Kekulés Corona-Kompass #138, audio

[Lothar Wieler (PrŠsident, Robert-Koch-Institut)]:
ãDiese Ma§nahmen, die wir machen, fŸr mich ist das kein vollstŠndiger Lockdown; es gibt immer noch zu viele Ausnahmen und wird nicht stringent durchgefŸhrt.Ò

Alexander Kekulé:
... Ich bin grundsŠtzlich dagegen, ein Ma§nahmepaket, das nicht so recht funktioniert, so wie es ist, fortzufŸhren, weil wir so viele Daten haben, die sagen, die Ma§nahmen greifen in der ersten Woche. Man stellt fest, ob sie gegriffen haben in der zweiten Woche. Und wenn es nicht richtig funktioniert, muss man nachjustieren. Wie auch immer. Ich bin ja immer dafŸr, statt allgemein noch mehr Beton darŸberzuschŸtten, lieber selektiver das anzugehen, was man vielleicht endlich mal analysiert hat, dass da die Probleme aufgetreten sind. Aber die grundsŠtzliche Einstellung von Herrn Wieler, wenn es nicht funktioniert, muss man etwas Šndern, ist plausibel.

Camillo Schumann:
Herr Ramelow, ThŸringens MinisterprŠsident, hat gefordert, die Wirtschaft runterzufahren. Wir brŠuchten einen kompletten Stillstand. Wo genau kšnnte man noch nachjustieren?

Alexander Kekulé:
Naja, da will ich ein bisschen hinter Herrn Wieler in Deckung gehen. Der hat ja gesagt, es wird auch nicht Ÿberall konsequent durchgefŸhrt. Und da liegt meines Erachtens eher der Hase im Pfeffer. Wenn wir an die Wirtschaft denken Ð das ist ja einer der vier Bereiche, die ich auch schon seit Wochen identifiziert habe, wenn ich mal so sagen darf: offene SeitentŸre in diesem Haus, wo wir stŠndig die VordertŸre weiter zusperren und weitere Schlšsser anbringen, wŠhrend Balkon und Fenster und Garage alles offen ist. Eine der offenen TŸren ist, dass wir die Bereiche BŸros, wirtschaftliche TŠtigkeit im weitesten Sinn nicht wirklich geregelt haben. Es gibt viele Regelungen von GaststŠtten, Hotels, Schulen, da ist alles Mšgliche probiert worden. Aber die Regelungen fŸr die Wirtschaft stehen ja erst seit den Weihnachtstagen auf dem Papier, weil das letztlich so funktioniert, dass das Ÿber das Arbeitsschutzgesetz lŠuft, den Schutz der Arbeitnehmer. Da hat Ÿbrigens der Bund die unmittelbare GesetzesautoritŠt. Das hei§t, anders als in vielen anderen Bereichen, die wir hier diskutieren, sind da nicht die LŠnder zustŠndig. Und das geht Ÿber die sogenannte Corona-Verordnung runter bis zu den Empfehlungen der Berufsgenossenschaften. Und die sind zum Teil erst vor wenigen Wochen rausgekommen Ð ich habe da mehrere gelesen und GesprŠche gefŸhrt Ð, sind aber inhaltlich noch auf dem Stand, wie wir das mal gehšrt haben Ð ich sag mal im Mai oder so Ð, dass das wichtigste ist: Abstand halten von 1,50 m und HŠnde waschen. Und dieses Grundprinzip: Abstand im geschlossenen Raum und sich mšglichst oft die HŠnde waschen, ist alles gut. Das zieht sich so ein bisschen durch die Empfehlungen auch der Berufsgenossenschaften. Einige sind da aktueller und andere Šlter. Und da meine ich, ist noch viel Luft nach oben. Im Arbeitsbereich mŸssen wir dafŸr sorgen, um es mal pauschal zu sagen, dass, wenn Menschen zusammenarbeiten und in einem geschlossenen Raum zusammen sind, bitte verdammt noch mal eine Maske aufsetzen.

Dass diese Regelung nirgendwo oder in vielen Bereichen nicht durchgezogen wird, geht nicht. Und diese LŸcke, die haben wir. Und im aktuellen RKI-Bericht ist auch die Rede davon, dass am Arbeitsplatz noch ein erhebliches Infektionsgeschehen vorhanden ist.

