Deutsche Ru§landpolitik und das Baltikum: 1990-98

Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen FakultŠt der Christian-Albrechts-UniversitŠt zu Kiel

vorgelegt von Gunnar Garbe

Kiel 2002

(im Cache)

AuszŸge von J. Gruber


Seite 103

1.2.4 Das deutsch-sowjetische Vertragswerk

Die deutsch-sowjetischen VertrŠge des Jahres 1990 weisen starke innere ZusammenhŠnge mit dem innerdeutschen Einigungsvertrag vom 31.8.1990 und dem Vertrag Ÿber die abschlie§ende Regelung in bezug auf Deutschland, dem sogenannten Zwei-plus-vier-Vertrag vom 12. September 1990 auf. So ergab sich die Notwendigkeit weiterer VertrŠge aufgrund bestimmter Aussagen im Zwei-plus-vier-Vertrag.1 Beispielsweise forderte Art.4 Abs.1 eine Regelung der ãBedingungen und der Dauer des Aufenthaltes der sowjetischen StreitkrŠfte auf dem Gebiet der heutigen Deutschen Demokratischen Republik und Berlins sowie die Abwicklung des Abzugs dieser StreitkrŠfteÒ, und damit das Zustandekommen des Truppenabzugsvertrages vom 12. Oktober 1990, der alle ModalitŠten des Truppenabzugs penibel festlegte.2 Die Voraussetzung fŸr diesen Vertrag lieferte das ãAbkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der UdSSR Ÿber einige Ÿberleitende Ma§nahmenÒ vom 9. Oktober, mit dem die finanziellen Leistungen der Bundesrepublik an die Sowjetunion im Rahmen des Truppenabzugs vereinbart wurden. So verpflichtete Deutschland sich zur Zahlung von insgesamt 15 Milliarden Mark. Die ursprŸnglichen Forderungen der Sowjetunion lagen bei 18 Milliarden Mark, das Angebot der Bundesregierung bei 7 Milliarden.3


1 Vgl. Jens Hacker: Integration und Verantwortung. Deutschland als europŠischer Sicherheitspartner, Bonn 1995, S.110.

2 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR Ÿber die Bedingungen des befristeten

Aufenthalts und die ModalitŠten des planmŠ§igen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 18. Oktober 1990, Politisches Archiv des AuswŠrtigen Amts, Bd. 161, S. 322.

3 Vgl. Klaus Stern: Das všlkerrechtliche Vertragsgeflecht zur Wiedererlangung der deutschen SouverŠnitŠt, in: Klaus Stern und Bruno Schmidt-Bleibtreu: Zwei-plus-vier-Vertrag, MŸnchen 1991, S. 3-41, hier: S. 21.


Seiten 150 151

3.2 Deutsche Investitionen und Wirtschaftshilfe in Ru§land

Weil es in Ru§land keine rechtsstaatliche VerlŠ§lichkeit und kein funktionierendes und gerechtes Steuersystem gibt, haben sich viele gro§e westliche Firmen nach anfŠnglichen Investitionen wieder zurŸckgezogen; der Abflu§ auslŠndischen Kapitals betrug 1997 und 1998 schŠtzungsweise bis zu 3 Milliarden Dollar monatlich. Die Russen selbst haben kein Vertrauen in ihre Wirtschaft: Ru§land hat zwischen 1992 und 1998 internationale Kredite von insgesamt 92 Milliarden Dollar erhalten 103 Milliarden Dollar an Privatgeldern wurden in dieser Zeit aus Ru§land auf Privatkonten ins europŠische Ausland geschafft.1 


1 Vgl. Institut fŸr Weltwirtschaft Kiel (Hrsg.): Die wirtschaftliche Lage Ru§lands, TŸbingen 1999, S.28.

2  Vgl. ãVerzehnfachung der Direktinvestitionen in sieben JahrenÒ, Nachrichten fŸr den Au§enhandel vom 5.1.1998.


... In Ru§land gibt es fast 1.800 Unternehmen mit deutscher Beteiligung, davon knapp ein Drittel als deutsch-russische Gemeinschaftsunternehmen. Dabei ist es ãein gro§es Hindernis fŸr ein stŠrkeres Engagement in Ru§land nach Angaben von Unternehmern, da§ potentielle russische Partner sich oftmals nicht dazu bereit finden, in ihrer Heimat zu investieren, weil selbst ihnen die Risiken zu hoch erscheinen.Ò1


Solange die innerrussischen ZustŠnde andauern, werden die Direktinvestitionen kaum steigen, und staatliche Wirtschaftshilfen aus dem Westen allein kšnnen den Wandel zur funktionierenden Marktwirtschaft nicht vollenden. Deutsche Unternehmer berichten von den Schwierigkeiten, Grund und Boden zu erwerben, klagen Ÿber Rechtsunsicherheit, WillkŸr der Steuerbehšrden, unŸbersichtliche Zollverfahren, Korruption und KriminalitŠt.2 Zudem ist fŸr viele Unternehmen nicht nachvollziehbar, warum in einem Land, das sich erklŠrterma§en um Direktinvestitionen bemŸht, die Verwaltung von unterster Ebene an auslŠndischen Investoren immer wieder bŸrokratische HŸrden in den Weg stellt und auf diese Weise selbst vielversprechende Projekte blockiert.3


Die wirtschaftliche UnterstŸtzung Deutschlands fŸr Ru§land hat bereits schwindelerregende Hšhen erreicht, kein anderes Land hat so viel Geld und Sachleistungen in den russischen Reformproze§ eingebracht und sich so stark fŸr die Vergabe von Krediten an Ru§land eingesetzt. Deutschland erbrachte allein bis 1994 humanitŠre Hilfe und Kreditleistungen von 40 Milliarden Mark.


