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21. November 2012, 20:29 Uhr Aktualisiert am 21. November 2012, 20:29 Uhr

AUS DER

ZEIT NR. 01/1989

Nuklearexporte, Transnuklear, Biblis: Die Kontrolle der Atomwirtschaft ist völlig unzureichend


Von Wolfgang Hoffmann


Auf die Frage, wie lange denn die gemeinsame Sondersitzung der Bundestagsausschüsse für Wirtschaft, Umwelt, Forschung und Auswärtiges noch dauern werde, antwortete der FDP-Abgeordnete Klaus Beckmann am späten Nachmittag des 23. Dezember reichlich unwirsch: „Das ist doch hier alles für Schau.“


Daß die Opposition Grund genug sah, einen Tag vor Heiligabend noch den Bundestag über den allerjüngsten Atomskandal der Bundesrepublik unterrichten zu lassen, mochte Beckmann überhaupt nicht einsehen. Dabei hätte der Rechtsanwalt, der auch Angestellter der in Nuklear-Exporten erfahrenen Firma STEAG ist, trotz Störung seiner vorweihnachtlichen Ruhe die Tragweite der neuen Affäre durchschauen müssen. Denn was vor ziemlich genau einem Jahr nur ein vager Verdacht war, ist nun doch noch erhärtet worden. Mehr noch: Es ist erwiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland gegen den internationalen Atomwaffensperrvertrag verstoßen hat.


Am 21. Dezember 1988 teilte die Staatsanwaltschaft Hanau mit, daß die Firma NTG – Neue Technologien GmbH – in Gelnhausen-Hailer „geschäftliche Kontakte mit Vertretern der pakistanischen Atomenergiebehörde“ hatte und noch bis „zum Sommer 1988 unter anderem kerntechnische Anlagenteile ohne die erforderlichen Genehmigungen des Bundesamtes für Wirtschaft nach Pakistan geliefert“ hat.


Die Lieferungen bestanden aus brisantem Material: Komponenten für die Brennelementfertigung, eine Anlage zur Behandlung von Tritium, Tritiumgas sowie Transport- und Lagerbehälter für Uranhexafluorid, einem Vorprodukt des Kernbrennstoffs. Ferner erhielten die Pakistani: Hüllrohre, Bleche und Stangen aus Zirkaloy für die Brennelementfertigung, einen Sinterofen, Vakuumschmelzöfen für die Uranschmelze und eine Pellet-Presse zur Herstellung von Brennstofftabletten.


Damit waren die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft aber noch keineswegs erschöpft: Weitere Ermittlungen hatten ergeben, „daß die Beschuldigten kerntechnische Anlagen ohne die erforderliche Genehmigung auch nach Indien und Südafrika geliefert haben“. Diese drei sind seit Jahren auf Know-how zur Kernwaffenherstellung erpicht. Sie haben den Sperrvertrag denn auch nicht unterschrieben.


Verbale Pflichtübungen


Mit Hilfe der gelieferten Anlagen können die Länder Kernwaffen fertigen. Nach dem Atomwaffensperrvertrag sind alle Unterzeichnerländer verpflichtet, alles zu unternehmen, um eine weitere Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Der Export von kerntechnischem Know-how, Anlagen und Materialien ist ausschließlich für friedliche Zwecke gestattet und auch dann nur, wenn sich die Importländer der Kontrolle durch die internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) unterwerfen. Diese Kontrollen sollen verhindern, daß sich Staaten unter dem Deckmantel der friedlichen Kernenergie-Nutzung die notwendigen Waffenkenntnisse erschleichen. Zwar bestreitet die Bundesregierung, daß die ungenehmigten und zum Teil sogar genehmigten Exporte der NTG gegen den Nichtverbreitungsvertrag verstoßen, aber das sind nur verbale Pflichtübungen gegenüber dem aufs höchste verschreckten Ausland. Gary Milhollin, Professor an der amerikanischen University of Wisconsin und Experte in Fragen der Atomwaffenkontrolle, erklärt: „Sämtliche Dinge, die von der Staatsanwaltschaft genannt wurden, hätten nicht exportiert werden dürfen, es sei denn, die Empfängerländer hätten sich den Sicherheitsbestimmungen der IAEA unterworfen. Mir ist völlig unverständlich, weshalb die deutsche Regierung solche Ausfuhren zulassen konnte. Es scheint, als habe Deutschland den ersten Preis dafür verdient, wie man eine Umgehung des Nichtverbreitungsvertrags und Verstöße gegen ihn möglich machen kann.“