Camillo Schumann:
Herr H. Wieler hat heute auch eine Situation geschildert von einer Firma, die ein tolles Hygiene-Konzept hat. Aber dann sitzen die Mitarbeiter beim Mittagessen zu viert oder zu fŸnft an einem Tisch und lachen und sprechen miteinander. So banale Sachen sind das, wo das Problem entsteht.

Alexander Kekulé:
Und wir haben ja auch schon oft Ÿber den Paketboten gesprochen, der offen durchs Treppenhaus lŠuft, weil er denkt, er ist gerade allein und muss keine Maske aufsetzen. Aber in diesem Bereich Arbeitsschutz sind zwei Dinge, ohne da zu sehr ins Detail zu gehen, schwierig. Das eine ist der Arbeitsschutz: der dient dem Schutz der Arbeitnehmer. Das ist formal so. Das hei§t, ob z.B. der Paketbote, um im Bild zu bleiben, die Šltere Dame im Haus infiziert, die zwei Minuten nach ihm durchs Treppenhaus geht, was er mšglicherweise mit Aerosolen kontaminiert hat, ist im Arbeitsschutz ja nicht relevant, weil nur der Arbeitnehmer bisher geschŸtzt werden soll oder seine Kollegen. Und das zweite Problem ist, dass wir das Prinzip der Aerosole dort nicht haben.

Praktisch gesehen kann ich sagen, gro§e Unternehmen, ich denke mal so richtig gro§e mit 50.000 Mitarbeitern oder mehr, die haben BetriebsrŠte. Die haben ein Heer von €rzten, die sich da kŸmmern und die rufen zum Teil auch bekannte oder nicht so bekannte Virologen und Epidemiologen an und sagen, komm doch mal her und erklŠrt uns, was wir machen sollen. Das ist aber nicht mšglich bei irgendeiner kleinen Klitsche. Ein Handwerksbetrieb soll das kraft seiner eigenen Wassersuppe machen. Und wenn in dieser Corona-Verordnung, das ist sozusagen eine AusfŸhrungsbestimmung des Bundesgesetzes, drin steht: ãJeder Betrieb muss selbst eine Risikobewertung machenÒ, dann geht das nicht. Das machen wir am Institut fŸr Mikrobiologie in Halle nicht einmal alleine, sondern wir haben da wirklich einen Experten dafŸr am Klinikum, der uns in so einem Fall noch mal berŠt. Denn diese Risikobewertung nach Arbeitsschutzgesetz ist ein eigenes Handwerk. Das hie§e, dass quasi jeder Schreiner seine Werkstatt machen soll. Das kann nicht funktionieren. Und da hat Herr Wieler vollkommen recht Ð spŠt, aber immerhin. Doch ich muss leider wieder sagen Ð wir reden ja schon seit Langem darŸber Ð das ist hier auf der To-do-Liste, dass man am Arbeitsplatz wie auch immer dafŸr sorgt, dass konsequent zumindest diese aerogenen Infektionen vermieden werden, die auch zu Superspreading-Ereignissen fŸhren kšnnen.

Camillo Schumann:
So ein Hygienekonzept in einem kleinen Handwerksbetrieb ist auch keine Raketenwissenschaft, mit Abstand, die FFP2-Maske, wo es geht, Homeoffice, LŸften und Ð wenn man im Auto zusammensitzt Ð auch eine FFP2-Maske. Mehr ist es doch nicht, oder?

Alexander Kekulé:
Ich sage: im Grunde genommen sogar nur Maske. Wir reden ja hier von Epidemiologie fŸr die ganze Bundesrepublik und nicht so von Einzelfall-Schutz. Wer im Einzelfall ein erhšhtes Risiko hat, da wŸrde ich sagen FFP2, bei den anderen wŠre ich ja schon glŸcklich, wenn jeder eine Maske auf hat. Und Sie haben Recht, es ist keine Raketenwissenschaft. Aber es gibt so Dinge: Was ist in der Kantine? Was ist, wenn jemand eine schwere Bohrmaschine bei einer Wohnungsrenovierung in der Hand hat, darf der die Maske abnehmen? Wer kontrolliert das? Das ist ja auch hŠufig das Problem. Und da brauchen die, glaube ich, schon ein bisschen UnterstŸtzung. Und ich wŸrde da auch den Finger auf das Bundesarbeitsministerium mit seinen Behšrden, die dahinter dranhŠngen, richten. Und zwar ist es so, dass das nach dem alten AHA geht. Sie wissen, dass ich so ein bisschen zwischen den Zeilen das nicht so ernst genommen habe, weil Nummer eins: Abstand im Freien reicht 1,5-2 m, sage ich ja immer. Das gilt nach wie vor. Aber Abstand im geschlossenen Raum, das war nun wirklich gestern. Ich glaube, da muss man nicht Hšrer eines der bekannten Podcasts zu dem Thema sein, um zu wissen, dass man sich im geschlossenen Raum Ÿber mehr als 2m Abstand und die berŸhmten 1,5 m infizieren kann. Der Arbeitsschutz geht aber nach dem sogenannten Top-Verfahren vor. Das ist historisch schon lange so, eigentlich kein schlechtes Verfahren. TOP hei§t: Erst mŸssen technische Voraussetzungen geschaffen werden. Das hei§t, am besten ist es z.B., durch Abluftanlagen oder so dafŸr zu sorgen, dass man sich nicht infizieren kann oder die berŸhmte Plexiglasscheibe dazwischenbasteln.

