwas zum Gurgeln zu nehmen und das hilft normalerweise bei harmlosen Halsschmerzen, ist das eine gute Methode, um auszuschließen, dass es Corona ist, weil es ja vom Gurgeln weggeht. Dann war es eben etwas anderes.

Camillo Schumann:

Sollte man aber nicht vorsichtshalber lieber einen Tag zu Hause bleiben?

Alexander Kekulé:

Solange ich nicht weiß, ob ich krank bin, ob ich ansteckend bin, muss ich mich natürlich immer so verhalten, als wäre ich ansteckend. Da muss man in der jetzigen Lage, in der wir diese Tests nicht zur Verfügung haben, um sich selbst mal schnell zu testen, halt dann zu Hause bleiben. Vielleicht an der Stelle noch einmal dieses kleine Plädoyer: Wenn man sich ausrechnet, wie viele Menschen zu Hause bleiben müssen, weil sie irgendwelche Verdachtssymptome haben, verstehe ich wirklich nicht, warum der Vorschlag mit dem Schnelltest nicht aufgegriffen wird. Wenn man diese Fälle summiert, kann man sich ausrechnen, was das für ein volkswirtschaftlicher Schaden ist, wenn die kältere Jahreszeit kommt, in der ich zumindest mindestens einmal die Woche irgendwelche Beschwerden habe, die in Richtung Erkältung gehen könnten. Aber das nur am Rande. Sie wissen, an dem Thema bin ich schon länger dran. Ich meine, dieser Volkstest ist etwas Entscheidendes. Der würde unsere Haltung gegenüber dieser Erkrankung massiv verändern können.

2 [0:07:59]:

Camillo Schumann:

Die Fitnessstudios in Deutschland haben nach und nach wieder geöffnet, auch für alle

Altersgruppen. Und diese Dame treibt folgende Frage um:

8 [0:08:10]:

„Ich bin 71 Jahre alt und gehöre damit zur Risikogruppe. Ich habe eine Frage zu den Sportstudios: Kann ich es verantworten, wenn ich zur Risikogruppe gehöre, mit FFP2-Maske da hinzugehen. In meinem Sportstudio lassen sie vier Leute pro Viertelstunde rein. Das sind 16 Leute pro Stunde. Meine Frage ist auch, ob nachmittags die Aerosol-Konzentration höher ist als morgens. Ist es also eventuell günstiger, sich morgens einen Termin geben zu lassen? Ich habe jetzt erst einmal vor, nur einmal die Woche hinzugehen, um mich nicht unnötig zu gefährden. Aber vielleicht ist es gar nicht nötig. Vielleicht könnte ich zweimal die Woche hingehen. Ich kann das Risiko einfach nicht einschätzen.“

10 [0:08:57]:

Camillo Schumann:

Herr Kekulé, mit 71 ins Fitnessstudio?

Alexander Kekulé:

Ja, das ist schon mal super, da bin ich total dafür. Da gibt es keine Altersgrenze. Im Gegenteil, je älter man wird - 71 ist ja in Deutschland noch kein Alter, und für eine Frau schon gleich gar nicht.

11 [0:09:11]:

Camillo Schumann:

Moment, Herr Kekulé, da haben Sie mich falsch verstanden: Mit 71 in der derzeitigen Situation ins Fitnessstudio zu gehen ist nicht grundsätzlich selbstverständlich. Generell kann man das auch mit 100 Jahren machen.

12 [0:09:26]:

Alexander Kekulé:

Ich wollte gerade weiter erklären. Aber wo ich gerade so schön in Fahrt war ... Es ist so: Je älter man wird, desto schneller bauen die Muskeln ab, wenn man sie nicht bewegt. Ein jüngerer

Mensch kann es sich also eher leisten, ein Päuschen zu machen als ein älterer. Das ist einfach physiologisch so. Aber jetzt die Frage nach dem Infektionsschutz: Die Dame hat ja gesagt, sie hat eine FFP-Maske. Die wird sie aber wahrscheinlich nicht bei den Übungen aufhaben. Das ist ja kaum möglich, mit Maske zu trainieren. Sie wird mit der Maske hingehen. Und wenn sie die absetzt, kommt es eben darauf an, ob da genug Luft ist im Raum, ob da genug belüftet wird. Wenn das so ist, dass da nicht besonders viele Personen in einem Raum sind, wenn das Raumvolumen groß ist, - das heißt, die Decke halbwegs hoch ist und das nicht so beengte Verhältnisse sind und es halbwegs vernünftige Luftwechsel gibt, - dann kann man das meines Erachtens machen. Aber es ist unterm Strich immer ein Restrisiko dabei. Wenn das jemand aus der Risikogruppe macht, trägt er letztlich ein Restrisiko und sagt: Okay, ich nehme das in Kauf. Doch die Alternative wäre, mehr oder minder gar nichts mehr zu machen, was Spaß macht. Deshalb finde ich, wenn derjenige eine FFP2-Maske trägt und das vernünftig macht, ist es hier richtig.

Die Frage nach nachmittags oder vormittags? Wenn da schon viele vorher geschwitzt haben und im Zweifelsfall nicht gerade gelüftet wurde, ist rein theoretisch der Vormittag etwas sicherer, am besten gleich als Erster in der Frühe dran sein. Ich weiß aber nicht, ob der Unterschied zwischen vormittags und nachmittags jetzt so dramatisch ist, dass man das bei seiner persönlichen Planung mit einbeziehen soll.

2 [0:11:17]:

Camillo Schumann:

Sind Hundehalter in der Corona-Krise weniger gefährdet? Frau K. aus Bielefeld ist selbst Hundebesitzerin. Sie war im Netz unterwegs und ist auf eine ältere Studie gestoßen. Diese hat sie uns geschickt und will wissen: Ist sie als Hundebesitzerin fein raus? Herr Kekulé, Sie haben sich diese Studie einmal angeschaut. Was kann man Frau K. aus Bielefeld sagen?

3 [0:11:40]:

Alexander Kekulé:

Das ist eine etwas ältere Studie, zwei Monate alt ungefähr. Sie stammt aus Süditalien, Cantazaro, im Süden Italiens, aus einer kleinen Universität. Da hat man sich Gedanken gemacht zu der Frage, ob es vielleicht einen Schutzeffekt haben könnte, wenn man einen Hund besitzt. Das war ja am Anfang dieses Ausbruchs eine These. Die Idee von den Wissenschaftlern war die: Hunde haben doch so oft Coronaviren. Da gibt es schon immer andere Coronaviren, die bei Tieren sind. Wir wissen von diesen Coronaviren, dass es viele Varianten gibt oder andere Virustypen, die im Tierreich unterwegs sind, unter anderem bei Hunden. Deswegen wurde die These aufgestellt: Wenn man einen Hund hat, dann ist man relativ häufig mit diesen Viren konfrontiert. Deshalb wurde spekuliert, dass es eine Art Immunitätseffekt geben könnte. Ich sage mal pauschal: Darauf würde ich mich nicht verlassen. Die Studie ist auch nicht weiter zitiert worden und nicht weiter erwähnt worden. Man kann so etwas veröffentlichen, das ist jetzt auch nicht in einem der Top-Journale gewesen. Das war auch die Phase, in der viel spekuliert wurde. Ich glaube, viele Journale haben einfach alle Ideen, die so aufkamen, rausgelassen und gesagt: Es kann ja nicht schaden, wenn in dieser Phase der Pandemie alle Ideen auf dem Tisch sind.

Aber die Idee, dass einen das Halten eines Hundes vor der Infektion schützt oder vor der Schwere der Erkrankung, ist nicht bestätigt. Es gibt es keine harten Hinweise darauf.

2 [0:13:15]:

Camillo Schumann:

Das war die Antwort für Frau K. aus Bielefeld, Hundebesitzerin. Der Herr M. hat uns eine E- Mail geschrieben. Er schreibt: „Mich würde interessieren, wie eine Pandemie ohne Impfstoff enden kann, also wenn wir im schlimmsten Fall keinen Impfstoff bekommen werden. Wie

schätzen Sie die Aussichten ein, wann können wir dann in einen normalen Alltag ohne Abstand und Maske eintreten? Beste Grüße, Herr M.“

3 [0:13:44]:

Alexander Kekulé:

Das Virus tut uns im Moment nicht den Gefallen aufzuhören, infektiös zu sein. Am Anfang, im Februar, als ich zum ersten Mal gefragt wurde, habe ich, glaube ich, gesagt: Eine Chance wäre, dass es mutiert und dann keinen Geschmack mehr an uns hat.“ Es ist ja auf den Menschen übergesprungen. Und es könnte auch sein, dass es sich da nicht so richtig einnistet. Das gibt es häufiger mal. Wir wissen, dass es andere Coronaviren gab, die wohl ähnlich waren wie das jetzige, die aber in China nur kleine Ausbrüche verursacht haben. Die kamen wohl von den Fledermäusen und sind dann wieder verschwunden. Das können wir nur nachweisen durch Antikörper bei den Menschen, die dort leben. Aber dieses Virus - und das ist inzwischen eindeutig - kam, um zu bleiben. Dieses Virus wird nicht einfach spontan verschwinden, und weg ist es. Und wenn es bleibt, dann ist die Frage: Wie gehen wir damit um? Wenn wir sagen: Wir wollen nicht, dass unsere Risikogruppen daran sterben, dann haben wir keine andere Möglichkeit, als unser Verhalten zu verändern. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem entweder der Impfstoff da ist oder wir so nach und nach durchimmunisiert sind. Dann kann man die Sicherungsmaßnahmen für die Risikogruppen lockern.

Klar, man kann jetzt Morgen mit allem aufhören. Dann gibt es viele Tote. Und dann ist es irgendwann auch erledigt. So wäre es wahrscheinlich vor 100 Jahren gewesen. Ich glaube, die Option haben wir nicht, weil wir uns politisch entschieden haben, darauf zu reagieren. Deshalb wird das Ganze ohne Impfstoff auf jeden Fall noch drei Jahre dauern, würde ich mal sagen. Das ist das Mindeste, womit man rechnen muss, bis so eine Herdenimmunität da wäre. Und die Herdenimmunität fängt eben nicht bei 60-70 Prozent an. Die fängt viel früher an, aus

verschiedenen Gründen. Ich sag mal so ab 30 Prozent sieht man auf jeden Fall schon einen Herdenprotektiv, einen Schutzeffekt. Aber trotzdem dauert das alles Jahre. Wir liegen in Deutschland momentan bei fünf Prozent, maximal zehn Prozent. Selbst die Schweden... Der Tegnell in Stockholm hat gesagt, er hoffe in Stockholm auf 25 Prozent Immunität jetzt schon. Das hat sich nach den vorsichtigen ersten Untersuchungen nicht bestätigt, sondern scheint wohl deutlich darunter zu sein. Also das kann auch echt lange dauern, bis wir damit nichts mehr zu tun haben, wenn wir keinen Impfstoff haben.

5 [0:16:12]:

Camillo Schumann:

Herr M. schreibt, weil er sich eben Gedanken macht um das Vereinsleben, Volksfeste etc. Was meinen Sie, in welchen Bereichen dann die Maske grundlegend mit dazugehören wird - weil Sie gerade den Zeithorizont ungefähr 3 Jahre plus x genannt haben.

12 [0:16:30]:

Alexander Kekulé:

In den drei Jahren: Das kommt jetzt auf unsere Optionen an, die wir haben. Ich glaube, dass wir immer selektiver werden können. Das Thema hatten wir schon im letzten Podcast besprochen: die Frage dieser Super-Spreading- Events oder diese aerogenen Übertragungen. Das ist der Bereich, auf den wir in der jetzigen Phase verschärft achten müssen. Ich glaube, dass wir das besser in den Griff bekommen können, dass wir diese Ausbrüche verhindern. Aber das heißt dann umgekehrt, dass vielleicht gerade das, was der Hörer sich vorstellt, dass man sozusagen wieder gemütlich wie vorher in einem Raum zusammensitzt oder wie früher zum Aprés Ski oder ich sag mal, nach Ischgl fährt und Ähnliches, demnächst nichts wird. Nein, das können Sie in der jetzigen Lage ohne Maske nicht machen, weil wir werden nicht auf null Fälle runterkommen. Sie müssen bei so etwas immer damit rechnen, dass da ein Tourist

dazwischen ist, der aus einem Risikogebiet kommt, in dem das Virus noch da ist. Die Alternative wäre rein theoretisch - das kann man ja mal so weiterspinnen -, wenn sie ganz Deutschland clean und keine Fälle mehr hätten, weil wir das so perfekt ausgelöscht haben. So eine lokale Eliminierung ist schon möglich. Dann müssten Sie aber die Außengrenzen dichtmachen oder wahnsinnig kontrollieren. Dann müssten sie quasi jeden, der einreist, entweder unter Quarantäne stellen oder sofort testen oder am besten beides. Das ist praktisch nicht machbar. Mit sehr viel Testen kann man wieder ein fast normales Leben führen. Aber ein ganz normales Leben wird man nicht führen können.

4 [0:18:12]:

Camillo Schumann:

Die Oktoberfest-Wirte, die hören gerade mit großen Ohren zu.

12 [0:18:18]:

Alexander Kekulé:

Hm, ich weiß noch, wie die Reaktion war, als ich zum ersten Mal gesagt habe: Das Oktoberfest kann auf keinen Fall stattfinden. Da habe ich ...

Camillo Schumann:

... einen Zweitwohnsitz außerhalb von München gesucht.

Alexander Kekulé:

Den habe ich ja schon in Halle. Ich habe mich dann wahnsinnig gefreut, als zehn Tage später andere gesagt haben, das stimmt. Der bayerische Ministerpräsident und der Bürgermeister gemeinsam haben das Oktoberfest dann abgesagt. Dann ist man selbst nicht mehr der Buhmann. Ich sehe die einzige Lösung - das sage ich ganz offen -, darin, dass wir in so eine ganz niedrige Phase hineinkommen, die wir kontrollieren können, dass wir an jeder Ecke testen können, wenn wir keinen Impfstoff kriegen. Dann haben Sie eine sehr hohe Chance, so Ausbrüche in den Griff zu

kriegen. Und dann kann man auch sagen: Gut, das nehmen wir einfach jetzt in Kauf. Kleine Ausbrüche gibt es. Die fangen wir aber sofort wieder ein. Dafür muss man sich halt ständig und überall testen. Das ist dann letztlich, - um das bildlich zu sagen - das Sichtbarmachen der Gefahr, denn das Virus ist klein und unsichtbar. Wenn jeder überall das Virus für sich sichtbar machen könnte, dann glaube ich, wäre das Leben fast wieder normal.

Camillo Schumann:

Zu jeder Maß gibt es dann eben noch einen kleinen Test. Der hängt dann so dran.

Alexander Kekulé:

Oder vor jedem Wies‘n-Zelt. Ja, österreichische Hotels zum Beispiel... Ich weiß nicht, ob sie das jetzt letztlich umgesetzt haben. Aber es ist ja kein Geheimnis, dass ich dort auch die Regierung berate. Es ist so, dass es meine Empfehlung war, dort den Gästen anzubieten, sich zu testen, wenn sie kommen. Und ich glaube, zumindest die aus Deutschland würden es alle sofort machen. In diese Richtung würde das dann gehen. Entweder wir haben den Impfstoff, oder wir müssen uns etwas einfallen lassen, was diese Gefahr sichtbar macht.

2 [0:20:25]:

Camillo Schumann:

Zum Schluss die Frage, Herr Kekulé: Mögen Sie eigentlich Erdbeerkuchen?

Alexander Kekulé:

Sehr gerne, vor allem mit Schlagsahne.

Camillo Schumann:

Ich liebe Erdbeerkuchen und vermutlicher Herr J. aus Cottbus auch. Aber er verzichtet aus Angst, sich zu infizieren, auf Kuchen beim Bäcker. Er schreibt: „Ich kaufe praktisch beim Bäcker keinen Kuchen mehr, weil die Verkäuferin direkt vor den Kuchenblechen stehen, mit Mundschutz zwar, aber dann sprechen sie beim Einpacken des Kuchens. Können bei einem alten Mundschutz nicht Aerosole mit Viren aus der Atemluft in entsprechenden Konzentrationen auf

den Kuchen gelangen und sich dort halten und zu Hause isst man sie mit? Viele Grüße.“ Auch wenn wir das Thema „Lebensmittel und Coronavirus“ schon häufig besprochen haben. Aber wenn es darum geht, auf Erdbeerkuchen zu verzichten, verstehe ich auch keinen Spaß mehr.

12 [0:21:14]:

Alexander Kekulé:

An der Stelle müssen wir natürlich dringend darüber reden. Wir haben schon früher gesagt, selbst als es noch keine Mundschutzpflicht gab: Die Leberwurst ist sicher. Und jetzt gibt es einen Mundschutz. Wenn die Verkäuferin den Mundschutz hat und halbwegs vernünftig bedient, ist das Risiko, falls Sie dann überhaupt krank wäre, maximal gering. In so einem Konditorgeschäft stehen tendenziell immer die gleichen Verkäufer und Verkäuferinnen. Die wechseln ja nicht jede Woche. Und jeder kann nur einmal im Leben krank werden. Und dann ist er vielleicht eine Woche lang ansteckend. Das heißt, man muss sich einfach irgendwie überlegen, wie wahrscheinlich ist es jetzt, dass diese Dame, die mich da bedient und die ich jetzt vielleicht schon länger in dem Laden gesehen habe, gerade heute, wo ich ihr gegenüberstehe, 1. krank ist, 2. es selber nicht gemerkt hat und dann 3. die Viren auch noch unter den Mundschutz durchfliegen. Und irgendwie muss ich 4. selber auch noch angesteckt werden. Es ist kein einziger Fall irgendwo weltweit dokumentiert, dass man sich über den Verzehr von Kuchen eine Krankheit holen kann. Klar, theoretisch gibt es das über die Schleimhäute. Aber da sind so viele Wenns und Unwahrscheinlichkeiten dabei. In der Wahrscheinlichkeitsrechnung multiplizieren sich ja die Wahrscheinlichkeiten. Die Unwahrscheinlichkeiten addieren sich also nicht, sondern multiplizieren sich, sodass ich sagen würde: Wenn man so denkt, müsste man wirklich zu Hause bleiben und aufpassen, dass man nichts macht, denn sonst könnte man auch

die Treppe herunterstürzen und sich den Hals brechen.

2 [0:22:53]:

Camillo Schumann:

Herr J. aus Cottbus, das Fazit: Der Erdbeerkuchen ist sicher. Deutschland atmet auf. Herr Kekulé, das war das „Hörerfragen SPEZIAL“. Vielen Dank, angenehmes Wochenende. Die nächste Ausgabe dann am Dienstag wieder. Bleiben Sie gesund!

Alexander Kekulé:

Das wünsche ich Ihnen auch. Machen Sie es gut, bis dann, Herr Schumann.

Sie haben auch eine Frage? Dann schreiben Sie uns: mdraktuell-podcast@mdr.de. Oder rufen Sie uns an: 0800/3002200. Sie finden „Kekulés Corona-Kompass“ als ausführlichen Podcast auf mdr.aktuell.de, in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass 04. Juni 2020 Folge 64 – Volumen von Räumen wichtiger als Fläche

Camillo Schumann, MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé,

Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sowie Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

Camillo Schumann

Donnerstag 4. Juni 2020. Corona-Ausbruch: Die Stadt Göttingen schließt erneut alle Schulen. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis andere Städte nachziehen müssen? Dusche, Fernbedienung, Waschbecken, Luft: Wo im Haushalt kann das Virus überall nachgewiesen werden? Dann: Tests mit Hydroxychloroquin sollen nun doch weitergehen, sagt die Weltgesundheitsorganisation. Gibt es denn neue Erkenntnisse? Und: Kinder dürfen sich in manchen Kitas nicht mehr die Zähne putzen. Übertrieben oder sinnvolle Maßnahme? Wir wollen Orientierung geben. Mein Name ist Camillo Schumann. Ich bin Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell – Das Nachrichtenradio. Jeden Tag lassen wir die wichtigsten Entwicklungen rund um das Coronavirus einschätzen. Und wir beantworten Ihre Fragen. Das tun wir mit dem renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé. Ich grüße Sie, Herr Kekulé.

Alexander Kekulé

Guten Tag, Herr Schumann.

Camillo Schumann

Es ist die große Hoffnung, dass es keinen zweiten Lockdown geben wird. Dass nicht schon wieder das öffentliche Leben heruntergefahren werden muss. Aber wie fragil die wieder errungene Freiheit ist, das zeigt das Beispiel Göttingen. Kaum durften die Kinder wieder zum Unterricht, schon sind die

Schulen in Göttingen wieder geschlossen. Grund ist ein Ausbruch des Coronavirus. Über 100 Menschen, Stand Mittwoch. 03.06.2020, haben sich infiziert, vermutlich in einer größeren und eigentlich verbotenen Feier. Fast 60 Kinder und Jugendliche seien Kontakt- Person ersten Grades. Alle Kinder und Jugendliche sollen nun getestet werden. Bis dahin bleiben die Schulen zu. Aber dabei könnte es gar nicht bleiben. Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler hat nämlich Folgendes gesagt. Wir hören mal rein.

Rolf-Georg Köhler (Göttingens Oberbürgermeister) Es schließt aber nicht aus, dass wir an einem Punkt anlangen, wo wir einen Lockdown in schärferer Form umsetzen müssten. Und was wir brauchen, ist das korrekte Verhalten der Göttingerinnen und Göttinger. Weil dann schaffen wir es, den Lockdown zu vermeiden.

Camillo Schumann

Herr Kekulé, wenn Sie das alles so hören, wie nah sind wir einem zweiten Lockdown in Deutschland?

4 [0:02:07] :

Alexander Kekulé

Bundesweit werden wir das auf keinen Fall so schnell haben. Das ist jetzt eine Situation in Göttingen. Und ich weiß natürlich auch nicht genau, was der Bürgermeister da mit Lockdown meinte. Weil man kann ja einen Lockdown schlecht in einer Stadt machen. Dann müsste man das so machen, wie das Wort, das es eigentlich ursprünglich bedeutet, nämlich dass man die Stadt abgeriegelt. So etwas ist, glaube ich, in Deutschland jetzt schwierig durchzusetzen in der jetzigen Lage. Das hätte man vielleicht ganz am Anfang machen können, wo alle noch sehr, sehr aufgeregt waren. Aber wenn er jetzt quasi das Militär auffährt um Göttingen abzuriegeln, das glaube ich, ist kein realistisches Szenario. Und alles andere bedeutet ja, dass Menschen rein- und rausreisen. Sodass halt immer das Problem in der jetzigen Lage ist, egal, was sie in Göttingen dann anordnen, es werden weitere Infektionen von dort nach anderswo dann verschleppt. Und darum ist es sehr, sehr wichtig, statt über einen Lockdown nachzudenken, eben die aufgeflammten

Infektionsherde, die jetzt offensichtlich da sind in Göttingen, die ganz konsequent nachzuverfolgen und eben auch dann zu eliminieren.

2 [0:03:09] :

Camillo Schumann

Das ist genau der Punkt. Darum soll es jetzt gehen. Und im Kontext dieser Infektion habe eine Shisha-Bar in Göttingen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt, schreiben die Behörden. Und dort sollen verschiedene Personen mit demselben Mundstück geraucht haben. Dann soll das Virus in einem Wohnkomplex ausgebrochen sein. Rund 700 Bewohner des Hauses sollen jetzt getestet werden. Und das ist eine ziemliche Herausforderung für die Behörden. Denn die Bewohner, die zeigen sich da wenig kooperativ. Und deshalb wird dieser Massentest auch ein wenig anders ablaufen als sonst. Da hören wir mal rein. Und zwar die Leiterin des Krisenstabes, Petra Broistedt, die erklärt das Vorgehen folgendermaßen:

5 [0:03:45] :

Petra Broistedt, Leiterin des Corona- Krisenstabs Göttingen Wir bereiten die Tests so vor, dass sie voraussichtlich an zwei Standpunkten stattfinden. Wahrscheinlich in Zelten mit Unterstützung der Kassenärztlichen Vereinigung der Universitätsmedizin Göttingen, unseres Ordnungsamtes, eines Sicherheitsdienstes und einer Präsenz der Polizei vor Ort.

2 [0:04:03] :

Camillo Schumann

Herr Kekulé, Tests mit Polizeischutz, das sind ja die Bilder, die man eigentlich nicht möchte.

6 [0:04:09] :

Alexander Kekulé

Das erinnert mich so langsam an „Outbreak“, dieser alte Klassiker mit Dustin Hoffman. Wo dann zuletzt das Militär anrückte. Das ist ja genau die Situation natürlich, die wir nicht wollen. Und wo wir dann richtig dann Richtung Katastrophenlage eigentlich kommen würden, wenn man zu solchen Maßnahmen greifen muss, dass man die Leute zum Testen zwingt. Oder auch dann gegen ihren Willen

quasi festhält, damit sie sich nicht entfernen. Das ist ja immer das Problem, wenn man jetzt Menschen hat, die da nicht mitmachen wollen, aus welchen Gründen auch immer, dass man dann infektiöse Personen festhalten muss. Das Infektionsschutzgesetz gibt dazu natürlich die Möglichkeiten. Das ist, wenn man es genau liest, ein Gesetz, was ziemlich fast unbeschränkte Möglichkeiten gibt, die Menschenrechte, Bürgerrechte einzuschränken. Aber es wäre natürlich viel besser, wenn man das im Sinne einer Kooperation hinbekommen würde. Das ist ja klar.

Camillo Schumann

Mit dem äußersten Mittel können die Behörden genauso vorgehen.

Alexander Kekulé

Ja, das ist so. Das geht sogar noch ein bisschen weiter. Aber man muss natürlich jetzt unterscheiden zwischen uns. Wir reden hier da so nett, abstrakt darüber, und den Beamten, die dann in der Situation sind. Das sind natürlich dann auch junge Beamten und Beamtinnen. Die haben dann Familie und glauben, sie sind jetzt damit möglicherweise hochinfektiösen Corona-Patienten konfrontiert. Und da ist die Erfahrung dann schon – das kenne ich auch aus afrikanischen Ausbruchssituationen, wo man ja andere schwere Infektionskrankheiten hat – dass dann die Ordnungskräfte doch eher, sage ich mal, robust reagieren in solchen Situationen. Auch, weil die Menschen einfach selber Angst haben als Ordnungskräfte.

2 [0:05:49] :

Camillo Schumann

Wir hatten ja in den vergangenen Wochen schon mehrere Beispiele. Frankfurt die Baptistengemeinde, Superspreader-Event. Wir hatten das lokal in Niedersachsen, ebenfalls ein Superspreader-Event. Und jetzt haben wir Göttingen. Wie lange können die Behörden die Gesundheitsämter, diese Auswirkungen solcher Superspreader-Events eigentlich unter Kontrolle halten?

6 [0:06:08] :

Alexander Kekulé

Ich glaube, das wird uns jetzt die nächsten Monate verfolgen, weil wir ja die große Ausbreitung eigentlich so halbwegs im Griff haben. Also, wenn die Zahlen stimmen, sind wir ja auf einem extrem guten Weg im bundesweiten Mittel. Und dadurch werden eben diese sogenannten Superspreader- Events plötzlich so wichtig. Das sind ja relativ seltene Ereignisse. Aber wenn so ein Ereignis auftritt, hat man eben viele Infizierte. Und deshalb waren die früher nicht so wahnsinnig bedeutsam, wo wir sowieso insgesamt eine exponentielle Vermehrung der Fälle hatten. Aber jetzt muss man eben, meines Erachtens, wirklich ganz neue Kriterien definieren, um solche Ereignisse prophylaktisch dann auch zu verhindern. Das geht über das in den in die Ellenbeuge niesen und 1,50 m Abstand halten hinaus.

2 [0:06:53] :

Camillo Schumann

Welche neuen Kriterien könnten Sie sich vorstellen? Was würden Sie vorschlagen?

6 [0:06:58] :

Alexander Kekulé

Nach den Daten, die wir haben – und die sind übrigens nicht ganz so neu, wir wissen das schon länger, dass das so ist, das wird noch jetzt erst in den Medien diskutiert – kommt es zu diesen Superspreader-Events immer dann, wenn echte Aerosole entstehen. Also, wenn man nicht eine Tröpfcheninfektion hat, die quasi auf zwei Meter face-to-face stattfindet. Sondern so ganz feine Tröpfchenkerne entstehen, die als Nebel weitergetragen werden können. Und da kommt es eben ganz extrem darauf an.

Erstens, das passiert fast nur in geschlossenen Räumen. Also alle Fälle, die wir dokumentiert haben, sind in geschlossenen Räumen gewesen. Anspucken können Sie jemand im Freien sozusagen. Aber dieser Nebel entsteht eigentlich nur bei bestimmten Bedingungen, wo die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit stimmen müssen und keine Luftbewegung da sein soll. Und das ist in geschlossenen Räumen. Und auch wenn man länger zusammen ist, tendenziell. Weil jeder, der spricht, eben während des Sprechens mehr und mehr solcher Partikel freisetzt. Oder auch

hustet oder singt oder sonst was. Und wenn dann mehrere sind, ist das natürlich noch relevanter. Deshalb glaube ich, kommt es darauf an, wie groß das Volumen des Raums ist. Wir sprechen ja in Deutschland schon manchmal davon, wieviel Quadratmeter jede Person haben muss, zum Beispiel bei der Besetzung von Gaststätten. Die Quadratmeter sind gar nicht so wichtig, sondern die dritte Dimension ist wichtig. Wie groß ist das Raumvolumen in diesem Fall, weil es sich ja nicht um Abstand geht, sondern um einen ein Nebel, der sich quasi bildet in einem bestimmten Volumen.

Der zweite Faktor, der extrem wichtig ist, ist die Luftbewegung. Das heißt, wieviel Luftwechsel pro Minute gibt es im Klartext? Da kann man sagen zehn Luftwechsel pro Minute, das wäre also ein Büro, was extrem zugig ist. Oder auch so etwas wie ein bestimmtes Labor, die haben solche Sachen auch zehn Luftwechsel pro Minute. Dass wäre etwas, wo wir wohl auf der sicheren Seite sind. Das kommt darauf an, in welcher Richtung die Luft geblasen wird. Sechs Luftwechsel pro Minute würde ich vielleicht so als Grenze ansetzen, also wie oft wird quasi gelüftet. Oder anders gesagt: Wenn Sie so eine Holzbude auf irgendeinem Jahrmarkt haben, wo vorne und hinten der Wind durchbläst, dann müssen sie sich überhaupt keine Gedanken machen. Und sobald Sie einen geschlossenen Raum ohne natürliche Belüftung haben, müssen sie die Zahl der Luftwechsel pro Minute mit einfließen lassen. Und dann natürlich die Zahl der Personen, die da drinnen sind, also Personen pro Volumen sozusagen und Luftwechsel pro Minute. Ich glaube, daraus könnte man eine Leitlinie machen und relativ einfach. Das wird natürlich wissenschaftlich nicht auf Anhieb zu beweisen sein. Aber ich sage mal so, eine Arbeitshypothese, wie man tatsächlich Risikosituationen, in denen solche aerogenen Infektionen, das heißt solche Superspreader- Ereignisse auftreten können, wie man die verhindert.

