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Bomben für die Welt

Wegen deutscher Nuklearexporte droht neuer Ärger mit den Vereinigten Staaten

21. November 2012, 19:08 Uhr Aktualisiert am 21. November 2012, 19:08 Uhr

AUS DER

ZEIT NR. 07/1989


Von Wolfgang Hoffmann

Der Bundesregierung steht eine neue Belastungsprobe der deutsch-amerikanischen Beziehungen ins Haus. Anlaß ist der Export von Nuklear-Material nach Indien und Pakistan, beides Länder, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben haben und zudem im Verdacht stehen, insgeheim Atomwaffen zu entwickeln und zu produzieren. Verärgert sind die Amerikaner nicht nur über den laschen Umgang der Deutschen mit nuklear-strategischen Gütern bei der Ausfuhr. Besonders erbost sie, daß ein Teil der deutschen Lieferungen nach Indien auch noch amerikanischen Ursprungs ist.


Ruchbar wurden die deutschen Atom-Ausfuhren zwei Wochen, bevor der mutmaßliche Export einer Chemiewaffenfabrik nach Libyen durch die Firma Imhausen-Chemie in die Schlagzeilen geriet. Wenige Tage vor Weihnachten hatte die Staatsanwaltschaft Hanau mitgeteilt, daß sie Ermittlungen gegen die Gelnhausener Firma Neue Technologien GmbH (NTG) wegen des Verdachts illegaler Ausfuhren nach Pakistan eingeleitet hatte. Der Fall war so brisant, daß noch am 23. Dezember die Bundestagsausschüsse für Wirtschaft, Umwelt, Forschung und Auswärtiges zu einer Sondersitzung zusammentraten. Dabei kam heraus, daß die NTG den Pakistanis unter anderem eine Anlage geliefert haben soll, mit deren Hilfe man auch Tritium gewinnen kann.


Über den Zweck einer solchen Anlage brauchten Eingeweihte nicht lange zu rätseln. Tritium, ein radioaktives Isotop des Wasserstoffs, das auch zur Herstellung von Leuchtfarben verwendet wird, ist nötig, um die Sprengkraft von Atom- und Wasserstoffbomben zu verstärken. Dadurch wird die sogenannte kritische Masse zur Zündung der Bombe – rund fünfzehn Kilogramm Plutonium – erheblich reduziert. Nachteil des Tritiums ist seine relativ geringe Halbwertzeit. Spätestens nach zwölf Jahren ist das Isotop zerfallen und nicht mehr für den Bombenbau geeignet. Weil das so ist, müssen die vorhandenen Sprengkörper regelmäßig mit frischem Tritium versorgt werden.


Da das Material nicht allgemein zugänglich und der Handel damit beschränkt ist, sind Atomwaffenstaaten darauf angewiesen, den Stoff selbst zu produzieren. Um die weltweite Weiterverbreitung von Nuklearwaffen möglichst zu verhindern, hat die Bundesrepublik denn auch „Ausrüstungen, besonders konstruiert für die Erzeugung von Tritium“, auf die Embargoliste Teil I Abschnitt B gesetzt: Laut Ziffer 0305 ist die Ausfuhr einschlägiger Tritium-Anlagen nur mit amtlicher Genehmigung erlaubt.



Mit dem Erteilen dieser Genehmigung haben es das Bonner Wirtschaftsministerium und das zuständige Bundesamt für Wirtschaft allerdings nicht sonderlich ernst genommen. Als die NTG nämlich anfragte, ob denn auch für den Export einer Schwerwasser-Reinigungsanlage eine Genehmigung erforderlich sei, wurde der Firma bescheinigt, dies sei nicht nötig. Dabei wurde offenbar übersehen, daß auch eine solche Anlage durchaus geeignet ist, das im verunreinigten Schwerwasser enthaltene Tritium herauszufiltern.