Nur, wenn das nicht geht, kommt als nŠchstes organisatorisch die Abstandsregelung 1,5 m. Und nur wenn das nicht funktioniert, gilt die persšnliche SchutzausrŸstung. Und wegen dieses in anderen FŠllen richtigen Verfahrens Ð was aber bei Covid-19 in die Irre fŸhrt, ist es so, dass die sagen: Na gut, als erstes musst du eine Plastikscheibe einbauen. Wenn du eine Scheibe dazwischen hast, ist alles gut. Da gibt es viele ArbeitsplŠtze, die sitzen quasi Schulter an Schulter, und dazwischen ist eine Plexiglasscheibe. Und da sagt man, es ist erledigt. Zweitens Organisation: Wenn du nur 1,5 m Abstand hŠltst in deiner Kantine, ist alles in Butter. Und nur, wenn du diese 1,5 m nicht schaffst, musst du persšnliche SchutzausrŸstung tragen: also Maske und Co. aufsetzen. Und das ist falsch! Das steht aber da oft drin. Und die Arbeitgeber setzen das zum Teil um, wenn sie keine Spezialberatung haben. Und deshalb, sage ich mal:

  • Da wir wissen, dass der Abstand 1,5 m in einem geschlossenen Raum definitiv nicht ausreichend schŸtzt,
  • und da wir auch wissen, dass das HŠndewaschen, ich sag mal so, als Hausnummer hšchstens zehn Prozent der Infektionen verhindert Ð wahrscheinlich ist es viel weniger; wir haben es hier mit einem luftgetragenen Virus zu tun,

deshalb muss man sagen: AHA ist im Grunde genommen erledigt. Das ist aber noch die Grundlage der Arbeitsschutzvorschriften. Daher haben wir das Problem, dass die lange hinterher sind. Die haben das noch nicht geupdatet. Das wird irgendwann kommen. Aber bis der letzte Handwerksbetrieb, das sozusagen umgesetzt hat, hšchstwahrscheinlich Sommer, haben wir hoffentlich das Virus mit anderen Mitteln halbwegs im Griff.

Camillo Schumann:
Nun haben wir Ÿber den Bereich Arbeitsschutz gesprochen und was die Firmen unternehmen kšnnen, um die Pandemie einzudŠmmen. Sie haben ja Ÿber andere gešffnete Fenster und Scheunentor gesprochen. Das auch noch kurz erwŠhnt!

Alexander Kekulé:
Die anderen haben wir auch schon šfters mal besprochen. Das sind drei aus meiner Sicht.

  1. Die Nummer eins ist, dass wir diesen Lateraleffekt in den Haushalten haben. Das Problem ist, wenn einer infiziert ist, steckt er den ganzen Haushalt an, weil wir die Isolierten nicht aus der Wohnung rausnehmen.
  2. Nummer zwei ist, dass wir in den Altersheimen die Situation noch nicht im Griff haben. Der Lagebericht vom Robert-Koch-Institut ist nach wie vor so, dass auch aktuell die Infektionen nicht unter Kontrolle zu bekommen sind. Die brŠuchten offensichtlich auch mehr Beratung und mehr UnterstŸtzung, weil die Heime das selber nicht hinkriegen.
  3. Und Nummer drei ist der fŸr mich gefŠhrlichste Effekt: Ich glaube, dass ein wirklich zunehmender Teil der Bevšlkerung Ð auch weil die Ma§nahmen nicht mehr verstŠndlich sind Ð nicht mehr mitmacht.