Damit hat Milhollin den Vorwurf bekräftigt, den er schon vor einigen Wochen bei seiner Vernehmung vor dem Atomuntersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages erhoben hat. Anlaß damals waren Atomgeschäfte der Düsseldorfer Firma Alfred Hempel, die Schwerwasser aus Norwegen unter noch immer nicht ganz geklärten Umständen nach Indien verkauft haben soll. Schwerwasser wird zum Betrieb von Schwerwasser-Kernreaktoren benötigt, die auch bombenfähiges Material herstellen können. Sowohl Indien wie Pakistan betreiben solche Reaktoren, und zwar unbehelligt von Inspektionen durch die IAEA. Nuklearexporte in diese Länder können also diskret für militärische Zwecke mißbraucht werden. In diesen Zusammenhang paßt, daß Indien vor Jahren bereits eine erste Atombombe gezündet hat. Daß Pakistan gleichfalls schon zum Kreis der Kernwaffen-Staaten gehört, wird seit langem vermutet und gilt inzwischen als gesichert.


Unterstützung auf dem Weg zur Bombe ist immer wieder der Bundesrepublik angelastet worden. Den Grund sieht Gary Milhollin in der Tatsache, daß die Bundesrepublik die sogenannte internationale „Trigger“-Liste nicht sonderlich ernst nimmt. Auf dieser Liste stehen sämtliche kerntechnischen Materialien, die nötig sind, um an den „Trigger“ – den Abzugshahn – zu gelangen. Daß Milhollins Behauptung keinesweg abwegig oder gar nur eine weitere böswillige Verleumdung der amerikanischen Nuklearkonkurrenz ist, wie deutsche Atommanager gern behaupten, haben die Staatssekretäre Hans-Werner Lautenschlager (Auswärtiges Amt) und Dieter von Würzen (Wirtschaft) indirekt bestätigt. Sie räumten unterschiedliche Auffassungen beider Ministerien über einen Teil der NTG-Exporte ein. 1984 hatte die Firma in Bonn angefragt, ob sie eine Anlage zur Tritium-Rückgewinnung nach Pakistan ausführen dürfe. Für diese Exporte hatte sich auch der CDU-Abgeordnete Richard Bayha eingesetzt, berichtet der Grüne Otto Schily. Während das Auswärtige Amt vom Export der Anlage abriet, gab das Wirtschaftsministerium dennoch grünes Licht. Die Argumentation des Wirtschaftsministeriums heute: Die Tritium-Rückgewinnungsanlage habe damals noch nicht auf der Liste der genehmigungspflichtigen Exportgüter gestanden. Tatsächlich ist das Verbot des Exports ohne Genehmigung für „Ausrüstungen, besonders konstruiert für die Herstellung oder Rückgewinnung von Tritium“, Ziffer 0305 der Kernenergieliste (das ist die deutsche Version der internationalen Trigger-Liste), erst im März 1988 amtlich geworden. Dennoch hätte der Export bei strenger Auslegung der Verbotsliste in der Fassung vom November 1984 untersagt werden können und müssen. Nach damaliger Listenfassung war nämlich die Ausfuhr von „Ausrüstungen, besonders konstruiert für die Erzeugung von Tritium“, schon genehmigungspflichtig. Nach dieser Formulierung den Export einer Tritium-Rückgewinnungsanlage freizustellen, ist wohl nur die Art jener Juristen, die Vorschriften wörtlich nehmen und sich um deren eigentlichen Sinn nicht kümmern. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Harald B. Schäfer kommt zu dem Ergebnis: „Diese ganzen Vorgänge zeigen wieder einmal, daß von einer effektiven Kontrolle der Kernenergiewirtschaft nicht die Rede sei kann.“


Heiße Fracht nach Pakistan


Erschwerend kommt bei dem Vorgang zweierlei hinzu: Zum einen handelt es sich bei Tritium um einen Stoff, der die Sprengkraft von Atomwaffen verstärkt und den man auch zum Bau von Wasserstoffbomben benötigt. Zum zweiten war dem Bundeswirtschaftsministerium 1984/85 wie auch der übrigen Welt hinreichend bekannt, mit welchen kriminellen Mitteln Pakistan versuchte, sich um jeden Preis in den Besitz von Nuklearwaffen zu bringen.