Die großzügige Auslegung der Embargo-Liste hatte nach bisherigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bis dahin allerdings keine schwerwiegenden Folgen. Die NTG verzichtete nämlich auf den Export der Anlage. Doch Freude kann darüber nicht aufkommen. Geliefert wurde nämlich doch, und zwar eine Anlage zur Tritium-Beseitigung. Diese Anlage dient nun nicht etwa, wie aus dem Namen geschlossen werden könnte, zur Beseitigung von Tritium, sondern vielmehr dazu, tritiumbelastete Arbeitskammern zu reinigen, um einer Verseuchung der Beschäftigten in Kernkraftwerken vorzubeugen. Bei dem Verfahren handelt es sich um die patentierte Erfindung eines Mitarbeiters des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Garching bei München. Die NTG erwarb eine Lizenz, fertigte die Anlage und exportierte sie nach Pakistan – angeblich zu Reinigungszwecken. Das Max-Planck-Institut stuft den Export daher auch als völlig harmlos ein. Auskunft des Instituts: „Zur Herstellung oder Abtrennung von Tritium, etwa für Bomben, kann diese Anlage nicht benutzt werden.“


Die Staatsanwaltschaft Hanau sieht das allerdings ganz anders. Nach ihren bisherigen Ermittlungen dient die gelieferte Anlage nicht nur zur Beseitigung von Tritium-Verschmutzungen, sondern zugleich auch zum Sammeln des Stoffes. So wie die Anlage gebaut wurde, vermögen sich die Ermittler eine zivile Nutzung der Anlage nicht vorzustellen. Der Leitende Oberstaatsanwalt Albert Farwick: „Wir gehen nach dem gegenwärtigen Sachstand davon aus, daß in dieser Anlage reinstes Tritium gewonnen werden kann.“

Nach Informationen, die dem stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Harald B. Schäfer vorliegen, können in der Anlage täglich fünf bis zehn Gramm Tritium gewonnen werden. Vier bis fünf Gramm reichen bereits aus, um einen nuklearen Sprengkopf scharfzumachen. Harald B. Schäfer: „Ein unglaublicher Vorgang.“


Erst in der vergangenen Woche wurde ein anderes Geschäft ähnlicher Art bekannt – ausgerechnet mit Indien, dem verfeindeten Nachbarland Pakistans. Das indische Bhabha Atomforschungszentrum (Bare) in Trombay bei Bombay erhielt ebenfalls brisantes Nuklear-Material: 1984 hat das renommierte Frankfurter Unternehmen Degussa, bis zum Hanauer Atomskandal an den Firmen Nukem und Transnuklear beteiligt, 95 Kilogramm Beryllium im Wert von 140 000 Mark an das Forschungszentrum geliefert. Dabei handelt es sich um Ware amerikanischen Ursprungs, für die Degussa keine Reexportgenehmigung der USA hatte.

Ein Verstoß gegen deutsche Exportbestimmungen liegt nicht vor. Zwar unterliegt Beryllium in Form von Metall, Legierungen oder anderer Verbindungen auch dem Exportverbot (Embargoliste Teil I Abschnitt B Ziffer 0109), allerdings hat das Bundesamt für Wirtschaft eine ordentliche Ausfuhrgenehmigung erteilt. Das ist merkwürdig genug. Beryllium ist nämlich ähnlich wie Tritium alles andere als harmlos. Als Reflektormaterial dient es dazu, die kritische Bombenmasse auf ein Drittel zu reduzieren. Für Länder, deren Atomwaffenprogramm noch in den Kinderschuhen steckt, und die nicht über genug waffenfähiges Plutonium verfügen, ist Beryllium just der Stoff, der zum Ziel führt.


Daß man sich bei der Degussa über die mögliche militärische Verwendung des Berylliums durchaus im klaren war, beweist die Korrespondenz mit den indischen Partnern. Vor Lieferung mußten die Inder detailliert darlegen, daß sie das Beryllium nur zu Schmelzversuchen für die Werkstoffentwicklung verwenden würden. Per Fernschreiben bestätigte Bare der Degussa, „daß wir weder ein Nuklear-Waffen-Programm haben noch sonst eine Absicht, das bestellte Beryllium für irgendeine militärische Verwendung zu gebrauchen“.