Und wenn man diese Dinge im Auge hat, und sich darauf fokussiert, wŸrde man das umsetzen, was sich Herr Wieler wŸnscht, ohne dass man so allgemein sagt: Na gut, treten wir noch mehr auf die Bremse, machen wir halt Shutdown oder totaler Lockdwon: alle zuhause bleiben und am Schluss muss jeder einen Taucheranzug anziehen und kriegt Handschellen angelegt. Da wŸrden wir Ÿbrigens nach zwei Wochen die Pandemie bekŠmpft haben.

Und genau den letzten Punkt, dass die Menschen nicht mehr so richtig mitmachen, hat das RKI heute auch noch mal dargestellt aufgrund einer MobilitŠtsstudie. Da wird ja quasi permanent die MobilitŠt der Menschen analysiert. Und da ist es in der Tat so gewesen, dass sich im ersten Lockdown die MobilitŠt drastisch eingeschrŠnkt hat und das jetzt nicht mehr der Fall ist, dass immer mehr Menschen das offenbar nicht so ernst nehmen und die MobilitŠt nicht so stark einschrŠnken und dass dadurch auch noch viel Infektionsgeschehen zu verzeichnen ist. Dieser Wunsch, auch etwas fŸr sich selber zu tun, war wahrscheinlich im FrŸhjahr letzten Jahres grš§er als jetzt. Das ist auch ein wenig paradox.

Ich glaube ja immer an den mŸndigen BŸrger. Ich werde dafŸr auch zum Teil gescholten. Wahrscheinlich habe ich zu wenig Politik gemacht. Aber als Wissenschaftler habe ich die Erfahrung gemacht, wenn man Leuten Dinge geduldig erklŠrt und wirklich sagt, warum es so ist und wenn die weit weg von unserer Disziplin sind und keine Ahnung von Virologie haben, irgendwann fŠllt der Groschen, und man kann die meisten Leute Ÿberzeugen. Ich wei§, dass die Politik inzwischen an dem Punkt ist, wo sie auf dem Trip ist: und bist du nicht willig, brauch ich Gewalt. Und deshalb war ich ein bisschen vorsichtig bei der Analyse dieser MobilitŠtsdaten. Da muss man zum einen sagen, wir haben ja im FrŸhjahr massiv auch das Arbeitsleben eingeschrŠnkt. Das ist ja [jetzt, im Herbst/Winter] bewusst nicht so gemacht worden. Und deshalb wissen wir bei den MobilitŠtsdaten nicht, ob das beruflich bedingt war oder ob die alle nur zum Rodeln gegangen sind oder Party gemacht haben. Und zweitens, das ist ja schon lange da, mein Credo: Reisen und reisen ist zweierlei: sich fortbewegen kann man unterschiedlich machen. Wenn Sie in einem vollbesetzten VW-Bus mit acht Leuten irgendwohin hinfahren zur Party, ist das eine MobilitŠt, die zu Infektionen fŸhren dŸrfte. Wenn Sie aber mit einem Haushalt im Auto irgendwo zum nŠchsten Rodelhang fahren mit den Kindern und da Abstand halten und das vernŸnftig machen, ist das auch MobilitŠt, die aber smarte MobilitŠt ist. Und ich glaube, wir kšnnen noch einmal dafŸr plŠdieren: Wir mŸssen die Klugheit der Bevšlkerung mit einbeziehen, statt alle zu entmŸndigen, weil ich glaube, dass eine echte Resilienz gegen so eine Bedrohung wie eine Pandemie nur entsteht, wenn jedes einzelne Glied der Gesellschaft selber aktiv mitdenkt. Jedes Fragment muss intelligent sein. Wir brauchen da eine Herdenintelligenz, wenn ich mal so sagen darf. Und die kšnnen wir nicht erzeugen, indem wir den Leuten nur Vorschriften machen, aber nichts erklŠren.


Kekulés Corona-Kompass #138, audio

Auf der anderen Seite muss man schon sagen, es ist ja [so], dass wir, die die wichtigsten Fragen gar nicht beantwortet haben oder zumindest keine Arbeitshypothese haben. Sie wissen, ich bin immer total dafŸr, in Krisensituationen mit einer Arbeitshypothese, - die NotŠrzte sagen, Arbeitsdiagnose - vorzugehen.