Schon damals war der Pakistani Dr. Abdul Qader Khan als Vater der islamischen Bombe gefeiert worden. Sein akademisches Wissen hatte er als Student in der Bundesrepublik und in den Niederlanden erworben. Das entscheidende Know-howfür die Herstellung von waffenfähigem Spaltmaterial hat er in den siebziger Jahren in der europäischen Uran-Anreicherungsanlage im holländischen Almelo ausspioniert.


Offenkundig hat Khan es auch verstanden, sich notwendiger Zulieferanten aus der Bundesrepublik zu versichern. Einer war Rudolf Ortmayer, bis zum Februar 1988 Geschäftsführer der NTG, die in Besitz des Fürsten Otto Friedrich von Ysenburg ist und rege Geschäftsverbindungen auch nach Südafrika unterhalten soll, einem weiteren Land, das die Bombe haben will oder schon hat.


Bei den NTG-Geschäften war Peter Finke mit von der Partie, Geschäftsführer der inzwischen aufgelösten Firma PTB (Physikalisch-Technische Beratung). Das Kürzel PTB ist auffällig. Es ist identisch mit dem, das die Physikalisch-Technische Bundesanstalt benutzt, die in staatlichem Auftrag auch in Nukleargeschäften tätig ist. Zufall? Wohl kaum, zumal die PTB in Hessen nur eine Briefkastenfirma war. Unternehmen dieser Art eignen sich besonders gut, die Spuren nicht ganz sauberer Geschäfte zu verwischen.


Unklar ist gegenwärtig noch die Rolle, die bei den Geschäften die Villinger Firma Gutekunst gespielt hat, die mit Leuchtstoffen, darunter auch Tritium, handelt, und über weitreichende Auslandsverbindungen verfügen soll. NTG-Geschäftsführer Ortmayer war es überdies gelungen, einen Darmstädter Atomphysiker für seine Zwecke einzuspannen. Der soll inzwischen zugegeben haben, für 1,5 Millionen Mark einschlägige Kenntnisse an Pakistan weitergegeben zu haben. Nach seinem Geständnis soll er sogar die Tritium-Rückgewinnungsanlage in Pakistan probeweise angefahren haben.


Eine weitere Merkwürdigkeit ist in den Umständen zu sehen, unter denen NTG-Geschäftsführer Ortmayer Anfang 1988 aus der Firma des Gelnhausener Edelmannes ausgeschieden ist. Angeblich wurde er wegen veruntreuten Geldes fristlos entlassen. Fürst Ysenburg hat erstaunlicherweise dennoch keine Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft hat von den illegalen Exportgeschäften der NTG und ihres Geschäftsführers Ortmayer aus ganz anderen Quellen erfahren und erst danach mit ihren Ermittlungen begonnen. Was der clevere Ortmayer von dem Verfahren zu erwarten hat, bestenfalls eine marginale Bestrafung nämlich, ist in dem Fall Migule gerichtskundig geworden.


Albrecht Migule, Geschäftsführer und alleiniger Inhaber der Firma C. S. Kalthoff Freiburg, hat zwischen 1977 und 1980 eine ganz heiße Fracht nach Pakistan exportiert. Er hat eine komplette Uranhexafluorid-Anlage, Voraussetzung für die Erzeugung von Spaltmaterial, geschickt in viele einzelne Komponenten aufgesplittet und sie sukzessive abtransportiert. Insgesamt sind 62 Lkw-Ladungen Richtung Islamabad geschickt worden. Immerhin kam der Firmeninhaber vor Gericht. Dort freilich wurde er mit äußerster Milde behandelt. Albrecht Migule bekam acht Monate mit Bewährung und eine Geldbuße von 30 000 Mark, die – gemessen an seinem 13-Millionen-Geschäft – wohl nur eine bescheidene Strafe dafür ist, daß Migule sich der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen schuldig gemacht hat.


