Dokumentarfilmzeit

Krieg der LŸgen - Curveball und der Irak-Krieg

Dokumentarfilm von Matthias Bittner, Deutschland 2015

LŠnge: 89 Minuten

Der Irak-Krieg basierte auf einer LŸge: der LŸge von der Existenz mobiler Massenvernichtungswaffen im Irak. US-Au§enminister Colin Powell hatte einen Hinweis bekommen, der als sicher galt.

"Die Quelle ist ein Augenzeuge. Ein irakischer Chemieingenieur, der eineÊ...
(ARD/SWR/BR)

Der Irak-Krieg basierte auf einer LŸge: der LŸge von der Existenz mobiler Massenvernichtungswaffen im Irak. US-Au§enminister Colin Powell hatte einen Hinweis bekommen, der als sicher galt.

"Die Quelle ist ein Augenzeuge. Ein irakischer Chemieingenieur, der eine dieser Anlagen betreute. Er war tatsŠchlich anwesend, als biologische Kampfstoffe hergestellt wurden", so Colin Powell in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung am 5. Februar 2003.

Der Mann, von dem Colin Powell spricht, lebt heute in Deutschland. Er hei§t Rafed Ahmed Alwan, auch bekannt als "Curveball". Seine Informationen Ÿber mobile Massenvernichtungswaffen gingen Ÿber den Tisch von BND, MI6 und CIA, schafften es in eben diese berŸhmte Rede von Colin Powell und machten den irakischen FlŸchtling Ÿber Nacht zum Kronzeugen des Zweiten Golfkrieges.

2007 wurde Alwan von amerikanischen Journalisten enttarnt und in der Presse als der Mann dargestellt, der die Schuld am Irak-Krieg trŠgt. Er hingegen nimmt stolz fŸr sich in Anspruch, bei der Beseitigung Saddam Husseins geholfen zu haben.

Aber wie kann ein Einzelner die gro§en StaatsmŠchte und Geheimdienste der Welt an der Nase herum fŸhren? War "Curveball" ein Genie, ein Tausendsassa, mit allen Wassern gewaschen? Eine Art leibhaftiger James Bond?

Drei Jahre lang hat sich Regisseur Matthias Bittner immer wieder mit "Curveball" getroffen. †ber 50 Stunden Interview-Material und akribische Recherchen legen die Geschichte eines Mannes offen, der jegliches Vertrauen verloren hat und hinter allem Betrug und Gefahr wittert. Jemand, der 30 Jahre lang versucht hat, unter Saddam Husseins Regime zu Ÿberleben und der dadurch gelernt hat, zu tricksen und zu tŠuschen. Jemand, der knapp zehn Jahre unter Kontrolle des deutschen Geheimdienstes war und der sich das Spiel aus falschen und richtigen Informationen, aus Wahrheit und LŸgen zu eigen gemacht hat.

1999 kommt Alwan Ÿber Umwege nach Deutschland. Im Asyl-Auffanglanger Zirndorf wird man auf ihn aufmerksam - er scheint Informationen Ÿber bisher unbekannte chemische, mšglicherweise militŠrische Projekte zu haben. Unter der Vorgabe, zu den UN-Waffeninspekteuren zu gehšren, fŸhren Mitarbeiter des BND GesprŠche mit Alwan. Sie erhoffen sich von ihm, wonach sie selbst seit langem vergeblich suchen: Beweise dafŸr, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzt. Alwan versteht das Spiel so: Je mehr Informationen er ihnen liefert, desto mehr springt fŸr ihn selbst heraus: Geld, eine eigene Wohnung, schlie§lich der deutsche Pass. Bei diesem Spiel um LŸge, Wahrheit und gemeinsame Interessen begeben sich Geheimdienste und Alwan in eine heikle AbhŠngigkeit voneinander.

Bis der BND Ÿberraschend Alwans ehemaligen Chef Dr. Basil Saati aufspŸrt und Alwans Informationen Ÿber angeblich mobile Chemiewaffen im Irak ŸberprŸft. "Curveball" versteht die Welt nicht mehr: Man hatte sich doch gemeinsam eine LŸge erarbeitet, um den Diktator zu stŸrzen. Doch Saati widerspricht allen Theorien von chemischen Massenvernichtungswaffen im Irak. "Curveball" fŸhlt sich vom BND hintergangen und fallengelassen. Er verschwindet Ÿber ein Jahr in der Versenkung.

Bis zu dem Tag, an dem zwei Flugzeuge sich in die Twin Towers in New York stŸrzen. Nach dem 11. September erinnern sich die Amerikaner plštzlich an "Curveball" und seine Informationen. Verifiziert oder nicht - sie brauchen einen Grund, um in den Irak einmarschieren zu kšnnen. Die GesprŠche werden wieder aufgenommen. Alwan, mittlerweile Vater geworden, SozialhilfeempfŠnger und auf Wohnungssuche, steigt wieder auf zum wichtigen Informanten, zum Kronzeugen der Amerikaner. Er hat Angst, das Spiel von LŸge und Wahrheit noch einmal zu spielen. Doch welche Wahl hat er? Er bestŠtigt seine damaligen Aussagen. Und findet sich schlie§lich in Colin Powells Rede wieder.

Nach umfangreichen Recherchen hat Regisseur Bittner sich schlie§lich immer weiter von dem Gedanken entfernt, dass es gelingen kšnnte, die vollkommene Wahrheit in diesem Dickicht aus konstruierten Wirklichkeiten, gezielt gestreuten Falschinformationen und politischen Interessen aufzudecken. Auch deshalb, weil alle verantwortlichen Akteure aus Politik und Geheimdienst von damals sich entweder gegenseitig beschuldigen oder in Schweigen hŸllen.

Je lŠnger er sich mit "Curveball" und seiner Geschichte beschŠftigte, diesem Menschen, der nur Mittel zum Zweck war, aber auch selbst voller WidersprŸche und schwer zu fassen, desto mehr faszinierte ihn sein Denken, FŸhlen und Handeln. Wie geht er mit der Last dieser LŸge und den grausamen Konsequenzen um? 500 000 Tote hat dieser Krieg gefordert, die meisten davon Alwans Landsleute. Was hat das aus ihm gemacht und ist er Ÿberhaupt in der Lage, seine Rolle in der Weltgeschichte zu reflektieren?

Bittner schafft mit "Krieg der LŸgen" das prŠzise PortrŠt eines kleinen Mannes, der nur scheinbar selbst am Rad der Geschichte gedreht hat. Ein Politthriller und eine Reise in den Irrgarten von LŸge, Wahrheit, Idealen und Verrat.


(ARD/SWR/BR)