Sicher für alle Zeiten
Die Asse wurde ausgewählt, weil das Lagermedium Salz als trocken
galt, heißt es in alten Akten. Der Wassereinbruch wurde deshalb von den
Betreibern als der „Größte Anzunehmende Unfall“ (GAU) bezeichnet. Dieser
Fall wurde jedoch zugleich als völlig abwegig und unwahrscheinlich
ausgeschlossen. In einem Gutachten heißt es,
„dass die Gefährdung für die Schachtanlage Asse II durch
Wasser- oder Laugeneinbrüche als minimal anzusehen bzw. mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sogar auszuschließen ist.
Vielmehr lässt sich die diesbezügliche Situation [in der Asse] – gerade
auch im Vergleich mit anderen Salzvorkommen – als durchaus günstig
bezeichnen.“[1]
Forscher von GSF und Euratom erklärten, die Asse sei „sicher für alle Zeiten“.[2]
Schon länger suchten die Industrie und die damalige Bundesregierung
nach Möglichkeiten zur billigen Beseitigung von radioaktivem Müll.
- Im Sommer 1967 versenkte die Bundesrepublik
zusammen mit den Niederlanden, Belgien und Frankreich „probeweise“ 1430
Tonnen radioaktiven Mülls im Atlantik. Von Emden fuhr der Frachter mit
Atommüll aus dem Forschungszentrum Karlsruhe auf die Position 42.30 West
und 14.30 Nord und versenkte den Müll 400 Kilometer vor der Küste von
Portugal.
- Entscheidendes Kriterium für den Entsorgungsweg waren damals
offenbar nicht die Sicherheitsfragen, sondern allein die Kosten. Man
entschied sich letztlich für ein billig erworbenes ehemaliges Kali- und
Steinsalzbergwerk bei Wolfenbüttel: Den Schacht Asse II. Nach damals
vorliegenden Berechnungen war diese Lösung billiger als Transport und
Versenkung im Meer.
Im Jahr 1967 begann man in der Asse mit der
Einlagerung von radioaktivem Müll, auch wenn von Anfang an klar war,
dass auch diese Form der Entsorgung Gefahren für Mensch und Umwelt barg.
Die Pfütze: Schon immer feucht
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Asse im
niedersächsischen Landtag hat gezeigt, dass der Schacht Asse II
eigentlich nie trocken war. Bei einigen Insidern hatte die Asse offenbar
den Spitznamen „Pfütze“.
- Erste Laugenzuflüsse sind für 1912 und 1939 dokumentiert.
- 3 – 4 Kubikmeter Süßwasser flossen schon im Jahr 1964 täglich zu, dazu 0,7 Kubikmeter Lauge auf der 750 Meter Sohle.[3]
- Am 6.3.1979 ereignete sich ein Laugeneinbruch bei
dem im Bergwerk ca. 30-40 Kubikmeter Lauge mit ca. 70 atü Druck
austraten, was einer etwa 50 Meter hohen Wassersäule entspricht.
Alle Zuflüsse hatte man immer wieder abgedichtet. Im Jahr 1988 kam es in der Asse jedoch zu einem Laugenzufluss, der sich bis zum heutigen Tag nicht mehr stoppen ließ.
- Während in den Jahren 1988/89 zunächst nur 60 Kubikmeter pro Jahr zuflossen, sind es heute 12 Kubikmeter am Tag.
Erst im Jahr 2008 wurde bekannt, dass es schon vor dem Jahr 1988
immer wieder temporäre Laugenzuflüsse gegeben hatte. Die benachbarten
Schächte Asse I und III sind schon früher abgesoffen und wurden
aufgegeben.
Unerklärlich bleibt, wie Prof. Klaus Kühn vor diesem Hintergrund
behaupten konnte, dass ein Laugeneinbruch mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. Dies nährt immer wieder den
Verdacht, dass die Asse noch andere Funktionen hatte. Der Historiker
Detlef Möller dokumentiert ein Schreiben des ehemaligen Leiters der Asse
an das Bundesschatzamt, heute Bundesfinanzministerium, wo es heißt:
„Wir wissen, dass es Bedenken gibt, die Asse zu nutzen,
aber Sie wissen auch, dass es höchst gewichtige Gründe gibt, sie
trotzdem zu nutzen.“
Im Bergwerk Asse II wurde von 1909 bis 1964
Kalisalz und Steinsalz gefördert. Zurück blieb ein Hohlraumvolumen,
dass mit 3,35 Millionen Kubikmetern etwa 10 mal größer war als das
derzeit im Salzstock Gorleben aufgefahrene Volumen. Andere Quellen
sprechen von einem Volumen von 5 Millionen Kubikmetern.
Ende des Jahres 1978 wurde die offizielle
Einlagerung beendet, weil die damalige Landesregierung wegen einer
Änderung im Atomgesetz die Durchführung eines
Planfeststellungsverfahrens für atomare Endlager forderte.
Eine wahre Ikone
Über viele Jahre galt Prof. Dr. Klaus Kühn vom Institut für Tieflagerung
der Gesellschaft für Strahlenschutz (GSF) und Honorarprofessor der
Universität Clausthal als „Endlagerpapst“ und „wahre Ikone in der
Endlagerforschung“ .[4]
Für seine Tätigkeit bekam er das Bundesverdienstkreuz. Er „diente“ den
Ministern Baum, Zimmermann, Wallmann, Töpfer und Merkel in der
Reaktorsicherheitskommission (RSK) und galt als der
„Verbindungsoffizier“ zu zahlreichen ausländischen Institutionen für
radioaktive Endlagerung. Als Direktor des Instituts für Tieflagerung der
GSF war er auch wissenschaftlicher Leiter der Schachtanlage Asse.