Das Gericht hat die Milde allerdings begründet und dabei die Hauptschuld auf die Behörden abgewälzt. Im Urteil gegen den Freiburger Unternehmer heißt es wörtlich: „Zu seinen Gunsten ist zu berücksichtigen, daß ihm die staatlichen Behörden die Tat insofern leichtgemacht haben, als der Angeklagte die Waren allesamt ordnungsgemäß verzollt hat und es zur Durchführung der Exporte keiner Nacht- und Nebelaktion bedurfte. Er mußte keineswegs besonders raffiniert vorgehen, um sein Ziel zu erreichen. Eines hohen Maßes an krimineller Energie bedurfte es nicht.“


Absolut wasserdicht


Nach diesem Urteil wird vermutlich auch Ortmayer mit großer Nachsicht rechnen dürfen. Ähnlich scheint es den beiden ehemaligen Geschäftsführern der Firma Leybold-Heraeus zu ergehen, die im Verdacht stehen, Blaupausen für eine Uran-Anreicherungsanlage der Firma Uranit kofferweise über die Schweiz ebenfalls an Pakistan verscherbelt zu haben. Während gegen die Schweizer Helfershelfer der deutschen Atomdealer schon längst Anklage erhoben ist, scheint gegenwärtig nicht einmal sicher, daß die Leybold-Händler überhaupt je vor Gericht müssen.


Der bisher schwerste Verdacht, deutsche Firmen hätten bombenfähiges Spaltmaterial nach Pakistan und Libyen verschoben, war Ende vergangenen Jahres gegen eine der drei aufs engste miteinander verflochtenen Hanauer Atomfirmen (Alkem, Nukem und Transnuklear) erhoben worden, und zwar im Zusammenhang mit der damals aufgedeckten Bestechungs- und Transportaffäre von Transnuklear (TN). Mitarbeiter von TN hatten jahrelang Beschäftigte in Kernkraftwerken aus schwarzen Kassen geschmiert, um leichter an Transportaufträge zur Beseitigung atomarer Abfälle zu gelangen. Außerdem wurden Abfallfässer schon einmal mit falschen Etiketten versehen und zwischen Belgien und der Bundesrepublik hin und her geschoben. In den falsch deklarierten Fässern befanden sich zum Teil hochradioaktive Substanzen. Kurz nachdem Einzelheiten dieser Affäre an die Öffentlichkeit gelangten, hat der hessische Mi-


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nisterpräsident Walter Wallmann einen Hinweis bekommen, demzufolge auch Plutonium für das Ausland abgezweigt wurde. Wallmann ging unmittelbar nach diesem Hinweis mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit, ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag sei nicht mehr ausgeschlossen. Bislang hatte es stets geheißen, alle staatlichen Maßnahmen gegen einen solchen Verstoß seien absolut wasserdicht.


Wallmanns voreilig hinausposaunter Verdacht hat sich nicht bestätigt, dafür waren aber katastrophale Managementzustände bei der Atomfirma offenbar geworden; Umorganisationen und Entlassungen wurden verhängt, die Manager boten keine Gewähr mehr für die fachliche und persönliche Zuverlässigkeit, die nach dem Atomgesetz von jedem Betreiber kerntechnischer Anlagen verlangt wird.


Wie wenig die deutsche Nuklearindustrie von solchen Vorschriften des Staates hält, beweist der Umstand, daß einer der gefeuerten Geschäftsführer, Peter Jelinek-Fink, schon wieder in Atomgeschäften mitmischen darf, vorerst allerdings nicht im Inland. Jelinek-Fink ist Leiter des Washingtoner Verbindungsbüros der deutsch-britisch-niederländischen Atomfirma Urenco.