Wie funktioniert es dann?

  • Man muss jetzt erst mal sagen, also mit den Altersheimen das war Quatsch.
  • Aber die Frage ist, zum Beispiel Einzelhandel: Wenn wir im Einzelhandel die Ma§nahmen konsequent umsetzen wŸrden, da sind ja noch Flanken offen gewesen bis vor kurzem. Man hatte ja keine allgemeine Maskenpflicht, auch wenn einige Politiker das behauptet haben. Es gab immer die Ausnahme, dass VerkŠufer, die hinter einer Plexiglasscheibe sind, keine Maske tragen mŸssen. Aber wenn man das konsequent durchziehen wŸrde, wirklich alle in geschlossenen RŠumen, immer in geschlossenen RŠumen wird eine Hšchstzahl von Personen und Quadratmeter nicht Ÿberschritten. Und alle haben zumindest Alltagsmasken auf. Gibt es dann Infektionen, ja oder nein? Das ist so eine ganz triviale Frage. Da sage ich, Arbeitshypothese: nein. Weil, sonst hŠtten wir ja schon vorher ein stŠrkeres Infektionsgeschehen gehabt.
  • Das hei§t aber wiederum, warum mŸssen wir dann die GeschŠfte vor Weihnachten zu machen?
  • WŠre es nicht besser gewesen, dafŸr zu sorgen, dass es keine †berfŸllung der KaufhŠuser gibt? Und ich habe den Eindruck, dass zumindest in den Gro§stŠdten die Polizei da ganz stark hinterher ist.
  • Und da gibt es tausend Beispiele, das mit der Gastronomie und Hotellerie haben wir schon ein paarmal besprochen.

Und das fehlt mir so ein bisschen, dass man sagt okay, das ist unser Konzept, davon gehen wir aus.

  • Wir gehen davon aus, dass vielleicht auch in der Grundschule und in der Kita die Infektionen, aus welchen GrŸnden auch immer, vielleicht etwas geringer sind.
  • Oder wir gehen nicht davon aus und sagen, alle sind gleich gefŠhrlich.

Und da muss man aufgrund dieser Basisannahmen Ma§nahmen einleiten. Und dann eben die wirklich beobachten, wie die wirken. Das ist aber nicht geschehen. Und deshalb eiert das sozusagen so rum.

  • Gibt es Infektionen beim Friseur? Wenn der Friseur -und die sind ja super akribisch-, zum Teil mit Fiebermessung, vielleicht hŠtte man auch einen Schnelltest zusŠtzlich einfŸhren kšnnen, bevor man da zum Friseur geht. Auf jeden Fall mit Maske immer und mit Abstand und die LŸftungskonzepte, diese Dinge.
  • Welchen Grund haben wir anzunehmen, dass das nicht funktioniert.

Und mein Eindruck ist, dass dieser Lockdown jetzt im Grunde genommen eine Verzweiflungstat ist, die eher so eine Mischung ist, eine Mischkalkulation, dass man sagt