7 [0:09:40] :

Camillo Schumann

Könnten Sie das noch konkretisieren? Also wie groß müsste das Volumen sein? Und wie viele

Personen könnten sich dann beispielsweise in so einem Raum aufhalten?

6 [0:09:51] :

Alexander Kekulé

Welches Volumen man da konkret an ansetzen würde, das muss man anhand der bisherigen Studien mal ausrechnen. Weil die meisten Studien sind bisher danach ausgewertet worden: Wie weit waren die Menschen auseinander? Weil man eigentlich in der Regel immer diese Tröpfcheninfektion im Fokus hatte? Und für die aerogene Infektion muss man einfach in den einzelnen Publikationen, da gibt es ja eine ganze Reihe, mal überlegen, was ist ein vernünftiges Volumen. Aber letztlich ist es so wenn wir einen engen Raum haben mit vielen Menschen, wo sich die Luft nicht bewegt, da wissen wir alle: Da ist ein Risiko. Und zwischen dem und der Situation im Freien, glaube ich, kann man durch technische Parameter eine ganz gute Grenze setzen, die natürlich keine absolute Sicherheit ist. Aber wir haben ja viele Dinge bei dieser Pandemie-Bekämpfung, die, sage ich mal, mehr so aus dem Bauch heraus sind. Oder wir nennen hier das dann educated guess, wenn Fachleute quasi eine Schätzung machen. Und ich würde hier dringend dazu raten, so eine Schätzung zu machen und aufgrund dieser Basis, Risikosituationen zu definieren. Dann könnten die Gesundheitsämter, zum Beispiel Empfehlungen geben, welche Räume sinnvoller Weise geschlossen werden müssen, oder wo nicht viele Menschen rein dürfen, oder wo man nachrüstet mit einer Lüftungstechnik. Es ist so, dass es auch Methoden gibt, in Räumen die mögliche Keimentwicklung, die Bakterien und Viren, die da sind, tatsächlich mit der Belüftung abzutöten. Da gibt es ja Methoden, zum Beispiel aufsteigende Luftströmung zu haben, wo dann UV-Licht unter der Decke ist, was die Keime abtötet. Das sind teure Nachrüstungen. Aber in Einzelsituation kann man sich das überlegen. Zum Beispiel im Warteraum eines Krankenhauses.

7 [0:11:28] :

Camillo Schumann

Die Gesundheitsämter werden sich freuen.

(Beide schmunzeln)

Alexander Kekulé

Doch wieder was Neues zu rechnen.

Camillo Schumann

Das wollte ich gerade sagen.

Alexander Kekulé

Aber ich glaube, das ist das ist für die Ämter trotzdem leichter. Weil wissen Sie, es hat ja keinen Sinn, immer zu sagen, so ceterum censeo, ihr sollt in die Ellenbeuge Husten. Und hinterher gibt es trotzdem solche Ausbrüche. Da muss man einfach jetzt auch mal den Schritt machen und sagen: Ja, das war bis jetzt alles wichtig und richtig. Aber 1,50 m Abstand und so weiter, und selbst die, die einfache Gesichtsmaske ist eben in solchen Situationen kein sicherer Schutz. Übrigens, wenn alle Masken aufhaben, ist mein bisheriger Eindruck: Wenn alle Masken im Gesicht haben, dann passieren auch diese Superspreader-Ereignisse bisher nicht. Wir kennen kein Superspreader-Ereignis, wo es zwischen lauter Personen, die die solche einfachen OP-Masken im Gesicht hatten, aufgetreten wären.

7 [0:12:19] :

Camillo Schumann

Stellen Sie sich mal in ihrer Lieblingskneipe, dann mit Maske, da wird es schwierig.

6 [0:12:24] :

Alexander Kekulé

Das ist eben das Problem. Das wird vor allem – ich glaube, wir haben schon mal kurz besprochen – das wird im Winter schwierig. Ja, im Sommer können wir ja alle sagen, Fenster auf und alle raus. Aber wenn wir dann im Oktober natürlich neue Ausbrüche haben werden – das ist sehr unwahrscheinlich, dass uns das Virus komplett in Ruhe lässt bis dahin – dann müssen wir uns etwas überlegen, was wir machen, wenn es draußen kalt ist und die Türen zu sind.

7 [0:12:47] :

Camillo Schumann

Aber auf jeden Fall könnte man daraus einen Standard entwickeln, mit dem dann sowohl die kleine Eckkneipe als auch die große

Messehalle dann danach arbeiten kann und dann auch besser planen kann. Oder?

6 [0:13:00] :

Alexander Kekulé

Darum geht's. Das ist ja das, was bis jetzt überhaupt nicht berücksichtigt ist. Wir haben ja diese Ausbrüche in Kirchen vor, wenn der Kirchenchor gesungen hat, zum Beispiel. Und das ist natürlich nicht im großen Hauptschiff der Kirche, wenn alle zwei Meter auseinanderstanden. Sondern da sind die Menschen entweder face-to-face gewesen, haben sich also durch Tröpfcheninfektion angesteckt. Oder es war eben in einem Nebenraum, wo es enger war. Oder wie in Frankfurt, wo diese Gemeinde sich infiziert hat. Das waren natürlich in einem Neubau relativ beengte Verhältnisse. Und dieser Faktor ist bis jetzt noch gar nicht berücksichtigt worden. Ich glaube, das ist ganz wichtig.

2 [0:13:33] :

Camillo Schumann

Mehrere hundert Personen in Göttingen sind der vorsorglich in Quarantäne geschickt worden. Quarantäne ist das eine, wenn geschaut werden möchte, ob sich ein Mensch tatsächlich infiziert hat. Und hat er das, dann wird er isoliert. Und zu dieser Isolation von Infizierten gibt es ja ganz aktuelle Daten vom Hygienezentrum in Bonn. Was ist darüber zu wissen? Vorab, es ist ein Preprint.

6 [0:13:55] :

Alexander Kekulé

Ja, ja, das ist immer wichtig, das zu sagen. Da steht in diesem Fall auch groß drüber, dass es offiziell auf dem Preprint-Server hochgeladen worden ist und damit nach allen Kriterien im Preprint. Was ich auch sehr wichtig finde bei dieser Studie ist, dass sie keine politische Empfehlung geben, sondern dass sie wirklich nur ganz nüchtern ihre Daten präsentieren. Und die haben in diesem Heinsberg-Ausbruch haben die 21 Haushalte ausgesucht. Und zwar solche Haushalte, wo mindestens eine Person in Isolation musste, weil sie positiv war bei dem Test. Und dann haben die gesagt, jetzt schauen wir mal, wie ist eigentlich die Virus- Verteilung in diesen Haushalten. Wo finden wir das Virus? Und sie wollten natürlich

eigentlich mal gucken, wie wird das Virus im Haushalt übertragen? Es steht zwar nicht so direkt im Paper drin. Aber man sieht, dass das ihre Hoffnung war, sowas zu finden, wie quasi diese Übertragungen in den Haushalten stattfanden. Und das Interessante ist, insgesamt waren es 43 Erwachsene und fünf Kinder, die da gelebt haben. Und dann haben sie also angefangen, Wischproben zu machen. Um zu schauen, ob irgendwo auf den Oberflächen was ist. Sie haben das Wasser untersucht und die Luft auch untersucht. In der Luft haben sie natürlich gar nichts mehr gefunden. Dass das wäre auch nicht zu erwarten in so einer Situation. Was ich interessant fand, ist, dass sie praktisch keine Wischproben hatten, wo Virus drinnen war, also ganz wenig. Eine einzige Fernbedienung haben sie gefunden von insgesamt 119 Proben. An zwei Türgriffen haben sie das Virus nachweisen können und wohl auf einer Holzplatte. Aber sonst nirgendwo. Also vier von 119 Proben. Das ist echt wenig dafür, dass da jeweils jemand gelebt hat, der, der isoliert war, also der krank war. Und ich weiß jetzt nicht, ob da auch andere angesteckt wurden. Aber es war jedenfalls eine Situation, wo man eigentlich damit rechnen muss, dass jemand das Virus verbreitet.

7 [0:15:48] :

Camillo Schumann

Was auch sozusagen denn die These unterstützt, dass Schmierinfektion eher eine untergeordnete Rolle spielt.

6 [0:15:54]

Alexander Kekulé

Ja, das ist ja unter Fachleuten schon länger so eigentlich deutlich, dass wir den größten Aufwand machen für das, was die geringste Infektionsquote bringt, eigentlich. Dieses ganze Händewaschen und auch die Angst der Menschen fixiert sich hauptsächlich darauf, dass sie irgendwie unsichtbare Viren ständig an sich kleben hätten. Und da haben sie eben in zehn von 66, das sind 15 Prozent, da haben sie dann im Abwasser tatsächlich das Virus nachgewiesen.

7 [0:16:21] :

Camillo Schumann

Die Frage ist, was bedeutet es? Für mich hört sich das so an, als könnte man sich dann beispielsweise auch über das Abwasser infizieren. Aber die Frage wurde er gar nicht beantwortet. Oder doch?

8 [0:16:31] :

Alexander Kekulé

Man muss eben zwei Sachen sagen. Das eine ist, für mich ein interessantes Ergebnis ist tatsächlich, dass das so häufig im Wasser ist. Weil, das heißt, dass wir hier wahrscheinlich einen Konzentrationseffekt haben. Das heißt, wenn sich drei oder vier Haushaltsmitglieder alle die Hände am Waschbecken waschen, dann führt es eben dazu, dass sich die die Viren so nach und nach sammeln, und man dann irgendwann im Wasser die Viren findet. Es war übrigens Waschbecken, häufiger als Dusche und Dusche, noch einmal häufiger als Toilette. Also nicht, wie man das vielleicht instinktiv denken würde sonst bei Krankheitserregern. Im Waschbecken waren am meisten. Und das heißt, letztlich vom Händewaschen sind die da reingekommen. Oder vom Abspülen oder vielleicht wenn man normalerweise einen Lumpen benützt und irgendetwas wäscht. Dann macht man denn Lumpen ja auch nicht unter der Dusche sauber, sondern eher im Waschbecken. Das heißt also hier ist es für mich so ein Sammeleffekt. Da ist klar, da haben sich sozusagen alle Putzaktivitäten, sei es Oberflächen, sei es Hände in der Wohnung, sozusagen dann im Siphon des Waschbeckens gesammelt. Aber das ganz Wichtige, was man bei der Studie das haben die Autoren auch ganz klar dazu geschrieben, ist Folgendes: Das ist ja nur eine PCR gewesen. Das ist eine Methode, mit der man die Erbinformation des Virus nachweist, also die RNA. Das Gen quasi des Virus. Aber man weiß nicht, ob das Virus noch lebt. Das könnte sein, dass das quasi Dinosaurier-Fossilien sind, die sie haben von Tieren, die längst tot sind. Und hier ist es eben so, dass meine Hypothese ist: Und das sieht in der Studie auch so aus, dass das Virus einfach tot ist, wenn sie es irgendwo finden. Sie haben auch versucht, tatsächlich aus den ganzen Proben, Virus anzuzüchten. Das finde ich es eine ganz tolle Arbeit. Insofern haben sie übrigens auch zusammengearbeitet mit dem Herrn Streeck da in Bonn. Ich nehme an, den

Teil hat er dann gemacht. Und es ist so, dass man bei keiner der Proben in der Lage war ein lebendes Virus anzuzüchten. Das ist sozusagen nicht ist nicht gewachsen. Das Virus und damit heißt es im Grunde genommen, ja, das Virus ist irgendwie da. Es wird in der Wohnung bis zu einem gewissen Grad verteilt. Aber die wichtigste Information aus der Studie ist eigentlich: Schmierinfektionen machen keinen großen Anteil, sonst hätte man viel mehr gefunden. Das ist deshalb wichtig, weil wir wissen, aus anderen Studien, das eigentlich die meisten SARS-CoV-2- Übertragungen innerhalb von Wohnungen stattfinden. Und wenn man das weiß, aha, also in der Wohnung ist häufig. Schmierinfektionen ist es nicht. Dann bleibt eben die Infektion über die Atemwege. Und das ist das, was wir sowieso schon als Verdacht sowieso im Raum stehen haben.

7 [0:19:11] :

Camillo Schumann

Unterm Strich. Was sagt uns diese Studie jetzt für den allgemeinen Hausgebrauch, was die Infektiosität in Wohnungen angeht?

9 [0:19:19] :

Alexander Kekulé

Für den allgemeinen Hausgebrauch heißt es nach wie vor: Wir wissen, wenn einer krank ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die anderen sich nach und nach infizieren, relativ hoch. Wir haben schon mal gesagt zu 15 Prozent im gleichen Haushalt sind normalerweise dann angesteckt, bis man die Krankheit feststellt. Es ist ja so, dass jeder nur ein paar Tage infektiös ist. Das hört ja auch immer wieder auf mit Infektiosität. Und dass das definitiv über die Luft stattfindet. Das heißt, wenn man in verschiedenen Zimmern wohnt und oft lüftet, hat man sogar eine Chance, im gleichen Haushalt zu vermeiden, dass sich jemand ansteckt. Das ist dann relevant, wenn einer im Haushalt eine Risikoperson ist. Also da kann man dann schon so nach und nach sich überlegen, welche Protokolle könnte man entwickeln, um Risikopersonen im gleichen Haushalt zu schützen?

7 [0:20:01] :

Camillo Schumann

Ich wollte jetzt sagen, das schließt das ja dann nicht mehr aus, dass beide unter einem Dach wohnen.

9 [0:20:04] :

Alexander Kekulé

Also mein Eindruck ist, dass wir lernen ja hier sehr viel dazu. Schritt für Schritt in kleinen Stückchen. Aber diese konkreten Untersuchungen, darum finde ich diese ... Diese Untersuchung ist so eine kleine Studie. Aber ich finde es interessant, dass es mal gemacht wurde. Mein Eindruck ist, dass wir nach und nach Protokolle kriegen, wo man das eben machen kann, dass man im gleichen Haushalt andere schützt. Ich will noch eins dazu sagen, dass es etwas, was mir insgesamt bei diesen ganzen Untersuchungen zurzeit so auffällt. Wir haben nachher noch einmal ein ganz anderes Thema, wo es um Therapien geht, wo das auch zutrifft. Es ist ja so, dass wir jetzt in einer Phase sind, wo weltweit die Infektionen wieder auf dem Rückmarsch sind. Einfach aus verschiedenen Gründen, antiepidemische Maßnahmen, vielleicht der Sommer. Und deshalb ist das Zeitfenster gerade dabei, sich zu schließen, in denen wir diese superwichtigen Erkenntnisse sammeln können. Und die Deutschen sind ja da gründlich. In Bonn hat man eben da quasi das versucht zu untersuchen. Oder von Bonn aus hat man versucht, das zu untersuchen. Es ist erstaunlich, wie wenig da gemacht wurde in anderen Städten, also in Italien, wo es die riesigen Ausbrüche gab, in Frankreich, auch in China. Da gibt es ganz wenige Untersuchungen, wo man mal geguckt hat, wie wird es denn nun wirklich genau übertragen? All diese ganz, ganz wichtigen Fragen für den Herbst. Und das Gleiche ist auch bei der Therapie. Das heißt, wir müssen uns jetzt ranhalten, dass uns nicht das Gleiche passiert wie bei SARS-1. Da war es so, nach sechs Monaten war das plötzlich weg, und hinterher war man nicht wesentlich schlauer, weil man ganz viele Untersuchungen einfach noch nicht gemacht hatte in der kurzen Zeit.

7 [0:21:36] :

Camillo Schumann

Ich habe gelesen, über 30.000 Fachveröffentlichungen zum Thema Coronavirus und Covid-19 sind seit März

veröffentlicht worden. Ein Chaos hat das mal ein Virologe der Universität von North Carolina genannt. Da soll jetzt mit künstlicher Intelligenz so eine Suchmaschine entwickelt werden. Und bis Juli werden 50.000 Fachartikel erwartet. Wie bewerten Sie eigentlich so die Qualität dieser Fachartikel? Weil Sie gerade eben gesagt haben, das Zeitfenster schließt sich. Also sind, dass einige wenige, auf die man wirklich setzen kann. Oder ist es so die breite Masse oder forscht einfach jeder vor sich hin? So ohne Sinn und Verstand, sage ich jetzt mal ein bisschen salopp?

8 [0:22:14] :

Alexander Kekulé

Ja, in Deutschland wurde das ja auch öffentlich diskutiert: Wie viel und wie schnell soll man etwas publizieren? Und vor allem viel wichtiger: Welche Konsequenzen bezüglich des Gesundheitsschutzes und auch politischen Konsequenzen soll man daraus ziehen? Ich mache da eine Unterscheidung. Das eine ist, Fachleute sollen, was sie gefunden haben, publizieren. Das ist in der jetzigen Lage so. Und wenn es auf dem Preprint-Server ist, dann wissen die Fachleute unter sich ja auch, was das bedeutet. Es ist nur so, wir müssen wahnsinnige aufpassen, wenn dann Gesundheitsämter anfangen, daraus irgendwelche Regularien zu entwickeln. Wenn Politiker irgendwelche Empfehlungen machen, Schulen auf, Schulen zu oder 1,50 m bis 2 m oder was auch immer. Bei diesen Dingen, die sozusagen dann ganz konkret die Menschen betreffen, wo es ja auch um die Balance geht, zwischen Risiko durch die Erkrankung auf der einen Seite und Einschränkung von Freiheit und den Kollateralschäden durch diese Gegenmaßnahmen auf der anderen Seite. Da finde ich, müssen wir vorsichtig sein. Also, Wissenschaftler können mit so etwas umgehen. Klar, man reibt sich manchmal die Augen, was für ein Unsinn publiziert wird. Und manchmal ist es auch so, dass Studien zurückgezogen werden müssen. Aber wo gehobelt wird, da fallen Späne. Und das ist etwas, was wir jetzt aushalten müssen als Wissenschaftler. Weil die Alternative wäre, ja zu warten, bis die Sachen publiziert sind. Und ich kann mich erinnern, ich habe mal eine Publikation in so einen Top-Journal vor vielen

Jahren gehabt. Die habe ich, glaube ich, viermal zurückgeschickt bekommen von den Gutachtern. Jedes Mal wollten sie etwas geändert haben. Bis es dann endlich draußen war, hat das vielleicht ein halbes Jahr alles zusammen gedauert. Das können Sie sich bei Covid-19 natürlich nicht leisten.

2 [0:24:02] :

Camillo Schumann

Kommen wir zu diesem sich schließenden Zeitfenster. Da müssen wir noch einmal über das Malariamittel Hydroxychloroquin sprechen. Die aufmerksamen Hörer des Podcasts haben die Karriere dieses Medikaments in der Corona-Krise verfolgen können. Erst wurde es hoch gelobt, dann der tiefe Fall. Es gab Studien, die einen Hinweis auf die Unwirksamkeit oder sogar mehr noch sogar die Gefährlichkeit dieses Medikaments bei Covid 19-Patienten gaben. Die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, hatte Tests ausgesetzt. Jetzt aber die Kehrtwende: Die WHO erlaubt Tests wieder. Hydroxychloroquin nun doch unbedenklich? Sie hatten ja immer so ein kleines Hintertürchen offengelassen.

8 [0:24:38] :

Alexander Kekulé

Ja, Hintertürchen offen. Bei uns war die Karriere so, das kann man ja offen sagen. Ich habe am Anfang gesagt, ich glaube nicht, dass das funktioniert. Weil die Dosen, die wir in der Zellkultur sehen, auf keinen Fall klinisch zu erreichen sind. Sonst haben sie Nebenwirkungen. Dann war es so, dass es die Studie aus Frankreich gab und verschiedene andere, wo man gesagt hat Mensch, das scheint ja doch zu funktionieren. Und dann ging es wieder runter und wieder rauf und ja. Was ist jetzt die aktuelle Situation? Wir haben ja gesprochen über eine große „Lancet“-Studie vor einiger Zeit, die einen großen Teil der bisher laufenden Studien ausgewertet hat. Ich glaube mit fast 100.000 Probanden insgesamt bzw. über 100.000 Fällen haben die das angeschaut. Sie sind zum Ergebnis gekommen, dass, erstens, kein Effekt gesehen wird, also keine Wirkung. Das ist aber etwas, was die nicht so betont haben, weil man das eigentlich nicht zeigen ... Das heißt deswegen nicht, dass das Medikament nicht wirkt. Weil, wenn man keinen Effekt gesehen hat in so einer

statistischen Analyse, kann man nicht sagen der Effekt ist nicht da. Dieser berühmte Satz: Absence of evidence is not evidence of absence (in etwa: Das Fehlen von Beweisen ist kein Beweis für Abwesenheit). Aber das haben wir auch nicht gemacht. Aber die haben natürlich gesagt, wir haben hier Nebenwirkungen. Und die waren ganz drastisch mit EKG. Das ist bekannt, dass das Hydroxychloroquin EKG- Veränderungen macht, also im Herz die elektrische Leitung zwischen den Vorhöfen und den Kammern verlangsamt. Das kann man so grob sagen. Und was dann zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Und das haben die eigentlich relativ deutlich gezeigt in der Studie. Die Daten waren eindeutig. An der Stelle habe ich die auch eins zu eins geschluckt, sage ich mal. Obwohl ich es mir genau angeschaut habe. Ich habe die Vermutung gehabt, dass das hier ein dosisabhängiges Problem ist. Dass man mit einer therapeutischen Dosis auf keinen Fall hinkommen kann, dass man hier gegen Covid- 19 eine Wirkung hat, weil die Dosis zu hoch wäre und dass dann toxisch wäre. Aber ich habe ein bisschen die Hoffnung gehabt, dass man vielleicht prophylaktisch was machen kann. In dem Sinn, dass man das einnimmt, um zu verhindern, dass man schwer krank wird, weil man da eine niedrigere Dosis braucht. Und eigentlich war das damals so das Ergebnis dieser ersten Publikation, dass man sagen musste, in der therapeutischen Dosis ist es auf keinen Fall zu gebrauchen, vielleicht noch in einer niedrigeren Dosis.

7 [0:27:04] :

Camillo Schumann

Jetzt gab es an dieser Studie heftige Kritik. Ich finde, wenn sich 120 Wissenschaftler zusammentun und ein Brief an ein sehr renommiertes Journal schreiben, ist das nicht ohne. Oder?

10 [0:27:15] :

Alexander Kekulé

Ja, das ist richtig kritisiert worden. Hinter den Kulissen haben wir da auch viele Gespräche geführt. Da gibt es ja immer die berühmten Zoom-Konferenzen, wo die Leute sich dann da austoben. Es ist tatsächlich so, dass die Kritik in dem Fall besonders hart ist. Aus mehreren Gründen.

Das eine ist, dass man natürlich immer sagen kann, das war keine kontrollierte Studie. Kontrolliert heißt ja, dass man sich vorher mal hinsetzt und sagt, wie mache ich das? Dann hat man eine Versuchsgruppe, eine Kontrollgruppe. Dann wird am besten gelost, also zufällig ausgewählt, wer in welcher Gruppe kommt. Und wenn man es ganz perfekt macht, wissen die Ärzte und die Patienten nicht, wer das Kontrollmedikament, also ein Placebo bekommt, und wer das echte Medikament bekommt. Das war es hier ja von vornherein nicht. Das stand auch drinnen. Man nennt das eine Beobachtungsstudie. Das heißt also, die haben einfach Daten genommen, die schon da waren und noch einmal ausgewertet. Das hat immer Schwächen. Warum hat das Schwächen? Das eine ist natürlich klassisch, man weiß ja nicht, wann man zum Beispiel so ein so ein Medikament gibt. Stellen Sie sich vor, Sie haben drei Patienten, einem geht es richtig schlecht. Jetzt wissen Sie, das Medikament hat Nebenwirkungen, natürlich. Wem geben Sie das Medikament? Natürlich dem, dem es am schlechtesten geht. Deshalb haben sie gesagt: Ja, wenn ihr das Medikament lauter Leuten gebt, die eher schwer krank waren, klar sterben die häufiger. Und das ist dann ein klassischer Confounder, wie wird es dann nennen? Also etwas, was die Statistik dann stört.

Und das andere ist aber, und das ist hier schon besonders, dass der Autor, der eigentlich ein angesehener Arzt ist, ein Kardiologe, Mehra heißt der, aus Boston. Der ist da an dem berühmten Brigham and Women's Hospital. Das ist eine der Top-Adressen dort. Dass dem jetzt unterstellt wird, er hätte die Daten, zumindest von einer Firma übernommen, die möglicherweise da nicht sauber gearbeitet hat. Das ist eine Firma, die heißt Surgisphere, die hat weltweit Krankenhäuser unter Vertrag. Und deren Daten wurden genommen. Und da haben sich dann so ein paar Leute ganz genau hingesetzt und geschaut, was sind das eigentlich für Daten? Und die haben zum Beispiel festgestellt, dass die die Streuung zwischen den einzelnen Kontinenten, die da von den Daten, die da erhoben wurden, ziemlich gering ist. Also der Fehler war

eigentlich zu gering. Was heißt es in der Statistik? Das heißt, möglicherweise sind die Daten sogar manipuliert worden. Das muss man hier so offen sagen. Und dann sind so ein paar andere Merkwürdigkeiten aufgetreten. Dass die dann daraufhin die Daten nicht hergegeben haben. Weil alle haben gesagt, jetzt gebt mal die Daten frei. Wir wollen sie uns anschauen. Und das haben die verweigert. Das ist das auch unüblich. Normalerweise gibt man die Daten raus. Und dann war es eben so, dass eine andere Auffälligkeit war: Die Dosis, die da immer angegeben wurde, die war deutlich höher als das, was in den Vereinigten Staaten empfohlen wird. 100 Milligramm pro Tag war es höher. Aber zwei Drittel der Fälle stammten aus den Vereinigten Staaten. Und jetzt will man die USA kennt. Das ist dort extrem unüblich, dass man in so einer Studie einfach die Dosis erhöht, anders als empfohlen. Das hat ja auch versicherungsrechtliche Konsequenzen für die Ärzte. Das heißt, es müsste erklärt werden, warum die da so merkwürdige Dosierungen überall hatten. Das heißt, da sind echte Fragezeichen dran. Und hier hat sich in dem Fall, was ganz selten ist, die dieses sehr renommierte Journal, „The Lancet“ heißt das, entschieden, einen sogenannten Letter of concern zu machen. Das heißt, sie haben selber geschrieben, dass sie sich distanzieren von der Studie, die in ihrem eigenen Journal erzeugt wurde. Also, das ist schon eine ungewöhnliche Klatsche, muss man sagen.

Camillo Schumann

Also Hydroxychloroquin wieder im Rennen?

Alexander Kekulé

(Lacht) Naja, also sie wissen ja, dass ich von Anfang an Bedenken hatte. Also es ist so, dass wir jetzt nicht mehr sagen können, es ist komplett aus dem Rennen. Aber man muss auch sagen worum geht es hier? Hier geht es ja darum, dass aufgrund dieser Hinweise die aus einer nicht kontrollierten Studie gestammt haben, die Weltgesundheitsorganisation sofort gesagt hat: Alles Stopp, wir stoppen diese große Studie, die wir haben, das Solidarity-Projekt, wo ich glaube, in 35 Ländern dieses Medikament geprüft wird. Unter anderem, meines Wissens auch in Deutschland. Und da

hat man eben sofort gesagt, Stopp, wegen der Nebenwirkungen dürfen diese guten, großen, kontrollierten Studien nicht weitergemacht werden. Und das Einzige, was man gemacht hat, ist, dass man gesagt hat, diese kontrollierten Studien, die dürfen jetzt doch weitergemacht werden. Da ist noch was anderes passiert zwischendurch. Bei mehreren dieser kontrollierten Studien hat man Zwischenauswertungen gemacht. Das macht man sonst eigentlich nicht, sondern nur an bestimmten Punkten, wo das vorher veröffentlicht und festgelegt ist. Weil man sagt, man will der sozusagen das Kuvert gar nicht aufmachen. Man will gar nicht wissen, was passiert, um die Leute nicht zu beeinflussen. Das hat man hier aber gemacht aufgrund dieses Stopps und hat festgestellt, diese kontrollierten Studien, die sind zwar noch nicht fertig, aber bisher zeigen die diese toxische Wirkung von dem Hydroxychloroquin eben nicht. Und daraufhin hat man gesagt Moment mal, das ist ja ein Widerspruch. Und es wäre es schade, diese ganzen Studien abzubrechen. Und jetzt lassen wir die bis zu Ende laufen, um dann wirklich ein sauberes Ergebnis zu haben. Das heißt, es ist wieder im Rennen. Aber im Grunde genommen ist die einzige Entscheidung die, die Studien, die man abgebrochen hat, die dann wirklich seriös sind und mit diesen kontrollierten Bedingungen, die werden jetzt zu Ende geführt. Und bei der Gesamtbewertung ist natürlich auch wichtig von dem Hydroxychloroquin, es gibt ganz aktuell vom 03.06. eine neue Studie, die erschienen ist, die jetzt eine echte, kontrollierte Studie ist. Wo man alle Bedingungen eingehalten hat und nur mal geguckt hat, wie ist es, wenn man eine, wenn man Menschen, die im Kontakt waren mit Haushaltspersonen, die infiziert sind, also die möglicherweise sich anstecken könnten, wenn man denen Hydroxychloroquin als Prophylaxe gibt. Quasi als Infektionsprophylaxe. Und in dieser kleinen Studie, die also jetzt nicht sehr aussagekräftig ist, in der ist es aber so, dass wir auch da keinen Effekt gesehen haben. Also auch bei der niedrigen Dosierung. Diese, dieses Thema Prophylaxe, wo ich immer gedacht habe, das könnte vielleicht noch eine Anwendung sein, scheint es auch so zu sein, dass das selbst das nicht funktioniert.