Verschweigen und Verharmlosen


Daß es mit der Zuverlässigkeit des Personals der Nuklearindustrie inklusive der Aufsichtsbehörden nicht gerade zum besten steht, belegen auch die bekannt gewordenen Vorgänge im Kernkraftwerk Biblis. Dort hatte die Wachmannschaft nicht nur ein Warnsignal über Stunden verschlafen, sondern dann auch noch mit unzulässigen Mitteln versucht, die Störung zu beseitigen. Das führte dann zu jenem Störfall, der erst Anfang Dezember 1988, ein Jahr später, der Öffentlichkeit bekannt wurde. Dieser meldepflichtige Störfall wurde der Aufsichtsbehörde in Hessen auch nur als harmloser Normalfall gemeldet, obwohl es sich um einen Fall der sehr viel brisanteren Kategorie E (eilt) handelte. Bei dem Bemühen, den Störfall, der nach Ansicht von Fachleuten zu einem gravierenderen Unfall hätte führen können, herunterzuspielen, hat die Aufsicht, das hessische Umweltministerium, sogar mitgewirkt. Es dauerte mehrere Monate, bis der Störfall von N nach E umgestuft wurde. Der mit der Aufsicht betraute Staatssekretär Manfred Popp hat zudem seinen Minister Karlheinz Weimar, wie auch den nach Atomrecht verantwortlichen Bonner Umweltminister Klaus Töpfer, viel zu spät über den wahren Sachverhalt informiert.


Verschweigen, Verharmlosen und Herunterspielen sind allerdings ganz alltägliche Vorgänge in der Nuklearindustrie, in der es stets um viel Geld geht, beim Betrieb der Reaktoren ebenso wie beim Export atomarer Anlagen und Stoffe. Weil die Bedienungsmannschaft eines Kernkraftwerkes weiß, daß der Stillstand eines Atommeilers pro Tag gleich ein bis zwei Millionen Mark kostet, wird sie den Reaktor nicht sofort abstellen, wenn irgendwo irgendwann eine Warnlampe aufleuchtet. Und weil bei atomaren Exportgeschäften manche Million extra verdient werden kann, wenn die Vorschriften umgangen werden, ist der Schritt in die Illegalität nachgerade programmiert. Zudem weiß die Branche inzwischen ganz genau: Sämtliche Kontrollen sind außerordentlich lasch.


Das ist übrigens die wichtigste Erkenntnis des Atomuntersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, der zur Aufklärung des Hanauer Atomskandals gebildet wurde. Nach Aussagen der meisten Sicherheitsexperten hat sich zum Beispiel die Vorstellung als irrig erwiesen, die internationalen Spaltstoff-Kontrollen, sowohl die der internationalen Atomenergie-Agentur wie die von Euratom, könnten sicherstellen, daß kein Spaltmaterial in fremde Hände gelangen kann. Der Bruch des Atomwaffensperrvertrags ist weder voraussehbar noch verhinderbar, er kann bestenfalls „post festum möglichst rasch die Staatengemeinschaft informieren und alarmieren“. Das war die Auskunft des langjährigen ehemaligen stellvertretenden IAEA-Generaldirektors Peter Tempus.


Erschwerend kommt hinzu, daß sich der größte Teil aller in der Nuklearbranche Beschäftigten bewußt oder unbewußt einer „nuklearen Community“ verpflichtet fühlt, die etwas Besonderes ist; bei dem Stoff, mit dem sie umgeht, ist das nicht weiter verwunderlich. Wer in dieser Branche auf sich hält, ob in Industrie, Wissenschaft, Politik oder Atomaufsicht, ist zumindest Mitglied im Deutschen Atomforum, wenn nicht gar in der noch wichtigeren Kerntechnischen Gesellschaft, beides unermüdliche Lobbyisten der Kernenergie.


Nirgends sind die Reihen so eng und fest geschlossen wie im nuklearen Gewerbe. Selbst die meisten Kontrolleure der internationalen Kontrollbehörde IAEA kommen aus der Kernenergie-Industrie oder der Wissenschaft, verbringen drei bis fünf Jahre bei der Agentur und verdingen sich anschließend wieder in Industrie oder Wissenschaft.