  • ja, irgendwo mŸssen sich die Menschen ja wohl anstecken. Und wir wissen nicht genau wo, also machen wir mal alles zu,
  • und das ist natŸrlich nach fast einem Jahr Pandemie ein bisschen wenig.
  • Weil natŸrlich, wir haben ja die Bundeskanzlerin gehšrt. Und der BundesprŠsident sagt etwas €hnliches, dass wir die Kontakte reduzieren mŸssen. Das kann ich als Epidemiologe, Sie werden es nicht glauben, aber nicht unterschreiben.
  • Das ist nicht so. Sondern wir mŸssen die gefŠhrlichen Kontakte reduzieren.
    • SelbstverstŠndlich, wenn beide eine FFP2-Maske richtig aufgesetzt haben oder vorher getestet sind, selbst mit dem Schnelltest, dann ist das kein gefŠhrlicher Kontakt.
  • Und jetzt ist eben die Frage, was ist ein gefŠhrlicher Kontakt?
    • Ich wŸrde sagen, meine Arbeitshypothese ist, dass der grš§te Teil der Infektionen, die wir jetzt sehen, tatsŠchlich in Wohnungen, im privaten Bereich passiert, weil wir so viele Einzelinfektionen haben, dass es dort zu Infektionen von Mitbewohnern auch kommt.
    • Es kann auch sein, dass ein Teil -so eine Art Subkultur- der Bevšlkerung sich Ÿberhaupt nicht mehr an gar nichts hŠlt und heimliche Partys feiert. Das sind aber nicht die Aufnahmen, die wir im Fernsehen sehen. Und die werden sie auch nicht mit zusŠtzlichen rigiden Ma§nahmen in den Griff bekommen. Au§er sie machen wirklich die Ausgangssperre, wie es in Bayern ja geplant ist, dass das geht in diese Richtung.
    • Aber wenn man da weiter denkt, dann muss man sagen, okay: Also, wenn es jetzt so ist, dass so hŠufig in einer Wohnung einfach einer mšglicherweise infiziert ist und andere ansteckt, wie kšnnen wir da helfen? Und da kenne ich viele Familien, bei denen das eine Kind positiv ist. Dann sagt die Mutter oder der Vater, ja, ich gehe mit dem Kind ins Hotel. Na denkste, die Hotels sind geschlossen. Und es gibt auch keine Mšglichkeiten, Infizierte oder auch Personen in QuarantŠne irgendwo halbwegs vernŸnftig auszuquartieren. Aber wer hat schon eine Wohnung, die so gro§ ist, vielleicht noch mit zwei Toiletten, zwei Badezimmern und zwei KŸchen, dass man diejenigen, die in QuarantŠne sind, wirklich abtrennen kann von den anderen? In den Empfehlungen steht dann zum Beispiel drin, wenn Ihr Kind in der Schule unter QuarantŠne gestellt wurde, dann empfehlen wir Folgendes. Und dann hei§t es zum Beispiel, es soll seine Mahlzeiten separat einnehmen, separat duschen in einem getrennten Raum von allen anderen sein und immer eine Maske tragen. Machen Sie das mal mit einem SechsjŠhrigen? Ja, also, das ist alles nicht praktikabel.
    • Und ich glaube, da sollte man lieber in die Richtung denken: Wie kann man den Menschen da helfen, wenn es um QuarantŠne geht.
    • Oder noch eine letzte Ma§nahme, wo ich Ÿberhaupt kein VerstŠndnis fŸr habe, ist ja, dass tatsŠchlich gegen alle wissenschaftliche Vernunft jetzt beschlossen wurde, dass in Schulen und Kitas, wenn ein Fall auftritt, dann wird die ganze Klasse fŸr fŸnf Tage nach Hause geschickt. Nach fŸnf Tagen kšnnen sie sich durch einen Schnelltest freitesten, bei einer Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen.
      • Das ist erstens wahnsinnig gefŠhrlich, weil sie einen Gro§teil der Infektionen dadurch Ÿberhaupt nicht unter Kontrolle bekommen.
      • Zweitens hšre ich von den GesundheitsŠmtern, dass die damit ein Problem haben, weil das ja dann Ÿberhaupt nicht mehr nachverfolgt wird. Sie haben einen positiven in der Klasse. Und sie testen ja die anderen gar nicht mehr. Das hei§t, sie wissen gar nicht, waren das fŸnf oder nur der eine sozusagen. Die sind diesen raus aus dem Nachverfolgungsverfahren. Es wŠre natŸrlich viel besser, wenn man wŸsste, wer das ist. Weil, dann kann man vielleicht verhindern, dass ein Kind in seiner Familie das weiter ŸbertrŠgt. Nš, die gehen alle nach Hause mit dieser sogenannten Abklingphase, wie das genannt wurde. Also ich halte gar nichts davon, es ist auch wissenschaftlich Ÿberhaupt nicht ausdiskutiert worden. Und als †berraschungseffekt wie Kai aus der Kiste hat die Politik das aber beschlossen.
  • Und da sehen Sie schon: die Liste ist wirklich lange von Dingen, die wissenschaftlich schlecht begrŸndet sind. Und das ist fŸr mich der Hauptgrund, warum wir jetzt in die desolate Situation geraten sind.


