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Inland Deutsch-iranische Atomkooperation

"Know-How-Abfluss" in Irans Atomprogramm

Die Bundesregierung beobachtet die Nuklearforschungen in Iran mit Argusaugen - immerhin wird Teheran verdächtigt, die Atombombe besitzen zu wollen. Zugleich gelten aber noch Atom-Kooperationsverträge zwischen Deutschland und Iran, ein Thema über das in Berlin nicht gerne gesprochen wird.

Von Thomas Reutter, SWR, Redaktion "Report Mainz"

Großansicht des Bildes Grafik: Die iranische Anlage zur Uran-Anreicherung in Natans]
Der Vertrag zwischen dem Bundesforschungs-Ministerium und der Iranischen Atomenergieorganisation (AEOI) gilt als diplomatische Altlast, doch seine politische Halbwertszeit reicht noch bis in die Zukunft. Es war in den 70er Jahren, als der Iran und die Bundesrepublik beschlossen, im Bereich der Kerntechnik eng miteinander zusammen zu arbeiten. Das ist lange her, doch das Abkommen ist nach wie vor gültig. Zuletzt hätte der Vertrag im Jahr 2002 aufgehoben werden können. Doch die Bundesregierung ließ die Kündigungsfrist bewusst verstreichen. Der deutsch-iranische Atomvertrag war somit verlängert bis Ende 2007. Nun steht der Iran wegen seines umstrittenen Atomprogramms vor dem Weltsicherheitsrat und die Bundesrepublik ist immer noch vertraglich dazu verpflichtet, die Entwicklung der Kerntechnik im Iran zu fördern.

Die Zusammenarbeit erstreckt sich laut Artikel 1 des Vertrags auf "wissenschaftliche und technologische Forschung und Entwicklung, Planung, Errichtung und Betrieb von Kernkraftwerken, sonstigen kerntechnischen Anlagen und Forschungseinrichtungen, Ausbildung und Schulung wissenschaftlichen und technischen Personals, Kernkrafttechnologie" und vier weitere Punkte. Umgesetzt wird diese Kooperation laut Artikel 2 durch "Austausch von Informationen, Austausch von wissenschaftlichem und technischem Personal (...) Übernahme oder Vermittlung von Beratungs- und anderen Leistungen, Durchführung gemeinsamer oder koordinierter Forschungs-, Entwicklungs- und sonstiger kerntechnischer Vorhaben."

Ministerium: Vertrag ohne Bestand

Der Vertrag werde längst nicht mehr angewendet, sagt Christian Herbst, ein Sprecher im Bundesforschungsministerium. Man habe den Vertrag nicht gekündigt, um den Iran nicht vor den Kopf zu stoßen. Das sei aber auch nicht notwendig, denn konkrete Zusammenarbeit existiere auf dem Gebiet der Kerntechnik schon seit den Schah-Zeiten nicht mehr.

Verfassungsschutz beobachtet "Know-How-Abfluss"

Deutsche Physiker und Mathematiker waren allerdings noch bis Januar 2006 zu Gast an einem iranischen Institut und auch iranische Atomwissenschaftler waren in den letzten Jahren in Deutschland. Nie konnte man beim Besuch der Wissenschaftler einen militärischen Hintergrund ahnen und dennoch registriert der Präsident des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, Johannes Schmalzl einen "Know-How-Abfluss" aus Deutschland. Dies betreffe beispielweise Informatik, Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Iran bemühe sich "ganz gezielt über Austauschwissenschaftler" um deutsches Fachwissen. Im Zentrum der iranischen Spionage stünden Forschungsprojekte und Forschungszentren. Deshalb hat der Verfassungsschutz-Präsident wenig Verständnis für das Beibehalten des Abkommens: "Wenn Iran sich in diese Richtung weiter entwickelt wie bisher", sagt Schmalzl "dann ist es nicht mehr ratsam, an solchen Verträgen festzuhalten, dann ist es Zeit, auszusteigen."

