Paris-Kompatibilität

Im Pariser Klimaabkommen wurde der Rahmen der globalen Klimapolitik festgelegt: die globale Erwärmung soll deutlich unter 2 Grad gehalten und möglichst auf 1.5 °C begrenzt werden. Mit Modellen werden Klimaziele daraufhin überprüft, welchen Beitrag sie in diesen Rahmen leisten.

A. Modelle
(rechter Teil der Abbildung 1)

• Klimamodelle: Mit Klimamodellen wird aus einer Temperaturobergrenze Tlim (z.B. 1.5 °C) eine kumulative CO2-Menge berechnet, die zu dieser Erwärmung führt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liefern die Modelle eine breite Fahne von möglichen CO2-Mengen zusammen mit Abschätzungen von deren Wahrscheinlichkeiten.
• globales CO2-Budget: Mit dieser Unschärfe ist auch das Budget B_g behaftet, das ab Ende des Jahres 2010 global noch emittiert werden darf, ohne die Temperaturobergrenze zu übërschreiten (Kästen A und 1 in Abbildung 1).
• Verteilung des globalen CO2-Budgets ("effort-sharing proposals"): Das IPCC hat Modellvorschläge entwickelt, wie das globale Budget B_g unter den Staaten aufgeteilt werden könnte (Kasten 2 in Abbildung 1). Die 3 grundlegenden sind:
1. CAP (Capability to Pay): Der Umfang oder die Kosten der wissenschaftlich abgeleiteten nationalen oder subnationalen CO2-Budgets richten sich nach dem Bruttoinlandsprodukt, dem Human Development Index {HDI) oder ausschließlich nach den Grundbedürfnissen.
2. EPC (Equality with the dynamic Equal per Capita approach): Die (sub-) nationalen CO2-Budgets gehen von einer gleichmäßigen Verteilung des globalen CO2-Budgets auf alle Menschen aus (proKopf-CO2-Budget).
3. CPC (historical responsibility with the Equal per Capita approach): Das proKopf-Budget berücksichtigt Emissionen aus der Vergangenheit, z.B. indem der Zeitpunkt der Gleichverteilung in die Vergangenheit verlegt wird.

EPC und CPC verteilen B_g gleichmäßig auf alle 8 Milliarden Menschen:

• B_proKopf = B_g / 8 Milliarden,
• B_deutsch = 80 Millionen B_g / 8 Milliarden = 0.01 B_g

B. Klimaziele
(linker Teil von Abbildung 1)

1. Man addiert alle deutschen jährlichen CO2-Emissionen z_deutsch(t) (Bericht des Umweltbundesamts, Klimaschutzgesetz 2021)
• nach dem 31.12.1990 (t > 1990, "historische Verantwortung", CPC)
• nach dem 31.12.2010 (t > 2010, "historische Verantwortung", CPC)
• nach dem 31.12.2020 (t > 2020, "Zukunftsverantwortung", EPC)

bis 2060 (z_deutsch(t) = 0 für t> 2045) und erhält eine entsprechende kumulative nationale CO2-Emissionsmenge Z_deutsch.

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2. Analog liefert der CO2-Rechner des Umweltbundesamts eine gegenwärtige deutsche proKopf-Treibhausgas-Bilanz z_proKopf(2021) in Einheiten t_CO2eq/Jahr).
• Man wählt -weitgehend beliebig- ein Verfahren, mit dem man daraus vergangene und zukünftige persönliche Treibhausgas-Emissionsraten z_proKopf(t) ableitet. Hier ordne ich Sektoren des Uba-CO2-Rechners entsprechende Sektoren der Wirtschaft zu (Details).
• Wie in B.1 addiert man alle persönlichen jährlichen Treibhausgas-Emissionen z_proKopf/(t) und erhält die kumulative persönlichen Emissionen Z_proKopf.
3. Mit den folgenden beiden Gleichungen errechnet man aus Z_deutsch und Z_proKopf eine fiktive kumulative globale CO2-Emission C_n

   • (Glg. 1) ..... Z_deutsch = 0.01 C_n

   • (Glg. 2) ..... Z_proKopf = C_n / (8 10⁹)

4. Wenn man die in Kasten A farbigen TCRE-Fächerlinien durch breitere hellgraue Linien ersetzt, kann man C_n über dünne schwarze Linien in diesen hellgrauen TCRE-Fächerlinien veranschaulichen (Kasten B).
   Beispiele:
• TCRE-Fächerursprung im Jahr 1990 ("historische Verantwortung"),
• TCRE-Fächerursprung im Jahr 2010 ("historische Verantwortung"),
• TCRE-Fächerursprung im Jahr 2020 ("Zukunftsverantwortung").
5. Eine andere Form, das länderspezifische C_n zu veranschaulichen, haben Robiou und Meinshausen gewählt (Kasten BR):
   • Sie lösen in Kasten 1 die Gleichung nach Tlim

     (Glg (3) ..... B_g(Tlim, x%TCRE) = C_n mit x%TCRE = 50%TCRE.