7 [0:33:25] :

Camillo Schumann

Hat Herr Trump auch gedacht. Und deswegen hat er das auch abgesetzt. Aber für alle Fans dieses Themas Hydroxychloroquin hier im Podcast, die hören schon so raus. Wir werden uns sicherlich noch mal darüber unterhalten, wenn es dann wieder neue Informationen gibt, Herr Kekulé.

Wir kommen zu den Hörerfragen. Herr H. hört uns jeden Tag. Und er hat geschrieben, für ihn gehöre dieser Podcast wie die Butter zum Brot. Das ist doch mal eine Aussage. Das freut uns sehr, Herr H. Und er macht sich Gedanken. Und zwar um falsch-negative Testergebnisse.

Und er hat folgende Frage:

Ein Kind wird morgens in die Kita gebracht, wurde aber kurz zuvor einem möglicherweise infektiösen Elternteil ausgesetzt. Sollte das Kind dann sicherheitshalber isoliert werden, weil ein Test womöglich hundert Prozent falsch-negativ anzeigen könnte?

11 [0:34:13] :

Alexander Kekulé

Tja, das ist die Frage, was bei dem Kind sozusagen getestet wurde. Also wenn das Kind tatsächlich getestet wurde, was ich ganz toll fände, das ist ja die berühmte Empfehlung, die ich jetzt seit einiger Zeit schon habe. Ja, wenn es getestet wurde, würde ich mich in einer Normalsituation erst einmal darauf verlassen an dem Tag. Also, wenn das am Tag vorher oder morgens getestet wurde und negativ war, dann würde ich sagen, das kann man in die Kita schicken. Klar gibt es auch in dieser Situation falsch-negative, ja, das gibt es. Andererseits muss man sagen, wir werden das ja sowieso nicht päpstlicher als der Papst hinkriegen, diese Seuche zu bekämpfen und jetzt quasi auch noch Leute, die negativ getestet wurden, als potenziell infektiös anzusehen. Da wären wir vielleicht bei fünf Prozent, drei Prozent Chance. Da würde ich sagen, so weit würde ich nicht gehen. Aber ohne Test, falls das Kind nicht getestet wurde und ein Elternteil definitiv infektiös ist oder die Erkrankung hat, dann darf das Kind natürlich nicht in die Kita gehen. Das ist ganz klar.

7 [0:35:17] :

Camillo Schumann

Die Kindergärten sind wieder offen, und es stellen sich neue Fragen auch für Herrn G., der uns geschrieben hat. Er schreibt unsere Tochter war letzte Woche beim Zahnarzt, weil sie einen – ich lese es mal vor – vereiterten Zahn hatte. Der Zahnarzt hatte den Zahn dann aufgebohrt. Er hat uns mit auf den Weg gegeben, dass nach jeder Mahlzeit die Zähne geputzt werden müssen, damit sich die Öffnung nicht wieder verschließt. In der Kita darf unser Kind jetzt aber keine Zähne putzen. Das sei mit dem Gesundheitsamt so abgesprochen. Und Herr G. schreibt, ich finde das übertrieben, zumal das Kind die Zähne ja selbst und ohne Hilfe einer Erzieherin putzen könnte. Liege ich falsch, oder ist das Zahnputzverbot übertrieben?

12 [0:35:58] :

Alexander Kekulé

Ich muss hier natürlich aufpassen, dass ich jetzt gar nicht irgendwie alle 400 Gesundheitsämter in Deutschland dann irgendwann zum Feind habe. Aber es ist natürlich so, auch Gesundheitsämter gehen manchmal nach sehr stark nach dem Papier vor. Es gibt grundsätzlich keinen Grund, warum Kinder sich nicht selber die Zähneputzen sollen in der Kita. Warum sollen sie das nicht machen? Sicher, man muss dafür sorgen, dass die dann nicht Schulter an Schulter stehen oder sich gegenseitig die Zahnbürsten klauen oder Ähnliches. Aber abgesehen von dem Mehraufwand für die Betreuer, meine ich, ist das ja auch sonst sinnvoll, auch wenn man keinen vereiterten Zahn hatte. Dass Kinder sich natürlich auch mittags mal die Zähne putzen sollen. Das würde mir viel zu weit gehen, hier die wichtige Hygieneerziehung für der Kinder jetzt plötzlich hintanzustellen. Sie müssen ja nur daran denken, in den normalen Kitas kommt immer so eine, wir nennen die immer Zahnfee. Natürlich nicht die Zahnfee. Es kommt eine Dame, vielleicht auch manchmal ein Herr vorbei, und erklärt ja wirklich den Kindern ausführlich, warum Sie sich unbedingt die Zähne putzen müssen. Und das zwar besten dreimal am Tag. Das würde ich jetzt. Dieses pädagogische Konzept würde ich nicht konterkarieren. Und ich sehe jetzt bei Covid-

19 keinen Grund, warum die sich nicht die Zähne putzen sollen.

2 [0:37:22] :

Camillo Schumann

Herr G. Tochter war er schon beim Zahnarzt. Diese Dame will da noch hin. Sie hat uns angerufen.

13 [0:37:31] :

Hörerin

Welchem Risiko setze ich mich bei der Behandlung beim Zahnarzt aus? Es wäre schön, wenn er darauf antworten könnte. Auf jeden Fall, Dankeschön und Wiederhören.

11 [0:37:38] :

Alexander Kekulé

Das ist so. Die Zahnärzte sind bei dieser Art von Erkrankungen – das wissen wir von der Influenza zum Beispiel, tatsächlich die Arztpraxen, vor allem aus den USA weiß man – das sind besondere Risikobereiche. Da gibt es immer wieder Infektionen sowohl des Personals als auch natürlich dann von anderen Patienten. Aber wir haben in Deutschland inzwischen hier eine Situation, wo die Fallzahlen extrem gering geworden sind. Also wenn an den Zahlen des RKI irgendetwas dran ist, haben wir ja nun wirklich nicht mehr viele Fälle. Und abgesehen von vielleicht Ausbruchssituation, über die wir vorhin gesprochen haben. Und deshalb das ist das eine. Das andere ist, dass ich glaube, die Zahnärzte haben das wirklich verstanden. Die wissen, dass auch in der Ausbildung, in Halle bilden wäre auch übrigens die Zahnärzte selber aus ... Bei mir in der Mikrobiologie lernen die. Die wissen einfach die um diese Risiken in Deutschland sehr, sehr genau Bescheid. Deshalb bin ich fast sicher, dass es inzwischen anders als am Anfang der Epidemie keine riesigen Risiken mehr gibt, wenn man zum Zahnarzt geht. Das kann ich mir nicht anders vorstellen.

2 [0:38:46] :

Camillo Schumann

Wir sind am Ende von Ausgabe 64.

Und an dieser Stelle noch ein kleiner Hinweis in eigener Sache. Kekulés Corona-Kompass gibt es jetzt immer dreimal die Woche,

Dienstag, am Donnerstag und Samstag. Das heißt er Kekulé, wir hören uns am Samstag wieder. Bis dahin. Bleiben Sie gesund.

Alexander Kekulé

Bis dahin, Herr Schumann, Sie auch.

Camillo Schumann

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé? Schreiben Sie uns: mdraktuell- podcast@mdr.de. Rufen Sie uns an unter der 0800 32200. Oder twittern Sie Ihre Frage unter dem Hashtag #fragkekulé

MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass.




MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Mittwoch 03. Juni.

Tim Deisinger (Moderator)

Diese Ausgabe unseres Podcasts mit folgenden Themen:

Zoff im Virologen-Olymp. Was ist dran an der Bild-Kritik an Christian Drosten? Ist das eine gezielte Medienkampagne, sekundiert von anderen Wissenschaftlern? Darf einer Konzepte für die Pandemie- Bekämpfung machen, der selbst nicht mehr an Viren forscht.

Dann: Alle machen sich frei von Masken, viele zumindest frei von allen Abstandsregeln. Trotzdem gehen die Corona-Fallzahlen nach unten. Haben wir es vielleicht doch bald überstanden?

Und Trumps Kritik an der Weltgesundheitsorganisation. Hat er Recht. Ist die WHO eine Marionette Chinas, die die Pandemie aber hätte verhindern müssen und können?

Wir wollen helfen, aktuelle Entwicklungen rund um das neuartige Coronavirus zu verstehen und einzuordnen. Und wir beantworten Ihre Fragen.

Ich bin Tim Deisinger, Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell. Einschätzungen holen wir ein, wie immer beim renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé.

Guten Tag, Herr Kekulé!

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Deisinger!

Tim Deisinger

Zum großen Virologen-Streit, wenn er denn überhaupt einer ist, kommen wir im Verlauf des Podcasts. Aber wir müssen vielleicht erst einmal über das Wetter reden. Und das, was es mit den Menschen derzeit macht, da sie ja täglich mit dem Virus umgehen müssen. Und mit all den Einschränkungen, die damit verbunden sind. Und die Menschen, die auch umgehen müssen, damit, dass viele sich nicht mehr an die Beschränkungen halten, bzw., dass immer weiter gelockert wird. Dass eigentlich alles fast schon so ist wie vor Corona-Zeiten. Nehmen wir mal das, was derzeit los ist, also, was man draußen am besten beobachten kann. Man steht da wieder in Gruppen zusammen. Abstand ist das Gebot, das viele nicht mehr kennen. Wenn Sie das so sehen, Herr Kekulé: Wird Ihnen da ein bisschen mulmig.

3 [0:01:58] :

Alexander Kekulé

Ehrlich gesagt ja. Also ich war gerade in Berlin und habe da so erlebt wie da so das Leben ist. Das geht ja schonmal so los, dass man in vielen Gebäuden die Masken gar nicht mehr aufhaben muss. Ich glaube, in den Cafés ist sowieso die Maskenpflicht abgeschafft, auch in geschlossenen Räumen. Und ich mache mir also nicht so sehr Sorgen für draußen. Es ist ja, ich glaube inzwischen relativ deutlich, dass aus meiner Sicht man draußen kaum Infektionsgefahr hat. Da muss man sich wirklich direkt ins Gesicht sprechen aus kurzem Abstand, damit das eine Rolle spielt oder mal so eine seltene Schmierinfektion abbekommen. Aber in geschlossenen Räumen ist es natürlich so: Wenn da das Gleiche passiert, wie das, was wir auf der Straße sehen, dann ist das ein Risiko, dass es einfach lokale, einzelne Ausbrüche wieder gibt. Und auch das Risiko, dass die Behörden dann natürlich so etwas Ähnliches wie einen kleinen Lockdown wieder neu verfügen.

2 [0:02:52] :

[Moderator] Aber Sie haben schon mehrfach das menschliche Verhalten mit dem der Tiere verglichen. Ist eine Seuche in der Herde oder in der Rotte unterwegs, dann separieren sich die Tiere, vergrößern den Abstand. Menschen würden das möglicherweise genauso machen, war ihre Aussage. Da muss man doch aber auch zugestehen, dass, wenn sie spüren, dass das Virus nicht mehr umgeht, dass sie dann doch wieder zum normalen Alltag zurückkehren wollen.

3 [0:03:19] :

Alexander Kekulé

(Lachen) Also den Vergleich mit Tieren darf man natürlich nicht überbewerten. Ich hoffe nur eben, dass die Menschen auch so einen kleinen Instinkt haben, möchte ich mal sagen. Und ja, klar, der Instinkt funktioniert natürlich unmittelbar. Also das ist bei uns Menschen immer so ein gewisses Problem, dass abstrakte Gefahren für uns schwerer nachvollziehbar sind. Wenn direkt neben Ihnen ein Holzbrett umfällt, dann macht es Krach, und Sie springen auf die Seite. Und wahrscheinlich stehen Ihnen die Haare noch ein paar Sekunden zu Berge, obwohl das nichts Gefährliches war. Wenn in einem Kilometer Abstand es ganz leise „Peng“ macht, könnte es sein, dass jemand mit dem Gewehr auf Sie geschossen hat. Da erschrecken Sie überhaupt nicht. Und das ist einfach der Mensch, der ist einfach so konstruiert. Eine Gefahr, die dann auch durch die anderen ... Da gibt es ja diese Versicherung durch die Gruppe. Man versucht Gefahren auch immer in den Gesichtern und Reaktionen der anderen einzuschätzen. Das machen Kinder ganz stark, aber auch Erwachsene natürlich ein bisschen. Und wenn dann alle zusammen so in diesen Entspannungsmodus übergehen, dann kann es schon sein, dass es ganz schwer ist, ein zweites Mal, wenn ich so sagen darf, für die Fachleute zu vermitteln: Falls es zu neuen Ausbrüchen kommt, dass man sich wieder zusammenreißen muss.

Tim Deisinger

Ist das wirklich so schwer? Denken Sie nicht, dass, wenn es dann wiederkommen sollte, dass die Menschen sich wieder freiwillig beschränken würden?

6 [0:04:42] :

Alexander Kekulé

Ähm, ich glaube nicht in der gleichen Weise, ganz ehrlich gesagt. Aber das ist nicht so mein Spezialgebiet, muss ich sagen. Ich bin ja kein Soziologe. Ich blicke da mit Interesse über den Zaun in dieses Arbeitsgebiet. Wenn man mit genau der gleichen Story zweimal kommt, ist halt das Problem. Wie jetzt diese irre Diskussion: War das alles nötig oder nicht. Das Ganze ist emotional so aufgeschaukelt. Und ich glaube, dieses sehr große Vertrauen in die Regierung, was die Deutschen hatten, und das ist weltweit beobachtet worden, dass sie gesagt haben, wir machen das jetzt alle mit. Was auch umgekehrt Vertrauen in die Bürger, im Grunde genommen, beinhaltet hat. Weil die Regierung in Deutschland hat letztlich gesagt, wir machen einen Lockdown, aber eigentlich diesen „Lockdown light“. Da hatten wir ja auch schon ein paar Mal darüber gesprochen, dass das kein so richtiger Lockdown in Deutschland war. Und trotzdem hat es gut funktioniert. Ich weiß nicht, ob das ein zweites Mal diese Solidarität geben wird von beiden Seiten. Da bin ich nicht sicher,

2 [0:05:44] :

Tim Deisinger

Wenn man auf die Fallzahlen schaut. Es sind ja immer weniger Neuinfektionen, das hatten sie auch so vermutet. Woran liegt es denn nun wirklich? Also an den Temperaturen, die die Viren vielleicht kaputtmachen? Daran, dass die Menschen mehr im Freien sind und nicht virusbelastete Aerosole irgendwo in Räumen einatmen?

7 [0:06:04] :

Alexander Kekulé

Also ich glaube ja, das beides. Es sind die Temperaturen. Es ist das Verhalten der Menschen. Und die zwei ganz entscheidenden Faktoren sind für mich, dass wir erkannt haben, dass wir in geschlossenen Räumen im Prinzip Masken tragen sollen, müssen, wenn es erforderlich ist. Solche einzelnen Ausbrüche, um die geht es hier in dieser jetzigen Phase der Pandemie. Da geht es nicht mehr darum, dass wir so eine regelrechte Welle im ganzen Land haben, sondern es geht um einzelne Ausbrüche, die hochflammen, wie jetzt gerade in einer Schule in Göttingen. Solche Situationen kann man am besten vermeiden, indem man verhindert, dass in geschlossenen Räumen mit wenig Windbewegung viele Menschen zusammen sind und dann auch noch möglicherweise ohne Gesichtsschutz, Mund- und Nasenschutz. Diese ganz bestimmte Situation, die kommt, glaube ich, schon seltener vor. Da gab es den Fall in Frankfurt mit der Kirche und ähnliche Situationen gibt es überall auf der Welt. Aus USA gibt es auch ständig solche Berichte, wo Leute eben im Raum zusammen waren und diese sogenannten Super-Spreading-Events dann eingetreten sind. Aber ich glaube, dieses Eine haben die Menschen schon verstanden. Und das andere ist, das wäre ja viele große Ausbrüche hatten in Altersheimen, in anderen Heimen und im Krankenhaus. Am Anfang waren wir sehr viele Menschen, auch vom medizinischen Personal betroffen, auch in Deutschland. Und das sind natürlich alles Infektionsquellen, die abgestellt wurden – im Altersheim noch nicht so ganz perfekt. Aber in den Krankenhäusern haben wir es, würde ich sagen, im Griff.

2 [0:07:33] :

Tim Deisinger

Stichwort: Aerosole. Ist man auf aktuell auf dem Stand, dass diese Übertragungswege vielleicht die entscheidenden sind? Das zeigt ja auch eine neue Veröffentlichung dazu. Zumindest, was ich da so überblicksmäßig gelesen habe.

8 [0:07:48] :

Alexander Kekulé

Ja, da haben Sie recht. Also entscheidend? Ja, das wird in der Presse zum Teil so berichtet. Das kann man nicht sagen. Da hat sich eigentlich aus meiner Sicht zumindest die Datenlage nicht geändert oder die Erkenntnisse nicht groß geändert. Es war schon immer klar, dass ein Teil dieser Infektionen über Aerosole übertragen wird. Und das war die allgemeine Annahme, dass das ein sehr kleiner Teil ist im Vergleich zu den zu den Tröpfcheninfektionen, die einen direkten Kontakt benötigen. Jetzt muss man aber sehen, in welcher Phase man ist. Wenn man anfängt, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Und wenn man diese direkte Tröpfcheninfektion – ich sag mal „face-to-face“, also man spuckt sich, ohne es zu merken, gegenseitig an – wenn man das jetzt durch das Verhalten der Menschen, durch die Gesichtsmasken und die Abstandsregeln, die praktisch weltweit bekannt sind, weitgehend abgestellt hat und jeder von uns sich so verhält, dann bleibt als Risiko noch diese Aerosol- Ausbreitung, die nämlich weiter als diese zwei Meter geht. Deshalb ist die jetzt in der Phase, wo wir sozusagen den letzten Rest eliminieren wollen von diesem Ausbruch in Deutschland ist das extrem wichtig. Das mit den Aerosolen war bei der exponentiellen Phase nicht wichtig. In den USA wird es ja diskutiert, ob es überhaupt eine Rolle spielt. Da ist das ein riesiger Glaubenskrieg. Weil die alle immer noch sagen, in geschlossenen Räumen, wenn wir da unsere „Six Feet“ Abstand halten, also knapp zwei Meter Abstand halten, ist alles in Butter. Und da haben die die Virologen ein Riesenproblem des der Bevölkerung zu erklären, dass das nicht reicht. Aber ich glaube, in Deutschland haben es die Leute schon verstanden, dass es eben darauf ankommt. Aber das ist eine andere Phase. Darum kann man nicht sagen, die Rahmenbedingungen sind meines Erachtens unverändert. Das ist für mich jetzt nichts Neues.

2 [0:09:35] : [Moderator] Ich habe in der Zusammenfassung dieser Veröffentlichung auch gelesen, dass vermutet wird, dass die Größe der Aerosoltröpfchen entscheidend sein könnte für die Schwere der Erkrankung. Kann das sein?

9 [0:09:47] :

Alexander Kekulé

Naja, das ist so eine alte Theorie. Ich bin da, ehrlich gesagt, unentschlossen, wie man das interpretieren soll. Es ist ja so, dass wir bei SARS-1, also diesem SARS-Virus von 2003. Da hatten wir die Situation, dass der Rezeptor, wo dieses Virus andockt, also wo das Virus in den Körper hineinkommt, dieser Rezeptor, der ist tief in der Lunge bei SARS-1. Und deshalb brauchte man relativ feine Partikel, wir sagen immer so unter fünf Mikrometer Durchmesser – und Mikrometer ist ein Millionstel Meter oder ein Tausendstel Millimeter – also unter fünf Mikrometer Durchmesser, sollen diese Tröpfchen, bzw. diese Partikel sein, damit sie tief in die Lunge gehen. Deshalb war es damals so, dass die kleinen Partikel gefährlicher waren. Jetzt, auf dieser Basis, könnte man sagen, dass heute vielleicht auch kleine Partikel eine Rolle spielen, weil sie tiefer in die Lunge kommen. Andererseits wissen wir, dass bei diesen neuen Virus SARS-CoV-2 relativ eindeutig das Virus schon in den oberen Atemwegen andocken kann: zum Beispiel im Rachen, aber auch in der Nase ist ein Thema hier. Deshalb bin ich jetzt unentschlossen, ob man da sagen kann, diese ganz feinen Partikel sind genauso wieder besonders gefährlich. Da würde ich sagen, ist die Datenlage noch unklar.

Tim Deisinger

Aber das hieße, wenn die größeren Tröpfchen entscheidend sind, dann sind Masken ja umso wichtiger. Weil die werden von den Masken wahrscheinlich besser zurückgehalten als die kleineren. Oder?

10 [0:11:10] :

Alexander Kekulé

Ja, genau. Diese Tröpfchengröße spielt genau an der Stelle wiederum eine Rolle. Es gibt gerade eine ganz neue Arbeit, die ist vor ein paar Tagen in „The Lancet“ erschienen. Das ist eines der wirklichen Top-Journale, die wir haben. Und die hat es noch einmal bestätigt. Es ist so: Wenn Sie eine Maske im Gesicht haben, dann schützen Sie andere Angst davor, dass die diese Tröpfchen abkriegen. Und zwar zu einem gewissen Grad beides, sowohl die großen als auch die kleinen. Weil durch so ein Vlies, was man vor Mund und Nase hat, fliegen eben auch keine kleinen Tröpfchen raus, insofern das Vlies nicht gerade nass geworden ist. Das heißt also, andere schützen sie auch vor den kleinen Tröpfchen. Aber sich selber schützen Sie mit so einer Maske nur, wenn ich so sagen darf, vor den großen Tröpfchen, die auf dem direkten Weg übertragen werden, also, die sozusagen gespuckt werden. Was bedeutet das, je mehr es in der aktuellen Entwicklung auch drauf ankommt, diese etwas selteneren Ereignisse zu verhindern, wo ein Mensch ganz viele über so eine Tröpfchenwolke, also über ein echtes Aerosol, ansteckt? Je mehr es in diese Phase geht, desto wichtiger werden diese Tröpfchen, die an der Maske vorbeigehen, wenn Sie sie einatmen. Weil dieser ganz feine Nebel, der geht beim Einatmen links und rechts vorbei an der Maske. Vor dem können Sie sich nicht schützen. Und diese Studie, die fand ich also ganz interessant. Die hat das relativ deutlich gezeigt. Die hat verglichen, was der Abstand macht, also an das normale Distancing, so zwei Meter Abstand oder einen Meter Abstand. Und was Gesichtsmasken für eine Auswirkungen haben und es wurden die unterschiedlichen Sorten verglichen, und sogar, was ein Augenschutz vielleicht noch zusätzlich bringen kann. Da haben die über 20.000 Publikationen zu dem Thema analysiert, in einer sogenannten Metaanalyse. Die haben selber keine Studie gemacht, sondern haben andere Studien quasi ausgewertet. Da haben sie 44 rausgesucht von diesen über 20.000 und haben rausgekriegt: Wenn man eine Maske im Gesicht hat, egal ob das eine FFP-Maske ist oder irgendeine Maske, irgendeine andere, dann kann man das Risiko, sich anzustecken von etwas über 17 Prozent auf drei Prozent reduzieren. Ich lasse mal die Zahlen hinterm Komma weg. Und das gilt eben in einigen Studien, auch für diese Aerosole. Bei den Aerosolen ist es aber so, dass gezeigt wurde, dass diese N95-Masken, so heißen die in Amerika, bei uns FFP-Masken, dass die da wirksamer sind. Und das heißt sozusagen umgekehrt: Wenn man mit einer FFP-Maske tatsächlich sich besser schützt als mit einem Mund-Nasen-Schutz, dann spielen diese Aerosole offensichtlich eine Rolle. Weil der normale Mund-Nasen-Schutz diese direkt anfliegenden Tröpfchen ja auch abhalten würde.

Und das andere, was sie getestet haben, ist dieser Augenschutz. Da haben sie gesagt wenn man was vor den Augen hat, das hat mich ein bisschen überrascht, kann man die Gefährdung von etwa 16 Prozent auf 5,5 Prozent reduzieren, also auf ein Drittel ungefähr. Das muss man dazusagen: Das ist wahrscheinlich – ich habe das nicht ganz genau analysiert – dem geschuldet, dass die auch viel Krankenhauspersonal untersucht haben. Und Krankenhauspersonal kriegt natürlich relativ viel auch mal in die Augen, wenn die Patienten irgendwie intubiert werden, also einen Schlauch in die Lunge kriegen und Ähnliches. Ich glaube, für den Alltag kann man das nicht so sagen, dass man deswegen immer eine Brille tragen muss.

Aber das hat mich natürlich gefreut. Es war ja immer schon eine Empfehlung, die wir gegeben haben, dass, wenn man sich zusätzlich schützen will, vielleicht eine Brille aufsetzt.

Und das Letzte ist, das sie gesagt haben: Abstand! Da ist auch ganz klar gezeigt worden, das Distancing bringt was. Und sie haben auch gezeigt: zwei Meter besser ist als ein Meter. Selbst das konnte in dieser Studie gezeigt werden.

Aber insgesamt muss man sagen: Die Fachleute nennen so etwas „educated guess“, also ein Bauchgefühl eines Fachmanns. Und diese „educated guesses“, was da sinnvoll ist und die wir alle schon hatten, die wurden im Grunde genommen durch diese Studie bestätigt. Aber im Ergebnis heißt es, wir müssen jetzt auch diese Aerosole tatsächlich ins Auge fassen. Und darüber nachdenken, was wir machen, wenn Leute in geschlossenen Räumen sind. Ich glaube die Konsequenz, die man ziehen kann, ist: Jemand, der eine Risikopersonen ist, also über 70 auf jeden Fall und auch die anderen klaren Risikopersonen, die sollten, wenn sie wirklich im Flugzeug sitzen oder in anderen geschlossenen Räumen bzw. unbedingt mit anderen Menschen enger zusammen sein müssen, die sollten definitiv eine FFP2-Maske aufsetzen und nicht einen normalen Mund-Nasen-Schutz.

2 [0:15:55] :

Tim Deisinger

Okay, machen wir einen Haken dran. Nächstes Thema: Donald Trump, US-Präsident, der sein Land nun sozusagen bei der Weltgesundheitsorganisation, der WHO, abgemeldet hat. Kritik hatte er schon länger geäußert, die WHO sei quasi China gesteuert, sie hätte die Pandemie verhindern können. Hat sie aber nicht. Ist das alles aus der Luft gegriffen?

9 [0:16:21] :

Alexander Kekulé

Also, man muss schon sagen, Tedros, der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation ist am Anfang schon sehr diplomatisch mit China umgegangen. Der hat die mit Samthandschuhen angefasst. Ich weiß aber auch nicht, was er hätte anders machen können. Es ist einfach so, dass nach den internationalen Regularien, die da zuständig sind, die heißen International Health Regulations. Da ist einfach das Land, was betroffen ist, immer mit am Tisch, auch wenn es darum geht – und das ist die Kritik von Donald Trump gewesen – diesen internationalen Gesundheitsnotfall auszurufen. Da saßen in dem Meeting, die Ergebnisse sind jetzt so in den letzten Tagen und Wochen nach und nach dann durchgesickert, natürlich die Chinesen mit drinnen. Das ist so. Die haben aber eine Delegation geschickt, die aus politisch motivierten Menschen bestand. Und die haben, das sagen jetzt alle Beteiligten, von denen ich gehört habe, die haben ziemlich eindeutig gesagt: Wir wollen keinen internationalen Notfall. Und sie haben das begründet mit Daten, die ganz offensichtlich im Nachhinein falsch waren. Also die haben falsche Daten vorgelegt und haben versucht zu argumentieren, dass dieser internationale Notfall nicht ausgerufen wird. Jetzt hat Trump, und andere haben der WHO vorgeworfen, dass sie in dieses Komitee Leute reingesetzt haben, die jetzt nicht unbedingt superqualifizierte dafür waren, das im Einzelnen zu beurteilen. Und ich muss ehrlich sagen, man hätte sicherlich ein paar China-kritischere Leute reinsetzen können. Oder ein paar Leute, die vielleicht mit mehr mit früheren Pandemien Erfahrungen hatten. Wie das dem geschuldet war, weiß man im Einzelnen nicht. Aber klar, da sind Sachen am Anfang nicht so optimal gelaufen. Ich

weiß aber nicht, was der hätte anders machen sollen. Weil, wenn jetzt sich die WHO von China da distanziert und auf den Tisch gehauen hätte, öffentlich, dann hätten die halt gar keine Informationen mehr rausgerückt. Und das war eigentlich der Worst Case, den Tedros verhindern muss.

2 [0:18:23] :

Tim Deisinger

Aber wenn da politisch diskutiert wird und politische Vorstellungen eine Rolle spielen – wir hatten auch in Folge 25 schon ein bisschen ausführliche drüber gesprochen – wie kann denn die WHO dann Krisenmanager sein? Oder ist das gar nicht ihre Aufgabe?

11 [0:18:40] :

Alexander Kekulé

Das wäre sie, und das ist ja die Diskussion bei jeder Krise. Das hatten wir ja bei Ebola und vorher auch bei der Schweinegrippe 2009. Es gibt ja Leute, die sagen, dass man deshalb die WHO nicht wirklich in dieser Art, wie sie ist, reformieren kann. Die Diskussion gab es schon mehrfach. Und weil letztlich die WHO auf Mittel von den Mitgliedstaaten angewiesen ist, weil sie nur Empfehlungen geben kann und weil große, starke Staaten wie eben zum Beispiel China einfach machen, was sie wollen. Das wäre ganz genauso, wie ein Ausbruch in den Vereinigten Staaten von Amerika wäre. Dann würde sich kein US-Präsident aus Genf irgendwelche Vorschriften machen lassen. Deshalb gibt es Leute, die sagen, wir brauchen da ein anderes Modell dafür. Und in dieses Horn tutet natürlich jetzt Donald Trump. Ich bin überhaupt kein Trump-Freund, das ist klar. Aber man muss schon sagen, was die US-Regierung so ungefähr für die WHO zahlt, ist, glaube ich, so eine halbe Milliarde US-Dollar. So in der Größenordnung liegt es. Die haben bei vielen Bereichen einen wichtigen Teil des Budgets bisher bezahlt, also zum Beispiel bei dem Polio-Programm, also die weltweiten Impfungen gegen Kinderlähmung, da war es ungefähr ein Viertel. Bei Tuberkulose, Malaria, bei internationalen Notfällen, überall da haben die USA immer so 20-25 Prozent eigentlich bezahlt von den Kosten. Aber jetzt sagt er, wir nehmen dieses Geld zurück, und wir setzen jetzt quasi das Fünffache davon. Insgesamt mindestens das Fünffache, also 3 Milliarden US-Dollar für dieses sogenannte Global Health Security and Diplomacy Act Program. Das ist also quasi das, was er alternativ als amerikanisches Notfallprogramm aufsetzen will. Das soll 3 Milliarden US-Dollar kosten. Und die letzten Tage gab es neue Gerüchte, dass er ein weiteres Programm mit noch einmal 2,5 Milliarden Dollar nur für Pandemieabwehr aufsetzen will. Also, wobei man sagen muss, das zweite Programm wäre nicht nur international, sondern national und international, für beides. Aber das sind natürlich riesige Summen, die viel höher sind als das, was die USA jemals für die WHO gezahlt hat. Und man könnte natürlich schon fragen, ob das dann aus Sicht der USA, ob das dann vielleicht effizienter ist. Dann kann Trump sagen, hier und da schicken wir jetzt unsere Leute hin und macht mal, und wir helfen denen jetzt ad-hoc.