Vertrag ist "grotesk"

Auch Ermittlungsbeamte, die in Deutschland Lieferungen für das iranische Atomprogramm mit nachrichtendienstlichen Mitteln als so genannte Proliferation verfolgen halten den Vertrag hinter vorgehaltener Hand für "grotesk". Schließlich heißt es darin: "Die Vertragsparteien erleichtern die Zusammenarbeit in dem ihnen möglichen Ausmaß durch die Bereitstellung des erforderlichen Materials und der erforderlichen Ausrüstungen." Schmalzl hält den Vertrag für überholt: "Wir können nicht auf der einen Seite die Proliferation strafrechtlich sanktionieren und uns auf der anderen Seite vertraglich dazu verpflichten."

Tatsächlich genehmigte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zwischen 1995 und heute 67 Lieferungen von Graphiten, die im kerntechnischen Bereich Verwendung finden könnten. Zwischen 1990 und 1995 genehmigte das BAFA 28 Ausfuhranträge auf Lieferungen aus dem Bereich der Kerntechnologie, darunter für zwei Frequenzumwandler sowie für Ersatzteile zum Einsatz in Vakuumpumpen. Alles wurde nur deshalb genehmigt, weil man von einer rein zivilen Nutzung ausging.

Doch 1999 stellte der Bundesnachrichtendienst fest: "dass Iran sich intensiv um die verdeckte Beschaffung sensitiver Technologien, wie sie im Bereich der Urananreicherung und im Kernwaffenbau Verwendung finden bemüht hat." Und im August 2002 wurde bekannt, dass der Iran heimlich eine Urananreicherung bei Natans aufgebaut hatte.

Berlin ließ Kündigungsfrist verstreichen

Doch die Bundesregierung ließ den deutsch-iranischen Atomvertrag trotzdem weiterlaufen. Im Rot-Grünen Koalitionsvertrag von 2002 stand "Verträge mit anderen Staaten, die der Förderung der Kernenergie dienen, werden mit dem Ziel überprüft, ob sie aufzuheben oder anzupassen sind." Tatsächlich kamen die Atomverträge auf den Prüfstand. Gekündigt wurde das deutsch-brasilianische Atomabkommen. Den Vertrag mit dem Iran ließ man weiterlaufen. Dafür hatte sich das von Wolfgang Clement (SPD) geführte Bundeswirtschaftministerium und das Auswärtige Amt unter Joschka Fischer (Grüne) ausgesprochen. Der Außenminister wollte sich die Verhandlungen mit dem Iran nicht erschweren. Der Wirtschaftsminister mochte deutschen Kerntechnikfirmen potentielle Geschäfte nicht verbauen. Schließlich haben Firmen wie Siemens seit den 70er Jahren beste Geschäftskontakte in Iran.

Bayrischer Minister reiste nach Iran

Auch der damalige bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu reiste 2004 mit einer Wirtschaftsdelegation nach Teheran um die Handelsbeziehungen mit dem Iran zu vertiefen. Der iranische Vizeminister für internationale Angelegenheiten zeigte sich im Gespräch mit Wiesheu auch an Kerntechnik interessiert. Der Wirtschaftsminister aus München sagte dazu der deutschen Presse: "Auch wenn das Thema Kernenergie sensibel ist, gibt es dafür technologische Kompetenz in Bayern." Besonders wichtig war Wiesheu die "Transparenz" des iranischen Atomprogramms. Einen Monat nach dem Besuch der Wirtschaftsdelegation aus Deutschland, brachen die Iraner die Siegel der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) an der Urananreicherungsanlage in Natans auf und begannen die Zentrifugen wieder zusammen zu bauen.

Im November 2006 läuft die nächste Kündigungsfrist für das deutsch-iranische Atomabkommen aus. Wenn die Bundesregierung den Vertrag nicht aufhebt, verlängert sich die Bindung um weitere fünf Jahre.

Stand: 27.03.2006 19:38 Uhr
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