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Kritik der Islamkritik

Ihr habt mit Hass gekocht

22.01.2010

Religionskritik ist eine Triebfeder der Zivilgesellschaft. Die Kritiker des Islam dürfen nicht zum Schweigen gebracht werden. Sie verteidigen universale Werte. Diese Werte gelten auch für Muslime. Die Publizistin Necla Kelek antwortet ihren Kritikern.

Von NECLA KELEK


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Zwischen traditiertem Weltbild und westlicher Moderne: Muslime im Gebetsraum der neuen Moschee in Duisburg Marxloh


Der französische Aufklärer Voltaire schrieb 1740 ein Stück mit dem Titel "Der Fanatismus oder Mohammed der Prophet". Dort charakterisierte er den Propheten des Islam als skrupellosen Machtmenschen und bekam prompt Ärger mit seinem König, der darin zu Recht eine generelle Religionskritik vermutete. Wenn Claudius Seidl in der Sonntagsausgabe dieser Zeitung (siehe Kritiker des Islam: Unsere heiligen Krieger) meint, ein Voltaire-Zitat paraphrasieren zu können, um das muslimische Kopftuch zu verteidigen, schießt er ein intellektuelles Eigentor. Er verkleinert den Voltaireschen Freiheitsbegriff auf einen Gag. Aber so witzig wie Voltaire (und Henryk Broder) ist er dann doch nicht. Thomas Steinfeld höhnt in der "Süddeutschen Zeitung", Broder und ich würden mit denselben Mitteln für die Aufklärung streiten wie Islamisten für die Scharia, und nennt uns "Hassprediger".


Aber ich mag - um dasselbe Voltaire-Zitat zu bemühen - verdammen, was die Journalisten Claudius Seidl, Thomas Steinfeld und andere über mich schreiben, doch würde ich mein Leben dafür einsetzen, dass sie es weiterhin tun dürfen. Ich akzeptiere Kritik an meiner Arbeit, das gehört zum Diskurs und zu jener Freiheit, die ich in den Augen meiner Kritiker zu maßlos und selbstgerecht verteidige.


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Aber ich bestehe darauf, dass wir, reflektiert und auf den Inhalt konzentriert, über den Islam streiten, jenseits persönlicher Angriffe. Wir brauchen eine Debatte über das, was unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält: einen Diskurs


Vielleicht spiegeln meine Kritiker ja nur ihre eigene Verunsicherung in Sachen "westliche Werte" - die Steinfeld immer in Anführungszeichen setzt - und kompensieren dies mit verbalen Hieben. Dabei wird deutlich, wie fremd ihnen die Kultur des Islam ist. Und irgendwie versuchen sie den Eindruck zu erwecken, es handele sich ums Feuilleton und nicht um eine politische Auseinandersetzung.


Alle Parteien versuchen seit dem Wahlkampf im letzten Jahr, das ihnen unangenehme Thema Islam und Integration der Muslime aus der öffentlichen Debatte herauszuhalten. Unangenehm, weil kein Fortschritt in Sicht ist. Der Dialog mit den Islamverbänden ist gescheitert, weil sie unfähig zum inhaltlichen Diskurs sind. Die Islamkonferenz - so hört man - soll umstrukturiert werden, um die Erfolgserwartungen zu dämpfen. Allen Verantwortlichen ist nach drei Jahren quälender Debatte klar, mit dem organisierten Islam wird keine Integration gelingen, man wird die Verbände allenfalls befrieden. Darum macht man die Sache klein. Da erscheint es als eine göttliche Fügung, wenn aus selbstberufenem Mund religionskritische Positionen grundsätzlich in Frage gestellt werden. Das Thema Islam soll so wie die Schweinegrippe erster Klasse beerdigt werden. Die konservativen Islamverbände wird es freuen, verkünden sie doch immer, dass ihre Religion frei von Fehlern ist.


Die Aufklärung ist keine "Siegerreligion"

In ihrem Überschwang stoßen die (von solchen Verdächten und Rücksichtnahmen natürlich freien) Kritiker der Islamkritik aber unbeabsichtigt eine Debatte über die Leitkultur an. Eine Debatte, die sie einst selbst zu verhindern suchten, als sie vor Jahren von einem Muslim, dem Politologen Bassam Tibi, angeregt wurde. Man fertigte Tibi ab, wie man gewöhnlich den wegbeißt, der sich nicht mit der Rolle des Impulsgebers begnügen will, sondern es wagt, an der Deutungsmacht der jeweiligen Platzhirsche zu zweifeln. "Westliche Werte" kommen in diesen Beiträgen nur noch als negativ besetzter Kampfbegriff vor, und die Aufklärung wird gar zur "Siegerreligion" erklärt.