2 [0:21:01] :

Tim Deisinger

Sie haben ja auch in der schon genannten Folge 25 formuliert, wenn ich es recht weiß, dass Deutschland die Weltgesundheitsorganisation eigentlich gar nicht wirklich braucht. Also das eher für Staaten sein sollte, die weniger leistungsstark sind. So kann man sich ja auch wirklich fragen, also ob die USA die WHO nötig haben, ob wir die brauchen.

12 [0:21:22] :

Alexander Kekulé

Die USA brauchen sie nicht, und aber das ist eben auch die Gefahr hier. Wir in Europa brauchen sie in dem Sinn auch nicht. Das muss man ehrlicherweise sagen. Aber es ist ja so: Es gibt die großen Seuchen, und die großen Probleme gesundheitlich sind ja in den armen Ländern. Und auch, dass das aus China jetzt gekommen ist mit diesem SARS-CoV-2, zeigt im Grunde genommen, dass sozusagen gesundheitlich schlechter strukturierte Regionen hier das Problem sind. Und China ist jetzt ganz gut aufgestellt, um sich da zu wehren. Aber stellen Sie sich vor, so etwas kommt mal aus Afrika. Oder

eben Polio und ähnliche Probleme, die wir noch haben. Das Problem ist, in diesen Ländern haben zum großen Teil die Vereinigten Staaten von Amerika eigentlich keine Freunde. Das sind häufig muslimische Länder. Das sind häufig Länder, die sich zurückgesetzt fühlen, auch zu Recht, von den industrialisierten Ländern. Und da haben die USA zum Teil keine Freunde und vor allem keine Beziehungen. Also die gesamten Impfkampagnen und so, die werden unter Koordination der WHO aufgesetzt. Zwar mit Leuten aus den USA, aber Koordinator und Verbindung ist immer die WHO. Und das ist eben ein wahnsinnig sensibles Geschäft. Und darum ist die WHO ja so vorsichtig mit ihren Mitgliedsstaaten, da die Diplomatie so zu machen, dass man die Leute nicht vorführt. Dass man ihnen hilft, dass sie diese Kampagnen zulassen und Ähnliches, dass sie manchmal auch die Kampagnen schützen. Und all das haben die Amerikaner nicht. Das heißt, sie können jetzt nicht einfach irgendwo reinmarschieren und sagen: „Hallo Leute, wir impfen jetzt mal eure Kinder alle durch“. Das würde aus verschiedensten Gründen nicht funktionieren. Sodass eben ein eigenes Programm der USA zwar für Trump den Vorteil hätte, dass er das politisch nutzen kann, weil er ja da eine Gegenleistung fordern kann. Das ist so ähnlich wie China international in der letzten Zeit auch auftritt. Aber diese bilateralen Ansätze im Gegensatz zu den multilateralen, wie man es dann diplomatisch nennen würde, die haben eben immer den Nachteil, dass sie von den anderen Leuten auch angenommen werden müssen. Und ich glaube, dass das nicht funktionieren wird. Ich glaube, dass ganz viele dieser Programme jetzt auf der Strecke bleiben, weil einfach de facto es nicht umgesetzt werden kann von den Amerikanern.

2 [0:23:29] :

Tim Deisinger

Wenn wir den Kreis immer noch ein bisschen weiter ziehen. Es gibt ja auch andere Einrichtungen, ähnlich der Weltgesundheitsorganisation oder die in diesem Zusammenhang auch immer wieder in Frage gestellt werden, die kritisiert werden. Auch hier in Deutschland ist beispielsweise immer wieder von einer Behörde die Rede, von der man ja zumindest vom Namen her hätte die Ahnung haben können, dass sie aktiv an der Epidemiebekämpfung mitwirkt, das BBK, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das tut aber offenbar nichts. Verstehe ich den Ansatz dieses Amtes falsch?

11 [0:24:11] :

Alexander Kekulé

Nein, das Amt heißt eben interessanterweise Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Da muss ein bisschen auf die Geschichte zurückgehen. Es ist so, dass ich ja lange in der Schutzkommission war. Das ist eine Kommission, die genau zu diesem Thema Bevölkerungsschutz die Bundesregierung beraten hat. Und wir haben immer gefordert, dass es so ein Amt unbedingt geben muss. Hintergrund war, dass es vorher ein Bundesamt für Zivilschutz gab. Jetzt ist es so von den technischen Ausdrücken her: Der Zivilschutz meint, wenn man die Bevölkerung schützt im Verteidigungsfall, also Krieg. Und das ist Bundessache in Deutschland. Und Katastrophenschutz meint, wenn man die Bevölkerung eben von Katastrophen schützt, und das ist eben immer Ländersache gewesen. Und jetzt war damals unter Otto Schily, der mal Innenminister war, es eben so, dass dieses Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe aufgesetzt wurde. Weil man nach dem 11. September, nach den Anschlägen in New York eben erkannt hat und auch nach den Milzbrand-Anschlägen, die dann passiert sind, hat man erkannt: Wir müssen da in Deutschland was haben, was funktioniert. Man hat das quasi als Nachfolgebehörde des früheren Zivilschutzes aufgestellt. Das Amt hat aber immer noch das Problem, dass es eine Bundesbehörde ist, was ebenso lange nicht im Krieg ist, die Länder nur beraten darf bei Katastrophenschutz. Und dazu ist aber auch immer Voraussetzung, dass es überhaupt eine Katastrophe ist. Und außer Bayern hat meines Wissens kein Bundesland den Katastrophen-Status ausgerufen. Und damit ist das BBK einfach rein formal nicht zuständig. Das ist, wenn man so will, ein kleiner Strickfehler im föderalen System auf der einen Seite. Und zwar dadurch, dass man – und das hat Schily auch versucht zu ändern bei der sogenannten Zweiten Föderalismusreform, aber ist damit nicht durchgekommen – dass eben die Länder beim Katastrophenschutz absolut nichts abgeben wollten. Obwohl es klar ist, dass viele Katastrophen

landesübergreifend sind. Das hängt immer damit zusammen, wer verantwortlich ist für etwas, kriegt ja auch das Geld dafür. Und darum ging es dann letztlich.

Und das andere Problem an der Stelle jetzt bei der aktuellen Pandemie ist, wir haben ja auch die Zuständigkeit des Gesundheitsressorts. Da ist es so, dass bekanntlich Spahn jetzt als Bundesgesundheitsminister gerade durchgesetzt hat, dass über das Infektionsschutzgesetz doch ein paar mehr Kompetenzen beim Bund jetzt ankommen. Vielleicht gibt es da auch noch eine weitere Auflage zu dem Thema. Aber letztlich ist es auch da so: Gesundheit ist Ländersache. Und das heißt auch hier kam der Bund immer nur sozusagen Empfehlungen machen. Und bei einer Seuche ist jetzt primär erst mal das Gesundheitsministerium zuständig und nicht das Ressort Innen. Und das BBK ist dem Innenministerium unterstellt. Das heißt also, das ist in doppelter Hinsicht sozusagen im Windschatten. Das ist föderal nicht zuständig und von der Ressortaufteilung nicht zuständig.

2 [0:26:59] :

Tim Deisinger

Aber man hat gesehen, das Amt hat auch große Ressourcen. Ich habe mal gelesen, die haben vor, weiß gar nicht, über zehn Jahren mal ein großes Szenario durchgespielt, das der aktuellen Realität ja ziemlich nahekommt. Es ging damals um eine schwere Grippe-Epidemie. Daraufhin hat man Pläne arbeitet, Pläne erarbeitet. Nur heute weiß man von diesen Plänen, sie hat letztlich keiner umgesetzt. Weiß man denn auch genau, warum sie nicht umgesetzt worden sind? Ich habe jetzt ein bisschen rausgehört, die Länder sind jetzt schuld,

14 [0:27:31] :

Alexander Kekulé

Ja, rein formal sind natürlich die Länder schuld. Das ist halt so, wenn es im Gesetz so steht. Aber klar, die Schutzkommission hat ja diese Pandemievorbereitungen mit angeregt und war auch unmittelbar beteiligt. Da gab es tausend Übungen und Papiere, was wir da gemacht haben, rauf und runter. Und es ist so, dass letztlich im Ergebnis da steht: Ihr müsst für den Pandemiefall Beatmungsgeräte einlagern. Ihr müsst Atemmasken einlagern und noch eine lange Liste von weiteren Medikamenten und so weiter, die dann gebraucht werden, bis hin zu Antibiotika, die jetzt zum Teil auch knapp waren. Und es steht drin: Ihr müsst euch darauf einstellen, dass eben Verteilungskämpfe weltweit entstehen. Weil das ein globales Problem ist, wo man viele Probleme haben kann, und wer kriegt was zuerst? Das ist, glaube ich, hinlänglich bekannt, dass diese Dinge nicht umgesetzt wurden. Klar kann man jetzt dem BBK vorwerfen: Wieso habt ihr da das sozusagen in Berlin, das Gesundheitsministerium nicht, wenn ich mal so sagen darf, in den Hintern getreten? Das muss man so sehen, in dem Krisenstab, der da vorgesehen war – und auch das ist ein Konzept, was die Schutzkommission ursprünglich mal empfohlen hat – in diesem Krisenstab ist das so: Da sitzen Vertreter des Innenministeriums drin. Aber ich habe gelesen, dass aus dem BBK eigentlich gar kein ständiger Vertreter da drinnen war. Man könnte jetzt sagen, wenn es die Zuständigkeit des Bundes ist, dann hätte der Gesundheitsminister empfehlen müssen, dass die Länder ganz früh in der Pandemie mal ihre eingelagerten Masken und so weiter kontrollieren. Dann hätte es sicherlich am Anfang nicht die ganzen Infektionen bei medizinischem Personal bei uns gegeben. Wir sind aber letztlich unterm Strich mit dem blauen Auge davongekommen. Und ich befürchte, dass diese ganze Diskussion Föderalismusreform, die dahinter steht, dass die auch nach dieser Pandemie kein Stück weiter kommt. Das ist ja zweimal versucht worden. Und wir haben halt ein System, wo die Länder sehr viel Macht haben. Es gibt große Länder, Beispiel Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Die haben das eigentlich nicht nötig, sich aus Berlin beraten zu lassen. Und es gibt andere, die brauchen das dringend. Also in gewisser Weise spiegelt sich so ein bisschen die Situation der WHO bei uns dann auch im föderalen System noch mal wider,

15 [0:29:47] :

Tim Deisinger

Und klingt so ein bisschen, als ob Sie denken ist, die Gelegenheit, dieses Amt zu stärken, ihm neue Kompetenzen zu übertragen, ist eigentlich auch schon wieder vorbei. Oder?

17 [0:29:58] :

Alexander Kekulé

Das wird nicht funktionieren. Wenn es so gewesen wäre, dass das BBK irgendwas hat, wo man sagt, das braucht man jetzt sofort, dann hätte man sicher gesagt, wieso kam das nicht an den Mann? Aber die hatten die Masken auch nicht im Keller. Und wir haben halt hier letztlich ein Problem, wo die Katastrophe eigentlich immer erst dann passiert, wenn die Sekundärschäden hoch sind. Also zum Beispiel, wenn Leute anfangen, Apotheken zu plündern, wenn Funkmasten vom Handysystem nicht mehr funktionieren, wenn Stromversorgung ausfällt, weil so viele Menschen im Kraftwerk krank sind. Das ist der Moment, wo es BBK sozusagen kommt und das Innenministerium. In dieser Ebene, wo wir so eine klassische Katastrophensituation haben, sind wir ja mit Covid-19 nicht gekommen. Und wir werden da auch nicht reinschlittern. Sodass das eigentlich schon in Ordnung ist, dass jetzt erst mal das Gesundheitsressort weiterhin die Federführung hat.

16 [0:30:52] :

Tim Deisinger

Und damit komme eigentlich schon zum nächsten Thema. So ein Amt hätte ja im Vorfeld auch schon dafür sorgen können, dass man ja sämtliche Virologen und Epidemiologen des Landes mal an einen Tisch holt und deren Kompetenz da abgreift, wo sie am stärksten ist. Also, ich sage jetzt mal ganz naiv, Herr Drosten wäre dann für die Frage zuständig: Wie geht es denn dem Virus? Herr Streeck kümmert sich darum, den Epidemieverlauf zu analysieren. Und Sie dann logischerweise um die Frage also: Welche Gegenmaßnahmen ergreifen wir. Stattdessen scheint es, haben wir jetzt einen medial befeuerten Zank zwischen den Professoren.

19 [0:31:31] :

Alexander Kekulé

Naja, also ich habe natürlich – das ist, glaube ich, bekannt – das Robert Koch-Institut schon öfters mal kritisiert und auch angemahnt oder geschimpft, warum bestimmte Sachen nicht schnell genug erfolgt sind. Da muss man sich jetzt über Gegenwehr, wenn ich mal so sagen darf, vom RKI und seiner Berater eigentlich nicht wundern. Das ist einfach so, Aus meiner Sicht muss man immer unterscheiden zwischen der fachlichen Diskussion, die finde ich, muss man führen, und die muss auch die Öffentlichkeit kennen, weil es ja Argumente in die eine und die andere Richtung gibt. Und man muss unterscheiden zu einer persönlichen Ebene. Da muss man ein bisschen aufpassen, dass das nicht abrutscht.

2 [0:32:07] :

Tim Deisinger

Ist aber scheinbar ein bisschen abgerutscht. Da wurde er nicht nur Herr Drosten letzte Woche in „Die Welt“ und jetzt von der „Bild“-Zeitung angegriffen. Sie kennt das ja in Bezug auf sich selbst mittlerweile auch. Selbst Jan Böhmermann meldet sich zu Wort. Der macht es zugegebenermaßen nicht ganz unsympathisch. Aber er zieht es natürlich auch auf eine persönliche Ebene. Vielleicht können wir ja ganz kurz mal reinhören, auch mal rüber winken in den „Fest & Flauschig“ Podcast. Da werden sie nämlich zum Musical-Star.

1 [0:32:47] :

Aus „Fest & Flauschig“ Podcast [Aerosol – das Musical (Titelsong: "Alexander Kekulé") – in Anlehnung an das Musical „König der Löwen“] Auszug Liedtext: Nur eines findet Kekulé zum Kotzen. Dr. Christian Drosten, von der Virologie Charité.

Alexander Kekulé.

20 [0:33:10] :

Tim Deisinger

Geben Sie es zu, Sie haben nach ein paar Sekunden schon mitgesungen oder?

Alexander Kekulé

Mitgesungen nicht. Also den Text, da sage ich jetzt nichts dazu. Aber es ist ehrlich gesagt so: Wir waren vor einiger Zeit mal im Phantasialand, da in der Nähe von Aachen ist das. Und da gibt es einen Song in einem dieser Fahrgeschäfte, der ganz ähnlich klingt. Und meine Kinder singen das tatsächlich mit und finden das lustig. Also ja, persönlich kann ich das ganz gut aushalten. Das finde ich, gehört irgendwie dazu. Ja, wenn man sich öffentlich äußert, muss man auch mal sich den Kopf waschen lassen. Das ist schon in Ordnung.

Von der Sache her ist es natürlich so: Wissenschaftler sind jetzt in dieser schwierigen Phase, ob das jetzt der Christian Drosten ist oder ich, oder früher hat er auch mal der Streeck was abgekriegt. Wir brauchen ein öffentliches Vertrauen, weil sonst funktioniert diese Steuerung nicht. Die Politik braucht irgendeine Referenz. Und die Öffentlichkeit braucht auch irgendwie Leute, denen sie glaubt letztlich, bei diesen ganzen Maßnahmen. Darum machen der Christian Drosten und ich diese Podcasts. Und es gibt noch ein paar weitere, muss man eigentlich auch noch sagen, die so etwas machen. Und die Gefahr ist ... Oder was man darf, glaube ich, sehr viel Spaß machen und das auch gern im Musical machen. Ich bin gespannt auf die weiteren Strophen. Aber man darf nicht so weit gehen, dass die Wissenschaftler an Glaubwürdigkeit verlieren. Ich glaube, wenn man sich ein bisschen das spaßig macht, ist es okay. Wenn man es lächerlich machen würde, das sehe ich jetzt beim Böhmermann hier nicht, dann wäre die Schwelle überschritten. Wo ich ein bisschen Angst hätte, dass man denkt, Wissenschaftler sind so etwas wie Fußballstars. Die werden ja auch mal gelegentlich von der „Bild“-Zeitung durch den Kakao gezogen. Oder irgendwelche anderen Leute. Das ist hier natürlich schon anders. Weil wir ja alle, sage ich mal 70 Stunden die Woche mindestens arbeiten wie die Schweine, um hier irgendwie dieses Problem so ein bisschen in Griff zu kriegen von verschiedenen Seiten. Und wir müssen das, glaube ich, auch so kommunizieren, dass das letztlich im Ergebnis eine ernste Frage ist. Und das Problem ist ja diese Debatte, welche Maßnahmen jetzt notwendig sind und welche nicht. Die ist ja wahnsinnig aufgeheizt. Das geht hin bis zu politischen Verschiebungen, zur AfD in einigen Bereichen. Die Leute demonstrieren auf der Straße, Demonstrationen werden andererseits verboten, wegen der Abstandsgebote und, und, und. Also, das ist eine richtig schwierige Diskussion, politisch, sozialpsychologisch auch. Da hätte ich Angst, wenn so die ernste Ebene dauerhaft verlassen wird. Also für so ein kleines Spässchen am Rande finde ich das in Ordnung.

2 [0:35:59] :

Tim Deisinger

Auslöser der aktuellen Debatte jetzt war ja ihr Beitrag im Tagesspiegel. Dort haben Sie geschrieben, Drostens Kinderstudie, die habe fachliche Fehler. Und Drosten wiederum hat dann darauf wiederum ziemlich angefasst reagiert bei Twitter.

22 [0:36:15] :

Alexander Kekulé

Ja, das war natürlich ein bisschen unter der Gürtellinie, das muss man ganz klar sagen, dass er da so persönlich geworden ist. Ich glaube, da hat er sich spontan über die Überschrift geärgert, die bekanntlich nicht von mir war. Man darf das nicht auf eine persönliche Ebene ziehen. Da gehört das nicht hin. Und ich bin ganz sicher, dass ihm das auch danach klar war. Aber das ist halt das Problem bei Twitter. Man feuert das ab, und dann ist es irgendwie draußen. Ich habe auch aus dem Grund ein bisschen ganz bewusst nicht bei Twitter geantwortet. Erstens, weil ich das Medium nicht so richtig beherrsche. Und, vor allem, ich schreibe meine Twitternachrichten am Computer. Also, ich kann es

gar nicht so schnell. Und zweitens, ich finde, da darf man nicht Öl ins Feuer eines Nebenschauplatzes gießen, weil dann kocht das hoch. Dann schreibt die „Bild“-Zeitung, die das ja alles mit Freude beobachtet, wieder den nächsten Kommentar. Und darum ist es, glaube ich, gut so. Ich will, dass an der Stelle auch inhaltlich, also von der persönlichen Ebene, überhaupt nicht kommentieren.

2 [0:37:11] :

Tim Deisinger

Und Christian Drosten, wenn wir da noch bleiben, hat sich auch selbst mehrfach darüber beschwert, wenn er persönlich angegriffen wurde.

23 [0:37:18] :

Alexander Kekulé

Ja, und da hat er recht. Das war diese Diskussion mit der „Bild“-Zeitung und vielleicht auch vorher mit der „Welt“, die da die Beratungen der Bundesregierung durch RKI und Co. kritisiert haben. Da hat er völlig Recht, wenn er sagt, dass persönliche Angriffe irgendwie gar nicht gehen in diesem Zusammenhang. Die sind ein altbewährtes Mittel, um von der sachlichen Ebene abzuwenden, abzulenken. Also immer, wenn man sachlich nicht weiterkommt, haut man persönlich rum. Und leider hat es die Presse auch so ein bisschen dann aufgegriffen. Die hat dann aus meinem „Tagesspiegel“-Artikel, wo ich ja relativ konkret auf Fragezeichen in der Studie eingegangen bin, nur die Überschrift genommen. Nach dem Motto: Jetzt keilen sich die zwei Virologen. Da ist jetzt sozusagen das, was ich eigentlich transportieren wollte, komplett untergegangen. Also so ist das, wenn man auf die persönliche Ebene springt.

2 [0:38:09] :

Tim Deisinger

Es gab aber auch sachliche Kritik an Ihrem Artikel. Da wurde insbesondere kritisiert, Sie hätten Drosten aufgefordert, diese Studie zurückzuziehen.

24 [0:38:19] :

Alexander Kekulé

Das wäre ein berechtigter Kritikpunkt. Ich finde, das geht gar nicht, dass ein Fachmann den anderen zu irgendetwas auffordert. Wir sind ja beide Erwachsene, sage ich mal so. Übrigens gibt es auch Freiheit von Forschung und Lehre. Ja, also jeder darf also forschen und lehren und veröffentlichen, wie er das meint. Nein, das war ein Versehen bei der Redigatur, das kann man nur klar sagen. Das habe ich allerdings bei Twitter tatsächlich dann irgendwann mal richtiggestellt. Es war ein Versehen bei der Überarbeitung durch die Redaktion. Die haben da einen Satz, den ich geschrieben hatte, verschönert, sage ich mal, grammatikalisch. Und dabei so umformuliert, dass es so klang, als wollte ich diese Forderung stellen. Ich hatte das tatsächlich auf die Vergangenheit und analytisch bezogen. Und war und bin nach wie vor der Meinung, dass es wahrscheinlich geschickt gewesen wäre – aber das muss jeder selber machen – hier die Aussage ein bisschen zu modifizieren und nicht zu warten, bis die „Bild“ quasi in die Bütt kommt. Aber das war bezogen auf die Vergangenheit. Also das hat nichts damit zu tun, dass ich ihm etwas vorschreiben will.

16 [0:39:20] :

Tim Deisinger

Ich muss aber trotzdem noch mal nachfragen. Also, war es denn wirklich notwendig, Drostens Studie noch mal zu kritisieren, nachdem die „Bild“-Zeitung das ja bereits zur Genüge getan hatte?

25 [0:39:33] :

Alexander Kekulé

Ja, das habe ich mir tatsächlich selber auch überlegt, ob man da noch mal was machen soll. Es gab im Grunde genommen zwei Gründe, warum das aus meiner Sicht notwendig war. Auch wenn es ein bisschen Schnee von gestern ist. Der eine ist, dass es tatsächlich Sachen gab, die ich ergänzen konnte.

Es ist ja so, dass ich einige virologische Argumente noch gebracht habe. Und vorher waren nur so die Kritiken der Statistiker im Raum gestanden. Da gab es ja eine ganze Reihe von Kollegen, die gesagt haben, dass die Arbeit statistisch nicht gut ist. Und ich habe dann schon so rausgehört, dass die Reaktion war, vielleicht auch durch den Druck der „Bild“-Zeitung: Ja, die Statistik ist so ist vielleicht nicht so gut, aber das Ergebnis ist trotzdem 1:1 haltbar. Und an der Stelle musste man einfach was sagen, weil natürlich diese Diskussion einfach so einen irren politischen Impact hat. Die Menschen sind wahnsinnig verunsichert, ob die Schulen geöffnet werden sollen oder nicht. Das ist ein internationales Problem. Die ganze Welt schaut auf diese Ergebnisse, und das wurde in der New York Times in der Financial Times überall zitiert. Und da meine ich, wenn sich dann herausstellt, dass die Daten sowohl von den virologischen Originaldaten als auch von der statistischen Auswertung genau diese Aussage um die es da ging, nämlich das Kinder und Erwachsene gleichviel Viruskonzentration im Hals haben und deshalb – so ist es ja im Podcast gesagt worden – wahrscheinlich genauso infektiös sind. Wenn diese Aussage eben nicht mehr ganz genau so zu halten ist, dann finde ich, muss man auch wissenschaftlich sagen, okay, wir gehen dann noch mal in die in die Labore und in die Schreibstuben und überarbeiten das noch mal. Das war öffentlich eben nicht geschehen. Und drum herum glaube ich, ist die Diskussion auch so hochgekocht. Man muss, glaube ich, diese wissenschaftliche, saubere Arbeitsweise, die müssen wir alle einfach einhalten in jeder Situation.

16 [0:41:23] :

Tim Deisinger

Ich will „wissenschaftlich saubere Arbeitsweise“ noch mal kurz aufgreifen. Sie haben da ja auch ziemlich um die Ohren gekriegt. Als Beispiel einen Autor der FAZ, Michael Hanfeld, ist dort Leiter des Medienressorts. Der hat geschrieben, dass Sie, ich zitiere: „nicht einmal mit den grundlegenden Gepflogenheiten des Wissenschaftsdiskurses vertraut sind“. Weil Drostens Studie halt ein Preprint sei, und so etwas könne man gar nicht zurückziehen. Da haben Sie auch wieder etwas dazugelernt. Nach einem langen Wissenschaftsleben erfahren Sie von Herrn Hanfeld endlich, was ein Preprint ist. Aber ganz im Ernst. Ich es schon ein bisschen abenteuerlich zu behaupten, also, Sie wüssten um solche Gepflogenheiten nicht, Herr Professor Kekulé. Oder haben Sie, ich weiß nicht, wieviel sind es, für Ihre drei Doktorarbeiten Ghostwriter gehabt? Ernste Frage noch: Hat Hanfeld Sie um eine Stellungnahme gebeten vorher?

26 [0:42:14] :

Alexander Kekulé

Lassen Sie uns das auf dieser inhaltlichen Ebene besprechen. Nein, ganz klar, weder Herr Hanfeld noch irgendjemand anders hat da gefragt. Und der Herr Hanfeld hat sich, glaube ich, erstens drüber aufgeregt, dass ich diese angebliche Forderung gestellt hätte – habe ich ja nicht. Also damit könnte man es jetzt einfach mal kurz wegwischen. Es ist auf der anderen Seite einfach die Frage, was ist überhaupt ein Preprint? Und da glaube ich, würde ich das glatt an der Stelle vielleicht noch einmal erklären wollen, wenn Sie meinen.

Tim Deisinger

Nur zu.

Alexander Kekulé

Ein Preprint, ist ja nicht, wie das früher mal war, eine Arbeit, die man für Kollegen schreibt, so nach dem Motto ich schick euch das mal, und dann sagte er mir, ob es gut oder schlecht war. Und dann reiche ich es ein. Also diese Funktion hat das mal gehabt, aber ist in den offiziellen Statements der ganzen Fachjournale nicht mehr vorhanden. Sondern heute geht es darum auf einen sogenannten Preprint-Server, das ist sind ganz bestimmte dedizierte Einrichtungen im Internet, das hochzuladen, um die Öffentlichkeit, auch die Fachöffentlichkeit natürlich in dem Fall, speziell darüber zu informieren, das etwas ganz Wichtiges jetzt rausgekommen ist, was man eben schon, bevor es gedruckt wird, lesen soll. Oder bevor es in den Journalen veröffentlicht wird, lesen soll. Das wird viel diskutiert, schon seit vielen Wochen, ob das bei Covid-19 nicht überhand genommen hat, weil wir

alle nur noch von den Preprint-Servern lesen. Und im Grunde genommen diese Kontrolle, die sonst bei den Veröffentlichungen ist, durch so ein Gremium, wie Reviewer, das mache ich auch oft für irgendwelche Zeitungen, also, wo die Fachleute das dann quasi prüfen, bevor es veröffentlicht wird. Das findet eben nicht mehr statt zum Teil. Und deshalb ist bei allen Preprint-Servern immer und überall eben dieser fette rote Hinweis drüber: Achtung, dies ist ein Preprint, bitte nicht für politische Entscheidungen verwenden. Bitte bei Zitaten in der Presse dazu schreiben, dass es eine unvollständige Arbeit war. Und wenn sie sich das Ausdrucken, was wir natürlich alle machen, weil wir natürlich von diesen Informationen leben, auch in diesem Podcast, übrigens. Wenn Sie das Ausdrucken, dann steht auf jeder ausgedruckten Seite darüber: Achtung, Preprint. Und eine Sache muss man einfach sachlich jetzt dem Herrn Hanfeld zurückspielen. Jawohl, man kann ein Preprint zurückziehen. Auf jedem Preprint-Server müssen Sie nur so ein Formular ausfüllen, dann ziehen die das zurück. Und es ist auch gar nicht mal so selten, dass Leute das machen. Natürlich kann man einen Preprint zurückziehen, sogar löschen könnte man es.

16 [0:44:43] :

Tim Deisinger

Wenn es denn eine ist. Ich will nochmal auf die Drosten-Sache zurückkommen. Der hat ja seine Studie über eine Twitter-Nachricht veröffentlicht, Ende April. Die hat einen Link gehabt zu einer PDF- Datei. Und wenn ich das erst recht verstanden habe, nachdem was Sie gerade erklärt haben, war das gar kein Preprint.

19 [0:45:02] :

Alexander Kekulé

Also Christian hat es so erklärt. Also er hat gesagt, nachdem die „Bild“ ja über ihn hergezogen ist, hat er gesagt, das war ein Preprint. Jetzt sag ich mal, das ist ein Thema zwischen ihm und der „Bild“- Zeitung, und deshalb möchte ich da gar nichts mehr zu sagen.

16 [0:45:17] :

Tim Deisinger

Okay. Es gibt ja weitere Entwicklungen. Gestern Abend hat Christian Drosten die neue Version seines Papers veröffentlicht, diesmal mit einem deutlichen Hinweis, dass es sich um einen Preprint handelt. Er hatte immer betont, am Ergebnis der seine Studie werde sich durch die Überarbeitung nichts ändern. Was steht denn da nun drin?