Im Jahr 2001 beschrieb Prof. Kühn die Arbeit in der Asse mit folgenden Worten:
„Ziel war es, für ein geplantes Endlager im Salzstock
Gorleben die entsprechenden Techniken und die
wissenschaftlich-technischen Daten zu ermitteln und bereit zu stellen.
Der Salzstock Gorleben war in der Eignungsuntersuchung. Wir von der GSF
sollten im Forschungsbergwerk Asse die entsprechenden Technologien und
wissenschaftlichen Untersuchungen durchführen.“
Bei dem Clausthaler Kolloquium zur Endlagerung 2003 erklärte Staatssekretär Christian Eberl für das niedersächsische Umweltministerium, die in der Asse erzielten Ergebnisse
„bildeten eine Grundlage für die von der Bundesregierung
in Angriff genommenen Erkundungsarbeiten für ein Endlager auch Wärme
entwickelnder hochradioaktiver Abfälle im Salzstock Gorleben.“
In der ersten Teilbetriebsgenehmigung des Atomkraftwerks Brokdorf von 1985 steht der Satz:
„Das Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel ist für die
Endlagerung von radioaktiven Abfallstoffen vorgesehen. Im Einvernehmen
zwischen der Bundesregierung und der Landesregierung in Niedersachsen
soll dieses Bergwerk jedoch in erster Linie als Versuchsanlage für
Gorleben dienen.“
Entsorgung: Die schöne Illusion
Im Jahr 1977 hat die Bundesregierung im Einvernehmen
mit der Mehrheit der Länder „Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für
Kernkraftwerke“ (Entsorgungsgrundsätze) aufgestellt, um den
bundeseinheitlichen Vollzug des § 9a Abs 1 AtG [5]
sicherzustellen und um den Antragstellern und Genehmigungsbehörden von
Kernkraftwerken die schon im Rahmen der Genehmigungsverfahren
herbeizuführenden Konkretisierungen einer Entsorgungsvorsorge zu
verdeutlichen.[6]
- Die Anlagenbetreiber müssen jährlich die Entsorgung detailliert
nachweisen und Veränderungen des Entsorgungskonzepts unverzüglich
melden.
- Bei Wegfall der Voraussetzungen der Entsorgungsvorsorge kann die
Betriebsgenehmigung für laufende Kernkraftwerke nach § 17 Abs. 3 Nr. 2
bzw. Abs. 5 AtG widerrufen werden.
- Der Betreiber eines Atomkraftwerkes ist nach dem Verursacherprinzip
verpflichtet, bestrahlte Brennelemente und sonstige radioaktive Abfälle
„schadlos zu verwerten oder als radioaktive Abfälle geordnet zu
beseitigen“.
Der ehemalige Abteilungsleiter der niedersächsischen Atomaufsicht im
Umweltministerium, Horst zur Horst, stellte fest, dass die Entsorgung
und der Fortschritt bei der Forschung in der Asse ein Bestandteil des
Entsorgungsvorsorgenachweises der laufenden Atomkraftwerke war: Dies
hatte
„unmittelbar erhebliche Konsequenzen für die Frage der
Entsorgung der Kernkraftwerke. Es folgte nach den Verhandlungen über die
Asse zwischen Bund und Land die Frage, wie sich für die atomrechtlichen
Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden der Länder für die Kernkraftwerke
die Genehmigungszulassung darstellt; dies sind die berühmten
Entsorgungsvorsorge-Grundsätze, die dann zwischen Ländern und Bund
beraten wurden.“[7]
Weiter führte zur Horst aus:
„Asse war Forschungsbergwerk und war natürlich wichtiger
Bestandteil in der Forschung und Entwicklung für die Endlagerung
radioaktiver Abfälle im Salz. Asse war nicht nur in der Bundesrepublik –
Niedersachsen selbstredend nicht nur -, sondern in der ganzen Welt
eigentlich das Forschungszentrum, was für die Endlagerung im Salz die
entsprechenden Forschungstätigkeiten durchführte“.
„Die Entsorgungsvorsorge wurde [darüber hinaus] durch die
Aufarbeitungsverträge mit Großbritannien und Frankreich, durch die
Brennelementezwischenlager in Gorleben und Ahaus sowie durch die
positive Einschätzung der direkten Endlagerung und die bestätigte
Eignungshöffigkeit des Salzstockes Gorleben als gesichert angesehen“,
schreibt ein intimer Kenner, ehemaliger Mitarbeiter der
Kernbrennstoffwiederaufarbeitungsgesellschaft (KEWA), der
Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) und des Kernforschungszentrums
Karlsruhe (KfK) im Jahr 2003.[8]
Hoffnung auf Eignung
Unterschiedliche Quellen belegen: Die Asse war das Versuchsbergwerk für
ein Endlager im Salzstock von Gorleben. Die „Hoffnung auf Eignung“, für
die der bergmännische Begriff „Eignungshöffigkeit“ steht, war eng
verknüpft mit den Fortschritten bei den Forschungsarbeiten in der Asse
und dem Nachweis der Eignung von Salz als Endlagermedium. Hier fand so
genannte „Gorleben-relevante Forschung“ statt.
Drei dieser „Großversuche“ galten noch bis Anfang der neunziger Jahre als unverzichtbar für die Genehmigung von Gorleben. Das war einhellige Auffassung des BMU und des BMBF. Bis Ende der achtziger
Jahre vertrat die Regierung Albrecht und der Leiter der zuständigen
Abteilung für nukleare Entsorgung, Horst zur Horst, ebenfalls diese
Auffassung.[9] Zu den Versuchen gehörten insbesondere
- der Radiolyseversuch mit hochradioaktivem Abfall aus den USA,
- der Versuch mit Hochtemperaturreaktor-Brennelementen [10] und
- der Dammbauversuch.