DAS HANSAVIERTEL - INTERNATIONALE NACHKRIEGSMODERNE IN BERLIN

von

GABI DOLFF-BONEKÄMPER

NEUAUFNAHMEN V0N FRANZISKA SCHMIDT


Gedruckt mit Unterstützung der Stiftung Preußische Seehandlung, Berlin

Für konstruktive Kritik und guten Rat danke ich meinen Freunden und Kollegen Florian von Buttlar, Peter Conradi, Kurt Eckert, Michael Kraus, Bernhard Kohlenbach, Bernhard Schmidt, Hendrik Schnedler, Carolin Schönemann und Bernard Toulier.

Coverabbildung: Gesamtansicht des Hansaviertels von Süden

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahrne

Das Hansaviertel : internationale Nachkriegsmoderne in Berlin
Gabi Dolff-Bonekämper. Neuaufn. von Franziska Schmidt. - Berlin
Verl. Bauwesen, 1999
 ISBN 3-345-00639-1

ISBN 3-345-00639-1

Ü HUSS-MEDIEN GmbH, Berlin 1999
Verlag Bauwesen
10400 Berlin, Am Friedrichshain 22
Printed in Germany
Gesetzt aus: Stone-Sans
Reproarbeiten: CityRepro im Druckhaus Berlin-Mitte
Druck und Bindearbeiten. Druckhaus Berlin-Mitte
Lektorin: Renate Marschallek
Gesamtgestaltung: Christine Bernitz
Herstellung: Rainer Spitzweg

 
 

Das van den Broek/Bakema Haus- Bartningalle 7


 Westansicht von der Bartningallee


Ostansicht von der Bartningallee 7


Ostansicht von der Bartningallee, im Film "Die junge Sünderin", 1960

Das zweite Punkthochhaus der Reihe, erst 1960, also lange nach der Beendigung der Interbau ausgeführt, ist der Beitrag der holländischen Architekten Jacob Berend Bakema und Johannes Hendrik van den Broek die bereits Mitte der 1950er-Jahre weit über die Grenzen ihres Landes hinaus bekannt waren und zwar nicht nur durch ihr schon im Zusammenhang mit dem Ladenzentrum des Hansaviertels erwähntes Einkaufszentrum »Lijnbaan« in Rotterdam. Van den Broek hatte bereits 1931/33, am Anfang seiner Karriere als freier Architekt, in Rotterdam ein dreizehngeschossiges Wohnhaus gebaut: einen eleganten, durch seine hohen Fensterbänder mit extrem schlanken Profilen leicht und geradezu gläsern wirkenden Bau. 1937 trat er in das Büro Michiel Brinkmans ein, der mit seinem früheren Partner van der Vlugt und mit Willem van Tijen 1933/35 eines der ersten modernen Scheibenhochhäuser für Arbeiterfamilien in Europa errichtet hatte, das zehngeschossige Laubenganghaus in Rotterdam-Bergpolder.37. 1948 kam der jüngere Bakema dazu, der 1941 sein Studium mit einem Projekt bei Mart Stam abgeschlossen hatte und der holländischen CIAM-Gruppe angehörte. Van den Broek und Bakema hatten seitdem Geschäftshäuser, Bildungsbauten und Wohnhäuser gebaut und waren auch mit Großplanungen für neue Siedlungen in Nordholland beschäftigt.

Im Rahmen der Regionalplanung für Nord-Kennemerland (1957-1959) entwickelte das Büro unter der Federführung des Mitarbeiters J. M. Stokla ein Projekt für ein fünfzehngeschossiges Wohnhochhaus, das große Ähnlichkeit mit dem Interbau-Beitrag aufweiSt.38 Das Berliner Haus, ebenfalls von Stokla betreut, wurde zwar erst nach 1959 verwirklicht, im Katalog der Interbau von 1957 sind Grundriss und Modellansicht aber bereits abgebildet. Unterschiede zur ausgeführten Version sind erkennbar, betreffen aber nicht die Grundstruktur des Hauses. Man darf also vermuten, dass die Planung für Berlin als erste entstand. Prägend für den inneren Aufbau wie für die äußere Wirkung ist die komplizierte Split-level-Anlage: Die Stockwerke sind nicht einfach übereinander geschichtet, sondern in gegeneinander versetzte Halbgeschosse geteilt, die in der Hausmitte durch Innentreppen verbunden sind. Das tragende Gerüst besteht aus quer zur Längsachse stehenden parallelen Schotten. In einem breiten Mittelstreifen im Kern des Hauses sind sämtliche Vertikaleinheiten untergebracht: in der Mitte die Haupttreppe und der Aufzug, rechts und links davon die Innentreppen der größeren Wohnungen, am nördlichen Ende die Fluchttreppe und am südlichen Ende in den Erschließungsgeschossen eine große Sonnenloggia, die als Treffpunkt für die Hausbewohner und als Spielfläche für Kinder vorgesehen war.