Auch die Politik der Nichtverbreitung von Atomwaffen, wie sie der Nonproliferations-Vertrag von allen Mitgliedsländern verlangt, wird offenkundig nur halbherzig verfolgt. Sogar Professor Karl Kaiser vom Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die keineswegs im Ruf steht, die Kernenergie abzulehnen, wünschte sich in seiner vor dem Untersuchungsausschuß abgegebenen Expertise eine aktivere Rolle der Bundesrepublik bei der Nichtverbreitungspolitik.


Was Kaiser, der amtlichen Politik in Bonn verpflichtet, nur sehr diskret angedeutet hat, kritisierte Harald Müller von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung sehr viel ungeschminkter: „In der Praxis ist es leider nicht immer gelungen, die Durchsetzung der Ziele des Atomwaffensperrvertrages auch durchzuhalten.“


Verwundert stellte Müller zudem fest, daß deutsche Behörden von illegalen Atomexporten ganz selten durch eigene Ermittlungen Kenntnis bekommen, sondern stets auf Anstöße von außen – zum Beispiel ausländischer Geheimdienste – reagieren. Sie reagieren zudem auch noch zurückhaltend. Als das Bonner Wirtschaftsministerium Einzelheiten über Schwerwassergeschäfte der Düsseldorfer Firma Hempel erfuhr, begnügte man sich mit einer Anhörung von Firmenvertretern und Vorlage von Firmendokumenten, denen zufolge es sich um ganz ordentliche Geschäfte gehandelt haben muß. Dabei hätte schon ein einziger Anruf bei der halbstaatlichen Kernforschungsanlage Jülich genügt, um Hempels unordentliches Gebaren zu entlarven. Laut Hempel sollte Jülich ursprünglich der Empfänger von fünfzehn Tonnen Schwerwasser aus Norwegen sein. Dann aber sei Jülich von dem Auftrag zurückgetreten, worauf Hempel die norwegische Lieferung kurzfristig nach Basel umgeleitet haben will, angeblich mit Wissen der Norweger. Ein Anruf in Jülich hätte gereicht, um festzustellen, daß man dort eine solche Menge weder je bestellt noch benötigt hatte.


Unübersehbare Verbotsliste


Als der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Dieter von Würzen, auf diese Umstände des Hempel-Falles angesprochen wurde, zeigte er sich im Untersuchungsausschuß zwar „beunruhigt“! daß „mit dem Namen einer deutschen Firma so etwas verbunden ist“, gleichwohl hielt er es für falsch, wenn sein Ministerium eigene Ermittlungen anstellt. Dabei war die Firma Hempel zu diesem Zeitpunkt schon wegen früherer Verstöße gegen deutsches Außenwirtschaftsrecht bekannt.


Vom Bonner Wirtschaftsministerium scheint allerdings gar keine andere Einstellung zu erwarten zu sein. Wenn nämlich schon der Export einer Tritium-Rückgewinnungsanlage trotz der Bedenken des Auswärtigen Amtes nach Pakistan für zulässig gehalten wird, kann erst recht die Lieferung von sehr viel harmloserem Schwerwasser nach Indien kaum als unzulässig angesehen werden. Wie wenig das Wirtschaftsministerium interessiert ist, wirklich sensible Exporte wie etwa Kerntechnik oder Anlagen zur Giftgasproduktion zu unterbinden, läßt sich an der personellen Ausstattung des Bundesamtes für Wirtschaft in Eschborn bei Frankfurt ablesen. Dieses Amt ist für genehmigungspflichtige Ausfuhren zuständig. Genehmigungspflichtig sind alle Ausfuhren von Waffen, Allagen zu ihrer Herstellung, von kerntechnischen Anlagen und Materialien wie sonstiger strategisch relevanter Güter, beispielsweise Computer. Allerdings ist die Verbotsliste, die in erster Linie gegenüber den Ostblockstaaten gilt, in den vergangenen Jahren auf amerikanischen Druck hin so umfangreich und unüberschaubar geworden, daß die mit Personal knapp gehaltene Behörde in Eschborn hoffnungslos überfordert ist, den legalen Export aus der Bundesrepublik zu überwachen. Gegen illegale Exporte ist das Amt ohnedies nicht gewappnet. Solche kriminellen Machenschaften ließen sich bestenfalls vorbeugend dadurch verhindern, daß man sämtliche Nuklearbetriebe regelmäßig mit Betriebsprüfungen, am besten jährlich, überzieht.