KekulŽs Corona-Kompass #124, audio

[0:30:19]

Alexander KekulŽ
Das ist schockierend. Das kann man nicht anders sagen. Wir haben ja schon ein paar Mal darŸber gesprochen Ÿber die Situation. Aber dass es so krass ist, wie es jetzt dort offensichtlich recherchiert wurde, hŠtte ich auch nicht geahnt. Das Problem ist, dass wir hier eine bekannte Situation haben. Ich kann es nur noch einmal sagen,

  • wenn sie die Altersgruppe Ÿber 70 nehmen Ð gerade bei Heimbewohnern ist es noch schlimmer, aus verschiedenen GrŸnden Ð, dann haben sie eine Sterblichkeit, die im Bereich von Ÿber 10% liegt.
  • Und in den meisten LŠndern ist es so, dass der Anteil der 80 plus-Menschen mehr als 90% der TodesfŠlle ausmacht.
  • Und jetzt wurde offensichtlich die Verantwortung zwischen Bund und LŠndern hin- und hergeschoben.
    • Es liegen noch einmal die Zahlen auf dem Tisch,
    • es gibt immer noch kein Konzept und
    • die Tests sind nicht da [aber seit MŠrz 2020 verfŸgbar und CE-zertifiziert].

Also ich habe zum GlŸck kein Angehšrigen im Heim. Aber sonst wŸrde ich da wirklich verzweifeln in der jetzigen Situation.

[0:31:22]

Camillo Schumann
Statistik ist genau das Stichwort. Obwohl es ja so aussieht in den Pflegeheimen, gibt es bis heute keine stŠndig aktualisierte †bersicht Ÿber das Infektionsgeschehen in Alten- und Pflegeheimen. Auch das Gesundheitsministerium und der PflegebevollmŠchtigte der Bundesregierung verfŸgen offenbar nicht Ÿber ein genaues Lagebild. Was sagt es eigentlich aus?

[0:31:44]

Alexander KekulŽ
Das geht ja sogar einen Schritt weiter als kleine ErgŠnzung: Es ist so, dass auf den Berichten des Robert-Koch-Instituts immer dabeisteht, dass nur Ÿber einen Teil der Infektionen Ÿberhaupt berichtet wird, ob das im Zusammenhang mit GemeinschaftsunterkŸnften im weitesten Sinne passiert ist.

  • Ich meine, es war ein Drittel ungefŠhr. Davon wird es ja letztlich ausgerechnet.
  • Zwei Drittel der gemeldeten FŠlle sind so, dass das Robert-Koch-Institut gar nicht reingucken kann, ob das in einer Gemeinschaftsunterkunft ist.
  • Und dann ist ein Riesenunterschied, ob sie ein Asylbewerberheim haben, wo es fast keine schweren Erkrankungen gibt oder ob sie ein Altersheim haben.

Ja, was sagt das Ÿber die Situation aus? Ich habe vor vielen Jahren mal einen Vortrag gehalten, was wir fŸr eine Pandemie brauchen: Vier C. Diese vier C sind:

  1. Wir brauchen ein Konzept, das war auf Englisch, da schreibt man Konzept mit C.
  2. Wir brauchen Kommunikation Ÿber dieses Konzept. Das hei§t, die Bevšlkerung muss verstehen, auf welcher Basis Entscheidungen getroffen werden.Und dann brauchen wir 2 Cs, die ich aus dem MilitŠr geklaut habe.
  3. Das ist Command and Control, das hei§t, wir mŸssen Anordnungen treffen. Die mŸssen bis ins letzte Glied funktionieren, also am besten von Berlin bis zu den GesundheitsŠmtern und den Gemeinden.
  4. Und Control ist der Punkt, worauf es hier ankommt. Das hei§t, ich brauche Instrumente, um zu ŸberprŸfen, ob das funktioniert, was ich da gemacht habe. Beispiel: ein Soldat Ð Entschuldigung, der Vergleich mit dem Krieg ist immer billig - aber ein Soldat, der ein GeschŸtz abfeuert und keine Kontrolle hat, ob er getroffen hat oder nicht, wird nie weiterkommen. Und hier ist es ebenso.
  5. Wir feuern irgendwie blind im Nebel. Es werden ja auch immer gerne das Bilder vom Navigieren im Nebel oder dem Fahren auf Sicht gebraucht. Und wir wissen Ÿberhaupt nicht, ob die Ma§nahmen greifen und ergreifen dann stŠndig neue Ma§nahmen, weil wir das Ergebnis nicht ŸberprŸft haben. DafŸr ist es eben absolut notwendig. Da bin ich sicher, dass die Verzweiflung Šhnlich beim Robert-Koch-Institut ist, weil die ja die Daten nicht bekommen.