Wie versessen die Inder auf das Degussa-Beryllium waren, geht aus einer anderen Mitteilung des Bare hervor. So heißt es in einem Schreiben an Degussa: „Falls Ihre Behörden meinen, die von uns bestellten Mengen seien zu hoch, so sind wir auch einverstanden, wenn Sie eine Exportgenehmigung für welche Mengen auch immer erhalten können.“


Physiker Gerhard Locke vom Fraunhofer Institut für naturwissenschaftlich-technische Trendanalysen in Euskirchen, seit Jahren auch mit der Wirkungsweise von Kernwaffen beschäftigt, kommentiert den Beryllium-Export außerordentlich kritisch: „Wenn Inder zwei Zentner Beryllium kaufen, dann können sie mir nicht weismachen, daß sie diese Menge für metallurgische Forschungen benötigen. Dazu braucht man nicht solche Mengen. Also liegen Hintergedanken schon sehr nahe.“


Auf Hintergedanken ist das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn allerdings nicht gekommen. Die indische Versicherung, man benötige das Material für zivile und nicht für militärische Zwecke, hat ausgereicht, den Export der Ware freizugeben. Deshalb braucht Degussa nicht einmal strafrechtliche Folgen zu befürchten. Anders sieht der Fall aus amerikanischer Sicht aus. Sollten die Behörden der Vereinigten Staaten zu dem Ergebnis kommen, der Reexport des amerikanischen Berylliums hätte auch von den USA genehmigt werden müssen, was sehr wahrscheinlich ist, dürfte das Frankfurter Unternehmen auf die „schwarze Liste“ der USA kommen. Geschäftsbeziehungen zu amerikanischen Firmen wären damit fürs erste tabu.


Daß die Exportkontrolleure beim Bundesamt für Wirtschaft überhaupt eine Ausfuhrgenehmigung erteilt haben, ist für den SPD-Abgeordneten Harald B. Schäfer völlig unverständlich: „Es geht hier nicht um eine exotische Marginalie, sondern um die Frage, ob eine solche große Menge eines unmittelbar für den Atombombenbau geeigneten Materials mit Zustimmung der Regierung in eine Krisenregion exportiert worden ist.“


Genau danach sieht es zur Zeit aus. Die Bundesregierung muß sich damit vorhalten lassen, bewußt gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen zu haben. Die amtliche Genehmigung für den Export hätte die Bundesregierung nicht erteilen dürfen, hätte sie nur Artikel 3 Absatz 2 des Atomwaffensperrvertrags ernst genug genommen. Darin heißt es, daß sich jeder Vertragsstaat verpflichtet, „Ausgangs- und besonderes spaltbares Material oder Ausrüstungen und Materialien, die eigens für die Verarbeitung, Verwendung oder Herstellung von besonderem spaltbarem Material vorgesehen oder hergerichtet sind, einem Nichtkernwaffenstaat für friedliche Zwecke nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn das Ausgangs- oder besondere spaltbare Material den nach diesem Artikel erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen unterliegt“. Falls das Beryllium überhaupt für den Export hätte freigegeben werden dürfen, dann nur unter einer Bedingung: Die Inder hätten einer Überwachung des Materials zustimmen müssen. Immerhin reichen 95 Kilo reinsten Berylliums aus, um damit je nach Auslegung der Sprengköpfe zwanzig bis hundert Bomben zu bauen.