27 [0:45:38] :

Alexander Kekulé

Wenn man das jetzt liest, also ich finde es sehr gut. Ich finde die neue Arbeit sehr gut. Also ich bin ganz sicher, dass sie nicht so viele Kritik von anderen bekommen wird, wie die erste. Und es wird ganz konkret auch auf die virologischen Probleme eingegangen, die ich im „Tagesspiegel“ auch erwähnt hatte. Ganz konkret ist es so, dass diese Tests, das muss man da sagen, mit verschiedenen Systemen gemacht wurden, die, so wie es vorher war, eben nicht in einen Topf geworfen werden konnten. Das ist jetzt sauber voneinander getrennt und es gibt auch interessante neue Ergebnisse. Ich habe jetzt nicht alles im Detail gelesen, aber beim schnellen Überfliegen heute. Deshalb finde ich das schon mal super, dass das auch aufgegriffen wurde. Und es wurde die Kritik der sogenannten Statistiker aufgegriffen, die gesagt haben, man kann die Daten nicht so auswerten, wie das da gemacht wurde. Das wurde 1:1 umgesetzt. Darum ist es jetzt, finde ich so, wie es jetzt auf den ersten Blick sehe, handwerklich sehr gut geworden. Man muss allerdings auch sagen, es kommt was anderes heraus, als bei der ersten Studie. Bei der ersten war es so, dass gesagt wurde: Kinder und Erwachsene haben gleich hohe Viruskonzentrationen und daraus schließen wir, dass wahrscheinlich – oder möglicherweise, heißt es in der Studie – „wahrscheinlich“ wurde dann noch einmal von Herrn Drosten ergänzt, dass wahrscheinlich oder möglicherweise eben die gleich infektiös sind, tatsächlich. Das ist ja politisch ein wahnsinnig wichtiger Fakt. Und jetzt heißt es: Wir schließen, dass ein erheblicher Anteil der Infizierten in allen Altersgruppen genug Virus-Material im Hals hat, um

infektiös zu sein. Das heißt ja nur, dass in allen Altersgruppen erhebliche Anteile von Infizierten rumlaufen. Aber nicht, dass es eben gleich ist. Und das ist wissenschaftlich natürlich ein Riesenunterschied, weil wir ja bei den Erwachsenen relativ genau wissen, wie infektiöse sie sind. Und deshalb wäre das natürlich eine ziemlich schlimme Aussage, wenn wir wüssten, die Kinder sind, obwohl sie gar keine Symptome haben, genauso infektiös. Wenn man jetzt sagt, die Kinder sind auch infektiös, aber wir wissen nicht, ob es genauso schlimm ist. Dann ist das natürlich für die ganze politische Debatte ein wesentlich weicheres Urteil eines Fachmanns. Und das heißt dann auch deshalb nicht mehr, wir glauben, dass entweder wahrscheinlich oder möglicherweise die gleich infektiös sind. Sondern hier ist es jetzt umgekehrt formuliert. Hier heißt es jetzt: Wir haben keinen Hinweis darauf, dass es Unterschiede gibt. Das ist aber wissenschaftlich was anderes. Keinen Hinweis zu haben, dass es Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen gibt, oder zu sagen, es ist gleich. Von daher finde ich das eigentlich sehr diplomatisch und gut gelöst. Weil dadurch, sage ich mal auch, die politischen Entscheidungsträger so ein bisschen sagen können: Okay, wir können das hart bewerten oder weich bewerten. Es geht dann vielleicht darauf hinaus, dass insgesamt für die Gesamtbevölkerung das Risiko vielleicht da ist, aber nicht so hoch wie bei Erwachsenen. Oder man kann es so bewerten, dass man sagt nein, wir sind jetzt supervorsichtig und machen alles zu oder öffnen die Kitas und Grundschulen nicht. Das heißt, dadurch ist jetzt dieses vorherige, doch relativ deutliche politische Statement so ein bisschen relativiert. Und das finde ich eigentlich klug und freue mich sehr, dass die Arbeit dann jetzt, finde ich jetzt eigentlich, zu einem sehr seriösen und guten Ende gefunden hat. Das kann man seriös aus den Daten schließen. Und für mich persönlich ist die fachliche Auseinandersetzung damit jetzt erledigt. Also jetzt kann man sagen ich hoffe sehr, dass die „Bild“-Zeitung jetzt nicht noch einmal nachtritt an der Stelle.

16 [0:49:10] :

Tim Deisinger

Vielleicht können wir den großen Streit dann auch erledigen. Deswegen will ich kurz noch mal nachfragen, auch wenn es wie rumhacken klingt. Christian Drosten hatte Ihnen auf Twitter unter anderem auch entgegnet, dass man sie ja gar nicht kritisieren könnte. Sie müssten dazu erst mal was publizieren. Ich habe mal geschaut. Klar haben sie publiziert, auch was die Virenforschung betrifft, zum Beispiel zum Hepatitis-B-Virus. Aber das ist ja nun schon eine ganze Weile her. Insofern könnte man mutmaßen, so unrecht hat Herr Drosten da vielleicht doch nicht. Oder?

25 [0:49:46] :

Alexander Kekulé

Also, er hat natürlich völlig recht, dass ich kein Forscher bin, kein Grundlagenforscher, auf jeden Fall. Ich leite ein großes Institut, was drei Abteilungen hat, und eine davon ist die Virologie, was er in Berlin macht. Und das sind super Oberärzte, die sich kümmern. Und wir haben in Halle natürlich relativ wenig Personal. Wir hätten auch gar nicht die Räumlichkeiten, jetzt so eine richtig tolle Forschung zu machen. Und es ist so, dass man aber hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen darf. Der eine ist eben ein Grundlagenforscher, da misst sich einfach der Output der Arbeit wirklich an den Publikationen und Fachzeitschriften. Und was ich seit vielen Jahrzehnten inzwischen eigentlich mache, ist eigentlich die Beschäftigung mit Pandemieplanung und Seuchenabwehr. Wir machen in Halle natürlich auch Covid-19-Diagnostik, und gar nicht mal so wenig. Es ist aber auf der anderen Seite auch so. Muss man ehrlich sagen wir haben in Halle ganz wenig positive Fälle und schon gleich gar keine Kinder. Das kommt bei uns fast nicht vor. Und deshalb hätten wir nicht ansatzweise die Möglichkeit, so eine tolle Studie zu machen wie die, die da jetzt aus Berlin gekommen ist.

16 [0:50:51] :

Tim Deisinger

Wir reden ja gar nicht so oft über ihr Leben. Also würden sie nicht, möglicherweise auch gerne im Labor stehen? Vielleicht haben Sie mal so Entscheidungen gehabt, die sie für sich treffen mussten. Sie waren einmal ich glaube, Arbeitsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen. Sie hätten und da ja auch

weitermachen können. Hat sie das nicht gereizt? Sie hätten ja vielleicht mal einen Nobelpreis bekommen können. Oder Ähnliches.

18 [0:51:20] :

Alexander Kekulé

(Lachen) Meine Mutter hätte sich gefreut. Ganz ehrlich gesagt, das muss ja jeder für sein Leben selber wissen. Wenn Sie so einen Grundlagenforscher sind, dann stehen Sie im Labor letztlich von morgens bis abends. Sie kümmern sich um jedes kleine Detail. Wieviel Lösungen sie wo zusammen pipettieren. Der eine Doktorand hat wieder ein Experiment gemacht, das nicht geklappt hat. Da müssen Sie überlegen, ob man das jetzt mit fünf Volt mehr oder weniger bei der Elektrophorese fahren soll oder ob man irgendein Puffer verändert. Das ist ein bisschen eine Typsache. Ob sie jetzt ein Arbeitsgebiet haben wollen, wo sie sich vertikal sozusagen maximal darauf konzentrieren. Oder ob sie, und das hat mich dann einfach, nachdem ich das ja viele Jahre gemacht hatte, mehr interessiert, die Frage stellen: So Krankheiten, die haben ja nicht nur den Auslöser zur Ursache. Also nicht nur das Virus verursacht eine Krankheit oder auch gerade eine Epidemie, sondern da ist ja immer ganz viel anderes dabei. Der Mensch selber hilft ja den Viren. Das sind ja soziale Probleme, die da eine Rolle spielen. Bei der Bekämpfung des Virus, das erleben wir jetzt alle, spielen ganz viele Fragen eine Rolle, die sozusagen außerhalb des Spezialgebiets der Virologie oder sogar dieses einen Virus`, auf das man sich ja dann letztlich konzentrieren muss als Forscher. Ich sag mal zum Beispiel ja, wenn wir jetzt diskutieren über Flugzeuge. Da müssen Sie sich ein bisschen auskennen mit der Klimatechnik in Flugzeugen. Und müssen Sie wissen, wie diese Filteranlagen funktionieren? Dann müssen Sie wissen, wie die Prozesse im internationalen Reiseverkehr und die IATA-Bestimmung der einschlägigen Fluggesellschaft sind und solche Sachen. Und das fand ich dann eigentlich spannender zu sagen was ist das auf der Metaebene, also auf der übergeordneten Ebene? Was gibt es da für Zusammenhänge, die da die da wichtig sind, um so eine Krankheit effektiv zu bekämpfen? Also, wenn Sie einen Impfstoff haben, ist natürlich geil, dann können sie können Sie sagen, der Fall ist erledigt. Aber das ist nicht die Regel. Letztlich ist es so, dass ich dann irgendwann gesehen habe, dass diese Dinge, die da außerhalb des Virus selber sind, dass die mindestens genauso wichtig sind wie sozusagen die die vertikale Forschung, sozusagen die Metaebene, die anderen Bereiche mit reinzunehmen. Und dann fand ich das auch interessanter, in die Krisengebiete zu reisen und da zu analysieren und zu helfen, warum es zu Ausbrüchen kommt und warum man immer wieder so unfähig ist, sich dagegen zu wehren. Das passt ja auch dazu, dass ich eben lange in der Schutzkommission war und früher Notarzt. Und darum werden diese Ergebnisse dann letztlich nicht in wissenschaftlichen Journalen natürlich publiziert, sondern weil es angewandte Wissenschaft ist, wird das eben er in Gutachten oder irgendwelchen praktischen Konzept für Auftraggeber publiziert. Tim Deisinger Zum Beispiel?

Alexander Kekulé

Naja, also, wir haben zum Beispiel bei Ebola, das ist, glaube ich, auch viel in den Medien gestanden. Da hatte ich mit „Ärzte ohne Grenzen“ zusammen bei dem Ausbruch 2014 ein großes Konzept gemacht, wie man da in Westafrika tatsächlich helfen kann, diese Epidemie dort möglichst schnell einzudämmen. Das war, dann muss man auch sagen, tatsächlich das Konzept, was, was dort funktioniert hat. Ex post werden diese Sachen ja dann immer analysiert. Oder auch bei der Schutzkommission. Das ist, glaube ich, auch relativ bekannt, 2009, diese Diskussion um den Impfstoff, wo wir von der Schutzkommission. Aber da war ich natürlich wesentlich daran beteiligt, empfohlen haben, dass man einen anderen Impfstoff verwendet und auch erklärt haben, wie man den bestellen muss und so weiter, als der, der von der Bundesregierung gewünscht war. Und das ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel, weil natürlich auch da es zu Auseinandersetzungen mit dem Robert Koch-Institut gekommen ist. Die sahen das damals anders. Ex post war es so, dass der von der Bundesregierung bestellte Impfstoff verbrannt werden musste, und man alles sozusagen dann in den Ofen geschickt hat, hinterher. Aber natürlich ist das so, dass aus solchen Auseinandersetzungen,

kann man ja ganz offen, sagen man sich nicht nur Freunde machen in solchen Ämtern. Und gerade deshalb – jetzt schätze ich Jan Böhmermann als jemanden ein, der selber relativ kritisch ist – finde ich, so sollte er sich eigentlich freuen, wenn da so einen Kritiker noch da ist. Meine Befürchtung ist, wenn man sieht, wie es jemanden geht, das RKI ein paarmal kritisiert hat, und zwar nicht nur bei Covid-19, sondern auch schon früher, dass ich dann gar keiner mehr aus der Deckung traut von meinen Kollegen. Die Leute, die an der Drosten-Arbeit Kritiken geschrieben haben, waren übrigens fast ausschließlich aus dem Ausland. Also, ich finde, so darf es dann nicht sein. Sondern, ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man jeden leben lässt mit seiner Disziplin.

Tim Deisinger

Aber wenn ich das höre, ich höre, was sie machen und auch höre, was Herr Drosten macht, könnte man doch eigentlich sagen, Mensch, sie beide könnten sich doch zum Dreamteam ergänzen, um uns möglicherweise vor einer zweiten Welle zu bewahren. Bekommen Sie das hin bis dahin?

Alexander Kekulé

Ich glaube schon. Es ist so, ich habe gestern über eine Stunde mit ihm telefoniert. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass da irgendwie persönliche oder auch inhaltliche Diskrepanzen da sind. Das sind ja immer nur Nuancen, wie man sich unterscheidet. Wissenschaftler haben so die Eigenschaft, dass sie leider innerhalb von drei Minuten immer zu einer gemeinsamen Meinung kommen. Das ist für so Leute wie die „Bild“-Zeitung oder auch für Fernsehshows wahnsinnig langweilig. Wir haben ja beide eigentlich die eine interessante Situation. Also, wenn ich das mal so von innen sagen darf. Es ist ja so. Er hat ja nun wirklich, als er auf Coronaviren sich spezialisiert hat, vor vielen Jahren, ein relativ exotisches Gebiet sich ausgesucht, was in Deutschland kaum jemand anders gemacht hat, auch in Europa sonst nicht so beliebt war. Ich glaube, dass es für ihn keine Überraschung, dass er jetzt dann gleich nachdem er da in Berlin eingezogen ist und alles startklar hatte. Jetzt kommt eine Pandemie. Das ist ja sowieso ganz selten und dann auch noch mit Corona, wo alle mit Influenza gerechnet haben. Ich glaube, das ist einfach eine interessante Entwicklung oder eine überraschende Entwicklung. Und klar ist der Mann dafür. Bei mir ist es so. Ich muss sagen, ich habe mein Leben lang mich mit eben mit der anderen Seite mit der praktischen Seite angewendet befasst. So ein bisschen wie der Arzt, der die Medikamente anwendet, aber nicht selbst erfunden hat. Und wenn Sie dann quasi ihr Leben lang somit Pandemie und Seuchenabwehr zu tun hatten. Und dann kommt, noch bevor ich in Ruhestand gehe, eine wahrhaftige Pandemie daher. Das ist für mich auch so eine interessante Situation. Und ich glaube, wir beide so haben da gute Chancen und zu ergänzen. Und ich glaube, das wird auch funktionieren,

Tim Deisinger

Wir sind jetzt schon sehr lang geworden. Aber ich glaube, das war wichtig, diesen Streit mal ein bisschen intensiver zu beleuchten. Wir wollen dennoch am Ende noch ein paar Hörerfragen beantworten, wie das üblich ist bei uns im Podcast.

Fangen wir mal mit einer Hörerin aus Berlin an.

Hörerin aus Berlin

Und zwar wird ja immer wieder gesagt, dass Studien zu Kindern und Schulen und Kitas nicht möglich sein, weil die Kitas und Schulen eben zu sind. Es gibt aber in Schweden durchaus die Möglichkeit zu schauen, wie sich dort die Virusverbreitung über Schulen und Kitas gestaltet. Wieso gibt es aus Schweden dazu bisher keine Studien?

Alexander Kekulé

Ja, wir haben offensichtlich superintelligente Hörer. Also das ist eine Frage, die genau richtig ist. Es gibt aus Schweden dazu Verlautbarungen, keine Studien, dass es tatsächlich so. Und das ist ja der Grund, warum das so wichtig ist, was in Berlin gemacht wird und auch weltweit beobachtet wird. Es gibt keine Studien dazu. Aber es gibt aus Schweden die Verlautbarung, dass dadurch, dass die Kinder

weiterhin das Virus austauschen konnten, dass dadurch das Virus getragen wurde in die Altersheime, wo es ja in Schweden zu diesen hohen Todesziffern gekommen ist. Das hat man dort verpasst, dass man einfach erst mal die Risikogruppen schützt. Aber diese Behauptung, die da überall von Fachleuten auch in den Medien aufgestellt wird, für die gibt es tatsächlich keine Studie. Also die gehen davon aus, dass es so ist. Aber die haben keinen Beweis dafür.

Tim Deisinger

Hubert S. hat uns geschrieben. Er hat eine Mail geschickt. 63 Jahre. Nach eigener Aussage kein Risikopatient. Ich zitiere: „Für Ende Juno habe ich einen OP-Termin im Rahmen einer Tagesklinik für eine Leistenbruch-OP. Lese gerade die Meldungen über eine im Lancet veröffentlichte Studie, wonach das Sterberisiko nach OPs bei Corona-Infizierten in den ersten 30 Tagen nach der OP bei 23,8 Prozent liegt. Normalerweise aber unter einem Prozent. Der Leistenbruch verursacht keine permanenten Beschwerden, äußert sich halt nach sportlichen Belastungen, müsste halt mal gemacht werden. Würden Sie dazu raten, die OP gegebenenfalls ins nächste Jahr zu verschieben?

Alexander Kekulé

Also erstens würde ich die diese hohe Prozentzahl mal anzweifeln. Ich kenne jetzt diese Studie nicht, wo das, wo das dringestanden hat. Das müsste man noch mal nachlesen. Das kommt ja schon sehr auf die Art der Operation an. Das kann man so pauschal sicher nicht sagen. Das Zweite ist, wenn das Krankenhaus in Ordnung ist. Und wir sind da in Deutschland inzwischen super aufgestellt, ich gehe davon aus, dass wir hier kaum noch infiziertes Personal haben. Alles andere wäre ja wirklich schlimm nach so vielen Monaten. Dann gehe ich davon aus, dass, wenn man im Krankenhaus in einer chirurgischen Abteilung ist, dass man sich da keinem erhöhten Risiko aussetzen, mit Corona infiziert zu werden. Wir haben so wenig Fälle im Land. Das kann man in der jetzigen Situation wirklich riskieren.

Tim Deisinger

Wir haben noch eine moralische Frage einer Hörerin.

Hörerin

Wenn Leute die Regeln nicht einhalten, sollte man das dann zur Anzeige bringen? Auch wenn die Leute einem nahe stehen? Oder sollte man lieber diese Leute meiden?

Alexander Kekulé

Also ich würde wahrscheinlich keines von beiden machen. Aber das ist jetzt eine sehr individuelle Frage. Also aus Sicht des Epidemiologen ist es ja so: Wenn sich zwei Drittel, 67 Prozent, an die Regel halten und das konsequent und das mit einem R0=3, also in der Maximalgeschwindigkeit der Ausbreitung in diesem Bereich, dann würden sie ja schon die Sache unter Kontrolle bringen. Das heißt also, irgendwie so ein paar einzelne, die da unbelehrbar sind, denen hinterherzurennen, das würde ich jetzt persönlich aus virologischer oder epidemiologischer Sicht nicht machen. Man muss ja auf der anderen Seite immer sehen. Die Gefahr ist, dass hier das Virus auch zum Spalt-Virus wird. In dem Sinn, dass es unsere Gesellschaft spaltet, in zwei Gruppen oder drei Gruppen oder verschiedene Lager. Und deshalb meine ich, wenn man jetzt Anzeigen macht oder die Leute dann nicht mehr sieht oder sagt mit euch spiele ich aber nicht mehr und so ein und eure Kinder dürfen auch nicht mehr mit meinen spielen. Also ich weiß nicht, ob das dann insgesamt nicht die Voraussetzungen für die Konfrontation mit diesem Virus, der noch länger dauern wird, schlechter macht. Für uns als Gesellschaft insgesamt. Davon ausnehmen würde ich ganz klar bekannte Risikogruppen. Also wenn ich jetzt natürlich 70 plus bin oder wirklich eine schwere Grunderkrankung habe, dann würde ich mir schon überlegen, ob ich mich mit Leuten ohne Schutz treffe. Heißt konkret ohne FFP-Maske, von denen ich weiß, dass sie sich überhaupt nicht an diese Regeln halten. Das kann man auch so rum sagen. Aber ich glaube, mit denen zwei Leitplanken kommt man ganz gut durch die Krise.

Tim Deisinger

Okay. Und dann haben wir zum Schluss noch die Frage eine Hörerin. Sie ist, ich sag mal, Oma hat einen Enkel, Elias, der ist sieben Jahre alt. Der weiß viel über Corona und klärt auch seine Oma auf. Singen sei nicht erlaubt, aber er hat dazu noch eine Nachfrage.

Hörerin

Er weiß, dass das Gleiche passiert bei lautem Schimpfen. Da breitet sich das Virus genauso schnell aus. Und er möchte wissen, warum wird nur vor gemeinsamen Singen gewarnt, nicht aber vor lautem Schimpfen? Und er meint, dass die Welt wesentlich besser würde, wenn man die Leute auch davor warnen würde.

Alexander Kekulé

Super. Also, das finde ich wahnsinnig. Der ist ja wahnsinnig clever, der Bursche. Wahrscheinlich wollte er da noch sagen, und jetzt will ich, dass mich keiner mehr schimpft wegen, egal wegen was. Das kann ich Ihnen eigentlich nicht kommentieren? Ja, lautes Schimpfen ist aus verschiedenen Gründen vielleicht gar nicht so gut. Also, es tut immer gut, der schimpft. Das hat man ja heute, glaube ich, auch tatsächlich zum Thema in gewisser Weise. Und jetzt ist es so, dass uns natürlich insgesamt laut er schimpfende Dinge nicht voran bringt. Und da hat der Bursche völlig recht.

Tim Deisinger

Dann sind wir damit heute wieder durch. Das war's. Vielen Dank, Herr Kekulé. Und bis morgen, sag ich mal im Namen von Carmillo Schumann. Der ist dann morgen wieder hier.

Alexander Kekulé

Dann anke auch Ihnen, Herr Deisinger. Bis dann.

Tim Deisinger

Wenn Sie Fragen haben, dann schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de Oder rufen Sie uns an unter 0800 32200. Möglich auch bei Twitter unter dem Hashtag #FragKekule. Kekulés Corona-Kompass gibt es in der ARD Audiothek bei Spotify, bei Apple, Google, YouTube und natürlich auf mdraktuell.de


MDR Aktuell – Kekulés Corona-Kompass

Mittwoch 03. Juni.

Tim Deisinger (Moderator)

Diese Ausgabe unseres Podcasts mit folgenden Themen:

Zoff im Virologen-Olymp. Was ist dran an der Bild-Kritik an Christian Drosten? Ist das eine gezielte Medienkampagne, sekundiert von anderen Wissenschaftlern? Darf einer Konzepte für die Pandemie- Bekämpfung machen, der selbst nicht mehr an Viren forscht.

Dann: Alle machen sich frei von Masken, viele zumindest frei von allen Abstandsregeln. Trotzdem gehen die Corona-Fallzahlen nach unten. Haben wir es vielleicht doch bald überstanden?

Und Trumps Kritik an der Weltgesundheitsorganisation. Hat er Recht. Ist die WHO eine Marionette Chinas, die die Pandemie aber hätte verhindern müssen und können?

Wir wollen helfen, aktuelle Entwicklungen rund um das neuartige Coronavirus zu verstehen und einzuordnen. Und wir beantworten Ihre Fragen.

Ich bin Tim Deisinger, Redakteur und Moderator bei MDR Aktuell. Einschätzungen holen wir ein, wie immer beim renommierten Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé.

Guten Tag, Herr Kekulé!

Alexander Kekulé

Hallo, Herr Deisinger!

Tim Deisinger

Zum großen Virologen-Streit, wenn er denn überhaupt einer ist, kommen wir im Verlauf des Podcasts. Aber wir müssen vielleicht erst einmal über das Wetter reden. Und das, was es mit den Menschen derzeit macht, da sie ja täglich mit dem Virus umgehen müssen. Und mit all den Einschränkungen, die damit verbunden sind. Und die Menschen, die auch umgehen müssen, damit, dass viele sich nicht mehr an die Beschränkungen halten, bzw., dass immer weiter gelockert wird. Dass eigentlich alles fast schon so ist wie vor Corona-Zeiten. Nehmen wir mal das, was derzeit los ist, also, was man draußen am besten beobachten kann. Man steht da wieder in Gruppen zusammen. Abstand ist das Gebot, das viele nicht mehr kennen. Wenn Sie das so sehen, Herr Kekulé: Wird Ihnen da ein bisschen mulmig.

3 [0:01:58] :

Alexander Kekulé

Ehrlich gesagt ja. Also ich war gerade in Berlin und habe da so erlebt wie da so das Leben ist. Das geht ja schonmal so los, dass man in vielen Gebäuden die Masken gar nicht mehr aufhaben muss. Ich glaube, in den Cafés ist sowieso die Maskenpflicht abgeschafft, auch in geschlossenen Räumen. Und ich mache mir also nicht so sehr Sorgen für draußen. Es ist ja, ich glaube inzwischen relativ deutlich, dass aus meiner Sicht man draußen kaum Infektionsgefahr hat. Da muss man sich wirklich direkt ins Gesicht sprechen aus kurzem Abstand, damit das eine Rolle spielt oder mal so eine seltene Schmierinfektion abbekommen. Aber in geschlossenen Räumen ist es natürlich so: Wenn da das Gleiche passiert, wie das, was wir auf der Straße sehen, dann ist das ein Risiko, dass es einfach lokale, einzelne Ausbrüche wieder gibt. Und auch das Risiko, dass die Behörden dann natürlich so etwas Ähnliches wie einen kleinen Lockdown wieder neu verfügen.

2 [0:02:52] :

[Moderator] Aber Sie haben schon mehrfach das menschliche Verhalten mit dem der Tiere verglichen. Ist eine Seuche in der Herde oder in der Rotte unterwegs, dann separieren sich die Tiere, vergrößern den Abstand. Menschen würden das möglicherweise genauso machen, war ihre Aussage. Da muss man doch aber auch zugestehen, dass, wenn sie spüren, dass das Virus nicht mehr umgeht, dass sie dann doch wieder zum normalen Alltag zurückkehren wollen.

3 [0:03:19] :

Alexander Kekulé

(Lachen) Also den Vergleich mit Tieren darf man natürlich nicht überbewerten. Ich hoffe nur eben, dass die Menschen auch so einen kleinen Instinkt haben, möchte ich mal sagen. Und ja, klar, der Instinkt funktioniert natürlich unmittelbar. Also das ist bei uns Menschen immer so ein gewisses Problem, dass abstrakte Gefahren für uns schwerer nachvollziehbar sind. Wenn direkt neben Ihnen ein Holzbrett umfällt, dann macht es Krach, und Sie springen auf die Seite. Und wahrscheinlich stehen Ihnen die Haare noch ein paar Sekunden zu Berge, obwohl das nichts Gefährliches war. Wenn in einem Kilometer Abstand es ganz leise „Peng“ macht, könnte es sein, dass jemand mit dem Gewehr auf Sie geschossen hat. Da erschrecken Sie überhaupt nicht. Und das ist einfach der Mensch, der ist einfach so konstruiert. Eine Gefahr, die dann auch durch die anderen ... Da gibt es ja diese Versicherung durch die Gruppe. Man versucht Gefahren auch immer in den Gesichtern und Reaktionen der anderen einzuschätzen. Das machen Kinder ganz stark, aber auch Erwachsene natürlich ein bisschen. Und wenn dann alle zusammen so in diesen Entspannungsmodus übergehen, dann kann es schon sein, dass es ganz schwer ist, ein zweites Mal, wenn ich so sagen darf, für die Fachleute zu vermitteln: Falls es zu neuen Ausbrüchen kommt, dass man sich wieder zusammenreißen muss.

Tim Deisinger

Ist das wirklich so schwer? Denken Sie nicht, dass, wenn es dann wiederkommen sollte, dass die Menschen sich wieder freiwillig beschränken würden?

6 [0:04:42] :

Alexander Kekulé

Ähm, ich glaube nicht in der gleichen Weise, ganz ehrlich gesagt. Aber das ist nicht so mein Spezialgebiet, muss ich sagen. Ich bin ja kein Soziologe. Ich blicke da mit Interesse über den Zaun in dieses Arbeitsgebiet. Wenn man mit genau der gleichen Story zweimal kommt, ist halt das Problem. Wie jetzt diese irre Diskussion: War das alles nötig oder nicht. Das Ganze ist emotional so aufgeschaukelt. Und ich glaube, dieses sehr große Vertrauen in die Regierung, was die Deutschen hatten, und das ist weltweit beobachtet worden, dass sie gesagt haben, wir machen das jetzt alle mit. Was auch umgekehrt Vertrauen in die Bürger, im Grunde genommen, beinhaltet hat. Weil die Regierung in Deutschland hat letztlich gesagt, wir machen einen Lockdown, aber eigentlich diesen „Lockdown light“. Da hatten wir ja auch schon ein paar Mal darüber gesprochen, dass das kein so richtiger Lockdown in Deutschland war. Und trotzdem hat es gut funktioniert. Ich weiß nicht, ob das ein zweites Mal diese Solidarität geben wird von beiden Seiten. Da bin ich nicht sicher,

2 [0:05:44] :

Tim Deisinger

Wenn man auf die Fallzahlen schaut. Es sind ja immer weniger Neuinfektionen, das hatten sie auch so vermutet. Woran liegt es denn nun wirklich? Also an den Temperaturen, die die Viren vielleicht kaputtmachen? Daran, dass die Menschen mehr im Freien sind und nicht virusbelastete Aerosole irgendwo in Räumen einatmen?

7 [0:06:04] :

Alexander Kekulé

Also ich glaube ja, das beides. Es sind die Temperaturen. Es ist das Verhalten der Menschen. Und die zwei ganz entscheidenden Faktoren sind für mich, dass wir erkannt haben, dass wir in geschlossenen Räumen im Prinzip Masken tragen sollen, müssen, wenn es erforderlich ist. Solche einzelnen Ausbrüche, um die geht es hier in dieser jetzigen Phase der Pandemie. Da geht es nicht mehr darum, dass wir so eine regelrechte Welle im ganzen Land haben, sondern es geht um einzelne Ausbrüche, die hochflammen, wie jetzt gerade in einer Schule in Göttingen. Solche Situationen kann man am besten vermeiden, indem man verhindert, dass in geschlossenen Räumen mit wenig Windbewegung viele Menschen zusammen sind und dann auch noch möglicherweise ohne Gesichtsschutz, Mund- und Nasenschutz. Diese ganz bestimmte Situation, die kommt, glaube ich, schon seltener vor. Da gab es den Fall in Frankfurt mit der Kirche und ähnliche Situationen gibt es überall auf der Welt. Aus USA gibt es auch ständig solche Berichte, wo Leute eben im Raum zusammen waren und diese sogenannten Super-Spreading-Events dann eingetreten sind. Aber ich glaube, dieses Eine haben die Menschen schon verstanden. Und das andere ist, das wäre ja viele große Ausbrüche hatten in Altersheimen, in anderen Heimen und im Krankenhaus. Am Anfang waren wir sehr viele Menschen, auch vom medizinischen Personal betroffen, auch in Deutschland. Und das sind natürlich alles Infektionsquellen, die abgestellt wurden – im Altersheim noch nicht so ganz perfekt. Aber in den Krankenhäusern haben wir es, würde ich sagen, im Griff.