    Es ist absolut notwendig, dass wir uns einen †berblick Ÿber die Lage verschaffen und zwar mšglichst in Echtzeit [mit Stichproben, deren Relevanz nach Eintreffen der Daten ŸberprŸft wird]. Und dann mŸssen wir mšglichst genau sehen, welche unserer Ma§nahmen hat welchen Effekt gehabt. Das Robert-Koch-Institut ist in der Hinsicht ein Tiger, dem man die ZŠhne gezogen hat, weil es nicht sieht, welche Empfehlungen welchen Effekt hatten.

[0:34:14]
Camillo Schumann
Gut, dass es Journalisten gibt, die zum Hšrer greifen und recherchieren und sich mit vielen Menschen unterhalten. Zum Beispiel hatte das Gesundheitsministerium Mitte Oktober versprochen, dass Alten- und Pflegeheime die sogenannten Schnelltests mit bis zu 20 Tests pro Bewohner und Monat gro§zŸgig nutzen kšnnten. TatsŠchlich aber zeigen sich bislang erhebliche MŠngel in der Umsetzung dieser Strategie. Bevor die Tests eingesetzt werden dŸrfen, mŸssen die Pflegeheime Testkonzepte erarbeiten. Und die wiederum muss das lokale Gesundheitsamt genehmigen, damit die Tests spŠter von den Krankenkassen auch erstattet werden. So ist dann der bŸrokratische Weg. Und genau auf diesem Weg kommt es eben nach Recherchen von WDR, NDR und SŸddeutscher Zeitung oftmals zu erheblichen Verzšgerungen. Die Bundesinteressenvertretung fŸr alte und pflegebetroffene Menschen befragt aktuell Einrichtungsmitarbeiter in ganz Deutschland, ob sie die Schnelltests auch schon einsetzen. Ein erstes Zwischenfazit lautet: Keine 5% der Einrichtungen, die geantwortet haben, gaben an, diese Schnelltests bereits anzuwenden. Die Schnelltests scheinen echt zu verpuffen im Moment.

[0:35:19]
Alexander KekulŽ
Die kamen ja viel zu spŠt. Wie gesagt, die waren seit MŠrz verfŸgbar, und man hat im Oktober eben jetzt gesagt, dass man die bezahlen mšchte. Mitte Oktober wurde es vom Bundesgesundheitsministerium gesagt. Weil man aber wei§, dass die Heime mit so etwas Ÿberfordert sind Ð die sind ja vom Personal her knapp und so ein Pflegeheim kann jetzt nicht ein Corona-Konzept erarbeiten Ð man sieht ja, dass selbst die MinisterprŠsidentenkonferenz es nicht ganz einfach hat mit dem Thema.

Und deshalb war es nach meiner Erinnerung doch der Vorschlag oder die AnkŸndigung, dass das Bundesgesundheitsministerium eine Art Rahmenkonzept vorlegen wollte, nach dem sich dann alle richten kšnnen. Wenn ich jetzt im Zusammenhang mit dieser Studie, die sie gerade erwŠhnt haben, vom gleichen Ministerium hšre, dass die auf Ansprache mitgeteilt haben, sie seien gar nicht zustŠndig, sondern das sei ZustŠndigkeit der LŠnder, dann bei§t sich die Katze in den Schwanz.

Ich glaube, wir brauchen bei solchen Fragen ein gutes Rahmenkonzept, das mit den Bundesfachleuten abgesprochen ist und wo auf der Ebene einfach das meiste Know-how zusammengezogen werden kann. Und dieser Rahmen muss dann als Vorschlag Ð klar, wir haben ein fšderales System, d.h. fŸr die Gesundheit sind bekanntlich die LŠnder zustŠndig Ð an die LŠnder gehen. Das hŠtte man von Anfang an sehen kšnnen, dass es von den 4 Cs das allererste und 2. C sind, die man braucht:

  • Konzept und Kommunikation, das braucht man von Anfang an.
  • Und da kann man jetzt nicht sagen:

    "Wir haben im Oktober zwar angekŸndigt, dass wir ein Konzept machen. Jetzt haben wir es wohl nicht gemacht. Und deshalb bekommen die da nicht klar und kriegen ihre AntrŠge nicht durch. Aber wir sind ja gar nicht zustŠndig.

    Man muss in der Phase schon mal fragen. Wir haben 14 112 Verstorbene, Stand gestern, kann man in der Lage eigentlich als Politiker stŠndig sagen: Wir haben es so toll gemacht?