   • Dann kodieren sie Tlim mit einer Farbe.
   • Schließlich färben sie auf einem Globus jedes Land mit seinem farbig kodierten Tlim.

6. Eine dritte Form der Darstellung von C_n wurde in Kasten C gewählt. Mit ihr kann man graphisch zeigen, wie weit die deutschen Reduktionen der jährlichen CO2-Emissionen z_deutsch(t) das vorgegebene deutsche CO2-Budget B_deutsch = 0.01 B_g einhalten (Kasten 3).
   • Z_deutsch ist hier die (hellgraue) Fläche unter der dick gezeichneten Kurve z_deutsch(t).
     (ie in B.1: Zick-zack-Kurve im Zeitraum t = 1990 ... 2019 nach Umweltbundesamt, kontinuierlich abfallende Kurve "KSchG" im Zeitraum t = 2020 ... 2060 nach Klimaschutzgesetz).
     C_n ist definitionsgemäß das 100-fache von Z_deutsch, also das 100-fache der hellgrauen Fläche.
   • Entsprechend sind die CO2-Budgets B_g(Tlim, x%TCRE) die Flächen unter den x%TCRE-Fächerlinien.
   • Hier wurde zur Veranschaulichung Tlim = 2.5 °C gewählt. Die Fächerlinien sind nach aufsteigenden x%TCRE hell- bis dunkelgrau eingezeichnet. Die rote Fläche ist 0.01 B_g(2.5 °C, 90%TCRE).
     Durch Vergleich der grauen mit der roten Fläche erkennt man

     C_n = B_g(2.5 °C, 90%TCRE),

     d.h. im Rahmen dieser Bewertung mit 90%TCRE beansprucht Deutschland vom Zeitpunkt 2010 an gemessen zuviel CO2-Emissionen (weil Tlim = 2.5 °C statt 1.5 ° ≤ Tlim ≤ 2 °C).

   • Robinou und Meinshausen kommen in demselben Bewertungsrahmen schon mit 50%TCRE (statt 90%TCRE) zu diesem Ergebnis, wahrscheinlich weil sie das deutsche Klimaschutzgesetz in der Fassung vom 12.12.2019 (im Cache) verwendet haben.

C. "Paris-Kompatibilität" und "1.5-°C-Pfad"

Wenn bei 1.5 °C ≤ Tlim < 2.0 °C

• die dünnen schwarzen Fächerlinien maximal bis B_g(Tlim, x%TCRE) laufen, oder
• die Fläche Z_deutsch unter der Kurve der deutschen jährlichen CO2_eq-Emissionen z_deutsch(t) ebenso groß ist wie die rote Fläche 0.01 B_g(Tlim, x%TCRE),

spricht man von einer x%TCRE-wahrscheinlichen Paris-Kompatibilität und bei z.B. Tlim = 1.5°C von einem 1.5-°C-Pfad.

Impliziert in den Begriffen Paris-kompatibel und 1.5-°C-Pfad sind also

1. die Modellunschärfe (Kasten 1), sichtbar als Fächerbreite. x%TCRE spezifiziert die Fächerlinie, für die Paris-Kompatibilität gilt,
2. das Jahr der Aufteilung des globalen Budgets in nationale Budgets (Kasten 2), d.h. die Lage des Fächerursprungs (Beispiel: B.4, nachfolgende Abbildung),
3. das Verteilungsmodell CAP EPC oder CPC oder eine Kombination davon, nach dem das globale Budget in nationale Budgets aufgeteilt wird, also z.B. die Definition des proKopf-CO2-Budgets (Punkt A. 4).

D. Zusammenfassung

• Eine so definierte "Paris-Kompatibilität" kann Orientierung geben. Sie
  • kann der Politik helfen, der deutschen Wirtschaft die seit Jahren von ihr geforderten Rahmenbedingungen für die Entwicklung von weltmarktfähigen Zukunftstechnologien zu liefern (z.B. BDI, 2018),
  • kann uns persönlich quantitativ darüber informieren, welches Ausmaß an Verhaltensänderungen relevant ist,
  • ist wegen der weitgehenden
  • Unschärfe der Klimamodelle (Kasten A) und
  • Beliebigkeit
  • der Verteilung des globalen Budgets auf Staaten (Kasten 2)
  • des Zeitpunkts dieser Verteilung

  nur ein Weg von vielen, die tatsächliche Erderwärmung ΔGMST auf z.B. 1.5 °C zu begrenzen.

• Das in Abbildung 1 vorgestellte Verfahren kann keine Aussage darüber machen, wie weit ein nationales Klimaziel (z.B. Z_deutsch) dazu beiträgt, die Erderwärmung (z.B. auf 1.5 °C) zu begrenzen. Dafür vereinfacht es das komplexe Problem zu sehr. Trotzdem erscheint es mir zur Zeit -genau wegen seiner Einfachheit- als die beste Basis für eine breite öffentliche Diskussion über unsere Klimapolitik.

Version: 25.8.2021
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Joachim Gruber