2 [0:07:33] :

Tim Deisinger

Stichwort: Aerosole. Ist man auf aktuell auf dem Stand, dass diese Übertragungswege vielleicht die entscheidenden sind? Das zeigt ja auch eine neue Veröffentlichung dazu. Zumindest, was ich da so überblicksmäßig gelesen habe.

8 [0:07:48] :

Alexander Kekulé

Ja, da haben Sie recht. Also entscheidend? Ja, das wird in der Presse zum Teil so berichtet. Das kann man nicht sagen. Da hat sich eigentlich aus meiner Sicht zumindest die Datenlage nicht geändert oder die Erkenntnisse nicht groß geändert. Es war schon immer klar, dass ein Teil dieser Infektionen über Aerosole übertragen wird. Und das war die allgemeine Annahme, dass das ein sehr kleiner Teil ist im Vergleich zu den zu den Tröpfcheninfektionen, die einen direkten Kontakt benötigen. Jetzt muss man aber sehen, in welcher Phase man ist. Wenn man anfängt, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Und wenn man diese direkte Tröpfcheninfektion – ich sag mal „face-to-face“, also man spuckt sich, ohne es zu merken, gegenseitig an – wenn man das jetzt durch das Verhalten der Menschen, durch die Gesichtsmasken und die Abstandsregeln, die praktisch weltweit bekannt sind, weitgehend abgestellt hat und jeder von uns sich so verhält, dann bleibt als Risiko noch diese Aerosol- Ausbreitung, die nämlich weiter als diese zwei Meter geht. Deshalb ist die jetzt in der Phase, wo wir sozusagen den letzten Rest eliminieren wollen von diesem Ausbruch in Deutschland ist das extrem wichtig. Das mit den Aerosolen war bei der exponentiellen Phase nicht wichtig. In den USA wird es ja diskutiert, ob es überhaupt eine Rolle spielt. Da ist das ein riesiger Glaubenskrieg. Weil die alle immer noch sagen, in geschlossenen Räumen, wenn wir da unsere „Six Feet“ Abstand halten, also knapp zwei Meter Abstand halten, ist alles in Butter. Und da haben die die Virologen ein Riesenproblem des der Bevölkerung zu erklären, dass das nicht reicht. Aber ich glaube, in Deutschland haben es die Leute schon verstanden, dass es eben darauf ankommt. Aber das ist eine andere Phase. Darum kann man nicht sagen, die Rahmenbedingungen sind meines Erachtens unverändert. Das ist für mich jetzt nichts Neues.

2 [0:09:35] : [Moderator] Ich habe in der Zusammenfassung dieser Veröffentlichung auch gelesen, dass vermutet wird, dass die Größe der Aerosoltröpfchen entscheidend sein könnte für die Schwere der Erkrankung. Kann das sein?

9 [0:09:47] :

Alexander Kekulé

Naja, das ist so eine alte Theorie. Ich bin da, ehrlich gesagt, unentschlossen, wie man das interpretieren soll. Es ist ja so, dass wir bei SARS-1, also diesem SARS-Virus von 2003. Da hatten wir die Situation, dass der Rezeptor, wo dieses Virus andockt, also wo das Virus in den Körper hineinkommt, dieser Rezeptor, der ist tief in der Lunge bei SARS-1. Und deshalb brauchte man relativ feine Partikel, wir sagen immer so unter fünf Mikrometer Durchmesser – und Mikrometer ist ein Millionstel Meter oder ein Tausendstel Millimeter – also unter fünf Mikrometer Durchmesser, sollen diese Tröpfchen, bzw. diese Partikel sein, damit sie tief in die Lunge gehen. Deshalb war es damals so, dass die kleinen Partikel gefährlicher waren. Jetzt, auf dieser Basis, könnte man sagen, dass heute vielleicht auch kleine Partikel eine Rolle spielen, weil sie tiefer in die Lunge kommen. Andererseits wissen wir, dass bei diesen neuen Virus SARS-CoV-2 relativ eindeutig das Virus schon in den oberen Atemwegen andocken kann: zum Beispiel im Rachen, aber auch in der Nase ist ein Thema hier. Deshalb bin ich jetzt unentschlossen, ob man da sagen kann, diese ganz feinen Partikel sind genauso wieder besonders gefährlich. Da würde ich sagen, ist die Datenlage noch unklar.

Tim Deisinger

Aber das hieße, wenn die größeren Tröpfchen entscheidend sind, dann sind Masken ja umso wichtiger. Weil die werden von den Masken wahrscheinlich besser zurückgehalten als die kleineren. Oder?

10 [0:11:10] :

Alexander Kekulé

Ja, genau. Diese Tröpfchengröße spielt genau an der Stelle wiederum eine Rolle. Es gibt gerade eine ganz neue Arbeit, die ist vor ein paar Tagen in „The Lancet“ erschienen. Das ist eines der wirklichen Top-Journale, die wir haben. Und die hat es noch einmal bestätigt. Es ist so: Wenn Sie eine Maske im Gesicht haben, dann schützen Sie andere Angst davor, dass die diese Tröpfchen abkriegen. Und zwar zu einem gewissen Grad beides, sowohl die großen als auch die kleinen. Weil durch so ein Vlies, was man vor Mund und Nase hat, fliegen eben auch keine kleinen Tröpfchen raus, insofern das Vlies nicht gerade nass geworden ist. Das heißt also, andere schützen sie auch vor den kleinen Tröpfchen. Aber sich selber schützen Sie mit so einer Maske nur, wenn ich so sagen darf, vor den großen Tröpfchen, die auf dem direkten Weg übertragen werden, also, die sozusagen gespuckt werden. Was bedeutet das, je mehr es in der aktuellen Entwicklung auch drauf ankommt, diese etwas selteneren Ereignisse zu verhindern, wo ein Mensch ganz viele über so eine Tröpfchenwolke, also über ein echtes Aerosol, ansteckt? Je mehr es in diese Phase geht, desto wichtiger werden diese Tröpfchen, die an der Maske vorbeigehen, wenn Sie sie einatmen. Weil dieser ganz feine Nebel, der geht beim Einatmen links und rechts vorbei an der Maske. Vor dem können Sie sich nicht schützen. Und diese Studie, die fand ich also ganz interessant. Die hat das relativ deutlich gezeigt. Die hat verglichen, was der Abstand macht, also an das normale Distancing, so zwei Meter Abstand oder einen Meter Abstand. Und was Gesichtsmasken für eine Auswirkungen haben und es wurden die unterschiedlichen Sorten verglichen, und sogar, was ein Augenschutz vielleicht noch zusätzlich bringen kann. Da haben die über 20.000 Publikationen zu dem Thema analysiert, in einer sogenannten Metaanalyse. Die haben selber keine Studie gemacht, sondern haben andere Studien quasi ausgewertet. Da haben sie 44 rausgesucht von diesen über 20.000 und haben rausgekriegt: Wenn man eine Maske im Gesicht hat, egal ob das eine FFP-Maske ist oder irgendeine Maske, irgendeine andere, dann kann man das Risiko, sich anzustecken von etwas über 17 Prozent auf drei Prozent reduzieren. Ich lasse mal die Zahlen hinterm Komma weg. Und das gilt eben in einigen Studien, auch für diese Aerosole. Bei den Aerosolen ist es aber so, dass gezeigt wurde, dass diese N95-Masken, so heißen die in Amerika, bei uns FFP-Masken, dass die da wirksamer sind. Und das heißt sozusagen umgekehrt: Wenn man mit einer FFP-Maske tatsächlich sich besser schützt als mit einem Mund-Nasen-Schutz, dann spielen diese Aerosole offensichtlich eine Rolle. Weil der normale Mund-Nasen-Schutz diese direkt anfliegenden Tröpfchen ja auch abhalten würde.

Und das andere, was sie getestet haben, ist dieser Augenschutz. Da haben sie gesagt wenn man was vor den Augen hat, das hat mich ein bisschen überrascht, kann man die Gefährdung von etwa 16 Prozent auf 5,5 Prozent reduzieren, also auf ein Drittel ungefähr. Das muss man dazusagen: Das ist wahrscheinlich – ich habe das nicht ganz genau analysiert – dem geschuldet, dass die auch viel Krankenhauspersonal untersucht haben. Und Krankenhauspersonal kriegt natürlich relativ viel auch mal in die Augen, wenn die Patienten irgendwie intubiert werden, also einen Schlauch in die Lunge kriegen und Ähnliches. Ich glaube, für den Alltag kann man das nicht so sagen, dass man deswegen immer eine Brille tragen muss.

Aber das hat mich natürlich gefreut. Es war ja immer schon eine Empfehlung, die wir gegeben haben, dass, wenn man sich zusätzlich schützen will, vielleicht eine Brille aufsetzt.

Und das Letzte ist, das sie gesagt haben: Abstand! Da ist auch ganz klar gezeigt worden, das Distancing bringt was. Und sie haben auch gezeigt: zwei Meter besser ist als ein Meter. Selbst das konnte in dieser Studie gezeigt werden.

Aber insgesamt muss man sagen: Die Fachleute nennen so etwas „educated guess“, also ein Bauchgefühl eines Fachmanns. Und diese „educated guesses“, was da sinnvoll ist und die wir alle schon hatten, die wurden im Grunde genommen durch diese Studie bestätigt. Aber im Ergebnis heißt es, wir müssen jetzt auch diese Aerosole tatsächlich ins Auge fassen. Und darüber nachdenken, was wir machen, wenn Leute in geschlossenen Räumen sind. Ich glaube die Konsequenz, die man ziehen kann, ist: Jemand, der eine Risikopersonen ist, also über 70 auf jeden Fall und auch die anderen klaren Risikopersonen, die sollten, wenn sie wirklich im Flugzeug sitzen oder in anderen geschlossenen Räumen bzw. unbedingt mit anderen Menschen enger zusammen sein müssen, die sollten definitiv eine FFP2-Maske aufsetzen und nicht einen normalen Mund-Nasen-Schutz.

2 [0:15:55] :

Tim Deisinger

Okay, machen wir einen Haken dran. Nächstes Thema: Donald Trump, US-Präsident, der sein Land nun sozusagen bei der Weltgesundheitsorganisation, der WHO, abgemeldet hat. Kritik hatte er schon länger geäußert, die WHO sei quasi China gesteuert, sie hätte die Pandemie verhindern können. Hat sie aber nicht. Ist das alles aus der Luft gegriffen?

9 [0:16:21] :

Alexander Kekulé

Also, man muss schon sagen, Tedros, der Generalsekretär der Weltgesundheitsorganisation ist am Anfang schon sehr diplomatisch mit China umgegangen. Der hat die mit Samthandschuhen angefasst. Ich weiß aber auch nicht, was er hätte anders machen können. Es ist einfach so, dass nach den internationalen Regularien, die da zuständig sind, die heißen International Health Regulations. Da ist einfach das Land, was betroffen ist, immer mit am Tisch, auch wenn es darum geht – und das ist die Kritik von Donald Trump gewesen – diesen internationalen Gesundheitsnotfall auszurufen. Da saßen in dem Meeting, die Ergebnisse sind jetzt so in den letzten Tagen und Wochen nach und nach dann durchgesickert, natürlich die Chinesen mit drinnen. Das ist so. Die haben aber eine Delegation geschickt, die aus politisch motivierten Menschen bestand. Und die haben, das sagen jetzt alle Beteiligten, von denen ich gehört habe, die haben ziemlich eindeutig gesagt: Wir wollen keinen internationalen Notfall. Und sie haben das begründet mit Daten, die ganz offensichtlich im Nachhinein falsch waren. Also die haben falsche Daten vorgelegt und haben versucht zu argumentieren, dass dieser internationale Notfall nicht ausgerufen wird. Jetzt hat Trump, und andere haben der WHO vorgeworfen, dass sie in dieses Komitee Leute reingesetzt haben, die jetzt nicht unbedingt superqualifizierte dafür waren, das im Einzelnen zu beurteilen. Und ich muss ehrlich sagen, man hätte sicherlich ein paar China-kritischere Leute reinsetzen können. Oder ein paar Leute, die vielleicht mit mehr mit früheren Pandemien Erfahrungen hatten. Wie das dem geschuldet war, weiß man im Einzelnen nicht. Aber klar, da sind Sachen am Anfang nicht so optimal gelaufen. Ich

weiß aber nicht, was der hätte anders machen sollen. Weil, wenn jetzt sich die WHO von China da distanziert und auf den Tisch gehauen hätte, öffentlich, dann hätten die halt gar keine Informationen mehr rausgerückt. Und das war eigentlich der Worst Case, den Tedros verhindern muss.

2 [0:18:23] :

Tim Deisinger

Aber wenn da politisch diskutiert wird und politische Vorstellungen eine Rolle spielen – wir hatten auch in Folge 25 schon ein bisschen ausführliche drüber gesprochen – wie kann denn die WHO dann Krisenmanager sein? Oder ist das gar nicht ihre Aufgabe?

11 [0:18:40] :

Alexander Kekulé

Das wäre sie, und das ist ja die Diskussion bei jeder Krise. Das hatten wir ja bei Ebola und vorher auch bei der Schweinegrippe 2009. Es gibt ja Leute, die sagen, dass man deshalb die WHO nicht wirklich in dieser Art, wie sie ist, reformieren kann. Die Diskussion gab es schon mehrfach. Und weil letztlich die WHO auf Mittel von den Mitgliedstaaten angewiesen ist, weil sie nur Empfehlungen geben kann und weil große, starke Staaten wie eben zum Beispiel China einfach machen, was sie wollen. Das wäre ganz genauso, wie ein Ausbruch in den Vereinigten Staaten von Amerika wäre. Dann würde sich kein US-Präsident aus Genf irgendwelche Vorschriften machen lassen. Deshalb gibt es Leute, die sagen, wir brauchen da ein anderes Modell dafür. Und in dieses Horn tutet natürlich jetzt Donald Trump. Ich bin überhaupt kein Trump-Freund, das ist klar. Aber man muss schon sagen, was die US-Regierung so ungefähr für die WHO zahlt, ist, glaube ich, so eine halbe Milliarde US-Dollar. So in der Größenordnung liegt es. Die haben bei vielen Bereichen einen wichtigen Teil des Budgets bisher bezahlt, also zum Beispiel bei dem Polio-Programm, also die weltweiten Impfungen gegen Kinderlähmung, da war es ungefähr ein Viertel. Bei Tuberkulose, Malaria, bei internationalen Notfällen, überall da haben die USA immer so 20-25 Prozent eigentlich bezahlt von den Kosten. Aber jetzt sagt er, wir nehmen dieses Geld zurück, und wir setzen jetzt quasi das Fünffache davon. Insgesamt mindestens das Fünffache, also 3 Milliarden US-Dollar für dieses sogenannte Global Health Security and Diplomacy Act Program. Das ist also quasi das, was er alternativ als amerikanisches Notfallprogramm aufsetzen will. Das soll 3 Milliarden US-Dollar kosten. Und die letzten Tage gab es neue Gerüchte, dass er ein weiteres Programm mit noch einmal 2,5 Milliarden Dollar nur für Pandemieabwehr aufsetzen will. Also, wobei man sagen muss, das zweite Programm wäre nicht nur international, sondern national und international, für beides. Aber das sind natürlich riesige Summen, die viel höher sind als das, was die USA jemals für die WHO gezahlt hat. Und man könnte natürlich schon fragen, ob das dann aus Sicht der USA, ob das dann vielleicht effizienter ist. Dann kann Trump sagen, hier und da schicken wir jetzt unsere Leute hin und macht mal, und wir helfen denen jetzt ad-hoc.

2 [0:21:01] :

Tim Deisinger

Sie haben ja auch in der schon genannten Folge 25 formuliert, wenn ich es recht weiß, dass Deutschland die Weltgesundheitsorganisation eigentlich gar nicht wirklich braucht. Also das eher für Staaten sein sollte, die weniger leistungsstark sind. So kann man sich ja auch wirklich fragen, also ob die USA die WHO nötig haben, ob wir die brauchen.

12 [0:21:22] :

Alexander Kekulé

Die USA brauchen sie nicht, und aber das ist eben auch die Gefahr hier. Wir in Europa brauchen sie in dem Sinn auch nicht. Das muss man ehrlicherweise sagen. Aber es ist ja so: Es gibt die großen Seuchen, und die großen Probleme gesundheitlich sind ja in den armen Ländern. Und auch, dass das aus China jetzt gekommen ist mit diesem SARS-CoV-2, zeigt im Grunde genommen, dass sozusagen gesundheitlich schlechter strukturierte Regionen hier das Problem sind. Und China ist jetzt ganz gut aufgestellt, um sich da zu wehren. Aber stellen Sie sich vor, so etwas kommt mal aus Afrika. Oder

eben Polio und ähnliche Probleme, die wir noch haben. Das Problem ist, in diesen Ländern haben zum großen Teil die Vereinigten Staaten von Amerika eigentlich keine Freunde. Das sind häufig muslimische Länder. Das sind häufig Länder, die sich zurückgesetzt fühlen, auch zu Recht, von den industrialisierten Ländern. Und da haben die USA zum Teil keine Freunde und vor allem keine Beziehungen. Also die gesamten Impfkampagnen und so, die werden unter Koordination der WHO aufgesetzt. Zwar mit Leuten aus den USA, aber Koordinator und Verbindung ist immer die WHO. Und das ist eben ein wahnsinnig sensibles Geschäft. Und darum ist die WHO ja so vorsichtig mit ihren Mitgliedsstaaten, da die Diplomatie so zu machen, dass man die Leute nicht vorführt. Dass man ihnen hilft, dass sie diese Kampagnen zulassen und Ähnliches, dass sie manchmal auch die Kampagnen schützen. Und all das haben die Amerikaner nicht. Das heißt, sie können jetzt nicht einfach irgendwo reinmarschieren und sagen: „Hallo Leute, wir impfen jetzt mal eure Kinder alle durch“. Das würde aus verschiedensten Gründen nicht funktionieren. Sodass eben ein eigenes Programm der USA zwar für Trump den Vorteil hätte, dass er das politisch nutzen kann, weil er ja da eine Gegenleistung fordern kann. Das ist so ähnlich wie China international in der letzten Zeit auch auftritt. Aber diese bilateralen Ansätze im Gegensatz zu den multilateralen, wie man es dann diplomatisch nennen würde, die haben eben immer den Nachteil, dass sie von den anderen Leuten auch angenommen werden müssen. Und ich glaube, dass das nicht funktionieren wird. Ich glaube, dass ganz viele dieser Programme jetzt auf der Strecke bleiben, weil einfach de facto es nicht umgesetzt werden kann von den Amerikanern.

2 [0:23:29] :

Tim Deisinger

Wenn wir den Kreis immer noch ein bisschen weiter ziehen. Es gibt ja auch andere Einrichtungen, ähnlich der Weltgesundheitsorganisation oder die in diesem Zusammenhang auch immer wieder in Frage gestellt werden, die kritisiert werden. Auch hier in Deutschland ist beispielsweise immer wieder von einer Behörde die Rede, von der man ja zumindest vom Namen her hätte die Ahnung haben können, dass sie aktiv an der Epidemiebekämpfung mitwirkt, das BBK, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das tut aber offenbar nichts. Verstehe ich den Ansatz dieses Amtes falsch?

11 [0:24:11] :

Alexander Kekulé

Nein, das Amt heißt eben interessanterweise Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Da muss ein bisschen auf die Geschichte zurückgehen. Es ist so, dass ich ja lange in der Schutzkommission war. Das ist eine Kommission, die genau zu diesem Thema Bevölkerungsschutz die Bundesregierung beraten hat. Und wir haben immer gefordert, dass es so ein Amt unbedingt geben muss. Hintergrund war, dass es vorher ein Bundesamt für Zivilschutz gab. Jetzt ist es so von den technischen Ausdrücken her: Der Zivilschutz meint, wenn man die Bevölkerung schützt im Verteidigungsfall, also Krieg. Und das ist Bundessache in Deutschland. Und Katastrophenschutz meint, wenn man die Bevölkerung eben von Katastrophen schützt, und das ist eben immer Ländersache gewesen. Und jetzt war damals unter Otto Schily, der mal Innenminister war, es eben so, dass dieses Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe aufgesetzt wurde. Weil man nach dem 11. September, nach den Anschlägen in New York eben erkannt hat und auch nach den Milzbrand-Anschlägen, die dann passiert sind, hat man erkannt: Wir müssen da in Deutschland was haben, was funktioniert. Man hat das quasi als Nachfolgebehörde des früheren Zivilschutzes aufgestellt. Das Amt hat aber immer noch das Problem, dass es eine Bundesbehörde ist, was ebenso lange nicht im Krieg ist, die Länder nur beraten darf bei Katastrophenschutz. Und dazu ist aber auch immer Voraussetzung, dass es überhaupt eine Katastrophe ist. Und außer Bayern hat meines Wissens kein Bundesland den Katastrophen-Status ausgerufen. Und damit ist das BBK einfach rein formal nicht zuständig. Das ist, wenn man so will, ein kleiner Strickfehler im föderalen System auf der einen Seite. Und zwar dadurch, dass man – und das hat Schily auch versucht zu ändern bei der sogenannten Zweiten Föderalismusreform, aber ist damit nicht durchgekommen – dass eben die Länder beim Katastrophenschutz absolut nichts abgeben wollten. Obwohl es klar ist, dass viele Katastrophen

landesübergreifend sind. Das hängt immer damit zusammen, wer verantwortlich ist für etwas, kriegt ja auch das Geld dafür. Und darum ging es dann letztlich.

Und das andere Problem an der Stelle jetzt bei der aktuellen Pandemie ist, wir haben ja auch die Zuständigkeit des Gesundheitsressorts. Da ist es so, dass bekanntlich Spahn jetzt als Bundesgesundheitsminister gerade durchgesetzt hat, dass über das Infektionsschutzgesetz doch ein paar mehr Kompetenzen beim Bund jetzt ankommen. Vielleicht gibt es da auch noch eine weitere Auflage zu dem Thema. Aber letztlich ist es auch da so: Gesundheit ist Ländersache. Und das heißt auch hier kam der Bund immer nur sozusagen Empfehlungen machen. Und bei einer Seuche ist jetzt primär erst mal das Gesundheitsministerium zuständig und nicht das Ressort Innen. Und das BBK ist dem Innenministerium unterstellt. Das heißt also, das ist in doppelter Hinsicht sozusagen im Windschatten. Das ist föderal nicht zuständig und von der Ressortaufteilung nicht zuständig.

2 [0:26:59] :

Tim Deisinger

Aber man hat gesehen, das Amt hat auch große Ressourcen. Ich habe mal gelesen, die haben vor, weiß gar nicht, über zehn Jahren mal ein großes Szenario durchgespielt, das der aktuellen Realität ja ziemlich nahekommt. Es ging damals um eine schwere Grippe-Epidemie. Daraufhin hat man Pläne arbeitet, Pläne erarbeitet. Nur heute weiß man von diesen Plänen, sie hat letztlich keiner umgesetzt. Weiß man denn auch genau, warum sie nicht umgesetzt worden sind? Ich habe jetzt ein bisschen rausgehört, die Länder sind jetzt schuld,

14 [0:27:31] :

Alexander Kekulé

Ja, rein formal sind natürlich die Länder schuld. Das ist halt so, wenn es im Gesetz so steht. Aber klar, die Schutzkommission hat ja diese Pandemievorbereitungen mit angeregt und war auch unmittelbar beteiligt. Da gab es tausend Übungen und Papiere, was wir da gemacht haben, rauf und runter. Und es ist so, dass letztlich im Ergebnis da steht: Ihr müsst für den Pandemiefall Beatmungsgeräte einlagern. Ihr müsst Atemmasken einlagern und noch eine lange Liste von weiteren Medikamenten und so weiter, die dann gebraucht werden, bis hin zu Antibiotika, die jetzt zum Teil auch knapp waren. Und es steht drin: Ihr müsst euch darauf einstellen, dass eben Verteilungskämpfe weltweit entstehen. Weil das ein globales Problem ist, wo man viele Probleme haben kann, und wer kriegt was zuerst? Das ist, glaube ich, hinlänglich bekannt, dass diese Dinge nicht umgesetzt wurden. Klar kann man jetzt dem BBK vorwerfen: Wieso habt ihr da das sozusagen in Berlin, das Gesundheitsministerium nicht, wenn ich mal so sagen darf, in den Hintern getreten? Das muss man so sehen, in dem Krisenstab, der da vorgesehen war – und auch das ist ein Konzept, was die Schutzkommission ursprünglich mal empfohlen hat – in diesem Krisenstab ist das so: Da sitzen Vertreter des Innenministeriums drin. Aber ich habe gelesen, dass aus dem BBK eigentlich gar kein ständiger Vertreter da drinnen war. Man könnte jetzt sagen, wenn es die Zuständigkeit des Bundes ist, dann hätte der Gesundheitsminister empfehlen müssen, dass die Länder ganz früh in der Pandemie mal ihre eingelagerten Masken und so weiter kontrollieren. Dann hätte es sicherlich am Anfang nicht die ganzen Infektionen bei medizinischem Personal bei uns gegeben. Wir sind aber letztlich unterm Strich mit dem blauen Auge davongekommen. Und ich befürchte, dass diese ganze Diskussion Föderalismusreform, die dahinter steht, dass die auch nach dieser Pandemie kein Stück weiter kommt. Das ist ja zweimal versucht worden. Und wir haben halt ein System, wo die Länder sehr viel Macht haben. Es gibt große Länder, Beispiel Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Die haben das eigentlich nicht nötig, sich aus Berlin beraten zu lassen. Und es gibt andere, die brauchen das dringend. Also in gewisser Weise spiegelt sich so ein bisschen die Situation der WHO bei uns dann auch im föderalen System noch mal wider,

15 [0:29:47] :

Tim Deisinger

Und klingt so ein bisschen, als ob Sie denken ist, die Gelegenheit, dieses Amt zu stärken, ihm neue Kompetenzen zu übertragen, ist eigentlich auch schon wieder vorbei. Oder?

17 [0:29:58] :

Alexander Kekulé

Das wird nicht funktionieren. Wenn es so gewesen wäre, dass das BBK irgendwas hat, wo man sagt, das braucht man jetzt sofort, dann hätte man sicher gesagt, wieso kam das nicht an den Mann? Aber die hatten die Masken auch nicht im Keller. Und wir haben halt hier letztlich ein Problem, wo die Katastrophe eigentlich immer erst dann passiert, wenn die Sekundärschäden hoch sind. Also zum Beispiel, wenn Leute anfangen, Apotheken zu plündern, wenn Funkmasten vom Handysystem nicht mehr funktionieren, wenn Stromversorgung ausfällt, weil so viele Menschen im Kraftwerk krank sind. Das ist der Moment, wo es BBK sozusagen kommt und das Innenministerium. In dieser Ebene, wo wir so eine klassische Katastrophensituation haben, sind wir ja mit Covid-19 nicht gekommen. Und wir werden da auch nicht reinschlittern. Sodass das eigentlich schon in Ordnung ist, dass jetzt erst mal das Gesundheitsressort weiterhin die Federführung hat.

16 [0:30:52] :

Tim Deisinger

Und damit komme eigentlich schon zum nächsten Thema. So ein Amt hätte ja im Vorfeld auch schon dafür sorgen können, dass man ja sämtliche Virologen und Epidemiologen des Landes mal an einen Tisch holt und deren Kompetenz da abgreift, wo sie am stärksten ist. Also, ich sage jetzt mal ganz naiv, Herr Drosten wäre dann für die Frage zuständig: Wie geht es denn dem Virus? Herr Streeck kümmert sich darum, den Epidemieverlauf zu analysieren. Und Sie dann logischerweise um die Frage also: Welche Gegenmaßnahmen ergreifen wir. Stattdessen scheint es, haben wir jetzt einen medial befeuerten Zank zwischen den Professoren.

19 [0:31:31] :

Alexander Kekulé

Naja, also ich habe natürlich – das ist, glaube ich, bekannt – das Robert Koch-Institut schon öfters mal kritisiert und auch angemahnt oder geschimpft, warum bestimmte Sachen nicht schnell genug erfolgt sind. Da muss man sich jetzt über Gegenwehr, wenn ich mal so sagen darf, vom RKI und seiner Berater eigentlich nicht wundern. Das ist einfach so, Aus meiner Sicht muss man immer unterscheiden zwischen der fachlichen Diskussion, die finde ich, muss man führen, und die muss auch die Öffentlichkeit kennen, weil es ja Argumente in die eine und die andere Richtung gibt. Und man muss unterscheiden zu einer persönlichen Ebene. Da muss man ein bisschen aufpassen, dass das nicht abrutscht.

2 [0:32:07] :

Tim Deisinger

Ist aber scheinbar ein bisschen abgerutscht. Da wurde er nicht nur Herr Drosten letzte Woche in „Die Welt“ und jetzt von der „Bild“-Zeitung angegriffen. Sie kennt das ja in Bezug auf sich selbst mittlerweile auch. Selbst Jan Böhmermann meldet sich zu Wort. Der macht es zugegebenermaßen nicht ganz unsympathisch. Aber er zieht es natürlich auch auf eine persönliche Ebene. Vielleicht können wir ja ganz kurz mal reinhören, auch mal rüber winken in den „Fest & Flauschig“ Podcast. Da werden sie nämlich zum Musical-Star.

1 [0:32:47] :

Aus „Fest & Flauschig“ Podcast [Aerosol – das Musical (Titelsong: "Alexander Kekulé") – in Anlehnung an das Musical „König der Löwen“] Auszug Liedtext: Nur eines findet Kekulé zum Kotzen. Dr. Christian Drosten, von der Virologie Charité.

Alexander Kekulé.

20 [0:33:10] :

Tim Deisinger

Geben Sie es zu, Sie haben nach ein paar Sekunden schon mitgesungen oder?