Der Versicherung des indischen Forschungszentrums Bare, man betreibe kein Waffenprogramm, Glauben zu schenken, ist spätestens seit dem ersten A-Bomben-Test der Inder im Jahre 1974 mehr als leichtfertig. Und spätestens seit dem Frühjahr 1985 weiß das auch die Bundesregierung. In einem mehrseitigen Papier meldete der Bundesnachrichtendienst (BND) ausführlich Einzelheiten über die indischen Nuklear-Absichten. Laut BND erhielt das Department of Atomic Energy den Auftrag zu untersuchen, wie der pakistanischen Bedrohung am geeignetsten begegnet werden könne. Das Bare solle unter Leitung des Physikers P. K. Iyengar vor allem die Kernfusion weiterentwickeln.


Überdies meldete der BND, daß die indischen Behörden erwägen, importierte Spaltstoffe, die der internationalen Kontrolle unterliegen, aus der indischen Wiederaufarbeitungsanlage Tarapur wegzuschaffen und in solche Kernkraftwerke zu verlagern, die rein zivilen Zwecken dienen. Damit ließe sich verhindern, daß die internationalen Kontrolleure weiterhin in der Wiederaufarbeitungsanlage Tarapur ein- und ausgehen.


Die Lektüre des BND-Berichts gibt auch eine Erklärung der Hempel-Affäre vom vergangenen Sommer. Die Düsseldorfer Exportfirma hatte 1983 norwegisches Schwerwasser (fünfzehn Tonnen), das ursprünglich für einen deutschen Kunden bestimmt war, über Basel nach Bombay geflogen. Schwerwasser wird zum Betrieb von Schwerwasser-Kernreaktoren benötigt, bei deren Betrieb sich waffenfähiges Spaltmaterial abzweigen läßt. Zu diesem Zeitpunkt sollte das neue Schwerwasser-Kernkraftwerk Kalpakham in der Nähe von Madras in Betrieb genommen werden. Allerdings fehlten den Indern die notwendigen Mengen Schwerwasser, um den Betrieb wie geplant aufzunehmen.


Die Regierung in Delhi – so der Geheimdienstbericht aus Pullach – schlug sogar ein Angebot der Sowjets aus, vorübergehend mit entsprechenden Lieferungen einzuspringen. Weil man sich damit der internationalen Spaltstoffluß-Kontrolle hätte unterwerfen müssen, nahm die indische Regierung eine Verzögerung der Inbetriebnahme in Kauf, bis sie selbst wieder über genügende Mengen Schwerwasser verfügte. Zwar ist bisher nicht nachgewiesen, daß Hempels Schwerwasser aus Norwegen tatsächlich die entstandene Lücke ausgefüllt hat, der BND-Bericht macht das allerdings sehr plausibel.


Zu Beginn dieser Woche meldete das amerikanische Fachblatt Nucleonics Week einen neuen deutschen Exportfall, den amerikanische Behörden aufgedeckt haben wollen und über den Bonn bereits am 5. Juni 1986 unterrichtet worden sei. Das Blatt, dessen Informationen sich bisher als zutreffend erwiesen haben, meldet, die pakistanische Atomenergie-Behörde habe versucht, über die Hamburger Exportfirma Siemssen GmbH & Co. Beryllium-Metallplatten zu importieren. Offenbar ist es beim Versuch geblieben. Siemssen-Geschäftsführer Eckehardt Graf von Schwerin bestätigte zwar Exportgeschäfte mit Pakistan, aber „von Beryllium-Platten weiß ich gar nichts“. Von Schwerin glaubt, daß es sich um eine Verwechslung handelt. Seine Firma habe am 14. August 1986 vier Röntgenröhren nach Pakistan geliefert, deren Fenster Beryllium enthalten. Schwerin: „Die Röntgenröhren stehen aber nicht auf der Embargo-Liste.“


Daß Pakistan an Beryllium nicht minder interessiert ist als Indien, beweist der Fall eines Kanadiers pakistanischer Abstammung, Arshad Pervez. Er wurde am 18. Dezember 1987 im amerikanischen Philadelphia des Versuchs für schuldig befunden, seinem ehemaligen Heimatland auf illegalem Weg Beryllium verschafft zu haben.


Version: 18.9.2017

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