Die "Süddeutsche" verwechselt nicht nur die seit Max Weber unter Soziologen bekannten Unterscheidungen von Verantwortungs- und Gesinnungsethik, sondern unterstellt mir als Muslimin "christliche Islamkritik", um dann zur großen Gleichmacherei anzusetzen. Islamkritiker werden zu "Fundamentalisten der Aufklärung", ein Begriff, den als Erster übrigens der Mörder von Theo van Gogh benutzte. Die Verteidigung der Menschenrechte wird als Fundamentalismus denunziert, und Henryk Broder wird behandelt, als sei er Mullah Omar.


Die Selbstverständlichkeit, mit der Freiheit hingenommen und gleichzeitig deren Verteidigung diskreditiert wird, erscheint mir als intellektueller Überdruss, die Wortwahl der Kritiker leichtfertig. Ich gebe zu, dass ich in dieser Frage besonders empfindlich reagiere. Ich schmeiße zum Beispiel kein Brot weg, denn als Kind habe ich gelernt, Brot ist heiliger als der Koran, weil Voraussetzung für das Leben. Freiheit ist für mich so etwas wie das Brot des Lebens. Ich habe mir die Freiheit genommen, denn sie schien zunächst "nicht für uns gemacht", wie meine Mutter entschied. Ich nahm sie mir, weil ich in Deutschland lebte und mich viele Menschen unterstützten. Religion ist Teil dieser Freiheit, ohne die sie nur ein Zwangssystem wäre. Es geht mir bei den zu verteidigenden Werten auch um die Würde, die jeder Mensch hat, und nicht um eine Gnade, die man ihm gewährt. Ich lade Herrn Seidl und Herrn Steinfeld gern auf ein Stück Brot ein.


Ein vertrautes Täter-Opfer-Schema

In dieser neuerlichen Debatte fällt aber auf, dass der Anlass - der Islam und seine Rolle in einer demokratischen Gesellschaft - völlig untergeht.


Einen Menschen nicht als selbstverantwortliches Individuum, sondern - wie es der Islam praktiziert - als kollektives Sozialwesen zu denken, ist für viele, die nicht in einer solchen Gemeinschaft aufwuchsen, anscheinend doch nur schwer nachvollziehbar.

Es überfordert offensichtlich die Vorstellungskraft vieler Westeuropäer,


Und so reagiert man reflexartig, wenn sich ein vertrautes Opfer-Täter-Schema anbietet.


Die seit Jahren von Islamstiftungen aus Saudi-Arabien angezettelte und unter den Wächtern des Islam verbreitete Debatte um Islamophobie und Rassismus ist dabei besonders bemerkenswert. Die Islamwächter versuchen, den Islam nicht nur als Religion, sondern als Wesen des Menschen zu verkaufen. Jeder Mensch ist ihrer Lehre nach per se ein Muslim. Kritik am Wesen des Islam ist folglich eine Schmähung des Unveränderlichen. Islamkritik ist deshalb Rassismus, Muslime sind Opfer, Kritiker Nazis, wie die "taz" schreiben lässt. Der Heimatdichter Heinz Strunck ( "Fleisch ist mein Gemüse") würde zu solchen Ausfällen sagen: "Mit Hass gekocht".


Die Scharia gehört geächtet

Religionskritik ist in Europa nicht erst seit Luther und Lessing eine der Triebkräfte der Zivilgesellschaft, und ich lasse mir gerade als Muslimin von niemanden verbieten, meine Religion zu kritisieren. Aus Eigennutz, denn ich möchte, dass Muslime lernen, mit den Herausforderungen der Moderne umzugehen. Ich würde mir wünschen, mehr säkulare Muslime mit kritischem Verstand meldeten sich endlich zu Wort und setzten sich mit archaischen Traditionen genauso engagiert auseinander wie mit den Zumutungen der Bürgergesellschaft.


Wir Muslime haben in diesem Land unter diesen Bedingungen eine große Chance, uns mit erfahrenen Streitern darüber auszutauschen, wie Religion und Freiheit in einer modernen Gesellschaft gelebt werden können. Und wir können es hier, im Gegensatz zur islamischen Welt, ohne Angst tun. Wir dürfen diese Chance nicht verpassen.


Ja, es geht mir


Ja, ich halte den Versuch, die religiöse Rechtleitung und die Vorschriften für den Alltag durch Tradition und Gesetz zu bestimmen, ich halte die Scharia für überholt. Sie gehört geächtet.


Dieser Prozess wird keine "Zwangsmodernisierung" von außen sein, die Muslime müssen es selbst tun.


Ja,


In Deutschland leben über vier Millionen Bürger, denen man eine muslimische Identität zuschreibt, es gibt mehr als dreitausend Moscheen und Gebetsstätten und mehrere tausend Vorbeter und Funktionäre. Diese heterogene und völlig disparate Community hat erhebliche


Viele der größten Probleme erwachsen aus


Für mich sind

universale westliche Werte, unteilbar und für alle geltend, auch für Muslime.


Die Soziologin Necla Kelek, geboren 1957 in Istanbul, veröffentlichte zuletzt das Buch "Bittersüße Heimat".

Quelle: F.A.Z.