Manfred Ruck, Referatsleiter im Eschborner Bundesamt, schildert die Lage seiner Behörde: „Die Situation ist bei uns so, daß eine ordnungsgemäße Sachbearbeitung nicht möglich ist.“ Die Mengen und der Druck, der hinter den Exportanträgen stehe, sei so groß, daß eine gründliche Bearbeitung aller Vorgänge meist schon aus Zeitgründen unmöglich sei. Konkret schildert Ruck am Beispiel der Abfallverschiebung durch die Firma Transnuklear, wie der Ablauf beim Bundesamt stattfand. Nach Bekanntwerden der Affäre wurden noch einmal alle Vorgänge des Unternehmens überprüft. Ruck schildert dann: „Als ich die Sachen in die Hand genommen habe, mußte ich tatsächlich feststellen: Wenn damals ein fachlich versierter Sachbearbeiter dagewesen wäre, dann hätte er auch etwas merken müssen.“ Einen solchen Sachbearbeiter hatte das Referat von Manfred Ruck nicht. Und da er selbst an 70 bis 80 Tagen im Jahr im In- und Ausland unterwegs sein muß, kann Fachmann Ruck nicht alles selbst prüfen. In seinem Referat müssen jährlich mehr als 120 000 Vorgänge durchleuchtet werden.


Bei der Vernehmung von Ruck ist im Untersuchungsausschuß auch eine weitere Lücke im Gestrüpp des Außenwirtschaftsrechts ausgemacht worden. So besteht durchaus die Möglichkeit, ganz legal in den Besitz von spaltbarem Material zu gelangen.


Nach den gültigen Richtlinien des Atomwaffensperrvertrags ist nämlich die Lieferung von sogenannten Kleinstmengen an Spaltmaterial gegen entsprechende Genehmigung erlaubt. Die Folge dieser Regel: Bei entsprechender Bestellung von Kleinstmengen kann sich ein Staat oder auch eine private Firma über einen längeren Zeitraum hinweg und über verschiedene Lieferanten durchaus in den Besitz von solchen Mengen bringen, die dann für den Bau einer Bombe ausreichen. Oberregierungsrat Ruck: „Es ist tatsächlich eine Lücke, daß jedes Land eine gewisse Freimenge exportieren kann.“ Das Resümee des Vorsitzenden im Atomuntersuchungsausschuß, Herrmann Bachmaier: „Mein Eindruck ist, daß das gesamte Nukleargewerbe den Staat voll im Griff hat. Umgekehrt sollte es sein. Was wir bisher erfahren haben, zeigt aber, alle Kontrollen sind völlig unzureichend.“


Schwachstelle Zoll


Das gilt übrigens auch für den Zoll. Über die Schwachstellen, mit denen Exporteure beim Zoll an den Grenzkontrollstellen rechnen dürfen, berichtete Regierungsdirektor Jürgen Rump vom Zollkriminalinstitut Köln. Laut Dienstanweisung prüft der Zoll nur, ob das, „was im Wagen ist, mit dem übereinstimmt, was in den Papieren angemeldet ist“.


Nur dann, wenn vorher ein bestimmter Verdacht gegen einen Exporteur bestanden hat, wird gründlicher untersucht, ob Ware und Frachtbrief miteinander identisch sind. Packstücke mit radioaktivem Material werden dabei aber überhaupt nicht näher untersucht, das ist den Zollbeamten wegen der Strahlungsgefahren sogar ausdrücklich untersagt. Diesen Hinweis des Regierungsdirektors Rump nahm die Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier (SPD) zum Anlaß einer Bemerkung an ihren CDU-Kollegen Klaus Harries: „Herr Harries, Sie laufen Gefahr, mit Ihrem Wein und Käse gefilzt zu werden, aber nicht bei solchen Packstücken.“


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