Alexander Kekulé

Mitgesungen nicht. Also den Text, da sage ich jetzt nichts dazu. Aber es ist ehrlich gesagt so: Wir waren vor einiger Zeit mal im Phantasialand, da in der Nähe von Aachen ist das. Und da gibt es einen Song in einem dieser Fahrgeschäfte, der ganz ähnlich klingt. Und meine Kinder singen das tatsächlich mit und finden das lustig. Also ja, persönlich kann ich das ganz gut aushalten. Das finde ich, gehört irgendwie dazu. Ja, wenn man sich öffentlich äußert, muss man auch mal sich den Kopf waschen lassen. Das ist schon in Ordnung.

Von der Sache her ist es natürlich so: Wissenschaftler sind jetzt in dieser schwierigen Phase, ob das jetzt der Christian Drosten ist oder ich, oder früher hat er auch mal der Streeck was abgekriegt. Wir brauchen ein öffentliches Vertrauen, weil sonst funktioniert diese Steuerung nicht. Die Politik braucht irgendeine Referenz. Und die Öffentlichkeit braucht auch irgendwie Leute, denen sie glaubt letztlich, bei diesen ganzen Maßnahmen. Darum machen der Christian Drosten und ich diese Podcasts. Und es gibt noch ein paar weitere, muss man eigentlich auch noch sagen, die so etwas machen. Und die Gefahr ist ... Oder was man darf, glaube ich, sehr viel Spaß machen und das auch gern im Musical machen. Ich bin gespannt auf die weiteren Strophen. Aber man darf nicht so weit gehen, dass die Wissenschaftler an Glaubwürdigkeit verlieren. Ich glaube, wenn man sich ein bisschen das spaßig macht, ist es okay. Wenn man es lächerlich machen würde, das sehe ich jetzt beim Böhmermann hier nicht, dann wäre die Schwelle überschritten. Wo ich ein bisschen Angst hätte, dass man denkt, Wissenschaftler sind so etwas wie Fußballstars. Die werden ja auch mal gelegentlich von der „Bild“-Zeitung durch den Kakao gezogen. Oder irgendwelche anderen Leute. Das ist hier natürlich schon anders. Weil wir ja alle, sage ich mal 70 Stunden die Woche mindestens arbeiten wie die Schweine, um hier irgendwie dieses Problem so ein bisschen in Griff zu kriegen von verschiedenen Seiten. Und wir müssen das, glaube ich, auch so kommunizieren, dass das letztlich im Ergebnis eine ernste Frage ist. Und das Problem ist ja diese Debatte, welche Maßnahmen jetzt notwendig sind und welche nicht. Die ist ja wahnsinnig aufgeheizt. Das geht hin bis zu politischen Verschiebungen, zur AfD in einigen Bereichen. Die Leute demonstrieren auf der Straße, Demonstrationen werden andererseits verboten, wegen der Abstandsgebote und, und, und. Also, das ist eine richtig schwierige Diskussion, politisch, sozialpsychologisch auch. Da hätte ich Angst, wenn so die ernste Ebene dauerhaft verlassen wird. Also für so ein kleines Spässchen am Rande finde ich das in Ordnung.

2 [0:35:59] :

Tim Deisinger

Auslöser der aktuellen Debatte jetzt war ja ihr Beitrag im Tagesspiegel. Dort haben Sie geschrieben, Drostens Kinderstudie, die habe fachliche Fehler. Und Drosten wiederum hat dann darauf wiederum ziemlich angefasst reagiert bei Twitter.

22 [0:36:15] :

Alexander Kekulé

Ja, das war natürlich ein bisschen unter der Gürtellinie, das muss man ganz klar sagen, dass er da so persönlich geworden ist. Ich glaube, da hat er sich spontan über die Überschrift geärgert, die bekanntlich nicht von mir war. Man darf das nicht auf eine persönliche Ebene ziehen. Da gehört das nicht hin. Und ich bin ganz sicher, dass ihm das auch danach klar war. Aber das ist halt das Problem bei Twitter. Man feuert das ab, und dann ist es irgendwie draußen. Ich habe auch aus dem Grund ein bisschen ganz bewusst nicht bei Twitter geantwortet. Erstens, weil ich das Medium nicht so richtig beherrsche. Und, vor allem, ich schreibe meine Twitternachrichten am Computer. Also, ich kann es

gar nicht so schnell. Und zweitens, ich finde, da darf man nicht Öl ins Feuer eines Nebenschauplatzes gießen, weil dann kocht das hoch. Dann schreibt die „Bild“-Zeitung, die das ja alles mit Freude beobachtet, wieder den nächsten Kommentar. Und darum ist es, glaube ich, gut so. Ich will, dass an der Stelle auch inhaltlich, also von der persönlichen Ebene, überhaupt nicht kommentieren.

2 [0:37:11] :

Tim Deisinger

Und Christian Drosten, wenn wir da noch bleiben, hat sich auch selbst mehrfach darüber beschwert, wenn er persönlich angegriffen wurde.

23 [0:37:18] :

Alexander Kekulé

Ja, und da hat er recht. Das war diese Diskussion mit der „Bild“-Zeitung und vielleicht auch vorher mit der „Welt“, die da die Beratungen der Bundesregierung durch RKI und Co. kritisiert haben. Da hat er völlig Recht, wenn er sagt, dass persönliche Angriffe irgendwie gar nicht gehen in diesem Zusammenhang. Die sind ein altbewährtes Mittel, um von der sachlichen Ebene abzuwenden, abzulenken. Also immer, wenn man sachlich nicht weiterkommt, haut man persönlich rum. Und leider hat es die Presse auch so ein bisschen dann aufgegriffen. Die hat dann aus meinem „Tagesspiegel“-Artikel, wo ich ja relativ konkret auf Fragezeichen in der Studie eingegangen bin, nur die Überschrift genommen. Nach dem Motto: Jetzt keilen sich die zwei Virologen. Da ist jetzt sozusagen das, was ich eigentlich transportieren wollte, komplett untergegangen. Also so ist das, wenn man auf die persönliche Ebene springt.

2 [0:38:09] :

Tim Deisinger

Es gab aber auch sachliche Kritik an Ihrem Artikel. Da wurde insbesondere kritisiert, Sie hätten Drosten aufgefordert, diese Studie zurückzuziehen.

24 [0:38:19] :

Alexander Kekulé

Das wäre ein berechtigter Kritikpunkt. Ich finde, das geht gar nicht, dass ein Fachmann den anderen zu irgendetwas auffordert. Wir sind ja beide Erwachsene, sage ich mal so. Übrigens gibt es auch Freiheit von Forschung und Lehre. Ja, also jeder darf also forschen und lehren und veröffentlichen, wie er das meint. Nein, das war ein Versehen bei der Redigatur, das kann man nur klar sagen. Das habe ich allerdings bei Twitter tatsächlich dann irgendwann mal richtiggestellt. Es war ein Versehen bei der Überarbeitung durch die Redaktion. Die haben da einen Satz, den ich geschrieben hatte, verschönert, sage ich mal, grammatikalisch. Und dabei so umformuliert, dass es so klang, als wollte ich diese Forderung stellen. Ich hatte das tatsächlich auf die Vergangenheit und analytisch bezogen. Und war und bin nach wie vor der Meinung, dass es wahrscheinlich geschickt gewesen wäre – aber das muss jeder selber machen – hier die Aussage ein bisschen zu modifizieren und nicht zu warten, bis die „Bild“ quasi in die Bütt kommt. Aber das war bezogen auf die Vergangenheit. Also das hat nichts damit zu tun, dass ich ihm etwas vorschreiben will.

16 [0:39:20] :

Tim Deisinger

Ich muss aber trotzdem noch mal nachfragen. Also, war es denn wirklich notwendig, Drostens Studie noch mal zu kritisieren, nachdem die „Bild“-Zeitung das ja bereits zur Genüge getan hatte?

25 [0:39:33] :

Alexander Kekulé

Ja, das habe ich mir tatsächlich selber auch überlegt, ob man da noch mal was machen soll. Es gab im Grunde genommen zwei Gründe, warum das aus meiner Sicht notwendig war. Auch wenn es ein bisschen Schnee von gestern ist. Der eine ist, dass es tatsächlich Sachen gab, die ich ergänzen konnte.

Es ist ja so, dass ich einige virologische Argumente noch gebracht habe. Und vorher waren nur so die Kritiken der Statistiker im Raum gestanden. Da gab es ja eine ganze Reihe von Kollegen, die gesagt haben, dass die Arbeit statistisch nicht gut ist. Und ich habe dann schon so rausgehört, dass die Reaktion war, vielleicht auch durch den Druck der „Bild“-Zeitung: Ja, die Statistik ist so ist vielleicht nicht so gut, aber das Ergebnis ist trotzdem 1:1 haltbar. Und an der Stelle musste man einfach was sagen, weil natürlich diese Diskussion einfach so einen irren politischen Impact hat. Die Menschen sind wahnsinnig verunsichert, ob die Schulen geöffnet werden sollen oder nicht. Das ist ein internationales Problem. Die ganze Welt schaut auf diese Ergebnisse, und das wurde in der New York Times in der Financial Times überall zitiert. Und da meine ich, wenn sich dann herausstellt, dass die Daten sowohl von den virologischen Originaldaten als auch von der statistischen Auswertung genau diese Aussage um die es da ging, nämlich das Kinder und Erwachsene gleichviel Viruskonzentration im Hals haben und deshalb – so ist es ja im Podcast gesagt worden – wahrscheinlich genauso infektiös sind. Wenn diese Aussage eben nicht mehr ganz genau so zu halten ist, dann finde ich, muss man auch wissenschaftlich sagen, okay, wir gehen dann noch mal in die in die Labore und in die Schreibstuben und überarbeiten das noch mal. Das war öffentlich eben nicht geschehen. Und drum herum glaube ich, ist die Diskussion auch so hochgekocht. Man muss, glaube ich, diese wissenschaftliche, saubere Arbeitsweise, die müssen wir alle einfach einhalten in jeder Situation.

16 [0:41:23] :

Tim Deisinger

Ich will „wissenschaftlich saubere Arbeitsweise“ noch mal kurz aufgreifen. Sie haben da ja auch ziemlich um die Ohren gekriegt. Als Beispiel einen Autor der FAZ, Michael Hanfeld, ist dort Leiter des Medienressorts. Der hat geschrieben, dass Sie, ich zitiere: „nicht einmal mit den grundlegenden Gepflogenheiten des Wissenschaftsdiskurses vertraut sind“. Weil Drostens Studie halt ein Preprint sei, und so etwas könne man gar nicht zurückziehen. Da haben Sie auch wieder etwas dazugelernt. Nach einem langen Wissenschaftsleben erfahren Sie von Herrn Hanfeld endlich, was ein Preprint ist. Aber ganz im Ernst. Ich es schon ein bisschen abenteuerlich zu behaupten, also, Sie wüssten um solche Gepflogenheiten nicht, Herr Professor Kekulé. Oder haben Sie, ich weiß nicht, wieviel sind es, für Ihre drei Doktorarbeiten Ghostwriter gehabt? Ernste Frage noch: Hat Hanfeld Sie um eine Stellungnahme gebeten vorher?

26 [0:42:14] :

Alexander Kekulé

Lassen Sie uns das auf dieser inhaltlichen Ebene besprechen. Nein, ganz klar, weder Herr Hanfeld noch irgendjemand anders hat da gefragt. Und der Herr Hanfeld hat sich, glaube ich, erstens drüber aufgeregt, dass ich diese angebliche Forderung gestellt hätte – habe ich ja nicht. Also damit könnte man es jetzt einfach mal kurz wegwischen. Es ist auf der anderen Seite einfach die Frage, was ist überhaupt ein Preprint? Und da glaube ich, würde ich das glatt an der Stelle vielleicht noch einmal erklären wollen, wenn Sie meinen.

Tim Deisinger

Nur zu.

Alexander Kekulé

Ein Preprint, ist ja nicht, wie das früher mal war, eine Arbeit, die man für Kollegen schreibt, so nach dem Motto ich schick euch das mal, und dann sagte er mir, ob es gut oder schlecht war. Und dann reiche ich es ein. Also diese Funktion hat das mal gehabt, aber ist in den offiziellen Statements der ganzen Fachjournale nicht mehr vorhanden. Sondern heute geht es darum auf einen sogenannten Preprint-Server, das ist sind ganz bestimmte dedizierte Einrichtungen im Internet, das hochzuladen, um die Öffentlichkeit, auch die Fachöffentlichkeit natürlich in dem Fall, speziell darüber zu informieren, das etwas ganz Wichtiges jetzt rausgekommen ist, was man eben schon, bevor es gedruckt wird, lesen soll. Oder bevor es in den Journalen veröffentlicht wird, lesen soll. Das wird viel diskutiert, schon seit vielen Wochen, ob das bei Covid-19 nicht überhand genommen hat, weil wir

alle nur noch von den Preprint-Servern lesen. Und im Grunde genommen diese Kontrolle, die sonst bei den Veröffentlichungen ist, durch so ein Gremium, wie Reviewer, das mache ich auch oft für irgendwelche Zeitungen, also, wo die Fachleute das dann quasi prüfen, bevor es veröffentlicht wird. Das findet eben nicht mehr statt zum Teil. Und deshalb ist bei allen Preprint-Servern immer und überall eben dieser fette rote Hinweis drüber: Achtung, dies ist ein Preprint, bitte nicht für politische Entscheidungen verwenden. Bitte bei Zitaten in der Presse dazu schreiben, dass es eine unvollständige Arbeit war. Und wenn sie sich das Ausdrucken, was wir natürlich alle machen, weil wir natürlich von diesen Informationen leben, auch in diesem Podcast, übrigens. Wenn Sie das Ausdrucken, dann steht auf jeder ausgedruckten Seite darüber: Achtung, Preprint. Und eine Sache muss man einfach sachlich jetzt dem Herrn Hanfeld zurückspielen. Jawohl, man kann ein Preprint zurückziehen. Auf jedem Preprint-Server müssen Sie nur so ein Formular ausfüllen, dann ziehen die das zurück. Und es ist auch gar nicht mal so selten, dass Leute das machen. Natürlich kann man einen Preprint zurückziehen, sogar löschen könnte man es.

16 [0:44:43] :

Tim Deisinger

Wenn es denn eine ist. Ich will nochmal auf die Drosten-Sache zurückkommen. Der hat ja seine Studie über eine Twitter-Nachricht veröffentlicht, Ende April. Die hat einen Link gehabt zu einer PDF- Datei. Und wenn ich das erst recht verstanden habe, nachdem was Sie gerade erklärt haben, war das gar kein Preprint.

19 [0:45:02] :

Alexander Kekulé

Also Christian hat es so erklärt. Also er hat gesagt, nachdem die „Bild“ ja über ihn hergezogen ist, hat er gesagt, das war ein Preprint. Jetzt sag ich mal, das ist ein Thema zwischen ihm und der „Bild“- Zeitung, und deshalb möchte ich da gar nichts mehr zu sagen.

16 [0:45:17] :

Tim Deisinger

Okay. Es gibt ja weitere Entwicklungen. Gestern Abend hat Christian Drosten die neue Version seines Papers veröffentlicht, diesmal mit einem deutlichen Hinweis, dass es sich um einen Preprint handelt. Er hatte immer betont, am Ergebnis der seine Studie werde sich durch die Überarbeitung nichts ändern. Was steht denn da nun drin?

27 [0:45:38] :

Alexander Kekulé

Wenn man das jetzt liest, also ich finde es sehr gut. Ich finde die neue Arbeit sehr gut. Also ich bin ganz sicher, dass sie nicht so viele Kritik von anderen bekommen wird, wie die erste. Und es wird ganz konkret auch auf die virologischen Probleme eingegangen, die ich im „Tagesspiegel“ auch erwähnt hatte. Ganz konkret ist es so, dass diese Tests, das muss man da sagen, mit verschiedenen Systemen gemacht wurden, die, so wie es vorher war, eben nicht in einen Topf geworfen werden konnten. Das ist jetzt sauber voneinander getrennt und es gibt auch interessante neue Ergebnisse. Ich habe jetzt nicht alles im Detail gelesen, aber beim schnellen Überfliegen heute. Deshalb finde ich das schon mal super, dass das auch aufgegriffen wurde. Und es wurde die Kritik der sogenannten Statistiker aufgegriffen, die gesagt haben, man kann die Daten nicht so auswerten, wie das da gemacht wurde. Das wurde 1:1 umgesetzt. Darum ist es jetzt, finde ich so, wie es jetzt auf den ersten Blick sehe, handwerklich sehr gut geworden. Man muss allerdings auch sagen, es kommt was anderes heraus, als bei der ersten Studie. Bei der ersten war es so, dass gesagt wurde: Kinder und Erwachsene haben gleich hohe Viruskonzentrationen und daraus schließen wir, dass wahrscheinlich – oder möglicherweise, heißt es in der Studie – „wahrscheinlich“ wurde dann noch einmal von Herrn Drosten ergänzt, dass wahrscheinlich oder möglicherweise eben die gleich infektiös sind, tatsächlich. Das ist ja politisch ein wahnsinnig wichtiger Fakt. Und jetzt heißt es: Wir schließen, dass ein erheblicher Anteil der Infizierten in allen Altersgruppen genug Virus-Material im Hals hat, um

infektiös zu sein. Das heißt ja nur, dass in allen Altersgruppen erhebliche Anteile von Infizierten rumlaufen. Aber nicht, dass es eben gleich ist. Und das ist wissenschaftlich natürlich ein Riesenunterschied, weil wir ja bei den Erwachsenen relativ genau wissen, wie infektiöse sie sind. Und deshalb wäre das natürlich eine ziemlich schlimme Aussage, wenn wir wüssten, die Kinder sind, obwohl sie gar keine Symptome haben, genauso infektiös. Wenn man jetzt sagt, die Kinder sind auch infektiös, aber wir wissen nicht, ob es genauso schlimm ist. Dann ist das natürlich für die ganze politische Debatte ein wesentlich weicheres Urteil eines Fachmanns. Und das heißt dann auch deshalb nicht mehr, wir glauben, dass entweder wahrscheinlich oder möglicherweise die gleich infektiös sind. Sondern hier ist es jetzt umgekehrt formuliert. Hier heißt es jetzt: Wir haben keinen Hinweis darauf, dass es Unterschiede gibt. Das ist aber wissenschaftlich was anderes. Keinen Hinweis zu haben, dass es Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen gibt, oder zu sagen, es ist gleich. Von daher finde ich das eigentlich sehr diplomatisch und gut gelöst. Weil dadurch, sage ich mal auch, die politischen Entscheidungsträger so ein bisschen sagen können: Okay, wir können das hart bewerten oder weich bewerten. Es geht dann vielleicht darauf hinaus, dass insgesamt für die Gesamtbevölkerung das Risiko vielleicht da ist, aber nicht so hoch wie bei Erwachsenen. Oder man kann es so bewerten, dass man sagt nein, wir sind jetzt supervorsichtig und machen alles zu oder öffnen die Kitas und Grundschulen nicht. Das heißt, dadurch ist jetzt dieses vorherige, doch relativ deutliche politische Statement so ein bisschen relativiert. Und das finde ich eigentlich klug und freue mich sehr, dass die Arbeit dann jetzt, finde ich jetzt eigentlich, zu einem sehr seriösen und guten Ende gefunden hat. Das kann man seriös aus den Daten schließen. Und für mich persönlich ist die fachliche Auseinandersetzung damit jetzt erledigt. Also jetzt kann man sagen ich hoffe sehr, dass die „Bild“-Zeitung jetzt nicht noch einmal nachtritt an der Stelle.

16 [0:49:10] :

Tim Deisinger

Vielleicht können wir den großen Streit dann auch erledigen. Deswegen will ich kurz noch mal nachfragen, auch wenn es wie rumhacken klingt. Christian Drosten hatte Ihnen auf Twitter unter anderem auch entgegnet, dass man sie ja gar nicht kritisieren könnte. Sie müssten dazu erst mal was publizieren. Ich habe mal geschaut. Klar haben sie publiziert, auch was die Virenforschung betrifft, zum Beispiel zum Hepatitis-B-Virus. Aber das ist ja nun schon eine ganze Weile her. Insofern könnte man mutmaßen, so unrecht hat Herr Drosten da vielleicht doch nicht. Oder?

25 [0:49:46] :

Alexander Kekulé

Also, er hat natürlich völlig recht, dass ich kein Forscher bin, kein Grundlagenforscher, auf jeden Fall. Ich leite ein großes Institut, was drei Abteilungen hat, und eine davon ist die Virologie, was er in Berlin macht. Und das sind super Oberärzte, die sich kümmern. Und wir haben in Halle natürlich relativ wenig Personal. Wir hätten auch gar nicht die Räumlichkeiten, jetzt so eine richtig tolle Forschung zu machen. Und es ist so, dass man aber hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen darf. Der eine ist eben ein Grundlagenforscher, da misst sich einfach der Output der Arbeit wirklich an den Publikationen und Fachzeitschriften. Und was ich seit vielen Jahrzehnten inzwischen eigentlich mache, ist eigentlich die Beschäftigung mit Pandemieplanung und Seuchenabwehr. Wir machen in Halle natürlich auch Covid-19-Diagnostik, und gar nicht mal so wenig. Es ist aber auf der anderen Seite auch so. Muss man ehrlich sagen wir haben in Halle ganz wenig positive Fälle und schon gleich gar keine Kinder. Das kommt bei uns fast nicht vor. Und deshalb hätten wir nicht ansatzweise die Möglichkeit, so eine tolle Studie zu machen wie die, die da jetzt aus Berlin gekommen ist.

16 [0:50:51] :

Tim Deisinger

Wir reden ja gar nicht so oft über ihr Leben. Also würden sie nicht, möglicherweise auch gerne im Labor stehen? Vielleicht haben Sie mal so Entscheidungen gehabt, die sie für sich treffen mussten. Sie waren einmal ich glaube, Arbeitsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, eine der weltweit führenden Forschungseinrichtungen. Sie hätten und da ja auch

weitermachen können. Hat sie das nicht gereizt? Sie hätten ja vielleicht mal einen Nobelpreis bekommen können. Oder Ähnliches.

18 [0:51:20] :

Alexander Kekulé

(Lachen) Meine Mutter hätte sich gefreut. Ganz ehrlich gesagt, das muss ja jeder für sein Leben selber wissen. Wenn Sie so einen Grundlagenforscher sind, dann stehen Sie im Labor letztlich von morgens bis abends. Sie kümmern sich um jedes kleine Detail. Wieviel Lösungen sie wo zusammen pipettieren. Der eine Doktorand hat wieder ein Experiment gemacht, das nicht geklappt hat. Da müssen Sie überlegen, ob man das jetzt mit fünf Volt mehr oder weniger bei der Elektrophorese fahren soll oder ob man irgendein Puffer verändert. Das ist ein bisschen eine Typsache. Ob sie jetzt ein Arbeitsgebiet haben wollen, wo sie sich vertikal sozusagen maximal darauf konzentrieren. Oder ob sie, und das hat mich dann einfach, nachdem ich das ja viele Jahre gemacht hatte, mehr interessiert, die Frage stellen: So Krankheiten, die haben ja nicht nur den Auslöser zur Ursache. Also nicht nur das Virus verursacht eine Krankheit oder auch gerade eine Epidemie, sondern da ist ja immer ganz viel anderes dabei. Der Mensch selber hilft ja den Viren. Das sind ja soziale Probleme, die da eine Rolle spielen. Bei der Bekämpfung des Virus, das erleben wir jetzt alle, spielen ganz viele Fragen eine Rolle, die sozusagen außerhalb des Spezialgebiets der Virologie oder sogar dieses einen Virus`, auf das man sich ja dann letztlich konzentrieren muss als Forscher. Ich sag mal zum Beispiel ja, wenn wir jetzt diskutieren über Flugzeuge. Da müssen Sie sich ein bisschen auskennen mit der Klimatechnik in Flugzeugen. Und müssen Sie wissen, wie diese Filteranlagen funktionieren? Dann müssen Sie wissen, wie die Prozesse im internationalen Reiseverkehr und die IATA-Bestimmung der einschlägigen Fluggesellschaft sind und solche Sachen. Und das fand ich dann eigentlich spannender zu sagen was ist das auf der Metaebene, also auf der übergeordneten Ebene? Was gibt es da für Zusammenhänge, die da die da wichtig sind, um so eine Krankheit effektiv zu bekämpfen? Also, wenn Sie einen Impfstoff haben, ist natürlich geil, dann können sie können Sie sagen, der Fall ist erledigt. Aber das ist nicht die Regel. Letztlich ist es so, dass ich dann irgendwann gesehen habe, dass diese Dinge, die da außerhalb des Virus selber sind, dass die mindestens genauso wichtig sind wie sozusagen die die vertikale Forschung, sozusagen die Metaebene, die anderen Bereiche mit reinzunehmen. Und dann fand ich das auch interessanter, in die Krisengebiete zu reisen und da zu analysieren und zu helfen, warum es zu Ausbrüchen kommt und warum man immer wieder so unfähig ist, sich dagegen zu wehren. Das passt ja auch dazu, dass ich eben lange in der Schutzkommission war und früher Notarzt. Und darum werden diese Ergebnisse dann letztlich nicht in wissenschaftlichen Journalen natürlich publiziert, sondern weil es angewandte Wissenschaft ist, wird das eben er in Gutachten oder irgendwelchen praktischen Konzept für Auftraggeber publiziert. Tim Deisinger Zum Beispiel?

Alexander Kekulé

Naja, also, wir haben zum Beispiel bei Ebola, das ist, glaube ich, auch viel in den Medien gestanden. Da hatte ich mit „Ärzte ohne Grenzen“ zusammen bei dem Ausbruch 2014 ein großes Konzept gemacht, wie man da in Westafrika tatsächlich helfen kann, diese Epidemie dort möglichst schnell einzudämmen. Das war, dann muss man auch sagen, tatsächlich das Konzept, was, was dort funktioniert hat. Ex post werden diese Sachen ja dann immer analysiert. Oder auch bei der Schutzkommission. Das ist, glaube ich, auch relativ bekannt, 2009, diese Diskussion um den Impfstoff, wo wir von der Schutzkommission. Aber da war ich natürlich wesentlich daran beteiligt, empfohlen haben, dass man einen anderen Impfstoff verwendet und auch erklärt haben, wie man den bestellen muss und so weiter, als der, der von der Bundesregierung gewünscht war. Und das ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel, weil natürlich auch da es zu Auseinandersetzungen mit dem Robert Koch-Institut gekommen ist. Die sahen das damals anders. Ex post war es so, dass der von der Bundesregierung bestellte Impfstoff verbrannt werden musste, und man alles sozusagen dann in den Ofen geschickt hat, hinterher. Aber natürlich ist das so, dass aus solchen Auseinandersetzungen,

kann man ja ganz offen, sagen man sich nicht nur Freunde machen in solchen Ämtern. Und gerade deshalb – jetzt schätze ich Jan Böhmermann als jemanden ein, der selber relativ kritisch ist – finde ich, so sollte er sich eigentlich freuen, wenn da so einen Kritiker noch da ist. Meine Befürchtung ist, wenn man sieht, wie es jemanden geht, das RKI ein paarmal kritisiert hat, und zwar nicht nur bei Covid-19, sondern auch schon früher, dass ich dann gar keiner mehr aus der Deckung traut von meinen Kollegen. Die Leute, die an der Drosten-Arbeit Kritiken geschrieben haben, waren übrigens fast ausschließlich aus dem Ausland. Also, ich finde, so darf es dann nicht sein. Sondern, ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man jeden leben lässt mit seiner Disziplin.

Tim Deisinger

Aber wenn ich das höre, ich höre, was sie machen und auch höre, was Herr Drosten macht, könnte man doch eigentlich sagen, Mensch, sie beide könnten sich doch zum Dreamteam ergänzen, um uns möglicherweise vor einer zweiten Welle zu bewahren. Bekommen Sie das hin bis dahin?

Alexander Kekulé

Ich glaube schon. Es ist so, ich habe gestern über eine Stunde mit ihm telefoniert. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass da irgendwie persönliche oder auch inhaltliche Diskrepanzen da sind. Das sind ja immer nur Nuancen, wie man sich unterscheidet. Wissenschaftler haben so die Eigenschaft, dass sie leider innerhalb von drei Minuten immer zu einer gemeinsamen Meinung kommen. Das ist für so Leute wie die „Bild“-Zeitung oder auch für Fernsehshows wahnsinnig langweilig. Wir haben ja beide eigentlich die eine interessante Situation. Also, wenn ich das mal so von innen sagen darf. Es ist ja so. Er hat ja nun wirklich, als er auf Coronaviren sich spezialisiert hat, vor vielen Jahren, ein relativ exotisches Gebiet sich ausgesucht, was in Deutschland kaum jemand anders gemacht hat, auch in Europa sonst nicht so beliebt war. Ich glaube, dass es für ihn keine Überraschung, dass er jetzt dann gleich nachdem er da in Berlin eingezogen ist und alles startklar hatte. Jetzt kommt eine Pandemie. Das ist ja sowieso ganz selten und dann auch noch mit Corona, wo alle mit Influenza gerechnet haben. Ich glaube, das ist einfach eine interessante Entwicklung oder eine überraschende Entwicklung. Und klar ist der Mann dafür. Bei mir ist es so. Ich muss sagen, ich habe mein Leben lang mich mit eben mit der anderen Seite mit der praktischen Seite angewendet befasst. So ein bisschen wie der Arzt, der die Medikamente anwendet, aber nicht selbst erfunden hat. Und wenn Sie dann quasi ihr Leben lang somit Pandemie und Seuchenabwehr zu tun hatten. Und dann kommt, noch bevor ich in Ruhestand gehe, eine wahrhaftige Pandemie daher. Das ist für mich auch so eine interessante Situation. Und ich glaube, wir beide so haben da gute Chancen und zu ergänzen. Und ich glaube, das wird auch funktionieren,

Tim Deisinger

Wir sind jetzt schon sehr lang geworden. Aber ich glaube, das war wichtig, diesen Streit mal ein bisschen intensiver zu beleuchten. Wir wollen dennoch am Ende noch ein paar Hörerfragen beantworten, wie das üblich ist bei uns im Podcast.

Fangen wir mal mit einer Hörerin aus Berlin an.

Hörerin aus Berlin

Und zwar wird ja immer wieder gesagt, dass Studien zu Kindern und Schulen und Kitas nicht möglich sein, weil die Kitas und Schulen eben zu sind. Es gibt aber in Schweden durchaus die Möglichkeit zu schauen, wie sich dort die Virusverbreitung über Schulen und Kitas gestaltet. Wieso gibt es aus Schweden dazu bisher keine Studien?