Die Erschließung zu begreifen kostet einige Mühe. In jedem dritten Stockwerk verläuft rechts oder links am Treppenkern entlang, also aus der Mitte versetzt, ein durchgehender Flur, von dem aus zwölf Wohnungen auf vier Ebenen erschlossen werden: vier Einzimmer-Appartements an der schmaleren Seite, auf der Ebene des Flurs, und acht Dreizimmerwohnungen, die entweder oberhalb oder unterhalb des Flures liegen. Man geht also eine kurze Treppe hinauf oder hinunter in die erste Ebene der Wohnung und dann weiter hinab oder hinauf in die zweite. So erhalten die größeren Wohnungen Räume zu beiden Seiten des Hauses, wobei die erste Ebene, in die die Eingangstreppe mündet, stets die Küche und das Wohnzimmer mit Loggia enthält, die zweite das Bad und zwei Schlafräume.

Durch Versetzen des Erschließungsflures, abwechselnd auf die Ostseite und die Westseite des Treppenblockes, wird der Takt der Wohnungen versetzt, so dass die Einzimmer-Appartments abwechselnd auf der Ostseite und auf der Westseite erscheinen, jeweils gerahmt von den zwei Schlafgeschossen der größeren Wohnungen, deren Wohnräume mit Loggia auf der anderen Seite des Hauses liegen. Damit ist die in der Ost- und der Westansicht des Hauses durchaus unkompliziert und ebenmäßig wirkende Schichtung aus jeweils zwei Loggiengeschossen und drei Fenstergeschossen zusammengesetzt. Die Schmalseiten sind in der Ausführung von 1960 stärker durchfenstert als 1957 geplant - die Balkone auf der Südseite nehmen nun nicht die gesamte Höhe zwischen den Erschließungsfluren ein, sondern nur anderthalb Geschosse. Der gewonnene Raum ist einer der Dreizimmerwohnungen zugeschlagen worden.

Das Haus ist nicht nur kompliziert zu beschreiben, es ist vor allem auch kompliziert zu bauen, und so erstaunt es nicht, dass es, wenn auch mit großer Verzögerung, nur unter den besonderen Bedingungen der Interbau verwirklicht werden konnte und nicht in der 1957-1959 geplanten Siedlung in Holland. Für die Wohnhochhausprojekte des Büros van den Broek und Bakema, die wenig später, Anfang der 1960er-Jahre in neuen Siedlungen bei Hengeloo und Leeuwarden ebenfalls unter der Federführung von j. M. Stokla entstanden, wurde das Schema verändert und vereinfacht.

Mit seinen quer stehenden Schotten und seiner Mittelgangerschließung ist das Berliner Haus in Struktur und Grundriss kein Punkthochhaus, sondern eine abgeschnittene, auf eine Erschließungseinheit reduzierte Großzeile. Der Gedanke, mehrere Wohnebenen von einem Mittelgang aus zu erschließen und damit die Verkehrsflächen des Hauses zugunsten der Wohnflächen zu reduzieren, ist von Le Corbusiers »Unite d'Habitation« abgeleitet. Durch die Teilung in Halbgeschosse, die im Schema der »Unite« nicht vorkommen, konnte Stokla unter Wahrung der erwünschten mäßigen Quadratmeterzahl von 92 pro Einheit jede der Dreizimmerwohnungen zu beiden Hausseiten durchstecken. Die kleineren Maisonnetten in Le Corbusiers »Unite d'Habitation« in Berlin (61 Quadratmeter) enden dagegen an der Mittellängswand, erhalten mithin nur Licht von Osten oder Westen. Nur die größeren Maisonnetten (100 Quadratmeter) in den obersten Stockwerken umfassen zusätzlich zur Eingangsebene eine von Ost nach West durchgehende Einheit. Stokla bemühte sich also in seinem Entwurf um eine Kombination der Vorzüge des konventionellen Zeilenbaus mit denen der »Unite d'Habitation«. Die farbigen Loggienbrüstungen aus kleinen Mosaikfliesen in Blau, Gelb und Rot artikulieren beiläufig die verspringende Schichtung der Geschosse: An Ost- und Westseite erscheint jede Farbe nur einmal; an der Stirnseite - jeweils der nächsthöher liegenden Loggienreihe zugeordnet - zweimal. Die durchlaufenden Fensterreihen mit gleichmäßiger Vertikalteilung bilden in der Fassadenkomposition ein leichtes, parataktisches Element, die tiefen, querrechteckigen Loggien vermitteln an der Fassade den größeren Takt der Wohneinheiten, verleihen ihr Raumhaltigkeit und Schwere.
 
 


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Jochen Gruber
Version: 17. Sept. 2009