Dabei wurde selten die genaue Verwendung der Gelder ŸberprŸft. Oftmals sind zweckgebundene Finanzhilfen und Gelder fŸr Kredite in der von der Presse als ãKleptokratieÒ oder ãParasitokratieÓ bezeichneten russischen Gesellschaft einfach verschwunden. Es gibt SchŠtzungen, nach denen 65 Prozent aller westlichen Hilfe nun auf privaten Bankkonten im Ausland lagern.4 Allein die vom russischen Rechnungshof in drei Jahren aufgedeckten Gesetzesverstš§e umfassen 33 Milliarden Mark.5 Nur wenige Skandale, wie zum Beispiel der um die Unterschlagung von 10 Milliarden Dollar aus Krediten des IWF, die Ÿber New Yorker Banken gewaschen worden sein sollen, wurden im Westen bekannt. In diese AffŠre sollen angeblich Jelzins Tochter Tatjana Djatschenko und der frŸhere stellvertretende MinisterprŠsident Antolij Tschubajs verwickelt gewesen sein.6 Andere FŠlle, wie der Verbleib der ersten Kredittranche der Weltbank fŸr die Umstrukturierung der russischen Kohleindustrie von 500 Millionen Dollar verblieben im Dunkeln.


1 Nikolas Busse: ãAltes Denken im neuen Ru§landÒ, FAZ vom 9.5.2000. 

2 Vgl. Oliver Hoischen: ãFŸrsten vom Ural schauen mit wachsendem Unbehagen nach MoskauÒ, FAZ vom 8.3.1999. 

3 Vgl. ebenda.

4 Vgl. William H. Webster: a.a.O., S.52. 

5 Vgl. Interview mit Jurij Boldyrew, Der Spiegel, Nr. 40/1998. 

6 Vgl. Markus Wehner: ãNachrichten aus der KleptokratieÒ, FAZ vom 9.9.1999.


Seite 201

Die ãLšsung gravierender ProblemeÒ jedoch bestand fast immer in Zahlungsangeboten Deutschlands an Ru§land, die in der Regel erst nach langen Verhandlungen zustande kamen. Beispielsweise wurden als Ergebnis eines Besuchs des deutschen Bundeskanzlers in Moskau erst im Dezember 1992 Ausgleichszahlungen von einer Milliarde Mark fŸr Opfer der nationalsozialistischen Zeit in Ru§land, Wei§ru§land und der Ukraine endgŸltig zugesagt. Die grundsŠtzliche Bereitschaft zu einer solchen Zahlung hatte Kohl schon anlŠ§lich des Kaukasus-Gipfels mit Gorbatschow im Juli 1990 erklŠrt. Zudem hie§ es, die RŸckzahlung alter sowjetischer Schulden werde ausgesetzt und: ãDie deutsche Seite bringt ihre Bereitschaft zum Ausdruck, sich dafŸr einzusetzen, da§ der Russischen Fšderation im Vergleich zu dem offiziellen Angebot des Pariser Clubs vom 26. November 1992 deutlich gŸnstigere Umschuldungsbedingungen angeboten werden.Ò1 Zuvor wurden von russischer Seite deutliche, fordernde Worte geŠu§ert: Die westlichen Staaten sollten nicht mehr nur politische SolidaritŠt, humanitŠre Hilfe und unkoordinierte Kredite anbieten, sondern dazu Ÿbergehen, ãdie Wirtschaftsreformen in Ru§land durch zuverlŠssige finanzielle, technische und organisatorische Hilfe, einschlie§lich der Fšrderung von Investitionen fŸr die Umstellung unserer RŸstungsbetriebe, zu unterstŸtzenÒ, hatte Au§enminister Andreij Kosyrew geschrieben.2


1 Gemeinsame ErklŠrung von Bundeskanzler Helmut Kohl und des PrŠsidenten der Russischen Fšderation, Boris N. Jelzin, anlŠ§lich des Besuchs des Bundeskanzlers in Moskau vom 16. Dezember 1992, Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 22. Dezember 1992, Nr.139, S.1265-1266.

2 Andreij Kosyrew: Das neue Ru§land und das Atlantische BŸndnis, in: NATO-Brief 1/1993, S.3-6., hier: S.4.

------------------

Version: 24.7.2016

Adresse dieser Seite

Home

Joachim Gruber