Alexander Kekulé

Ja, wir haben offensichtlich superintelligente Hörer. Also das ist eine Frage, die genau richtig ist. Es gibt aus Schweden dazu Verlautbarungen, keine Studien, dass es tatsächlich so. Und das ist ja der Grund, warum das so wichtig ist, was in Berlin gemacht wird und auch weltweit beobachtet wird. Es gibt keine Studien dazu. Aber es gibt aus Schweden die Verlautbarung, dass dadurch, dass die Kinder

weiterhin das Virus austauschen konnten, dass dadurch das Virus getragen wurde in die Altersheime, wo es ja in Schweden zu diesen hohen Todesziffern gekommen ist. Das hat man dort verpasst, dass man einfach erst mal die Risikogruppen schützt. Aber diese Behauptung, die da überall von Fachleuten auch in den Medien aufgestellt wird, für die gibt es tatsächlich keine Studie. Also die gehen davon aus, dass es so ist. Aber die haben keinen Beweis dafür.

Tim Deisinger

Hubert S. hat uns geschrieben. Er hat eine Mail geschickt. 63 Jahre. Nach eigener Aussage kein Risikopatient. Ich zitiere: „Für Ende Juno habe ich einen OP-Termin im Rahmen einer Tagesklinik für eine Leistenbruch-OP. Lese gerade die Meldungen über eine im Lancet veröffentlichte Studie, wonach das Sterberisiko nach OPs bei Corona-Infizierten in den ersten 30 Tagen nach der OP bei 23,8 Prozent liegt. Normalerweise aber unter einem Prozent. Der Leistenbruch verursacht keine permanenten Beschwerden, äußert sich halt nach sportlichen Belastungen, müsste halt mal gemacht werden. Würden Sie dazu raten, die OP gegebenenfalls ins nächste Jahr zu verschieben?

Alexander Kekulé

Also erstens würde ich die diese hohe Prozentzahl mal anzweifeln. Ich kenne jetzt diese Studie nicht, wo das, wo das dringestanden hat. Das müsste man noch mal nachlesen. Das kommt ja schon sehr auf die Art der Operation an. Das kann man so pauschal sicher nicht sagen. Das Zweite ist, wenn das Krankenhaus in Ordnung ist. Und wir sind da in Deutschland inzwischen super aufgestellt, ich gehe davon aus, dass wir hier kaum noch infiziertes Personal haben. Alles andere wäre ja wirklich schlimm nach so vielen Monaten. Dann gehe ich davon aus, dass, wenn man im Krankenhaus in einer chirurgischen Abteilung ist, dass man sich da keinem erhöhten Risiko aussetzen, mit Corona infiziert zu werden. Wir haben so wenig Fälle im Land. Das kann man in der jetzigen Situation wirklich riskieren.

Tim Deisinger

Wir haben noch eine moralische Frage einer Hörerin.

Hörerin

Wenn Leute die Regeln nicht einhalten, sollte man das dann zur Anzeige bringen? Auch wenn die Leute einem nahe stehen? Oder sollte man lieber diese Leute meiden?

Alexander Kekulé

Also ich würde wahrscheinlich keines von beiden machen. Aber das ist jetzt eine sehr individuelle Frage. Also aus Sicht des Epidemiologen ist es ja so: Wenn sich zwei Drittel, 67 Prozent, an die Regel halten und das konsequent und das mit einem R0=3, also in der Maximalgeschwindigkeit der Ausbreitung in diesem Bereich, dann würden sie ja schon die Sache unter Kontrolle bringen. Das heißt also, irgendwie so ein paar einzelne, die da unbelehrbar sind, denen hinterherzurennen, das würde ich jetzt persönlich aus virologischer oder epidemiologischer Sicht nicht machen. Man muss ja auf der anderen Seite immer sehen. Die Gefahr ist, dass hier das Virus auch zum Spalt-Virus wird. In dem Sinn, dass es unsere Gesellschaft spaltet, in zwei Gruppen oder drei Gruppen oder verschiedene Lager. Und deshalb meine ich, wenn man jetzt Anzeigen macht oder die Leute dann nicht mehr sieht oder sagt mit euch spiele ich aber nicht mehr und so ein und eure Kinder dürfen auch nicht mehr mit meinen spielen. Also ich weiß nicht, ob das dann insgesamt nicht die Voraussetzungen für die Konfrontation mit diesem Virus, der noch länger dauern wird, schlechter macht. Für uns als Gesellschaft insgesamt. Davon ausnehmen würde ich ganz klar bekannte Risikogruppen. Also wenn ich jetzt natürlich 70 plus bin oder wirklich eine schwere Grunderkrankung habe, dann würde ich mir schon überlegen, ob ich mich mit Leuten ohne Schutz treffe. Heißt konkret ohne FFP-Maske, von denen ich weiß, dass sie sich überhaupt nicht an diese Regeln halten. Das kann man auch so rum sagen. Aber ich glaube, mit denen zwei Leitplanken kommt man ganz gut durch die Krise.

Tim Deisinger

Okay. Und dann haben wir zum Schluss noch die Frage eine Hörerin. Sie ist, ich sag mal, Oma hat einen Enkel, Elias, der ist sieben Jahre alt. Der weiß viel über Corona und klärt auch seine Oma auf. Singen sei nicht erlaubt, aber er hat dazu noch eine Nachfrage.

Hörerin

Er weiß, dass das Gleiche passiert bei lautem Schimpfen. Da breitet sich das Virus genauso schnell aus. Und er möchte wissen, warum wird nur vor gemeinsamen Singen gewarnt, nicht aber vor lautem Schimpfen? Und er meint, dass die Welt wesentlich besser würde, wenn man die Leute auch davor warnen würde.

Alexander Kekulé

Super. Also, das finde ich wahnsinnig. Der ist ja wahnsinnig clever, der Bursche. Wahrscheinlich wollte er da noch sagen, und jetzt will ich, dass mich keiner mehr schimpft wegen, egal wegen was. Das kann ich Ihnen eigentlich nicht kommentieren? Ja, lautes Schimpfen ist aus verschiedenen Gründen vielleicht gar nicht so gut. Also, es tut immer gut, der schimpft. Das hat man ja heute, glaube ich, auch tatsächlich zum Thema in gewisser Weise. Und jetzt ist es so, dass uns natürlich insgesamt laut er schimpfende Dinge nicht voran bringt. Und da hat der Bursche völlig recht.

Tim Deisinger

Dann sind wir damit heute wieder durch. Das war's. Vielen Dank, Herr Kekulé. Und bis morgen, sag ich mal im Namen von Carmillo Schumann. Der ist dann morgen wieder hier.

Alexander Kekulé

Dann anke auch Ihnen, Herr Deisinger. Bis dann.

Tim Deisinger

Wenn Sie Fragen haben, dann schreiben Sie uns unter mdraktuell-podcast@mdr.de Oder rufen Sie uns an unter 0800 32200. Möglich auch bei Twitter unter dem Hashtag #FragKekule. Kekulés Corona-Kompass gibt es in der ARD Audiothek bei Spotify, bei Apple, Google, YouTube und natürlich auf mdraktuell.de





MDR.DE   Nachrichten   Podcast   Kekulés Corona-Kompass

TEXTVERSIONKekulé #62 SPEZIAL: Ihre Fragen, seine Antworten (Teil 11)

Stand: 05. Juni 2020, 13:27 Uhr


  Vorlesen

Wie kann eine Hochzeit im September ohne großes Ansteckungsrisiko ablaufen? Welche Hygienemaßnahmen sind für eine Fahrschule sinnvoll? Und: Wie können Infektionsketten bei einer Bahnfahrt zurückverfolgt werden? „Kekules Corona-Kompass Spezial“ nun mit Ihren Fragen. Die Antworten gibt es vom Virologen und Epidemiologen Alexander Kekulé.

Ich grüße Sie, Herr Kekulé. 

Hallo, Herr Schumann.

Es soll um den Start zum Wandern gehen. Perfektes Wetter draußen haben wir ja. Unsere Hörerin, Frau Jakob aus Werdau, Sachsen, fragt deshalb Folgendes:

„Wir sind eine Senioren-Wander-Gruppe. In der Regel wird einmal im Monat gewandert mit 20-25 Personen. Sehen Sie es als kritisch an zu wandern und ein Stück mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren? Natürlich dann mit Mund-Nasen-Bedeckung. Dankeschön.“

Jetzt kommt die Antwort.

Ich würde Senioren empfehlen, wenn sie eine längere Strecke in öffentlichen Verkehrsmitteln fahren müssen, eine FFP-Maske zu tragen. Da denke ich an die Generation über 70. Denn durch eine normale Mund-Nasen-Schutz-Bedeckung erhalten wir noch keinen vollständigen Schutz. Sie wissen nie, wer sonst noch im Bus sitzt. 

Das Wandern selber ist völlig harmlos. An der frischen Luft können Sie sich fast alle Freiheiten nehmen. Die Frage ist, wo Sie einkehren wollen. Wenn Sie in eine Hütte gehen, wo sie drinnen sitzen wollen, und es da drin dampfig ist - vielleicht hat es angefangen zu regnen - würde ich mir auf die Wanderung den FFP-Mundschutz mitnehmen. Wenn man länger wandert, zum Beispiel in den Bergen, dann passieren unvorhergesehene Sachen. Manchmal müssen Sie vielleicht die Wanderung abbrechen und mit dem Taxi zurückfahren. Da sollten Sie notfalls einen Mundschutz dabei haben, wenn Sie älter sind.

Eine tolle Idee, in einer Gruppe wandern zu gehen. Eine Senioren- Wandergruppe mache ich auch, wenn ich das Alter erreicht habe. 

Sie dürfen sogar singen unterwegs.

Ach, dann ist singen okay? 

Solange das im Freien ist, ist das in Ordnung, solange sie sich nicht von Gesicht zu Gesicht direkt ansingen, ist es in Ordnung. 

Also müssen die ganzen Chöre, die nicht mehr singen dürfen oder nicht mehr singen sollten, jetzt auf Wanderschaft gehen. 

Das Wandern ist des Müllers Lust.

Prima. Frau Schaller hat uns angerufen. Sie gehört zur Risikogruppe. Aufgrund einer rheumatischen Erkrankung nimmt sie Immunsuppressiva, und fragt sich, wie stark sie gefährdet ist. Dazu fehlen ihr vor allem aussagekräftige Statistiken. Wir hören mal kurz rein: „Deswegen beunruhigt mich das sehr, dass es hier keine Zahlen gibt für die Möglichkeit eines schweren Verlaufs oder auch zur Sterberate. Man hört nur Gesamtzahlen für die Risikogruppe, zu denen auch die alten Menschen gehören. Ich fände es wichtig für die Bevölkerung – also Menschen wie mich und jüngere Menschen mit einer Grunderkrankung -, dass man Zahlen bekommen würde, die für ältere Menschen gelten. Denn ich frage mich ständig: Ist mein Risiko eventuell noch höher oder vielleicht deutlich niedriger.“

Die Befürchtung von Frau Schaller ist gut nachvollziehbar.

Frau Schaller hat 100 Prozent Recht. Das ist etwas, was jeden interessieren würde. Uns hier natürlich auch. Dafür gibt es keine Zahlen. Man kann nur schätzen aus dem, was man von einzelnen Verläufen hört. Bei den meisten Erkrankungen, die als Risiko-Erkrankung genannt werden – also Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eben Menschen mit Immunsuppression oder Diabetes -, waren es immer die allerschwersten Fälle. Oder andersherum gesagt: Jemand, dem der Hausarzt beim EKG gesagt hat: „Mensch, dein EKG ist aber auch nicht mehr das beste“, der ist noch lange kein Herz-Kreislauf-Risikopatienten. Jemand, der einen gut eingestellten Diabetes hat, ist auch kein Diabetes-Risiko-Patient. Und jemand, der zum Beispiel ein Rheumamittel nimmt wegen einer Immunerkrankung oder einer rheumatischen Erkrankung, der ist - wenn das jetzt nicht gerade eine Hochdosis-Therapie ist-, in der Regel auch nicht in dieser Risikogruppe. Da muss man Entwarnung geben. Das verunsichert die Menschen. Ich weiß, dass sich dann viele Sorgen machen. Aber das ist die absolute Spitze des Eisbergs, die betroffen ist von dieser Covid19-Risikogruppe. Das sind eigentlich die, bei denen die Intensivmediziner sagen würden, der wäre in jedem Fall ein Problempatient geworden, wenn wir ihn aus einem anderen Grund auf der Intensivstation gehabt hätten. 

Stichwort: schwerer Verkehrsunfall. Da landet man auch schnell auf der Intensivstation. Und da gibt es Menschen darunter, die eine schlechtere Heil-Prognose haben als andere. Diese Gruppe ist es letztlich, die auch bei Covid19 eine schlechtere Heil-Prognose hat.

Es ist viel Verunsicherung in der Bevölkerung, unter anderem auch wegen der fehlenden Datenlage. Die Menschen würden gern nachschauen können und sich dann vielleicht selber einen Reim darauf machen können.

Da würden auch Ärzte gerne nachschauen und die Epidemiologen. Das ist wirklich oft unklar. Es immer die Frage, wie man die Daten interpretiert. Es gibt Kollegen - wie Herrn Lauterbach -, der ein hervorragender Epidemiologe ist. Der guckt auf die gleichen Zahlen wie ich. Und er sagt: “Ich gehe lieber auf Nummer sicher. Wenn ich jetzt weiß, dass eine Herz-Kreislauf-Erkrankung ein Risiko ist, fasse ich das Problem lieber großzügig und rechne mit der Möglichkeit, dass viele von diesen Personen, die diese Diagnose haben, von Covid19 besonders gefährdet sind.

Das ist ein Ansatz, den man so vertreten kann. Aber das ist ein sehr vorsichtiger Ansatz. Ich habe grundsätzlich beim Umgang mit solchen Patienten das Prinzip: „Man muss sich auf die wirklich ernsten Risikosituationen fokussieren. Und der Rest, der da so als Restrisiko noch mitläuft, von denen will ich mich nicht verrückt machen lassen.“ Mit der Einstellung, mit der ich an diese Themen herangehe, kann man verantworten, dass Menschen, die keine schwere Diagnose haben, nicht als Risikogruppen im engeren Sinne bezeichnet werden.

Frau Schaller hat uns auch noch eine Mail geschrieben und noch eine Frage gestellt, die Millionen Menschen betrifft, die zur Risikogruppe gehören. Das ist ja immer ein weites Spektrum: Menschen, die Kinder haben und sich jetzt Gedanken machen. Auch Frau Schaller hat einen 14-jährigen Sohn und ist unsicher, ob sie diesen jetzt in die Schule schicken soll.

Das ist wieder die Frage, was das für eine Risikogruppe ist. Das würde ich mit dem Arzt besprechen und in dieses Spektrum selber einordnen, ob man vorsichtig sein will, oder versucht, sich zu entspannen. Ich finde, ein 14-Jähriger kann in der Schule Abstandsregeln einhalten. Und die Lehrer achten auch darauf. Darum hätte ich bei einem 14-Jährigen keine Zweifel, dass das funktioniert. Aber es ist sinnvoll, das mal mit dem Klassenlehrer zu besprechen. Wenn man meint, dass man zu einer Risikogruppe gehört, muss man das mit dem Lehrer kommunizieren, weil das bei diesem ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein hervorrufen kann. Wir wissen alle, dass Kinder in dem Alter manchmal machen, was sie wollen. Wenn der Lehrer weiß, dass es bei dieser Familie sehr darauf ankommt, vorsichtig zu sein, gibt er sich vielleicht mehr Mühe im Einzelfall.

Bei Twitter, unter #Kekule hat uns folgende Frage von Frau Kafta erreicht: „Ich gehe in eine Fahrschule in München. Da ist während des Unterrichts keine Maskenpflicht, weil es gesetzlich nicht Pflicht ist. Die Theorie-Stunde dauert 90 Minuten. Der Lehrer macht auch eine Pause. Aber müssen die Gesetze dann nicht angepasst werden? Beste Grüße.“ Keine Maskenpflicht in der Theoriestunden der Fahrschule? Das kann ich mir fast gar nicht vorstellen.

Ich vermeide es, mich mit irgendwelchen Verordnungsgebern anzulegen. Ich erinnere mich aber düster an meine eigene Fahrschule. Da ist nach einer Weile Dampf in der Bude. Dort sind auch nicht immer die besten Lüftungen. Grundsätzlich ist es so: Wenn Menschen länger in einem Raum sitzen, würde ich einen Mundschutz anordnen. Und ich plädiere dafür, dass man mindestens alle 30 Minuten richtig lüftet und alle zwischendurch rausschickt. Erfahrungsgemäß ist der Unterrichtsraum einer Fahrschule auch nicht so groß wie ein Hörsaal an einer Uni, wo man sagen könnte, dass gleicht sich vom Volumen her aus. Vielmehr sind da häufig beengte Verhältnisse.

Aber es besteht Mundschutzpflicht während der Praxis-Fahrstunde, also im Auto. Dann ist man doch auf der sicheren Seite. Da kann man das Fenster aufmachen.

Was heißt auf der sicheren Seite? Vorsicht ist jedenfalls der Rahmen, den wir uns die nächsten Monate geben müssen. Und da heißt es für mich: Wenn ich mit jemandem Fremdes im Auto sitze - sei es der Fahrlehrer, sei es der Taxifahrer -, dann sollen beide ein Mund-Nasen-Schutz aufhaben.

Und Frau Meier aus Hamburg hat uns von einem Erlebnis mit der Deutschen Bahn berichtet. Da wollen wir sie nicht lange auf die Folter spannen: „Ich habe soeben eine mehrstündige Zugfahrt mit der Deutschen Bahn hinter mich gebracht. Ich habe den Podcast gehört, wo durchexerziert wurde, wie das auf Reisen ist. Der Zug war voll, die Luft war schlecht. Und ich frage mich bzgl. der Nachverfolgbarkeit, was gewesen wäre, wenn sich jemand angesteckt hätte. Ich gebe überall im Restaurant, beim Friseurbesuch usw. meine Kontaktdaten an. Wie beurteilt das Herr Kekulé als Virologe?“

Da ist eine Lücke. Im Luftverkehr ist es so, dass bekannt ist, wer im Flugzeug war. Da ist es schon fast Standard, zumindest bei internationalen Flügen, die Daten ggf. dem Gesundheitsamt zur Verfügung zu stellen. Auch in der Bahn gibt es Leute, die Plätze reservieren. Aber wer öfters Bahn fährt, weiß, diese Reservierungssysteme funktionieren nicht immer. Manchmal steigt man ein, hat sogar einen Platz reserviert. Dann heißt es aber, heute ist freie Sitzwahl. 

Und dann es gibt viele Menschen, die spontan einsteigen und keine Reservierung haben. Das ist dann ein Sonderfall, wo eine Tracking-Apps helfen könnte, sofern man mit der Tracking-App feststellen kann, in welchem Abteil die Leute zusammengesessen haben. Die normalen Apps sind nicht so gut. Solange wir so etwas nicht haben, kann ich keinen vernünftigen Ratschlag geben, außer, dass man sich, wenn man sich für eine Risikogruppe hält, eine FFP2-Maske aufsetzt.

Viele Hörer dieses Podcasts sind vielleicht kurz zusammengezuckt, denn Herr Kekule hat etwas Positives über die Tracking-App gesagt. Setzt da ein Sinneswandel zu diesem Thema bei Ihnen ein?

Nein, das ist ein wichtiger Punkt. Denn man muss unterscheiden, wann und wo seine App sinnvoll ist: Es gibt Situationen, in denen eine solche App funktioniert. Wenn die Tracking-App richtig programmiert ist, kann man festzustellen, wer mit Ihnen auf engem Raum über längere Zeit zusammen war. Die Frage ist nur, wie man die App programmiert. Würde man sie für diesen Sonderfall programmieren, wäre die Software so eingestellt, dass sie mich in der Bewegung wahrnimmt im Zug. Das kann die Geofunktionen übernehmen. In diesem Fall darf die App nicht die 1,5 m mal 15 Minuten nehmen, die sonst der Standard sind. Dann kann ich die Leute, die sich zugleich in einem Waggon befinden, rein datentechnisch herausfiltern, zwar nicht auf 100 Prozent, aber in einen sinnvollen Bereich. 

Aber Sie hören schon an diesen Wenns und Abers, dass das erst zu erproben ist, ob es funktioniert. Deshalb ist mein Argument, dass diese Tracking-App uns im Lockdown nichts bringt. 

Und vor allem funktioniert das Versprechen nicht: Ihr müsst für Tracking-App persönlichen Daten zur Verfügung stellen, damit ihr mehr Freiheiten vom Lockdown bekommt. Das geht nicht. 

Aber dass wir vielleicht irgendwann Mitte nächsten Jahres eine App haben, die ausgereift ist und die man in solchen Situationen verwenden kann, kann ich mir vorstellen. 

Es gibt aber noch ein anderes Anwendungsfeld, wo die App funktionieren kann. Das ist im innerbetrieblichen Bereich: Zum Beispiel wenn ein Arbeitgeber ein Riesenwerk hat und 1.000-2.000 Leute. Wenn der genau weiß, wo die sind und er kennt die räumlichen Verhältnisse, dann kann er damit bei einer Erkrankung erfahren, mit wem der Mitarbeiter vorher Kontakt hatte. Das ist mit so einer App gut überwachbar.

Grundsätzlich bleiben Sie also bei Ihrer Haltung. Aber so spezifische Anwendungen wie in der Bahn oder in einem großen Unternehmen wären dann ggf. eine gute Sache, aber es wäre auch eine entsprechend große Programmierleistung.

Es ist meist schwieriger als gesagt. Was mich stört, ist ja nicht, dass man so etwas entwickelt. Ich finde das toll. Es ist sicher richtig, das zu machen wird. Das wird auch weltweit versucht. Man darf das nur nicht so hypen, als wäre das jetzt die Lösung unseres Problems. Vielmehr müssen wir unser Problem mit anderen Methoden lösen. Und wenn wir dann zusätzlich nebenbei an dieser App basteln und hoffen, dass sie uns eines Tages auch was bringt, dann ist das völlig in Ordnung. Bis zur möglicherweise 2. sog. Welle im Herbst wird uns aber keine App zur Verfügung stehen, die uns zum Beispiel von der Pflicht entbindet, durch die Gesundheitsämter jede Neuerkrankung einzeln nachzuverfolgen.

Frau Pandolfi hat geschrieben: „Ich vermisse meinen Mann. Ich lebe in einer Fernbeziehung. Mein Lebensgefährte und ich leben an unterschiedlichen Orten, er in Nürnberg, ich in Köln. Seit Beginn der Kontaktsperre, die wir offensichtlich sehr viel ernster nehmen als die meisten Menschen, haben wir uns nicht mehr gesehen. Das ist schon eine ganze Weile her. Da wir beide Inhaber und Leiter mittelständische Unternehmen sind, achten wir sowohl bei unseren Mitarbeitern als auch bei uns penibel auf die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln, um die Arbeit nicht zu gefährden. Nun fragt man sich natürlich ständig, wann können wir wieder ein Treffen wagen? Und vor allem unter welchen Bedingungen? Die Abstandsregeln kann man ja nun in diesem Fall nicht über ein Jahr oder sogar mehr aufrechterhalten. Viele Grüße.“

Herr Kekulé, zwei Menschen, die sich vermissen. Laut Allgemeinverfügung spricht eigentlich nichts dagegen. Da müsste man dann noch mal nachlesen, oder?

Wenn ich das richtig verstanden habe, sind die beiden ein Paar. Dann gilt die Grundregel, dass man nur Menschen küssen soll, bei denen man bereit ist, im Notfall Viren auszutauschen. Da hat das Persönliche meiner Meinung nach Priorität, zumal der Infektionsdruck  erheblich heruntergegangen ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass jetzt einer von den beiden unbemerkt krank ist und den anderen ansteckt, ist nicht hoch. Da muss man pflegende Berufe, Arzt-Berufe und ähnliches ausnehmen? Aber bei der allgemeinen Bevölkerung ist es nicht mehr so häufig.

Immer wieder bekommen wir Mails und Anrufe, in denen es um den schönsten Tag im Leben geht. Frau Rudolph hat uns geschrieben: „Könnten Sie sich vorstellen, unter der Voraussetzung, dass die Zahl der Neuinfektionen niedrig bleibt, dass Anfang September eine größere Hochzeit stattfinden kann? Sicherheitsmaßnahmen können daher nicht wirklich eingehalten werden. Zumindest in Baden-Württemberg ist angedacht, dass private Veranstaltungen bis 500 Menschen ggf. erlaubt werden sollen. Ist das realistisch?“

Was können wir Frau Rudolf mit auf den Weg geben?

Bei schönem Wetter Anfang September, wenn man das meiste draußen stattfinden lässt, steht der Feier nichts im Wege. Allerdings kommt es darauf an, was eine große Hochzeit ist. Manche sagen, 80 Leute ist echt viel, und manche finden 800 Personen bescheiden. Tendenziell ist Anfang September ein Zeitraum, der günstig ist, weil wir da mit Sicherheit noch nicht den Beginn der berüchtigten 2. Welle haben. Das wäre zu früh für so eine Erkältungswelle. Und wir profitieren noch vom Sommereffekt. Wenn ich jetzt eine Virus-Vorhersage machen dürfte, würde ich sagen: Anfang September klingt gut. Das ist ein ganz günstiger Zeitraum für die Hochzeit.

Herr Scheid hat uns geschrieben: „Mein Vater ist 69, schwerstpflegebedürftig mit Grad fünf aufgrund eines Herzinfarktes und wird seitdem von mir zu Hause gepflegt und auch betreut. Sein Zustand ist Gott sei dank seit einem Jahr stabil. Er und ich sind nun seit zwölf Wochen in absoluter Isolation, als Schutzmaßnahme für ihn, seine Partnerin und auch meine Partnerin leben alleine in separaten Haushalten und setzen alle Schutzmaßnahmen gewissenhaft um. Wir vermissen einander aber inzwischen sehr. Meinen Sie, es ist ein vertretbares Risiko, dass unsere Partnerinnen zu uns kommen können?“  Und jetzt kommt die Einschränkung: „Es wäre aber nicht realistisch, dass dieser Besuch unter Maskentragen und Abstands- Beibehaltung stattfindet, weil mein Vater das kognitiv nicht verstehen würde. Ich selbst verzweifle an der Fragestellung, um ehrlich zu sein, da ich meinen Vater nicht gefährden möchte.“ 

Was kann man Herrn Scheid mit auf den Weg geben?

Es gibt immer ein Restrisiko, das ist klar. Grundsätzlich gilt: Wenn sich die vier Personen in den letzten Wochen verantwortungsvoll verhalten haben, also keine Risikokontakte eingegangen sind, würde ich für die Zukunft empfehlen, den Kontakt normal fortzusetzen. Aber nur, wenn diese Begleitperson oder die Kontaktpersonen im Kontakt mit anderen Menschen FFP-Masken tragen und sonst auch auf sich aufpassen, als wären sie selber quasi ein Risikopatient. Es wäre unverhältnismäßig, sich da nicht zu umarmen. Das ist ja dann auch nicht mehr so lebenswert, wenn man in totaler Isolation hinter Plexiglas vor sich hin vegetiert. Meine Empfehlung ist, dass sich die Kontaktperson so verhält, als wäre sie selbst eine Risikoperson. Und wenn die Personen das machen und über längere Zeit keine Symptome haben und keine Risikokontakte hatten, darf man sich auch wieder nahekommen.

Sie haben gesagt: Eine Maske ist zwingend. Aber der Vater, der gepflegt wird, würde das nicht verstehen, und deswegen in einen separaten Raum gehen, wäre nicht schön, weil man ihn dann nicht sehen kann.

Genau, in der Situation mit dem Vater würde ich auf die Maske verzichten. Die Maske setze ich dann auf, wenn ich als Kontaktperson selber draußen bin. Da muss man sich selbst so verhalten, als wäre man eine Risikoperson. Das heißt, die Pflegeperson muss in der Stadt zum Beispiel eine FFP-Maske tragen, auch wenn es vielleicht gar nicht nötig wäre, weil sie selbst vielleicht kein hohes Risiko hat. Aber wenn sie das macht und sich konsequent schützt, dann kann sie in der Situation mit der echten Risikoperson, also hier auf den Vater, auf alle Schutzmaßnahmen verzichten.

Das war die 11. Spezialfolge von „Kekulés Corona-Kompass“ nur mit den Fragen unserer Hörer. Danke für Ihre Fragen und danke an Professor Kekulé. An dieser Stelle wünschen wir ein angenehmes langes Wochenende. Bleiben Sie gesund. Wir hören uns erst am Mittwoch wieder. Am Dienstag haben Sie das Vergnügen mit meinem Kollegen Tim Deisinger.

Herr Schumann, auch ich wünsche Ihnen ein erholsames Festwochenende und natürlich auch eine gute Erholung.

Sie haben auch eine Frage an Professor Kekulé? Schreiben Sie uns an: mdr-aktuell-podcast.de. Rufen Sie uns an unter der 0800 3002200. „Kekules Corona-Kompass“ als ausführlicher Podcast auf mdraktuell-podcast@mdr.de in der ARD-Audiothek, bei YouTube und überall, wo es Podcasts gibt.

Kekulés Corona-Kompass22 min

Kekulé #62 SPEZIAL: Ihre Fragen, seine Antworten (Teil 11)

Wie sollte eine große Hochzeit im September ablaufen? Mundschutz auch in der Fahrschule? Wie schützen sich Seniorengruppen beim Wandern? Gibt es Detail-Angaben zur Sterberate? Antworten auf #fragkekule:





Stichwortverzeichnis mit Notizen

CT (CYCLE TRESHOLD) oder Amplifikations-Zyklen (Amplifikationszyklen)

Post-lockdown SARS-CoV-2 nucleic acid screening in nearly ten million residents of Wuhan, China, Nature Communications 11 (Nov. 2020)


Supplementary 

Table 1. Median age-stratified Ct value of the samples of asymptomatic cases 


Age (years)        

    

Ct value_ ORF

Median (IQR)

 Ct value_ N

Median (IQR)

 6-17

34.69(4.98) = 29.7 ... 39.67

34.77(4.95)

18-44

35.63(4.67)

34.47(4.68)

45-64

34.63(5.65)

34.00(4.39)

65+

35.28(5.36)

34.85(4.05)

Notes: 

IQR, interquartile range; 

ORF, open reading frame; 

N, nucleocapsid protein